Bundessozialgericht Urteil, 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R

bei uns veröffentlicht am12.07.2012

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufgehoben. Die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für September 2007 in Höhe von 20 Cent, die sich nach ihrem Vorbringen allein aus Rundungsdifferenzen ergeben.

2

Der Beklagte bewilligte der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 9.1.2008 ua für September 2007 Leistungen in Höhe von 624,80 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf für werdende Mütter in Höhe von 376,50 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 248,30 Euro). Mit ihrem Widerspruch machte sie (anwaltlich vertreten) die mangelnde Begründung des Bescheides und die unzutreffende Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (im Folgenden: alte Fassung) geltend. Im Hinblick auf die zuvor der Höhe nach unzutreffend abgesetzte Warmwasserpauschale bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2008 für September 2007 insgesamt 625,74 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf wie bisher, daneben Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 249,24 Euro). Die Nachzahlung von 94 Cent werde auf das Konto der Klägerin überwiesen. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.9.2008 zurück. Eine Auf- und Abrundung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung finde nicht statt. Insoweit seien gemäß § 22 Abs 1 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit sie angemessen seien.

3

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Nordhausen erhoben und dabei beantragt, ihr unter Änderung der genannten Bescheide "höhere Leistungen (Rundungsregelung)" zu bewilligen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 9.3.2009). Aus der Anwendung der Rundungsregelung ergebe sich ein weiterer Leistungsanspruch in Höhe von 20 Cent. Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten die Berufung zugelassen und diese sodann mit Urteil vom 23.6.2011 zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig. Allein ein geringer Streitwert lasse das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Im Übrigen habe der Beklagte keine derartigen Bedenken hinsichtlich des Berufungsverfahrens, ohne dass ein Differenzierungsgrund ersichtlich sei. Die Klage sei auch begründet, denn der Klägerin stünden für den Monat September 2007 nach § 41 Abs 2 SGB II aF um 26 Cent höhere Leistungen zu. Ihr Gesamtanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 625,74 Euro sei nach § 41 Abs 2 SGB II aF auf einen vollen Euro Betrag um 0,26 Euro auf 626 Euro aufzurunden. § 41 Abs 2 SGB II aF enthalte ein subjektiv-öffentliches Recht des Betroffenen auf Aufrundung und stelle keine Vorschrift dar, deren Beachtung im Belieben der Verwaltung stehe, was das LSG im Einzelnen ausgeführt hat. Der Beklagte habe auch die außergerichtlichen Kosten zu tragen. Eine abweichende Entscheidung aus Billigkeitsgesichtspunkten zu seinen Gunsten sei nicht geboten, da bereits seit mehreren Jahren in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (, Hinweis auf BSG Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R - juris RdNr 52; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 15) ausdrücklich auf die Vornahme der Rundung hingewiesen worden sei.

4

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, für die Klage auf einen Bagatellbetrag bestehe kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Der möglicherweise bestehende Anspruch stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Bereithaltung der Justiz. Zudem würde ein vernünftig und rational handelnder Beteiligter keinen Rechtsanwalt beauftragen und so zusätzlich ein Kostenrisiko eingehen. Die Urteile der Vorinstanzen verletzten zudem materielles Recht. § 41 Abs 2 SGB II aF vermittele kein subjektives öffentliches Recht, denn er diene nicht dem Schutz der Individualinteressen.

5

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Die Verurteilung zur Zahlung weiterer 20 Cent durch die Vorinstanzen verletzt den Beklagten in seinen Rechten, denn die Klage ist schon nicht zulässig.

9

1. Streitgegenstand der Revision ist - wie im Berufungsverfahren - lediglich noch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20 Cent für September 2007, die der Beklagte zuvor mit Bescheiden vom 9.1.2008 und vom 17.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.2008 abgelehnt hat. Die Klägerin hat sich nicht gegen das Urteil des SG gewandt, wonach sich lediglich ein Anspruch in dieser Höhe ergab. Der Beklagte ist nicht allein dadurch beschwert, dass das LSG in den Gründen davon ausgeht, es hätte sich bei zutreffender Berechnung über die Verurteilung durch das SG hinaus ein Anspruch von (weiteren) 6 Cent ergeben. Das LSG hat die Berufung des Beklagten (lediglich) zurückgewiesen und unter dem Gesichtspunkt der reformatio in peius nicht zur Zahlung von weiteren Leistungen verurteilt.

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2. Die Revision des Beklagten ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Es fehlt - wie bereits bei Führung der Berufung - nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis für die Revision unabhängig davon, ob für die Klageerhebung durch die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis bestand. Das Rechtsschutzbedürfnis ist keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels, sondern ergibt sich im Allgemeinen ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht (vgl Bundesgerichtshof BGHZ 57, 224, 225 = NJW 1972, 112; im Ausgangspunkt ebenso BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein sachliches Bedürfnis in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die eigentliche Beschwer vorwiegend von der den Rechtsmittelkläger belastenden Kostenentscheidung ausgeht (vgl BGH aaO; ähnlich BVerfG 17.11.2009 - 1 BvR 1964/09 - NJW 2010, 1349 RdNr 9), selbst wenn das Rechtsmittel seinerseits nicht ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt sein darf (vgl § 144 Abs 4, § 165 SGG).

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Zwar gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (hierzu etwa BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht erkennbar. Der Beklagte hat trotz der geänderten Rechtslage in § 41 Abs 2 SGB II ein Interesse an der abschließenden Klärung, ob die Inanspruchnahme der Gerichte allein wegen Beträgen, die sich aus der Anwendung der Rundungsregelungen ergeben, zulässig ist. Hierzu hat er bereits im Verfahren wegen der Zulassung der Revision vorgetragen, dass noch eine erhebliche Anzahl von Klagen anhängig sei, die nur wegen der Anwendbarkeit der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF geführt würden. Zum anderen ist auch im Hinblick auf § 41 Abs 2 SGB II in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; neue Fassung ) in der Literatur nicht unumstritten, ob die Dezimalstellenberechnung nach § 41 Abs 2 SGB II nF auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich Anwendung findet(bejahend Burkiczak in jurisPK-SGB II, § 41 RdNr 33; ablehnend Kapp in BeckOK-Sozialrecht, § 41 SGB II RdNr 9, Stand 1.9.2012) und wie insbesondere bei der Aufteilung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen der Bedarfsgemeinschaft zu verfahren ist (dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 41 RdNr 105). Der Wortlaut stellt schließlich nach in der Literatur vertretenen Auffassungen nicht abschließend klar, ob eine Berechnung iS des § 41 Abs 2 SGB II nF jeden Berechnungsschritt erfasst(vgl Hengelhaupt aaO, RdNr 106; Burkiczak aaO). Von daher kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass sich künftig Rechtsstreitigkeiten allein gestützt auf die Anwendung der Berechnungsregelungen nicht mehr ergeben werden.

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3. Die allein unter Hinweis auf die (behauptete fehlerhafte) Anwendung der Rundungsregelungen erhobene Klage ist unzulässig. Der Klägerin steht zwar eine Klagebefugnis zu, denn sie behauptet, durch die teilweise Ablehnung einer höheren Leistung in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 SGG; dazu unter a). Es besteht gleichwohl kein (allgemeines) Rechtsschutzbedürfnis für einen Leistungsberechtigten, der mit seiner Klage ausschließlich die Verletzung der Rundungsregelung nach § 41 Abs 2 SGB II aF geltend macht(dazu unter b).

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a) Weder die Klagebefugnis als Sachurteilsvoraussetzung, die die Prozessordnung an die schlüssige Behauptung der Klägerin knüpft, in eigenen Rechten verletzt zu sein, noch die Verletzung der Klägerin in ihren Rechten als Voraussetzung für den (möglichen) Erfolg der Klage in der Sache, lassen sich im Hinblick auf die nach § 41 Abs 2 SGB II aF zur Anwendung kommenden Rundungsregelungen von vornherein verneinen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich auch bei dem Teil des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II, der auf der Anwendung von Rundungsregelungen beruht, um ein subjektives Recht der Klägerin.

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Eine Rechtsvorschrift verlautbart dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn sie nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater zu dienen bestimmt ist, und wenn sie diesen Begünstigten die Rechtsmacht verleiht, die Befolgung der öffentlich-rechtlichen Pflicht von dem Hoheitsträger rechtlich verlangen zu können. Begünstigungen, die diesen Kriterien nicht genügen, sind dagegen bloße Rechtsreflexe (vgl etwa BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 32 mwN).

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Die sich aus der Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF ergebenden Vor- bzw Nachteile seitens des Leistungsberechtigten betreffen unmittelbar dessen durch das SGB II begründete Rechtsposition. Die Folgen der Rundung für den Einzelnen sind nicht bloßer (wirtschaftlicher) Reflex der Regelung. Der Fall der Abrundung macht deutlich, dass es sich um einen (wenn auch wirtschaftlich kaum fassbaren) Eingriff in eine Rechtsposition handelt. Mit seinem Vorbringen verkennt der Beklagte, dass die Frage, ob für eine Eingriffsnorm (hier die Abrundung) ein rechtfertigender Grund denkbar ist, nicht damit beantwortet werden kann, dieser Norm (wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs) einen subjektiven Charakter abzusprechen und allein auf das gesetzgeberische Ziel der Verwaltungsvereinfachung abzustellen. Zu prüfen ist gerade, ob der geringfügige Eingriff auch in existenzsichernde Leistungen sich durch das ihm gegenüberstehende gesetzgeberische Ziel rechtfertigen lässt, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dies hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits bejaht, worauf das LSG zutreffend hinweist (vgl etwa BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35).

