Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R

bei uns veröffentlicht am12.02.2015

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli 2014 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3400 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13. Januar 2012 wegen unangemessener Dauer des Klageverfahrens S 4 U 83/04 bei dem SG Neubrandenburg sowie 3300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Dezember 2013 wegen unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens L 5 U 50/09 bei dem LSG Mecklenburg-Vorpommern zu zahlen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte 9/10 und der Kläger 1/10.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 7500 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist die Entschädigung von Nachteilen durch die überlange Dauer eines rund neunjährigen Gerichtsverfahrens bei dem SG Neubrandenburg (S 4 U 83/04) und dem LSG Mecklenburg-Vorpommern (L 5 U 50/09) über Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Im Januar 2003 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" (BK Nr. 2301) wegen seiner letzten Tätigkeit als Produktionsleiter in einem Betonfertigteilwerk von 1995 bis 2002. Nach Ermittlungen lehnte die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheit ab, weil die Lärmexposition des Klägers in seiner letzten Tätigkeit den relevanten Grenzwert nicht erreicht habe (Bescheid vom 1.4.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.8.2004).

3

Am 15.9.2004 erhob der Kläger Klage auf Feststellung der Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit und Zahlung einer Verletztenrente. Er zog ua die Ermittlungen zur Lärmbelastung in Zweifel und forderte die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Daraufhin stellte der zuständige technische Aufsichtsdienst weitere Ermittlungen an. Die Beteiligten wechselten eine Reihe von Schriftsätzen zu den näheren Umständen der Lärmexposition des Klägers. Am 2.11.2005 verfügte das SG das Verfahren in das sogenannte Sitzungsfach, nachdem es erfolglos eine Klagerücknahme angeregt hatte. Rund vier Jahre später, am 15.10.2009, wies das SG nach mündlicher Verhandlung die Klage mit Urteil als unbegründet ab, weil eine hinreichende Lärmbelastung des Klägers nicht bewiesen sei. Zur Begründung bezog es sich weitgehend auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29.10.2009 zugestellt.

4

Am 27.11.2009 erhob der Kläger Berufung, die er bereits mit der Berufungsschrift begründete. Nach mehrfachem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten verfügte der Berichterstatter das Verfahren am 5.7.2010 ebenfalls in das sogenannte Sitzungsfach. Am 30.12.2011 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Verzögerungsrüge. Im rund drei Jahre nach der Verfügung ins Sitzungsfach abgehaltenen Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.8.2013 befragte das LSG den zuständigen Mitarbeiter des technischen Aufsichtsdienstes und den Kläger nochmals zu dessen Lärmbelastung ab 1995 und wies die Berufung mit Urteil vom selben Tag als unbegründet zurück.

5

Der Kläger hat am 13.1.2012 Entschädigungsklage wegen der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens erhoben. Das LSG hat dieses Verfahren bis zum Abschluss des in diesem Zeitpunkt noch anhängigen Ausgangsrechtsstreits nach § 201 Abs 3 GVG ausgesetzt. Unter dem 27.11.2013 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und die Entschädigungsforderung um 2400 Euro wegen der Dauer des Berufungsverfahrens erhöht.

6

Mit dem mit der Revision angegriffenen Urteil vom 22.7.2014 hat das LSG für das Klageverfahren eine unangemessene Dauer von 41 Monaten und für das nachfolgende Berufungsverfahren von 34 Monaten festgestellt. Es hat das beklagte Land deshalb zur Zahlung von 4100 Euro für die Verzögerungen beim SG bzw 3400 Euro für diejenigen beim LSG verurteilt und dem Kläger darüber hinaus Prozesszinsen jeweils ab Klageerhebung zugesprochen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der überlangen Verfahrensdauer sei im Sinne einer mathematischen Formel auszufüllen. Die Gesamtdauer des Verfahrens in der jeweiligen Instanz abzüglich der Zeiten aktiver Verfahrensförderung und solcher Zeiten der Inaktivität, die nicht dem Gericht zuzurechnen seien, ergebe die zu vermeidende Verfahrensdauer. Dabei sei nur eine Dauer von einem Jahr für Hauptsachen pro Instanz unbedenklich und biete keinen Anlass, die Gründe für die Dauer des Verfahrens konkret zu überprüfen. Das Klageverfahren habe demnach um 41 Monate Liegezeit zu lang gedauert. Bis zur Verfügung in das Sitzungsfach seien Zeiten längerer Inaktivität des Gerichts nicht festzustellen gewesen. Für Ladung, Terminierung und Entscheidung des Rechtsstreits sei noch ein weiteres halbes Jahr zu veranschlagen. Bei angemessener Dauer habe das Verfahren daher im April 2006 und nicht erst im Oktober 2009 erledigt werden können und müssen. Das anschließende Berufungsverfahren sei bereits vor Ablauf von einem Jahr nach Berufungseinlegung für entscheidungsreif erachtet worden. Es habe deshalb bei angemessener Dauer bis Ende September 2010 erledigt werden können und müssen anstatt im August 2013. Aus Billigkeitsgründen von einer Entschädigung abzusehen sei nicht veranlasst, weil der Fall für den Kläger weder von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen sei, noch er durch sein Verhalten zur Verfahrensdauer maßgeblich beigetragen habe. Wegen der durchschnittlichen Bedeutung des Falles habe es andererseits beim Regelsatz der Entschädigung zu verbleiben.

7

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, bei der Bewertung des Verfahrens sei nicht berücksichtigt worden, dass Klage und Berufung erkennbar unbegründet gewesen seien. Bei objektiver Betrachtung habe das Verfahren deshalb für den Kläger keine besondere Bedeutung gehabt (Hinweis auf BFH Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - BFHE 240, 516). Ein über die Verzögerung hinausgehender immaterieller Schaden des Klägers sei nicht erkennbar, weshalb eine Entschädigung in Geld unverhältnismäßig sei. Die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer reiche zur Wiedergutmachung aus. Schließlich entspreche die Berechnung des Zeitraums der überlangen Verfahrensdauer nicht den jüngst vom BSG entwickelten Maßstäben. Unter Berücksichtigung einer Vorbereitungs- und Überlegungszeit von 12 Monaten sei daher von einer überlangen Verfahrensdauer von 39 Monaten beim SG sowie von 29 Monaten beim LSG auszugehen.

8

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli 2014 aufzuheben, soweit der Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von insgesamt 7500 Euro verurteilt worden ist.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Der Senat hat einer Auskunft des Beklagten zur allgemeinen Entwicklung der Eingangszahlen und des Personalbestands bei den SGen des Landes Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2005 bis 2013 eingeholt.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision des Beklagten ist bis auf einen geringfügigen Teil unbegründet, weil die Entschädigungsklage des Klägers mit ihrem zuletzt zur Entscheidung gestellten Inhalt zulässig und weitgehend begründet ist.

13

1. Die geänderte Entschädigungsklage des Klägers wegen überlanger Dauer der Gerichtsverfahren S 4 U 83/04 beim SG Neubrandenburg und L 5 U 50/09 beim LSG Mecklenburg-Vorpommern ist ebenso zulässig (dazu b bis d) wie die zugrunde liegende Klageänderung (a).

14

a) Mit seiner ursprünglichen Klage zum LSG als Entschädigungsgericht hat der Kläger nur Entschädigung wegen der Dauer des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens S 4 U 83/04 beim SG Neubrandenburg geltend gemacht und damit nur eine Teilklage über den Entschädigungsanspruch erhoben (vgl Bub, DRiZ 2014, 94, 97). Mit Schriftsatz vom 3.12.2013 hat er diese Klage um die Forderung nach Entschädigung wegen der Dauer des Ausgangsverfahrens L 5 U 50/09 beim LSG Mecklenburg-Vorpommern erweitert. Diese geänderte Klage ist ebenso wie die Klageänderung zulässig. Die Erweiterung von Klageanspruch hinsichtlich der Entschädigungshöhe und Klagegrund um die tatsächlichen Geschehnisse des Ausgangsverfahrens in der Berufungsinstanz hat den Streitgegenstand geändert und damit eine Klageänderung iS von § 99 SGG bewirkt(vgl BVerwG Buchholz 300 § 198 GVG Nr 3; Bayerisches LSG Urteil vom 20.6.2013 - L 8 SF 134/12 EK - Juris für die nachträgliche Einbeziehung des Klageverfahrens in die Entschädigungsklage; vgl allg BSG Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 113/00 R - Juris). Die Zulässigkeit der Klageänderung ergibt sich wegen der Änderung des Klagegrunds zwar nicht schon aus § 99 Abs 3 SGG. Diese folgt indes aus § 99 Abs 1 und Abs 4 SGG, und das LSG von der Zulässigkeit der Klageerhebung ausgegangen ist(siehe Urteilsumdruck S 7) und das Rechtsmittelgericht hieran gebunden ist.

15

Infolge der demzufolge zulässigen Klageänderung hat der Senat nur noch über die geänderte, nunmehr beide Instanzen des Ausgangsverfahrens umfassende Entschädigungsklage zu entscheiden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 14).

16

b) Das LSG war für die Entscheidung über die geänderte Klage funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 SGG) ist gemäß § 201 Abs 1 S 1 GVG iVm § 202 S 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig.

17

c) Der Kläger hat die geänderte Entschädigungsklage am 3.12.2013 und damit, wie von § 198 Abs 5 S 1 GVG verlangt, nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge am 30.12.2011 erhoben. Die Klageerhebung erfolgte auch gemäß § 198 Abs 5 S 2 GVG innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft der verfahrensbeendenden Entscheidung des LSG, die am 9.10.2013 eingetreten war.

18

d) Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 SGG; hierzu BSG Urteile vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 17 und - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 20 mwN), ohne dass es zuvor einer außergerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs bedurft hätte.

19

e) Das beklagte Land ist im Verfahren wirksam durch die Präsidentin des LSG Mecklenburg-​Vorpommern vertreten worden. Die fortbestehenden Bedenken des Senats gegen die zugrunde liegende Vertretungsregelung (vgl dazu Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 18)ändern daran nichts.

20

2. Die zulässige geänderte Entschädigungsklage ist ganz überwiegend begründet.

21

a) Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern ist für die Entschädigungsklage nach § 200 S 1 GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht der Kläger aufgrund seines bei dem SG Neubrandenburg und beim LSG über zwei Instanzen geführten Ausgangsverfahrens geltend.

22

b) Das LSG hat dem Grunde nach vollständig und der Höhe nach überwiegend zu Recht eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens bejaht. Es hat dem Kläger für den dadurch erlittenen Nachteil zu Recht eine Entschädigung in Geld zugesprochen (dazu unter c).

23

Nach § 198 Abs 1 S 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Ausführungen des LSG zum zentralen Merkmal des von der Vorschrift geregelten Entschädigungsanspruchs, der unangemessenen Dauer des vom Kläger geführten Ausgangsverfahrens, halten revisionsrichterlicher Überprüfung mit geringfügigen Abstrichen stand.

24

Das LSG hat den Gesamtzeitraum des Verfahrens zutreffend ermittelt und die für eine Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer bedeutsamen Gesichtspunkte beachtet (dazu allgemein aa); es hat zu Recht die Bedeutung (bb) und die Schwierigkeit (cc) des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und vor allem die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Bewertung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen (dd). Das LSG ist zudem, soweit es um die Würdigung dieser Prozessleitung geht, im Grundsatz von einem zutreffenden richterlichen Überprüfungsmaßstab des Entschädigungsgerichts sowie dem Erfordernis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ausgegangen. Es hat dabei den Ausgangsgerichten im Ergebnis zu Recht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugestanden. Lediglich bei der Anwendung dieser Maßstäbe im Einzelnen weicht das LSG hinsichtlich der Dauer der festzustellenden Überlänge geringfügig von der Rechtsansicht des Senats ab (ee).

25

aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter(dazu unter bb bis ee). Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der EGMR zu Art 6 Abs 1 S 1 EMRK und das BVerfG zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) entwickelt haben (Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 25).

26

Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die Feststellung der in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat. Das Ausgangsverfahren hatte seit Klageerhebung im September 2004 die erhebliche Gesamtdauer von 9 Jahren - rund fünf Jahre vor dem SG und anschließend etwa vier Jahre vor dem LSG - erreicht, bis es im September 2013 durch Übersendung einer Ausfertigung des abschließenden Urteils durch das LSG endete.

27

In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die im Lichte der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind.

28

Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu(vgl im Einzelnen Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 26 ff).

29

Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die 12 Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (Senat, aaO, RdNr 26, 38 ff).

30

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das LSG zunächst die Bedeutung der Ausgangsverfahren rechtsfehlerfrei in seine Bewertung der Angemessenheit eingestellt. Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, folgt die von § 198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache iS von § 198 Abs 1 S 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - aaO, RdNr 29 mwN).

31

Insofern hat das LSG ohne Rechtsfehler das Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens als durchschnittlich eingestuft, da dieser die dauerhafte Anerkennung einer Berufskrankheit und eine zumindest kleine Teilverletztenrente angestrebt habe. Soweit der Beklagte demgegenüber die Ansicht vertreten lässt, das Verfahren sei für den Kläger nicht von besonderer Bedeutung gewesen, weil die Klage erkennbar unbegründet gewesen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist gerade Ziel des gerichtlichen Verfahrens, unter rechtlich ausgeformter Mitwirkung der Beteiligten in geordneter und transparenter Weise zu überprüfen, ob ein streitiger Anspruch besteht. Die befriedende Wirkung der Entscheidung für die Beteiligten und ihre Überzeugungskraft ergibt sich wesentlich aus einem der Prozessordnung gehorchenden und daher insbesondere auch angemessen zügigen Verfahrensablauf. Der von den Gerichten bei ihrer Verfahrensgestaltung zu beachtende Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit soll ua eine lange Unsicherheit des Entschädigungsklägers über seine Ansprüche und die damit verbundenen nachteiligen, ua auch seelischen Folgen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19) vermeiden. Dies verbietet es, im Nachhinein das Ergebnis des Verfahrens so zu behandeln, als hätte es von Anfang an festgestanden, und gestützt auf diese ex-post-Betrachtung seine Bedeutung für den Kläger von vornherein als gering anzusehen. Dies muss zumindest dann gelten, wenn das Ergebnis des Rechtsstreits von tatsächlichen Grundlagen abhängt, die nicht schon zu Beginn des Verfahrens objektiv völlig außer Zweifel standen.

32

So lag es hier. Der Kläger hat die Feststellungen des technischen Arbeitsdienstes zum Umfang der Lärmexposition an seinem Arbeitsplatz, die nach seiner Ansicht seine Hörschädigung verursacht hat, substantiiert infrage gestellt und ua mehrfache Nachermittlungen der zuständigen Berufsgenossenschaft erwirkt. Das LSG hat sich deshalb im Ausgangsverfahren noch in der von ihm durchgeführten mündlichen Verhandlung gehalten gesehen, erneut den mit den Ermittlungen betrauten Bediensteten des technischen Aufsichtsdienstes sowie den Kläger zu den genauen Umständen von Inhalt und Lärmbelastung seiner Arbeit zu befragen. Schon dieser tatsächliche Ermittlungsbedarf schließt es aus, die Klage als von vornherein offensichtlich unbegründet und aus diesem Grund als von geringer Bedeutung einzustufen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob - wie in dem vom Beklagten angeführten Urteil des BFH - anders zu entscheiden wäre, wenn die Klage schon nach dem eigenen Tatsachenvorbringen des Klägers von Anfang an erkennbar unschlüssig gewesen wäre (vgl BFH Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - BFHE 240, 516) oder eine sonst offensichtlich aussichtslose, etwa querulatorisch geprägte Klage vorgelegen hätte (vgl Roller, DRiZ 2012, Beilage zum Heft 6, 1, 11).

33

cc) Ebenso wenig sind Rechtsfehler zu erkennen, soweit das LSG der Sache nach einen zumindest durchschnittlichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeitsgrad des Ausgangsverfahrens angenommen hat, weil die Feststellung einer lärmbedingten Berufskrankheit und eine Verletztenrente im Streit standen. Eine dem Kläger zurechenbare Verlängerung des Ausgangsverfahrens hat das LSG nicht festgestellt.

34

dd) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt zutreffend die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Erwägungen einbezogen.

35

§ 198 Abs 1 S 2 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl § 200 GVG, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens(vgl Bub, DRiZ 2014, 94), insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 13.8.2012 - 1 BvR 1098/11 - Juris). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung der Justiz generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 EMRK, Art 19 Abs 4 GG aus, wiegt der resultierende Grundrechtsverstoß vielmehr besonders schwer (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.8.2013 - 1 BvR 2965/10 - Juris).

36

ee) Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts ist das Entschädigungsgericht (LSG) im Grundsatz von einem zutreffenden Überprüfungsmaßstab ausgegangen und hat dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei der Gestaltung und Leitung des Verfahrens eingeräumt (vgl zu diesem Maßstab im einzelnen Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 36). Dabei hat es den Ausgangsgerichten auch im Ergebnis zu Recht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugestanden, die sich nach der Rechtsprechung des Senats auf bis zu ein Jahr je Instanz belaufen kann (vgl Senat, aaO, RdNr 43 mwN).

37

Allerdings führt die Anwendung dieser zutreffenden Maßstäbe auf das Ausgangsverfahren vor dem SG zu einem geringfügig - um sieben Monate - abweichenden Ergebnis von 34 anstatt 41 Monaten entschädigungspflichtiger Untätigkeit des Ausgangsgerichts in der ersten Instanz. Nach den Feststellungen des LSG sind von der Verfügung der Sache in das sogenannte Sitzungsfach durch das SG im November 2005 bis zur Entscheidung des Rechtsstreits im Oktober 2009 volle 46 Monate ohne verfahrensfördernde gerichtliche Aktivitäten verstrichen. Nicht zu dieser Zeitspanne gerichtlicher Inaktivität rechnet der Senat allerdings entgegen der Ansicht des LSG den Monat August 2009, in dem das LSG den Termin anberaumt und die Sache geladen hat und damit das Verfahren substantiell gefördert hat. Das LSG hat von der demnach anzusetzenden Zeitspanne gerichtlicher Inaktivität von 46 Monaten bei seiner Bestimmung der entschädigungspflichtigen Überlänge lediglich sechs Monate abgezogen. Nach Ansicht des Senats sind jedoch weitere sechs Monate in Abzug zu bringen, was zu einer Überlänge von 34 Monaten führt. Dieser Abzug weiterer sechs Monate ergibt sich aus der vom Senat aus der Struktur und Gestaltung sozialgerichtlicher Verfahren abgeleiteten Regel, der zufolge vorbehaltlich besonderer Umstände je Instanz eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten noch hinzunehmen ist (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 45 ff). Das LSG hat keine außergewöhnlichen Umstände festgestellt, die es für das Ausgangsverfahren vor dem SG gebieten würden, von dieser Regel abzuweichen.

