Sozialgericht Aachen Urteil, 16. Okt. 2018 - S 18 SB 317/17
Tenor
Der Bescheid vom 13.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
1
Tatbestand:
2Streitgegenständlich ist Herabsetzung des festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 70 auf 60 und die Aufhebung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (Merkzeichen G) und "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (Merkzeichen B).
3Die Beklagte stellte bei dem am ??.??.???? geborenen Kläger mit Bescheid vom 09.11.2012 einen GdB von 70 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B fest. Dem lag die versorgungsärztliche Feststellung einer Entwicklungsstörung (leichte Intelligenzminderung, Sprachentwicklungsstörung, Probleme in Koordination und Gleichgewicht, vermehrte Ablenkbarkeit und geringe Konzentration, Unterrichtsgänge nur in 1:1 – Begleitung durchgeführt) zu Grunde. Bei deutlicher Sprachentwicklungsstörung und mangelnder Konzentration seien die Merkzeichen G und B zu vertreten.
4Im Januar 2016 begann die Beklagte eine Überprüfung ihrer Feststellungen von Amts wegen. Sie zog ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit (12/2014), einen Bericht der Logopädin T. (01/2016) und Arztbriefe der Klinik für Kinder – und Jugendmedizin des Krankenhauses T. (11/2008, 01,09,11,12/2009, 07,11/2012, 7/2016) bei und holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. ein.
5Versorgungsärztlich wurde nunmehr bei leichter Intelligenzminderung, Sprachentwicklungsverzögerung (gemessen an den Vorergebnissen aus 11/2012 mit dem Alterszuwachs und leicht darüber hinausgehender Verbesserung, im Bereich einer leichten geistigen Behinderung liegend, weiterhin Logopädie) und angemessenem motorischen Koordinationsvermögen ein GdB von 60 für die Entwicklungsstörung erkannt. Eine wesentliche Verhaltensstörung liege nicht vor. Anamnestisch – nach den Angaben der Mutter des Klägers – könne dieser sich Wege gut merken. Eine schwere Orientierungsstörung und die damit die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B lägen nicht vor.
6Unter dem 28.09.2016 hörte die Beklagte den Kläger zur Intention einer entsprechenden Neufeststellung des GdB bzw. Aufhebung der Feststellungen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B vom 09.11.2012 an.
7Anwaltlich vertreten teilte der Kläger mit, die Auswirkungen der Entwicklungsstörung lägen unverändert weiter vor. Dies ergebe sich aus den eingeholten ärztlichen Unterlagen. Zwar sei der Kläger in der Lage, sich Wege in dem Sinne gut zu merken, dass er die zurückgelegten Strecken wiedererkenne, jedoch sei er gleichwohl nicht in der Lage, sich selbstständig zu orientieren und aktiv die zutreffende Richtung einzuschlagen, wenn ein anderer Weg zurückgelegt werden solle. Der Kläger bewege sich unachtsam und nicht sicher im Straßenverkehr.
8Versorgungsärztlich wurde festgehalten, das vorliegende Pflegegutachten mit einem Grundpflegebedarf von 68 Minuten am Tag sei veraltet. Körperlich – neurologisch lägen keine wesentlichen Einschränkungen vor, der Kläger fahre Fahrrad ohne Stützräder und könne schwimmen. Ein atypischer Autismus und ein Fragiles X Syndrom seien aktuell ausgeschlossen worden. Es bestehe keine wesentliche Verhaltensstörung. Der Kläger besuche eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. Im Jahr 2012 habe ein Test zur sprachfreien Intelligenz und Fähigkeit zur logischen Schlussfolgerung (CPM-Test) ein Ergebnis im unteren Altersbereich gezeigt. In einem Zeichenalterstest habe der Kläger im Bereich einer leichten geistigen Behinderung gelegen. Im Alter von 9 Jahren habe er in 3-4 Wortsätzen gesprochen und noch keine Kulturtechniken erlernt. Im Juli 2012 seien Rechenaufgaben mit Geld bei Unterstützung gelungen, das Lesen sei verweigert worden. Im Hamburger – Wechsler – Intelligenztest zeige sich nunmehr ein Intelligenzquotient von 62 bei inhomogenem Profil. Dies bedeute eine leichte Besserung, jedoch weiterhin im Bereich einer leichten Intelligenzminderung. Im Bereich Sprachverständnis und logisches Denken befinde sich der Kläger weiterhin im unteren Normbereich. Nach Teil B Ziffer 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sei aus dem Bewertungsrahmen des GdB von 50-70 bei gutem Sozialverhalten und fehlender Verhaltensstörung der Mittelwert angemessen. Da schwere Orientierungsstörungen nicht vorlägen, seien die Nachteilsausgleiche nicht zu begründen.
9Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.12.2016 bei dem Kläger einen GdB von 60 fest und hob die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B auf.
10Hiergegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 30.12.2016 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen aus dem Anhörungsverfahren.
11Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück.
12Hiergegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 07.04.2017 Klage erhoben. Bei dem Kläger bestehe eine Intelligenzminderung und eine mangelnde Fähigkeit Situationen richtig einschätzen zu können. In ihm bekannter und nicht bekannter Umgebung sei der Kläger auf Hilfe Dritter angewiesen. Aus der geistigen Behinderung resultiere eine Störung der Orientierungsfähigkeit, die zum Vorliegen der Merkzeichen führe.
13Das Gericht hat Befundberichte des Kinderarztes Dr. N. und der Klinik für Kinder – und Jugendmedizin des Krankenhauses T. eingeholt.
14Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Arztes für Kinder – und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie Dr. D. vom 26.01.2018, der einen GdB von 80 erkannt hat. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B lägen unzweifelhaft vor. Eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse sei seit November 2012 nicht eingetreten. In einer zu versorgungsärztlichen Einwänden eingeholte ergänzenden Stellungnahme vom 30.04.2018 hat der Sachverständige seine Einschätzung bekräftigt.
15Der Bevollmächtigte des Klägers ist der Ansicht, der Sachverständige habe überzeugend herausgestellt, dass die IQ – Werte zwar teilweise leicht über dem nach Teil B Ziffer 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze angegebenen Grenzwert von 60 gelegen hätten, für die Einschätzung der Orientierungsfähigkeit die ausgeprägten Entwicklungsstörungen des Sprechens, des Sprachverständnisses und der Motorik sowie die Unfähigkeit, auch nur annähernd seinem Alter entsprechend zu lesen, zu rechnen und zu schreiben von größerer Bedeutung seien. Zwar beachte der Kläger bei Überquerung von Straßen Regeln, dies jedoch extrem oberflächlich. Das Busfahren gelinge keineswegs durchgehend unselbstständig. Die Eltern des Klägers finanzierten eine Fachkraft, die einmal in der Woche mit dem Kläger das Busfahren übe. Dadurch gelinge lediglich das Erreichen des Fahrdienstes zur Schule, für das der Kläger nur die Straße der elterlichen Wohnung hinablaufen müsse. Auf dem Rückweg wende der Bus bevor er den Kläger absätze, damit dieser die Straße nicht überqueren müsse. Keinesfalls könne der Kläger unbekannte Strecken alleine bewältigen.
16Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Bescheid vom 13.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 aufzuheben.
17Die Vertreterin des Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
18Sie bezieht sich auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen, wonach der IQ Wert ganz allgemein betrachtet einen recht objektiven Faktor darstelle, so dass vorliegend der Bewertungsrahmen eines GdB von 80-90 nicht in Betracht komme. Soweit kurze Strecken bzw. Fahrten innerhalb des Wohn – und Arbeitsbereiches möglich seien, wie im vorliegenden Falle zur Schule, bestehe ein Anspruch auf das Merkzeichen B auch dann nicht, wenn plötzliche Änderungen einen Hilfe – bzw. Begleitungsbedarf verursachten. Hinzuweisen sei diesbezüglich auf ein Urteil des Landessozialgerichtes Baden- Württemberg vom 22.02.2018 (L 6 SB 4079/16).
19Zuletzt betont sie, dass im Falle einer Erstbescheidung die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B nicht festzustellen wären.
20Das Gericht hat die Beklagte abschließend aufgefordert aufzuzeigen, aus welchen Unterlagen sich ergeben solle, dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.12.2012 vorgelegen haben. Versorgungsärztlich ist daraufhin mitgeteilt worden, dass den vorangegangenen Stellungnahmen aktuell nichts Bedeutendes hinzuzufügen sei.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach – Streitverhältnisses, insbesondere das Ergebnis der Beweisaufnahme, wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
24A. I. Da die Beklagte bereits mit Bescheid vom 09.11.2012 eine Feststellung zum Grad der Behinderung des Klägers getroffen und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B festgestellt hat , richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung des GdB bzw. die Aufhebung der Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen nach § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
25Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – wie ihn sowohl die Feststellung des Grades der Behinderung als auch die Feststellungen des Vorliegens der Voraussetzungen für Merkzeichen darstellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 – 9 RVs 5/96 –, SozR 3-1300 § 48 Nr 60, Rn. 11; anders die Ablehnung der Feststellung oder der Feststellung einer Änderung: BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 22, Rn. 10 m.w.N.; in Bezug auf die Änderung eines Herabsetzungsbescheides: BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RVs 15/96 –, BSGE 81, 50-54, SozR 3-3870 § 3 Nr 7) - für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt (vgl. Teil A Nr. 7 lit. a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 niedergelegt sind). Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen noch keine wesentliche Änderung dar (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 SB 6/12 R –, SozR 4-1300 § 48 Nr 26, Rn. 30; BSG, Urteil vom 19. September 2000 – B 9 SB 3/00 R –, BSGE 87, 126-131, SozR 3-1300 § 45 Nr 43, SozR 3-1300 § 48 Nr 74, SozR 3-3870 § 4 Nr 27; vgl. auch BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 – B 2 U 11/15 R –, BSGE 122, 232-239, SozR 4-2700 § 56 Nr 4, Rn. 10; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 1998 – L 10 SB 20/98 –, Rn. 59, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05. Januar 2011 – L 6 (7) SB 135/06 –, Rn. 20, juris; SG B-Stadt, Urteil vom 19. September 2017 – S 12 SB 642/16 –, Rn. 12, juris; zu einer rechtlichen Änderung: BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994 – 9 RVs 1/93 –, BSGE 75, 176-180, SozR 3-3870 § 3 Nr 5, SozR 3-1300 § 44 Nr 12, SozR 3-1300 § 48 Nr 34, Rn. 12). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheides noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (BSG SozR 3870 § 4 Nr 3; BSGE 65, 301 = SozR 1300 § 48 Nr 60; BSG SozR 3 - 3870 § 4 Nr 10 S 42; Steinwedel, in: KassKomm, SGB X, Stand 6/2018, § 48, Rn. 14, 19, Rn. 18 zu rechtlichen Änderungen).
26II. Beweisbelastet für das Vorliegen und das Ausmaß einer wesentlichen Änderung im dargelegten Sinne ist nach den allgemeinen Beweislastregeln, nach denen derjenige rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen hat, der sie als für ihn günstig behauptet, im vorliegenden Fall der Anfechtung einer Herabsetzung des festgestellten GdB bzw. einer Aufhebung der Feststellung gesundheitlicher Voraussetzungen für Merkzeichen die Beklagte (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. Juli 2015 – L 10 SB 122/15 B –, Rn. 5, juris). Es gilt der Beweismaßstab des Vollbeweises (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. August 2012 – L 13 SB 39/12 –, Rn. 23 f., 35 juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht erforderlich, dass die maßgeblichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch notwendig ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. März 2012 – L 15 SB 66/11 –, Rn. 40, juris; unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 05. Mai 1993 - 9/9a RV 1/9 -, juris; so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2013 - L 13 SB 3/13 -, juris).
27Diesen Beweismaßstab beachtend vermag die Kammer sich – trotz der mehrfachen versorgungsärztlichen Bemühungen – nicht davon zu überzeugen, dass bei dem Kläger seit Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 wesentliche Änderungen im dargelegten Sinne eingetreten sind. Vielmehr erscheint im vorliegenden Fall sowohl zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 als auch zum für die Beurteilung der Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides (BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RVs 15/96 –, BSGE 81, 50-54, SozR 3-3870 § 3 Nr 7, Rn. 11; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2003 – L 10 SB 97/02 –, Rn. 29, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 1998 – L 10 SB 20/98 –, Rn. 59, juris) vom 15.03.2017 die Feststellung eines GdB von 70 in gleicher Weise zutreffend. Letztlich lässt sich dem entsprechend in der vorliegenden Konstellation eines diesbezüglichen "Grenzfalles" zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die zunächst zuerkannten Merkzeichen ebenso wenig nachweisen, wie zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017.
28B. In Bezug auf den Grad der Behinderung lässt sich keine wesentliche Änderung in der Zeit zwischen dem Bescheiderlass im November 2012 und dem Erlass des Widerspruchsbescheides im März 2017 validieren.
29I. Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB war zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides wie zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses im November 2012 § 69 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in der bis zum 01.01.2018 gültigen Fassung (seither § 152 SGB IX in der Fassung vom 23.12.2016 (Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG; BGBl I 2016, 1824)). Nach Abs. 1 Satz 1 der genannten Bestimmung stellten die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a. F. bestimmten Begriff der Behinderung an.
30Danach waren Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abwich und daher ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt war (Durch die zum 01.01.2018 in Kraft getretene, sich an Art. 1 der UN – Behindertenkonvention anlehnende neue Formulierung eines erweiterten Behinderungsbegriff in § 2 Abs. 1 SGB IX n. F. nach dem biopsychosozialen Modell der Behinderung, sind inhaltlich im Vergleich zur vorangegangenen Definition der Behinderung keine Änderungen erfolgt - vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9522, S. 226: "Rechtsklarheit"; zu § 2 Abs. 1 a. F.: Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 –, Rn. 41 ff., juris m.w.Nachw.; Schaumberg/Seidel, SGb 2017, S. 572 ff. und 618 ff.).
31Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a. F. (152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX n F.) waren die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, wurde nach § 69 Abs. 3 SGB IX a. F. (152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX n. F.) der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
32Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 gültigen Fassung galten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - nach dem sich die Beurteilung des Schweregrades, dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS), nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen richtet - und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Auf Grundlage der Vorgängervorschrift des § 30 Abs. 16, dem Abs. 17 des § 30 BVG in der bis zum 30.06.2011 gültigen Fassung, wurde mit Wirkung zum 01.09.2009 die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und des § 35 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 08.12.2008 erlassen, die die bis zu diesem Zeitpunkt für die Bewertung des Grads der Behinderung maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2008 (AHP 2008), ablösten. Den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen AHP kam zwar keine Rechtsnormqualität zu, es handelte sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber um antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Wirkung (BSG, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R -, juris; Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 9; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205). Da insbesondere die maßgebliche Anlage 2 zu § 2 VersMedV, die die so genannten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) beinhaltet, im Wesentlichen den AHP entspricht (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.), waren mit dem Wechsel keine erheblichen inhaltlichen Änderungen verbunden (BSG, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R -, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2009 - L 11 SB 352/08 -, juris). Im Unterschied zu den AHP handelt es sich bei der VersMedV aber um eine Rechtsverordnung, d.h. eine für Verwaltungen und Gerichte verbindliche untergesetzliche Rechtsnorm, die im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX a. F. (seit 01.01.2018: 152 SGB IX) auszulegen war (vgl. BSG, Urteil vom 30.September 2009 - B 9 SB 4/08 R, juris; BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 SB 3/08 R –, Rn. 29, juris; Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 -, Rn. 39 ff., juris).
33Zum 15.01.2016 hat der Gesetzgeber in § 70 Abs. 2 SGB IX das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Diese Ermächtigung findet sich seit dem 01.01.2018 in § 153 Abs. 2 SGB IX (näher: Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 153 SGB IX, Rn. 5). Solange noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 01.01.2018 gültigen Fassung bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX n. F. erlassen ist, galten und gelten indes gemäß 159 Abs. 7 SGB IX a.F. (§ 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) weiterhin die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend (vgl. hierzu BT-Drucksache 18/3190, S. 5; vgl. hierzu weiter: Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 -, Rn. 26, juris).
34Der hier streitigen Bemessung des GdB war damit sowohl zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 als auch zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 damit die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil B) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Ziffer 2 e) S. 2 (Teil A) genannten Funktionssysteme zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Ziffer 1 a), wobei der Grad der Behinderung nach Teil A Z. 2 e) S. 1 Hbs. 1 VMG seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann.
35II. Bei dem Kläger liegt (ausschließlich) eine Funktionsstörung des Gehirns einschließlich der Psyche vor. Mit den Feststellungen des Sachverständigen Kinder – und Jugendpsychiaters/Psychotherapeuten Dr. D. wird die Behinderung des Klägers durch eine leichte Intelligenzminderung mit Verhaltensauffälligkeiten und ausgeprägten Entwicklungsstörungen geprägt. Eine darüber hinaus diagnostizierte phobische Störung des Kindesalters (Hunde, Insekten, laute Geräusche) und eine vorübergehende motorische Ticstörung haben keine zusätzliche Relevanz.
36Ein Rückgang des GdB von 70 auf 60 ist nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze nicht nachweisbar.
371. Ohnehin ist der Nachweis eines solchen Rückganges des GdB (wie auch der Zuwachs) um 10 – gerade bei Funktionsstörungen des Gehirns einschließlich der Psyche, die sich einer exakten Messbarkeit entziehen, wie sie beispielsweise im Funktionsbereich der Ohren in den meisten Fällen möglich ist – kompliziert und setzt eine exakte Sachverhaltsaufklärung zu beiden Vergleichszeitpunkten voraus (;diese fehlt vorliegend indes für den Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012). Die Schwierigkeiten bestehen bei dem schon nach dem Eingeständnis der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nur annäherungsweise zu bestimmenden GdB (Teil A Z. 2 e) VMG) in besonderem Maße, wenn – wie vorliegend – die behauptete Verbesserung innerhalb desselben Bewertungsrahmens liegen soll (s. dazu 2.), also nicht einmal auf das Verlassen des vormals angewendeten Grundtatbestandes verwiesen werden kann und die einschlägigen Vorgaben der VMG überdies vage (so zu Teil B Z. 3.2.4: Nieder/Losch, Thomann, Kommentar zur VersMedV, 2012, S. 79) bleiben. Da sich das Vorliegen und der Grad der Behinderung nach einem Vergleich zum lebensalterstypischen Zustand richtet (vgl. Urteil der Kammer vom 12. Januar 2016 – S 18 SB 6/15 –, Rn. 26, juris), und bei Kindern und Jugendlichen eine Entwicklung der Fähigkeiten auch im Falle einer geistigen Behinderung dynamischer verläuft als bei Erwachsenen, tritt eine Dimension hinzu, die eine Validierung einer wesentlichen Änderung nochmals erschwert (vgl. zu einer ähnlichen Problematik bei der Bestimmung der früheren Pflegestufe: BSG, Urteil vom 07. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R –, BSGE 95, 57-66, SozR 4-1300 § 48 Nr 6, Rn. 25).
38Allerdings sprechen die vorliegenden Befunde und die sozialmedizinische Bewertung des Sachverständigen im vorliegenden Fall ungeachtet der spärlichen Feststellungen zum Bescheid aus dem November 2012 dafür, dass (auch) zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides bei dem Kläger ein GdB von 70 bestanden hat. Dass mit der Auffassung des Sachverständigen sogar ein GdB von 80 zutreffend wäre, lässt es sich nach Auffassung der Kammer demgegenüber nicht feststellen.
392. Sowohl im Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 als zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 15.03.2017 richtete sich die Bewertung nach Teil B Z. 3.4.2 VMG. Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit im Schul – und Jugendalter bei einem Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenzalter von 10-12 Jahren bei Erwachsenen (Intelligenzquotient von etwa 70-60) sind mit einem GdB von 30-40 zu bewerten, wenn während des Schulbesuches nur geringe Störungen, insbesondere der Auffassung, der Merkfähigkeit, der psychischen Belastbarkeit, der sozialen Einordnung, des Sprechens, der Sprache oder anderer kognitiver Teilleistungen vorliegen, mit einem GdB von 50-70, wenn während des Schulbesuches die genannten Störungen stark ausgeprägt sind oder mit einem Schulversagen zu rechnen ist. Bei einem Intelligenzmangel mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb, einem Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenzalter von unter zehn Jahren bei einem Erwachsenen (Intelligenzquotient unter 60) beträgt der GdB bei relativ günstiger Persönlichkeitsentwicklung und sozialer Anpassungsmöglichkeit (Teilerfolg in einer Sonderschule, selbständige Lebensführung in einigen Teilbereichen und Einordnung im allgemeinen Erwerbsleben mit einfachen motorischen Fertigkeiten noch möglich) 80-90.
40Bei Erlass des Widerspruchsbescheides und weiterhin beträgt der Grad der Behinderung des Klägers 70. Denn die bei dem Kläger vorliegende Funktionsbeeinträchtigung weist in Richtung eines Intelligenzmangels mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb, Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenzalter von unter zehn Jahren bei Erwachsenen.
41Den Versorgungsärzten der Beklagten ist zuzugeben, dass gegen die Annahme einer vollständigen Ausprägung der Funktionsbeeinträchtigung i. S. dieser Kategorie maßgeblich der beim Kläger festgestellte Intelligenzquotient spricht.
42Seit 2009 sind vier Bestimmungen erfolgt. Im September 2009 wurde im Sozialpädiatrischen Zentrum der Klinik für Kinder – und Jugendmediziner des Krankenhauses T. im K-ABC Test ein SIF-IQ von 63 festgestellt (Arztbrief vom 09.09.2009). Im Juli 2016 ergab sich im HWIK-IV Test ein IQ von insgesamt 62 (Arztbrief vom 21.07.2016). Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Untersuchung durch einen K-ABC II Test im Dezember 2017 einen gewichteten IQ von insgesamt 62 ermittelt. Einigkeit besteht dahingehend, dass es sich bei einem Testergebnis aus dem November 2012 angesichts der Konstanz in den übrigen Ergebnissen um einen nicht aussagekräftigen und daher unbeachtlichen "Ausreißer" gehandelt hat, soweit dort der ermittelte IQ nur 55 betrug.
43Teil B Ziffer 3.4.2 VMG stellt für die Unterscheidung zwischen einem GdB bis zu 70 und einem GdB ab 80 die Ausprägung eines Intelligenzmangels ins Zentrum. Die Unterscheidung wird durch die Bezeichnung konkreter Intelligenzquotienten ("von etwa 70-60" bzw. unter 60") vereinfacht. Soweit in den im Rahmen der Überarbeitung der AHP geführten Sachverständigengespräche für die Beurteilung der Auswirkungen der Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit ein Bezug auf den IQ nicht als wesentlich, sogar als diskriminierend angesehen worden ist, dieser deshalb allenfalls hilfsweise heranzuziehen sei, hat dies in Teil B Z. 3.4.2 VMG keinen Niederschlag gefunden (vgl. Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 8. Aufl. 2017, zu Teil B Z. 3.4.2). Ohne der Feststellung des IQ eine herausgehobene Bedeutung beizumessen, wie Z. 3.4.2 dies nach seinem klaren Wortlaut vorsieht, wäre eine Beurteilung der Einschränkungen geistiger Leistungsfähigkeit auch kaum mehr justiziabel. Zwar kann einerseits von Tabellenwerten des Teils B VMG je nach Einzelfall mit einer die besonderen Gegebenheiten darstellenden Begründung abgewichen werden (Teil A Z. 2 d) S. 2 VMG. Der Sachverständige begründet die Bewertung des GdB mit 80 jedoch nicht mit einer solchen besonderen Gegebenheit, sondern weist darauf hin, dass alle relevanten IQ-Feststellungen im testpsychologisch – statistischen Grenzbereich im Sinne eines so genannten Konfidenzintervalls lägen. Allerdings muss er damit zugleich einräumen, dass mit derselben (95-prozentigen) Wahrscheinlichkeit einer leicht zu hohen Einschätzung des IQ auch eine etwas zu geringe Beurteilung erfolgt sein könne. Zutreffend weist die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 23.05.2018 darauf hin, dass angesichts der Mehrzahl der vorliegenden Testergebnisse – von denen über einen Zeitraum von sieben Jahren 3 von 4 Testergebnisse nahezu ein identisches Gesamtergebnis ergeben haben – der festgestellte IQ von 62 gesteigert validiert erscheint.
44Ein niedriger GdB als 70 lässt sich jedoch nicht nachweisen. Die Darlegungen des Sachverständigen objektivieren vielmehr das Gegenteil. Dafür, dass aus dem mindestens einschlägigen Bewertungsrahmen von 50-70 nicht der Mittel- sondern der Höchstwert zutreffend ist, weil die bei dem Kläger vorliegende Funktionsstörung eine deutlich größere Nähe zu einem Intelligenzmangel mit stark einengenden Bildungsfähigkeit und erheblichen Mängeln im Spracherwerb (80-90) aufweist als zu einer Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit mit nur geringen Störungen während des Schulbesuches (30-40), spricht zunächst die Nähe des festgestellten Gesamt IQ zum Grenzwert von 60. Weiterhin weist der Sachverständige auf die Bedeutung der ausgeprägten Entwicklungsstörungen des Sprechens, des Sprachverständnisses und der Motorik und die Unfähigkeit des Klägers, auch nur annähernd seinem Alter entsprechend zu lesen, zu rechnen und zu schreiben sowie eine ausgeprägte Orientierungsstörung hin. Die Bedeutung der Sprache und anderer kognitiver Teilleistungen für die Beurteilung des GdB kommt in Z. 3.4.2 zum Ausdruck. Anders als die Versorgungsärzte kann der Sachverständige seine Beurteilung auch auf einen persönlichen, klinischen Eindruck stützen, der der Kammer – gerade abseits subsummierbarer Daten und Messwerte – von besonderer Bedeutung erscheint.