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b) Die Klage ist aber unzulässig, weil es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein Klagebegehren, das aus Sicht der Klägerin denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF gestützt werden kann und mit dem folglich nur die in dieser Rundungsregelung zum Ausdruck kommende Beschwer (allenfalls 50 Cent pro Monat der Bewilligung von Leistungen) geltend gemacht wird, rechtfertigt für sich genommen die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes nicht.

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Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl BVerfG vom 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 <58>). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl nur BVerfG vom 5.12.2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220, 232 mwN). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 16a, 19; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. Aufl 2011, Vorb § 40, RdNr 74 ff; dazu auch Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199, 212; Kapsa, Die Regel "Minima non curat praetor" im Lichte des Verfassungsrechts, in: Der verfaßte Rechtsstaat, Festgabe für Karin Großhof/Heidelberg 1998).

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Die Höhe der geltend gemachten Forderung führt allerdings nicht schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses. Über die Frage, ob eine Forderung rechtlich anerkannt wird, hat grundsätzlich das materielle Recht, nicht das Prozessrecht zu entscheiden. Dessen Aufgabe ist es, die Verwirklichung aller materiellen Ansprüche in einem staatlichen Verfahren sicherzustellen, auch wenn sie geringfügig sind. Daraus, dass der Kläger auf Leistung an sich klagt und somit jedenfalls niemand anderes als der - vermeintliche - Inhaber des eingeklagten materiellen Anspruchs um Rechtsschutz nachsucht, ergibt sich auch das "objektive" Interesse der Rechtsordnung an der Inanspruchnahme des Gerichts. Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (vgl etwa Bundesverwaltungsgericht BVerwGE 81, 164, 165 f).

19

Dem entspricht auch die prozessuale Behandlung von Ansprüchen nach dem SGB II. Insbesondere die differenzierten Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (§§ 9, 11, 12 SGB II) gerade in Bedarfsgemeinschaften (vgl § 7 Abs 3, § 9 Abs 2 SGB II) machen es für den Leistungsberechtigten schwierig, schon bei Klageerhebung zu erkennen, welche Auswirkungen sich im Falle seines Obsiegens im Einzelnen auf seinen Leistungsanspruch ergeben. Von daher haben die für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate das Begehren gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach als zulässig angesehen (vgl allgemein zur Zulässigkeit eines Grundurteils BSG SozR 3-1500 § 141 Nr 8 S 11; zum Grundurteil im Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II nur Urteil des 7b. Senats vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 16). Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist allein, dass sich aus dem vom Kläger formulierten Klagebegehren, ein höherer (wenngleich nicht bezifferter) Anspruch auf Leistungen ergibt, ohne dass ein bestimmter Wert im Sinne einer allgemeinen "Erheblichkeitsschwelle" zu fordern wäre.

20

Die Funktionsfähigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf allerdings nicht durch Verfahren in Frage gestellt werden, in denen es bei Erhebung einer Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach dem Leistungsberechtigten nach dem SGB II isoliert um die Anwendung der Rundungsregelungen geht. Wie bereits dargelegt wird zwar (auch) insoweit die individuelle Rechtsposition des Leistungsberechtigten unmittelbar geregelt. Es verbleibt aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung entsprechende Regelungen erlässt. Das mit Klageerhebung hierauf beschränkte Begehren auf Leistungen im Centbereich lässt die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen, denn es geht der Klägerin erkennbar nicht um einen eigenen wirtschaftlich sinnvollen Vorteil. Dass der Gesetzgeber insoweit seinen Spielraum überschritten hätte, indem er mit 49 Cent (für den Fall der Abrundung) einen zu hohen Betrag als der Rundung zugänglich ansieht, ist nicht im Ansatz ersichtlich und ist auch von der Klägerin (die sich nicht gegen eine Abrundung wehrt) nicht behauptet worden. Das Gericht braucht auf eine solche, von vornherein unzulässige Klage hin nicht zu überprüfen, ob sich andere Sachverhalte und Regelungen finden lassen, die einen höheren Anspruch des Leistungsberechtigten stützen.

21

Demgegenüber tritt der Gedanke zurück, der Beklagte könne sich systematisch zur Kostenersparnis auf eine rechtswidrige Rundungspraxis zurückziehen. Der Beklagte unterliegt als Träger der Grundsicherung dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG). Im Privatrechtsverhältnis ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fehlende Durchsetzbarkeit von Kleinstbeträgen vor Gericht den Schuldner veranlassen könnte, bewusst kleine Abzüge zu machen und damit einen "Rabatt von Amts wegen" zu erhalten. Dieser Gesichtspunkt prägt die Diskussion um die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Erheblichkeit als Zulässigkeitsschranke aus dem Rechtsgedanken "de minimis non curat praetor" im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (befürwortend zuletzt Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199; dagegen die ganz herrschende Meinung, vgl etwa Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, Vor § 253 RdNr 18d mwN). Demgegenüber macht die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsstreit einen entscheidenden Unterschied aus. Es ist von Verfassungs wegen auszuschließen, dass der Beklagte sich um der daraus folgenden Einsparung willen bewusst gesetzeswidrig verhält. Andernfalls wäre - auch insoweit zur Aufrechterhaltung der Effizienz der Gerichtsbarkeit - ein Eingreifen der zuständigen Rechts- und Fachaufsicht geboten.

22

Es mag zweifelhaft sein, ob in der Zeit von Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 bis zur Änderung der Berechnungsvorschriften zum 1.4.2011 die bei Anwendung der Rundungsregelung offenkundig gewordenen Umsetzungsprobleme von Gesetzgebung und Verwaltung ausreichend berücksichtigt worden sind (zur Notwendigkeit der Änderung des § 41 Abs 2 aus Sicht des Gesetzgebers vgl BT-Drucks 17/3404 S 115). Zutreffend weist das LSG darauf hin, dass offenbar in erster Linie die softwarebedingten Vorgaben zu einer Vielzahl von fehlerhaften Rundungen - auch zu Lasten der Träger - geführt haben (dazu auch Schnitzler ZFSH/SGB 2011, 335; zur Problematik solcher softwarebedingten Vorgaben, die zur Begrenzung von sachlichen Entscheidungsspielräumen führen, bereits BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 180). Vor diesem Hintergrund ist § 41 Abs 2 SGB II in seiner neuen Fassung mit übergangsweise geltenden, abweichenden Maßgaben in Kraft getreten, die ausreichend Zeit für die technische Anpassung gewährleisten sollen(vgl § 77 Abs 14 SGB II und dazu BT-Drucks 17/3404 S 119). Dem Gesetzgeber war also offenbar nicht nur die unklare Gesetzeslage, sondern auch die Problematik der technischen Umsetzung entsprechender Berechnungsregelungen bekannt.

23

Dem einzelnen Leistungsberechtigten kommt aber nicht allein deshalb ein Rechtsschutzinteresse zu, weil strukturelle Fehler im Vollzug des Gesetzes erkennbar werden. Das macht der Ausschluss der Popularklage im SGG ebenso wie den anderen Verfahrensordnungen deutlich. Ein Einzelner kann eine Klage nicht nur führen, um sich zum Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen. Im Einzelfall muss ein darüber hinausgehendes allgemeines Rechtschutzinteresse hinzukommen um zu verhindern, dass gerade im hoch belasteten Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur aus Rechthaberei Prozesse geführt werden.

24

Schließlich bedeutet das vorliegende Ergebnis nicht, dass die entsprechenden Rechtsfragen durch Gerichte schlechterdings nicht geklärt werden könnten. In Rechtsstreitigkeiten, die zulässigerweise auf eine höhere Leistung gerichtet sind, ist auch der Anspruch auf Rundung zu beachten und hierüber zu entscheiden. Dementsprechend sind im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits eine Reihe von Entscheidungen des BSG ua auch zur Anwendung der Rundungsregelung ergangen (etwa BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 37; BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 23/06 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25; im Einzelnen zur Rechtsprechung Padé, SozSich 2009, 111).

25

Mit diesem Ergebnis sieht sich der Senat nicht in Widerspruch zu der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BVerfG zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ( zur Bewilligung von PKH in Angelegenheiten des SGB II insbesondere Beschlüsse vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039 und - 1 BvR 2493/10 - ZFSH/SGB 2011, 475 = NZS 2011, 775). Die dortigen Beschwerdeverfahren sind zur Klärung des Umfangs der in Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit ergangen und lassen keine Aussage dazu erkennen, ob und in welchen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis wegen eines Bagatellstreitwertes entfallen könnte. Im Übrigen liegt der mögliche Streitwert wegen der Anwendung von Rundungsregelungen erheblich unter den Werten, die in den dortigen Verfahren von den Landessozialgerichten als Bagatellwert angesehen worden sind (42 Euro). Dies gilt erst recht für denkbare Klagen gestützt auf die fehlerhafte Anwendung von § 41 Abs 2 SGB II nF.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

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(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Le

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

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Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 12 Zu berücksichtigendes Vermögen


(1) Alle verwertbaren Vermögensgegenstände sind vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind1.angemessener Hausrat; für die Beurteilung der Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs von Bür

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 165


Für die Revision gelten die Vorschriften über die Berufung entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. § 153 Abs. 2 und 4 sowie § 155 Abs. 2 bis 4 finden keine Anwendung.