38

Für das Ausgangsverfahren in der Berufungsinstanz hat das LSG die zu entschädigende Überlänge lediglich um einen Monat zu hoch auf 34 anstatt zutreffend 33 Monate festgesetzt. Wie das LSG festgestellt hat, hat das Berufungsgericht das Ausgangsverfahren von der Entscheidungsreife der Sache im Juli 2010 bis zur tatsächlichen Entscheidung im August 2013 - wiederum abgesehen von der Ladung im Juli 2013 - für drei Jahre überhaupt nicht betrieben. Von den deshalb anzusetzenden 36 Monaten fehlender gerichtlicher Aktivität hat das Entschädigungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise nur noch 3 Monate Vorbereitungs- und Überlegungsfrist abgezogen (in seiner Rechnung von Juli bis September 2010). Eine Vorbereitungs- und Überlegungsfrist von vollen 12 Monaten je Instanz hat der Senat lediglich für den Regelfall sozialgerichtlicher Verfahren angenommen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls, vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs 1 S 2 GVG, für eine kürzere Frist sprechen(vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 45 ff). Aufgrund solcher von ihm festgestellten besonderen Einzelfallumstände hat das LSG die Zwölfmonatsfrist daher im Ergebnis zu Recht nur zu einem Viertel ausgeschöpft. Das ergibt sich aus Folgendem: Zu Beginn der Berufungsinstanz des Ausgangsverfahrens hatte das SG zur Entscheidung einer rechtlich und tatsächlich nur durchschnittlich schwierigen, für den Kläger nicht unbedeutenden Sache bereits rund fünf Jahre gebraucht und das Verfahren dabei nahezu drei Jahre überhaupt nicht betrieben. Daraus resultierte für das LSG eine gesteigerte Pflicht, das Ausgangsverfahren nunmehr nachdrücklich und beschleunigt zu fördern, um die bereits eingetretene Verletzung des Gebots, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren, nicht noch zu vertiefen (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 8.10.2014 - 1 BvR 2186/14 - Juris zu 30-monatiger Liegezeit; vgl BVerfGK 20, 33 bis 37 und BVerfG SozR 4-1100 Art 19 Nr 10). Denn Gerichte müssen bei ihrer Verfahrensführung stets auch die Gesamtdauer des Verfahrens berücksichtigen. Je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich ihre aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (zu dieser Prozessförderungspflicht wegen vorangegangener sachgrundloser Verzögerung vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 = Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 = Juris RdNr 32 sowie EGMR Rechtssache Bock gegen Deutschland, RdNr 46; Storck gegen Deutschland, RdNr 44). Im Verfahren des Klägers galt dies umso mehr, als streitentscheidend tatsächliche Umstände an seinem Arbeitsplatz in der Zeit zwischen 1995 und 2002 waren, wie etwa die räumliche Anordnung besonders lauter Maschinen zu seinem Büro, die Auslastung der Produktion sowie konkrete Arbeitsabläufe. Solche Details noch genau und zuverlässig festzustellen, drohte durch fortschreitenden Zeitablauf immer schwieriger zu werden, zum Nachteil des objektiv beweisbelasteten Klägers.

39

Insgesamt erachtet der Senat selbst die dem Ausgangsgericht vom Entschädigungsgericht eingeräumte, sehr knappe Vorbereitungs- und Entscheidungsfrist von nur noch drei Monaten - auch angesichts des weiten, revisionsrechtlich nur eingeschränkt zu überprüfenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums - im vom LSG entschiedenen Einzelfall noch als vertretbar. Lediglich indem das LSG auch den Monat der Terminsladung im Juli 2013 als inaktive Zeit gewertet hat, hat es die Zeit der entschädigungspflichtigen Überlänge um einen Monat zu lang auf 34 Monate bemessen. Dies hatte der Senat auf 33 Monate zu korrigieren.

40

c) Das LSG hat dem Kläger für den von ihm erlittenen Nachteil durch insgesamt 67 Monate gerichtlicher Inaktivität in beiden Instanzen des Ausgangsverfahrens auch nach § 198 Abs 2 S 3 GVG zu Recht eine Entschädigung in Geld von 100 Euro monatlich zugesprochen.

41

aa) Der Kläger hat für das bei Inkrafttreten des ÜGG noch in der Berufungsinstanz anhängige Ausgangsverfahren, wie von Art 23 S 2 ÜGG iVm § 198 Abs 3 S 1 GVG für eine Entschädigungszahlung vorausgesetzt, unverzüglich eine Verzögerungsrüge angebracht. Denn für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge in Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängig waren, reicht es aus, wenn die Rüge spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 erfolgt (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 26 mwN). Die vom Kläger am 30.12.2011 erhobene Rüge war daher rechtzeitig. Gemäß Art 23 S 3 ÜGG hat diese Verzögerungsrüge den Anspruch des Klägers nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum gewahrt.

42

bb) Das LSG hat zu Recht einen entschädigungsfähigen Nachteil des Klägers iS von § 198 Abs 1 S 1 GVG bejaht. Nachteil iS des Abs 1 sind ua sämtliche immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 S 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Den Feststellungen des LSG lassen sich keine speziellen Umstände entnehmen, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs 2 S 1 GVG(vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1) zu widerlegen.

43

cc) Ebenso zutreffend hat das LSG eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 2 S 2 iVm Abs 4 GVG nicht ausreichen lassen, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG durch Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens allenfalls ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Beides ist hier nicht der Fall. Vielmehr musste der Kläger ohne sein Verschulden viele Jahre auf eine endgültige Entscheidung über die Frage warten, ob seine Hörschädigung, die in zeitlichem Zusammenhang mit seiner jahrelangen Arbeit in leitender Stellung eines lärmintensiven Produktionsbetriebs zutage getreten war, eine Berufskrankheit darstellte und ihm dafür eine Verletztenrente zustand. Wie viele engagiert geführte Rechtsstreitigkeiten bei den SGen zeigen, verstehen Versicherte eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung regelmäßig nicht nur als materielle Entschädigung, sondern ebenso als Genugtuung und Anerkennung für ihren Einsatz im Arbeitsleben, den sie aus ihrer Sicht mit ihrer Gesundheit bezahlt haben.

44

Zudem soll § 198 GVG auch mögliche nachteilige Entwicklungen der Prozesssituation aufgrund der Verzögerung, wie sie auch im Fall des Klägers im Raum standen, pauschaliert als immateriellen Schaden ausgleichen(vgl Magnus, ZZP 2012, 75, 76, 86).

45

Nicht zuletzt hat der Senat Anlass zur Annahme, dass die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruhte und sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 EMRK, Art 19 Abs 4 GG ausdrückt. Dafür sprechen vor allem das vom LSG zitierte Schreiben des Präsidenten des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 10.6.2008 an den Kläger. Darin räumte dieser zwar eine bereits sehr lange Verfahrensdauer des Gerichts ohne weitere Aktivitäten ein, sah aber wegen Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit Dienstaufsichtsmaßnahmen gegen den zuständigen Kammervorsitzenden des SG nicht als geboten an. Dieses Schreiben erlaubt damit ebenso den Schluss auf eine erhebliche und dauernde Überlastung des SG im Zeitraum des Ausgangsverfahrens, wie die ergänzend vom Senat eingeholte und in der mündlichen Revisionsverhandlung mit den Beteiligten erörterte Auskunft über die Entwicklung der Belastungs- und Personalsituation in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Zeitraum des Ausgangsverfahrens. Der aus einer solchen strukturellen und deshalb generellen Vernachlässigung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit resultierende individuelle Grundrechtsverstoß wiegt besonders schwer (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 34 mwN). Alle diese Gründe sprechen maßgeblich dagegen, eine bloße Feststellung der Überlänge ausreichen zu lassen, um das jahrelange Warten des Klägers auf eine endgültige Entscheidung über seine unfallversicherungsrechtlichen Ansprüche und die damit verbundenen Enttäuschungen wenigstens teilweise wieder gutzumachen.

46

dd) Auch die Entscheidung des Entschädigungsgerichts, von dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgesehenen Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung eines Verfahrens nicht nach oben oder nach unten abzuweichen, begegnet vor diesem Hintergrund keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

47

ee) Auf dieser Grundlage war daher insgesamt die Höhe der dem Kläger zustehenden Entschädigung nur geringfügig, um 700 Euro für die erste und 100 Euro für die zweite Instanz des Ausgangsverfahrens, mithin insgesamt um 800 Euro, abzusenken. Nicht mehr zu entscheiden hatte der Senat über die Rechtmäßigkeit der gesonderten monatsgenauen Feststellung der unangemessenen Dauer der Ausgangsverfahren im Tenor des angefochtenen Urteils, nachdem der Kläger insoweit auf seine Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet, der Beklagte diesen Verzicht angenommen und seinen Revisionsantrag entsprechend beschränkt hat (zur Unzulässigkeit einer solchen Tenorierung vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 56 ff).

48

d) Den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen jeweils ab Rechtshängigkeit (Klageerhebung § 94 SGG) hat das LSG zutreffend in entsprechender Anwendung des § 288 Abs 1, § 291 S 1 BGB bejaht(ausführlich dazu Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 54). Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs ergibt sich, weil die ursprüngliche, auf die erste Instanz des Ausgangsverfahrens beschränkte Entschädigungsklage bereits am 13.1.2012, die Klageerweiterung um die Berufungsinstanz des Ausgangsverfahrens dagegen erst am 3.12.2013 rechtshängig geworden sind.

49

3. a) Die Kostenentscheidung überwiegend zu Lasten des Beklagten folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Alt 2 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Kostenteilung entspricht dem Maß des Unterliegens und Obsiegens der Beteiligten.

50

b) Der Streitwert für das Revisionsverfahren war nach § 52 Abs 3 S 1 GKG auf 7500 Euro festzusetzen, weil der Beklagte die Entschädigungsforderung des Klägers in dieser Höhe zur Überprüfung des Revisionsgerichts gestellt hat.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R

Referenzen - Gesetze

Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R zitiert 16 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden


#BJNR001950896BJNE028103377 (1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, betr

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 291 Prozesszinsen


Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Ab

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 198


(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach d

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 99


(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. (2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änd

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 51


(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten 1. in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Kranken

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 201


(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 94


Durch die Erhebung der Klage wird die Streitsache rechtshängig. In Verfahren nach dem Siebzehnten Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens wird die Streitsache erst mit Zustellung der Klage rechtshängig.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 200


Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finan

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundessozialgericht Urteil, 12. Feb. 2015 - B 10 ÜG 7/14 R zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 08. Okt. 2014 - 1 BvR 2186/14

bei uns veröffentlicht am 08.10.2014

Tenor 1. Der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juli 2014 - L 2 SF 1681/14 EK - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 22. Aug. 2013 - 1 BvR 1067/12

bei uns veröffentlicht am 22.08.2013

Tenor 1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Juni 2011 - I-11 U 27/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Recht

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 05. Aug. 2013 - 1 BvR 2965/10

bei uns veröffentlicht am 05.08.2013

Tenor Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München - 4 Ca 5756/97 - und dem Landesarbeitsgericht München - 10 Sa 88/99 - den Beschwerdeführer in sein

Bundesfinanzhof Urteil, 17. Apr. 2013 - X K 3/12

bei uns veröffentlicht am 17.04.2013

Tatbestand 1 I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 27. Jan

Referenzen

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 27. Januar 2006 (Klageeingang) bis zum 23. März 2012 (Urteilszustellung) vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg anhängigen Verfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Erbe nach seinem im Jahr 1996 verstorbenen Vater (V). Auf Antrag des Klägers, der die Werthaltigkeit des Nachlasses zunächst nicht hatte einschätzen können, ordnete das Nachlassgericht Nachlassverwaltung an. Diese wurde am 9. August 2000 mit der Begründung aufgehoben, ihr Zweck sei durch die Berichtigung der bekannten Nachlassverbindlichkeiten erreicht.

3

Zum Nachlass gehörte auch eine Beteiligung an einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GbR. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen veräußerte eine KG, an der die GbR beteiligt war, im Jahr 1996 den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Die Liquidation der GbR fand im Jahr 2002 (Streitjahr des Ausgangsverfahrens) ihren Abschluss durch förmliche Auflösung der Gesellschaft.

4

Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns der GbR für das Jahr 2002 wurde für den Kläger ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 12.028,89 € festgestellt. Dies entsprach dem seinerzeitigen Stand des negativen Kapitalkontos des Klägers. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage vor dem FG Münster, mit der er eine Beschränkung seiner Erbenhaftung auf der Grundlage der §§ 1975 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltend machte. Das FG Münster wies die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2006  1 K 3381/04 F ab und führte zur Begründung aus, allein der Kläger --nicht aber V oder der Nachlass-- habe im Jahr 2002 den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklicht, weil er Gesellschafter der GbR geworden sei. Der im Jahr 2003 ergangene Feststellungsbescheid sei schon deshalb nicht gegen den Nachlassverwalter zu richten gewesen, weil die Nachlassverwaltung bereits im Jahr 2000 beendet worden sei. Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung könne erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.

5

Bereits zuvor, am 17. Mai 2003, hatte das Berliner Wohnsitz-Finanzamt (FA) gegen den Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2002 erlassen. Darin setzte es die Einkünfte aus der GbR entsprechend dem Feststellungsbescheid an. Es ergab sich eine Steuernachzahlung, die nach dem Vorbringen des Klägers dadurch "vollstreckt" (getilgt) wurde, dass das FA sie mit anderweitigen Steuerguthaben des Klägers verrechnete. Eine Beschränkung der Erbenhaftung lehnte das FA ab.

6

Mit seiner am 27. Januar 2006 vor dem damaligen FG Berlin erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin die Beschränkung seiner Erbenhaftung geltend. Am 27. März 2006 begründete er die Klage. Schon in der Klagebegründung erklärte er, die Steuernachzahlungen hätten im Falle eines frühzeitigen Hinweises des Betriebs-FA bereits vom Nachlassverwalter beglichen werden können, da genügend Masse vorhanden gewesen sei.

7

Mit einem am 2. Juni 2006 beim FG eingegangenen Schriftsatz des Klägers endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten. Ausweislich der finanzgerichtlichen Akten erwog das FG in diesem Stadium des Verfahrens, einen Gerichtsbescheid zu erlassen. Tatsächlich wurde das FG aber zunächst nicht weiter tätig. Auf eine am 12. Oktober 2007 eingegangene Sachstandsanfrage des Klägers teilte der Berichterstatter mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 mit, der Zeitpunkt einer Terminierung sei wegen der Vielzahl der anhängigen älteren Verfahren ungewiss.

8

Mit Verfügung vom 17. Februar 2010 forderte das FG --mittlerweile war die Zuständigkeit auf das neugegründete FG Berlin-Brandenburg übergegangen-- die Steuerakten des FA sowie die Gerichtsakte des FG Münster an. Auf den Hinweis des FG Münster, die Aktenübersendung setze die Vorlage einer Einverständniserklärung des Klägers voraus, bat das FG den Kläger mit Schreiben vom 1. März 2010, eine solche Erklärung abzugeben. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Das FG sah in der Folgezeit von einem weiteren Tätigwerden ab.

9

Am 18. Januar 2012 verfügte der Senatsvorsitzende des FG die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 1. März 2012. Zugleich erteilte er dem Kläger einen rechtlichen Hinweis, wonach die Klage unbegründet sein dürfte, weil die Einkommensteuer 2002 keine Nachlassverbindlichkeit darstelle.

10

Mit einem am 3. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zur Begründung führte er aus, es habe sich nachträglich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebiger gewesen sei als zunächst angenommen. Das FG wies den Kläger am 7. Februar 2012 darauf hin, dass es an einer Hauptsacheerledigung fehlen dürfte, weil nach Rechtshängigkeit kein erledigendes Ereignis eingetreten sei. Vielmehr dürfte die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sein. Es regte eine Klagerücknahme an.

11

Hierauf rügte der Kläger mit einem am 14. Februar 2012 eingegangenen Schreiben unter Hinweis auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) eine überlange Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er vertrat die Auffassung, das rechtlich und tatsächlich unkomplizierte Verfahren hätte spätestens innerhalb von zwei Jahren beendet sein müssen. Aufgrund der Verfahrensdauer könne der Kläger Teile der maßgebenden Unterlagen nicht mehr einsehen. Insbesondere sei die für den Nachlassverwalter geltende Aktenaufbewahrungsfrist abgelaufen. Ferner beantragte der Kläger Akteneinsicht und die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung.

12

Das FG lehnte den Terminaufhebungsantrag ab, führte die mündliche Verhandlung durch und wies die Klage ab. Zu entscheiden sei nur noch über den Antrag, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen. Eine solche Feststellungsklage sei unbegründet, da die ursprüngliche Verpflichtungsklage schon bei ihrer Erhebung unbegründet gewesen sei. Denn dem Kläger sei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, dass der Nachlass zur Zahlung der Steuern ausgereicht hätte. Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 23. März 2012 zugestellt.