45In Bezug auf die globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus, der sechsten Achse des Multiaxialen Klassifikationsschemas nach ICD-10 (MAS), kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis einer Funktionsunfähigkeit in den meisten Bereichen. Der Kläger benötige ständige Betreuung, sei in den meisten Bereichen nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Sowohl im Rahmen der gutachterlichen Untersuchungen als auch nach den Angaben der Mutter des Klägers und der Schule lägen Entwicklungsstörungen sowohl im motorischen und im Bereich des Sprechens und des Sprachverständnisses vor, als auch bezüglich relevanter Kulturfertigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen). Verhaltensdefizite lägen im Sinne der Aufmerksamkeits–, Konzentrationsprobleme, der Schüchternheit und einer partiellen Überängstlichkeit vor. Die Möglichkeiten des Klägers, angemessen auf seine Umwelt zu reagieren, erschienen deutlich defizitär. Aus der Kombination resultiere letztlich eine deutlich belastendere Symptomatik, als dies durch die Intelligenzminderung allein zu erwarten wäre. Der Sachverständige kommt zu dem als eindeutig bezeichneten Schluss, dass bei dem Kläger ein Intelligenzmangel mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit und erheblichen Mängeln im Spracherwerb vorliege. Der Kläger setzte sich in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit nicht deutlich von Menschen ab, deren IQ den Bewertungsrahmen eines GdB von 80-90 eröffne. Im Rahmen der Befunderhebung hat der Sachverständige ausgeprägte fein- und grobmotorische Körperkoordinationsstörungen bei sonst unauffäligem neurologischen Befund sowie deutlich beeinträchtigte kognitive Fertigkeiten mit erheblich eingeschränkter rezeptiver und expressiver Sprache beschrieben. Komplexere Anweisungen würden nicht verstanden. Im Rahmen der testpsychologischen Untersuchung des durch den Sachverständigen hinzugezogenen Diplom – Psychologen wird eine durchgängig sehr undeutlich, verwaschene und nuschelnde Sprache festgehalten. Der Kläger benutze meist kurze Sätze, wobei über die gesamte Diagnostik hinweg ein ausgeprägter Dysgrammatismus sowie eine eingeschränkte Sprachproduktion und ein eingeschränktes Sprachverständnis aufgefallen seien. Es habe sich trotz untadeliger Motivation ein defizitäres Instruktionsverständnis gezeigt. Im Mensch-Zeichen-Test nach Ziler (Ziler/Brosat/Tötemeyer 2007) hat der Kläger in der gutachterlichen Untersuchung ein Zeichenalter von sieben Jahren erreicht, wobei er zum Zeitpunkt der Untersuchung knapp 14,5 Jahre alt war. Damit schnitt er relativ schlechter ab als bei einem entsprechenden Test im November 2012, als er – damals neunjährig – ein Zeichenalter von sechs Jahren erreichte (vergleiche Arztbrief des SPZ der Klinik für Kinder – Jugendmedizin des Bethlehem Gesundheitszentrums Stollberg vom 26.11.2012).
46Der Kinderarzt Dr. N. berichtet im Befundbericht vom 24.09.2017 von Sprachentwicklungsstörungen, Störungen der Fein– und Grobmotorik und einer Konzentrationsschwäche. Zusammenfassend läge bei dem Kläger eine leichte bis tendenziell mittelgradige geistige Behinderung mit zusätzlichen Teilsymptomen einer autistischen Störung vor. Der Kläger werde voraussichtlich auf Lebenszeit auf Hilfe Dritter angewiesen sein.
47Die seitens des Sachverständigen aufgezeigte Ausprägung der beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen kann sich ferner auf die Dokumentationen des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder – und Jugendmedizin des Krankenhauses T. stützen. Im Arztbrief vom einen 20.07.2016 wurde eine Einschränkung der sozialen Teilhabe und die Erforderlichkeit spezifischer Maßnahmen und Rahmenbedingungen erkannt. Es wurde über eine Sprachdiagnostik berichtet, in der der Kläger unterdurchschnittlich bis weit unterdurchschnittliche Leistungen erzielt habe, wobei die - im Sachverständigengutachten als deutlich defizitär beschriebenen - sprachlichen Fertigkeiten im Vergleich zur kognitiven Begabung sogar noch als individuelle Stärke bezeichnet werden, die deshalb in Bezug auf die Bereiche Artikulation und Förderung der Erzählfähigkeit (basale logische Zusammenhänge erfassen und beschreiben) förderungswürdig im Sinne noch sinnvoller Therapieziele seien. Altersadäquate Leistungen werde der Kläger aufgrund seiner kognitiven Begabung indes nicht erwerben können. Zwar wird – worauf die versorgungsärztliche Stellungnahme im Verwaltungsverfahren vom 19.09.2016 abhebt – von einer – verglichen mit den Ergebnissen aus einer Untersuchung aus dem November 2012 – entsprechend des Alterszuwachses und leicht darüber hinaus gehenden Verbesserung gesprochen. Jedoch ist zu vergegenwärtigen, dass gerade in der Untersuchung aus dem November 2012 der Gesamt-IQ von 55 ermittelt worden war (Arztbrief vom 26.11.2012), der sich in Anbetracht der im Übrigen homogenen Testergebnisse retrospektiv als "Ausreißer" darstellt, für sich genommen wohlmöglich zu einer höheren Feststellung des GdB geführt hätte, sofern er bei Erlass des wenige Tage zuvor erlassenen Bescheides vom 09.11.2012 bereits bekannt gewesen wäre. In keiner Weise stehen die Feststellungen im Arztbrief vom 21.07.2016 daher der Beurteilung des GdB mit jedenfalls 70 entgegen. Entsprechend ist die Mitteilung im Arztbrief vom 26.06.2017 einzuordnen, in der von einer guten Entwicklung im Rahmen des Erwartungshorizontes gesprochen wird. Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger bei erstmaliger Untersuchung im Jahr 2009 im Zusammenhang mit der Einschulung einem Intelligenztest und einer psychologischen Diagnostik unterzogen worden sei, wobei die dort gezeigten Leistungen, genau wie bei der letzten Untersuchung im Jahr 2016, im Bereich der leichten Intelligenzminderung gelegen habe. Der Kläger habe, wie erwartet, seine Entwicklungsdefizite nicht aufholen können. Es liege absehbar und bleibend eine geistige Behinderung vor aufgrund derer der Kläger auch im Erwachsenenalter Unterstützung in allen Lebensbereichen benötigen werde (vergleiche auch Befundbericht der Ärztin für Kinder – und Jugendmedizin Krauspe-Stübecke aus dem SPZ vom 26.06.2017).
48C. In Bezug auf die aufgehobenen Feststellungen für die Nachteilsausgleiche G und B lässt sich – bei hiernach unveränderter Bewertung des GdB – weder in Bezug auf den Zeitpunkt der positiven Feststellung mit Bescheid vom 09.11.2012 noch auf den Zeitpunkt der Aufhebung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 zur Überzeugung der Kammer nachweisen, dass die Voraussetzungen vorgelegen haben. Vielmehr stellen sich aus Sicht der Kammer – insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. D. - unveränderte Verhältnisse dar. Der Nachweis einer wesentlichen Änderung gelingt (auch) insofern nicht.
49I. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen richtet(e) sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (SGB IX). Auf Antrag des Menschen mit Behinderung treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX in der bis zum 01.01.2018 gültigen Fassung, seither § 152 Abs. 4 SGB) und stellen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 S. 1 SGB IX a. F., § 152 Abs. 5 S. 1 SGB IX n. F.).
50Zu diesen Merkmalen gehören die "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr", das Merkzeichen "G" und die "Berechtigung für eine ständige Begleitung", das Merkzeichen "B".
51Gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX a. F. (seit 01.01.2018: § 228 Abs. 1 S. 1 SGB IX) haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach 69 Abs. 5 SGB IX a. F. (§ 152 Abs. 5 SGB IX n. F.) Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr i. S. des 147 Abs. 1 SGB IX a. F. (§ 230 Abs. 1 SGB IX n. F.). Nach § 146 Abs. 1 S 1 SGB IX a. F. (§ 229 Abs. 1 S. 1 SGB IX n. F.) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (Nachteilsausgleich G).
52Gemäß 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. (§ 229 Abs. 2 S. 1 SGB IX n. F.) sind zur Mitnahme einer Begleitperson Menschen mit Schwerbehinderung berechtigt, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind (Nachteilsausgleich B).
53Untergesetzlich (Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 –, Rn. 26, juris; a. A.: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2015 – L 6 SB 1430/15 –, Rn. 24, juris) sind die Voraussetzungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B in der mit Wirkung zum 01.09.2009 erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und des § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG) (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 08.12.2008, in Teil D Ziffer 2 deren Anlage zu § 2 VersMedV, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), konkretisiert, die auf Grundlage der Vorgängervorschrift des § 30 Abs. 16, dem Abs. 17 des § 30 BVG in der bis zum 30.06.2011 gültigen Fassung geschaffen wurde. Die VMG wurden, soweit deren Wirksamkeit verschiedentlich in Frage gestellt wurde, jedenfalls wie antizipierte Sachverständigengutachten herangezogen (vgl. SG B-Stadt, Urteil vom 19. August 2014 – S 12 SB 1088/12 –, Rn. 48 f., juris m.w.Nachw.), bevor der Gesetzgeber zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 01.01.2018 gültigen Fassung (seither: § 153 Abs. 2 SGB IX) das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt hat, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (näher: Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 153 SGB IX, Rn. 4, 5), und angeordnet hat, dass, solange noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX a. F. (§ 153 Abs. 2 SGB IX n. F.) erlassen ist, gemäß 159 Abs. 7 SGB IX a.F. (§ 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) weiterhin die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend gelten (vgl. hierzu BT-Drucksache 18/3190, S. 5; vgl. hierzu weiter, Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 -, Rn. 26, juris). Im Ergebnis decken sich insofern letztlich die Anforderungen zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 sich mit denjenigen, die nach der Rechtslage bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 galten (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2013 - L 6 SB 5788/11 -, Rn. 23, juris).
54Nach Teil D Z. 1 b) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa 2 km, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Nach lit c) ist auch bei Säuglingen und Kleinkindern die gutachterliche Beurteilung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie etwa Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen. Lit. d) – f) enthalten Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen sind, während dort nicht erwähnte Behinderungen keineswegs ausgeschlossen sind, wobei die Regelfälle den maßgeblichen Vergleichsmaßstab bilden. Wird eine Gesundheitsstörung von den Regelbeispielen erfasst, sind die normierten Voraussetzungen notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Merkzeichens (vgl. Zum Ganzen: BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 21, Rn. 20 ff. m.w.N.)
55Die Voraussetzungen für die bei dem Kläger vorliegende leichte Intelligenzminderung (vgl. ICD-10 F70), die den geistigen Behinderungen i. S. d. VMG zuzuordnen ist, wird in lit f) S. 3-5 normiert. Bei geistig behinderten Menschen sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 21, Rn. 17 wonach Orientierungsstörungen grundsätzlich erst ab einem GdB von 70 Merkzeichenrelevanz erhalten).
56Das Merkzeichen B ist in zweierlei Hinsicht mit den Voraussetzungen für das Merkzeichen G "verzahnt". Nach Teil D Ziffer 2 b) VMG besteht eine Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen, bei denen z. B. die Voraussetzungen für das Merkzeichen G (vgl. Vogl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 229 SGB IX, Rn. 27 m.w.Nachw.), vorliegen, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob ( ) Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei geistiger Behinderung) erforderlich sind. Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist nach lit c) anzunehmen u. a. bei geistig behinderten Menschen, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist, mit anderen Worten die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nach Teil D Ziff. 1 f) S. 3-5 VMG vorliegen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist das Merkzeichen B in aller Regel (vgl. zur Möglichkeit einer Ausnahme: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4079/16 –, Rn. 23, juris) zu vergeben. Ziff. 2 a) S. 2, 3 VMG stellt klar, dass entsprechend Teil D Ziff. 1 c) VMG auch bei Säuglingen und Kleinkindern dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend sind, wobei diese Regelung für übrige Kinder und Jugendliche in gleicher Weise gilt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 2014 – L 3 SB 195/13 –, Rn. 26, juris; Vogl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 229 SGB IX, Rn. 30). Insofern ist danach zu fragen, ob die vorliegenden Gesundheitsstörungen bei einem Erwachsenen zur Notwendigkeit einer ständigen Begleitung führen würden (Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O., Rn. 25).
57Letztlich geht die Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich in B in der vorliegenden Konstellation daher im Ergebnis mit der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G einher.
58II. Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 09.11.2012 die Feststellung der Merkzeichen i.V.m. der Feststellung eines GdB von 70 getroffen hat, liegt nach der dargelegten Auffassung der Kammer (vgl. oben: B.) die Beurteilung einer entsprechende Konstellation zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 15.03.2017 vor. Gemäß Teil D Ziff. 1 f) S. 5 VMG kam eine Beeinträchtigung der Orientierungsfähigkeit zu beiden Beurteilungszeitpunkten entsprechend nur "in einem besonders gelagerten Einzelfall in Betracht". (Hielte man die Auffassung des Sachverständigen für zutreffend läge hingegen die Voraussetzungen für die beiden Nachteilsausgleiche nahe, ohne dass jedoch eine weitere Prüfung unterbleiben könnte, da die Voraussetzung bei einem GdB von 80 allein "in den meisten Fällen" zu bejahen ist (Teil D Ziff. 1 f) S. 4) VMG).
59Ein besonders gelagerter Einzelfall setzt nach der Zweckrichtung des Ausgleiches von Orientierungsstörungen durch Vergabe der Merkzeichen G bzw. B erkennbar eine – für das Maß der geistigen Behinderung – spezifische Schwäche im Bereich der Orientierungsfähigkeit voraus, die in Bezug auf diese Fertigkeit einer geistigen Behinderung mit einem GdB von mindestens 80 entsprechen und letztlich zu einer Erfüllung der "allgemein" umschriebenen Voraussetzungen der Orientierungsfähigkeit in Teil D Ziff. 1 f) S. 3 VMG ("im Straßenverkehr auf Wegen, die nicht täglich benutzt werden, nur schwer zurechtfinden") bzw. Teil D Ziff. 2 b) VMG ("regelmäßig fremde Hilfe zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich") führen müsste.
60Dies kann vorliegend letztlich weder für den Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 noch für den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 abschließend objektiviert werden. Insoweit ist der Vertreterin der Beklagten zuzugeben, dass in der Konstellation einer erstmaligen Beantragung die Feststellung der Merkzeichen abzulehnen wäre. Jedoch verkennt sie insoweit die verfahrensrechtliche Situation. Der erforderliche Nachweis einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gelingt nicht (vgl. die Konstellation: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. August 2012 – L 13 SB 39/12 –, Rn. 31, juris). Weder lassen die Ermittlungen der Beklagten zum Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 und die gutachterlichen Stellungnahmen der Versorgungsärzte der Beklagten den Schluss auf einen "besonders gelagerten Einzelfall" i. S. e. spezifischen Schwäche im Bereich der Orientierungsfähigkeit zu, die den Schluss auf das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B (Teil D Z. 1 c), f) S. 3), Z. 2 a), b) VMG, vgl. oben) rechtfertigte, noch lassen sich entsprechende Voraussetzungen nachträglich belegen.
61Grundlage für den Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 war die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 27.10.2012. Soweit hier zur Begründung schlagwortartig auf eine deutliche Sprachentwicklungsstörung bei Intelligenzminderung und mangelnder Konzentration hingewiesen wurde, lässt dies ersichtlich keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen eines besonders gelagerten Einzelfalles im dargelegten Sinne zu. Sofern weiter angeführt wurde, die Merkzeichen G und B seien "zur Zeit zu vertreten," weist dies einerseits bereits auf eine Schwierigkeit der Validierung hin. Diese wird im Falle der Beurteilung eines (seinerzeit neunjährigen) Kindes dadurch erschwert, dass die spezifischen Auswirkungen der Intelligenzminderung auf das Erwachsenenalter insofern "hochzurechnen" sind, als – wie dargelegt - danach zu fragen ist, ob die vorliegenden Gesundheitsstörungen bei einem Erwachsenen zur Notwendigkeit einer ständigen Begleitung führen würden. Die Betrachtung des Ist-Zustandes der Orientierungsfähigkeit führt bei einem Kind, anders als bei einem Erwachsenen, hingegen nicht weiter.
62In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.09.2016 ist festgehalten worden, eine schwere Orientierungsstörung liege nicht vor. Die Sprachentwicklungsstörung habe sich gebessert, die Voraussetzungen für die Vergabe der Merkzeichen G und B lägen nicht mehr vor.
63Dem ist zunächst generell entgegenzuhalten, dass eine Verbesserung der Orientierungsfähigkeit bei einem Kind/Jugendlichen für sich gesehen noch keine wesentliche Änderung in Bezug auf die Merkzeichen G und B begründet. Denn wiederrum ist darauf hinzuweisen, dass bei gleichbleibender Gesundheits– bzw. Funktionsstörung und orientierungsbezogen konstantem Stärken- bzw. Schwächeprofil im Rahmen einer gleichbleibenden Intelligenzminderung, eine Verbesserung der absoluten Orientierungsfähigkeit keine wesentliche Änderung darstellt. Denn eine in Relation zur Intelligenzminderung - und mit dieser einhergehender Orientierungsschwäche - altersentsprechende Entwicklung ist unwesentlich, soweit Auswirkungen einer Gesundheitsstörung bei einem Erwachsenen der Maßstab sind. Der relationslose Befund einer Verbesserung der Sprachentwicklungsstörungen ist schon insoweit kein Beleg für eine wesentliche Änderung. Überdies kann die Entwicklung der Sprache nicht mit der Orientierungsfähigkeit im Ganzen gleichgesetzt werden. Die Sprachfähigkeit ist als Teil der Kommunikationsfähigkeit, die beispielsweise auch das – bei dem Kläger nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten – defizitäre sinnerfassende Sprachverstehen, die Kommunikationsoffenheit ect. umschließt - wiederum nur ein Teilaspekt der Orientierungsfähigkeit.
64Weiter weist die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 19.09.2016 darauf hin, dass sich der Kläger nach den Angaben der Mutter Wege gut merken könne. Diese Äußerung der Mutter des Klägers wird jedoch bereits im letzten Arztbrief des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder – Jugendmedizin des Krankenhauses T. vom 26.07.2012, also vor Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 berichtet. Als Anknüpfungspunkt einer wesentlichen Änderung ist sie daher ungeeignet.
65Die nächste versorgungsärztliche Stellungnahme vom 01.12.2016 ist in Bezug auf die Darlegung einer wesentlichen Änderung der Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche unbrauchbar. Sie erschöpft sich in der Feststellung, dass schwere Orientierungsstörungen nicht vorlägen.
66Im Gerichtsverfahren hat sich die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.10.2017 zum Streitpunkt der Nachteilsausgleiche und zur Objektivierung einer wesentlichen Änderung nicht verhalten. In der nächsten Stellungnahme vom 12.03.2018 – mit der sich gegen die sozialmedizinischen Bewertungen des Sachverständigen gewendet worden ist – wird ausgeführt, es möge noch eine nicht altersgemäße Orientierung vorliegen, diese Störung sei aber nicht mehr als schwer zu bewerten und nicht mehr vergleichbar mit der eines Jugendlichen mit einem GdB von 80-100. Der Antragsteller beachte nun Regeln bei Überquerung von Straßen und mache im Hinblick auf Gänge im öffentlichen Raum sein Streben nach Selbstständigkeit geltend. Ein besonders gelagerter Einzelfall, z.B. denkbar bei völlig fehlender Sprach– oder Lesefähigkeit oder erheblicher Verhaltensstörung, psychischer Störung (wie hier vorbewertet), liege nicht mehr vor.
67Mag dem insoweit zuzustimmen sein, dass sich ein besonders gelagerter Einzelfall (auch) aktuell bzw. zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nicht objektivieren lässt, fehlt wiederum eine nachvollziehbare Begründung, weshalb zum Zeitpunkt des Bescheides am 09.11.2012 etwas anderes gegolten haben soll. Nicht exakt erkennbar wird, ob hinsichtlich dieser Vorbewertung pauschal auf die damalige Annahme einer der angeführten Beispielsfälle für einen besonders gelagerten Einzelfall verwiesen wird, oder sich die Anmerkung "wie hier vorbewertet" konkret auf den Fall der psychischen Störung bezieht. Die inhaltlich bereits dargestellte versorgungsärztliche Stellungnahme vom 27.10.2012 entspricht in ihrer Formulierung jedenfalls keinem der angesprochenen Fälle, sondern spricht generell von einer deutlichen Sprachentwicklungsstörung. Die mangelnde Schlüssigkeit für die Annahme einer spezifischen Orientierungsstörung ist diesbezüglich bereits ebenso aufgezeigt worden, wie angesprochen worden ist, dass bei dem Kläger auch weiterhin eine deutliche Sprachentwicklungsstörung vorliegt. Zwar spricht die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 12.03.2018 an, dass der Vergleich mit einem Erwachsenen erforderlich sei. Einerseits ist jedoch die Wiedergabe des Vergleichsmaßstabes unzutreffend, als erklärt wird, eine erwachsene Person mit gleichermaßen eingeschränkter Orientierung würde die Merkzeichen G und B nicht erhalten, andererseits fehlt die notwendige Relation in Bezug auf eine Feststellung eines besonders gelagerten Einzelfalles in Bezug auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses vom 09.11.2012 und dessen nachträglichen Entfall unter Berücksichtigung einer relativ altersgemäßen Entwicklung der Orientierungsfähigkeit. Entsprechendes gilt für die versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 23.05.2018 und 28.06.2018, als dort ausgeführt wird, ein defizitärer Status, der das Merkzeichen B rechtfertige "scheine" bei dem Kläger nicht gegeben, weshalb die vorangegangenen gutachterlichen nicht zu beanstanden seien (Stellungnahme vom 23.05.2018), denen aktuell nichts Bedeutsames hinzuzufügen sei (Stellungnahme vom 28.06.2018). Ohne Relevanz bleibt insofern, dass das in Bezug genommene Urteil des Landessozialgerichtes Baden- Württemberg vom 22.02.2018 (L 6 SB 4079/16 -, juris) zur Beurteilung des vorliegenden Falles insofern nichts beizutragen vermag, als dort die Voraussetzungen des Merkzeichens B bei einer gehörlosen Person verneint wurden, die nach eigenen Angaben nur ausnahmsweise eine Begleitperson brauchte und ihre Behinderung in Bezug auf die Orientierung in der Regel durch andere Sinne ausgleichen könne (Rn. 25, 26). Nur am Rande ist darauf hinzuweisen, dass die versorgungsärztliche Auffassung, das selbstständige Zurücklegen kurzer Strecken innerhalb des Wohn-/Arbeitsbereiches stehe mit Blick auf das angeführte Urteil des LSG Baden-Württemberg der Vergabe des Merkzeichen B generell entgegen, in dieser Pauschalität rechtlich nicht haltbar erscheint. Teil D Ziffer 1 f) S. 3 VMG lässt bei geistigen Behinderungen hinsichtlich des Merkzeichens G Orientierungsschwierigkeiten auf Wegen ausreichen, die der geistig behinderte Mensch nicht täglich benutzt. Über Teil D Ziff. 2. c) VMG erhält dieser Maßstab auch für das Merkzeichen B Bedeutung.
68Aus den Befunden, die für die Zeit vor Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 vorliegen lässt sich eine – im Verhältnis zur Intelligenzminderung – spezifische Herabsetzung der Orientierungsfähigkeit auch nicht entnehmen. Immerhin wird im letzten Arztbrief des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder – Jugendmedizin des Krankenhauses T. vom 26.07.2012 vor Erlass des Bescheides vom 09.11.2012 – wie bereits angesprochen - berichtet, dass der Kläger nach Angaben der Mutter Wege gut finden könne, wenngleich er aber alleine nicht verkehrssicher sei, da er nicht hinschaue, wo er hinlaufe. Eine entsprechende Anamnese besteht bis heute fort. So wird von der Mutter des Klägers weiterhin vorgetragen, der Kläger sei in der Lage, sich Wege in dem Sinne gut zu merken, dass er sie wiedererkenne, jedoch sei er gleichwohl nicht in der Lage, sich selbstständig zu orientieren und aktiv die zutreffende Richtung einzuschlagen, wenn ein anderer Weg zurückgelegt werden solle. Der Kläger bewege sich unachtsam und nicht sicher im Straßenverkehr. Diese Darstellung wird von der Lehrerin bestätigt. So hat sie zu den dem Sachverständigen übersandten Fragebögen ergänzt, der Kläger sei in ihm unbekannten Situationen, insbesondere bei außerschulischen Unterrichtsgängen sowie im Straßenverkehr auf Unterstützung durch eine Lehrperson angewiesen. Er sei nicht verkehrssicher, benötige Rückhalt durch eine ihm vertraute Bezugsperson. Reaktionen zeige er stark zeitverzögert, Geschwindigkeiten einzuschätzen fiele ihm schwer. Im direkten Umkreis der Schule (Unterrichtsgänge zum Supermarkt) könne er sich orientieren, darüber hinaus nicht. Er könne das richtige Verkehrsmittel ohne erwachsenen Bezugsperson nicht lokalisieren. Je nach Tagesform könne er ihm bekannte Wörter erkennen und zuordnen, dass sinnentnehmende Lesen von Sätzen falle ihm schwer, das sinnentnehmende Lesen ihm unbekannter Wörter gelinge ihm nicht. Eine altersüberproportionale Entwicklung der Orientierungsfähigkeit konnte der Sachverständige Kinder – und Jugendpsychiater auch unter Berücksichtigung dieser Ausführungen nicht erkennen, gleichwohl ihm auch zur Feststellung vom 09.11.2012 ein Bericht der Schule (vom 26.09.2012) vorgelegen hat. Entsprechendes gilt in Bezug auf einen Vergleich der Feststellungen im Gutachten zur Pflegebedürftigkeit vom 28.12.2009 und dem Gutachten vom 09.12.2014 (jeweils mit der Feststellung der Pflegestufe I), die aufgrund ihrer Zweckrichtung ohnehin kaum aussagekräftige Anknüpfungstatsachen für die Orientierungsfähigkeit bieten. Immerhin wird auch im Gutachten vom 09.12.2014 eine schnelle Reizüberflutung mitgeteilt, die der Kläger aber nicht äußern könne, ferner eine eingeschränkte Gefahreneinsicht und Verkehrssicherheit. Der versorgungsärztliche Verweis auf den um 24 Minuten gesunkenen Grundpflegebedarf mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 28.06.2018 trägt in Bezug auf einen Entfall eines besonders gelagerten Einzelfalles im dargelegten Sinn hingegen nichts bei und setzt sich in Widerspruch zur Stellungnahme vom 01.12.2016, in der das Pflegegutachten vom 09.12.2014 als "veraltet" bezeichnet wurde.
69D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Aachen Urteil, 16. Okt. 2018 - S 18 SB 317/17
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Aachen Urteil, 16. Okt. 2018 - S 18 SB 317/17
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenSozialgericht Aachen Urteil, 16. Okt. 2018 - S 18 SB 317/17 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
Tenor
-
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. März 2014 wird zurückgewiesen.
-
Kosten des Revisionsverfahrens sind ebenfalls nicht zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) gegeben sind.