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Sozialgericht Nürnberg Beschluss, 21. Feb. 2017 - S 22 AS 140/17 ER

bei uns veröffentlicht am 21.02.2017

Tenor 1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 12.02.2017 wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Gründe I.

Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 26. Apr. 2018 - 5 N 200/18.NW

bei uns veröffentlicht am 26.04.2018

weitere Fundstellen ... Tenor Der Antrag wird abgelehnt. Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens. Gründe I. 1 Der Vollstreckungsgläubiger führte im Frühjahr 2012 ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren gegen

Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 02. Feb. 2016 - 1 K 2993/15

bei uns veröffentlicht am 02.02.2016

Tenor Das Verfahren wird eingestellt. Gründe  I.1 Der Kläger möchte erreichen, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Eingaben als förmliche Klagen oder Anträge behandelt und sachlich bescheidet.2 In einem Schreiben vom 17.09.2015

Bundessozialgericht Urteil, 04. Juni 2014 - B 14 AS 30/13 R

bei uns veröffentlicht am 04.06.2014

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

Tatbestand

1

Streitig ist der Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006.

2

Die Kläger sind verheiratet und bewohnen gemeinsam eine 60,95 m2 große Mietwohnung, für die sie eine Nettokaltmiete von 290,44 Euro, Nebenkosten von 68,64 Euro und eine Heizkostenpauschale von 66,87 Euro monatlich zu entrichten haben. Der Kläger zu 2 bezog bis 30.3.2006 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 19,60 Euro kalendertäglich. Im Februar 2006 erzielte er ein Nebeneinkommen von 165 Euro und von März bis Mai 2006 in Höhe von 100 Euro. Die Klägerin zu 1 erhielt bis 28.2.2006 kalendertäglich 23,55 Euro Alg und ab dem 1.3.2006 bis zum 31.8.2006 Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro für die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit.

3

Am 7.2.2006 beantragten die Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) bei der Beklagten. Sie gaben ua an, Beiträge für Kfz-Haftpflichtversicherungen des Klägers zu 2 in Höhe von 84,60 Euro und der Klägerin zu 1 in Höhe von 79,10 Euro vierteljährlich zu zahlen. 33,56 Euro wandte die Klägerin zu 1 ab dem 1.3.2006 für Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung, 255,41 Euro für die freiwillige Kranken- und 31,24 Euro monatlich für die soziale Pflegeversicherung auf. Mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit erwirtschafte sie lediglich Verluste.

4

Durch Bescheid vom 12.4.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht hilfebedürftig. Sie könnten ihren Bedarf aus ihrem Einkommen decken. Als Bedarf legte die Beklagte eine Regelleistung (Ost) von jeweils 298 Euro zu Grunde. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigte sie in tatsächlicher Höhe minus eines Betrags von 11,76 Euro (1. Person 8,18 Euro und 2. Person 3,58 Euro) für die Warmwasserbereitung. Insgesamt bemaß sie den Bedarf mit 1010,19 Euro (596 Euro Regelleistung plus 414,19 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Dem sei das Einkommen der Kläger im Monat Februar 2006 aus Alg und Nebeneinkommen sowie im März 2006 aus Alg, Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld und ab April 2006 schließlich aus Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld gegenüberzustellen. Auch unter Absetzung der Freibeträge (100 Euro Grundfreibetrag und Freibetrag nach § 30 SGB II auf das Nebeneinkommen im Februar 2006; 100 Euro Grundfreibetrag auf das Nebeneinkommen und Versicherungspauschale von 30 Euro auf das Überbrückungsgeld ab März 2006; zusätzlich Abzug der Kfz-Versicherungsbeiträge ab April 2006 vom Überbrückungsgeld) übersteige das Einkommen der Kläger ihren Bedarf iS des SGB II. Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15.6.2006 zurück.

5

Ab August 2006 hat die Beklagte der Klägerin zu 1 einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II in Höhe von monatlich 28,76 Euro gewährt und nach Auslaufen des Leistungszeitraums für das Überbrückungsgeld am 31.8.2006 haben die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1036,19 Euro erhalten.

6

Das SG Dresden hat die Klage auf Grundsicherungsleistungen durch Gerichtsbescheid vom 5.3.2008 abgewiesen. Das Sächsische LSG hat die Berufung der Kläger hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 2.2.2009). Zwar betrage der Abzug für die Bereitung von Warmwasser unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich 10,74 Euro (2 x 5,37 Euro), sodass sich insgesamt ein Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1012 Euro ergebe. Ansonsten seien die Berechnungen der Beklagten jedoch zutreffend. Das Überbrückungsgeld sei vollständig - unter Abzug der Versicherungspauschale - als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu berücksichtigen. Ebenso wie der Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III habe auch das Überbrückungsgeld unterhaltssichernde Funktion und diene daher demselben Zweck wie die Existenzsicherungsleistung nach dem SGB II. Dieses folge bereits aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III. Soweit das Überbrückungsgeld nach § 57 Abs 1 SGB III auch für die soziale Sicherung in der Zeit der Existenzgründung vorgesehen sei, folge hieraus nicht, dass die im Überbrückungsgeld enthaltenen pauschalierten Sozialversicherungsbeiträge als zweckbestimmte Einnahmen iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen seien. Zum einen sei der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, sich sozialzuversichern. Zudem sei er als Aufstocker im SGB II zugleich in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert, sodass er auch den für soziale Sicherung vorgesehenen Teil des Überbrückungsgeldes von vornherein nicht für die Beitragsentrichtung einsetzen müsse. Er sei dann insofern doppelt begünstigt. Zudem werde dem Bezieher von Überbrückungsgeld, der keine aufstockenden Leistungen nach dem SGB II erhalte, ein Zuschuss zu den freiwilligen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II gewährt, wenn ihm nur wegen dieser Beiträge Hilfebedürftigkeit drohe. Auch im Hinblick auf den Beitrag zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei eine Zweckbestimmung iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II nicht gegeben. Dieser Beitrag sei nach § 11 Abs 2 SGB II als Freibetrag vom Einkommen abzusetzen, im vorliegenden Fall seien derartige Beiträge jedoch nicht entrichtet worden.

7

Die Kläger haben die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, nach dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III diene das Überbrückungsgeld eindeutig nicht allein der Lebensunterhaltssicherung, sondern teilweise auch der sozialen Sicherung in der Zeit der Existenzgründung. Zumindest letzterer Teil sei eine zweckbestimmte Einnahme, die nicht als Einkommen im Rahmen der Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II berücksichtigt werden dürfe. Das Überbrückungsgeld sei auch nicht mit dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III zu vergleichen. Es handele sich um unterschiedliche Leistungen, die nebeneinander im SGB III vorgesehen und unterschiedlich ausgestaltet gewesen seien. § 421l SGB III enthalte - anders als § 57 Abs 1 SGB III - keinen Hinweis auf eine zumindest teilweise Zweckbestimmung der Leistung, sodass die Überlegungen des 14. Senats in dem Urteil vom 6.12.2007 insoweit nicht zum Tragen kämen.

8

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sächsischen LSG vom 2.2.2009 und den Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 5.3.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2. bis 31.5.2006 versagt. Das Einkommen der Kläger übersteigt im gesamten streitigen Zeitraum deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Von März bis Mai 2006 hat die Beklagte zutreffend das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III als Einkommen bei der Berechnung von Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Es ist auch nicht ein Teil der Leistung nach § 57 Abs 1 SGB III für "soziale Sicherung" pauschaliert oder in Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung als zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen. Auch dieser Leistungsanteil "soziale Sicherung" dient demselben Zweck wie Leistungen nach dem SGB II. Alg II-Leistungsbezieher sind "kostenlos" in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung abgesichert. Zudem sind im SGB II Instrumente zur Kompensation von Aufwendungen für eine darüber hinausgehende dem Grunde und der Höhe nach angemessene soziale Sicherung ausdrücklich vorgesehen. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sind als dem Grunde nach angemessen iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II abzusetzen.

13

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006, mit dem diese die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 7.2.2006 abgelehnt hat. Grundsätzlich erstreckt sich bei einer vollständigen Versagung von Leistungen der streitige Leistungszeitraum zwar bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 8; vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4). Da die Beklagte jedoch über den Anspruch der Kläger durch Bescheid vom 25.10.2006 für den Zeitraum ab dem 1.9.2006 erneut entschieden hat (vgl BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R) und die Kläger im Berufungsverfahren den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid nur im Hinblick auf die abgelehnte Leistungsgewährung bis zum 31.5.2006 angegriffen haben, ist der streitige Zeitraum hier vom 7.2. bis 31.5.2006 begrenzt. Eine weitere Eingrenzung des Streitgegenstandes haben die Kläger nicht vorgenommen, sodass der geltend gemachte Anspruch auf Alg II im streitigen Zeitraum unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen ist.

14

2. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllten die Kläger im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II. Gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), erwerbsfähig sind (Nr 2) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Sie waren jedoch nicht hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalt ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern konnten, insbesondere durch Sozialleistungen eines anderen Trägers.