13

Am 9. Juli 2012 hat der Kläger die streitgegenständliche Entschädigungsklage "aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" erhoben. Er verweist darauf, dass ein finanzgerichtliches Verfahren im Durchschnitt 17,5 Monate --bei einer Spanne zwischen den einzelnen Bundesländern von 10,1 bis 24,7 Monaten-- dauere. Auf dieser Grundlage sieht er im konkreten Verfahren eine Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer um vier Jahre. Die erforderliche Verzögerungsrüge sei in seiner am 12. Oktober 2007 gestellten Sachstandsanfrage zu sehen. Im Übrigen dürfte die sechsjährige Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bereits in den Grenzbereich der absoluten überlangen Verfahrensdauer hineinreichen. In derartigen Fällen sei eine Rüge entbehrlich, da die von ihr ausgehende Warnfunktion angesichts der offenkundigen Überlänge nicht mehr eintreten könne.

14

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg 10 K 1037/06 B eine Entschädigung in Höhe von 4.800 € zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

16

Er ist der Auffassung, die Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 könne keine Wirkung für den davor liegenden Zeitraum entfalten, weil sie entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 erhoben worden sei. Zudem müsse ein Entschädigungsanspruch nach dem Gesetzeszweck dann entfallen, wenn das Gericht --wie hier-- das Verfahren unmittelbar nach Erhebung der Verzögerungsrüge abschließe. Denn die Rüge solle als Warnung an das Gericht dienen; diese Warnfunktion werde bei einem zügigen Verfahrensabschluss erfüllt.

17

Selbst wenn eine sachliche Prüfung der Entschädigungsklage vorzunehmen sein sollte, wäre keine Geldentschädigung auszusprechen. Vielmehr wäre gemäß § 198 Abs. 4 GVG die bloße Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer als Wiedergutmachung ausreichend. Dem Kläger sei aufgrund der Dauer des Verfahrens weder ein materieller noch --abgesehen von der Überlänge als solcher-- ein immaterieller Schaden entstanden. Zudem zeige das Unterbleiben einer Reaktion des Klägers auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010, dass er spätestens ab diesem Zeitpunkt selbst kein besonderes Interesse mehr an einer Fortsetzung des Verfahrens gehabt habe.

18

Jedenfalls sei die entschädigungspflichtige Verzögerung erheblich geringer als der vom Kläger angeführte Zeitraum von vier Jahren. Beim Eingang des letzten vorbereitenden Schriftsatzes am 2. Juni 2006 sei eine Terminierung wegen der zum 1. Januar 2007 durchgeführten Fusion der Finanzgerichte der Länder Berlin und Brandenburg nicht mehr möglich gewesen. Das neue FG Berlin-Brandenburg sei erst nach dem Auspacken und Verteilen der Akten im April 2007 in vollem Umfang funktionstüchtig gewesen. Für die Zeit vom 17. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 sei eine Verzögerung zu verneinen, weil der Kläger auf die Anfrage des FG hinsichtlich der Einverständniserklärung nicht reagiert habe. Danach verbleibe eine "untechnische Verfahrensruhe" von drei Jahren und neun Monaten. Da eine Verfahrensdauer von zwei Jahren und sechs Monaten nicht zu beanstanden sei, ergebe sich vorliegend ein Entschädigungsanspruch allenfalls für ein Jahr und drei Monate.

II.

19

1. Obwohl der Kläger seinen Anspruch als "auf dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" beruhend bezeichnet, legt der Senat die Klage als Entschädigungsklage nach § 198 GVG, nicht aber als auf einen Amtshaftungsanspruch gestützte Schadensersatzklage aus. Maßgebend hierfür ist, dass der Kläger die Klage beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht und er in seiner Klageschrift auf § 198 GVG verwiesen hat.

20

2. Der Senat hält die durch § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung vorgenommene Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit für Entschädigungsklagen aus dem Bereich der Finanzgerichtsbarkeit an den BFH für vereinbar mit Art. 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG). Danach darf der ordentliche Rechtsweg für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung nicht ausgeschlossen werden.

21

Zwar ist es denkbar, dass die Einführung der Entschädigungsklage zu einem Rückgang der Amtshaftungsklagen in diesem Bereich führen wird. Denn Gegenstand der §§ 198 ff. GVG kann --wie bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zeigt-- auch eine Entschädigung für materielle Nachteile und Schäden sein (zutreffend BTDrucks 17/3802, 17); in diesem Bereich gelten nach Auffassung des Gesetzgebers die §§ 249 ff. BGB --mit Ausnahme eines Anspruchs auf Ersatz des entgangenen Gewinns-- uneingeschränkt (BTDrucks 17/7217, 27 f.). Zudem wird die Geltendmachung eines auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsanspruchs für den Anspruchsteller schon wegen des fehlenden Erfordernisses der Führung eines Verschuldensnachweises wesentlich einfacher sein als die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs.

22

Gleichwohl führt die Einführung der Entschädigungsklage und deren Zuweisung an die Fachgerichtsbarkeiten nicht zu einer Aushöhlung der Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG. Denn es bleibt dem Anspruchsteller unbenommen, sein Begehren im Wege einer Amtshaftungsklage durchzusetzen. Beide Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen parallel zueinander. Während sich die Entschädigungsklage durch erleichterte Voraussetzungen (fehlendes Verschuldenserfordernis), die Vermutung des Eintritts von Nichtvermögensschäden sowie die Möglichkeit eines pauschalierten Ersatzes dieser Schäden auszeichnet, eröffnet die Amtshaftungsklage demgegenüber auch die Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz für entgangenen Gewinn. Von einem "Ausschluss" des ordentlichen Rechtsweges, der durch Art. 34 Satz 3 GG allein untersagt würde, lässt sich danach ungeachtet eines möglichen faktischen Rückgangs der Amtshaftungsklagen nicht sprechen.

Entscheidungsgründe

23

III. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

24

Sie ist gegen den richtigen Beklagten gerichtet (unten 1.). Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (unten 2.). Das finanzgerichtliche Verfahren, dessen Dauer vorliegend zu beurteilen ist, ist unangemessen verzögert worden (unten 3.). Ein Anspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Ausgangsgericht das Verfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu Ende geführt hat (unten 4.) oder die Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (unten 5.). Allerdings ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer für die erforderliche Wiedergutmachung ausreichend; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu (unten 6.). Weil ein derartiger Feststellungsausspruch keine vorherige Verzögerungsrüge des Klägers voraussetzt, kann offenbleiben, ob der Kläger die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren noch "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben hat (unten 7.).

25

1. Der Kläger hat mit dem Land Berlin den richtigen Beklagten bezeichnet.

26

a) Die Bestimmung des Anspruchsgegners bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer richtet sich nach § 200 Satz 1 GVG. Danach haftet das Land für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind. Da das FG Berlin-Brandenburg gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2004, 380) --Staatsvertrag-- ein gemeinsames Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut des § 200 Satz 1 GVG unmittelbar noch keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen.

27

Nach Auffassung des erkennenden Senats --die vom Kläger und nunmehr auch vom Beklagten geteilt wird-- üben die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes aus, aus dem das Ausgangsverfahren stammt. Der Senat verweist insoweit auf die ausführlichen Darlegungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 45/06 (juris, unter II.1.a), denen er sich anschließt. Der Verfassungsgerichtshof hat sich dabei insbesondere auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit gestützt. Demgegenüber hat er denjenigen Einzelregelungen im Staatsvertrag, die an das Sitzprinzip anknüpfen, keine entscheidende Bedeutung zugemessen (Rz 32 des Beschlusses). Dieser Auffassung ist auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Beschluss vom 10. Mai 2007  8/07 (juris, unter B.I.1.). Beiden Beschlüssen lagen jeweils Verfahren aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde.

28

In Übereinstimmung damit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eines Richters am früheren FG Berlin, der sich unmittelbar gegen den Staatsvertrag gewandt hatte, ausgeführt, das FG Berlin-Brandenburg sei ein Gericht, "welches (auch) zur Berliner Landesgerichtsbarkeit gehört" (Beschluss vom 14. Juli 2006  2 BvR 1058/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 1030, unter III.2.b aa). Die richterliche Tätigkeit an einem länderübergreifenden Gericht stelle sich als "Ausübung der Rechtsprechung für die an dem Gericht beteiligten Länder dar" (BVerfG-Beschluss in HFR 2006, 1030, unter III.2.b bb). Damit hat auch das BVerfG eine Anwendung des reinen Sitzprinzips --maßgeblich wäre danach stets der Sitz des gemeinsamen FG im Land Brandenburg-- abgelehnt.

29

b) Vorliegend stammt das Ausgangsverfahren aus dem Land Berlin, da eine Berliner Finanzbehörde den Ablehnungsbescheid erlassen hatte, der zu der vom Kläger vor dem damals noch bestehenden FG Berlin erhobenen Verpflichtungsklage geführt hat. Auch soweit ab dem 1. Januar 2007 das FG Berlin-Brandenburg an die Stelle des FG Berlin getreten ist, übte es im Ausgangsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Berlin aus, das damit Anspruchsgegner im Entschädigungsklageverfahren ist.

30

2. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg (Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641) ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich.

31

a) Organisationsregelungen innerhalb eines Ressorts werden traditionell nicht dem zwingenden Gesetzesvorbehalt unterstellt. Die Exekutive hat hier eine eigene Organisationsgewalt (vgl. hierzu Krebs in Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, § 108 Rz 99, m.w.N.).

32

Diese Organisationsgewalt unterliegt aber in doppelter Hinsicht Begrenzungen.

33

aa) Zum einen darf der Parlamentsgesetzgeber hierauf jederzeit Zugriff nehmen und ausdrückliche gesetzliche Organisationsregelungen treffen (Ossenbühl in Handbuch des Staatsrechts, a.a.O., § 101 Rz 72). Solange indes derartige Spezialregelungen nicht existieren, bleibt es bei der Organisationsgewalt der Exekutive.

34

bb) Zum anderen verpflichten das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip den Parlamentsgesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dieser "Wesentlichkeitsvorbehalt" gilt zwar vor allem für den Bereich der Grundrechtsausübung, erfasst darüber hinaus aber auch andere für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen (ausführlich, auch zum Folgenden, Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1999  11/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 1243, m.w.N., betr. Zusammenlegung des Innen- und Justizministeriums). Danach fallen Organisationsentscheidungen dann unter den Gesetzesvorbehalt, wenn sie wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte oder anderer tragender Verfassungsprinzipien (z.B. Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt) oder die Wahrnehmung der Staatsleitung sind.

35

b) Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage der organisationsrechtlichen Zuständigkeit für die Vertretung des Landes in Entschädigungsklageverfahren sind landes- oder bundesgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich. § 200 Satz 1 GVG bestimmt lediglich, wer in Entschädigungsfällen der richtige Beklagte ist (das Bundesland). Zu der Vertretung innerhalb des Bundeslandes enthält das GVG keine Regelungen, was in einem Bundesgesetz auch nicht möglich wäre.

36

Die in der Vertretungsanordnung getroffene Organisationsregelung enthält auch keine Entscheidung, die so wesentlich wäre, dass sie vom Gesetzgeber hätte getroffen werden müssen. Sie berührt weder die Verwirklichung der Grundrechte noch anderer tragender Verfassungsprinzipien oder die Wahrnehmung der Staatsleitung. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass der FG-Präsident in Entschädigungsklageverfahren lediglich Vertreter eines Verfahrensbeteiligten, nicht aber entscheidungsbefugt ist.

37

3. Das finanzgerichtliche Verfahren ist unangemessen verzögert worden. Diese --auf den konkreten Streitfall bezogene-- Würdigung ist möglich, ohne dass der Senat bereits den vorliegenden Einzelfall zum Anlass nehmen müsste, allgemeine Leitlinien für die vom Rechtsschutzsuchenden im Regelfall noch hinzunehmende Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu entwickeln.

38

a) Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

39

Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR, wonach die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Entschädigungsklägers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen ist (Urteil vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/ Deutschland--, NJW 2010, 3355, Rz 41, m.w.N.).

40

Auch das BVerfG geht von vergleichbaren Kriterien aus. Danach lässt sich nicht generell festlegen, ab wann von einer überlangen, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes unzumutbar beeinträchtigenden und deshalb verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung und Entscheidung im Einzelfall. Dabei sind vor allem die Bedeutung der Sache für die Parteien (Beteiligten), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Parteien zuzurechnende Verhalten sowie vom Gericht nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbare Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen, in Rechnung zu stellen. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich allerdings die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung entschieden, dass bei einem Instanzgericht jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (Beschluss vom 13. August 2012  1 BvR 1098/11, Europäische Grundrechte Zeitschrift --EuGRZ-- 2012, 666, unter B.I.2.). Vor dem BVerfG selbst kann mit Rücksicht auf den abweichenden Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften (vgl. § 97a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG-- einerseits und § 198 GVG andererseits) sowie die besonderen Aufgaben des BVerfG eine längere Verfahrenslaufzeit hinzunehmen sein, insbesondere wenn ein Pilotverfahren ausgewählt wird und entsprechende Parallelverfahren vorerst zurückgestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 1. Oktober 2012  1 BvR 170/06 - Vz 1/12, juris).

41

Diese vom EGMR und dem BVerfG entwickelten Kriterien sind nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes --bei dem es sich um eine Reaktion auf die häufigen Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) durch den EGMR handelt-- zum Ausdruck kommt, auch der Prüfung nach § 198 GVG zugrunde zu legen (BTDrucks 17/3802, 18).

42

b) Da im Ausgangsverfahren der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 2. Juni 2006 endete, war das erstmalig am 17. Februar 2010 erkennbare Tätigwerden des FG (Aktenanforderung) erheblich zu spät. Geht man mit der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass "jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten" den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt (Beschluss in EuGRZ 2012, 666, unter B.I.2.), das Gericht also im Regelfall nach etwa 24 bis 30 Monaten tätig werden muss, hätte das FG das Ausgangsverfahren im ersten Halbjahr 2008 zumindest in die Richtung einer Entscheidung vorantreiben müssen.

43

c) Der Staat kann sich zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen (so zutreffend BTDrucks 17/3802, 19, unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG und EGMR). Deshalb ist die Zusammenlegung der Finanzgerichte Berlin und Brandenburg zum 1. Januar 2007 bereits dem Grunde nach kein Umstand, der vom Kläger zu vertreten wäre und eine Verlängerung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer rechtfertigen könnte. Danach kann der Senat offenlassen, ob der Beklagte sein Vorbringen, der Umzug des FG Berlin nach Cottbus habe zu einer zehnmonatigen Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit des vormaligen FG Berlin und des späteren FG Berlin-Brandenburg geführt, hinreichend substantiiert hat.

44

d) Dem Kläger ist allerdings im Rahmen der Prüfung der Gründe für die eingetretene Verzögerung der Umstand zuzurechnen, dass er es unterlassen hat, auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010 zu reagieren. Nicht beizupflichten ist jedoch dem Beklagten darin, dass die unterbliebene Reaktion des Klägers das FG für das gesamte Jahr 2010 von der Pflicht zur weiteren Förderung des Verfahrens befreit hat. Das Schweigen des Klägers auf die Anfrage hätte für das Gericht angesichts der bereits in diesem Zeitpunkt eingetretenen Verzögerung des Verfahrens vielmehr entweder Anlass sein müssen, den Kläger an die ausstehende Antwort zu erinnern, oder dem FG die Möglichkeit eröffnet, ohne Berücksichtigung der betroffenen Akten --und ggf. unter Anwendung eines reduzierten Beweismaßes zu Lasten des insoweit nicht an der Sachaufklärung mitwirkenden Klägers (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, unter II.2.)-- zu entscheiden. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich --wie oben dargelegt-- die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Gleichwohl ist das FG erst wieder am 18. Januar 2012 tätig geworden.

45

e) Danach bewegt sich die dem Beklagten zuzurechnende Verzögerung des Verfahrens jedenfalls in der Nähe des vom Kläger seiner Entschädigungsforderung zugrunde gelegten Zeitraums von vier Jahren, ohne dass der Senat --der sich auf den Ausspruch einer Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beschränkt (siehe unten 6.)-- im Streitfall nähere Festlegungen treffen müsste.

46

4. Ein auf § 198 GVG gestützter Feststellungs- oder Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das FG das Ausgangsverfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 zu Ende geführt hat.

47

Die gegenteilige vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung kann jedenfalls in Fällen, die --wie vorliegend-- eine Verzögerung betreffen, die bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetreten ist, nicht zutreffend sein. Denn schon vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes war die Bundesrepublik Deutschland aufgrund Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren. Ferner musste die Bundesrepublik Deutschland gewährleisten, dass für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine  wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung stand (Art. 13 EMRK). Würde nun eine vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer --erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen-- Verzögerungsrüge beendet, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom EGMR mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar.

48

Im Übrigen hat der EGMR im Urteil vom 29. März 2006  36813/97 --Scordino/Italien-- (NJW 2007, 1259, Rz 185) ausgeführt: "Es versteht sich, dass in Ländern, in denen eine Konventionsverletzung wegen der Dauer des Verfahrens schon eingetreten ist, ein nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf, so wünschenswert er für die Zukunft ist, zur Wiedergutmachung nicht ausreicht, wenn das Verfahren offensichtlich schon übermäßig lang gedauert hat." In diesem Sinne ist die vom deutschen Gesetzgeber nunmehr geschaffene Verzögerungsrüge ein "nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf", der allein aber zur Wiedergutmachung einer in der Vergangenheit liegenden Verzögerung nicht ausreichen kann, wenn der neue Rechtsbehelf in der Vergangenheit noch gar nicht zur Verfügung stand.

49

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, EuGRZ 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bei der Auslegung der durch das ÜberlVfRSchG in das deutsche Recht aufgenommenen Normen auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen. Mit diesem wäre es unvereinbar, wenn eine bereits eingetretene Verzögerung durch nachträgliches staatliches Handeln ohne Zuerkennung einer Wiedergutmachung ungeschehen gemacht werden könnte.

50

5. Ein Anspruch des Klägers scheitert auch nicht daran, dass die Erhebung der Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

51

Der Beklagte meint insoweit, der Kläger habe die Verzögerungsrüge angesichts des drohenden Prozessverlusts im Ausgangsverfahren als Druckmittel einsetzen wollen, um eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erreichen. Da dies nicht gelungen sei, sei die spätere Erhebung der Entschädigungsklage als "Trotzreaktion" anzusehen, die rechtlich unbeachtlich sei.