- 2
-
Bei dem 1954 geborenen Kläger war zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 (Funktionsbeeinträchtigungen Parkinson'sche Krankheit und Bluthochdruck) sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "erhebliche Gehbehinderung" (G) und "Notwendigkeit ständiger Begleitung" (B) festgestellt (Bescheid vom 30.5.1997). Weitere Anträge auf Feststellung eines höheren GdB und insbesondere der Voraussetzungen des Merkzeichens aG waren erfolglos. Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 25.3.2010 stellte der Beklagte auf der Grundlage eines Pflegegutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N. vom Juni 2009 antragsgemäß einen GdB von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "Hilflosigkeit" (H) fest, lehnte aber die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen aG und "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" (RF) ab (Bescheid vom 3.5.2010; Widerspruchsbescheid vom 3.8.2010).
- 3
-
Das SG hat der allein noch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG gerichteten Klage stattgegeben und zur Begründung ua ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne sich der Kläger in den sog off-Phasen nur mit großer Anstrengung fortbewegen. Der gehörte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger an 70 vH des Tages motorisch hochgradig eingeschränkt sei. Das einschränkende Merkmal einer dauerhaften Bewegungseinschränkung sei dennoch erfüllt, weil dies nur dazu diene, vorübergehende Erkrankungen wie Frakturen und unregelmäßig auftretende Anfallsleiden wie Epilepsie von den gesundheitlichen Voraussetzungen für aG auszuschließen (Urteil vom 20.6.2012). Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG die Klage abgewiesen und zur Begründung seinerseits ua ausgeführt, die beim Kläger bestehende Parkinson-Krankheit sei in ihren funktionellen Auswirkungen auf das Gehvermögen dem ausdrücklich begünstigten Personenkreis (der Querschnittsgelähmten ua) nicht gleichzustellen. Dahingestellt sei, ob eine Vergleichbarkeit in Zuständen der nahezu vollständigen Bewegungsunfähigkeit bestehe. Jedenfalls sei auch unter der Voraussetzung der vom Sachverständigen angenommenen Einschränkungen in 70 vH der Zeit in Parallelwertung zu Anfallsleiden die Voraussetzung der Dauerhaftigkeit nicht gegeben (Urteil vom 26.3.2014).
- 4
-
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts (§ 69 Abs 4 SGB IX). Das LSG habe seine Erkrankung einem Anfallsleiden gleichgestellt, ohne deren Besonderheiten zu berücksichtigen. Die die Gehstörung bedingenden "off-Phasen" mit akuter Sturzgefahr, Selbst- und Fremdgefährdung träten so häufig auf, dass sie sich in der Summe praktisch wie eine dauernde Gehstörung auswirkten.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. März 2014 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 20. Juni 2012 zurückzuweisen.
- 6
-
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
- 7
-
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend an, die Revision wende sich vornehmlich gegen die Beweiswürdigung des LSG, welche nicht revisibel sei.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG der Berufung des Beklagten stattgegeben. Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.), jedoch unbegründet (dazu 2.).
- 9
-
1. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ( § 54 Abs 1 S 1 SGG ; zur statthaften Klageart vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 7 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19) ist zulässig. Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 3.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.8.2010, soweit der Beklagte im Rahmen eines weitergehenden Neufeststellungsverfahrens die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG abgelehnt hat.
- 10
-
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG. Rechtsgrundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG sind § 69 Abs 1 und 4 SGB IX idF des Gesetzes vom 23.4.2004 (BGBl I 606) und die hierzu ergangenen straßenverkehrsrechtlichen und versorgungsmedizinischen Vorschriften (dazu a bis e), die auch Erkrankungen aus dem neurologischen Formenkreis erfassen (dazu f), wenn wegen der Schwere des Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung eine Fortbewegung außerhalb des Kraftfahrzeugs möglich ist (dazu g). Daran fehlt es beim Kläger (dazu h). Auf eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 SGB X gegenüber der letzten Versagung des Merkzeichens aG kommt es demgegenüber nicht an. Ein Bescheid mit versagenden Verfügungssätzen ist insoweit kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS des § 48 SGB X(vgl BSGE 60, 287 = SozR 1300 § 48 Nr 29; BSG Beschluss vom 10.5.1994 - 9 BV 140/93).
- 11
-
a) Nach § 69 Abs 1 und 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch weitere gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind(siehe zur Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung BSG Urteil vom 6.10.1981 - 9 RVs 4/81 - Juris RdNr 22 ff). Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung iS des § 6 Abs 1 Nr 14 Straßenverkehrsgesetz idF vom 3.2.2009 (BGBl I 150) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen aG einzutragen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen iS von § 46 Abs 1 S 1 Nr 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen"(vgl näher BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 9 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19).
- 12
-
b) Nähere Einzelheiten für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung regelt Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) in der ab dem 1.9.2009 gültigen Fassung vom 17.7.2009 (BAnz 2009, Beilage Nr 110a vom 29.7.2009), die als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art 84 Abs 2 GG wirksam erlassen worden ist (vgl BSG Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180, 182 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1 S 3). Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind nach dessen RdNr 129 solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen nach RdNr 130 Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (sog Regelbeispiele), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (sog Gleichstellungsfälle; vgl dazu BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - Juris RdNr 13 mwN). Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Regelbeispiels, bei deren Vorliegen vermutet wird, dass sich die dort aufgeführten schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können (vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 15 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19 ). Der Kläger ist nach den verbindlichen Feststellungen des LSG auch kein Gleichstellungsfall, weil die Parkinson-Krankheit zwar eine geeignete Erkrankung darstellt, diese nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG hier aber nicht dauernd mit der gebotenen Einschränkung der Gehfähigkeit einhergeht (dazu sogleich unter f bis h).
- 13
-
c) Die weitere Präzisierung des vorgenannten Personenkreises schwerbehinderter Menschen ergibt sich aus dem in § 69 Abs 1 S 5 SGB IX idF bis zum 14.1.2015 (aF) Bezug genommenen versorgungsrechtlichen Bewertungssystem, dessen Kern ursprünglich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" waren. Diese sind seit 1.1.2009 abgelöst durch die auf der Grundlage des § 30 Abs 17 (bzw Abs 16) Bundesversorgungsgesetz erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl I 2412 ). Zwischenzeitlichen Bedenken an der Ermächtigung des Verordnungsgebers insbesondere zum Erlass von Vorgaben für die Beurteilung von Nachteilsausgleichen (vgl Dau, jurisPR-SozR 24/2009, Anm 4 ) hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7.1.2015 (BGBl II 15) durch Schaffung einer nunmehr eigenständig in § 70 Abs 2 SGB IX angesiedelten Ermächtigungsgrundlage Rechnung getragen. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung verbleibt es indes bei der bisherigen Rechtslage (vgl § 159 Abs 7 SGB IX ; hierzu BT-Drucks 18/2953 und 18/3190 S 5).
- 14
-
d) Die Grundsätze für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG werden danach in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" der Anlage zu § 2 VersMedV (AnlVersMedV) verbindlich wie folgt ergänzt: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen (Teil D Nr 3 Buchst c AnlVersMedV; zur Verbindlichkeit der AnlVersMedV vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19).
- 15
-
e) Das BSG hat die Regelung über die Anerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ihrem Zweck entsprechend eng ausgelegt und dies zuletzt in seiner Entscheidung vom 11.8.2015 (B 9 SB 2/14 R - RdNr 13 ff, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19) erneut bestätigt. Daran hält der erkennende Senat weiterhin fest. Das Merkzeichen aG soll lediglich eine stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege mithilfe der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG SozR 3870 § 3 Nr 18 S 58). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten ( BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 1/06 R - Juris RdNr 17 ; BSGE 82, 37, 39 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 S 91). Dies gilt erst recht, weil nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO noch weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zB die Ausnahme vom eingeschränkten Haltverbot, gewährt werden und sich der Kreis der berechtigten Personengruppen über das Merkzeichen aG hinaus zunehmend auf andere Personengruppen erweitert. Zum berechtigten Personenkreis zählen danach etwa ua schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 80 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) oder schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane (siehe unter Abschnitt II Nr 2 und 3 Buchst a bis f VwV-StVO; zB BR-Drucks vom 29.8.2008, 636/08 zu A und B).
- 16
-
f) Die hier allein in Betracht zu ziehenden Gleichstellungsfälle "auch aufgrund von Erkrankungen" erfassen danach die Parkinson'sche Krankheit, auch wenn die AnlVersMedV ausdrücklich nur Herzerkrankungen und Krankheiten der Atmungsorgane nennt und die Ergänzung des gleichzustellenden Personenkreises aufgrund von Erkrankungen klarstellen soll, dass schwerbehinderte Menschen mit "inneren Leiden" in den Genuss des Merkzeichens aG kommen können (BR-Drucks 400/76 S 4; BR-Drucks 400/1/76 S 5). Damit ist indes keine Festlegung auf Erkrankungen aus dem internistischen Formenkreis unter Ausschluss neurologischer Erkrankungen verbunden, sondern lediglich eine Zusammenfassung der Gesundheitsstörungen beabsichtigt, die nicht in erster Linie dem orthopädischen Fachgebiet zuzuordnen sind. Verdeutlicht werden soll, dass bei der Gleichstellung nicht auf die Art, sondern auf die Auswirkungen der bestehenden Behinderungen abzustellen ist (BR-Drucks 400/76 S 4; BR-Drucks 400/1/76 S 4). Auch neurologische Erkrankungen können die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG begründen. Hiervon ist das BSG bisher stets ausgegangen (BSG Urteil vom 29.1.1992 - 9a RVs 4/90; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 11). Der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots(Art 3 Abs 3 S 2 GG; Art 5 Abs 2 UN-Behindertenrechtskonvention, hierzu BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 31) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Hiervon an dieser Stelle zukünftig abzusehen, besteht keine Veranlassung.
- 17
-
Eine besondere rechtliche Betrachtungsweise ist auch bei Parkinson nicht durch entsprechende sozialmedizinische Erkenntnisse veranlasst. Der Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eines Bundesteilhabegesetzes vom 18.12.2015 listet deshalb in der vorgesehenen Neufassung des § 146 Abs 3 SGB IX nunmehr als Voraussetzung für das Merkzeichen aG die verschiedenartigsten Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) ausdrücklich auf(S 81). Die angestrebte Gesamtüberarbeitung der VersMedV soll zudem mit einer weiteren Konkretisierung insbesondere für zentralnervöse, peripher-neurologische oder neuromuskulär bedingte Einschränkungen des Gehvermögens (wie bei Multiple Sklerose, Amyotrophe Lateralsklerose
, M. Parkinson) einhergehen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG können danach beispielsweise erfüllt sein bei zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittslähmung, Multipler Sklerose, ALS, Parkinson-Erkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung). In der Begründung zum Arbeitsentwurf heißt es hierzu, zwar lasse es der Wortlaut der Regelung bereits heute zu, auch solche Gesundheitsstörungen in die Begutachtung einzubeziehen. Der derzeitige Text der VwV zur StVO lege die Einbindung aller gesundheitlichen Störungen für die begutachtenden Ärztinnen und Ärzte aber nicht nahe, weil für die Beeinträchtigung des Gehvermögens zahlreiche Beispiele aus dem orthopädischen Fachgebiet genannt sind, während für Gesundheitsstörungen aus anderen medizinischen Fachgebieten Beispiele vollständig fehlen (S 74 ff der Begründung). Sozialmedizinische Erkenntnisse, die eine Ausblendung oder differenzierte Betrachtung einzelner neurologischer Erkrankungen und insbesondere der Parkinson-Krankheit bei den gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG erfordern könnten, sind danach im Zuge des Reformvorhabens bisher nicht zu Tage getreten. Die aufgezeigte Reform bestätigt insoweit die bisherige Rechtsprechung trotz der angestrebten Neuerungen im Zuge des biopsychosozialen Behindertenbegriffs und des Wegfalls der bisherigen Regelbeispiele (siehe dazu unter II.2.b).
- 18
-
g) Eine Gleichstellung aufgrund von Parkinson ist demnach vorzunehmen, wenn sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann (Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO RdNr 129). Eine Prüfung dieser allgemeinen Voraussetzungen der VwV zur StVO ist nur bei den Regelbeispielen entbehrlich, weil dort die außergewöhnliche Gehbehinderung unter den dort genannten einschränkenden Vorgaben vermutet wird. Für Gleichstellungsfälle hat der erkennende Senat hingegen zuletzt in seiner Entscheidung vom 11.8.2015 (aaO) erneut deutlich gemacht, dass diese sich strikt an den vorgenannten allgemeinen Vorgaben messen lassen müssen, weil die Regelbeispiele wegen ihrer Inhomogenität als Vergleichsmaßstab Schwierigkeiten bereiten (zur Aufgabe der Regelbeispiele in der beabsichtigten Neuregelung des § 146 Abs 3 SGB IX vgl Arbeitsentwurf, aaO, S 81, Begründung S 76). Nicht zuletzt deshalb kann die nahezu fortdauernde Fortbewegungsunfähigkeit eines Querschnittsgelähmten und Gliedmaßenamputierten ohne prothetische Versorgung nicht uneingeschränkt als Vergleichsmaßstab der Gleichstellung gefordert werden, mithin nicht erst ein vollständiger Verlust der Gehfähigkeit den Zugang zu den gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen aG eröffnen. Die Gehfähigkeit muss nur so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BSG Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1).
- 19
-
Wie der erkennende Senat wiederholt ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes individuelles Restgehvermögen darüber hinaus griffig, dh durch einfache, konkrete Messgrößen, weder quantifizieren noch qualifizieren. Die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Dabei kann ua Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein. Denn schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sind, müssen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen. Die für "aG" geforderte große körperliche Anstrengung kann zB erst dann angenommen werden, wenn selbst bei einer Wegstreckenlimitierung von 30 Metern diese darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann (BSG Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1; BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 21, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19).
- 20
-
Die Notwendigkeit der umfassenden Beurteilung des individuellen Restgehvermögens legt es nicht nahe, die zeitliche Dimension der "Dauerhaftigkeit" in Gleichstellungsfällen ebenso starr zu handhaben wie bei einem einseitig Oberschenkelamputierten, dem Nachteilsausgleich aG zuerkannt wird, wenn er dauernd im Sinne von ständig bzw immer außerstande ist, ein Kunstbein zu tragen. Insoweit liegen die Dinge bei der Prüfung des individuellen Restgehvermögens nicht nur mit Blick auf den andersgearteten Prüfmaßstab, sondern gerade auch wegen der fehlenden gesetzestechnischen Einbettung in eine Vermutungsregelung etwas anders als bei dem Regelbeispiel des einseitig Oberschenkelamputierten, bei dem die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG vermutet werden, wenn er ausnahmslos außerstande ist, ein Kunstbein zu tragen (vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 16, 17 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19; hierzu kritisch Loytved, jurisPR-SozR 1/2016, Anm 5). Die Fortbewegung außerhalb des Kraftfahrzeugs "dauernd" nur mit großer Anstrengung setzt deshalb nicht ständig bzw immer die geforderte Mühe voraus. Im Interesse der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) kann auch ein vom Wortsinn ebenfalls umfasstes immer wiederkehrendes und nicht nur vorübergehendes Auftreten der geforderten Mühe ausreichen (vgl hierzu Loytved, jurisPR-SozR 1/2016, Anm 5 mwN), wenn sich dies im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung praktisch wie eine ständig große Anstrengung der Fortbewegung außerhalb des Kraftfahrzeugs auswirkt.
- 21
-
Für neurologische Erkrankungen wie Anfallsleiden hat das BSG in der Vergangenheit allerdings darauf hingewiesen, dass die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit infolge von Anfällen nicht dem dauernden Fortbestand der außergewöhnlichen Gehunfähigkeit gleichzusetzen ist und eine einer hochgradigen Einschränkung der Herzleistung oder Lungenfunktion vergleichbare Beeinträchtigung erst bei einer gleichbleibenden Häufigkeit von Anfällen erreicht wird, die "ständig" einen Rollstuhl erforderlich macht (BSG Urteil vom 29.1.1992 - 9a RVs 4/90 - Juris RdNr 13; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 11; vgl zum "ständigen" Erfordernis eines Rollstuhls auch Teil D Nr 1 Buchst c S 3 AnlVersMedV). Hieran hält der erkennende Senat nicht zuletzt angesichts des zwischenzeitlichen Arbeitsentwurfs vom 18.12.2015 und der beabsichtigten Neufassung des § 146 Abs 3 S 2 SGB IX fest, die insoweit ua das Erfordernis eines Rollstuhls "dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen" bei zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen in den Vordergrund rückt(aaO S 81; Begründung S 75). Mit Blick darauf, dass im Arbeitsentwurf (aaO) abweichende neue Standards nicht erkennbar werden, ist derzeit für Parkinson-Erkrankungen einschließlich der damit einhergehenden Dyskinesien in der Anflutungsphase des Dopamins sowie der Phasen der Minderbeweglichkeit in der Mangelwirksamkeitsphase des Dopamins ein grundlegend anderer rechtlicher Ansatz als bei Anfallsleiden nicht geboten.
- 22
-
h) Nach den genannten Vorgaben ist der Kläger nicht dauernd nur mit großer Anstrengung zur Fortbewegung außerhalb seines Kraftfahrzeugs imstande. Ob die erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen bei der Fortbewegung außerhalb des Kraftfahrzeugs dauernd vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Gesamtwürdigung aufgrund versorgungsärztlicher Feststellung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann (BSG Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1; hieran anschließend BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R - RdNr 15 ff). Hiervon ist das LSG ausgegangen und hat deshalb zu Recht den Ansatz des SG verworfen, es gehe an dieser Stelle lediglich um den Ausschluss vorübergehender Erkrankungen (Frakturen oder unregelmäßig auftretende Anfallsleiden wie Epilepsie). Im Ergebnis beanstandungsfrei ist das LSG stattdessen im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger nicht dauernd nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann, selbst wenn zu seinen Gunsten die Feststellungen des Sachverständigen als zutreffend unterstellt würden, dass er in insgesamt 70 vH der Zeit seiner Erkrankung hochgradig motorisch eingeschränkt ist.
- 23
-
Mit noch hinreichender Deutlichkeit hat das LSG Bezug genommen auf die Feststellungen des Sachverständigen, dass es beim Kläger etwa alle 2 bis 2,5 Stunden zum Erstarren der Bewegungen komme mit einer durchschnittlich einmal täglichen Fallneigung, er tageweise mäßige Schwierigkeiten beim Gehen habe und tageweise schwere Gehstörungen auftreten mit dann nötiger Hilfe und Begleitung. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben (§ 163 SGG). Insbesondere hat er keine Tatsachen bezeichnet, die den Mangel einer unterlassenen Aufklärung ergeben (§ 103 SGG; vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 28). Auch fehlt Vortrag, der eine Überschreitung der Grenzen der - im Revisionsverfahren entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten angreifbaren (vgl BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 5 R 2/11 R - Juris RdNr 20) - Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)aufzeigen könnte (§ 164 Abs 2 S 3 SGG). Das LSG musste nicht die rechtlichen Schlussfolgerungen des medizinischen Sachverständigen übernehmen, die Voraussetzungen für Merkzeichen aG seien gegeben. Das Sachverständigengutachten hat die Aufgabe, Tatsachen zu klären, nicht Rechtsfragen zu entscheiden (vgl BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 16 RdNr 28; BSG Beschluss vom 27.5.2015 - B 9 SB 66/14 B - Juris RdNr 9; Aussprung in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 128 RdNr 65 mwN). Richtig ist allerdings, dass in der Regel einzelne Kriterien - etwa starre prozentuale Zeitwerte - keine sachgerechte Prüfung des individuellen Restgehvermögens verbürgen (vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - RdNr 21, 22 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3250 § 69 Nr 19). Hierauf hat sich das LSG indessen auch nicht allein beschränkt, sondern vornehmlich eine Parallele zu Anfallsleiden gezogen bei fehlenden Anhaltspunkten für das Erfordernis einer Rollstuhlbenutzung. Soweit der Kläger beanstandet, das LSG habe weder die Besonderheiten der Parkinson-Erkrankung mit ihren nicht nur wochen- oder monatsweise, sondern täglich auftretenden Gehstörungen gewürdigt noch die Begünstigung von "off-Phasen" durch Stress beim Verlassen der häuslichen Umgebung berücksichtigt, zeigt er nicht auf, inwiefern sich durch diesen Vortrag die zu seinen Gunsten unterstellte Annahme einer hochgradigen Bewegungseinschränkung in 70 vH der Zeit und die Parallele zu den Anfallsleiden zu seinen Ungunsten als Verstoß gegen das Verfahrensrecht erweist, der revisionsrechtlich berücksichtigungsfähig wäre. Fest steht deshalb, dass der Kläger nach den verbindlichen Feststellungen (§ 163 SGG) und der Beweiswürdigung durch das LSG trotz der angeführten einmal täglichen Stürze zu einem noch nennenswerten Teil des Tages nicht unter hochgradigen motorischen Einschränkungen leidet oder auf den Rollstuhl angewiesen wäre.
Tenor
-
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 30. Mai 2012 aufgehoben.
-
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 40 ab Juli 2007 hat.
- 2
-
Nachdem das beklagte Land den im August 2001 gestellten Erstantrag des 1951 geborenen Klägers mit Bescheid vom 21.1.2002 abgelehnt hatte, weil der GdB weniger als 20 betrage, stellte es auf den Widerspruch des Klägers mit Abhilfebescheid vom 5.11.2002 einen GdB von 30 ab August 2001 fest. Als den GdB begründende Beeinträchtigungen berücksichtigte der Beklagte eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen, Knorpelschäden der Kniegelenke, eine Funktionseinschränkung der Füße, eine Fettleber sowie eine Nierenfehlbildung links.
- 3
-
Auf den vom Kläger im Dezember 2004 angebrachten Änderungsantrag stellte der Beklagte einen GdB des Klägers von 40 ab Dezember 2004 fest (Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005). In dem anschließenden, auf Feststellung eines GdB von 50 gerichteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt/Oder - S 5 SB 2/06 - bewertete der gerichtliche Sachverständige Dr. B. in seinem chirurgisch-sozialmedizinischen Gutachten vom 21.12.2006 aufgrund der nachweisbaren funktionellen Beeinträchtigungen des Klägers den Gesamt-GdB mit 10.
- 4
-
Daraufhin hob der Beklagte ohne ausdrückliche Anhörung unter Hinweis auf § 24 Abs 2 Nr 2 SGB X (Eilbedürftigkeit) mit Bescheid vom 1.3.2007 den Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 gemäß § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft insoweit auf, als ein GdB von mehr als 30 festgestellt worden war. In der Begründung führte der Beklagte aus, die Bescheide vom 5.11.2002 und 10.3.2005 seien rechtswidrig, da mit ihnen ein GdB von 30 bzw 40 festgestellt worden sei. Gemäß § 69 Abs 1 S 5 SGB IX sei eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliege. Tatsächlich hätten nur Beeinträchtigungen vorgelegen, die einen Gesamt-GdB von 10 begründen. Die Rücknahme des Bescheides vom 5.11.2002 komme wegen des Ablaufs der Frist gemäß § 45 Abs 3 SGB X nicht in Betracht. Der GdB könne nicht unter 30 abgesenkt werden. Der Bescheid werde gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens.
- 5
-
Nachdem der Kläger während des Klageverfahrens im Juli 2007 wegen behaupteter Verschlimmerung beim Beklagten einen weiteren Änderungsantrag gestellt hatte, ordnete das SG auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 19.2.2008 ein Ruhen des Verfahrens an. Nach Einholung verschiedener Berichte der behandelnden Ärzte sowie Beiziehung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, die einen GdB von 20 vorschlug, entschied der Beklagte mit Bescheid vom 2.2.2009, dass der Bescheid vom 10.3.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 in der Gestalt des Bescheides vom 1.3.2007 nicht geändert werde, weil die Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers weiterhin keinen höheren GdB als 30 bedingten. Der Bescheid werde gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens.
- 6
-
Nach Wiederaufnahme des Klageverfahrens - unter dem Az S 24 SB 31/09 - hat das SG von Amts wegen zunächst mehrere Befundberichte und danach ein Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Ba. vom 21.12.2011 eingeholt. Zusammenfassend hat die Sachverständige ausgeführt: Der im November 2002 festgestellte Gesamt-GdB von 30 sei aufgrund der seinerzeit vorliegenden Befunde (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen, Knorpelschäden der Kniegelenke, Funktionseinschränkung der Füße, Fettleber, Nierenfehlbildung links) nicht nachvollziehbar. Seit November 2002 hätten die beim Kläger bestandenen Beschwerden zugenommen. Im Vordergrund des heutigen Beschwerdebildes (erstmals vom Kläger mit Schreiben vom 20.7.2007 angegeben) stünde das Bronchialasthma mit allergischer Rhinitis und Konjunktivitis. Hierfür sei ein GdB von 20 angemessen. Sie halte heute einen Gesamt-GdB von 30 für gerechtfertigt.
- 7
-
In der mündlichen Verhandlung des SG am 30.5.2012 hat die Vorsitzende darauf hingewiesen, dass der Bescheid des Beklagten vom 1.3.2007 bezüglich der Rücknahme des Bescheides vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 rechtmäßig sei. Der Kläger hat daraufhin beantragt,
den Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 in der Fassung des Rücknahmebescheides vom 1.3.2007 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seinen Bescheid vom 21.1.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5.11.2002 dahingehend zu ändern, dass bei ihm (dem Kläger) ab 10.7.2007 ein GdB von 40 festgestellt wird.
- 8
-
Mit Urteil vom selben Tag (30.5.2012) hat das SG dem Klageantrag entsprochen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt:
- 9
-
Die zulässige Klage sei begründet. Gegenstand des Verfahrens seien der Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 und der Rücknahmebescheid vom 1.3.2007. Der Bescheid des Beklagten vom 2.2.2009 sei hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, da er keinen streitgegenständlichen Bescheid ändere oder ersetze. Zu Unrecht habe der Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 5.11.2002 mit Wirkung für die Zukunft abgelehnt. Denn in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die zum Zeitpunkt der Erteilung dieses Bescheides vorgelegen hätten, sei eine Änderung eingetreten, die die Erhöhung des GdB rechtfertige. Die gemäß § 48 SGB X vorzunehmende Prüfung beschränke sich darauf, ob in der Höhe des mit Bescheid vom 5.11.2002 festgestellten Gesamt-GdB (von 30) eine Änderung in der Gestalt eingetreten sei, dass die im Gesundheitszustand des Klägers seither eingetretenen Verschlimmerungen diesen GdB um mindestens 10 erhöhten. Das sei nach Überzeugung der Kammer der Fall. Dem Bescheid vom 5.11.2002 hätten für die Feststellung eines GdB von 30 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen, Knorpelschäden der Kniegelenke und eine Funktionseinschränkung der Füße, eine Fettleber und Nierenfehlbildung zugrunde gelegen.