15

a) Für den Monat Februar 2006 hat das LSG einen Leistungsanspruch der Kläger zutreffend abgelehnt. Zwar ist das LSG rechenfehlerhaft von einem Bedarf der Kläger in Höhe von 1012 Euro ausgegangen. Es hat die Regelleistung nach § 20 Abs 3 iVm § 20 Abs 2 Halbs 2 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) mit 2 x 298 Euro angesetzt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung (435,94 Euro brutto warm) minus des Abzugs für die Warmwasserbereitung (2 x 5,37 Euro; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6) betragen insgesamt 425,20 Euro. Für jeden Kläger ergibt sich daher ein monatlicher Bedarf - unter Beachtung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB II - in Höhe von 511 Euro, mithin ein Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1022 Euro. Umgerechnet auf den im Februar 2006 nur 22-tägigen Leistungsanspruch (Antragstellung am 7.2.2006) folgt hieraus ein Gesamtbedarf von 862 Euro. Das Einkommen der Kläger überschreitet im Februar 2006 diesen Bedarf. Der Kläger zu 2 bezog vom 7.2. bis 28.2.2006 Alg in Höhe von 19,60 Euro (22 x 19,60 Euro = 431,20 Euro) und die Klägerin zu 1 von 23,55 Euro jeweils kalendertäglich (22 x 23,55 Euro = 518,10 Euro). Zudem erzielte der Kläger zu 2 Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 165 Euro, das bei der Leistungsberechnung nach Abzug des Grundfreibetrags von 100 Euro und des Freibetrags bei Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II mit 38,13 Euro zu berücksichtigen ist. Insgesamt verfügten sie damit über ein ihren Bedarf übersteigendes, berücksichtigungsfähiges Einkommen von 987,43 Euro.

16

b) Auch in den Monaten März bis Mai 2006 überstieg trotz des Wegfalls des Alg der Klägerin zu 1 ab 1.3.2006 und des Klägers zu 2 ab 31.3.2006 das Einkommen der Kläger deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro hat diesen Wegfall kompensiert. Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger ist das Überbrückungsgeld auch der Leistungsberechnung als Einkommen zu Grunde zu legen.

17

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB II unterfällt keiner der in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II benannten Ausnahmen. Es ist auch nicht als zweckbestimmte Leistung iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen.

18

Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen, … einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Das Überbrückungsgeld dient dem gleichen Zweck wie die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (im Ergebnis ebenso: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13.2.2008 - L 32 B 59/08 AS ER; Hessisches LSG Beschluss vom 24.4.2007 - L 9 AS 284/06 ER, RdNr 42; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 21.3.2007 - L 1 AS 19/06, RdNr 25; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.12.2005 - L 2 B 84/05 AS ER, RdNr 22; SG Berlin Beschluss vom 28.7.2008 - S 159 AS 21256/08 ER, RdNr 22; SG Lüneburg vom 14.3.2008 - S 30 AS 308/08 ER; Brühl in LPK SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 67; Hengelhaupt jurisPR-SozR 18/2008, Anm 1; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 39; aA hinsichtlich des Anteils für "soziale Sicherung" wohl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VIII/08, § 11 RdNr 266b; zT Ausführungen schon bezogen auf den Gründungszuschuss nach §§ 57, 58 SGB III, der die Leistungen "Überbrückungsgeld" und "Existenzgründungszuschuss" in einer Leistung zusammengefasst hat).

19

Sinn des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II ist es zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung als Einkommen im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden( vgl BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 15/06 R, BSGE 99, 47, 57 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5; BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R und - B 14/7b AS 20/07 R zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung). Die Zweckbestimmung kann sich aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergeben (vgl BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), jedoch können auch zweckbestimmte Einkünfte auf privatrechtlicher Grundlage darunter fallen (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R, BSGE 102, 295). Dient die zweckbestimmte Einnahme dem gleichen Zweck wie die Leistung nach dem SGB II, ist sie von vornherein nicht nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II als Einkommen von der Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung auszunehmen. So liegt der Fall hier.

20

Aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III ergibt sich, dass die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt ist. Nach § 57 Abs 1 SGB III in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 21.7.1999 (BGBl I 1648) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Es liegt Zweckidentität mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor. Auch das Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (BT-Drucks 15/1516 S 56; vgl BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 3 RdNr 17). Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III unterscheidet sich damit nicht von dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III, für den der 14. Senat des BSG bereits Zweckidentität angenommen hat ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Der erkennende Senat schließt sich den dortigen Ausführungen an.

21

Das Überbrückungsgeld des § 57 SGB III ist auch nicht deswegen im Hinblick auf seine Zweckbestimmung anders zu beurteilen als der Existenzgründungszuschuss des § 421l SGB III, weil in § 57 Abs 1 SGB III zugleich auch die Funktion der "sozialen Sicherung" genannt wird. Die Benennung eines Verwendungszwecks in einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift alleine führt nicht dazu, eine Leistung nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II auszunehmen, denn auch der Leistungsanteil "soziale Sicherung" des Überbrückungsgeldes findet sein Pendant in der Grundsicherungsleistung. Insoweit liegt ebenfalls Zweckidentität der Leistungen vor.

22

Die soziale Absicherung von Alg II-Empfängern ist eine Annex-Leistung zu der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Alg II-Bezieher sind in der gesetzlichen Kranken- und Renten- sowie der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert, soweit sie nicht ausnahmsweise auf Grund vorhergehender Befreiungstatbestände hiervon ausgenommen sind (vgl § 26 Abs 1 und 2 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2954). Das Alg II umfasst neben der Regelleistung die Beiträge zu den zuvor benannten Versicherungszweigen (BT-Drucks 15/1516, S 55). Die soziale Absicherung im SGB II erfolgt mithin durch die vom Grundsicherungsträger gezahlten Pflichtbeiträge und dient damit demselben Zweck wie die von dem Übergangsgeldbezieher gezahlten freiwilligen Beiträge.

23

Für gleichwohl gezahlte freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sieht das SGB II - auch für Übergangsgeldempfänger - zudem eine Kompensationsmöglichkeit vor. § 26 Abs 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) ermöglicht einen Zuschuss des Grundsicherungsträgers zu diesen freiwilligen Beiträgen, wenn Hilfebedürftigkeit allein durch diese Aufwendungen entsteht. Diese am 1.8.2006 in Kraft getretene Regelung ist auch der Klägerin zu 1 zu Gute gekommen, allerdings noch nicht für den hier streitigen Zeitraum. Bis zum 1.8.2006 und heute - soweit Hilfebedürftigkeit nicht nur durch die Beitragszahlung eintritt - sind, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung während des Alg II-Bezugs vom Leistungsempfänger selbst zu tragen. Die Zahlung freiwilliger Beiträge während des Alg II-Bezugs ist nicht zur Existenzsicherung erforderlich, sodass es systemwidrig wäre, sie gleichwohl von der Berücksichtigung des zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzenden Einkommens als zweckbestimmten Einnahmeanteil auszunehmen. Insoweit ist ein Gleichklang mit der spiegelbildlichen Vorschrift des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II herzustellen. Auf Grund der während des Leistungsbezugs bestehenden Pflichtversicherung handelt es sich bei den freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nicht um angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II; sie könnten also auch nicht vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung in Abzug gebracht werden.

24

Grundsätzlich gilt für die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts anderes. Mit dem Alg II-Bezug tritt nach § 3 Satz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Die Kompensationsmöglichkeiten des § 26 Abs 1 SGB II sind jedoch im Hinblick auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung deutlich eingeschränkter als bei den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Inwieweit hieraus eine andere Behandlung als die der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu folgen hat (vgl den Sachverhalt des Urteils des 14. Senats des BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), konnte der Senat hier jedoch dahinstehen lassen. Die Klägerin zu 1 hat nach den Feststellungen des LSG keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.

25

Für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gilt etwas anderes. Die grundsätzliche Unbestimmtheit im Hinblick auf den Verwendungszweck der "sozialen Sicherung", wie sie der 14. Senat zum Existenzgründungszuschuss ausführlich dargelegt hat, betrifft zwar den gesamten Teil "soziale Sicherung" der Leistung "Überbrückungsgeld", einschließlich seines Einsatzes zur Sicherung als Selbstständiger in der Arbeitslosenversicherung ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Daher ist auch insoweit nicht von einer zweckbestimmten Einnahme auszugehen, selbst dann nicht, wenn tatsächlich freiwillig Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet werden. Da andererseits Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung mit dem Alg II-Bezug nicht eintritt und durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung ein zeitnaher Anspruch auf eine andere Sozialleistung aufgebaut werden kann, handelt es sich bei freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung um dem Grunde nach angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II, die vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung abgesetzt werden können.

26

Nach § 28a Abs 1 Nr 2 SGB III können Personen auf Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Diese Regelung kann dazu beitragen - sofern der Hilfebedürftige von ihr Gebrauch machen kann und Gebrauch macht - das zentrale Ziel des SGB II zu erreichen, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden. Durch die Gewährung des Überbrückungsgeldes wird der Alg-Anspruch aufgezehrt und bei erneutem Eintritt von Arbeitslosigkeit verbleibt - ohne Pflichtversicherung als Selbstständiger - danach nur der Leistungsanspruch nach dem SGB II. Mit der Versicherung nach § 28a SGB III kann der Selbstständige - setzt er etwa die Beitragszahlung nach dem Auslaufen des Überbrückungsgeldanspruchs fort - jedoch nach zwölfmonatiger Beitragszahlung einen erneuten Alg-Anspruch erwerben. Auch wenn es sich insoweit nicht um eine gesetzliche Verpflichtung zur Versicherung handelt, so gebieten doch gerade die §§ 3 und 5 SGB II mit ihrer Forderung nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit - auch durch Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen - hier die Angemessenheit der Beitragszahlung iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II anzunehmen.