52

Dem ist nicht beizupflichten. Nach allgemeinen Grundsätzen sind Prozesshandlungen im Interesse der erforderlichen Rechtsklarheit bedingungsfeindlich (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644, unter II.2.). Grund hierfür ist das im gerichtlichen Verfahren in besonderer Weise bestehende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit. Daraus folgt aber zugleich, dass auch eine Motivforschung in Bezug auf Prozesshandlungen --insbesondere hinsichtlich der Gründe für die Erhebung einer Klage-- ausscheidet.

53

6. Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend für die erforderliche Wiedergutmachung; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu.

54

a) Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dies beruht auf der Rechtsprechung des EGMR, der "eine starke, aber widerlegbare Vermutung" dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat (Urteil in NJW 2007, 1259, Rz 204).

55

Vorliegend ist diese gesetzliche Vermutung weder durch das Vorbringen des Beklagten noch durch den sonstigen Akteninhalt widerlegt.

56

b) Ist die Vermutungsregel --wie hier-- nicht widerlegt, ordnet § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Erleiden eines solchen Nichtvermögensnachteils an, dass eine Geldentschädigung "nur beansprucht werden [kann], soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist". Die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht ist im Gesetz ausdrücklich als eine der Möglichkeiten bezeichnet, Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zuerkennung eines Geldanspruchs zu leisten (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG).

57

Für das Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen "Geldentschädigung" einerseits und "Feststellungsausspruch" andererseits gilt danach weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel. Damit ist jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut vor der Zuerkennung einer Geldentschädigung jeweils konkret zu prüfen, ob Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch möglich ist.

58

Soweit demgegenüber in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten wird, ein Feststellungsausspruch müsse sich auf diejenigen Ausnahmefälle beschränken, in denen sich der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren rechtsmissbräuchlich verhalten habe (so Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2177), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das von dieser Auffassung als Beleg angeführte EGMR-Urteil vom 10. Dezember 1982  8304/78 --Corigliano/Italien-- (EGMR-E 2, 199, Rz 53) enthält zwar einen bloßen Feststellungsausspruch. Allerdings lässt sich der genannten Entscheidung nicht entnehmen, dass dieser Ausspruch auf einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des dortigen Beschwerdeführers beruht. Vielmehr führt der EGMR aus, bereits durch die Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK sei eine hinreichende Entschädigung für den immateriellen Schaden bewirkt worden. Das darüber hinaus angeführte EGMR-Urteil vom 13. November 2008  26073/03 --M.O./ Deutschland-- (juris) ist als Beleg für die Gegenauffassung schon deshalb ungeeignet, weil dem dortigen Beschwerdeführer --eine Person, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt war-- durch die überlange Dauer eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und dessen Öffentlichkeitswirkung unstreitig ein erheblicher immaterieller Schaden entstanden war.

59

c) Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802, 20) soll ein derartiger Feststellungsausspruch beispielsweise in Verfahren ausreichen, die für "einen Verfahrensbeteiligten" (gemeint kann indes nur der Entschädigungskläger sein, nicht aber dessen Gegner im Ausgangsverfahren) keine besondere Bedeutung hatten, in denen ein Verfahrensbeteiligter durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder der Beklagte darlegt, dass der Entschädigungskläger --abgesehen von der Überlänge des Verfahrens als solcher-- keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat.

60

d) Auch in Bezug auf diese Rechtsfrage bietet der Streitfall keine Veranlassung, allgemeine Grundsätze zur Auslegung des § 198 Abs. 4 GVG aufzustellen oder sich abschließend zu den in den Gesetzesmaterialien angestellten Erwägungen zu äußern.

61

Die angeführten Erwägungen des Gesetzgebers könnten allerdings insoweit auf Bedenken stoßen, als eine dem Entschädigungskläger zuzurechnende Verzögerung bereits bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob überhaupt der Tatbestand einer unangemessenen Verfahrensdauer erfüllt ist, und dann nicht nochmals bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen einer als unangemessen zu beurteilenden Verfahrensdauer berücksichtigt werden darf. Auch könnte das Verlangen nach einem Nichtvermögensschaden, der über das Erdulden der Überlänge als solcher hinausgeht, in einem Spannungsverhältnis zu der Forderung des EGMR nach einem effektiven Rechtsschutz gegen Verfahrensverzögerungen stehen. Im Streitfall kommt hinzu, dass dem finanzgerichtlichen Verfahren --jedenfalls abstrakt-- auch eine "besondere Bedeutung" für den Kläger nicht abzusprechen war, da Gegenstand seiner Klage immerhin ein streitiger Steuerbetrag im Umfang von ca. einem Drittel der insgesamt für den Veranlagungszeitraum 2002 gegen den Kläger festgesetzten Einkommensteuer war.

62

e) Im Streitfall ist die Beschränkung auf einen bloßen Feststellungsausspruch aber deshalb gerechtfertigt, weil die Klage unschlüssig, d.h. bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar unbegründet war. Denn der Kläger hat schon in der --kurz nach Klageerhebung eingereichten-- Klagebegründung vom 24. März 2006 eingeräumt, dass im Nachlass genügend Masse vorhanden war, um die Steuernachzahlung begleichen zu können. Damit hätte die vom Kläger begehrte Beschränkung seiner Erbenhaftung auf den Nachlass aber von vornherein nicht zu einer Reduzierung seiner Pflicht zur Zahlung der festgesetzten Einkommensteuer führen können.

63

aa) Soweit der Kläger erstmals im Entschädigungsklageverfahren --ohne Substantiierung durch Vorlage von Unterlagen-- behauptet, ab dem Jahr 2001 seien weitere Forderungen gegen den Nachlass geltend gemacht worden, was im Jahr 2004 zum Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens geführt habe, ist dies für die Beurteilung durch den Senat ohne Bedeutung. Denn ob eine Klage sich als unschlüssig darstellt, ist aus der --verobjektivierten-- Sicht des zur Entscheidung über diese Klage berufenen Spruchkörpers zu beurteilen. Im Übrigen vermag der Senat dieses neue Vorbringen nicht nachzuvollziehen, da es zu den früheren Tatsachenbehauptungen des Klägers in Widerspruch steht. So hat er nicht nur in der Klagebegründung vom 24. März 2006 --lange nach der angeblichen Erhebung weiterer Forderungen und dem behaupteten Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens--, sondern nochmals im Schreiben vom 2. Februar 2012 erklärt, letztlich habe sich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebig gewesen sei.

64

In einem solchen Fall, in dem sich allein aus der kurz nach Klageerhebung eingereichten Klagebegründung ohne weitere Ermittlungshandlungen des Gerichts die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens ergibt, hat das verzögerte Verfahren --jedenfalls bei konkreter Betrachtung-- für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung. Denn dann ist für jeden Rechtskundigen von Anfang an klar, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben kann.

65

Selbst wenn sich --was der Senat vorliegend nicht zu entscheiden braucht-- aus einer EMRK-konformen Auslegung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein gewisser Vorrang der Geldentschädigung ergeben könnte, zeigt die Rechtsprechung des EGMR, dass auch dieser in vielen Fällen lediglich einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung ausreichen lässt (vgl. die umfassende Zusammenstellung dieser Rechtsprechung bei Steinbeiß-Winkelmann/ Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, Anhang 2). Es sind aber kaum Fallgruppen denkbar, in denen die Betroffenheit des Klägers durch eine überlange Verfahrensdauer geringer ist als bei einer nach dem eigenen Klagevorbringen bereits unschlüssigen Klage. Die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in diesen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Unschlüssigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine weiteren Risiken oder Nachteile für die prozessuale oder sonstige Situation des Klägers verbunden.

66

bb) Betrachtet man die Rechtsprechung des EGMR bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, ist zwar festzustellen, dass der EGMR Deutschland in Fällen überlanger Verfahrensdauer zunehmend zur Zahlung von Geldentschädigungen verurteilt und sich nicht auf die --gemäß Art. 41 EMRK ebenfalls mögliche-- bloße Feststellung einer Verletzung der EMRK beschränkt hat. Bei genauer Betrachtung liegt dies aber daran, dass der EGMR im Zeitablauf zu der Erkenntnis gelangt ist, dass in Deutschland seinerzeit ein strukturelles Problem vorhanden gewesen sei. Deutschland wurde daher in den jüngeren Entscheidungen nicht allein wegen einer Verletzung des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist) verurteilt, sondern vor allem auch wegen einer Verletzung des in Art. 13 EMRK garantierten Rechts auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der EMRK bei einer innerstaatlichen Instanz (vgl. EGMR-Urteil vom 8. Juni 2006  75529/01 --Sürmeli/ Deutschland--, NJW 2006, 2389). Eine solche Beschwerdemöglichkeit in Fällen überlanger Gerichtsverfahren (Untätigkeitsbeschwerde, Verzögerungsrüge) fehlte in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG; dieses strukturelle Problem der deutschen Gesetzgebung --und nicht nur die tatsächliche Verzögerung eines gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall-- hat der EGMR mit der Zuerkennung von Geldentschädigungen sanktionieren wollen (vgl. EGMR-Urteil in NJW 2006, 2389, Rz 136 ff.).

67

Mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ist das strukturelle Problem beseitigt worden. Im Vordergrund steht nunmehr wieder die Einzelfallbetrachtung der Umstände des konkreten Verfahrens. Damit würde --hätte der EGMR über einen derartigen Fall zu entscheiden-- wieder die Grundregel des Art. 41 EMRK zur Anwendung kommen, wonach der EGMR nur dann über die bloße Feststellung einer Konventionsverletzung hinaus eine "gerechte Entschädigung" (Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden) zuspricht, wenn das innerstaatliche Recht "nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung" gestattet. Die Hauptsacheentscheidung des EGMR liegt in der Feststellung einer Konventionsverletzung; die darüber hinausgehende Zuerkennung einer Geldentschädigung ist nur eine unselbständige Nebenentscheidung (so Dörr, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 33 Rz 10). Der EGMR spricht nur dann eine Geldentschädigung zu, wenn der Betroffene aufgrund der Rechtsverletzung nachweislich einen "spürbaren Nachteil" erlitten hat (Dörr, in: Grote/Marauhn, a.a.O., Kap. 33 Rz 18).

68

7. Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger seine am 14. Februar 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des ÜberlVfRSchG erhoben hat.

69

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

70

Der Beklagte meint --unter Verweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, die wiederum die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB heranzieht (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78, BAGE 32, 237, unter IV.2.)--, Verzögerungsrügen in Übergangsfällen hätten innerhalb von zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, also bis zum 17. Dezember 2011, erhoben werden müssen, um einen Anspruch auch für die Vergangenheit zu wahren.

71

b) Der Senat kann offenlassen, ob eine solche Auslegung unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen sachgerecht und mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar wäre. So steht z.B. für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz eine einjährige Frist zur Verfügung (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Zudem gilt für die Beschwerden zum EGMR eine sechsmonatige Frist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Auch geht es darum, mittels der Auslegung des ÜberlVRSchG eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (vgl. EGMR-Entscheidung in EuGRZ 2012, 514, Rz 45).

72

Indes bedarf es im Streitfall, in dem lediglich die Feststellung einer Verfahrensverzögerung auszusprechen ist, der vorherigen (unverzüglichen) Erhebung einer Rüge durch den Kläger nicht. Denn die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer kann --im Gegensatz zur Zuerkennung einer Geldentschädigung-- nach der ausdrücklichen Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch dann ausgesprochen werden, "wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind". Die Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge ist aber --neben anderen-- in § 198 Abs. 3 GVG genannt. Diese Obliegenheit entfällt, wenn das Entschädigungsgericht sich auf einen bloßen Feststellungsausspruch beschränkt, nicht nur im gesetzlichen Regelfall des § 198 Abs. 3 GVG, sondern auch in Fällen der --vorliegend einschlägigen-- Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG. Denn nach dieser Vorschrift "gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss". Von dem Verweis der genannten Übergangsregelung auf § 198 Abs. 3 GVG ist daher auch die in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG angeordnete Ausnahme vom Erfordernis des § 198 Abs. 3 GVG umfasst.

73

Da der Senat vorliegend einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung für ausreichend hält, war die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht erforderlich.

74

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn --wie hier-- zwar kein Entschädigungsanspruch besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird.

75

Diese Regelung soll auch dann eine "angemessene Kostenentscheidung" ermöglichen, wenn ein Kläger seine Rügeobliegenheit nicht erfüllt hat, gleichwohl aber eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird (BTDrucks 17/3802, 26). In einem solchen Fall soll sogar eine vollständige Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits möglich sein (BTDrucks 17/3802, 19, zu § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

76

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem (1.) tatsächlich eine erhebliche Verfahrensverzögerung gegeben ist, (2.) deren Größenordnung weitgehend mit derjenigen Zeitspanne deckungsgleich ist, die der Kläger seiner monetären Entschädigungsforderung zugrunde gelegt hat, und (3.) der Kläger die Höhe seiner Entschädigungsforderung auf den gesetzlichen Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beschränkt hat, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten auch dann den weitaus überwiegenden Teil der Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn das Gericht letztlich keinen Entschädigungsanspruch gewährt, sondern lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellt.

77

Auch der EGMR hat in seinem Urteil in NJW 2007, 1259 (Rz 201) ausgeführt, die Vorschriften über die Kosten in Entschädigungsklageverfahren könnten vom allgemeinen Kostenrecht abweichen, um zu vermeiden, dass Parteien in Fällen, in denen die Klage begründet ist, eine übermäßige Last tragen.

78

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Erwägung des Beklagten, das konkrete Prozessverhalten des Klägers im Entschädigungsklageverfahren zeige, dass es diesem wirtschaftlich auf die Erlangung einer Geldentschädigung ankomme und der Feststellungsausspruch für ihn nur von untergeordneter Bedeutung sei, was sich auch in der Kostenentscheidung widerspiegeln müsse. Denn nach der menschenrechtlichen Konzeption der §§ 198 ff. GVG dient sowohl der Feststellungsausspruch als auch die Zuerkennung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden --auf die der Kläger seinen Antrag beschränkt hat-- der Genugtuung für die erlittenen immateriellen Nachteile eines unangemessen verzögerten Gerichtsverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist --auch-- für die Kostenentscheidung der Umstand, dass das Entschädigungsgericht eine Verfahrensverzögerung in der vom Kläger geltend gemachten Größenordnung bejaht, von größerem Gewicht als die Wahl zwischen den verschiedenen Rechtsfolgenaussprüchen.

79

In Anwendung dieser Grundsätze legt der Senat diesen "weitaus überwiegenden", in derartigen Fällen vom Beklagten zu tragenden Teil der Verfahrenskosten typisierend auf 75 % fest.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten

1.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,
2.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten,
3.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
4.
in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,
4a.
in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
5.
in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung,
6.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen,
6a.
in Angelegenheiten der Sozialhilfe einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und des Asylbewerberleistungsgesetzes,
7.
bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 152 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,
8.
die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen,
9.
(weggefallen)
10.
für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.

(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Zulassung von Trägern und Maßnahmen durch fachkundige Stellen nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Satz 1 gilt für die soziale Pflegeversicherung und die private Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) entsprechend.

(3) Von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen sind Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 27. Januar 2006 (Klageeingang) bis zum 23. März 2012 (Urteilszustellung) vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg anhängigen Verfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Erbe nach seinem im Jahr 1996 verstorbenen Vater (V). Auf Antrag des Klägers, der die Werthaltigkeit des Nachlasses zunächst nicht hatte einschätzen können, ordnete das Nachlassgericht Nachlassverwaltung an. Diese wurde am 9. August 2000 mit der Begründung aufgehoben, ihr Zweck sei durch die Berichtigung der bekannten Nachlassverbindlichkeiten erreicht.

3

Zum Nachlass gehörte auch eine Beteiligung an einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GbR. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen veräußerte eine KG, an der die GbR beteiligt war, im Jahr 1996 den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Die Liquidation der GbR fand im Jahr 2002 (Streitjahr des Ausgangsverfahrens) ihren Abschluss durch förmliche Auflösung der Gesellschaft.

4

Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns der GbR für das Jahr 2002 wurde für den Kläger ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 12.028,89 € festgestellt. Dies entsprach dem seinerzeitigen Stand des negativen Kapitalkontos des Klägers. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage vor dem FG Münster, mit der er eine Beschränkung seiner Erbenhaftung auf der Grundlage der §§ 1975 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltend machte. Das FG Münster wies die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2006  1 K 3381/04 F ab und führte zur Begründung aus, allein der Kläger --nicht aber V oder der Nachlass-- habe im Jahr 2002 den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklicht, weil er Gesellschafter der GbR geworden sei. Der im Jahr 2003 ergangene Feststellungsbescheid sei schon deshalb nicht gegen den Nachlassverwalter zu richten gewesen, weil die Nachlassverwaltung bereits im Jahr 2000 beendet worden sei. Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung könne erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.

5

Bereits zuvor, am 17. Mai 2003, hatte das Berliner Wohnsitz-Finanzamt (FA) gegen den Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2002 erlassen. Darin setzte es die Einkünfte aus der GbR entsprechend dem Feststellungsbescheid an. Es ergab sich eine Steuernachzahlung, die nach dem Vorbringen des Klägers dadurch "vollstreckt" (getilgt) wurde, dass das FA sie mit anderweitigen Steuerguthaben des Klägers verrechnete. Eine Beschränkung der Erbenhaftung lehnte das FA ab.

6

Mit seiner am 27. Januar 2006 vor dem damaligen FG Berlin erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin die Beschränkung seiner Erbenhaftung geltend. Am 27. März 2006 begründete er die Klage. Schon in der Klagebegründung erklärte er, die Steuernachzahlungen hätten im Falle eines frühzeitigen Hinweises des Betriebs-FA bereits vom Nachlassverwalter beglichen werden können, da genügend Masse vorhanden gewesen sei.