- 10
-
Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 10.3.2005 beim Kläger ab Dezember 2004 einen GdB von 40 festgestellt habe, sei dieser Bescheid von Anbeginn rechtswidrig, sodass ihn der Beklagte während des laufenden Klageverfahrens zu Recht mit Bescheid vom 1.3.2007 aufgehoben habe. Der Bescheid des Beklagten vom 1.3.2007 werde auch vom Kläger nicht beanstandet.
- 11
-
Hiervon ausgehend habe das Gericht zu prüfen, ob seit Feststellung eines GdB von 30 mit Bescheid vom 5.11.2002 möglicherweise zu einem Zeitpunkt nach Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sei, die die Erhöhung des GdB rechtfertige. Das sei der Fall, denn beim Kläger sei ein Bronchialasthma hinzugetreten, dessen Auswirkungen in jedem Fall zur Erhöhung des Gesamt-GdB führen müsse. Dies ergebe sich insbesondere aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Dr. Ba.
- 12
-
Die Bewertung dieser Gesundheitsstörung durch die Sachverständige mit einem Einzel-GdB von 20 sei auch angesichts der Nr 26.8 der hier noch zu berücksichtigenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) angemessen.
- 13
-
Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, diese ab Juli 2007 durch Hinzutreten der Lungenerkrankung nachweisbare Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers unberücksichtigt zu lassen, um den nicht mehr rücknehmbaren Bescheid vom "20.2.2002" (gemeint 5.11.2002) zu korrigieren. Zumindest dann, wenn das ehemals festgestellte Ausmaß einer einzigen Gesundheitsstörung das alleinige tragende Element der Gesamt-GdB-Feststellung gewesen sei, rechtfertige dies nicht, eine "stille Abschmelzung" in dem Sinne vorzunehmen, dass weitere, neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen solange nicht berücksichtigt würden, bis das nun für gerechtfertigt erachtete Ausmaß der Beeinträchtigung dem seiner Zeit festgestellten Gesamt-GdB entspreche.
- 14
-
Zunächst sei festzustellen, dass die in § 45 Abs 3 S 1 und Abs 4 SGB X geregelte Frist für eine Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Bescheides vom "21.1.2002" (gemeint 5.11.2002) bereits abgelaufen sei. Soweit nunmehr zu prüfen sei, ob aufgrund des Eintritts einer vom Kläger geltend gemachten wesentlichen Änderung durch Hinzutreten einer Lungenerkrankung dieser Bescheid mit Wirkung für die Zukunft, nämlich ab 10.7.2007 aufzuheben sei, habe das Gericht festzustellen, inwieweit sich eine Änderung ergeben habe. Ausgehend von dem ursprünglich zu hoch festgesetzten Gesamt-GdB sei demnach trotz der Rechtswidrigkeit der GdB in dem Ausmaß zu erhöhen, in dem sich tatsächlich eine Änderung im Gesundheitszustand eingestellt habe. Etwas anderes würde sich allein dann ergeben, wenn der Beklagte einen auf § 48 Abs 3 SGB X basierenden "Abschmelzungsbescheid" erteilt hätte, was hier nicht geschehen sei. Dass § 48 Abs 3 SGB X auch für Feststellungen zur Höhe des GdB gelte, habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R entschieden.
- 15
-
Mit Beschluss vom 24.10.2012, zugestellt am 5.11.2012, hat das SG die Sprungrevision gegen das Urteil vom 30.5.2012 zugelassen.
- 16
-
Am 15.11.2012 hat der Beklagte beim BSG Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 48 Abs 3 SGB X. Entgegen der Auffassung des SG finde § 48 Abs 3 SGB X auf die Feststellung des GdB im Schwerbehindertenrecht nur entsprechend in dem Sinne Anwendung, dass die Verwaltung insofern auch ohne ausdrückliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts nach § 48 Abs 3 SGB X berechtigt und verpflichtet sei, bei einer nachträglichen Änderung der bei Erlass der rechtswidrigen, bestandskräftig gewordenen Entscheidung zur Höhe des GdB maßgebend gewesenen Verhältnisse, den nunmehr tatsächlich vorliegenden GdB festzustellen. Dies ergebe sich insbesondere aus § 69 Abs 1 S 3 SGB IX, wonach die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt würden. Er - der Beklagte - gehe davon aus, dass es mit dieser Vorschrift grundsätzlich unvereinbar sei, einen GdB festzustellen oder zu belassen, der die vorliegenden Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft übersteige.
- 17
-
Das BSG habe in dem durch das SG angeführten Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R - im Hinblick auf die Berücksichtigung eines fehlerhaft festgestellten GdB bei der Ermittlung des neuen, aufgrund des Hinzutritts eines Leidens zu beurteilenden Gesamt-GdB unter anderem ausgeführt, dass es sich bei einer derartigen Neufestsetzung im Rahmen einer auf § 48 Abs 1 SGB X gestützten Aufhebung wegen einer Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen nicht um eine reine Hochrechnung des im alten Bescheid festgestellten Gesamt-GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Leiden handele. An anderer Stelle weise das BSG im gleichen Urteil darauf hin, dass das Gesetz die Möglichkeit der Korrektur eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung jedenfalls ausdrücklich nur mit dem in § 48 Abs 3 SGB X geregelten Verfahren bereitstelle. Das BSG beziehe sich dabei auf die Entscheidung vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 -, in der das BSG ebenfalls bereits auf die entsprechende Anwendung von § 48 Abs 3 SGB X auch im Schwerbehindertenrecht verwiesen habe.
- 18
-
Keine Aussage finde sich in den genannten Urteilen des BSG zu der Frage, ob die Feststellung des tatsächlich vorliegenden GdB in entsprechender Anwendung von § 48 Abs 3 SGB X einen ausdrücklich auf dieser Vorschrift basierenden Abschmelzungsbescheid voraussetze. Die Antwort auf diese Rechtsfrage ergebe sich nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz. Sie stehe auch praktisch nicht außer Zweifel. Allerdings werde die Auffassung des SG, wie von diesem ausgeführt, auch durch das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8.9.2004 - L 10 SB 82/03 - vertreten.
- 19
-
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Frankfurt/Oder vom 30. Mai 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 20
-
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
- 21
-
Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.
- 22
-
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 3.4.2013 darauf hingewiesen, dass der Bescheid des Beklagten vom 1.3.2007 den Satz enthält: "Die Bescheide vom 05.11.2002 sowie vom 10.03.2005 sind rechtswidrig, da mit ihnen ein GdB von 30 bzw. 40 festgestellt wurde."
Entscheidungsgründe
- 23
-
Die Revision des Beklagten ist zulässig. Sie ist aufgrund ihrer Zulassung durch den Beschluss des SG vom 24.10.2012 statthaft und vom Beklagten form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Revisionsbegründung genügt zudem inhaltlich den Anforderungen gemäß § 164 Abs 2 S 3 SGG.
- 24
-
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das SG begründet.
- 25
-
Der Sachentscheidung durch das Revisionsgericht stehen keine Hindernisse entgegen. Insbesondere ist die Klage zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 SGG statthaft(s BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 9 S 21 f; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 12 RdNr 11). Sie richtet sich gegen den Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 und weiter in der Fassung des Bescheides vom 1.3.2007. Soweit der Beklagte mit dem Bescheid vom 1.3.2007 den Bescheid vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben hat, als darin ein GdB von mehr als 30 zuerkannt war, hat der Kläger nach dem Hinweis des SG in der mündlichen Verhandlung die ursprünglich auch dagegen gerichtete Klage nicht weiter aufrechterhalten, denn er hat seinen Klageantrag danach nur noch auf eine "teilweise" Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte und auf die Verurteilung des Beklagten zur Änderung des Bescheides vom 5.11.2002 dahin gerichtet, dass der GdB ab 10.7.2007 (wieder) mit 40 festzustellen sei.
- 26
-
Gegenstand der Klage ist danach ein Anspruch auf Feststellung des GdB mit 40 ab Juli 2007 aufgrund einer Veränderung (Verschlimmerung) desjenigen Gesundheitszustandes, der dem Bescheid vom 5.11.2002 zugrunde gelegen hat. Diesem Anspruch steht der Bescheid des Beklagten vom 10.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 und weiter in der Fassung des Bescheides vom 1.3.2007 entgegen, sodass der Kläger iS des § 54 Abs 1 S 2 SGG beschwert ist.
- 27
-
Soweit der Beklagte auf den Änderungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 2.2.2009 entschieden hat, dass der Bescheid vom 10.3.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 und des Bescheides vom 1.3.2007 nicht geändert werde, ist dieser Verwaltungsakt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Denn er enthält gerade keine Änderung oder Ersetzung der bereits angefochtenen Verwaltungsakte. Zwar wäre er wohl nach der zu § 96 SGG in der bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung ergangenen Rechtsprechung des BSG als Gegenstand des Klageverfahrens anzusehen gewesen; dies gilt jedoch nicht nach der zum 1.4.2008 erfolgten Einschränkung der Anwendbarkeit ("nur dann") der Vorschrift (vgl BSG Beschluss vom 30.9.2009 - B 9 SB 19/09 B - juris).
- 28
-
Unabhängig davon hindert es der Bescheid vom 2.2.2009 nicht, den Beklagten auf die gegen die Bescheide vom 10.3.2005 und 1.3.2007 gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wegen einer im Juli 2007 eingetretenen Änderung der Verhältnisse zur Feststellung eines höheren GdB zu verurteilen. Der Bescheid vom 2.2.2009 entfaltet insoweit keine Sperrwirkung. Seine Erteilung war entbehrlich, weil der im Juli 2007 gestellte Änderungsantrag des Klägers wegen des anhängigen Klageverfahrens nicht erforderlich war. Denn das Tatsachengericht hat bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich alle bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung eintretenden entscheidungsrelevanten neuen Tatsachen zu berücksichtigen (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 34 mwN). Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellung des GdB nach dem Schwerbehindertenrecht. Daran ändert ein zwischenzeitlich ergangener Verwaltungsakt nichts, der einen Neufeststellungsantrag ablehnt. Anders verhält es sich allerdings dann, wenn der Kläger sein Klagebegehren daraufhin zeitlich begrenzt. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
- 29
-
Ob die angefochtenen Bescheide vom 10.3.2005 und 1.3.2007 rechtswidrig sind, weil der Kläger eine Erhöhung des GdB auf 40 ab Juli 2007 beanspruchen kann, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Hierzu bedarf es weiterer Tatsachenfeststellungen des SG. Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger nicht schon deswegen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 40, weil der mit Bescheid vom 5.11.2002 bindend festgestellte GdB von 30 infolge des im Juli 2007 hinzugekommenen Lungenleidens entsprechend zu erhöhen wäre.
- 30
-
Grundlage für die beanspruchte teilweise Aufhebung des Bescheides vom 5.11.2002 mit Wirkung ab Juli 2007 ist § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (eingehend hierzu für das Schwerbehindertenrecht BSG Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223, 225 = SozR 3-1300 § 48 Nr 57). Von einer solchen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl BSG Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - juris RdNr 12). Das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 bleibt allerdings regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB (BSG Urteil vom 24.6.1998 - B 9 SB 18/97 - juris). Gemäß § 48 Abs 1 S 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt(§ 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X).
- 31
-
Bei dem Bescheid vom 5.11.2002 über die Feststellung eines GdB von 30 nach dem Schwerbehindertenrecht handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl Oppermann in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 69 SGB IX RdNr 10; stRspr des BSG s Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287 = SozR 1300 § 48 Nr 29; Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R - BSGE 87, 126 = SozR 3-1300 § 45 Nr 43; BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2 und BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist nach den Feststellungen des SG eine Änderung eingetreten. Denn der Kläger ist seit Juli 2007 zusätzlich und dauerhaft an einem Lungenleiden erkrankt, und dieses ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die insoweit vom SG festgestellten Tatsachen, die gemäß § 161 Abs 4 SGG im Rahmen der Sprungrevision nicht angegriffen werden können, werden vom Beklagten als solche nicht in Zweifel gezogen. Ob diese Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen rechtlich wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X ist, kann der Senat derzeit nicht beurteilen.
- 32
-
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist zunächst rechtlich davon auszugehen, dass mit dem Bescheid vom 5.11.2002 ein Gesamt-GdB von 30 auf Dauer festgestellt worden ist. Hieran ist auch der Beklagte gebunden, und zwar innerhalb des durch § 39 SGB X und § 77 SGG gesetzten Rahmens in seiner Eigenschaft als Träger des Verwaltungsverfahrens(von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 12 RdNr 4) und als zuständige Stelle für den Erlass des Verwaltungsakts. Das bedeutet, dass die Regelung des Verwaltungsakts für die erlassende Behörde und die Beteiligten iS des § 12 SGB X grundsätzlich verbindlich ist(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, vor § 39 RdNr 3 mwN). § 39 Abs 2 SGB X bestimmt, dass ein - gemäß § 39 Abs 1 SGB X wirksam erlassener - Verwaltungsakt wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Nach § 77 SGG ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (materielle Bestandskraft). Gerade wegen der Schutzwirkungen, die sich aus der Bindungswirkung für die von dem Verwaltungsakt betroffenen Person ergeben, muss die den Verwaltungsakt erlassende Stelle ebenfalls daran gebunden sein.
- 33
-
Vorschriften, die die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts (materielle Bestandskraft) iS des § 77 SGG durchbrechen ("soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist"), enthält das SGB X im 2. Titel des 3. Abschnitts ("Bestandskraft des Verwaltungsaktes"). Diese sehen die Rücknahme (§§ 44, 45), den Widerruf (§§ 46, 47) und die Aufhebung (§ 48) eines Verwaltungsaktes vor (s auch § 39 Abs 2 SGB X). Hinzu kommen vereinzelte speziell auf Verwaltungsakte ausgerichtete Vorschriften in anderen Gesetzen, wie zB § 60 Abs 4 Bundesversorgungsgesetz, die hier jedoch nicht einschlägig sind.
- 34
-
§ 69 SGB IX, der durchaus auch verfahrensrechtliche Regelungen über die Feststellung der Behinderung und die Ausstellung der Ausweise enthält (zB das jeweilige Antragserfordernis), trifft indes keinerlei verfahrensrechtliche Bestimmungen über die Rücknahme, den Widerruf oder die Aufhebung der in § 69 Abs 1 S 1 SGB IX vorgeschriebenen Feststellungen über das Vorliegen einer Behinderung und des GdB. Er lässt auch nicht erkennen, dass er die Regelungen im SGB X ganz oder teilweise verdrängt.
- 35
-
Speziell zum Verwaltungsakt über die Feststellung des GdB und zu dessen Bindungswirkung bei späterem Hinzutreten einer dauerhaften Gesundheitsstörung (Behinderung gemäß § 2 SGB IX) hat das BSG schon unter Geltung des Schwerbehindertengesetzes entschieden, dass eine ursprünglich unrichtige Entscheidung unter Beachtung ihrer Bestandskraft grundsätzlich nicht korrigiert werden darf, vielmehr hierbei die Vorschriften der §§ 48 und 45 SGB X maßgeblich sind(Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287 = SozR 1300 § 48 Nr 29). Durch § 48 Abs 3 SGB X ist nach diesem Urteil die Verwaltung auch im Recht der sozialen Entschädigung und im Recht der Schwerbehinderten ermächtigt worden, anlässlich einer nachträglichen Änderung eines Teils der maßgebend gewesenen Verhältnisse möglicherweise bestandskräftig gewordene Feststellungen über Schädigungsfolgen oder Behinderungen und über ihre Auswirkungen mit der wirklichen Sachlage in Einklang zu bringen(BSGE 60, 287, 291 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 89). Mit Urteil vom 19.9.2000 (- B 9 SB 3/00 R - BSGE 87, 126 = SozR 3-1300 § 45 Nr 43)hat das BSG bekräftigt, dass ein Feststellungsbescheid, der rechtswidrigerweise den GdB zu hoch festgestellt hat, entweder nach § 45 SGB X - teilweise - zurückzunehmen ist, oder, wenn dies nicht mehr möglich ist, gemäß § 48 Abs 3 SGB X "abgeschmolzen" werden kann. Wird diese Möglichkeit der Abschmelzung nicht wahrgenommen, kann die unterbliebene Abschmelzung nicht bei einer zukünftigen Änderung der Verhältnisse nachgeholt werden (BSGE 87, 126, 130 = SozR 3-1300 § 45 Nr 43 S 146; s auch Steinwedel in Kasseler Komm, Stand Dezember 2012, § 48 SGB X RdNr 29 mwN).
- 36
-
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass das BSG bisher nicht ausdrücklich entschieden hat, dass über die Abschmelzung eines überhöht festgestellten GdB gemäß oder entsprechend § 48 Abs 3 SGB X durch Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Andererseits ist es offensichtlich, dass die nach § 48 Abs 3 SGB X gesetzlich erlaubten Rechtswirkungen im Einzelfall(s § 31 SGB X) durch Verwaltungsakt zu regeln sind. Dies ergibt sich zwingend aus der Rechtsnatur der Abschmelzung als Eingriff in einen durch Verwaltungsakt bindend zuerkannten Rechtszustand - hier die Höhe des festgestellten GdB. Für zu hoch berechnete Sozialleistungen ist schon seit der Entscheidung des BSG vom 22.6.1988 (- 9/9a RV 46/86 - BSGE 63, 266 = SozR 3642 § 9 Nr 3) geklärt, dass sie erst dann von der Erhöhung durch ein Anpassungsgesetz (als wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse) ausgespart werden dürfen, wenn durch Verwaltungsakt wirksam festgestellt ist, dass die ursprüngliche Leistungsbewilligung rechtswidrig ist. Was für eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse gilt, hat gleichermaßen auch für eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu gelten. Ebenso besteht im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kein Unterschied zwischen der rechtswidrigen Gewährung überhöhter Leistungen und der Feststellung eines zu hohen GdB.
- 37
-
Die Korrektur der Folgen eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs 3 SGB X setzt mithin eine entsprechende ausdrückliche Verwaltungsentscheidung voraus. Die Vorschrift ist wegen der erforderlichen konstitutiven Feststellung durch die Verwaltung auch nicht eigenständig durch die Gerichte dergestalt anwendbar, dass diese eine Klage auf eine höhere Leistung oder auf Feststellung eines höheren GdB von sich aus unter Hinweis auf § 48 Abs 3 SGB X abweisen dürften(Steinwedel, aaO, RdNr 29 und 69). Dementsprechend darf die Verwaltung § 48 Abs 3 SGB X nicht stillschweigend ("freihändig") anwenden, sondern muss eine förmliche Entscheidung in Gestalt eines Verwaltungsaktes treffen, der seinerseits angefochten werden kann.
- 38
-
Konstitutiv für eine Entscheidung nach § 48 Abs 3 SGB X ist die durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig ist(Steinwedel, aaO, RdNr 67, 68 mwN; vgl insbesondere BSGE 63, 266 = SozR 3642 § 9 Nr 3; BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2, RdNr 7). Die Entscheidung über eine Ablehnung der Erhöhung der Leistung oder der Erhöhung des GdB kann - aus gegebenem Anlass - später getroffen werden.
- 39
-
Obwohl der Beklagte - zu Unrecht - die Auffassung vertritt, § 48 Abs 3 SGB X auch ohne die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides anwenden zu können, hat er eine entsprechende Entscheidung im angefochtenen Bescheid vom 1.3.2007 getroffen. Darin hat er nämlich wörtlich erklärt, dass die Bescheide vom 5.11.2002 und 10.3.2005 rechtswidrig seien, da mit ihnen ein GdB von 30 bzw 40 festgestellt worden sei und die bestehenden Beeinträchtigungen nur einen GdB von 10 rechtfertigten. Obwohl sich diese Erklärungen des Beklagten im Begründungsteil des Bescheides vom 1.3.2007 befinden, handelt es sich um eine Regelung iS des § 31 SGB X, denn der Beklagte wollte den Kläger verbindlich auf die Rechtswidrigkeit der im Bescheid vom 5.11.2002 getroffenen Feststellung des GdB auf 30 hinweisen. Zudem konnte der Kläger als Adressat des Bescheides vom 1.3.2007 die Regelungsabsicht des Beklagten auch eindeutig und ohne Weiteres erkennen. Es war klar, dass der Beklagte in Zukunft davon ausgehen wollte, dass der Bescheid vom 5.11.2002 rechtswidrig sei, soweit darin ein GdB festgestellt worden ist. Nach seiner Beurteilung lag beim Kläger nur ein GdB von 10 vor, der keine Feststellung nach § 69 SGB IX ermöglichte.
- 40
-
Diese im Bescheid vom 1.3.2007 enthaltene Feststellung ist vom Kläger in vollem Umfang angefochten worden und damit Gegenstand des Klageverfahrens. Insofern unterliegt es der gerichtlichen Entscheidung, ob der Beklagte zu Recht eine entsprechende Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 5.11.2002 angenommen hat. Da das SG von der Bindung des Bescheides vom 5.11.2002 hinsichtlich der Feststellung des GdB mit 30 ausgegangen ist, hat es zur zutreffenden Höhe des GdB zu diesem Zeitpunkt keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Auf diese Feststellungen kommt es hier an. Sofern nämlich der Verwaltungsakt des Beklagten über die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 5.11.2002 Bestand hat, ermöglicht er die Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X bei der Berücksichtigung der im Juli 2007 eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers in der Weise, dass die Feststellung eines GdB von 40 nur dann in Betracht käme, wenn dies nach der tatsächlichen Teilhabebeeinträchtigung des Klägers gerechtfertigt wäre.
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17.09.2014 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers herabsetzen durfte, weil er mit einer anderen Prothese versorgt wurde.
- 2
-
Der im Jahre 1981 geborene Kläger erlitt als Schüler am 2.7.1998 einen Unfall, der zur Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels führte. Die Beklagte versorgte den Kläger mit einer Prothese. Sie erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls nach Polytrauma mit unfallbedingtem Verlust des linken Beines im Bereich des Oberschenkels narbenbedingte Sensibilitätsstörungen im Bereich des Oberschenkelstumpfes, Phantomschmerzen nach Oberschenkelamputation sowie leichte Leistungseinschränkungen und Wahrnehmungsbeeinträchtigung nach Schädel-Hirn-Trauma an und gewährte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vH (Bescheid vom 5.7.2001).
- 3
-
Im März 2006 erhielt der Kläger eine mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese, ein sog C-Leg. Die Beklagte hob daraufhin die Bewilligung der Verletztenrente in dem Bescheid vom 5.7.2001 wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X teilweise auf und gewährte dem Kläger ab dem 1.8.2007 nur noch eine Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH (Bescheid vom 5.7.2007 und Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007). Zur Begründung führte sie aus, durch die Versorgung mit der C-Leg-Prothese sei eine deutliche Funktionsverbesserung des linken Beines eingetreten, die zu einem flüssigeren Gangbild und einer Erhöhung der Gang- und Standsicherheit geführt habe. Dem Kläger sei nunmehr das sichere Gehen und Stehen sowie das Treppensteigen weitestgehend ohne Gehhilfe möglich. Dadurch habe sich seine Mobilität einschließlich des Wirkungsbereiches verbessert. Ihr beratender Chirurg habe die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet nach der Versorgung mit der C-Leg-Prothese ab März 2006 nur noch mit 50 vH und insgesamt mit nur noch 60 vH bewertet.
- 4
-
Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 29.7.2010). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17.9.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Rente seien nicht erfüllt, weil keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Unfallfolgen sowohl auf neurologischem und neuropsychiatrischem als auch auf chirurgischem Fachgebiet bestünden unverändert fort. Sie bedingten auf chirurgischem Fachgebiet weiterhin eine MdE von 60 vH, auf neurologischem und neuropsychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 15 vH und insgesamt weiterhin eine MdE von 70 vH. Die Gebrauchsvorteile der prothetischen Versorgung mit einem C-Leg führten zu keiner geringeren MdE. Bei einem Verlust der Gliedmaßen sei der objektive funktionelle Körperschaden unabhängig von dem Erfolg der prothetischen Versorgung für die Bewertung der MdE zugrunde zu legen, denn eine entsprechende Prothese könne den Körperschaden derzeit nicht vollständig kompensieren. Dies entspreche der herrschenden Auffassung in der unfallrechtlichen Literatur. Nur wenn ein Hilfsmittel einen physiologisch vollwertigen Ersatz darstelle bzw Ausgleich schaffe, sei es gerechtfertigt, allein die verbleibenden Funktionseinbußen der Bemessung der MdE zugrunde zu legen. Die verbleibenden Funktionseinschränkungen bei prothetischer Versorgung würden unabhängig von der konkreten Art der Versorgung im Sinne einer Durchschnittsbewertung berücksichtigt. Dies führe zu einer Gleichbehandlung und Verwaltungsvereinfachung. Dementsprechend würden weder die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz noch die am 1.1.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung danach differenzieren, ob die konkrete prothetische Versorgung bei Verlust von Gliedmaßen zu einer Funktionsverbesserung führe.
- 5
-
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 73 und 56 SGB VII iVm § 48 SGB X. Die signifikante Verbesserung der Körperfunktionen des Klägers durch seine Versorgung mit dem C-Leg begründe eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X, denn die Gebrauchsvorteile dieser Prothese gegenüber einer konventionellen Versorgung im Erwerbsleben würden die Bewertung der MdE auf chirurgischem Fachgebiet mit nur 50 vH rechtfertigen. Die Gesamt-MdE betrage daher nur noch 60 vH. Nach den gemäß § 56 Abs 2 SGB VII für die Höhe der MdE maßgebenden Bestimmungsfaktoren seien Funktionsverbesserungen durch Heil- oder Hilfsmittel zu berücksichtigen. Die vom LSG zugrunde gelegten, in verschiedenen Handbüchern genannten MdE-Erfahrungswerte könnten Verwaltung und Gerichte nicht normähnlich binden.
- 6
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17.09.2014 und das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 29.07.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 7
-
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 8
-
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 5.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2007 erweist sich als rechtswidrig. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine Herabsetzung der bisher durch den Bescheid vom 5.7.2001 gewährten Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 70 vH rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG entschieden hat, die Versorgung des Klägers mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese bewirke keine geringere MdE als die im Jahre 2001 festgesetzte.