27

c) Die Kläger haben jedoch selbst dann, wenn der von der Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG geleistete Beitrag zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro vom Überbrückungsgeld abzusetzen wäre keinen Anspruch auf Alg II im Zeitraum vom 1.3. bis 31.5.2006.

28

Hinsichtlich der Bedarfsberechnung wird auf die obigen Ausführungen zum Monat Februar 2006 verwiesen. Auf der Einkommensseite waren im März 2006 das Alg des Klägers zu 2 in Höhe von 30 x 19,60 Euro = 588 Euro und das Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro zu Grunde zu legen. Das Nebeneinkommen des Klägers zu 2 in Höhe von 100 Euro bleibt berücksichtigungsfrei - ihm ist der Grundfreibetrag nach § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II entgegenzusetzen. Das Überbrückungsgeld ist zudem um die Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro zu bereinigen. Hieraus folgt ein Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1755,52 Euro. Zieht man hiervon weiter die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 33,56 Euro und - im Gegensatz zum Vorgehen der Beklagten - auch die Beiträge zur Kfz-Versicherung der Klägerin zu 1 von monatlich 26,37 Euro ab, steht dem Bedarf von 1022 Euro im Monat März 2006 ein Einkommen von 1695,59 Euro gegenüber.

29

In den Monaten April und Mai 2006 war zwar das Alg des Klägers zu 2 entfallen und sein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 100 Euro hatte auch in diesem Zeitraum unberücksichtigt zu bleiben. Von dem Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro sind wiederum 30 Euro für Versicherungen und die Kfz-Haftpflichtprämie in Abzug zu bringen. Es verbleiben alsdann 1141,15 Euro Einkommen. Bereinigt um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro ergibt sich mit 1107,59 Euro immer noch ein den Bedarf der Kläger übersteigendes Einkommen.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Für die Revision gelten die Vorschriften über die Berufung entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. § 153 Abs. 2 und 4 sowie § 155 Abs. 2 bis 4 finden keine Anwendung.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Alle verwertbaren Vermögensgegenstände sind vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind

1.
angemessener Hausrat; für die Beurteilung der Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs von Bürgergeld maßgebend,
2.
ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person; die Angemessenheit wird vermutet, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt,
3.
für die Altersvorsorge bestimmte Versicherungsverträge; zudem andere Formen der Altersvorsorge, wenn sie nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert werden,
4.
weitere Vermögensgegenstände, die unabhängig von der Anlageform als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet werden; hierbei ist für jedes angefangene Jahr einer hauptberuflich selbständigen Tätigkeit, in dem keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung, an eine öffentlich-rechtliche Versicherungseinrichtung oder an eine Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe entrichtet wurden, höchstens der Betrag nicht zu berücksichtigen, der sich ergibt, wenn der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung nach § 158 des Sechsten Buches mit dem zuletzt festgestellten endgültigen Durchschnittsentgelt gemäß Anlage 1 des Sechsten Buches multipliziert und anschließend auf den nächsten durch 500 teilbaren Betrag aufgerundet wird,
5.
ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern; bewohnen mehr als vier Personen das Hausgrundstück beziehungsweise die Eigentumswohnung, erhöht sich die maßgebende Wohnfläche um jeweils 20 Quadratmeter für jede weitere Person; höhere Wohnflächen sind anzuerkennen, sofern die Berücksichtigung als Vermögen eine besondere Härte bedeuten würde,
6.
Vermögen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung von angemessener Größe bestimmt ist, und das Hausgrundstück oder die Eigentumswohnung Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftigen Menschen zu Wohnzwecken dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde sowie
7.
Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung für die betroffene Person eine besondere Härte bedeuten würde.

(2) Von dem zu berücksichtigenden Vermögen ist für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag in Höhe von 15 000 Euro abzusetzen. Übersteigt das Vermögen einer Person in der Bedarfsgemeinschaft den Betrag nach Satz 1, sind nicht ausgeschöpfte Freibeträge der anderen Personen in der Bedarfsgemeinschaft auf diese Person zu übertragen.

(3) Für die Berücksichtigung von Vermögen gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind.

(4) Vermögen ist im Sinne von Absatz 3 Satz 2 erheblich, wenn es in der Summe 40 000 Euro für die leistungsberechtigte Person sowie 15 000 Euro für jede weitere mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebende Person übersteigt; Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. Bei der Berechnung des erheblichen Vermögens ist ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung abweichend von Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 nicht zu berücksichtigen. Es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Liegt erhebliches Vermögen vor, sind während der Karenzzeit Beträge nach Satz 1 an Stelle der Freibeträge nach Absatz 2 abzusetzen. Der Erklärung ist eine Selbstauskunft beizufügen; Nachweise zum vorhandenen Vermögen sind nur auf Aufforderung des Jobcenters vorzulegen.

(5) Das Vermögen ist mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs.

(6) Ist Bürgergeld unter Berücksichtigung des Einkommens nur für einen Monat zu erbringen, gilt keine Karenzzeit. Es wird vermutet, dass kein zu berücksichtigendes Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Absatz 4 Satz 4 gilt entsprechend.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

2

Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine Ein-Zimmer-Wohnung, die durch zwei Gas-Einzelöfen und einen Heizlüfter im Bad beheizt wird. Im Oktober 2004 beantragte sie bei dem Beklagten die Gewährung von Alg II und legte dabei eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr aufgrund eines Diabetes mellitus Typ I Krankenkost (Diabeteskost) erforderlich sei.

3

Mit Bescheid vom 13.11.2004 bewilligte der Beklagte Alg II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei er neben einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 134 Euro einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung wegen Diabetes mellitus Typ I berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlung monatliche Kosten in Höhe von mindestens 50 Euro entstünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2005 bewilligte der Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 monatlich 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro. Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies er als unbegründet zurück.

4

Am 1.3.2005 erhob die Klägerin Klage zum SG und begründete ihre Klage insbesondere damit, dass eine Anpassung des seit 1997 nicht erhöhten Mehrbedarfsbetrages zu erfolgen habe, die Regelleistung in Höhe von 345 Euro zu gering sei und zusätzliche Stromkosten von monatlich 11 Euro zu berücksichtigen seien, weil sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 4.3.2005, 7.9.2005 und 15.11.2005 zuletzt Leistungen für Januar und Februar in Höhe von monatlich 806,33 Euro, für März 689,26 Euro, für April 810,33 Euro, für Mai 802,82 Euro und für Juni 2005 782,72 Euro bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Beklagte am 29.6.2006 ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin über die mit Bescheid vom 15.11.2005 zuerkannten Leistungen hinaus für März 2005 Leistungen in Höhe von 795,23 Euro (gemäß dem Widerspruchsbescheid), für Mai 2005 in Höhe von 807,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 784,46 Euro (gemäß dem Bescheid vom 4.3.2005) zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Mit Urteil vom 29.6.2006 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen.

5

Mit Urteil vom 15.12.2006 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt sei und die Kosten für Arztbesuche und Zuzahlungen im Regelbetrag enthalten seien.

6

Auf die Revision der Klägerin hat das BSG mit Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R - das Urteil des LSG vom 15.12.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, da es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehle, insbesondere für die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für eine kostenaufwändige Krankenernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II.

7

Das LSG hat hierauf die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Außerdem hat das LSG ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei dem Internisten Dr. S. eingeholt. Mit Urteil vom 23.10.2009 hat das LSG der Klägerin einen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zugesprochen. Insoweit sei bei den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) ein Anteil an den Stromkosten, der für eine angemessene Beheizung des Bades mittels des vorhandenen Heizlüfters erforderlich sei, ergänzend zu berücksichtigen. Der konkrete Stromverbrauch des Heizlüfters zur Beheizung des Bades - etwa über einen getrennten Zähler - werde nicht erfasst. Die vom SG berücksichtigte Betriebsdauer des Heizlüfters von einer halben Stunde täglich sei sehr knapp bemessen, weshalb zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Schätzung eine volle Stunde zugrunde gelegt werde. Insgesamt belaufe sich die der Klägerin zustehende Nachzahlung für Kosten der Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum auf 60,69 Euro. Im Übrigen hat das LSG die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Wegen des Verbots der reformatio in peius verbleibe es jedoch bei dem von der Beklagten zuerkannten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro monatlich. Eine Verrechnung mit dem Nachzahlungsanspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht.