7

Mit einem am 2. Juni 2006 beim FG eingegangenen Schriftsatz des Klägers endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten. Ausweislich der finanzgerichtlichen Akten erwog das FG in diesem Stadium des Verfahrens, einen Gerichtsbescheid zu erlassen. Tatsächlich wurde das FG aber zunächst nicht weiter tätig. Auf eine am 12. Oktober 2007 eingegangene Sachstandsanfrage des Klägers teilte der Berichterstatter mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 mit, der Zeitpunkt einer Terminierung sei wegen der Vielzahl der anhängigen älteren Verfahren ungewiss.

8

Mit Verfügung vom 17. Februar 2010 forderte das FG --mittlerweile war die Zuständigkeit auf das neugegründete FG Berlin-Brandenburg übergegangen-- die Steuerakten des FA sowie die Gerichtsakte des FG Münster an. Auf den Hinweis des FG Münster, die Aktenübersendung setze die Vorlage einer Einverständniserklärung des Klägers voraus, bat das FG den Kläger mit Schreiben vom 1. März 2010, eine solche Erklärung abzugeben. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Das FG sah in der Folgezeit von einem weiteren Tätigwerden ab.

9

Am 18. Januar 2012 verfügte der Senatsvorsitzende des FG die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 1. März 2012. Zugleich erteilte er dem Kläger einen rechtlichen Hinweis, wonach die Klage unbegründet sein dürfte, weil die Einkommensteuer 2002 keine Nachlassverbindlichkeit darstelle.

10

Mit einem am 3. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zur Begründung führte er aus, es habe sich nachträglich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebiger gewesen sei als zunächst angenommen. Das FG wies den Kläger am 7. Februar 2012 darauf hin, dass es an einer Hauptsacheerledigung fehlen dürfte, weil nach Rechtshängigkeit kein erledigendes Ereignis eingetreten sei. Vielmehr dürfte die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sein. Es regte eine Klagerücknahme an.

11

Hierauf rügte der Kläger mit einem am 14. Februar 2012 eingegangenen Schreiben unter Hinweis auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) eine überlange Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er vertrat die Auffassung, das rechtlich und tatsächlich unkomplizierte Verfahren hätte spätestens innerhalb von zwei Jahren beendet sein müssen. Aufgrund der Verfahrensdauer könne der Kläger Teile der maßgebenden Unterlagen nicht mehr einsehen. Insbesondere sei die für den Nachlassverwalter geltende Aktenaufbewahrungsfrist abgelaufen. Ferner beantragte der Kläger Akteneinsicht und die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung.

12

Das FG lehnte den Terminaufhebungsantrag ab, führte die mündliche Verhandlung durch und wies die Klage ab. Zu entscheiden sei nur noch über den Antrag, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen. Eine solche Feststellungsklage sei unbegründet, da die ursprüngliche Verpflichtungsklage schon bei ihrer Erhebung unbegründet gewesen sei. Denn dem Kläger sei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, dass der Nachlass zur Zahlung der Steuern ausgereicht hätte. Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 23. März 2012 zugestellt.

13

Am 9. Juli 2012 hat der Kläger die streitgegenständliche Entschädigungsklage "aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" erhoben. Er verweist darauf, dass ein finanzgerichtliches Verfahren im Durchschnitt 17,5 Monate --bei einer Spanne zwischen den einzelnen Bundesländern von 10,1 bis 24,7 Monaten-- dauere. Auf dieser Grundlage sieht er im konkreten Verfahren eine Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer um vier Jahre. Die erforderliche Verzögerungsrüge sei in seiner am 12. Oktober 2007 gestellten Sachstandsanfrage zu sehen. Im Übrigen dürfte die sechsjährige Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bereits in den Grenzbereich der absoluten überlangen Verfahrensdauer hineinreichen. In derartigen Fällen sei eine Rüge entbehrlich, da die von ihr ausgehende Warnfunktion angesichts der offenkundigen Überlänge nicht mehr eintreten könne.

14

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg 10 K 1037/06 B eine Entschädigung in Höhe von 4.800 € zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

16

Er ist der Auffassung, die Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 könne keine Wirkung für den davor liegenden Zeitraum entfalten, weil sie entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 erhoben worden sei. Zudem müsse ein Entschädigungsanspruch nach dem Gesetzeszweck dann entfallen, wenn das Gericht --wie hier-- das Verfahren unmittelbar nach Erhebung der Verzögerungsrüge abschließe. Denn die Rüge solle als Warnung an das Gericht dienen; diese Warnfunktion werde bei einem zügigen Verfahrensabschluss erfüllt.

17

Selbst wenn eine sachliche Prüfung der Entschädigungsklage vorzunehmen sein sollte, wäre keine Geldentschädigung auszusprechen. Vielmehr wäre gemäß § 198 Abs. 4 GVG die bloße Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer als Wiedergutmachung ausreichend. Dem Kläger sei aufgrund der Dauer des Verfahrens weder ein materieller noch --abgesehen von der Überlänge als solcher-- ein immaterieller Schaden entstanden. Zudem zeige das Unterbleiben einer Reaktion des Klägers auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010, dass er spätestens ab diesem Zeitpunkt selbst kein besonderes Interesse mehr an einer Fortsetzung des Verfahrens gehabt habe.

18

Jedenfalls sei die entschädigungspflichtige Verzögerung erheblich geringer als der vom Kläger angeführte Zeitraum von vier Jahren. Beim Eingang des letzten vorbereitenden Schriftsatzes am 2. Juni 2006 sei eine Terminierung wegen der zum 1. Januar 2007 durchgeführten Fusion der Finanzgerichte der Länder Berlin und Brandenburg nicht mehr möglich gewesen. Das neue FG Berlin-Brandenburg sei erst nach dem Auspacken und Verteilen der Akten im April 2007 in vollem Umfang funktionstüchtig gewesen. Für die Zeit vom 17. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 sei eine Verzögerung zu verneinen, weil der Kläger auf die Anfrage des FG hinsichtlich der Einverständniserklärung nicht reagiert habe. Danach verbleibe eine "untechnische Verfahrensruhe" von drei Jahren und neun Monaten. Da eine Verfahrensdauer von zwei Jahren und sechs Monaten nicht zu beanstanden sei, ergebe sich vorliegend ein Entschädigungsanspruch allenfalls für ein Jahr und drei Monate.

II.

19

1. Obwohl der Kläger seinen Anspruch als "auf dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" beruhend bezeichnet, legt der Senat die Klage als Entschädigungsklage nach § 198 GVG, nicht aber als auf einen Amtshaftungsanspruch gestützte Schadensersatzklage aus. Maßgebend hierfür ist, dass der Kläger die Klage beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht und er in seiner Klageschrift auf § 198 GVG verwiesen hat.

20

2. Der Senat hält die durch § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung vorgenommene Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit für Entschädigungsklagen aus dem Bereich der Finanzgerichtsbarkeit an den BFH für vereinbar mit Art. 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG). Danach darf der ordentliche Rechtsweg für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung nicht ausgeschlossen werden.

21

Zwar ist es denkbar, dass die Einführung der Entschädigungsklage zu einem Rückgang der Amtshaftungsklagen in diesem Bereich führen wird. Denn Gegenstand der §§ 198 ff. GVG kann --wie bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zeigt-- auch eine Entschädigung für materielle Nachteile und Schäden sein (zutreffend BTDrucks 17/3802, 17); in diesem Bereich gelten nach Auffassung des Gesetzgebers die §§ 249 ff. BGB --mit Ausnahme eines Anspruchs auf Ersatz des entgangenen Gewinns-- uneingeschränkt (BTDrucks 17/7217, 27 f.). Zudem wird die Geltendmachung eines auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsanspruchs für den Anspruchsteller schon wegen des fehlenden Erfordernisses der Führung eines Verschuldensnachweises wesentlich einfacher sein als die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs.

22

Gleichwohl führt die Einführung der Entschädigungsklage und deren Zuweisung an die Fachgerichtsbarkeiten nicht zu einer Aushöhlung der Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG. Denn es bleibt dem Anspruchsteller unbenommen, sein Begehren im Wege einer Amtshaftungsklage durchzusetzen. Beide Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen parallel zueinander. Während sich die Entschädigungsklage durch erleichterte Voraussetzungen (fehlendes Verschuldenserfordernis), die Vermutung des Eintritts von Nichtvermögensschäden sowie die Möglichkeit eines pauschalierten Ersatzes dieser Schäden auszeichnet, eröffnet die Amtshaftungsklage demgegenüber auch die Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz für entgangenen Gewinn. Von einem "Ausschluss" des ordentlichen Rechtsweges, der durch Art. 34 Satz 3 GG allein untersagt würde, lässt sich danach ungeachtet eines möglichen faktischen Rückgangs der Amtshaftungsklagen nicht sprechen.

Entscheidungsgründe

23

III. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

24

Sie ist gegen den richtigen Beklagten gerichtet (unten 1.). Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (unten 2.). Das finanzgerichtliche Verfahren, dessen Dauer vorliegend zu beurteilen ist, ist unangemessen verzögert worden (unten 3.). Ein Anspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Ausgangsgericht das Verfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu Ende geführt hat (unten 4.) oder die Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (unten 5.). Allerdings ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer für die erforderliche Wiedergutmachung ausreichend; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu (unten 6.). Weil ein derartiger Feststellungsausspruch keine vorherige Verzögerungsrüge des Klägers voraussetzt, kann offenbleiben, ob der Kläger die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren noch "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben hat (unten 7.).

25

1. Der Kläger hat mit dem Land Berlin den richtigen Beklagten bezeichnet.

26

a) Die Bestimmung des Anspruchsgegners bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer richtet sich nach § 200 Satz 1 GVG. Danach haftet das Land für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind. Da das FG Berlin-Brandenburg gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2004, 380) --Staatsvertrag-- ein gemeinsames Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut des § 200 Satz 1 GVG unmittelbar noch keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen.

27

Nach Auffassung des erkennenden Senats --die vom Kläger und nunmehr auch vom Beklagten geteilt wird-- üben die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes aus, aus dem das Ausgangsverfahren stammt. Der Senat verweist insoweit auf die ausführlichen Darlegungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 45/06 (juris, unter II.1.a), denen er sich anschließt. Der Verfassungsgerichtshof hat sich dabei insbesondere auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit gestützt. Demgegenüber hat er denjenigen Einzelregelungen im Staatsvertrag, die an das Sitzprinzip anknüpfen, keine entscheidende Bedeutung zugemessen (Rz 32 des Beschlusses). Dieser Auffassung ist auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Beschluss vom 10. Mai 2007  8/07 (juris, unter B.I.1.). Beiden Beschlüssen lagen jeweils Verfahren aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde.

28

In Übereinstimmung damit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eines Richters am früheren FG Berlin, der sich unmittelbar gegen den Staatsvertrag gewandt hatte, ausgeführt, das FG Berlin-Brandenburg sei ein Gericht, "welches (auch) zur Berliner Landesgerichtsbarkeit gehört" (Beschluss vom 14. Juli 2006  2 BvR 1058/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 1030, unter III.2.b aa). Die richterliche Tätigkeit an einem länderübergreifenden Gericht stelle sich als "Ausübung der Rechtsprechung für die an dem Gericht beteiligten Länder dar" (BVerfG-Beschluss in HFR 2006, 1030, unter III.2.b bb). Damit hat auch das BVerfG eine Anwendung des reinen Sitzprinzips --maßgeblich wäre danach stets der Sitz des gemeinsamen FG im Land Brandenburg-- abgelehnt.

29

b) Vorliegend stammt das Ausgangsverfahren aus dem Land Berlin, da eine Berliner Finanzbehörde den Ablehnungsbescheid erlassen hatte, der zu der vom Kläger vor dem damals noch bestehenden FG Berlin erhobenen Verpflichtungsklage geführt hat. Auch soweit ab dem 1. Januar 2007 das FG Berlin-Brandenburg an die Stelle des FG Berlin getreten ist, übte es im Ausgangsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Berlin aus, das damit Anspruchsgegner im Entschädigungsklageverfahren ist.

30

2. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg (Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641) ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich.

31

a) Organisationsregelungen innerhalb eines Ressorts werden traditionell nicht dem zwingenden Gesetzesvorbehalt unterstellt. Die Exekutive hat hier eine eigene Organisationsgewalt (vgl. hierzu Krebs in Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, § 108 Rz 99, m.w.N.).

32

Diese Organisationsgewalt unterliegt aber in doppelter Hinsicht Begrenzungen.

33

aa) Zum einen darf der Parlamentsgesetzgeber hierauf jederzeit Zugriff nehmen und ausdrückliche gesetzliche Organisationsregelungen treffen (Ossenbühl in Handbuch des Staatsrechts, a.a.O., § 101 Rz 72). Solange indes derartige Spezialregelungen nicht existieren, bleibt es bei der Organisationsgewalt der Exekutive.

34

bb) Zum anderen verpflichten das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip den Parlamentsgesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dieser "Wesentlichkeitsvorbehalt" gilt zwar vor allem für den Bereich der Grundrechtsausübung, erfasst darüber hinaus aber auch andere für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen (ausführlich, auch zum Folgenden, Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1999  11/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 1243, m.w.N., betr. Zusammenlegung des Innen- und Justizministeriums). Danach fallen Organisationsentscheidungen dann unter den Gesetzesvorbehalt, wenn sie wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte oder anderer tragender Verfassungsprinzipien (z.B. Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt) oder die Wahrnehmung der Staatsleitung sind.

35

b) Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage der organisationsrechtlichen Zuständigkeit für die Vertretung des Landes in Entschädigungsklageverfahren sind landes- oder bundesgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich. § 200 Satz 1 GVG bestimmt lediglich, wer in Entschädigungsfällen der richtige Beklagte ist (das Bundesland). Zu der Vertretung innerhalb des Bundeslandes enthält das GVG keine Regelungen, was in einem Bundesgesetz auch nicht möglich wäre.

36

Die in der Vertretungsanordnung getroffene Organisationsregelung enthält auch keine Entscheidung, die so wesentlich wäre, dass sie vom Gesetzgeber hätte getroffen werden müssen. Sie berührt weder die Verwirklichung der Grundrechte noch anderer tragender Verfassungsprinzipien oder die Wahrnehmung der Staatsleitung. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass der FG-Präsident in Entschädigungsklageverfahren lediglich Vertreter eines Verfahrensbeteiligten, nicht aber entscheidungsbefugt ist.

37

3. Das finanzgerichtliche Verfahren ist unangemessen verzögert worden. Diese --auf den konkreten Streitfall bezogene-- Würdigung ist möglich, ohne dass der Senat bereits den vorliegenden Einzelfall zum Anlass nehmen müsste, allgemeine Leitlinien für die vom Rechtsschutzsuchenden im Regelfall noch hinzunehmende Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu entwickeln.

38

a) Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

39

Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR, wonach die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Entschädigungsklägers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen ist (Urteil vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/ Deutschland--, NJW 2010, 3355, Rz 41, m.w.N.).

40

Auch das BVerfG geht von vergleichbaren Kriterien aus. Danach lässt sich nicht generell festlegen, ab wann von einer überlangen, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes unzumutbar beeinträchtigenden und deshalb verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung und Entscheidung im Einzelfall. Dabei sind vor allem die Bedeutung der Sache für die Parteien (Beteiligten), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Parteien zuzurechnende Verhalten sowie vom Gericht nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbare Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen, in Rechnung zu stellen. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich allerdings die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung entschieden, dass bei einem Instanzgericht jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (Beschluss vom 13. August 2012  1 BvR 1098/11, Europäische Grundrechte Zeitschrift --EuGRZ-- 2012, 666, unter B.I.2.). Vor dem BVerfG selbst kann mit Rücksicht auf den abweichenden Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften (vgl. § 97a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG-- einerseits und § 198 GVG andererseits) sowie die besonderen Aufgaben des BVerfG eine längere Verfahrenslaufzeit hinzunehmen sein, insbesondere wenn ein Pilotverfahren ausgewählt wird und entsprechende Parallelverfahren vorerst zurückgestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 1. Oktober 2012  1 BvR 170/06 - Vz 1/12, juris).

41

Diese vom EGMR und dem BVerfG entwickelten Kriterien sind nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes --bei dem es sich um eine Reaktion auf die häufigen Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) durch den EGMR handelt-- zum Ausdruck kommt, auch der Prüfung nach § 198 GVG zugrunde zu legen (BTDrucks 17/3802, 18).

42

b) Da im Ausgangsverfahren der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 2. Juni 2006 endete, war das erstmalig am 17. Februar 2010 erkennbare Tätigwerden des FG (Aktenanforderung) erheblich zu spät. Geht man mit der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass "jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten" den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt (Beschluss in EuGRZ 2012, 666, unter B.I.2.), das Gericht also im Regelfall nach etwa 24 bis 30 Monaten tätig werden muss, hätte das FG das Ausgangsverfahren im ersten Halbjahr 2008 zumindest in die Richtung einer Entscheidung vorantreiben müssen.

43

c) Der Staat kann sich zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen (so zutreffend BTDrucks 17/3802, 19, unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG und EGMR). Deshalb ist die Zusammenlegung der Finanzgerichte Berlin und Brandenburg zum 1. Januar 2007 bereits dem Grunde nach kein Umstand, der vom Kläger zu vertreten wäre und eine Verlängerung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer rechtfertigen könnte. Danach kann der Senat offenlassen, ob der Beklagte sein Vorbringen, der Umzug des FG Berlin nach Cottbus habe zu einer zehnmonatigen Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit des vormaligen FG Berlin und des späteren FG Berlin-Brandenburg geführt, hinreichend substantiiert hat.