- 10
-
Durch die Versorgung des Klägers mit einer C-Leg-Prothese im Jahre 2006 ist keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X gegenüber den Verhältnissen im Jahre 2001 eingetreten. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für Renten der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 SGB VII ergänzt. Nach § 73 Abs 3 SGB VII ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vH beträgt. Diese Voraussetzung lag in Bezug auf den Verwaltungsakt vom 5.7.2001, der eine Verletztenrente nach einer MdE von 70 vH auf unbestimmte Zeit bewilligte, nicht vor. Ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten ist, ist durch Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Verwaltungsaktes mit den zum Zeitpunkt des Erlasses des aufhebenden Verwaltungsaktes bestehenden Verhältnissen zu ermitteln(vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464 mwN). Die tatsächlichen Verhältnisse änderten sich zwar im März 2006 insoweit, als der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine neue Oberschenkelprothese erhielt und sich dadurch seine Mobilität und Koordination verbesserte sowie sein Aktionsradius vergrößerte. Diese Änderung war aber nicht wesentlich iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB VII. Denn sie begründete kein Recht der Beklagten, eine Verletztenrente in geringerer Höhe nach einer MdE von nunmehr nur noch 60 vH festzusetzen. Zutreffend hat das LSG insofern entschieden, dass die unfallbedingte MdE weiterhin 70 vH beträgt.
- 11
-
Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts. In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1), wobei es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse ankommt, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides vorgelegen haben (vgl BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464 mwN). Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war schon keine Änderung der auf dem Arbeitsunfall beruhenden Gesundheitsstörungen des Klägers eingetreten, denn sein Gesundheitszustand hatte sich weder auf dem neurologischen und neuropsychiatrischen noch auf dem chirurgischen Fachgebiet verändert, insbesondere nicht verbessert.
- 12
-
Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse war nur insoweit erfolgt, als der Kläger anstelle der bisherigen Prothese ab März 2006 mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese, einem sog C-Leg, versorgt worden war und sich dadurch nach den ebenfalls unangegriffenen Feststellungen des LSG seine Mobilität und Koordination verbessert hatte. Durch den Gebrauch des C-Legs konnte der Kläger weitgehend ohne Gehhilfen gehen, sein Aktionsradius hatte sich vergrößert.
- 13
-
Das LSG hat jedoch zutreffend entschieden, dass die durch die Änderung der prothetischen Versorgung erfolgte Verbesserung der Mobilität, der Koordination und des Aktionsradius des Klägers keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X war. Diese Verbesserungen durch die prothetische Versorgung begründeten nach § 56 Abs 2 SGB VII keinen Anspruch der Beklagten auf Festsetzung einer Verletztenrente in geringerer Höhe als nach einer MdE von 70 vH.
- 14
-
Gemäß § 56 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB VII setzt der Anspruch auf eine Verletztenrente eine MdE von wenigstens 20 vH voraus. Der Zahlbetrag der Verletztenrente bestimmt sich sodann nach der Höhe der MdE und dem Jahresarbeitsverdienst (JAV). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 S 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1 mwN).
- 15
-
Soweit das LSG den Grad der MdE auch im Jahre 2006 weiterhin mit 70 vH festgesetzt hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bemessung des Grades der MdE ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Tatsachengericht unter Berücksichtigung der gesamtem Umstände des Einzelfalls gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung trifft(vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3; BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-INFO 2001, 499; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 14/99 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 7; BSG vom 23.4.1987 - 2 RU 42/86 - HV-INFO 1988, 1200; BSG vom 24.5.1984 - 2 RU 12/83 - HV-INFO 1984, Nr 13, 18). Die der Feststellung der MdE zugrunde liegende, vom LSG gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Einschluss der Beweisaufnahme nach der Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel frei vorzunehmende Würdigung des Sachverhaltes kann das Revisionsgericht auf Rüge grundsätzlich nur darauf prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat(vgl BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565).
- 16
-
Das LSG hat festgestellt, dass die unfallbedingte MdE zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 5.7.2001 sowie auch zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen, im Jahre 2007 ergangenen Bescheide weiterhin unverändert 70 vH betrug, weil auf neurologischem und neuropsychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 15 vH sowie auf chirurgischem Fachgebiet eine MdE von 60 vH bestand. Diese Feststellungen zur MdE-Höhe sind als tatsachenrichterliche Erkenntnisse revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die MdE-Festsetzung im konkreten Einzelfall insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen.
- 17
-
Es bestehen aber auch keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung der MdE-Tabellen als solche durch das LSG. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass die Bindungswirkung der tatsächlichen MdE-Feststellung gemäß § 163 SGG nicht in vollem Umfang für die Überprüfung der in den MdE-Tabellen abstrakt niedergelegten MdE-Tabellenwerte gilt. Die Anwendung der den MdE-Tabellenwerten zugrunde liegenden allgemeinen bzw wissenschaftlichen Erfahrungssätze unterliegt vielmehr jeweils der revisionsrechtlichen Überprüfung dahingehend, ob diese Tabellenwerte offensichtlich falsch sind und ob sie dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen (vgl zB BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565; BSG vom 26.11.1987 - 2 RU 22/87 - SozR 2200 § 581 Nr 27; BSG vom 23.4.1987 - 2 RU 42/86 - HV-INFO 1988, 1210; BSG vom 26.6.1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 Nr 23; BSG vom 30.8.1984 - 2 RU 65/83 - HVGBG RdSchr VB 122/84; vgl zum Prüfungsumfang bei allgemeinen medizinischen Erfahrungssätzen auch BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418).
- 18
-
Wie die nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats revisionsrechtlich überprüfbaren allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für die Feststellung von Berufskrankheiten von Bedeutung sind (vgl dazu zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6), sind auch die MdE-Tabellenwerte allgemeine (generelle) Tatsachen, die für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm - nämlich des in § 56 Abs 2 SGB VII verwendeten Begriffs der MdE - und damit für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle relevant sind. Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE-Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und dienen als Hilfsmittel für die MdE-Einschätzung im Einzelfall. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber als in sich stimmiges Beurteilungsgefüge (so Ruppelt in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, UV, § 48 RdNr 25) die Grundlage für eine gleichförmige Bewertung der MdE (vgl BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565 mwN), ohne dass hier eine exakte rechtsdogmatische Einordnung der MdE-Tabellen erforderlich wäre (vgl hierzu Pense, Die Rechtsnatur von MdE-Tabellen, 1995, S 59 f: "Erkenntnisquelle" ohne Rechtssatzqualität; vgl auch Pfitzner, NZS 1998, 61).
- 19
-
MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit aufgrund des Umfangs der den Verletzten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten, dass die Verletzten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (vgl BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R - Breith 2003, 565).
- 20
-
Wendet ein Tatsachengericht solche allgemein akzeptierten MdE-Tabellen an, ist revisionsrechtlich die Prüfung des BSG darauf beschränkt, ob diese Tabellenwerte erkennbar falsch sind, etwa weil sie dem Stand des medizinischen Wissens oder des Erfahrungswissens anderer einschlägiger Wissenschaftsgebiete (wie hier beispielsweise auch der Arbeitsmarktforschung) widersprechen. Es ist bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs nicht erkennbar, dass die von dem LSG angewandten MdE-Tabellenwerte nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen und deshalb als wissenschaftlich unhaltbar der Rechtsfindung nicht zugrunde gelegt werden durften. Das LSG hat für die MdE auf chirurgischem Fachgebiet den in den Standardwerken derzeit für eine Oberschenkelamputation gängigen MdE-Tabellenwert von 60 vH zugrunde gelegt, wobei überwiegend nicht danach differenziert wird, ob eine Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese anstelle einer herkömmlichen Prothese möglich oder erfolgt ist (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 691; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Aufl 2012, S 193; Nehls in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand Juni 2014, US 0500, S 38; vgl auch im Ergebnis eine Differenzierung nach Versorgungsqualität ablehnend: Schwerdtfeger in Trauma und Berufskrankheit 2001, S 353, 354 ff). Bei seiner Entscheidung hat das LSG auch berücksichtigt, dass bislang die gängigen Tabellenwerte zur Einschätzung der MdE bei der Amputation der unteren Gliedmaßen nicht grundsätzlich geändert wurden. Das LSG ist mithin zumindest im Ergebnis davon ausgegangen, dass es nach wie vor dem Stand des Erfahrungswissens in der unfallmedizinischen Literatur entspricht, bei Amputationen die Qualität der prothetischen Versorgung für die Einschätzung der Höhe der MdE nicht zu berücksichtigen, weil die derzeit gängigen Tabellenwerke keine Differenzierung nach der Qualität der Hilfsmittelversorgung enthalten. Dies ist entgegen der Auffassung der Beklagten revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil nicht feststellbar ist, dass die vom LSG zugrunde gelegten MdE-Tabellenwerte nicht mehr dem neuesten Stand der unfallmedizinischen Wissenschaft entsprechen oder offensichtlich falsch sind.
- 21
-
Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6, RdNr 28).
- 22
-
Zwar wird vereinzelt in der unfallmedizinischen Literatur bei einer Bemessung der MdE für Beinamputationen eine Differenzierung nach der Hilfsmittelqualität und für den Fall der bestmöglichen Versorgung, zB mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese, ein geringerer MdE-Wert vorgeschlagen (vgl Ludolph/Schürmann, MedSach 2016, S 60, 68; Schürmann in Trauma und Berufskrankheit 2014, S 204, 207 ff; J. Becker, MedSach 2008, S 142, 145 f; Koss, MedSach 2004, S 92, 93; Plagemann, MedSach 2004, S 94, 96). Allein aufgrund dieser Literaturmeinungen kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die vom LSG zugrunde gelegten Erfahrungssätze nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen oder offensichtlich falsch sind.
- 23
-
Es erscheint damit durchaus möglich, dass der Tabellenwert für die MdE bei einer Amputation im Oberschenkelbereich niedriger angesetzt werden könnte, wenn eine heute technisch mögliche, verbesserte Prothesenversorgung zu geringeren Funktionseinschränkungen führt und deshalb den Verletzten mehr Betätigungsfelder im Erwerbsleben offen stehen. Eine dahin gehende generelle Änderung der MdE-Tabellenwerte ist in der entsprechenden unfallmedizinischen Literatur bisher jedoch nicht erfolgt. Allenfalls werden - wie jetzt auch in neuesten Auflagen der unfallmedizinischen Standardwerke (vgl zB Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 725, 727) - unterschiedliche Tabellenwerte unkommentiert und gleichrangig wiedergegeben, ohne dass erkennbar oder Stellung dazu bezogen wird, welche der beiden Auffassungen den nunmehr aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergibt.
- 24
-
Für den Senat ist auch sonst nicht feststellbar, dass der von der unfallmedizinischen Literatur zugrunde gelegte Tabellenwert einer MdE von 60 vH bei Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Prothese offensichtlich falsch ist und ein geringerer MdE-Wert bei Versorgung mit einem C-Leg anzusetzen wäre. Der bisherige MdE-Tabellenwert von 60 vH bestimmt sich zwar anhand der Amputationshöhe und knüpft damit an die Strukturverletzung an, berücksichtigt aber - da der Erfolg der prothetischen Versorgung und damit die verbliebene Funktion maßgeblich von der Amputationshöhe abhängen - pauschalierend das Ausmaß der Funktionsstörungen. Damit findet die Möglichkeit einer prothetischen Versorgung bereits jetzt Eingang in die MdE-Bemessung. So setzten die MdE-Werte nach einigen Tabellenwerken voraus, dass "der Zustand des Stumpfes sehr gut ist und dass der Verletzte gut passende orthopädische Hilfsmittel tragen kann" (vgl Nehls in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand Juni 2014, US 0500, S 38; Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, Stand Juni 2016, § 56 RdNr 70). Für den Senat ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die prothetische Versorgung mit einem C-Leg die Funktionsstörungen bei einer Oberschenkelamputation derart kompensieren könnte, dass unter Berücksichtigung der in § 56 Abs 2 SGB VII ausdrücklich genannten Anforderungen des Arbeitsmarktes nunmehr Erwerbsmöglichkeiten in einem Umfang eröffnet würden, dass deshalb ein MdE-Wert von 60 vH den Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens offensichtlich fehlerhaft beschreibt.
- 25
-
Kritisch anzumerken bleibt, dass aufgrund der Regelungsstruktur des § 56 Abs 2 SGB VII prinzipiell unklar bleibt, welche medizinischen Referenzgrößen und welche arbeitsmarktpolitischen bzw soziologischen Erkenntnisse die Verfasser der MdE-Tabellen in ihre Überlegungen grundsätzlich einzustellen haben. Es würde einen Gewinn an Rechtssicherheit und -klarheit darstellen, wenn der Gesetzgeber selbst in § 56 Abs 2 SGB VII eine Delegation zum Erlass von MdE-Tabellen aussprechen würde, die den Kriterien des Art 80 Abs 1 S 2 GG genügen würde. Dabei wäre der Gesetz- bzw Verordnungsgeber auch berufen, die allgemeinen Maßstäbe und das Verfahren der Erstellung der MdE-Tabellen - wie es etwa durch die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl I 2412) für die Bestimmung des Grades der Behinderung iS von § 69 Abs 1 S 5 SGB IX und im sozialen Entschädigungsrecht für den Grad der Schädigungsfolgen nach § 30 Abs 1 BVG geschehen ist - zu normieren.
Tenor
Die Beschwerde gegen die mit Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 26.01.2015 auferlegten Ermittlungskosten wird zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
1
Gründe:
2Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts (SG), mit der ihr wegen unterlassener notwendiger Ermittlungen Kosten in Höhe insgesamt 1.989,72 Euro auferlegt worden sind.
3Die Beschwerde ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass das SG nicht durch gesonderten Beschluss (§ 192 Abs 4 S 2 SGG), sondern zusammen mit der Hauptsache durch Urteil entschieden hat. Der folgt aus dem Grundsatz, dass Fehler des Gerichts nicht zu Lasten eines Beteiligten gehen dürfen (Beschluss des erkennenden Senats vom 18.08.2014, L 10 SB 200/14 B mwN; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.01.2012, L 5 AS 228/11 B, Juris Rn 7).
4Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat dem Beschwerdeführer zu Recht Ermittlungskosten für die im Klageverfahren eingeholten Befundberichte von Dr. X und Dr. L sowie der Sachverständigengutachten von Dr. C und Dr. E in Höhe von insgesamt 1.989,72 Euro auferlegt. Das SG hat mit diesen Ermittlungen nachgeholt, was sich für die Beklagte schon im Verwaltungsverfahren hätte aufdrängen müssen. Dies sieht § 192 Abs 4 SGG ausdrücklich vor.
5Voraussetzung für die Auferlegung von Kosten auf die Beklagte ist, dass die Beklagte im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen hat, die vom Gericht nachgeholt wurden. Von einer Notwendigkeit wird dann auszugehen sein, wenn die nachgeholten Ermittlungen entsprechend der Amtsermittlungspflicht der Behörde nach §§ 20, 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch unverzichtbar für die zu treffende Entscheidung gewesen sind. Von einer Erkennbarkeit ist auszugehen, wenn sich der Behörde die Notwendigkeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und deren höchstrichterlichen Auslegung aufdrängen musste und die Behörde - mangels einer solchen - nicht nach einer vertretbaren Rechtsauffassung davon ausgehen durfte, auf die Ermittlungen komme es nicht an (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, L 2 U 166/10 B, Juris Rn , LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011, L 9 U 1083/10 B, Juris Rn 15).
6So liegt der Fall hier. Das hat das SG mit überzeugender Begründung dargelegt. Der Senat nimmt insofern zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass es sich vorliegend um eine Herabsetzung des Grades der Behinderung und den Entzug der Schwerbehinderung handelt. Hierbei hat der Beklagte die wesentliche Besserung der Funktionseinschränkungen, die für ihn Anlass zur Herabsetzung des GdB waren, nachzuweisen. Wenn die Versorgungsbehörde wegen wesentlicher Veränderungen den GdB herabsetzt, hat sie die Mindestanforderungen an eine sachgerechte Sachaufklärung von Amts wegen zu erfüllen. Die vorgenommenen Ermittlungen müssen jedenfalls so aussagekräftig sein, dass sie die Verwaltungsentscheidung vertretbar rechtfertigen. Davon kann nach der Ermittlungen der Beklagten nicht ausgegangen werden. So hatte es sich für die Beklagte aufdrängen müssen, die Befundberichte von Dr. X und Dr. L einzuholen. Der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren beigebrachte Bericht des Dr. X vom 23.01.2012 enthält einen kurzen Arztbrief und berichtet lediglich von einer ersten Vorstellung der Klägerin im November 2011. Die Klägerin hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie bei diesem Arzt in fortlaufender Behandlung stehe. Wenn in der gutachtlichen Stellungnahme vom 13.11.2012 festgestellt wird, eine regelmäßige fachärztliche Behandlung sein nicht belegt, so fehlen dem beratenden Arzt hier schlichtweg zehn Monate für seine Beurteilung.
7Der Beklagte hat im Weiteren erkennbare und notwendige Ermittlungen im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Haut nicht veranlasst, obwohl die Klägerin auf eine bestehende Psoriasis sowie Neurodermitis hingewiesen und auch den behandelnden Arzt benannt und von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hatte. In dem dann zeitnah im Klageverfahren eingeholten Befundbericht werden eine stärkere psychische Störung (Dr. X) sowie ein atopisches Ekzem mit Juckreiz und Missempfindungen überwiegend im Gesicht (L) beschrieben; beides Befunde, die eine Beurteilung des GdB mit jetzt nur noch 30 nicht rechtfertigen. Die Mindestanforderungen an eine sachgerechte Aufklärung hätten eine zeitnahe konkrete Rückfrage an die angegebenen Ärzte umfasst und in Kenntnis der vorstehenden Befunde hätte die Klägerin schon im Verwaltungsverfahren einem Sachverständigen vorgestellt werden müssen. Dies hat das SG nunmehr nachgeholt und die weitere Beweisaufnahme war auch zwingend. Bei sachgerechter Sachaufklärung durch die Beklagte hätte es des Klageverfahrens sicherlich nicht bedurft. Die Sachaufklärung kann nicht auf die Sozialgerichte verlagert werden. Gerade dem soll § 192 Abs 4 SGG entgegen wirken.
8Das SG hat auch keine Veranlassung gehabt, das Verfahren zur Nachholung weiterer Sachaufklärung an die Beklagte zurückzugeben. Es geht um die Herabsetzung des GdB zu einem bestimmten Stichtag. Es kann nicht sein, dass der Verwaltungsbehörde Monate später die Möglichkeit eingeräumt wird, weiter zu ermitteln, um ihre Entscheidung nachträglich, quasi rückschauend, zu rechtfertigen. Insoweit hat sie die Gelegenheit, die Bescheide aufzuheben und erneut zu entscheiden. Ohnehin muss die Beklagte, so zutreffend das SG, in Herabsetzungsfällen bei unzureichenden/unqualifizierten Ermittlungsergebnissen regelhaft damit rechnen, den Änderungsnachweis nicht erbringen zu können.
9Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Das Verfahren nach § 192 Abs 4 SGG ist ein gesondert geregeltes Nebenverfahren über Kosten eines Hauptsachverfahrens, in dem die Klägerin sich erfolgreich gegen den Entzug der Schwerbehinderung gewandt hatte. An dem durch die Beklagte eingeleiteten Beschwerdeverfahren ist die Klägerin nicht (mehr) beteiligt. Die Kostenregelung in § 197a Abs 1 SGG stellt auf das jeweilige Verfahren, bzw den jeweiligen Rechtszug ab. Die Beschwerdeführerin ist in einem solchen Verfahren nicht kostenprivilegiert, weil am Verfahren keine nach § 183 SGG privilegierte Person (mehr) beteiligt ist. Die im Beschwerderechtszug anfallenden Gerichtskosten (Nr 7504 des Kostenverzeichnisses - KV - zum Gerichtskostengesetz - GKG -, pauschal 50 EUR) sind von der Beschwerdeführerin zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg war (vgl LSG NRW, Beschluss vom 18.11.2013, L 18 KN 83/13 B, Juris Rn 7).
10Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.
(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.
(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.
(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.
(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch
- a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung, - b)
eine Kriegsgefangenschaft, - c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, - d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist, - e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen, - f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.
(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.
(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.
(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.
(1) Solange Beschädigte infolge der Schädigung hilflos sind, wird eine Pflegezulage von 376 Euro (Stufe I) monatlich gezahlt. Hilflos im Sinne des Satzes 1 sind Beschädigte, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muß, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, daß sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege auf 642, 916, 1 174, 1 524 oder 1 876 Euro (Stufen II, III, IV, V und VI) zu erhöhen. Für die Ermittlung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage sind die in der Verordnung zu § 30 Abs. 17 aufgestellten Grundsätze maßgebend. Blinde erhalten mindestens die Pflegezulage nach Stufe III. Hirnbeschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I.
(2) Wird fremde Hilfe im Sinne des Absatzes 1 von Dritten aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet und übersteigen die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wird die Pflegezulage um den übersteigenden Betrag erhöht. Leben Beschädigte mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft, ist die Pflegezulage so zu erhöhen, dass sie nur ein Viertel der von ihnen aufzuwendenden angemessenen Kosten aus der pauschalen Pflegezulage zu zahlen haben und ihnen mindestens die Hälfte der pauschalen Pflegezulage verbleibt. In Ausnahmefällen kann der verbleibende Anteil bis zum vollen Betrag der pauschalen Pflegezulage erhöht werden, wenn Ehegatten, Lebenspartner oder ein Elternteil von Pflegezulageempfängern mindestens der Stufe V neben den Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Hilfe leisten. Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder Elternteil nicht nur vorübergehend keine Pflegeleistungen erbringt; § 40a Abs. 3 Satz 3 gilt.
(3) Während einer stationären Behandlung wird die Pflegezulage nach den Absätzen 1 und 2 Empfängern von Pflegezulage nach den Stufen I und II bis zum Ende des ersten, den übrigen Empfängern von Pflegezulage bis zum Ablauf des zwölften auf die Aufnahme folgenden Kalendermonats weitergezahlt.
(4) Über den in Absatz 3 bestimmten Zeitpunkt hinaus wird die Pflegezulage während einer stationären Behandlung bis zum Ende des Kalendermonats vor der Entlassung nur weitergezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte erhalten ein Viertel der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder der Elternteil bis zum Beginn der stationären Behandlung zumindest einen Teil der Pflege wahrgenommen hat. Daneben wird die Pflegezulage in Höhe der Kosten weitergezahlt, die aufgrund eines Pflegevertrages entstehen, es sei denn, die Kosten hätten durch ein den Beschädigten bei Abwägung aller Umstände zuzumutendes Verhalten, insbesondere durch Kündigung des Pflegevertrages, vermieden werden können. Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III erhalten, soweit eine stärkere Beteiligung der schon bis zum Beginn der stationären Behandlung unentgeltlich tätigen Pflegeperson medizinisch erforderlich ist, abweichend von Satz 2 ausnahmsweise Pflegezulage bis zur vollen Höhe nach Absatz 1, in Fällen des Satzes 3 jedoch nicht über den nach Absatz 2 Satz 2 aus der pauschalen Pflegezulage verbleibenden Betrag hinaus.
(5) Tritt Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 gleichzeitig mit der Notwendigkeit stationärer Behandlung oder während einer stationären Behandlung ein, besteht für die Zeit vor dem Kalendermonat der Entlassung kein Anspruch auf Pflegezulage. Für diese Zeit wird eine Pflegebeihilfe gezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte, die mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft leben, erhalten eine Pflegebeihilfe in Höhe eines Viertels der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I. Soweit eine stärkere Beteiligung der Ehegatten, Lebenspartner oder eines Elternteils oder die Beteiligung einer Person, die den Beschädigten nahesteht, an der Pflege medizinisch erforderlich ist, kann in begründeten Ausnahmefällen eine Pflegebeihilfe bis zur Höhe der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I gezahlt werden.
(6) Für Beschädigte, die infolge der Schädigung dauernder Pflege im Sinne des Absatzes 1 bedürfen, werden, wenn geeignete Pflege sonst nicht sichergestellt werden kann, die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen. Jedoch ist den Beschädigten von ihren Versorgungsbezügen zur Bestreitung der sonstigen Bedürfnisse ein Betrag in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 und den Angehörigen ein Betrag mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu belassen, die ihnen zustehen würden, wenn Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wären. Bei der Berechnung der Bezüge der Angehörigen ist auch das Einkommen der Beschädigten zu berücksichtigen, soweit es nicht ausnahmsweise für andere Zwecke, insbesondere die Erfüllung anderer Unterhaltspflichten, einzusetzen ist.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Die Berechnungsgrundlage, die dem Krankengeld, dem Versorgungskrankengeld, dem Verletztengeld und dem Übergangsgeld zugrunde liegt, wird jeweils nach Ablauf eines Jahres ab dem Ende des Bemessungszeitraums an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst und zwar entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 Satz 1 des Sechsten Buches) vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr.
(2) Der Anpassungsfaktor wird errechnet, indem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer für das vergangene Kalenderjahr durch die entsprechenden Bruttolöhne und -gehälter für das vorvergangene Kalenderjahr geteilt werden; § 68 Absatz 7 und § 121 Absatz 1 des Sechsten Buches gelten entsprechend.
(3) Eine Anpassung nach Absatz 1 erfolgt, wenn der nach Absatz 2 berechnete Anpassungsfaktor den Wert 1,0000 überschreitet.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils zum 30. Juni eines Kalenderjahres den Anpassungsfaktor, der für die folgenden zwölf Monate maßgebend ist, im Bundesanzeiger bekannt.
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Gestaltung der Ausweise, ihre Gültigkeit und das Verwaltungsverfahren zu erlassen.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind.
(1) Die Berechnungsgrundlage, die dem Krankengeld, dem Versorgungskrankengeld, dem Verletztengeld und dem Übergangsgeld zugrunde liegt, wird jeweils nach Ablauf eines Jahres ab dem Ende des Bemessungszeitraums an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst und zwar entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 Satz 1 des Sechsten Buches) vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr.
(2) Der Anpassungsfaktor wird errechnet, indem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer für das vergangene Kalenderjahr durch die entsprechenden Bruttolöhne und -gehälter für das vorvergangene Kalenderjahr geteilt werden; § 68 Absatz 7 und § 121 Absatz 1 des Sechsten Buches gelten entsprechend.
(3) Eine Anpassung nach Absatz 1 erfolgt, wenn der nach Absatz 2 berechnete Anpassungsfaktor den Wert 1,0000 überschreitet.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils zum 30. Juni eines Kalenderjahres den Anpassungsfaktor, der für die folgenden zwölf Monate maßgebend ist, im Bundesanzeiger bekannt.
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Gestaltung der Ausweise, ihre Gültigkeit und das Verwaltungsverfahren zu erlassen.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind.
(1) Abweichend von § 154 Absatz 1 beträgt die Pflichtquote für die in § 154 Absatz 2 Nummer 1 und 4 genannten öffentlichen Arbeitgeber des Bundes weiterhin 6 Prozent, wenn sie am 31. Oktober 1999 auf mindestens 6 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigt hatten.
(2) Eine auf Grund des Schwerbehindertengesetzes getroffene bindende Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung, eines Grades der Behinderung und das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale gelten als Feststellungen nach diesem Buch.