8

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 21 Abs 5 SGB II. Das Tatbestandsmerkmal "medizinische Gründe" in § 21 Abs 5 SGB II umfasse auch nicht krankheitsbedingte und in der körperlichen Verfassung eines Menschen liegende Umstände, die ärztlich festgestellt werden könnten. Vorliegend bestehe ein erhöhter Grundumsatz bzw ein erhöhter Kalorienverbrauch, der zu einer finanziellen Mehrbelastung führe, welche die bereits monatlich gewährten 25,56 Euro deutlich übersteige. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzesbegründung würden die Beschränkung auf Gesundheitsschäden hergeben. Ausgehend von ihren Angaben, wonach sie bereits seit ihrer Kindheit habe sehr viel essen müssen, hätte das LSG eine individuelle Kaloriemetrie zur Ermittlung ihres erhöhten Grundbedarfs durchführen müssen. Der Hinweis des LSG auf die Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gehe fehl, da ein pauschaler Regelleistungsbetrag nur den durchschnittlichen Bedarf decke. Die vorliegend erforderliche Vollkost lasse sich nicht aus dem Regelsatz finanzieren. Auch hierzu fehle es an Feststellungen des LSG. Es liege eine Verletzung des § 170 Abs 5 SGG vor, da das LSG insoweit entgegen der Rechtsprechung des BSG die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 herangezogen und hieraus abgeleitet habe, dass Vollkost aus dem Regelsatz finanzierbar sei. Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs, der nicht von den Leistungen nach § 20 SGB II erfasst werde, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken sei. Schließlich sei der vom LSG errechnete Betrag für die Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen fehlerhafter Anwendung der Rundungsregel des § 41 Abs 2 SGB II um 1 Euro zu niedrig.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 abzuändern und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide vom 13. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2005, dieser in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 4. März 2005, 7. September 2005 und 15. November 2005 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 zu gewähren.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

12

1. Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005 nach den Feststellungen des LSG leistungsberechtigt als erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Damit hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II, idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954).

13

2. Die Klägerin hat weder wegen eines erhöhten Kalorienbedarfs noch aufgrund einer etwaigen Ernährung mit sog "Vollkost" einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

14

a) Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten nach § 21 Abs 5 SGB II einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser ergänzt die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 21 SGB II idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Er umfasst Bedarfe, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind (§ 21 Abs 1 SGB II).

15

Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung des Mehrbedarfs allein kann damit nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

16

b) Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.

17

aa) Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 21 Abs 5 SGB II bewusst an den Rechtszustand des § 23 Abs 4 BSHG angeknüpft. Danach war für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs (Hofmann in: LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Unter der Geltung des BSHG wurde die kostenaufwändige Ernährung gemäß § 23 Abs 4 BSHG deshalb auch als "Krankenkostzulage" bezeichnet(vgl Knopp/Fichtner, BSHG, 5. Aufl 1983, § 23 RdNr 22; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, § 23 RdNr 30; Schoch, Sozialhilfe, 3. Aufl 2001, S 167; Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; Linhart, BSHG § 23 RdNr 14 - Stand 39. EL, Juli 2004).

18

Wie in der früheren Sozialhilfe, dem Referenzsystem für das SGB II (BT-Drucks 15/1514 S 1), wollte der Gesetzgeber auch im Rahmen des Alg II einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung vorsehen. In der Gesetzesbegründung ist unter Bezugnahme auf den Rechtszustand des BSHG zum Tatbestandsmerkmal "aus medizinischen Gründen" ausgeführt worden: "Wie in der Sozialhilfe ist auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorgesehen. Hierbei ist eine Präzisierung dahin gehend vorgenommen worden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen ist. Zur Angemessenheit des Mehrbedarfs können die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden." (BT-Drucks 15/1516, S 57).

19

Auch die vergleichende Betrachtung der Vorschriften des § 21 Abs 5 SGB II und des § 30 Abs 5 des SGB XII bestätigt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung erforderlich ist. Die Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten ist in § 21 Abs 5 SGB II zwar anders formuliert als in § 30 Abs 5 SGB XII, der dem früheren § 23 Abs 4 BSHG nachgebildet ist. Gemäß § 30 Abs 5 SGB XII in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Hingegen sind auch anspruchsberechtigt erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer aufwendigen Ernährung bedürfen. Wie aufgezeigt, sollte nach der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs 5 SGB II(BT-Drucks 15/1516, S 57) mit der Formulierung klargestellt werden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen sei.

20

Folglich hat der Gesetzgeber inhaltliche Unterschiede zwischen § 21 Abs 5 SGB II und § 30 Abs 5 SGB XII nicht beabsichtigt. Sinn und Zweck der Leistungen ist es in beiden Fällen, durch die krankheitsbedingte besondere Ernährung drohende oder bestehende Gesundheitsschäden abzuwenden oder zu verhindern (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 49 f; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II § 21 RdNr 32, 34; Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25; Simon in: jurisPK-SGB XII, § 30 RdNr 92; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Anspruchsvoraussetzung bei § 21 Abs 5 SGB II ist daher immer das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung. Dementsprechend hat auch das BSG bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 Abs 5 SGB II bislang stets von "Krankenernährung" oder "krankheitsbedingtem Mehrbedarf" gesprochen(BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R) und ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nur vorliegen, wenn eine oder mehrere Erkrankungen eine kostenaufwändige Ernährung bedingen (BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5; vgl auch BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

21

bb) Der von der Klägerin behauptete erhöhte Kalorienbedarf ist nach den Feststellungen des LSG nicht auf eine Krankheit, also auf einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, zurückzuführen. Nach diesen Feststellungen liegen bei der Klägerin zwar verschiedene Krankheiten, insbesondere ein Diabetes mellitus Typ I vor; diese verursachen jedoch weder einen erhöhten Kalorienbedarf noch einen anderen Ernährungsmehrbedarf iS des § 21 Abs 5 SGB II. Das LSG hat den Sachverhalt vollständig und ausreichend ermittelt, indem es sachverständige Zeugenauskünfte sowie ein internistisches ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt hat, um sich die erforderliche Sachkunde zu verschaffen. Damit hat das LSG von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben, Gebrauch gemacht (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) liegt nicht vor.

22

Nach den Feststellungen, die das LSG nach ausreichenden Ermittlungen des Sachverhalts getroffen hat, liegen keine begründeten Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Krankenkost vor. Das LSG konnte nach der vorgenommenen eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts und der Prüfung der Umstände des Einzelfalles dahinstehen lassen, ob die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Auch durch die aktuellen Empfehlungen wird die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären ( § 20 SGB X bzw § 103 SGG ), nicht aufgehoben. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (abgedruckt in NDV 2008, 503 ff) ersetzen nicht eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall.

23

Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 <20> AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lagen (so bereits Sächsisches LSG vom 26.2.2009 - L 2 AS 152/07; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08). Wenn dann - wie vorliegend - nach dem Ergebnis der im Einzelfall durchgeführten Amtsermittlung eine Abweichung von den Empfehlungen nicht festzustellen ist (vgl zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfG vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - juris RdNr 19), ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich.

24

cc) Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand(Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).

25

dd) Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.

26

Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist.

27

3. Der Sache nach ist das Begehren der Klägerin demnach darauf gerichtet, für ihren geltend gemachten individuellen Ernährungsbedarf eine höhere Regelleistung zu erstreiten. Dieses Begehren hat gleichfalls keinen Erfolg.

28

a) Im streitgegenständlichen Zeitraum besteht lediglich ein Anspruch auf eine monatliche Regelleistung in Höhe von 345 Euro. Zwar hat das BVerfG die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, ua die des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen zusteht. Vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber wurde lediglich verpflichtet, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 ff - juris RdNr 210 ff; BVerfG vom 18.2.2010 - 1 BvR 1523/08; BVerfG vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09; BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R). Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die der Klägerin im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 345 Euro für den hier streitigen Zeitraum hinzunehmen ist (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R - juris RdNr 16).

29

b) Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: "Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für 'Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren' sowie für 'Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche' die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 )" (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).

30

c) Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Bei der Ernährung handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gedeckt werden soll. Es ist konstitutiver Bestandteil des Systems des SGB II, eine abweichende Festsetzung der Bedarfe, wie sie § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII zulässt, gerade nicht vorzusehen. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.

31

Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). Diese sind darauf angewiesen, mit dem in der Regelleistung pauschaliert enthaltenen Betrag ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Außerhalb der gemäß § 21 SGB II gewährten Mehrbedarfe und der gemäß § 23 Abs 3 SGB II aF - in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung - gewährten einmaligen Leistungen sind monetäre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Das System des SGB II ist insofern abschließend (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 91 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 45).

32

In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: "Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 <255 f>; 100, 59 <90>; 195 <205>). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG , der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist […], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.“

33

Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen.

34

4. Ansprüche auf Gewährung einer von der Regelleistung abweichenden Leistung auf der Grundlage sonstiger Anspruchsgrundlagen bestehen gleichfalls nicht.

35

a) Die Klägerin kann keinen Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung des § 73 SGB XII herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des 7b. Senats, der sich auch der 14. Senat des BSG angeschlossen hat, eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Zugleich muss auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert sein (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 250 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 22 f; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 13/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 19 f). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil es sich bei der Ernährung mit ausgewogener Mischkost bzw sog "Vollkost" um einen typischen, innerhalb des SGB II zu befriedigenden Bedarf handelt.

36

b) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf die durch eine Anordnung des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (aaO) geschaffene Härtefallregelung, die der Gesetzgeber mittlerweile mWv 3.6.2010 in § 21 Abs 6 SGB II geregelt hat(Gesetz vom 27.5.2010, BGBl I 671). Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9.2.2010 (insbesondere RdNr 207) klargestellt, dass der von ihm verfassungsrechtlich abgeleitete, zusätzliche Anspruch immer dann notwendig werde, wenn ein bestimmter fortlaufender atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II nicht gedeckt werden könne. Nach den Feststellungen des LSG kann die Klägerin keinen derartigen besonderen Bedarf geltend machen.