44

d) Dem Kläger ist allerdings im Rahmen der Prüfung der Gründe für die eingetretene Verzögerung der Umstand zuzurechnen, dass er es unterlassen hat, auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010 zu reagieren. Nicht beizupflichten ist jedoch dem Beklagten darin, dass die unterbliebene Reaktion des Klägers das FG für das gesamte Jahr 2010 von der Pflicht zur weiteren Förderung des Verfahrens befreit hat. Das Schweigen des Klägers auf die Anfrage hätte für das Gericht angesichts der bereits in diesem Zeitpunkt eingetretenen Verzögerung des Verfahrens vielmehr entweder Anlass sein müssen, den Kläger an die ausstehende Antwort zu erinnern, oder dem FG die Möglichkeit eröffnet, ohne Berücksichtigung der betroffenen Akten --und ggf. unter Anwendung eines reduzierten Beweismaßes zu Lasten des insoweit nicht an der Sachaufklärung mitwirkenden Klägers (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, unter II.2.)-- zu entscheiden. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich --wie oben dargelegt-- die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Gleichwohl ist das FG erst wieder am 18. Januar 2012 tätig geworden.

45

e) Danach bewegt sich die dem Beklagten zuzurechnende Verzögerung des Verfahrens jedenfalls in der Nähe des vom Kläger seiner Entschädigungsforderung zugrunde gelegten Zeitraums von vier Jahren, ohne dass der Senat --der sich auf den Ausspruch einer Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beschränkt (siehe unten 6.)-- im Streitfall nähere Festlegungen treffen müsste.

46

4. Ein auf § 198 GVG gestützter Feststellungs- oder Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das FG das Ausgangsverfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 zu Ende geführt hat.

47

Die gegenteilige vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung kann jedenfalls in Fällen, die --wie vorliegend-- eine Verzögerung betreffen, die bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetreten ist, nicht zutreffend sein. Denn schon vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes war die Bundesrepublik Deutschland aufgrund Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren. Ferner musste die Bundesrepublik Deutschland gewährleisten, dass für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine  wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung stand (Art. 13 EMRK). Würde nun eine vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer --erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen-- Verzögerungsrüge beendet, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom EGMR mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar.

48

Im Übrigen hat der EGMR im Urteil vom 29. März 2006  36813/97 --Scordino/Italien-- (NJW 2007, 1259, Rz 185) ausgeführt: "Es versteht sich, dass in Ländern, in denen eine Konventionsverletzung wegen der Dauer des Verfahrens schon eingetreten ist, ein nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf, so wünschenswert er für die Zukunft ist, zur Wiedergutmachung nicht ausreicht, wenn das Verfahren offensichtlich schon übermäßig lang gedauert hat." In diesem Sinne ist die vom deutschen Gesetzgeber nunmehr geschaffene Verzögerungsrüge ein "nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf", der allein aber zur Wiedergutmachung einer in der Vergangenheit liegenden Verzögerung nicht ausreichen kann, wenn der neue Rechtsbehelf in der Vergangenheit noch gar nicht zur Verfügung stand.

49

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, EuGRZ 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bei der Auslegung der durch das ÜberlVfRSchG in das deutsche Recht aufgenommenen Normen auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen. Mit diesem wäre es unvereinbar, wenn eine bereits eingetretene Verzögerung durch nachträgliches staatliches Handeln ohne Zuerkennung einer Wiedergutmachung ungeschehen gemacht werden könnte.

50

5. Ein Anspruch des Klägers scheitert auch nicht daran, dass die Erhebung der Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

51

Der Beklagte meint insoweit, der Kläger habe die Verzögerungsrüge angesichts des drohenden Prozessverlusts im Ausgangsverfahren als Druckmittel einsetzen wollen, um eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erreichen. Da dies nicht gelungen sei, sei die spätere Erhebung der Entschädigungsklage als "Trotzreaktion" anzusehen, die rechtlich unbeachtlich sei.

52

Dem ist nicht beizupflichten. Nach allgemeinen Grundsätzen sind Prozesshandlungen im Interesse der erforderlichen Rechtsklarheit bedingungsfeindlich (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644, unter II.2.). Grund hierfür ist das im gerichtlichen Verfahren in besonderer Weise bestehende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit. Daraus folgt aber zugleich, dass auch eine Motivforschung in Bezug auf Prozesshandlungen --insbesondere hinsichtlich der Gründe für die Erhebung einer Klage-- ausscheidet.

53

6. Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend für die erforderliche Wiedergutmachung; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu.

54

a) Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dies beruht auf der Rechtsprechung des EGMR, der "eine starke, aber widerlegbare Vermutung" dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat (Urteil in NJW 2007, 1259, Rz 204).

55

Vorliegend ist diese gesetzliche Vermutung weder durch das Vorbringen des Beklagten noch durch den sonstigen Akteninhalt widerlegt.

56

b) Ist die Vermutungsregel --wie hier-- nicht widerlegt, ordnet § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Erleiden eines solchen Nichtvermögensnachteils an, dass eine Geldentschädigung "nur beansprucht werden [kann], soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist". Die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht ist im Gesetz ausdrücklich als eine der Möglichkeiten bezeichnet, Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zuerkennung eines Geldanspruchs zu leisten (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG).

57

Für das Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen "Geldentschädigung" einerseits und "Feststellungsausspruch" andererseits gilt danach weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel. Damit ist jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut vor der Zuerkennung einer Geldentschädigung jeweils konkret zu prüfen, ob Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch möglich ist.

58

Soweit demgegenüber in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten wird, ein Feststellungsausspruch müsse sich auf diejenigen Ausnahmefälle beschränken, in denen sich der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren rechtsmissbräuchlich verhalten habe (so Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2177), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das von dieser Auffassung als Beleg angeführte EGMR-Urteil vom 10. Dezember 1982  8304/78 --Corigliano/Italien-- (EGMR-E 2, 199, Rz 53) enthält zwar einen bloßen Feststellungsausspruch. Allerdings lässt sich der genannten Entscheidung nicht entnehmen, dass dieser Ausspruch auf einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des dortigen Beschwerdeführers beruht. Vielmehr führt der EGMR aus, bereits durch die Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK sei eine hinreichende Entschädigung für den immateriellen Schaden bewirkt worden. Das darüber hinaus angeführte EGMR-Urteil vom 13. November 2008  26073/03 --M.O./ Deutschland-- (juris) ist als Beleg für die Gegenauffassung schon deshalb ungeeignet, weil dem dortigen Beschwerdeführer --eine Person, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt war-- durch die überlange Dauer eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und dessen Öffentlichkeitswirkung unstreitig ein erheblicher immaterieller Schaden entstanden war.

59

c) Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802, 20) soll ein derartiger Feststellungsausspruch beispielsweise in Verfahren ausreichen, die für "einen Verfahrensbeteiligten" (gemeint kann indes nur der Entschädigungskläger sein, nicht aber dessen Gegner im Ausgangsverfahren) keine besondere Bedeutung hatten, in denen ein Verfahrensbeteiligter durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder der Beklagte darlegt, dass der Entschädigungskläger --abgesehen von der Überlänge des Verfahrens als solcher-- keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat.

60

d) Auch in Bezug auf diese Rechtsfrage bietet der Streitfall keine Veranlassung, allgemeine Grundsätze zur Auslegung des § 198 Abs. 4 GVG aufzustellen oder sich abschließend zu den in den Gesetzesmaterialien angestellten Erwägungen zu äußern.

61

Die angeführten Erwägungen des Gesetzgebers könnten allerdings insoweit auf Bedenken stoßen, als eine dem Entschädigungskläger zuzurechnende Verzögerung bereits bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob überhaupt der Tatbestand einer unangemessenen Verfahrensdauer erfüllt ist, und dann nicht nochmals bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen einer als unangemessen zu beurteilenden Verfahrensdauer berücksichtigt werden darf. Auch könnte das Verlangen nach einem Nichtvermögensschaden, der über das Erdulden der Überlänge als solcher hinausgeht, in einem Spannungsverhältnis zu der Forderung des EGMR nach einem effektiven Rechtsschutz gegen Verfahrensverzögerungen stehen. Im Streitfall kommt hinzu, dass dem finanzgerichtlichen Verfahren --jedenfalls abstrakt-- auch eine "besondere Bedeutung" für den Kläger nicht abzusprechen war, da Gegenstand seiner Klage immerhin ein streitiger Steuerbetrag im Umfang von ca. einem Drittel der insgesamt für den Veranlagungszeitraum 2002 gegen den Kläger festgesetzten Einkommensteuer war.

62

e) Im Streitfall ist die Beschränkung auf einen bloßen Feststellungsausspruch aber deshalb gerechtfertigt, weil die Klage unschlüssig, d.h. bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar unbegründet war. Denn der Kläger hat schon in der --kurz nach Klageerhebung eingereichten-- Klagebegründung vom 24. März 2006 eingeräumt, dass im Nachlass genügend Masse vorhanden war, um die Steuernachzahlung begleichen zu können. Damit hätte die vom Kläger begehrte Beschränkung seiner Erbenhaftung auf den Nachlass aber von vornherein nicht zu einer Reduzierung seiner Pflicht zur Zahlung der festgesetzten Einkommensteuer führen können.

63

aa) Soweit der Kläger erstmals im Entschädigungsklageverfahren --ohne Substantiierung durch Vorlage von Unterlagen-- behauptet, ab dem Jahr 2001 seien weitere Forderungen gegen den Nachlass geltend gemacht worden, was im Jahr 2004 zum Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens geführt habe, ist dies für die Beurteilung durch den Senat ohne Bedeutung. Denn ob eine Klage sich als unschlüssig darstellt, ist aus der --verobjektivierten-- Sicht des zur Entscheidung über diese Klage berufenen Spruchkörpers zu beurteilen. Im Übrigen vermag der Senat dieses neue Vorbringen nicht nachzuvollziehen, da es zu den früheren Tatsachenbehauptungen des Klägers in Widerspruch steht. So hat er nicht nur in der Klagebegründung vom 24. März 2006 --lange nach der angeblichen Erhebung weiterer Forderungen und dem behaupteten Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens--, sondern nochmals im Schreiben vom 2. Februar 2012 erklärt, letztlich habe sich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebig gewesen sei.

64

In einem solchen Fall, in dem sich allein aus der kurz nach Klageerhebung eingereichten Klagebegründung ohne weitere Ermittlungshandlungen des Gerichts die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens ergibt, hat das verzögerte Verfahren --jedenfalls bei konkreter Betrachtung-- für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung. Denn dann ist für jeden Rechtskundigen von Anfang an klar, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben kann.

65

Selbst wenn sich --was der Senat vorliegend nicht zu entscheiden braucht-- aus einer EMRK-konformen Auslegung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein gewisser Vorrang der Geldentschädigung ergeben könnte, zeigt die Rechtsprechung des EGMR, dass auch dieser in vielen Fällen lediglich einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung ausreichen lässt (vgl. die umfassende Zusammenstellung dieser Rechtsprechung bei Steinbeiß-Winkelmann/ Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, Anhang 2). Es sind aber kaum Fallgruppen denkbar, in denen die Betroffenheit des Klägers durch eine überlange Verfahrensdauer geringer ist als bei einer nach dem eigenen Klagevorbringen bereits unschlüssigen Klage. Die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in diesen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Unschlüssigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine weiteren Risiken oder Nachteile für die prozessuale oder sonstige Situation des Klägers verbunden.

66

bb) Betrachtet man die Rechtsprechung des EGMR bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, ist zwar festzustellen, dass der EGMR Deutschland in Fällen überlanger Verfahrensdauer zunehmend zur Zahlung von Geldentschädigungen verurteilt und sich nicht auf die --gemäß Art. 41 EMRK ebenfalls mögliche-- bloße Feststellung einer Verletzung der EMRK beschränkt hat. Bei genauer Betrachtung liegt dies aber daran, dass der EGMR im Zeitablauf zu der Erkenntnis gelangt ist, dass in Deutschland seinerzeit ein strukturelles Problem vorhanden gewesen sei. Deutschland wurde daher in den jüngeren Entscheidungen nicht allein wegen einer Verletzung des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist) verurteilt, sondern vor allem auch wegen einer Verletzung des in Art. 13 EMRK garantierten Rechts auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der EMRK bei einer innerstaatlichen Instanz (vgl. EGMR-Urteil vom 8. Juni 2006  75529/01 --Sürmeli/ Deutschland--, NJW 2006, 2389). Eine solche Beschwerdemöglichkeit in Fällen überlanger Gerichtsverfahren (Untätigkeitsbeschwerde, Verzögerungsrüge) fehlte in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG; dieses strukturelle Problem der deutschen Gesetzgebung --und nicht nur die tatsächliche Verzögerung eines gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall-- hat der EGMR mit der Zuerkennung von Geldentschädigungen sanktionieren wollen (vgl. EGMR-Urteil in NJW 2006, 2389, Rz 136 ff.).

67

Mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ist das strukturelle Problem beseitigt worden. Im Vordergrund steht nunmehr wieder die Einzelfallbetrachtung der Umstände des konkreten Verfahrens. Damit würde --hätte der EGMR über einen derartigen Fall zu entscheiden-- wieder die Grundregel des Art. 41 EMRK zur Anwendung kommen, wonach der EGMR nur dann über die bloße Feststellung einer Konventionsverletzung hinaus eine "gerechte Entschädigung" (Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden) zuspricht, wenn das innerstaatliche Recht "nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung" gestattet. Die Hauptsacheentscheidung des EGMR liegt in der Feststellung einer Konventionsverletzung; die darüber hinausgehende Zuerkennung einer Geldentschädigung ist nur eine unselbständige Nebenentscheidung (so Dörr, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 33 Rz 10). Der EGMR spricht nur dann eine Geldentschädigung zu, wenn der Betroffene aufgrund der Rechtsverletzung nachweislich einen "spürbaren Nachteil" erlitten hat (Dörr, in: Grote/Marauhn, a.a.O., Kap. 33 Rz 18).

68

7. Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger seine am 14. Februar 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des ÜberlVfRSchG erhoben hat.

69

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

70

Der Beklagte meint --unter Verweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, die wiederum die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB heranzieht (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78, BAGE 32, 237, unter IV.2.)--, Verzögerungsrügen in Übergangsfällen hätten innerhalb von zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, also bis zum 17. Dezember 2011, erhoben werden müssen, um einen Anspruch auch für die Vergangenheit zu wahren.

71

b) Der Senat kann offenlassen, ob eine solche Auslegung unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen sachgerecht und mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar wäre. So steht z.B. für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz eine einjährige Frist zur Verfügung (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Zudem gilt für die Beschwerden zum EGMR eine sechsmonatige Frist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Auch geht es darum, mittels der Auslegung des ÜberlVRSchG eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (vgl. EGMR-Entscheidung in EuGRZ 2012, 514, Rz 45).

72

Indes bedarf es im Streitfall, in dem lediglich die Feststellung einer Verfahrensverzögerung auszusprechen ist, der vorherigen (unverzüglichen) Erhebung einer Rüge durch den Kläger nicht. Denn die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer kann --im Gegensatz zur Zuerkennung einer Geldentschädigung-- nach der ausdrücklichen Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch dann ausgesprochen werden, "wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind". Die Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge ist aber --neben anderen-- in § 198 Abs. 3 GVG genannt. Diese Obliegenheit entfällt, wenn das Entschädigungsgericht sich auf einen bloßen Feststellungsausspruch beschränkt, nicht nur im gesetzlichen Regelfall des § 198 Abs. 3 GVG, sondern auch in Fällen der --vorliegend einschlägigen-- Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG. Denn nach dieser Vorschrift "gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss". Von dem Verweis der genannten Übergangsregelung auf § 198 Abs. 3 GVG ist daher auch die in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG angeordnete Ausnahme vom Erfordernis des § 198 Abs. 3 GVG umfasst.

73

Da der Senat vorliegend einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung für ausreichend hält, war die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht erforderlich.

74

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn --wie hier-- zwar kein Entschädigungsanspruch besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird.

75

Diese Regelung soll auch dann eine "angemessene Kostenentscheidung" ermöglichen, wenn ein Kläger seine Rügeobliegenheit nicht erfüllt hat, gleichwohl aber eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird (BTDrucks 17/3802, 26). In einem solchen Fall soll sogar eine vollständige Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits möglich sein (BTDrucks 17/3802, 19, zu § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

76

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem (1.) tatsächlich eine erhebliche Verfahrensverzögerung gegeben ist, (2.) deren Größenordnung weitgehend mit derjenigen Zeitspanne deckungsgleich ist, die der Kläger seiner monetären Entschädigungsforderung zugrunde gelegt hat, und (3.) der Kläger die Höhe seiner Entschädigungsforderung auf den gesetzlichen Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beschränkt hat, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten auch dann den weitaus überwiegenden Teil der Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn das Gericht letztlich keinen Entschädigungsanspruch gewährt, sondern lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellt.

77

Auch der EGMR hat in seinem Urteil in NJW 2007, 1259 (Rz 201) ausgeführt, die Vorschriften über die Kosten in Entschädigungsklageverfahren könnten vom allgemeinen Kostenrecht abweichen, um zu vermeiden, dass Parteien in Fällen, in denen die Klage begründet ist, eine übermäßige Last tragen.

78

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Erwägung des Beklagten, das konkrete Prozessverhalten des Klägers im Entschädigungsklageverfahren zeige, dass es diesem wirtschaftlich auf die Erlangung einer Geldentschädigung ankomme und der Feststellungsausspruch für ihn nur von untergeordneter Bedeutung sei, was sich auch in der Kostenentscheidung widerspiegeln müsse. Denn nach der menschenrechtlichen Konzeption der §§ 198 ff. GVG dient sowohl der Feststellungsausspruch als auch die Zuerkennung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden --auf die der Kläger seinen Antrag beschränkt hat-- der Genugtuung für die erlittenen immateriellen Nachteile eines unangemessen verzögerten Gerichtsverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist --auch-- für die Kostenentscheidung der Umstand, dass das Entschädigungsgericht eine Verfahrensverzögerung in der vom Kläger geltend gemachten Größenordnung bejaht, von größerem Gewicht als die Wahl zwischen den verschiedenen Rechtsfolgenaussprüchen.