(3) Die nach § 56 Absatz 2 des Schwerbehindertengesetzes erlassenen allgemeinen Richtlinien sind bis zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 224 weiter anzuwenden, auch auf Inklusionsbetriebe.
(4) Auf Erstattungen nach Kapitel 13 dieses Teils ist § 231 für bis zum 31. Dezember 2004 entstandene Fahrgeldausfälle in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden.
(5) Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Absatz 2 erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Absatz 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der auf Grund des § 30 Absatz 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.
(6) Bestehende Integrationsvereinbarungen im Sinne des § 83 in der bis zum 30. Dezember 2016 geltenden Fassung gelten als Inklusionsvereinbarungen fort.
(7) Die nach § 22 in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bis zu diesem Zeitpunkt errichteten gemeinsamen Servicestellen bestehen längstens bis zum 31. Dezember 2018. Für die Aufgaben der nach Satz 1 im Jahr 2018 bestehenden gemeinsamen Servicestellen gilt § 22 in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung entsprechend.
(8) Bis zum 31. Dezember 2019 treten an die Stelle der Träger der Eingliederungshilfe als Rehabilitationsträger im Sinne dieses Buches die Träger der Sozialhilfe nach § 3 des Zwölften Buches, soweit sie zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach § 8 Nummer 4 des Zwölften Buches bestimmt sind.
(9) § 221 Absatz 2 Satz 1 ist mit folgender Maßgabe anzuwenden:
- 1.
Ab dem 1. August 2019 beträgt der Grundbetrag mindestens 80 Euro monatlich. - 2.
Ab dem 1. Januar 2020 beträgt der Grundbetrag mindestens 89 Euro monatlich. - 3.
Ab dem 1. Januar 2021 beträgt der Grundbetrag mindestens 99 Euro monatlich. - 4.
Ab dem 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 beträgt der Grundbetrag mindestens 109 Euro monatlich.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 20.
3Seine gesetzlichen Vertreter (Eltern) beantragten für den am 00.00.0000 geborenen Kläger am 02.07.2014 u. a. die Feststellung eines GdB.
4Zur Begründung wiesen sie auf eine Sehbehinderung des Klägers hin und fügten einen Arztbrief der Klinik für Augenheilkunde der Universitätsklinik der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen (RWTH) (Uniklinik Aachen) vom 17.12.2013 bei.
5Der Beklagte holte eine erste gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Augen-heilkunde Prof. Dr. C. sodann einen weiteren Arztbrief der Uniklinik Aachen vom 16.09.2014 und eine zweite Stellungnahme des Prof. Dr.Certram ein. Nach einer zusätzlichen gutachterlichen Stellungnahme der Sozialmedizinerin Achten stellte er mit Bescheid vom 14.11.2014 bei dem Kläger einen GdB von 20 fest.
6Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2014 durch seine gesetzliche Vertreterin Widerspruch ein. Da der Visus binokular nur 0,1 betrage sei allein deshalb der Tabelle der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) zufolge ein GdB von 70 festzustellen. Hinzu trete ein Nystagmus des Klägers.
7Der Widerspruch wurde mit Widerspruchbescheid der Bezirksregierung Münster vom 08.12.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
8Hiergegen hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 05.01.2015 Klage erhoben. Nach den Visuswerten wie sie im Bericht der Uniklinik Aachen vom 16.09.2014 ausgewiesen seien, betrage der GdB unter Berücksichtigung des Teils B Nr. 4 der Anlage 2 zur Versorgungsmedizin-Verordnung nach der Tabelle der DOG 60. Diese sei der Feststellung auch zugrunde zu legen, da eine Ausnahme für Kleinkinder nicht festgehalten worden sei. Soweit auf eine altersrelative Sehschärfenminderung abgestellt werde, führe dies dazu, dass bei Kleinstkindern beispielsweise nie ein GdB von 100 festgestellt werden könne.
9Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
10den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.11.2014 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 08.12.2014 zu verpflichten, bei dem Kläger einen höheren Grad der Behinderung als 20 ab Antragstellung festzustellen.
11Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie bezieht sich insbesondere auf die im Laufe des Verfahrens abgegebenen schriftlichen Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes. Wenn auch bei augengesunden Kindern bis mindestens zum sechsten Lebensjahr das Sehvermögen noch nicht 1,0 betrage, sondern sich die Sehschärfe noch ausbilde, sei die MdE Tabelle der DOG in Nr. 4.3 der Anlage 2 zur Versorgungsmedizin-Verordnung nicht anwendbar. Denn diese gehe von einem Normalvisus von 1,0 aus. Andernfalls liege beispielsweise bei jedem einjährigen Kind trotz normaler Entwicklung der Augenfunktion ein GdB von 40 vor.
14Das Gericht hat gem. §§ 103, 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines unter dem 02.07.2015 erstellten schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. X. Unter dem 12.10.2015 hat der Sachverständige auf Aufforderung des Ge-richts eine ergänzende schriftliche Stellungnahme zu seinem Gutachten abgegeben. Während er zunächst unter einfacher Subsumtion der jeweils dokumentierten Visuswerte unter die "MdE-Tabelle der DOG einen sich von 70 (Februar 2014) auf 50 (ab Januar 2015) verringernden GdB befürwortet hat, hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme den GdB ab der Geburt des Klägers mit 20 eingeschätzt.
15Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Ge-richtsakte verwiesen.
16Entscheidungsgründe:
17Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGG) ist unbegründet.
18Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 14.11.2014 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 08.12.2014 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von über 20.
19I. Anspruchsgrundlage für die Feststellung von Behinderungen und des Grades der Be-hinderung ist § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB-IX). Gem. § 69 SGB IX hat die Behörde auf einen entsprechenden Antrag des Behinderten bzw. dessen gesetzlicher Vertreter das Vorliegen einer Behinderung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und den Grad der Behinderung – nach Zehnergraden abgestuft und nur soweit ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt – festzustellen. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
20Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) tatrichterliche Aufgabe. Bei der Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen hat das Gericht grundsätzlich ärztliches Fachwissen heranzuziehen (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - m. w. N.; Urteil vom 29.11.1956 - 2 RU 121/56 - BSGE 4, 147, 149 f; Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - BSGE 62, 209, 212 f = SozR 3870 § 3 Nr. 26 S 83; Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO Rn. 23 m.w.N; Urteil vom 25. Oktober 2012 – B 9 SB 2/12 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 16, Rn. 28). Bei der Be-messung des GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Das Tatsachengericht hat über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Für die Feststellung des GdB sind nach § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX in diesem Zusammenhang seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 des Bundes-versorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122) mit deren Anlage zu § 2 - "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG), maßgebend. Die darin niedergelegten Bewertungen beruhen auf dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand. Sie bilden den maßgeblichen Anhalt zur Ermittlung des GdB und zur Auslegung des § 2 SGB IX. Die VMG dienen damit der gleichmäßigen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Schwerbehindertenrechts wie dies zuvor die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" - AHP – getan haben und entfalten, wie schon die AHP, im Charakter eines antizipierten Sachverständigengutachtens normähnliche Wirkung (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 22, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19 und SozR 4-3250 § 69 Nrn. 2 und 9 sowie BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6)
21Bei ihrer Anwendung gilt Grundsatz der sogenannten objektiven Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.1989 – 2 RU 42/88), d. h. wenn sich nicht mit Sicherheit, d. h. zweifelsfrei feststellen lässt, dass die in den VMG typisierten Teilhabebeeinträchtigungen vorhanden sind, ist die Klage abzuweisen. Dies ist Gegenstand tatrichterlicher Überzeugungsbildung (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – B 9 SB 2/12 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 16, Rn. 42).
22II. Unter Beachtung dieser rechtlichen Bestimmungen und Beurteilungsmaßstäbe ist bei dem Kläger vom Zeitpunkt der Antragstellung am 02.07.2014 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als einzige Gesundheitsstörung eine Funktionsstörung der Augen festzustellen, für die sich kein höherer GdB als 20 objektivieren lässt.
23Gem. Ziff. 4 VMG umfasst die Sehbehinderung alle Störungen des Sehvermögens, die durch ein morphologisches Korrelat erklärbar sind. Für die Beurteilung ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe maßgebend. Die Sehschärfe ist grundsätzlich entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) nach DIN 58220 zu bestimmen; Abweichungen hiervon sind jedoch in Ausnahmefällen – etwa bei Kleinkindern, zu denen der am 15.12.2012 geborene Kläger zu zählen ist – zulässig. Die Grundlage für die Bestimmung die Beurteilung des GdB bei Herabsetzung der Sehschärfe bildet die MdE-Tabelle aus dem Jahr 1981, die in Ziff. 4.3 VMG mit dem Hinweis enthalten ist, dass die augenärztliche Untersuchung die Prüfung der einäugigen und beidäugigen Sehschärfe umfasst (S. 1) und dass, sind die Ergebnisse beider Prüfungsarten unterschiedlich, bei der Bewertung die beidäugige Sehschärfe als Sehschärfenwert des besseren Auges anzusetzen ist.
24Der Kläger leidet an einem kongenitalen, feinen, mittelgroßen Pendelnystagmus, der mit einer Verringerung der Sehschärfe einhergeht. Relevante weitere Auswirkungen des Nys-tagmus werden durch den Sachverständigen Prof. Dr. X nicht festgestellt
25Bestimmungen des Visus mittels des kleinst- und kleinkindgerechten sog. Cardiff-Tests (pereferential looking test, Prüfung der Gittersehschärfe) (s. zu dessen Entwicklung: Adoh/ Woodhouse et. al.: The Cardiff Test: A New Visual Acuity Test for Toddlers and Children with Intellectual Impairment. A Preliminary Report in: Optometry and Vision Science, Vol. 69 No. 6 (1992), pp. 427-432) sind bei dem Kläger im Alter von 12 Monaten (Arztbrief der Klinik für Augenheilkunde der RWTH Aachen vom 17.12.2013 – nur binokular), 21 Monaten (Arztbrief der Klinik für Augenheilkunde der RWTH Aachen vom 16.09.2014), 25 Monaten (Untersuchungsbericht der Klinik für Augenheilkunde der RWTH Aachen vom 12.01.2015) und 2,5 Jahren (Untersuchung des Sachverständigen Prof. Dr. X vom 30.06.2015 – nur binokular) durchgeführt worden. In der gutachterlichen Untersuchung des Sachverständigen ist zudem erstmals ein sog. Lea Test (Symbole) eingesetzt worden.
261. In Anwendung der "MdE Tabelle" der DOG resultierten im Verlauf tendenziell abnehmende GdB-Äquivalente von 70 (Arztbrief der Klinik für Augenheilkunde der RWTH Aachen vom 17.12.2013) bis 5-10 (Untersuchungsbericht vom 12.01.2015 und Cardiff-Testergebnis vom 30.06.2015). Der bei deutlich voneinander abweichenden Visuswerten im Cardiff-Test ei-nerseits und im Lea-Test andererseits durch den Sachverständigen eingeschätzte Visus von 0,2 bds. zum Untersuchungszeitpunkt Ende Juni 2015 würde übertragen auf die "MdE-Tabelle" der DOG einen GdB von 50 bedeuten.
27Ob die in Ziff. 4.3 VMG aufgenommene Tabelle für die Bestimmung des GdB bei Kleinkindern Anwendung finden kann bzw. muss wird von den Beteiligten unterschiedlich gesehen. Soweit der Kammer ersichtlich ist diese Frage bislang kein Rechtsprechungsgegenstand gewesen.
282. Nach Auffassung der Kammer kann die "MdE-Tabelle" der DOG nicht ohne weiteres auf Kleinkinder angewendet werden. Bereits dargelegt worden ist, dass gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX Menschen behindert sind, wenn u. a. ihre körperliche Funktion ( ) von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Ge-sellschaft beeinträchtigt ist. Die Relation des tatsächlichen zum lebensaltertypischen Zu-stand ist dabei nicht nur für das Vorliegen einer Behinderung schlechthin, sondern auch für deren Grad maßgeblich. Dies ergibt sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang mit § 69 Abs. 1 SGB IX. Danach ist in Bezug auf die vorliegende Behinderung eine nach Zehnergeraden abgestufte Feststellung zu treffen, die sich an den Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft orientiert (S. 4). Diese Auswirkungen sind gem. § 2 Abs. 1 Abs. 1 SGB IX aber von einem Vergleich zum lebensaltertypsischen Zustand nicht zu lösen, der hiernach in die Teleologie eines graduell präzisierten Ausgleiches finaler Teil-habebeeinträchtigungen integriert ist. Teil A Ziff. 2 lit. c) VMG bestätigt dies. Der GdB (nicht nur die Feststellung einer Behinderung an sich) setzt danach stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern ( ) zu beachten (S. 2).
29Daher führt die Argumentation der Kläger-Bevollmächtigten nicht weiter, wenn sie darauf verweisen, Ziff. 4(.3) VMG sehe keine Ausnahme in Bezug auf die Bestimmung vor, dass Grundlage für die Beurteilung des GdB in Bezug auf die Sehschärfe die "MdE-Tabelle der DOG" ist, soweit diese alters- bzw. entwicklungsbedingte Minderungen der Sehschärfe bei Kleinkindern nicht bedenkt. Denn allgemeine Grundsätze diktieren gerade eine abweichende Bewertung des GdB. Auch der Umstand, dass insbesondere in den ersten Lebensmonaten die Feststellung eines (hohen) GdB jedenfalls abseits einer organisch offenliegenden Blindheit kaum möglich erscheint vermag unter der gesetzlichen Zielsetzung des Ausgleiches nur altersuntypischer Teilhabebeeinträchtigungen über die voranliegende Feststellung des GdB nicht die Anwendung der "MdE Tabelle der DOG" auf Kleinkinder vorzugeben, wie die Bevollmächtigten des Klägers meinen.
30Die Tabelle in Ziff. 4.3 VMG geht von einem Normal-, d.h. von einem alterstypischen kor-rigierten Visus von 0,8-1,0 (GdB 0) aus. Eine solche Sehschärfe hat jedoch auch ein au-gengesundes Kind im Alter des Klägers (zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung drei Jahre) zweifellos nicht. Es existiert keine altersrelative Bestimmung des Normalvisus an dem Wert 1,0. Nach der Leitlinie 26 a der DOG (Amblyopie) (S. 2-4, Tabelle zum Normvisus bei Säuglingen und Kleinkindern) hat ein gesundes Neugeborenes einen Visus von 0,01, einen Monat später von 0,02 (im pereferential looking test), mit 12 Monaten sind 0,25 und mit 3 Jahren 0,5 altersentsprechend (im Symbol-Test-vgl. Lea-Symbole). Mit 4 Jahren wird im Symbol-Test und im Test mit Landolt- Ringen Einzelprototypen eine Sehschärfe von 0,8 – 1,0 erzielt. Bei alterseingeschränkten Anwendung der "MdE Tabelle der DOG" wäre danach z. B. bei einem gesunden einjährigen Kind ein GdB von 40 festzustellen. Erst bei Kindern ab 6 Jahren betrachtet man nach der Leitlinie 26a der DOG, S. 2, bestkorrigierte Visuswerte von 0,8 oder weniger (Einzelsehzeichnen) als subnormal.
313. Die Sehschärfe bleibt danach – wie vom Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme geschehen – in Relation zum für das Lebensalter typischen Zustand zu beurteilen. Dabei sind Normbandbreiten unter Berücksichtigung der Art des jeweils durchgeführten Sehtest zu berücksichtigen; eine DIN Normierung (der DOG) für die Be-stimmung der Sehschärfe bei Kleinkindern kann von Ziff. 4 VMG nicht in Bezug genommen werden.
32Bei der Bestimmung des GdB orientiert sich die Kammer unter Berücksichtigung dessen an Ziff. 4.3 der VMG unter der Maßgabe, dass der altersentsprechende Visus ins Verhältnis zur tatsächlichen Sehschärfe des Klägers gesetzt wird. Hiernach lässt sich unter Beachtung der Entwicklung der Sehschärfe des Klägers mit der zutreffenden Einschätzung des Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.10.2015 ein höherer GdB des Klägers als 20 vom Zeitpunkt der Antragstellung beim Beklagten am 02.07.2014 bis zum Tag der mündlichen Verhandlung nicht feststellen.
33a) Am 17.12.2013, im Alter von 12 Monaten, erreichte der Kläger im Cardiff-Test eine bi-nokular gemessene Sehschärfe von 0,1. Monukular konnte der Visus bei seitengleicher Abwehr gegen eine Okklusion nicht erhoben werden. Der Normalvisus nach der Leitlinie 26a der DOG beträgt in diesem Alter 0,25. Hiernach lässt eine relative Sehkraft von 0,4 bds. (0,1./. 0.25) annehmen, so dass in Anlehnung an die "MdE Tabelle der DOG" ein GdB 20 resultiert. Allerdings ist der in der Leitlinie 26a der DOG angegebene Wert das Normergebnis eines auf Lea-Symbole übertragbaren Tests (Lithander`s Kolt-Test oder Hamburger H-Test). Da mit dem Cardiff-Test die Gittersehschärfe geprüft wird und nach den Darlegungen des Sachverständigen diese bei Patienten mit Nystagmus besser als die mit einem Normseh-zeichen geprüfte Sehschärfe ist, ist diese Aussage zunächst zwar zu relativieren. Mit den weiteren Ausführungen des Sachverständigen lässt sich eine – zwar gleichfalls nur annäherungsweise – Bestimmung der Sehschärfe über das Ergebnis des Cardiff-Tests jedoch erzielen, indem man das Ergebnis mit den Werten vergleicht, die die Arbeitsgruppe, die den Test entwickelt hat (s. Adoh und Margaret et. al. a.a.O.) für augengesunde Klein-kinder beschreibt (Folgeveröffentlichung von Adoh/ Woodhouse, The Cardiff Acuity Test Used for Measuring Visual Acuity Development in Toddlers, in: Vision Research Vol. 34, No. 4 (1994), pp. 555-560; ferner: Rosenfield/ Logan, Science, Techniques and Clinical Ma-nagement, 2. Aufl. 2004, S. 447; Dietze, Die optometrische Untersuchung, 2. Aufl. 2008, S. 41, Tab. 3.3; Kaufmann, Strabismus, 4. Aufl. 2012, S. 102). Hiernach liegt der Normbereich für das Alter von 12 bis 17,9 Monaten binokular bei 0,125 bis 0,5. Nach dem Mittelwert von 0,19 ergäbe sich allerdings eine relative Sehkraft des Klägers sogar von rund 0,526 bds., einem GdB von nur 10 entsprechend. Dabei ist die Ansetzung des Mittelwertes bereits günstig, weil mit fortschreitendem Alter die (Gitter)sehschärfe besser wird und der Kläger am Untersuchungstag des 17.12.2013 gerade 1 Jahr alt war und daher im jüngeren Bereich der Referenzaltersgruppe lag.
34Ein weiterer Cardiff-Test wurde am 16.09.2014 durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 21 Monate alt. Hier lag der der Visus binokuar bei 0,16 und monokular rechts bei 0,16, links bei 0,1. Ein normaler Visus nach der Leitlinie 26a der DOG ist nicht zu bezeichnen, da nach dem Eintrag für das Alter von 12 Monaten erst für das Alter von 3 Jahren wieder die Sehschärfe eines augengesunden Kindes dargestellt wird. Der Normalvisus der Referenzaltersgruppe von 18-23,9 Monaten ausgengesunder Kinder im Cardiff-Test liegt binokular bei 0,25 bis 0,8 (Mittelwert 0,525) bzw. monukular bei 0,176-0,75 (Mittelwert 0,463). Die Sehschärfe des Klägers beträgt in Relation dazu 0,346 (0,16./. 0,463) rechts und 0,216 (0,1./.0,463) links. Dies entspricht in Anlehnung an die "MdE-Tabelle der DOG" einem GdB von "schwach" 30.
35Am 20.01.2015, im Alter von 25 Monaten, erreichte der Kläger im Cardiff-Test eine Seh-schärfe von links und rechts je 0,6, binokular indes von 0,8. Aufgrund der Lücke zwischen 12 Monaten und 3 Jahren und eines differenten Referenztests erscheint die Tabelle für Visuswerte augengesunder Kinder der DOG in der Leitlinie 26a wiederrum nicht sinnvoll, wenngleich festgehalten werden kann, dass hiernach sich der Visus mit 3 Jahren erst auf 0,5 entwickelt hat. Den Normvisus der Referenzaltersgruppe augengesunder Kinder im Cardiff-Test betrachtend ergibt sich folgende Annäherung: Im Alter von 24-29,9 Monaten beträgt der Normalvisus binokular 0,4-0,8 (Durchschnitt 0,6), monokular 0,286-1,0 (Durchschnitt 0,643). Ein GdB des Klägers lässt sich hier nicht erkennen.
36Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung des Sachverständigen Prof. Dr. X am 30.06.2015 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 2,5 Jahre alt - wurde erstmals ein Sym-bol-Test (Lea (LH)- Test) mit dem Kläger durchgeführt. Der (Fern)visus wurde dabei bi-nokular mit 0,2 bzw. monokular rechts mit 0,06 und links mit 0,08 gemessen. Der Normalwert nach der Leitlinie der DOG 26a ließe sich aus den Eintragungen für 12 Monate und 3 Jahre als Referenzgrößen mit den Darlegungen Prof. Dr. X auf 0,4375 taxieren. Daran gemessen beträgt die altersrelative Sehkraft des Klägers – ausgehend von der Betrachtung der monokularen Werte unter Beachtung des Satzes 2 der Ziff. 4.3 VMG - rechts von 0,137 und links von 0,457. Unter Rückgriff auf die "MdE-Tabelle der DOG" entspricht dies einem GdB von 30. Mit der Tabelle in der Leitlinie 26a der DOG die bds. Sehschärfe betrachtend, ergibt sich unter Beachtung der Wertungen der "MdE-Tabelle der DOG" hingegen ein GdB zwischen 10 und 20 bei einer relativen Sehkraft von 0,457 (0,2./.0,457). Bei dem Kläger ist die binokulare Sehschärfe signifikant besser.
37Hinzu tritt, dass der Sachverständige darauf hinweist, dass die Sehschärfe möglicherweise unterschätzt, der GdB insofern überschätzt werde, weil der LH-Test mit dem Kläger in der gutachterlichen Untersuchung erstmalig durchgeführt worden ist. Es sei nicht auszu-schließen, dass sich bei einer Vertrautheit mit diesem Test infolge länger anhaltender Konzentration bessere Werte ergäben. Andererseits werde bei einem Nystagmus mit längeren Testzeiten die Sehschärfe etwas überschätzt. In summa geht der Sachverständige von einer Sehschärfe von 0,2 binokular aus. Dies entspräche einer altersrelativen Sehkraft von 0,457 bzw. einem GdB von 10-20 (s.o).
38Im ebenfalls nochmals durchgeführten Cardiff-Test, in dem der Sachverständige einzig den binokularen Visus gemessenen hat, ergab sich ein Wert von 0,6. Für die Referenzalters-gruppe von 30-36 Monaten wird eine Normalwertspanne von 0,5 bis 1,0 (Mittelwert 0,75) beschrieben. Bei einer relativen Sehschärfenminderung von 0,8 lässt sich hieraus kein GdB des Klägers ableiten.
39b) Nach alledem lässt sich ein höherer GdB als 20 nicht objektivieren.
40aa) Der klinische Eindruck in der Untersuchung des Sachverständigen steht damit in Ein-klang. Der Kläger war visuell interessiert an Lichtern, an Gesichtern, an buntem Spielzeug und Rasseln. Er nahm Blickkontakt auf, fand Dinge auf dem Boden und spielte unter visueller Kontrolle. Große Bilder erkannte er gut, bei kleinen Bildern verwechselte er dargebotene Tiere. Anamnestisch beschrieb die Mutter des Klägers Probleme beim Erkennen größerer Gegenstände in der Ferne, während in der Nähe zum Teil auch kleine Dinge erkannt würden.
41bb) Die Kammer hält es unter Bezugnahme auf Teil A Ziff. 2 f) S. 3-5 VMG für geboten, den streitgegenständlichen Zeitraum vom 02.07.2014 (Antragstellung) bis zum 12.01.2016 (Tag der mündlichen Verhandlung) einheitlich unter Beachtung des durchschnittlichen Ausmaßes der Beeinträchtigung im Verlauf zu betrachten und zu bewerten. Bereits die Bandbreite als normal zu bezeichnender Visuswerte im Verlauf der Reifung der kleinkindlichen Sehbahn bis ca. zum 6. Lebensjahr und die Einschränkungen einer genauen Untersuchung (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. November 2013 – L 15 BL 4/11 –, Rn. 56, juris; vgl. auch Dietze, Die optometrische Untersuchung, 2. Aufl. 2008, S. 41 unter Hinweis darauf, dass etwa Motivation und Kooperation z. T. erhebliche Unterschiede bedingen) legt die Beachtung einer Entwicklung nahe. Die Bewertung des GdB anhand eines einzelnen Sehtestergebnisses bis zum nächsten ist hingegen nicht zutreffend. Vorliegend ist im Verlauf zu erkennen, dass die Entwicklung/ Verbesserung der Sehschärfe des Klägers durch die Reifung der Sehbahn grob der eines augengesunden Kindes entspricht, der Visus aber im Querschnitt dahinter – nicht mehr als etwa 5/12 bds. - zurückbleibt.
42III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.
(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.
(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.
(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.
(1) Hilfsmerkmale sind
- 1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen, - 2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, - 3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.
(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.
(1) Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 152 Absatz 5 im Nahverkehr im Sinne des § 230 Absatz 1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist.
(2) Die Wertmarke wird gegen Entrichtung eines Betrages von 80 Euro für ein Jahr oder 40 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Der Betrag erhöht sich in entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt. Liegt dieser Zeitpunkt innerhalb der Gültigkeitsdauer einer bereits ausgegebenen Wertmarke, ist der höhere Betrag erst im Zusammenhang mit der Ausgabe der darauffolgenden Wertmarke zu entrichten. Abweichend von § 160 Absatz 3 Satz 4 sind die sich ergebenden Beträge auf den nächsten vollen Eurobetrag aufzurunden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt den Erhöhungsbetrag und die sich nach entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 Satz 3 ergebenden Beträge im Bundesanzeiger bekannt.
(3) Wird die für ein Jahr ausgegebene Wertmarke vor Ablauf eines halben Jahres ihrer Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag die Hälfte der Gebühr erstattet. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der schwerbehinderte Mensch vor Ablauf eines halben Jahres der Gültigkeitsdauer der für ein Jahr ausgegebenen Wertmarke verstirbt.
(4) Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach Absatz 2 in seiner jeweiligen Höhe zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,
- 1.
die blind im Sinne des § 72 Absatz 5 des Zwölften Buches oder entsprechender Vorschriften oder hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften sind oder - 2.