37

5. Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren Leistungsbetrag mit Rücksicht auf die fehlerhafte Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II durch das LSG. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Ansatz des LSG hinsichtlich der hier ausnahmsweise als KdU anteilig zu berücksichtigenden Stromkosten nicht zu beanstanden ist. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, dass lediglich Endzahlbeträge der monatlichen Leistung nach § 41 Abs 2 SGB II zu runden sind, Zwischenberechnungsschritte aber von der Rundung ausgenommen sind(vgl BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25).

38

Aus einer fehlerhaften Anwendung der Rundungsregelung folgt hier schon deshalb kein höherer Zahlbetrag, weil der Beklagte - wie bereits ausgeführt worden ist - bei der Leistungsbewilligung einen Betrag von monatlich 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung in Ansatz gebracht hatte, auf den die Klägerin keinen Anspruch hatte. Zwar folgt hieraus nicht, dass die Bescheide durch den erkennenden Senat zu Lasten der Klägerin zu ändern waren, denn einer solchen Änderung steht das Verbot der reformatio in peius entgegen (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 8; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 48/08 R - BSGE 102, 274, 281 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18 S 130). Da jedoch im Verfahren der Anspruch auf Alg II einschließlich der angemessenen KdU insgesamt streitig ist, kann die Klägerin einen höheren Zahlbetrag nur beanspruchen, wenn der Verfügungssatz der Bewilligung von Alg II sich insoweit der Höhe nach als unrichtig erweist. Insoweit ist die Höhe der Leistung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen.

39

Dem steht nicht entgegen, dass das BSG eine Beschränkung des Klagebegehrens auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw die Kosten für Unterkunft für zulässig erachtet hat (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18), denn die Klägerin hat eine Beschränkung ihres Klagebegehrens nicht vorgenommen. Eine (Teil-)Bestandskraft ist hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des zuerkannten Mehrbedarfs folglich nicht eingetreten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

1. Der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juni 2010 - L 5 AS 610/10 B PKH - und der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 - S 39 AS 21029/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren, wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Begründung versagt wurde, die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit liege im Bagatellbereich.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer, der seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II bezieht, wurde vom Grundsicherungsträger zwischen Januar 2006 und November 2008 zu insgesamt zehn Beratungsgesprächen eingeladen. Der Beschwerdeführer nahm diese Termine wahr und beantragte am 5. November 2008 die Erstattung der ihm deswegen durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 42 €. Der Grundsicherungsträger lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe die behaupteten Kosten nicht durch entsprechende Belege nachgewiesen (Bescheid vom 17. Dezember 2008; Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009).

3

2. Mit der beim Sozialgericht erhobenen Klage, über die noch nicht entschieden ist, begehrt der Beschwerdeführer sinngemäß unter Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 17. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2009 die Verurteilung des Grundsicherungsträgers, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über seinen Antrag vom 5. November 2008 zu entscheiden. Zur Begründung trägt er vor, die Busfahrkarten habe er nicht mehr. Ohnehin bestünden diese aus Thermopapier, auf dem Gedrucktes mit der Zeit unleserlich werde. Im Übrigen sei er auch nicht darauf hingewiesen worden, dass er diese aufbewahren müsse.

4

a) Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 4. März 2010 ab. In Anbetracht der Höhe der Klageforderung sei das Prozesskostenhilfegesuch auch unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers abzulehnen. Das Gericht habe im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten und der Mutwilligkeit bei einer Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch darauf abzustellen, ob ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation des Wertes der durchzusetzenden Klageforderung zum Kostenrisiko anwaltlichen Beistand in Anspruch genommen hätte (u.a. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2008 - L 10 B 184/08 AS PKH -, juris). Es sei nicht Sinn der Prozesskostenhilfebewilligung, den Unbemittelten in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt ohne Beachtung des Verhältnisses des Wertes der durchzusetzenden Klageforderung zum Kostenrisiko zu beauftragen. Der Unbemittelte müsse vielmehr nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwäge und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtige. Eine vernünftige wirtschaftliche Risikoabwägung sei vorliegend auch unter Berücksichtigung der eingeschränkten finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht mehr zu erkennen, da der Wert des Streitgegenstandes von 42 € lediglich einen Bruchteil der zu erwartenden Rechtsanwaltsgebühren für eine Instanz ausmache. Letztere könnten im konkreten Falle leicht das Zehnfache des Streitwertes betragen. Angesichts der vorliegend geltenden Gerichtskostenfreiheit (§ 183 Satz 1 SGG) und der Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) sei es auch verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der mittellose Beschwerdeführer den Rechtsstreit ohne wirtschaftliches Risiko anwaltlich vertreten führen dürfe, während ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation zwischen Streitwert und Kostenrisiko bei Beauftragung eines Rechtsanwalts vermutlich auf anwaltlichen Beistand verzichtet hätte. Die eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigten keine andere Betrachtung. Die Klageforderung entspreche für den geltend gemachten Zeitraum weniger als 0,5 % der dem Beschwerdeführer für diesen Zeitraum zustehenden Regelleistung nach § 20 SGB II.

5

b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2010 zurück. In Anlegung des Maßstabes, der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f., aufgestellt worden sei, sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Im Übrigen bedürfe es dieser Hilfe nicht. Denn das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei kostenfrei. Soweit der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden könne, habe der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung im Bagatellbereich. Zur Überzeugung des Gerichts würde ein Bemittelter bei vernunftgeleiteter Abwägung des Streitwertes der durchzusetzenden Rechtsposition von 42 € mit dem Kostenrisiko - allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) betrage zwischen 40 und 460 € - von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen. Keineswegs sei es Absicht der Regelungen zur Prozesskostenhilfe, einen Unbemittelten in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt unter Außerachtlassung naheliegender wirtschaftlicher Erwägungen zu beauftragen und damit gegenüber einem Bemittelten deutlich zu bevorzugen. Selbst angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei vorliegend eine angemessene Relation zwischen Streitwert und Kostenrisiko nicht erkennbar.

6

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 6. Juli 2010 rügt der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

7

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, entscheidend dafür, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, sei nicht das Verhältnis zwischen Aufwand und wirtschaftlichem Nutzen, sondern es komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf an, ob im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht bestehe. Dies sei vorliegend der Fall. Die Gerichte hätten nicht berücksichtigt, dass ihm rechtskundige und prozesserfahrene Behördenvertreter gegenüberstünden und ein vernünftiger Rechtsuchender daher regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten würde. Nicht beachtet worden sei zudem, dass eine große Zahl der das SGB II betreffenden Streitigkeiten einen Streitwert von weniger als 100 € betreffen würden. Gerade im Bereich der Absicherung des Existenzminimums werde damit die Garantie effektiven Rechtsschutzes unterlaufen und im Ergebnis Prozesskostenhilfe in Bagatellsachen grundsätzlich versagt. Der Betrag von 42 € stelle für ihn keinen Bagatellwert dar, sondern mache etwa 12 % der ihm monatlich zustehenden Regelleistung von derzeit 359 € aus. Auch ein Bemittelter würde bei einem Streitwert von 12 % seines monatlichen Nettoeinkommens anwaltlichen Beistand suchen. Neben dieser wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits sei ein Prozesserfolg für künftige Leistungsansprüche maßgeblich. Ob das Verhältnis von Aufwand und Prozessrisiko angemessen sei oder der Prozesserfolg so gering, dass er jedenfalls nicht mit anwaltlicher Hilfe erstritten würde, könne nicht allein anhand eines Bagatellgrenzwertes beurteilt werden. Zu dessen Festlegung würde es bereits keine aussagekräftigen Wertgrößen geben.

8

4. Die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.

10

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die hierfür maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris).

11

2. Soweit der Beschwerdeführer durch die angefochtenen Beschlüsse eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

12

3. Sie ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

13

a) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 -, NJW 2009, S. 209 <210>). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten.

14

b) Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts und dessen Befriedigung durch die Staatskasse von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

15

c) Den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit, dessen Auslegung und Anwendung in erster Linie den Fachgerichten obliegt, haben Sozialgericht und Landessozialgericht in einer Weise ausgelegt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht (vgl. BVerfGE 81, 347 <358> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.).

16

aa) Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfGE 63, 380 <394>). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 17).

17

bb) Diese Maßstäbe stellen das Sozialgericht und das Landessozialgericht durch mittelbare und unmittelbare Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Themenkomplex ihren Beschlüssen zwar voran. Sie tragen ihnen jedoch nachfolgend nicht hinreichend Rechnung. Beide Gerichte reduzieren die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko. Beide lassen dabei außer Betracht, dass Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts vornehmlich ist, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>). Im Übrigen erscheint es keinesfalls fernliegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.

18

Die Ausführungen der Gerichte rechtfertigen auch nicht den Schluss, dass hinsichtlich Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien kein Ungleichgewicht besteht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem Beschwerdeführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Relevanz haben.

19

Der Hinweis des Sozialgerichts auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Rechtsanwalts geht über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus. Insbesondere kann der Anwalt verpflichtet sein, auch solche tatsächlichen Ermittlungen anzuregen und zu fördern, die für den Richter aufgrund des Beteiligtenvorbringens nicht veranlasst sind. Allein durch den Amtsermittlungsgrundsatz wird daher die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes nicht angeglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>).