79

In Anwendung dieser Grundsätze legt der Senat diesen "weitaus überwiegenden", in derartigen Fällen vom Beklagten zu tragenden Teil der Verfahrenskosten typisierend auf 75 % fest.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München - 4 Ca 5756/97 - und dem Landesarbeitsgericht München - 10 Sa 88/99 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verletzt.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit über Urlaubsabgeltung, Abfindung und Erstattung von Umzugs- und Reisekosten, der über 20 Jahre dauerte.

2

1. Der Beschwerdeführer war als Redakteur bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens beschäftigt. Im Jahr 1988 kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer krankheitsbedingt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Kündigungsschutzklage, mit der er nach mehreren Zurückverweisungen des Bundesarbeitsgerichts im März 2002 obsiegte. Zwischenzeitlich kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer im Jahr 1994 aus betriebsbedingten Gründen. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Kündigungsschutzklage blieb erfolglos; zuletzt wies das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde im August 2008 zurück.

3

Im Ausgangsverfahren erhob der Beschwerdeführer am 25. März 1988 Klage auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Bis Ende 1989 fanden insgesamt vier Kammertermine statt. Der Beschwerdeführer erweiterte die Klage mehrfach und wechselte in der ersten Instanz zweimal den Prozessbevollmächtigten. Mit Beschluss vom 12. November 1990 trennte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit in sieben eigenständige Verfahren. Am 13. Dezember 1990 erhob der Beschwerdeführer Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Prozessverschleppung. Am 24. Juli 1991 setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das erste Kündigungsschutzverfahren aus. Nach Aufnahme des Rechtsstreits wies das Arbeitsgericht die Klage am 20. Mai 1998 ab. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein.

4

Das Landesarbeitsgericht setzte den Rechtsstreit am 14. April 2000 erneut bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die erste Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit der ersten Kündigungsschutzklage ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. Zwischenzeitlich stellte der EGMR mit Urteil vom 18. Oktober 2001 eine Verletzung von Art. 6 EMRK wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzprozesses fest. Nachdem der Beschwerdeführer im ersten Kündigungsschutzprozess rechtskräftig obsiegt hatte, setzte das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit am 17. November 2004 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zweite Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. In der zweiten Instanz wechselte der Beschwerdeführer erneut zweimal seinen Prozessbevollmächtigten und stellte zwei unbegründete Befangenheitsanträge. Mit Urteil vom 9. September 2009, dem Beschwerdeführer zugestellt am 12. Dezember 2009, gab das Landesarbeitsgericht der Klage teilweise statt.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2010 als unzulässig.

6

2. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, die Gerichte hätten aufgrund überlanger Verfahrensdauer seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Darüber hinaus rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

7

3. Zur Verfassungsbeschwerde haben die Beklagte des Ausgangsverfahrens und das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Stellung genommen.

8

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer durch Befangenheitsanträge und mehrfachen Anwaltswechsel zu einer Verzögerung des Verfahrens beigetragen habe. Die Aussetzungsbeschlüsse seien nicht begründet worden.

9

Das Bayerische Staatsministerium hat ausgeführt, in Bezug auf das arbeitsgerichtliche Verfahren erster Instanz liege eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Klägers nicht vor. Die Verfahrensdauer sei geprägt durch die fortwährende Änderung der Klageanträge. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien von einem vorgreiflichen Kündigungsverfahren abhängig gewesen. In Bezug auf das Verfahren in zweiter Instanz wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen jeweils einverstanden gewesen sei. Die durchaus lange Verfahrensdauer sei eine Folge der langwierigen Kündigungsschutzprozesse gewesen.

10

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch überlange Verfahrensdauer gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

12

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer geltend macht. Insbesondere fehlt es insoweit nicht am Rechtsschutzinteresse.

13

Dem steht nicht entgegen, dass das Ausgangsverfahren bereits beendet ist. Erledigt sich das überlange Verfahren, besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 f.>).

14

a) Der Annahme einer Wiederholungsgefahr steht das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 20).

15

b) Besonders schwer wiegt eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGK 17, 512 <516>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). So liegt es hier.

16

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit der Beschwerdeführer mit ihr eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geltend macht.

17

a) Für den Bereich des Zivilprozesses gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>).

18

Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dazu gehören etwa die Schwierigkeit einer zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen, die Bedeutung des Verfahrens und das Prozessverhalten der Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 16 m.w.N.; EGMR, Urteil vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger/Deutschland, EuGRZ 2001, S. 299 f. <301>, Rn. 36). Auf Umstände, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann sich der Staat - anders als auf unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>) - nicht berufen (vgl. BVerfGK 17, 512 <515>).

19

b) Ausgehend hiervon ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit in besonders schwerwiegender Weise verletzt. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht ist mit einer Dauer von mehr als 20 Jahren schon insgesamt als überlang anzusehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit ein schnelles Verfahren bereitstellen wollte (vgl. BVerfGE 31, 297 <305>), was in dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG Ausdruck gefunden hat. Gegen diesen verstoßen vorliegend drei ermessensfehlerhafte Aussetzungen, die insgesamt zu einer Verzögerung des Rechtsstreits von zwölf Jahren geführt haben.

20

aa) Im erstinstanzlichen Verfahren beruht eine Verzögerung von knapp sechs Jahren auf dem Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 24. Juli 1991. Nach § 148 ZPO muss das Gericht bei der Aussetzungsentscheidung sein Ermessen ausüben (vgl. BAG, Urteil vom 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 -, juris, Rn. 19) und die mögliche Verfahrensverzögerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abwägen. Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, juris, Rn. 7). Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreits ist ebenfalls ein Gesichtspunkt, dem bei der Ausübung des Ermessens Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfGK 14, 270 <276 f.>).

21

Vorliegend ist aus der Begründung der Aussetzungsentscheidung weder ersichtlich, dass die voraussichtliche Dauer des für vorgreiflich erachteten Kündigungsschutzverfahrens in die Abwägung einbezogen worden ist, noch dass die Dauer des Ausgangsverfahrens von damals bereits über drei Jahren Berücksichtigung gefunden hat. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussetzung im Ergebnis ermessensfehlerhaft. Die durch die Aussetzung verursachte Verzögerung fällt somit in den Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. zu einer Verfahrensverzögerung im Zusammenhang mit einer Aussetzung: BVerfGK 14, 270 <276 f.>; EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 77 f.; Urteil vom 13. Juli 2006 - Nr. 38033/02 -, juris, Rn. 44).

22

bb) Das Landesarbeitsgericht hat das Verfahren am 14. April 2000 erneut ausgesetzt und zur Begründung lediglich auf die Vorgreiflichkeit des ersten Kündigungsschutzverfahrens hingewiesen. Damit ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht das ihm dabei zustehende Ermessen ausgeübt und die Interessen der Beteiligten sachgerecht abgewogen hat. Angesichts des zu diesem Zeitpunkt bereits rund zwölf Jahre andauernden Ausgangsverfahrens und des bereits anhängigen zweiten Kündigungsschutzverfahrens ist diese Aussetzung jedoch im Ergebnis ermessensfehlerhaft.

23

cc) Nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Kündigungsschutzrechtsstreits hat das Landesarbeitsgericht am 17. November 2004 das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zweiten Kündigungsschutzklage ein drittes Mal ausgesetzt und die Entscheidung wiederum in Bezug auf die Ermessensausübung nicht begründet. Dies ist im Ergebnis angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits über 16jährigen Dauer des Ausgangsverfahrens ebenfalls ermessensfehlerhaft. Die nunmehr gesteigerte Eilbedürftigkeit hätte sich für das Landesarbeitsgericht auch aus dem Umstand ergeben müssen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischenzeitlich dem Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Oktober 2001 Schadensersatz wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzverfahrens zugesprochen hatte (EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2001 - Nr. 42505/98 -, EuGRZ 2002, S. 585 ff.).

24

dd) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Verhalten des Beschwerdeführers.

25

(1) Es kommt nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen durch das Landesarbeitsgericht nach der Stellungnahme des Staatsministeriums jeweils einverstanden gewesen ist. Auch in Verfahren, in denen grundsätzlich die Parteimaxime gilt, entbindet das Verhalten der Parteien die Gerichte nicht von der rechtsstaatlichen Pflicht, ein zügiges Verfahren sicherzustellen (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 EMRK: EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 78; EGMR, Urteil vom 4. April 2002 - Nr. 45181/99, juris, Rn. 36). Dies gilt gerade bei einer Verfahrensverzögerung durch Aussetzung (vgl. EGMR, Urteil vom 1. April 2010 - Nr. 12852/08 -, juris, Rn. 44), denn eine Entscheidung über eine Aussetzung liegt nach § 148 ZPO - anders als bei einem übereinstimmenden Antrag der Parteien auf Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO - im Ermessen des Gerichts, das hierüber auch ohne Antrag von Amts wegen zu befinden hat. Die Aussetzungen des vorliegenden Verfahrens gingen von dem Gericht aus und waren nicht in besonderer Weise deutlich gemachter Wunsch des Beschwerdeführers. Mit seiner Einverständniserklärung fügte er sich lediglich dem als sachdienlich empfohlenen Vorschlag des Gerichts, aus dem sich konkrete Perspektiven für die weitere Dauer des Verfahrens und Alternativen, soweit ersichtlich, nicht ergaben. Damit blieb die besondere Verantwortung für ein zügiges Verfahren und den Umgang mit begrenzten Verzögerungen durch Aussetzungen bei dem Gericht.

26

(2) Angesichts der gerichtlichen Verantwortung für ein zügiges fachgerichtliches Verfahren und aufgrund der Dauer des Ausgangsverfahrens von über 20 Jahren kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer durch mehrfachen Wechsel seines Prozessbevollmächtigten, mehrfache Änderung der Anträge und zwei unbegründete Befangenheitsanträge ebenfalls zu einer verlängerten Dauer des Verfahrens beigetragen hat, da die dadurch verursachten Zeitverluste im Verhältnis zu den Verzögerungen durch die Aussetzungen weit geringer ausfallen. Allein die von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zu verantwortende Verzögerung von mindestens zwölf Jahren aufgrund dreier ermessensfehlerhafter Aussetzungen hat als Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz erhebliches Gewicht.

27

3. Für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen keine Gründe vor, soweit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird. Der Verfassungsbeschwerde fehlt es insoweit an einer hinreichend substantiierten Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.

III.

28

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

29

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

1. Der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juli 2014 - L 2 SF 1681/14 EK - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.

2. Das Schreiben des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 2014 - L 2 SF 1681/14 EK - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes und wird aufgehoben.

3. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Klage beim Landessozialgericht auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens (§ 202 SGG i.V.m. § 198 Abs. 1 GVG).

I.

2

Der Beschwerdeführer erhob am 25. August 2010 Klage beim Sozialgericht auf Gewährung einer höheren und früher beginnenden Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Erhebung einer Verzögerungsrüge am 1. Oktober 2013 klagte er beim Landessozialgericht am 14. April 2014 auf Zuerkennung einer Entschädigung in Höhe von 4.300 Euro wegen unangemessener Verfahrensdauer. Das Landessozialgericht forderte daraufhin einen Vorschuss auf die Gerichtskosten in Höhe von 438 Euro an. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe lehnte es mit Beschluss vom 10. Juli 2014 mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Entschädigungsklage ab und forderte mit Schreiben vom 14. Juli 2014 den Gerichtskostenvorschuss nochmals an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde beantwortete es mit dem Hinweis, ein Rechtsmittel sei weder gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags noch gegen die Anforderung des Kostenvorschusses gegeben.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom 10. Juli 2014 und die Anforderung des Vorschusses mit Schreiben vom 14. Juli 2014 rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, aus Art. 19 Abs. 4 und aus Art. 97 GG. Unter Bezug auf eine Anmahnung des Gerichtskostenvorschusses durch die Landesoberkasse unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung beantragt er außerdem eine einstweilige Verfügung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Kostenforderung des Landessozialgerichts.

II.

4

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten des Beschwerdeführers, hier des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu den Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe im fachgerichtlichen Verfahren bereits entschieden (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.> m.w.N.). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

5

1. Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Entschädigungsklage verletzt das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot der Gleichstellung Bemittelter und Unbemittelter in den Chancen auf Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz.

6

a) Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Auslegung und Anwendung des Fachrechts obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144>). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozeßkostenhilfe, der unbemittelten Partei den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>).

7

b) Nach diesen Grundsätzen hat das Landessozialgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Entschädigungsklage überspannt, weil es bei der Prüfung der Voraussetzungen des streitigen Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG das Grundrecht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verkannt hat. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>).

8

aa) Anspruch auf Entschädigung hat nach dem - gemäß § 202 SGG auf das sozialgerichtliche Verfahren anzuwendenden - § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erlitten hat. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen gestritten wird, zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, juris). Eine besondere Bedeutung für den Betroffenen ist auch bei Rechtsstreitigkeiten anzunehmen, die zwar nicht die Sicherung des Existenzminimums betreffen, sondern Sozialleistungen - wie vorliegend etwa eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung -, auf die der Betroffene zur Sicherung seines laufenden Lebensunterhalts angewiesen ist.

9

Hiermit ist unvereinbar, dass das Landessozialgericht im Fall des Beschwerdeführers schwere oder nur begrenzt reparable Nachteile durch eine Verzögerung der Entscheidung über den früheren Beginn und die Höhe seiner Erwerbsminderungsrente verneint hat, weil im Fall eines Klageerfolgs eine Nachzahlung die Rente nachgezahlt werden. Dies ist nicht geeignet, den durch die Verzögerung des sozialgerichtlichen Verfahrens bedingten Mangel des Beschwerdeführers an laufenden Geldmitteln zum Lebensunterhalt auszugleichen. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Verfassungsbeschwerde vorgetragen, seine viel zu gering bemessene Rente reiche kaum aus, ihm und seiner Ehefrau das Lebensnotwendige bereitzustellen. Auch das Landessozialgericht, dem der Beschwerdeführer mitgeteilt hatte, er könne nicht einmal den Gerichtskostenvorschuss von 438 Euro zahlen, musste davon ausgehen, dass er - anders als bei Rentenansprüchen nur für die Vergangenheit (vgl. Beschluss der Beschwerdekammer des BVerfG vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12Vz 1/12 -, juris, Rn. 45) - auf die begehrte Erhöhung seiner Erwerbsminderungsrente zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen war. Das Landessozialgericht hat auch nichts Gegenteiliges hierzu festgestellt.

10

bb) Weiterhin verletzt der angefochtene Beschluss das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz, weil das Landessozialgericht die Ablehnung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht auch darauf gestützt hat, dass ihm eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens beim Sozialgericht anzulasten sei. Es ist davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die Klage erst im April 2013 begründet. Tatsächlich hat er bereits mit Erhebung der Klage beim Sozialgericht einen vollständigen Klageantrag gestellt und diesen kurz begründet.

11

Eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch ein Gericht begründet zwar nicht zugleich auch einen Grundrechtsverstoß, wenn das Versehen des Gerichts weder auf einer groben Verkennung des Grundrechtsschutzes beruht noch auf einen leichtfertigen Umgang mit dem Grundrechtsschutz schließen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juni 2013 - 1 BvR 1942/12 -, juris). Von einem unschädlichen Versehen des Landessozialgerichts ist aber vorliegend nicht auszugehen. Denn die Verzögerung des Verfahrens wäre sogar bei Begründung der Klage erst im April 2013 nicht dem Beschwerdeführer, sondern dem Sozialgericht anzulasten, weil es seiner Pflicht zur Nutzung sämtlicher ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, juris) nicht nachgekommen ist. Indem das Landessozialgericht die Untätigkeit des Sozialgerichts in der Sache bis April 2013 zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt hat, hat es verkannt, dass eine Untätigkeit des Gerichts über einen Zeitraum von 30 Monaten der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris). Außerdem hat es nicht berücksichtigt, dass es der späteren Klagebegründung durch den vom Gericht beigeordneten Rechtsbeistand gar nicht bedurfte, um die Pflicht des Sozialgerichts zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten des Verfahrens (§ 103 Satz 1 SGG) auszulösen. Feststellungen dazu, dass das Sozialgericht - etwa weil das Klageziel nicht erkennbar gewesen wäre oder der Beschwerdeführer seine behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden hätte - zum Betreiben des Verfahrens auf die Mitwirkung des Beschwerdeführers angewiesen wäre, sind dem Beschluss nicht zu entnehmen. Sie können auch nur dann zu Lasten des Beschwerdeführers gehen, wenn das Sozialgericht diesen fruchtlos zur (erforderlichen) Mitwirkung aufgefordert hätte. Auch dies hat das Landessozialgericht im angefochtenen Beschluss nicht festgestellt.

12

cc) Art. 19 Abs. 4 GG wird hingegen nicht - wie der Beschwerdeführer meint - dadurch verletzt, dass der Beschluss des Landessozialgerichts über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe nach § 177 SGG unanfechtbar ist. Weder dieses Grundrecht noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip garantieren einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 <410>).

13

2. Die Verfassungswidrigkeit des Beschlusses über den Antrag auf Prozesskostenhilfe führt zur Unvereinbarkeit der ebenfalls angegriffenen Anforderung des Kostenvorschusses mit Art. 19 Abs. 4 GG.

14

a) Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verbietet es dem Gesetzgeber, den Beteiligten den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Er darf aber für die Inanspruchnahme der Gerichte Gebühren erheben und die Höhe der Gerichtsgebühren überwiegend an den Streit- oder Geschäftswert anknüpfen (vgl. BVerfGE 85, 337 <346>). Auch die Anforderung eines Gerichtskostenvorschusses im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Hierdurch wird die Anrufung der Gerichte auch für einen Unbemittelten, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinem Recht verletzt fühlt, nicht unbillig erschwert, weil er bei Erhalt von Prozesskostenhilfe von der Vorschusspflicht befreit wird (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>). Nach § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO bewirkt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass die Bundes- oder Landeskasse die rückständigen oder entstehenden Gerichtskosten nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft, gegen die Partei geltend machen kann.