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches, dem Achten Buch oder den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten oder - 3.
die am 1. Oktober 1979 die Voraussetzungen nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 4 und Absatz 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978), das zuletzt durch Artikel 41 des Zuständigkeitsanpassungs-Gesetzes vom 18. März 1975 (BGBl. I S. 705) geändert worden ist, erfüllten, solange ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 70 festgestellt ist oder von mindestens 50 festgestellt ist und sie infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind; das Gleiche gilt für schwerbehinderte Menschen, die diese Voraussetzungen am 1. Oktober 1979 nur deshalb nicht erfüllt haben, weil sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten.
(5) Die Wertmarke wird nicht ausgegeben, solange eine Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Absatz 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes in Anspruch genommen wird. Die Ausgabe der Wertmarken erfolgt auf Antrag durch die nach § 152 Absatz 5 zuständigen Behörden. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann die Aufgaben nach den Absätzen 2 bis 4 ganz oder teilweise auf andere Behörden übertragen. Für Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ausgabe der Wertmarke gilt § 51 Absatz 1 Nummer 7 des Sozialgerichtsgesetzes entsprechend.
(6) Absatz 1 gilt im Nah- und Fernverkehr im Sinne des § 230, ohne dass die Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 2 erfüllt sein muss, für die Beförderung
- 1.
einer Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist, und - 2.
des Handgepäcks, eines mitgeführten Krankenfahrstuhles, soweit die Beschaffenheit des Verkehrsmittels dies zulässt, sonstiger orthopädischer Hilfsmittel und eines Führhundes; das Gleiche gilt für einen Hund, den ein schwerbehinderter Mensch mitführt, in dessen Ausweis die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist, sowie für einen nach § 12e Absatz 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes gekennzeichneten Assistenzhund.
(7) Die durch die unentgeltliche Beförderung nach den Absätzen 1 bis 6 entstehenden Fahrgeldausfälle werden nach Maßgabe der §§ 231 bis 233 erstattet. Die Erstattungen sind aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) ausgenommen.
(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.
(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.
(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.
(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.
(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit
- 1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes, - 2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat, - 3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse, - 4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind, - 5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs), - 6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet, - 7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.
(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit
- 1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes, - 2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr, - 3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.
(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.
Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.
(1) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen „G“ geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist.
(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.
(3) Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Entscheidungsgründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Gründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten sind die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" streitig.
3Der Beklagte stellte bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger mit Bescheid vom 24.01.2011 aufgrund von Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Gliedmaße sowie seelischer Beeinträchtigung und Schmerzkrankheit einen GdB von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "G" fest.
4Am 10.02.2012 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, die Feststellung eines höheren GdB sowie des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG". Hierbei gab er an, sein gesundheitlicher Zustand habe sich so verschlechtert, dass er ohne Rollator das Haus nicht mehr verlassen könne. Er könne mit Rollator Wegstrecken von allenfalls noch 50 bis 100 m zurücklegen.
5Der medizinische Dienst des Beklagten wertete Arztberichte der Klinik für Manuelle Therapie, der Klinik am Park, der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums B, der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums B sowie Befundberichte des Allgemeinmediziners O und der psychiatrischen Institutsambulanz der H aus. Hierbei kam er zu der Einschätzung, die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule seien weiter mit einem GdB von 40, die Funktionsbeeinträchtigung der unteren Gliedmaße weiter mit einem GdB von 30 und die seelische Beeinträchtigung mit Schmerzkrankheit ebenfalls weiter mit einem GdB von 30 zu bewerten. Der Gesamt-GdB sei ebenfalls mit 60 weiterhin zutreffend, da weder eine wesentliche Besserung noch eine wesentliche Verschlechterung ersichtlich seien. Die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" komme nicht in Betracht, weil ein Gehvermögen, das bereits ab dem ersten Schritt auf das Schwerste eingeschränkt ist, nicht beschrieben werde.
6Mit Bescheid vom 17.04.2012 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung sowie des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" ab.
7Am 18.05.2012 legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, der Schmerzzustand des Klägers würde bislang nicht zutreffend bewertet. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger kaum in der Lage sei, sich noch fortzubewegen. Ohne Gehhilfe, insbesondere Rollator, sei ihm eine Bewegung gänzlich unmöglich. Selbst beim Duschen bedürfe er ständiger Hilfen. Der Kläger müsse sich nach dem Duschen wegen Stehproblemen und Schmerzen in den Füßen auf einen Hocker setzen. Ein Stehen sei ihm dann nicht mehr möglich. Nach dem Ankleiden suche er auch sofort eine Sitzmöglichkeit auf. Gehen sei ihm schlichtweg unmöglich. Er brauche für eine Strecke von max. 300 m mindestens eine Zeit von 30 Minuten. Der Kläger reichte zur weiteren Begründung Arztberichte der Klinik für Anästhesie und Schmerzmedizin der N zu den Akten. Auch hierzu nahm der ärztliche Dienst des Beklagten Stellung
8Mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2012 wies die Bezirksregierung N den Widerspruch als unbegründet zurück.
9Am 26.09.2012 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben.
10Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Orthopädie, Rheumatologie und spezielle Schmerztherapie Dr. Q. Auf Antrag des Klägers hat das Gericht zudem ein schmerztherapeutisches Gutachten des Klinikdirektors der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und spezielle Schmerztherapie Dr. X eingeholt. Darüber hinaus haben beiden Gutachten eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Auch die Beteiligten haben sich zu den Gutachten geäußert. Das Gericht hat schließlich ein Pflegegutachten des N vom 03.04.2014 beigezogen.
11Am 19.08.2014 hat der Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, an dem der Kläger persönlich teilgenommen hat. Im Rahmen des Termins hat eine In-Augenscheinnahme des Gangbildes des Klägers stattgefunden.
12Der Kläger beantragt,
13den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2012 zu verurteilen, bei ihm ab dem 10.02.2012 einen Grad der Behinderung von mindestens 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" festzustellen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen
16Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Darüber hinaus nimmt er Bezug auf die Ausführungen seines medizinischen Beraters im vorliegenden Verfahren.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da bei ihm weder ein höherer GdB als 60 (dazu unter 1.) noch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" festzustellen ist (dazu unter 2.). Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
201.
21Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
22Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
23Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
24Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
25Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
26Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter
27a) Zustand nach Repositionspondylodese Th10-L2 bei segmentaler Instabilität Dezember 2010 mit chronifiziertem Schmerzsyndrom, Infekt bei Spinalkatheter, leichtgradige Funktionsstörung der Halswirbelsäule bei degenerativen Veränderungen im atlantoaxialen Gelenk sowie Bandscheibenprotrusion HWK 4/5 b) Zustand nach Fersenbeinbruch bds., Zustand nach USG-Arthrodese links 2006 mit Knochenspanentnahme, posttraumatische untere Sprunggelenksarthrose rechts, Hyperurikämie, Knicksenkfuß c) Depressive Störung, chronisches Schmerzsyndrom (MPSS III nach Gerbershagen), Zustand nach Alkoholabusus bis 1989 d) Therapiepflichtige arterielle Hypertonie ohne kardiovaskuläre Folgen
28Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie insbesondere dem Gutachten der Frau Dr. Q fest.
29Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln.
30Demgegenüber vermag das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. X nach Auffassung der Kammer nicht zu überzeugen. Dies bezieht sich freilich – auf diese Feststellung legt die Kammer Wert – nicht auf die schmerztherapeutischen Diagnosen und die – im Übrigen vom Gutachter nicht erfragten – Prognose und Therapievorschläge. Hinsichtlich der Feststellungen, dass bei dem Kläger nach stattgehabten Wirbelsäulenoperationen eine Schmerzchronifizierung stattgefunden hat, sind sich beide Gutachter einig. Während das Gutachten der Frau Dr. Q allerdings versucht, die Angaben des Klägers zur Schmerzintensität und Schmerzlokalisation zu objektivieren, beruhen die Feststellungen – und letztlich auch die Schlussfolgerungen – im Gutachten des Dr. X größtenteils auf den subjektiven Angaben des Klägers. Es entspricht nach Auffassung der Kammer damit auch nicht im gebotenen Maße den Vorgaben der Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM), des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) – Leitlinie Schmerzbegutachtung. Das Gutachten des Dr. X lässt – dies steht zur Überzeugung der Kammer fest – die gebotene klare Trennung zwischen therapeutischer Tätigkeit und den geforderten unparteilichen Feststellungen eines gerichtlichen Gutachters vermissen. Dies zeigt sich insbesondere in der bereits geschildeten weitgehend unkritischen Übernahme der Angaben des Klägers insbesondere hinsichtlich der Intensität des Schmerzes. Die Kammer verkennt nicht, dass gerade die Quantifizierung von Schmerzen ein erhebliches Problem darstellt, zumal nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand bildgebende oder neurophysiologische Verfahren nicht geeignet sind, das Ausmaß von Schmerzen darzustellen (vgl. Ziffer 2 der Leitlinie Schmerzbegutachtung). Es wird daher weitgehend als erforderlich angesehen, konkrete Nachweise körperlicher und/oder psychischer Beeinträchtigungen im Alltagsleben zu erbringen, die geeignet sind diese Schmerzen zu erklären. Während die Gutachterin Dr. Q hier entsprechende Feststellungen trifft und anhand derer die Angaben des Klägers kritisch hinterfragt, findet dies nach Auffassung der Kammer im Gutachten des Dr. X zu wenig statt. Die Auswertung von Selbsteinschätzungsskalen und Fragebögen kommt demgegenüber – nach Ansicht der oben genannten Fachgesellschaften, der sich die Kammer anschließt – in einer Begutachtungssituation keine besonders starke Aussagekraft zu. Das Gutachten des Dr. X stützt sich aber zu einem erheblichen Teil gerade auf die in diesem Rahmen abgegeben Selbsteinschätzungen des Klägers, was schmerztherapeutisch, lege artis sein mag (vgl. dazu etwa Heisel/Jerosch, Schmerztherapie der Halte- und Bewegungsorgane, 2007, S. 21 ff.; Spies/Kastrup/Kerner/Melzer-Gartzke/Zielke/Kox, SOPs in Anästhesiologie und Schmerztherapie, S. 500 ff.; Standl/Treede, Schmerztherapie, 2. Aufl. 2010, S. 64 f.) und was auch ein Baustein einer gutachterlichen Bewertung der Frage chronischer Schmerzen ist (vgl. dazu etwa BSG Beschluss vom 09.04.2003 – B 5 RJ 80/02 B = juris), jedoch für sich allein nicht den Anforderung eines sozialgerichtlichen Gutachtens gerecht wird (so zu Recht Leitlinie Schmerzbegutachtung Ziffer 2). Auch Dr. Q arbeitete in ihrem Gutachten mit Schmerzfragebögen, unterzog deren Ergebnis sodann aber einer kritischen Würdigung unter Berücksichtigung der objektivierten Beschwerden.
31Für das Funktionssystem der Wirbelsäule sind beim Kläger insbesondere die Auswirkungen der durchgeführten Operationen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule zu berücksichtigen. Im Rahmen der Untersuchung durch Frau Dr. Q zeigte der Kläger eine ausgeprägte Anteflexionshaltung der gesamten Wirbelsäule mit vermehrter Kyphose der Brustwirbelsäule und Endlordosierung der Lendenwirbelsäule. Das Aufrichten des Klägers erwies sich als stark schmerzhaft. Die Vor-/Rückneigung zeigte sich mit 25°/0°/0° bei starkem Aufrichteschmerz, die Seitneigung wurde mit 15°/0°/15°, die Rotation mit 10°/0°/10° gezeigt, wobei der Kläger bei allen Bewegungen deutliche Schmerzäußerungen zeigte. Das Schobermaß wurde mit 10/11,5 cm und das Maß nach Ott mit 30/31 cm ermittelt, was eine deutliche Entfaltungsstörung der Brust und Lendenwirbelsäule anzeigt. Über dem thorakolumbalen Übergang bestand ein deutlicher Klopfschmerz bei deutlicher Muskeltonusminderung. Es zeigen sich generell und partiell Muskelspannungsstörungen bei erheblichem Druckschmerz über der gesamten unteren Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Im distalen OP- Bereich beschrieb der Kläger Taubheitsgefühle. Im Sitzen zeigte sich die Dreh und Seitneigung der Brust und Lendenwirbelsäule leicht eingeschränkt. Der Oberkörper konnte in Bauchlage ohne Abstützen der Arme von der Unterlage nicht angehoben werden. In der Bauchlage stützte sich der Kläger auf die Unterarme, die vor dem Körper positioniert wurden, wobei er deutliche Schmerzäußerungen vernehmen ließ. Ein leichtes Anheben der gestreckten Beine war in dieser Position möglich. Aus Schmerzgründen war eine entspannte Bauchlage nicht möglich. Es wurden paravertrebral Druckschmerzen mit vermehrter Schmerzwahrnehmung bei Berührung angegeben. Insgesamt zeigte der Kläger viele Ausweichbewegungen beim Drehen des Rumpfes auf der Untersuchungsliege, auch der Langsitz konnte nur unvollständig eingenommen werden mit hinterem Abstützen der Arme auf der Untersuchungsliege. Beim Aufrichten aus der Sitzposition erfolgte vorsichtiges Abstützen, die Schrittfolge ohne Rollator war bei der Untersuchung durch Frau Dr. Q langsam und wirkte unkoordiniert. Motorischer Ausfälle zeigten sich jedoch nicht. Insgesamt zeigten sich im Bereich der Brust und Lendenwirbelsäule hier durchaus schwerere funktionelle Auswirkungen.
32Für den Bereich der Halswirbelsäule ist demgegenüber – trotz nachgewiesener degenerativer Veränderungen im atlantoaxialen Gelenk und Bandscheibenvorwölbung HWK 4/5 - eher von leichtgradigen funktionellen Auswirkungen auszugehen. So wurden die Bewegungsausmaße der Halswirbelsäule wurden bei der Vorwärts-/Rückwärtsneigung mit 40°/0°/30° und bei der Rotation mit 60°/0°/60° ermittelt. Es bestand eine mäßige Muskelatrophie paravertebral mit leichter Druckschmerzhaftigkeit über dem Trapezius. Der Kinn-Brustbeinabstand wurde mit 0/17cm ermittelt. Bei Bewegungsprüfung der Schultergelenke gab der Kläger eine Schmerzausstrahlung in die untere Halswirbelsäule und die obere Brustwirbelsäulen-Region an.
33Dr. X gab ein seinem Gutachten an, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei rechts bei 70° und links bei 60° eingeschränkt – gemeint ist hierbei wohl die Rotation. Der Kläger könne das Kinn nur unter Schmerzen zur Brust bewegen. Die Rückneigung sei nur bis 10° möglich. Bücken könne der Kläger sich nicht, bzw. nur unter starken Schmerzen, wobei er in die Hocke gehen und sich dabei festhalten müssen. Dr. X beschrieb überdies sichtbare Hämatome an der Stirn, am Nasenbein und am Bauch. Diese, so schlussfolgert der Gutachter, seien darauf zurückzuführen, dass der Kläger wohl schon mehrfach mit dem Kopf oder dem Bauch auf den Rollator gefallen sei. Er beschreibt eine motorische Schwäche beider Beine. So falle bei der Flexion gegen Widerstand eine deutliche Kraftminderung des rechten Fußes/Beines auf.
34Unter Berücksichtigung beider Gutachten ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinische Grundsätze im Hinblick auf die erheblichen Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Wirbelsäule von einem GdB von 40 auszugehen, berücksichtigt dies doch die objektivierten schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Die objektivierten Beeinträchtigungen der Halswirbelsäule sind nicht geeignet, den Grad der Behinderung zu erhöhen. Insbesondere erscheint der von Dr. X vorgeschlagene GdB von 60 für den Bereich der Wirbelsäule allein nicht angemessen. Ein solcher Grad der Behinderung wäre - worauf die Gutachterin Dr. Q in ihrer ergänzenden Stellungnahme zutreffend hinweist - bei Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltender Ruhigstellung durch Rumpforthose, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst oder schwerer Skoliose ab 70° nach Cobb, in Ansatz zu bringen. Entsprechende Beeinträchtigungen sind beim Kläger derzeit nicht objektiviert. Die Schmerzproblematik des Klägers wird eigenständig unter Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinische Grundsätze bewertet (dazu unten).
35Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten sind beim Kläger die Beeinträchtigungen durch den stattgehabten beidseitigen Fersenbeinbruch, die Arthrodese des linken unteren Sprunggelenks mit Knochenspanentnahme, die posttraumatische Arthrose des rechten unteren Sprunggelenks, die Hyperurikämie und der Knick Senkfuß zu berücksichtigen. Der Kläger erlitt 1976 nach einem Sturz aus etwa 10 m Höhe aus einem Baum eine Fraktur beider Fersenbeine, aus der sich posttraumatische eine sekundäre Arthrose entwickelte, die 2006 zu einer Versteifung des linken unteren Sprunggelenks mit Knochenspanentnahme führte. Die Versteifungsoperation hat im Bereich des linken Sprunggelenks zu einer Besserung der Schmerzsymptomatik geführt. Rechts klagte der Kläger weiter über erhebliche Schmerzen. Die Beweglichkeit des rechten unteren Sprunggelenks war bei der Begutachtung durch Frau Dr. Q nahezu aufgehoben und es bestanden durchaus starke Bewegungsstörungen. Verstärkt würden diese Schmerzen durch gichtartige Symptome bei Hyperurikämie. Hier nimmt der Kläger eine entsprechende Medikation ein. Beim Gehen beschrieb Frau Dr. Q eine rechtsbetonte Abrollstörung, die Schrittfolge war verkürzt, das Sprunggelenk war verplumpt. Die Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks war ebenfalls eingeschränkt, aber weiter durchaus möglich. Die Bewegung nach Fußrücken-/Sohlenwärts wurde beidseits mit 10°/0°/15° ermittelt. Im rechten unteren Sprunggelenk zeigte sich eine Wackelsteife, die Beweglichkeit des linken unteren Sprunggelenks war aufgehoben. Zudem ist beim Kläger eine deutliche Knickfußstellung beschrieben. Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin an, er verfüge über Einlagen, die er aber nicht regelmäßig trage. Die Bewegungsausmaße der Kniegelenke waren weit gehend unauffällig, die Beugung-/Streckung der Hüftgelenke mit 95°/0°/10° war beidseits eingeschränkt. Im Bereich der Hüfte bestanden überdies von der Lendenwirbelsäule ausgehende in beide Leisten strahlende Schmerzen. Letztere beschreibt auch Dr. Welke in seinem Gutachten. Darüber hinaus finden sich kaum selbst erhobene Befunde in seinem Gutachten. Er beschreibt das Gangbild des Klägers als schleppend und häufig pausierend. Darüber hinaus beschreibt er – wie oben bereits dargelegt - eine Kraftminderung im rechten Bein/Fuß. Im Übrigen gibt er die Angaben und subjektiven Beschwerden des Klägers, ohne diese erkennbar näher zu prüfen.
36Unter Berücksichtigung der objektivierten Feststellungen der Gutachter sowie der vorliegenden Vorbefunde ist im vorliegenden Fall gemäß Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinische Grundsätze weiter von einem GdB von 30 auszugehen. Hierbei wurde aber schon die besondere Schmerzproblematik des Klägers mit berücksichtigt.
37Beim Kläger ist darüber hinaus noch eine ausgeprägte und chronifizierte Schmerzsymptomatik sowie eine depressive Störung gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigten.
38Nach übereinstimmender Feststellung beider Gutachter bestehen bei dem Kläger eine Schmerzchronifizierung im Stadium III MPSS nach Gerbershagen (vgl. zum Mainzer Stadiensystem der Schmerzchronifizierung, Standl/Treede, Schmerztherapie, 2. Aufl. 2010, S. 39 f.). Bei beiden ergaben die Auswertung der klägerseits beantworteten Fragebögen auch jeweils Hinweise auf eine Depression. Es findet auch eine antidepressive Co-Medikation statt. Auch die den Kläger behandelnde psychiatrische Institutsambulanz diagnostizierte beim Kläger in der Vergangenheit eine mittelschwere rezidivierende Depression nebst chronifiziertem Schmerzsyndrom. Dort wurde auch bereist ein sozialer Rückzug mit Antriebsstörung, geminderter Konzentrationsfähigkeit und fehlender Frustrationstoleranz beschrieben. In der Untersuchung bei Frau Dr. Q zeigte sich der Kläger insgesamt sehr auf die Schmerzproblematik fokussiert. Er machte ihr gegenüber deutlich, dass er sich – anders als früher – kaum noch um "Haus und Hof" kümmern könne. Seine Ehefrau müsse in bei fast allen Arbeiten unterstützen, was immer wieder zu Konflikten führe. Auch leide er unter erheblichen Schlafstörungen. Um sich abzulenken löse er Kreuzworträtsel und Sudokus. Entsprechendes gab der Kläger auch gegenüber Dr. X an. Ergänzend erklärte er dort, er fühle sich nur noch selten glücklich. In der Vergangenheit habe er auch Suizidgedanken gehabt, derzeit aber nicht mehr. Hieraus folgert der Gutachter, es liege eine schwere Depression vor. Diese Schlussfolgerung erscheint der Kammer indes weder durch die Feststellungen des Gutachters noch durch die übrigen vorliegenden Befunde gedeckt. So beschreiben sowohl Dr. Q als auch Dr. X jeweils Beeinträchtigungen der Affektivität, des Antriebs und des Denkens, die nach ICD 10 F 32 zwar durchaus die Diagnose einer Depression rechtfertigen. Danach gilt nämlich, dass "bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität leidet. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust."
39Die Frage, ob von einer leichten, mittelgradigen oder schweren depressiven Episode auszugehen ist, hängt nach ICD 10 von der Anzahl und Schwere der Symptome ab. Die im vorliegenden Fall bestehenden Zweifel an der Diagnose einer schweren depressiven Episode rühren daher, dass Dr. Welke auch hier wieder fast ausschließlich die Angaben des Klägers zugrunde legt, ohne dass klar auf das klinische Erscheinungsbild des Klägers eingegangen wird. Auch gegenüber Frau Dr. Q hatte der Kläger seine Beschwerden deutlich gemacht, in der Begutachtungssituation konnte die Gutachterin indes nur eine "etwas gedrückte" Stimmung feststellen. Im Übrigen erwies sich der Kläger konzentriert, ohne auffällige Stimmungsschwankungen, bei regelrechter Orientierung ohne wahnhafte Symptome und ohne Erinnerungsstörungen. Dieses geschilderte Bild spricht nach Auffassung der Kammer klar gegen das Vorliegen einer schweren depressiven Episode – jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Frau Dr. Q. Dass eine solche bei der Untersuchung durch Dr. X bestanden hat ist durch das Gutachten demgegenüber nicht hinreichend objektiviert. Das Gleiche gilt für die durch Dr. X diagnostizierte Angst und Panikstörung. Hier hat der Gutachter lediglich ausgeführt, der Kläger leide unter Angst und Panikstörungen. Eine nähere Erläuterung oder gar kritische Prüfung der Angaben des Klägers ist nicht erkennbar. Symptome, die die insoweit erforderlichen schweren Angstattacken näher spezifizieren würden, werden nicht genannt. Auch in den Vorbefunden findet sich diese Diagnose nicht.
40Im Schwerbehindertenrecht sind indes ohnehin nicht die Diagnosen, sondern die Auswirkungen maßgeblich. Insoweit geht die Kammer unter Berücksichtigung der Darstellungen beider Gutachter, der eingenommenen Medikation und unter Berücksichtigung der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen davon aus, dass die beim Kläger vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen nach Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuschätzen sind. Maßgeblich ist insoweit vor allem die beim Kläger bestehende Schmerzerkrankung, da diese letztlich auch Ausgangspunkt der übrigen Beeinträchtigungen ist. Hier ist bereits von durchaus ausgeprägteren Störungen auszugehen, berücksichtigt man den beim Kläger offensichtlich stattfindenden sozialen Rückzug und die bereist aufkeimenden innerfamiliären Probleme. Nach Auffassung der Kammer kann insoweit ein GdB von 30, der voll erreicht ist, und nach Auffassung der Kammer durchaus Tendenz zur 40 hat, in Ansatz gebracht werden. Schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten sind nach Auffassung der Kammer indes bislang weder durch die Gutachten noch durch die Vorbefunde hinreichend objektiviert. Der Zustand nach Alkoholabusus wirkt sich insgesamt nicht weiter erhöhend aus.
41Für den beim Kläger bestehenden medikamentös behandelten Bluthochdruck ohne objektivierte Beeinträchtigung an Zielorganen ist gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze weiterhin ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
42Für das Funktionssystem der oberen Gliedmaße ist gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinische Grundsätze ein GdB nicht festzustellen. Die Funktionsprüfung der oberen Extremitäten zeigte sich insgesamt als unauffällig. Soweit der Gutachter Dr. X angibt, der Kläger klage über Schmerzen in den Handgelenken durch das Aufstützen auf den Rollator, so bedingte dies keinen eigenen GdB. Auch der Gutachter selbst hat einen solchen nicht in Ansatz gebracht. Die vom Kläger im Schulterbereich geschilderten Beschwerden sind im Übrigen nach beiden Gutachten als Folge der Beeinträchtigungen der Wirbelsäule bereits dort mitberücksichtigt worden.
43Die Beeinträchtigungen durch die Hyperurikämie wurden im Bereich der unteren Extremitäten berücksichtigt. Die diagnostizierte Hyperlipidämie bedingt gemäß Teil B Ziffer 15 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen GdB.
44Vor diesem Hintergrund ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze weiterhin ein Gesamt-GdB von 60, der voll erreicht ist, zu bilden.
45§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
46Im vorliegenden Fall ist als führender GdB derjenige für das Funktionssystem Wirbelsäule heranzuziehen. Dieser GdB von 40 wird durch die bestehenden psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere die Schmerzproblematik des Klägers, sowie die Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten auf 60 erhöht. Eine trennscharfe Zuweisung der "Erhöhungsanteile" auf die einzelnen Funktionssysteme ist hierbei nach Auffassung der Kammer nicht möglich. Zu berücksichtigen ist aber, dass der GdB von 30 für den Bereich der unteren Extremitäten nur allein deshalb zu rechtfertigen war, weil hier die Schmerzkomponente schon im jeweiligen Funktionssystem berücksichtigt wurde. Insoweit ist bei der Bildung des Gesamt-GdB eine Doppelbewertung zu vermeiden. Insgesamt muss – aufgrund der Schmerzproblematik und der psychischen Beeinträchtigung – der führende GdB hier aber insgesamt maßgeblich angehoben werden, um dem Leidensbild des Klägers insgesamt gerecht zu werden. Insoweit erscheint mit der Gutachterin Dr. Q ein GdB von 60 weiter angemessen, wobei – bei entsprechender progredienter Entwicklung – eine Verschlechterung in absehbarer Zeit nicht ausgeschlossen erscheint. Die weiteren Beeinträchtigungen nehmen nicht an der Bildung des Gesamt-GdB teil, da sie höchstens einen GdB von 10 bedingen. Eine Erhöhung des Gesamt-GdB, insbesondere die Feststellung des begehrten GdB von 80, kommt im vorliegenden Fall derzeit nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht.