20

d) Die angegriffenen Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts beruhen auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Sache zu einer anderen Entscheidung gelangt wären.

21

4. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar dargetan, dass der Wert des fachgerichtlichen Streitgegenstandes für ihn von existentieller Bedeutung ist.

22

5. Weiterhin steht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer auch im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

23

Ob die angegriffenen Entscheidungen darüber hinaus den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, kann dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen führt.

24

6. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.


25

7. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

Tenor

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

2. Der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Januar 2010 - L 10 B 1479/08 AS PKH - und der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Juni 2008 - S 27 AS 3484/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

3. Die Sache wird zur Entscheidung an das Sozialgericht Potsdam zurückverwiesen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren, wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Begründung versagt wurde, die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit liege im Bagatellbereich.

I.

2

1. Der alleinstehende, unter Betreuung stehende Beschwerdeführer bewohnt eine 28,94 qm große Wohnung zur Miete. Im fachgerichtlich streitgegenständlichen Zeitraum von November 2006 bis April 2007 hatte er für die Heizkosten eine monatliche Vorauszahlung in Höhe von 57 € an den Vermieter zu leisten. Der Grundsicherungsträger berücksichtigte hingegen lediglich monatliche Heizkosten in Höhe von 50 € (Bescheid vom 7. November 2006; Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2007). Aus den Faktoren "Jahresbedarf des jeweiligen Energieträgers (161,8 kWH)", "Brennstoffpreis (0,064 Euro)" und "tatsächliche Wohnungsgröße (28,94 qm)" errechne sich an sich insoweit sogar nur ein angemessener monatlicher Bedarf von 24,97 €. Aus Bestandsschutzgesichtspunkten sei für die Heizkosten allerdings ein monatlicher Betrag in Höhe von 50 € angesetzt worden.

3

2. Mit der beim Sozialgericht erhobenen Klage, über die noch nicht entschieden ist, begehrt der Beschwerdeführer unter Abänderung des Verwaltungsaktes vom 7. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 die Bewilligung von weiteren Leistungen für Unterkunft und Heizung für November 2006 bis April 2007 in Höhe von monatlich jeweils 7 €, mithin insgesamt 42 €.

4

a) Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 3. Juni 2008 ab. Dem Beschwerdeführer stehe keine Prozesskostenhilfe zu, da jemand, der aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Kosten für einen Prozess tragen müsste, angesichts des geringen Wertes der durchzusetzenden Ansprüche und bei offenem Ausgang dieses Verfahrens diesen gerichtskostenfreien Prozess mit anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht führen würde. Damit sei es nicht erforderlich, den unbemittelten Beschwerdeführer in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt ohne Beachtung des Verhältnisses des Wertes der durchzusetzenden Position zum Kostenrisiko beauftragen zu können.

5

b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2010, der am Folgetag zugestellt wurde, zurück. Ein Rechtsanwalt könne nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO nur beigeordnet werden, wenn und soweit Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts solle durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein Unbemittelter hinsichtlich der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend einem Bemittelten gleichgestellt werden. Die Gewährung der staatlichen Hilfe solle indessen nicht dazu führen, dass ein Unbemittelter Rechtsschutz in einer Form oder einem Umfang in Anspruch nehme, die der Bemittelte sich bei Abwägung von Kosten und Nutzen versagen müsste oder würde. Zu berücksichtigen sei daher auch, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. In Anlegung dieses Maßstabes sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt. Denn die wirtschaftliche Bedeutung des beim Sozialgericht anhängigen Rechtsstreits liege mit 42 € im Bagatellbereich. Ein Bemittelter würde bei Abwägung dieses Betrages mit dem Kostenrisiko - allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) betrage zwischen 40 und 460 € - von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen.

6

3. Der Beschwerdeführer stellte am 3. Februar 2010 beim Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Hierüber wurde mit Beschluss vom 24. August 2010 antragsgemäß entschieden. Diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 20. September 2010 zugestellt.

7

4. Mit seiner am 28. September 2010 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

8

Die angefochtenen Entscheidungen verletzten ihn in seinem Recht auf Rechtsschutzgleichheit. Das Landessozialgericht zitiere zwar eine in diesem Zusammenhang ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, verkenne jedoch deren wesentlichen Inhalt. Entgegen der Ansicht von Sozialgericht und Landessozialgericht sei das Gebot der "Waffengleichheit" im Sozialgerichtsverfahren nicht an einen vom erkennenden Gericht festzulegenden Mindestwert oder an eine vom objektivierten Kläger anzustellende Kosten-/Nutzenanalyse geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht habe hinsichtlich der Rechtsschutzgleichheit vielmehr darauf abgestellt, ob die Sach- und Rechtslage von solchem Schwierigkeitsgrad sei, dass ein bemittelter Rechtsuchender sich anwaltlicher Hilfe bediene. Vorliegend weise das Klageverfahren im Einzelnen einen solchen Grad der Schwierigkeit auf, dass auch ein Bemittelter einen Rechtsanwalt eingeschaltet hätte. Das Landessozialgericht habe sich ferner nicht mit den einfachgesetzlichen Regelungen von § 73a Abs. 1 SGG und § 114 ZPO auseinandergesetzt. Eine Anwendung oder Auslegung der Regelung des § 73a SGG, der die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei geringen Streitwerten nicht vorsehen würde, sei nicht erfolgt. Des Weiteren berücksichtige das Landessozialgericht nicht, dass er um existenzsichernde Leistungen streite. Auch habe das Landessozialgericht verkannt, dass es sich bei der Prozesskostenhilfe um Hilfe in besonderen Lebenslagen handele.

9

5. Die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

II.

10

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.

11

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die hierfür maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris).

12

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Wegen der erst nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG eingelegten Verfassungsbeschwerde wird dem Beschwerdeführer antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zur Vermeidung der Benachteiligung von Mittellosen ist einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entsprechen, wenn der mittellose Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes stellt und alle für die hierüber zu ergehende Entscheidung wesentlichen Angaben macht und die erforderlichen Unterlagen vorlegt. Wird dann über seinen Antrag erst nach Ablauf der Monatsfrist entschieden, hat der Beschwerdeführer die Fristüberschreitung wegen seiner finanziellen Bedürftigkeit nicht im Sinne von § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verschuldet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Februar 2000 - 2 BvR 106/00 -, NJW 2000, S. 3344; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2010 - 1 BvR 290/10, 1 BvR 291/10 -, juris). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Beschwerdeführer hat schließlich nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes binnen zwei Wochen die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und eine hinreichend begründete Verfassungsbeschwerde erhoben. Soweit er dieser nicht nochmals die bereits mit dem Prozesskostenhilfegesuch eingereichten Anlagen zum Verfahren beigefügt hat, ist dies unerheblich. Wurden diese, wie hier geschehen, zusammen mit jenem Antrag binnen der Monatsfrist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG vorgelegt, liegt schon keine Fristversäumung vor. Eine Rechtshandlung muss insoweit nicht nachgeholt werden.

13

3. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

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a) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 -, NJW 2009, S. 209 <210>). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten.

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b) Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts und dessen Befriedigung durch die Staatskasse von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

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c) Den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit, dessen Auslegung und Anwendung in erster Linie den Fachgerichten obliegt, haben Sozialgericht und Landessozialgericht in einer Weise ausgelegt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht (vgl. BVerfGE 81, 347 <358> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.).

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aa) Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfGE 63, 380 <394>). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 17).

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bb) Diese Maßstäbe stellt das Landessozialgericht der Prüfung der Erforderlichkeit zwar voran, trägt ihnen jedoch nachfolgend nicht hinreichend Rechnung. Das Landessozialgericht wie auch das Sozialgericht reduzieren die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko. Beide lassen dabei außer Betracht, dass Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts vornehmlich ist, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>). Im Übrigen erscheint es keinesfalls fernliegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.

19

Die Ausführungen des Landessozialgerichts rechtfertigen auch nicht den Schluss, dass hinsichtlich Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien kein Ungleichgewicht besteht. Zwar ist nichts dafür ersichtlich, dass der unter Betreuung stehende Beschwerdeführer unter solchen Beeinträchtigungen leidet, die ihm eine Prozessführung zusätzlich erschweren. Zu berücksichtigen ist aber, dass dem Beschwerdeführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Relevanz haben.

20

d) Die angegriffenen Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts beruhen auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Sache zu einer anderen Entscheidung gelangt wären.

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4. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar dargetan, dass der Wert des fachgerichtlichen Streitgegenstandes für ihn von existentieller Bedeutung ist.

22

5. Weiterhin steht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer auch im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

23

Zwar haben die beiden für das Grundsicherungsrecht zuständigen Senate des Bundessozialgerichts mittlerweile Grundsätze zur Angemessenheit der Höhe der Heizkosten herausgebildet (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R -, BSGE 104, 41 <43 ff.>; BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 70/08 R -, juris Rn. 18 f.). Danach sind jedoch Leistungen für Kosten, die im Zusammenhang mit der Heizung entstehen, grundsätzlich in Höhe der tatsächlich angefallenen Aufwendungen zu erbringen, so dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung selbst unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung weiterhin Aussicht auf Erfolg bietet.

24

6. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.


25

7. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.