47Das Gesamtmaß der objektivierten Behinderungen des Klägers lässt sich insgesamt nicht mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen Wert von 80 angeben, wie es Teil A Ziffer 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorschreiben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 –L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur).
482.
49Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG.
50Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung; vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 – zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 – L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich aG seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.
51Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 3 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung.
52Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten – im Hinblick auf das Merkzeichen aG – im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 31 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 31 Abs. 3 bis 4 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter außergewöhnlich gehbehindert ist. Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung – als antizipierte Sachverständigengutachten – bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden.
53Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 – L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 – L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 – L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 – zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 – L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5). Da der Kläger jedenfalls nicht in eine der oben genannten Beispielsgruppen fällt, war zu klären, ob er dem ausdrücklich beschriebenen Personenkreis gleichzustellen ist. Eine Gleichstellung muss dann erfolgen, wenn ein Betroffener in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlichem Masse eingeschränkt ist und er sich nur unter eben so großen Anstrengungen wie die erstgenannte Gruppe von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R =juris Rn.18) Die damit erforderliche Bildung eines Vergleichsmaßstabes birgt freilich Schwierigkeiten, weil die verschiedenen, im Gesetz ausdrücklich aufgezählten Gruppen in ihrer Wegfähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppe - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können. Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten behinderten Gruppen kann es grundsätzlich aber nicht ankommen (vgl. dazu Bundessozialgericht, a.a.O.) Im Ergebnis ist hinsichtlich der Gleichstellung bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Insoweit stellen die maßgeblichen straßenrechtlichen Vorschriften darauf ab, ob ein schwerbehinderter Mensch nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung - und zwar praktisch von den ersten Schritten - außerhalb seines Kraftfahrzeuges sich bewegen kann. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.; BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R =juris Rn.18) Bei der erforderlichen tatrichterlichen Feststellung, ob und ggf. in welchem Umfang körperlichen Anstrengungen vorhanden sind, kann dabei nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Zur Klärung dieser Frage sind Indizien wie Erschöpfungszustände, Luftnot, Schmerzen oder ähnliches heranzuziehen (vgl. BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11 ff.; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15 ff.). So lässt sich ein vergleichbares Erschöpfungsbild u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das ein Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert (BSG, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG nicht vor. Die Gutachterin Dr. Q hat beschrieben, dass der Kläger beim Gehen im Barfußgang eine deutliche Anteflektionshaltung einnimmt und das Gangbild verlangsamt ist. Beim Aufrichten des Rumpfes zeigte sich ein Zittern bei Anstrengung. Die Schrittfolge ist langsam, der Kläger hielt sich am Mobiliar fest. Unter Zuhilfenahme des Rollators konnte nach Auffassung der Gutachterin eine ausreichende vordere Abstützung erfolgen. Der Kläger legte eine Wegstrecke von 100 m verlangsamt zurück, wobei er eine deutliche Anstrengung zeigte. Der Kläger verwendete bei der Gangprüfung hinten offene Schlappen – also kein nur ansatzweise adäquates Schuhwerk. Eine Vergleichbarkeit in der Anstrengung entsprechend Personen aus obiger Vergleichsgruppe verneinte die Gutachterin, insbesondere hätten sich keine besondere Luftnot oder kardiale Erschöpfungszeichen gezeigt. Dr. X beschreibt das Gangbild (unklar ist hierbei ob mit oder ohne Hilfsmittel) als schleppend und häufig pausierend. Im Übrigen nimmt er Bezug auf den Vortrag des Klägers, wonach er sich nur mit dem Rollator fortbewegen könne und bei einer Strecke von 300 Metern alle 50 bis 100 Meter stehen bleiben müsse. Dr. X beschreibt überdies beim Stehen ebenfalls einen Anstrengungstremor, der indes beim Gehen mit dem Rollator nicht mehr auffiel. Die vom Kläger angegebene Limitation der Gehstrecke wird vom Gutachter Dr. X nicht in Frage gestellt oder erkennbar überprüft. Zuzustimmen ist dem Gutachter, dass die Kriterien für die Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht besonderes trennschaft definiert sind und dass es vor diesem Hintergrund darauf ankommt, die Gesamteinschränkung individuell – ggf. durch Begutachtung – einzuschätzen. Soweit der Gutachter dann das Vorliegen der Voraussetzungen bejaht, ist dies nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend durch entsprechende nachprüfbare Befunde belegt. Es wird – hierauf wurde bereits an zahlreichen anderen Stellen hingewiesen – vom Gutachter lediglich der subjektive Leidensvortrag des Klägers der Einschätzung zugrunde gelegt. Dies kann die Kammer nicht überzeugen. Die Kammer ist nach alledem aufgrund der Feststellungen der Gutachterin Dr. Q, derjenigen des MDK Nordrhein im Pflegegutachten vom 03.04.2014 und nicht zuletzt aufgrund des Eindrucks, den der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung, insbesondere im Rahmen der dort vorgenommenen Inaugenscheinnahme des Gangbilds, davon überzeugt, dass der Kläger trotz seiner zweifelsohne schweren körperlichen Beeinträchtigungen nicht mit der oben genannten Personengruppe gleichzustellen ist. Insbesondere die geforderte große Anstrengung ab dem ersten Schritt war für die Kammer, allesamt freilich medizinische Laien, auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Beschwerden des Klägers beim Aufstehen aus dem Stuhl bis zur Zuhilfenahme des Rollators, nicht zu erkennen. Mit dem Rollator ging der Kläger zwar vorne übergebeugt und langsam, aber durchaus stetig und ohne erkennbare besondere Anstrengung. Soweit der Kläger hiernach erklärt hat, er sei nassgeschwitzt, war Schweiß jedenfalls an den sichtbaren Stellen wie insbesondere im Gesicht nicht erkennbar. Auch bestand unmittelbar nach dem Gehtest keine erkennbare besondere Kurzartmigkeit. Die Kammer möchte nicht Abrede stellen, dass der Kläger u.U. auch gelegentlich stürzt oder zu stürzen droht. Auch dies rechtfertigt indes nach Auffassung der Kammer ebenfalls noch nicht die Zuerkennung des Merkzeichens aG. Vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an die Vergabe des Merkzeichens begründet eine Sturzgefahr nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG, wenn diese Gefahr so ausgeprägt wäre, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten, der sich in der gleichen Situation wie der Kläger befindet, der Kläger dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre (vgl. Bayerisches LSG Urteil vom 20.05.2014 – L 15 SB 226/13 = juris Rn. 116 f.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das Erfordernis eines Rollstuhls aus diesem Grunde wurde indes von keinem der Gutachter gesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG.
(1) Die Berechnungsgrundlage, die dem Krankengeld, dem Versorgungskrankengeld, dem Verletztengeld und dem Übergangsgeld zugrunde liegt, wird jeweils nach Ablauf eines Jahres ab dem Ende des Bemessungszeitraums an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst und zwar entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 Satz 1 des Sechsten Buches) vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr.
(2) Der Anpassungsfaktor wird errechnet, indem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer für das vergangene Kalenderjahr durch die entsprechenden Bruttolöhne und -gehälter für das vorvergangene Kalenderjahr geteilt werden; § 68 Absatz 7 und § 121 Absatz 1 des Sechsten Buches gelten entsprechend.
(3) Eine Anpassung nach Absatz 1 erfolgt, wenn der nach Absatz 2 berechnete Anpassungsfaktor den Wert 1,0000 überschreitet.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils zum 30. Juni eines Kalenderjahres den Anpassungsfaktor, der für die folgenden zwölf Monate maßgebend ist, im Bundesanzeiger bekannt.
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Gestaltung der Ausweise, ihre Gültigkeit und das Verwaltungsverfahren zu erlassen.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind.
(1) Die Berechnungsgrundlage, die dem Krankengeld, dem Versorgungskrankengeld, dem Verletztengeld und dem Übergangsgeld zugrunde liegt, wird jeweils nach Ablauf eines Jahres ab dem Ende des Bemessungszeitraums an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst und zwar entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 Satz 1 des Sechsten Buches) vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr.
(2) Der Anpassungsfaktor wird errechnet, indem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer für das vergangene Kalenderjahr durch die entsprechenden Bruttolöhne und -gehälter für das vorvergangene Kalenderjahr geteilt werden; § 68 Absatz 7 und § 121 Absatz 1 des Sechsten Buches gelten entsprechend.
(3) Eine Anpassung nach Absatz 1 erfolgt, wenn der nach Absatz 2 berechnete Anpassungsfaktor den Wert 1,0000 überschreitet.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils zum 30. Juni eines Kalenderjahres den Anpassungsfaktor, der für die folgenden zwölf Monate maßgebend ist, im Bundesanzeiger bekannt.
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Gestaltung der Ausweise, ihre Gültigkeit und das Verwaltungsverfahren zu erlassen.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind.
(1) Abweichend von § 154 Absatz 1 beträgt die Pflichtquote für die in § 154 Absatz 2 Nummer 1 und 4 genannten öffentlichen Arbeitgeber des Bundes weiterhin 6 Prozent, wenn sie am 31. Oktober 1999 auf mindestens 6 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigt hatten.
(2) Eine auf Grund des Schwerbehindertengesetzes getroffene bindende Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung, eines Grades der Behinderung und das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale gelten als Feststellungen nach diesem Buch.
(3) Die nach § 56 Absatz 2 des Schwerbehindertengesetzes erlassenen allgemeinen Richtlinien sind bis zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 224 weiter anzuwenden, auch auf Inklusionsbetriebe.
(4) Auf Erstattungen nach Kapitel 13 dieses Teils ist § 231 für bis zum 31. Dezember 2004 entstandene Fahrgeldausfälle in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden.
(5) Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Absatz 2 erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Absatz 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der auf Grund des § 30 Absatz 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.
(6) Bestehende Integrationsvereinbarungen im Sinne des § 83 in der bis zum 30. Dezember 2016 geltenden Fassung gelten als Inklusionsvereinbarungen fort.
(7) Die nach § 22 in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bis zu diesem Zeitpunkt errichteten gemeinsamen Servicestellen bestehen längstens bis zum 31. Dezember 2018. Für die Aufgaben der nach Satz 1 im Jahr 2018 bestehenden gemeinsamen Servicestellen gilt § 22 in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung entsprechend.
(8) Bis zum 31. Dezember 2019 treten an die Stelle der Träger der Eingliederungshilfe als Rehabilitationsträger im Sinne dieses Buches die Träger der Sozialhilfe nach § 3 des Zwölften Buches, soweit sie zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach § 8 Nummer 4 des Zwölften Buches bestimmt sind.
(9) § 221 Absatz 2 Satz 1 ist mit folgender Maßgabe anzuwenden:
- 1.
Ab dem 1. August 2019 beträgt der Grundbetrag mindestens 80 Euro monatlich. - 2.
Ab dem 1. Januar 2020 beträgt der Grundbetrag mindestens 89 Euro monatlich. - 3.
Ab dem 1. Januar 2021 beträgt der Grundbetrag mindestens 99 Euro monatlich. - 4.
Ab dem 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 beträgt der Grundbetrag mindestens 109 Euro monatlich.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
Tenor
-
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten noch um die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
- 2
-
Bei der 1969 geborenen Klägerin war zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt (Bescheid vom 29.8.2008). Auf erneuten Antrag stellte der beklagte Landkreis einen GdB von 50 fest, lehnte aber die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G ab (Bescheid vom 6.7.2009; Erschöpfungssyndrom, Somatisierungsstörung, Schmerzverarbeitungsstörung, rezidivierende depressive Störung,
; Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschaden mit Nervenwurzelreizungen, Tendomyopathie, Den Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.8.2009).; Hautleiden mit Gelenkerkrankung, ; allergische Bronchitis, allergische Diathese, allergische Hauterkrankung, ).
- 3
-
Das SG hat die Klage, mit der die Klägerin ursprünglich einen höheren GdB als 50 neben dem Merkzeichen G begehrte, nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens abgewiesen. Bei der Klägerin liege eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine rezidivierende depressive Störung (mittelgradige Episode) und eine abhängige Persönlichkeitsstörung vor. Die Beeinträchtigungen im Bereich der Psyche seien mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage 50. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr liege nicht vor. Soweit die Klägerin subjektiv das Gefühl habe, dass sie nur 400 Meter gehen könne, ordne sich dies unter dem Gefühl der Verschlimmerung einer allgemeinen Schmerzsymptomatik ein und entspreche nicht einer eigentlichen Gehstörung (Urteil vom 5.3.2012).
- 4
-
Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG ein fachärztlich sozialmedizinisches Gutachten eingeholt, das den Gesamt-GdB mit 50 für angemessen hielt und bezüglich des geltend gemachten Nachteilsausgleichs G ausführte, keiner der gesetzlich geregelten Regelfälle liege vor. Jedoch bestehe bei der Klägerin eine Schmerzproblematik durch das vorhandene Fibromyalgie-Syndrom, auch als somatoforme Störung, zT mit hypochondrischen Symptomen bei depressiven Episoden. Die Klägerin sei überzeugt von ihren Einschränkungen und auf die körperlichen Einschränkungen fixiert, wobei die Schmerzwahrnehmung durch psychogene Prozesse deutlich verstärkt werde. Die Dauerleistungsfähigkeit mit der Vorgabe von zwei Kilometern in 30 Minuten sei zu keiner Zeit ohne erhebliche, nicht zumutbare Schmerzen zu bewältigen. Gestützt auf das sozialmedizinische Gutachten hat das LSG den Beklagten zur Feststellung des allein noch begehrten Nachteilsausgleichs G verurteilt. Das im SG-Verfahren eingeholte Gutachten sei demgegenüber nicht überzeugend, da es allein auf ein organisch bedingtes Gehvermögen abstelle, wenn es ein subjektives Gefühl nicht als eigentliche Gehstörung bezeichne (Urteil vom 16.10.2013).
- 5
-
Mit seiner Revision rügt der beklagte Landkreis die Verletzung materiellen Rechts (§ 146 Abs 1 S 1 SGB IX). Die Klägerin erfülle nicht die Beispielsfälle der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-VO (AnlVersMedV). Das bei ihr vorhandene Schmerzsyndrom sei diesen auch nicht vergleichbar.
- 6
-
Der beklagte Kreis beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 5. März 2012 zurückzuweisen.
- 7
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
- 8
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die zulässige Revision des beklagten Landkreises ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG der Klage stattgegeben. Die Klage ist zulässig (dazu 1.) und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G (dazu 2.).
- 10
-
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des Berufungsurteils, mit dem das LSG den Bescheid des Beklagten vom 6.7.2009 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 17.8.2009 sowie das nachfolgende Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt hat, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G festzustellen.
- 11
-
a) Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG - siehe zur statthaften Klageart etwa BSG Urteil vom 27.2.2002 - B 9 SB 6/01 R - Juris RdNr 40).
- 12
-
b) Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche ist in Nordrhein-Westfalen (NRW) mit Wirkung vom 1.1.2008 durch das Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW (GVBl NRW S 482) in Einklang mit höherrangigem Recht den Landkreisen übertragen worden. Dies hat der erkennende Senat wiederholt entschieden(vgl BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - Juris; BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 13 ff mwN, 21; zum erneuten Übergang der Zuständigkeiten durch das hier nicht einschlägige Städteregion Aachen Gesetz vgl BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2). Hieran hält der Senat fest.
- 13
-
2. Die Klägerin hat wegen ihrer psychogenen Gangstörung Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs G.
- 14
-
a) Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G sind §§ 145 Abs 1 S 1, 146 Abs 1 S 1 iVm § 69 Abs 1 und 4 SGB IX. Gemäß § 145 Abs 1 S 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr iS des § 147 Abs 1 SGB IX. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs 1 und 4 SGB IX).
- 15
-
Nach § 146 Abs 1 S 1 SGB IX in der fortgeltenden Ursprungsfassung des Gesetzes vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.Das Gesetz fordert in § 145 Abs 1 S 1, § 146 Abs 1 S 1 SGB IX eine doppelte Kausalität: Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken(BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12).
- 16
-
Die nähere Präzisierung des Personenkreises schwerbehinderter Menschen mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ergibt sich aus dem in § 69 Abs 1 S 5 SGB IX aF Bezug genommenen versorgungsrechtlichen Bewertungssystem, dessen Kern ursprünglich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) waren. Diese sind seit 1.1.2009 abgelöst durch die auf der Grundlage des § 30 Abs 17(bzw Abs 16) BVG erlassenen Versorgungsmedizin-VO vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl I 2412). Zwischenzeitlichen Bedenken an dieser Ermächtigung des Verordnungsgebers insbesondere zum Erlass von Vorgaben für die Beurteilung von Nachteilsausgleichen (vgl Dau jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4) hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7.1.2015 (BGBl II 15) Rechnung getragen durch Schaffung einer nunmehr eigenständig in § 70 Abs 2 SGB IX angesiedelten Ermächtigungsgrundlage. Durch diese wird das BMAS seit 15.1.2015 ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung verbleibt es bei der bisherigen Rechtslage (vgl § 159 Abs 7 SGB IX; hierzu BT-Drucks 18/2953 und 18/3190 S 5).
- 17
-
Gemäß den Grundsätzen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche (Teil D Nr 1 Buchst b S 1 der Anlage zu § 2 VersMedV
) ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (zur Anwendbarkeit der Grundsätze und zu normähnlichen Wirkungen wie untergesetzliche Normen vgl zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R RdNr 10 mwN; Loytved jurisPR-SozR 12/2015 Anm 3). Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (Loytved jurisPR-SozR 12/2015 Anm 3 mwN; anders bei Nachteilsausgleich aG, s Urteil des erkennenden Senats vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R RdNr 16 f). Bei der Prüfung der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen vorliegen, kommt es zudem nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - dh altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden (Teil D Nr 1 Buchst b S 2 AnlVersMedV). Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Teil D Nr 1 Buchst b S 3, 4 AnlVersMedV). Nähere Umschreibungen für einzelne Krankheitsbilder und Behinderungen enthalten darüber hinaus Teil D Nr 1 Buchst d, e und f AnlVersMedV. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind danach ua als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (Teil D Nr 1 Buchst d S 1). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen (Teil D Nr 1 Buchst d S 3), die ebenfalls mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten sind. Besonderheiten gelten für hirnorganische Anfälle (Teil D Nr 1 Buchst e) und Orientierungsstörungen infolge von Sehstörungen, Hörstörungen oder geistiger Behinderung (Teil D Nr 1 Buchst f), die grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigsten 70 Merkzeichenrelevanz entfalten. Weder das eine noch das andere in Teil D Nr 1 AnlVersMedV konkret gelistete Krankheitsbild liegt - wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist - bei der Klägerin vor.
- 18
-
b) Psychische Störungen, die sich spezifisch auf das Gehvermögen auswirken, können zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind. Dies ergibt sich aus Folgendem:
- 19
-
Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die genannten Regelbeispiele hinausgehend auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke (vgl zur "Generalklausel" Löbner Sozialrecht aktuell 2015, 5, 8) dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist. Teil D Nr 1 AnlVersMedV enthält keine abschließende Listung in Betracht kommender Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen, sondern erfasst etwa auch psychische Behinderungen. Dies legt schon der - noch der gesetzlichen Altregelung in § 60 Abs 1 S 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF entsprechende - Wortlaut(Teil D Nr 1 Buchst b S 1 AnlVersMedV: "Einschränkung des Gehvermögens, auch durch…") nahe, der mit der Regelung in § 146 Abs 1 S 1 SGB IX trotz der zum 1.7.2001 eingefügten Klammer übereinstimmt ("Einschränkung des Gehvermögens (auch durch…)"; vgl BT-Drucks 14/5074 S 115). Zwar hat der erkennende Senat die inhaltgleiche Umschreibung der in Betracht kommenden Behinderungen in § 60 Abs 1 S 1 SchwbG aF in seiner Entscheidung vom 10.5.1994 als abschließend betrachtet und psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit "Anfällen" gleichzusetzen ist und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führt, sondern nur zB mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen ohne Betroffenheit des Gehvermögens einhergeht, nicht in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erheblich beeinträchtigt angesehen (BSG Beschluss vom 10.5.1994 - 9 BVs 45/93). Zugrunde lag der Entscheidung die besondere Fallgestaltung einer starken Antriebsminderung, deretwegen es bei Spaziergängen in Begleitung des Ehemannes gelegentlich zu - überwindbaren - Bewegungsstopps kam.
- 20
-
Der Senat hat andererseits schon damals hervorgehoben, dass mit dem Kriterium des "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigten Personenkreises" in §§ 59, 60 SchwbG aG der Kreis der Begünstigten gegenüber den "erheblich gehbehinderten Körperbehinderten, Beschädigten und Verfolgten" iS des früheren § 2 Abs 1 Nr 2, 4 und 6, Abs 2 Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie anderen Behinderten vom 27.8.1965 (BGBl I 978; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 39, 148) gerade erweitert werden und auf alle Schwerbehinderten ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung erstreckt werden sollte (BT-Drucks 8/2453 S 9, 10). Hiervon ausgehend hat er in seiner späteren Entscheidung vom 13.8.1997 die in Ziff 30 Abs 3 bis 5 der AHP 1983 (ebenso AHP 1996 oder auch zuletzt 2008) beschriebenen und Teil D Nr 1 Buchst d bis f AnlVersMedV entsprechenden Behinderungen und Krankheitsbilder in Parallele zur Vorgehensweise bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG (hierzu jetzt Teil D Nr 3 AnlVersMedV; Votum zu B 9 SB 2/14 R) als Regelfälle typisiert und diese Typisierung später bestätigt (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12). Bei diesen Regelfällen sind nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen. Dort nicht erwähnte Behinderungen sind aber keineswegs ausgeschlossen.
- 21
-
Der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots(Art 3 Abs 3 S 2 GG; Art 5 Abs 2 UN-BRK, hierzu BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 31) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Den nicht erwähnten Behinderungen sind die Regelbeispiele als Vergleichsmaßstab zur Seite zu stellen. Anspruch auf Nachteilsausgleich G hat deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in Teil D Nr 1 Buchst d bis f AnlVersMedV genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen ist (vgl BSG Urteil vom 13.8.1997 - 9 RVs 1/96 - SozR 3-3870 § 60 Nr 2). Dies gilt auch für psychosomatische oder psychische Behinderungen und Krankheitsbilder, wie das der Entscheidung vom 13.8.1997 ua zugrunde liegende Schmerzsyndrom oder das hier im Falle der Klägerin bestehende Fibromyalgie-Syndrom und die damit einhergehende Schmerzproblematik.
- 22
-
Schwerbehinderte Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen hat der Senat schon in der Vergangenheit von der Vergünstigung des Nachteilsausgleichs G nicht generell ausgeschlossen, sondern lediglich psychische Beeinträchtigungen, durch welche die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann, ohne dass das Gehvermögen betroffen ist, auf eine Vergleichbarkeit mit den Regelfällen bei Anfällen und Störungen der Orientierungsfähigkeit beschränkt (BSG Beschluss vom 10.5.1994 - 9 BVs 45/93 - Juris; zu Schmerzattacken etwa Hessisches LSG Urteil vom 17.2.1998 - L 4 SB 1351/95 - Juris). Für psychische Beeinträchtigungen, die sich spezifisch auf das Gehvermögen auswirken, gilt diese Beschränkung indessen nicht. In solchen Fällen sind auch andere Regelbeispiele als Vergleichsmaßstab in Betracht zu ziehen (vgl auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.1.2014 - L 13 SB 51/12 - Juris RdNr 19; Vogl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl 2015, SGB IX § 146 RdNr 16; Masuch in Hauck/Noftz, Stand 4/15, SGB IX, § 146 RdNr 50).
- 23
-
Der Verordnungsgeber ist allerdings für künftige Fälle nicht daran gehindert, die Voraussetzungen des Merkzeichens G dadurch einzuschränken, dass er für Fälle psychischer Gehbehinderungen einen Einzel-GdB von zB 70 verlangt.
- 24
-
c) Durch die psychische Erkrankung liegen bei der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke vor wie bei dem in Teil D Nr 1 Buchst d AnlVersMedV beispielhaft aufgeführten Personenkreis.
- 25
-
Entsprechend der vom Gesetz geforderten doppelten Kausalität (s oben II.2.) ist Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen und diese Behinderung schränkt sein Gehvermögen ein (vgl BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12). Nach den Feststellungen des LSG steht fest, dass die Klägerin wegen ihrer psychischen Behinderung durch das Fibromyalgie-Syndrom, die somatoforme Störung und Schmerzproblematik schwerbehindert ist, die psychische Behinderung sich unmittelbar auf das Gehvermögen auswirkt, und die Klägerin deswegen eine im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückzulegende Wegstrecke von etwa zwei Kilometern in 30 Minuten nicht zurücklegen kann. Der Beklagte hat gegen die bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben.
- 26
-
Soweit der Beklagte meint, die Einschränkung der Gehstrecke beruhe bei der Klägerin allein auf einer subjektiven Prognose, ist eine Überschreitung der Grenzen der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl dazu BSGE 94, 133, 137 RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 5 R 2/11 R - Juris RdNr 20) auch nicht sinngemäß dargetan. Weder zeigt der Beklagte auf noch ist sonst ersichtlich, dass ein (medizinischer) Erfahrungssatz zu psychischen Gangstörungen oder in Bezug auf die Messung der relevanten Wegstrecke (hierzu die Äußerung des Sachverständigenbeirats, zitiert nach Schillings/Wendler Versorgungsmedizinische Grundsätze, 6. Aufl S 346) existiert, mit dem die Beweiswürdigung des LSG nicht in Einklang steht. Im Übrigen hat sich das LSG mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen der eingeholten Sachverständigengutachten auseinandergesetzt und sich frei von Denkfehlern überzeugt, dass das vom Sachverständigen Dr. Brodersen herausgefilterte subjektive Gefühl der Klägerin, nicht mehr als 400 m laufen zu können, Ausdruck ihrer unstreitig schweren psychischen Beeinträchtigung ist und deshalb in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. Schwinning nicht vor dem Hintergrund einer organisch bedingten Gehstörung betrachtet werden könne.
Tatbestand
Gründe
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.