15

Diese Maßgaben schließen es aus, den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GKG mit der Einreichung der Klage fälligen Kostenvorschuss bei einem Verfahrensbeteiligten anzufordern, über dessen nicht offensichtlich aussichtslosen Antrag auf Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden worden ist. Denn von einem wirksamen Rechtsschutz kann keine Rede sein, wenn der wirtschaftlich im Sinne des Prozesskostenhilferechts bedürftige Rechtsschutzsuchende bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe dazu verpflichtet würde, - wenn auch nur vorläufig - Gerichtskosten zu entrichten. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Anforderung von Kostenvorschüssen für unbedenklich erachtet hat, ist es dabei davon ausgegangen, dass die Zahlungspflicht für Unbemittelte bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe entfällt (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. März 2000 - 1 BvR 69/00, 1 BvR 70/00, 1 BvR 71/00, 1 BvR 11 BvR 101/00, 1 BvR 11 BvR 102/00 -, juris, Rn. 20).

16

b) Danach ist die Kostenanforderung vom 14. Juli 2014 mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar. Mit der Aufhebung des den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses durch das Bundesverfassungsgericht ist der Antrag des Beschwerdeführers wieder offen. Die fortbestehende Anforderung eines Kostenvorschusses verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf effizienten Rechtsschutz.

17

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Juni 2011 - I-11 U 27/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) und wird aufgehoben. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2012 - III ZR 177/11 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer dessen notwendige Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 371.000,00 € (in Worten: dreihunderteinundsiebzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung von Amtshaftungsansprüchen wegen der überlangen Verfahrensdauer eines zivilgerichtlichen Verfahrens.

2

1. Gegenstand des dem Amtshaftungsprozess zugrundeliegenden Ursprungsverfahrens war ein Anspruch des Beschwerdeführers auf restlichen Werklohn für den Abtransport von Erd- und Gesteinsmassen im Rahmen einer Straßenbaumaßnahme. Wegen dieser Forderung erwirkte der Beschwerdeführer im Dezember 1983 einen Mahnbescheid. Das Landgericht gab der Klage im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren im April 1985 dem Grunde nach statt. Die Berufung der damaligen Beklagten wurde im Juni 1986 zurückgewiesen. Ein Jahr später wurde die Annahme der Revision abgelehnt. Im anschließenden Betragsverfahren gab das Landgericht der Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme im Mai 1996 durch Schlussurteil teilweise statt. Gegen das landgerichtliche Urteil legten beide Parteien Berufung ein, die sie im Oktober 1996 begründeten. Im Berufungsverfahren kam es unter anderem zu Verzögerungen durch eine weiträumige Terminierung des Oberlandesgerichts, zwei Berichterstatterwechsel, eine wiederholte Übertragung der Sache auf den Einzelrichter und eine verzögerte Terminierung nach einer ergänzenden Beweisaufnahme. Während des Berufungsverfahrens wurde am 1. Februar 2002 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der damaligen Beklagten eröffnet. Der Beschwerdeführer erhielt aus der Prozessbürgschaft den von ihr gesicherten Teilbetrag seiner Forderung und schloss mit dem Insolvenzverwalter einen Vergleich, wonach dieser eine darüber hinausgehende Forderung zur Insolvenztabelle festzustellen hatte. Wegen Masseunzulänglichkeit waren die hieraus resultierenden weiteren Ansprüche des Beschwerdeführers jedoch nicht durchsetzbar.

3

2. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ausgangsverfahren machte der Beschwerdeführer seinen Ausfallschaden aus dem Ursprungsverfahren gegenüber dem beklagten Land geltend. Er begehrte Amtshaftungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 844.443,53 Euro zuzüglich Zinsen und abzüglich des aufgrund der Prozessbürgschaft gezahlten Betrages von 347.678,47 Euro.

4

a) Das Landgericht wies diese Klage ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers verurteilte das Oberlandesgericht das beklagte Land zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 530.841,67 Euro nebst Zinsen abzüglich bereits erstatteter 347.678,47 Euro. Das Verfahren sei phasenweise durch die Richter am Landgericht und am Oberlandesgericht nicht mit der gebotenen Beschleunigung bearbeitet worden. Zwar sei das Verhalten im Grundverfahren nicht zu beanstanden, im Betragsverfahren sei es jedoch in beiden Instanzen zu pflichtwidrigen Verstößen gegen die gerichtliche Prozessförderungspflicht gekommen. Die hierauf zurückzuführende amtspflichtwidrige Verzögerung belaufe sich auf insgesamt 34 Monate. Infolgedessen sei dem Beschwerdeführer ein Schaden in Höhe der Differenz zwischen der voraussichtlichen Urteilssumme bei streitiger Entscheidung im Ausgangsverfahren und dem aufgrund der Prozessbürgschaft zugeflossenen Betrag entstanden. Ohne die Verzögerung hätte bis Mitte des Jahres 2000 ein vollstreckbares Berufungsurteil ergehen können. Aus diesem hätte der Beschwerdeführer noch erfolgreich vollstrecken können, weil der Beklagten zu diesem Zeitpunkt von ihrer Bank noch die erforderlichen Kreditmittel zur Verfügung gestellt worden wären.

5

b) Auf die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landes hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

6

aa) Die verzögerte Sachbearbeitung durch die Gerichte sei von der Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 Abs. 1 GG) erfasst, weil sich aus dem Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 EMRK) die drittbezogene Amtspflicht gegenüber den Parteien ergebe, anhängige Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten und bei Entscheidungsreife möglichst zeitnah abzuschließen. Ein Richter, der bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht verletze, sei jedoch nach dem sogenannten Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB nur dann für den hieraus entstehenden Schaden verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat bestehe. Soweit diese Privilegierung nach § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht im Falle einer pflichtwidrigen Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes gelte, betreffe dies nicht solche Maßnahmen des Gerichts, die rechtzeitig getroffen worden seien, jedoch im Ergebnis zu einer Verlängerung des Verfahrens geführt hätten. Aber auch soweit das richterliche Verhalten nicht von der Haftungsprivilegierung erfasst sei, könne bei der Beurteilung der Frage, ob eine haftungsbegründende Verzögerung vorliege, der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben.

7

Von der Privilegierung des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB seien nicht nur Mängel erfasst, die im Urteil selbst lägen oder die unmittelbar mit seinem Erlass in Zusammenhang stünden, sondern außerdem alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet seien, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Derartige Maßnahmen stünden in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil, dass sie von diesem haftungsmäßig nicht getrennt werden könnten.

8

Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB führe die Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit nicht dazu, dass das Gericht die Prozessführung unabhängig von Art. 97 Abs. 1 GG nach dem Zeitfaktor auszurichten habe und bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung immer die schneller zum Abschluss führende wählen müsse. Denn gerade das Rechtsstaatsprinzip verlange eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands. Die sachgerechte Führung des Prozesses sei insoweit - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen des verantwortlichen Richters gestellt und könne im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden. Bei der Würdigung, ob das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich gewesen sei, müsse beachtet werden, dass sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichte, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Der Zeitfaktor sei aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab.

9

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein richterliches Verhalten unvertretbar und insoweit amtspflichtwidrig gewesen sei, trage grundsätzlich der Kläger. Allein die lange Dauer des Vorprozesses begründe keine sekundäre Darlegungslast des beklagten Landes, weil es darauf ankomme, ob eine schadensursächliche Verfahrensverzögerung durch konkrete und grundsätzlich vom Kläger darzulegende pflichtwidrige Verhaltensweisen des im Vorprozess tätigen Richters oder durch ein Organisationsverschulden des Landes aufgetreten sei.

10

bb) Die grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Überprüfung der Verfahrensführung im Vorprozess erweise sich in der angefochtenen Entscheidung teilweise als rechtsfehlerhaft. Das Oberlandesgericht sei in manchen Punkten unzutreffend von einer ermessensfehlerhaften, verfahrensverzögernden Prozessleitung der im Ausgangsverfahren tätigen Gerichte ausgegangen und habe sich mit den möglichen Gründen für die eingetretene Verzögerung des Ausgangsverfahrens teilweise nicht hinreichend auseinandergesetzt.

11

Soweit das Berufungsgericht aufgrund der Erteilung von Hinweisen vor Erlass des Beweisbeschlusses im erstinstanzlichen Betragsverfahren von einer pflichtwidrigen Verzögerung von vier Monaten ausgegangen sei, habe es nicht berücksichtigt, dass diese Entscheidung eines Gerichts der Privilegierung des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB unterfalle. Nicht zu beanstanden sei hingegen die Annahme einer pflichtwidrigen Verzögerung von 14 Monaten im Zusammenhang mit der letztlich erfolglosen Beauftragung des Sachverständigen. Der nicht unter § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB fallende unangemessen nachsichtige Umgang des Landgerichts mit dem Sachverständigen sei nicht mehr vertretbar gewesen. Rechtsfehlerhaft sei demgegenüber die Auffassung des Berufungsgerichts, das Landgericht habe pflichtwidrig nicht sogleich nach Eingang des Gutachtens des zweiten Sachverständigen im April 1995 Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung anberaumt, wodurch eine Verzögerung von vier Monaten eingetreten sei. Die Entscheidung des Gerichts, den Parteien zunächst rechtliches Gehör zu geben, um dann auf der Grundlage der eingehenden Stellungnahmen über die weitere Verfahrensweise befinden zu können, unterfalle der Privilegierung des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB.

12

Die Annahme des Berufungsgerichts, im Zuge des zweitinstanzlichen Betragsverfahrens sei es im Zusammenhang mit verschiedenen Terminierungen des Oberlandesgerichts zu weiteren pflichtwidrigen Verzögerungen von mindestens zwölf Monaten gekommen, halte nur teilweise einer rechtlichen Überprüfung stand. Zu Recht habe das Oberlandesgericht das nicht unter § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB fallende Unterlassen einer ersten Terminsverfügung oder der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens beanstandet. Für den weiteren Verlauf des Verfahrens lasse jedoch die pauschale Bewertung des Berufungsgerichts bezüglich des Zeitpunkts der mündlichen Verhandlung nach Eintritt der Terminsreife und bezüglich des Terminierungszeitpunktes nach dem Eingang weiterer Schriftsätze und im Anschluss an die Beweisaufnahme nicht erkennen, dass im Rahmen der Vertretbarkeitsprüfung die wesentlichen Umstände Berücksichtigung gefunden hätten. Die vom Beschwerdeführer erhobene Gegenrüge, die zweimalige Zuweisung der Sache an den Berichterstatter als Einzelrichter sei als pflichtwidrige Verzögerung des Verfahrens zu bewerten, sei unbegründet, weil es sich hierbei um eine in das Ermessen des Vorsitzenden beziehungsweise des Gerichts fallende, nicht anfechtbare Entscheidung im Anwendungsbereich des Richterspruchprivilegs aus § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB handele.

13

c) Das Oberlandesgericht wies nach der Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof die Berufung des Beschwerdeführers gegen das landgerichtliche Urteil durch angegriffenes Urteil insgesamt zurück. Zur Begründung führte es aus, dass bei Anwendung der vom Bundesgerichtshof konkretisierten Maßstäbe der Vorwurf einer pflichtwidrigen Verfahrensverzögerung weiterhin jedenfalls in Teilen berechtigt sei. Diese gehe jedoch nicht über einen Zeitraum von 20 Monaten hinaus.

14

Entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofes zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor dem Erlass des Beweisbeschlusses liege keine pflichtwidrige Verfahrensverzögerung im Zeitraum bis März 1990 vor. Im weiteren Gang des Betragsverfahrens vor dem Landgericht sei jedoch aufgrund eines nicht mehr vertretbaren richterlichen Verhaltens eine Verzögerung von insgesamt 15 Monaten verursacht worden. Eine pflichtwidrige Verzögerung von 14 Monaten ergebe sich daraus, dass das Landgericht nicht ausreichenden Druck auf den Sachverständigen ausgeübt habe. Eine weitere Verzögerung von einem Monat sei durch das teilweise nicht mehr verständliche Verhalten des Landgerichts im Hinblick auf den Rückerhalt der Akten vom Sachverständigen nach der Entziehung des Gutachtenauftrages entstanden. Im weiteren Verlauf des Betragsverfahrens vor dem Landgericht seien hingegen keine Verzögerungen festzustellen, die auf ein unvertretbares und damit amtspflichtwidriges richterliches Verhalten zurückzuführen seien. Dies gelte entsprechend den bindenden Erwägungen des Bundesgerichtshofes insbesondere für das Unterlassen einer sofortigen Terminsanberaumung nach Eingang des Gutachtens des zweiten Sachverständigen.

15

Im Berufungsverfahren des Betragsverfahrens sei eine amtspflichtwidrige Verzögerung durch eine verspätete erste Terminierung von höchstens fünf Monaten entstanden. Im weiteren Verlauf seien keine Verzögerungen feststellbar, die auf einer amtspflichtwidrig zögerlichen richterlichen Bearbeitung beruhten. Das Anberaumen eines Termins zur Erörterung des Sachverständigengutachtens im Februar und dessen Verlegung im März 2000 auf einen Termin am 9. November 2000 seien bei genauerer Beleuchtung der näheren Umstände dieser Terminierung nachvollziehbar. Der ursprüngliche Termin am 14. August 2000 sei wegen einer nicht angezeigten Verhinderung des Beklagtenvertreters aufgehoben worden; im Übrigen seien die Sachverständigen ebenfalls verhindert gewesen. Dass der Bitte des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers um eine frühere Terminierung mangels freier Termine vor Mitte Juli nicht habe entsprochen werden können, stehe im Einklang mit den ursprünglichen Terminvorschlägen des Senats und lasse sich außerdem mit den Schulferien ab Ende Juni erklären. Wegen der vom Sachverständigen mitgeteilten Verhinderung bis zur 38. Kalenderwoche sei ein Termin frühestens am 18. September in Betracht gekommen, wobei wiederum auf Schulferien Anfang Oktober habe Rücksicht genommen werden müssen. Der außerdem angebotene Termin am 28. September sei von der mit der Terminvereinbarung betrauten Ausgleichsstelle gestrichen worden. Vor diesem Hintergrund erweise sich die Terminierung auf den 9. November noch als vertretbar. Es sei nicht auszuschließen, dass den Üblichkeiten entsprechend auch Nachmittagstermine über die Ausgleichsstelle abgefragt worden seien. Zudem fehle es an Vortrag dazu, ob die übrigen Beteiligten einen früheren Termin hätten wahrnehmen können.

16

Die Zeitspanne zwischen dem Eingang der Stellungnahme des Beschwerdeführers und einer Terminierung eines Einzelrichtertermins erscheine angesichts eines zweimaligen Berichterstatterwechsels aufgrund von Beförderungen der Berichterstatter in dieser Zeit als vertretbar. Die Zeit zwischen dem Einzelrichtertermin und der Anberaumung eines Senatstermins sei ebenfalls nicht Ausdruck einer unzureichenden Verfahrensförderung.

17

Die auf schuldhafter Pflichtverletzung beruhende Verzögerung von insgesamt 20 Monaten habe nicht den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Schaden verursacht, weil aus einem dann nicht vor Ende August 2001 vorliegenden Berufungsurteil ebenfalls nicht mehr erfolgversprechend habe vollstreckt werden können.

18

d) Die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht gerichtete Beschwerde wurde vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen.

19

3. Der Beschwerdeführer hat gegen die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und das zweite Urteil des Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

20

Die Ausgangsgerichte hätten in den angegriffenen Entscheidungen zwar das Recht des Beschwerdeführers auf eine Entscheidung in angemessener Frist grundsätzlich anerkannt. Aufgrund der Anforderungen, die der Bundesgerichtshof im Amtshaftungsprozess an die Darlegung der Unvertretbarkeit des richterlichen Verhaltens bei der Prozessführung stelle, werde dieses Recht allerdings in einer Weise entwertet, die verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar sei. Die Entscheidungen trügen nicht der verfassungsrechtlich gebotenen Folge Rechnung, dass die richterliche Unabhängigkeit mit zunehmender Dauer des Verfahrens immer weiter zurücktreten müsse und die Gerichte verpflichtet seien, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze führten dazu, dass allenfalls im Einzelfall außerhalb des Bereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ein richterliches Verhalten als nicht mehr vertretbar bewertet werden könne und eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast selbst dann nicht in Betracht komme, wenn eine sehr lange Verfahrensdauer vorliege, in deren Verlauf bereits unvertretbare Verzögerungen festgestellt worden seien.

21

Damit hätten die Ausgangsgerichte der richterlichen Unabhängigkeit ein Gewicht und eine Bedeutung beigemessen, die ihr nicht zukomme. Insbesondere entziehe die richterliche Unabhängigkeit nicht die wesentlichen Tätigkeitsbereiche des Richters der Überprüfung. Zudem bleibe die richterliche Unabhängigkeit unangetastet, wenn lediglich Ersatzansprüche in Rede stünden. Die Ausgangsgerichte hätten das Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Zeit demgegenüber nur formelhaft erwähnt und letztlich der richterlichen Unabhängigkeit generell Vorrang eingeräumt. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordere demgegenüber trotz der richterlichen Unabhängigkeit die Überprüfung auch der eigentlichen richterlichen Tätigkeit auf die Verursachung von Verfahrensverzögerungen. Schließlich sei eine Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf die Anstellungskörperschaft sowohl nach langer Verfahrensdauer als auch nach früherem Verzögerungsverhalten anzuerkennen.

22

Die Klageabweisung beruhe auf dieser Entwertung, da die für die Kausalität erforderliche weitere "relevante" Verzögerung von wenigen Monaten oder gar Wochen habe festgestellt werden können, wenn der Bundesgerichtshof bereits einen seiner Maßstäbe anders formuliert hätte.

23

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde sei zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung hätten, das Gewicht der gerügten Grundrechtsverletzung über den Einzelfall hinausreiche und der Beschwerdeführer aufgrund der extrem langen Verfahrensdauer sowie der finanziellen Folgen existenziell betroffen sei.

24

4. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Bundesministerium der Justiz, das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und das im Ausgangsverfahren beklagte Land Gelegenheit zur Äußerung. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

25

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr teilweise statt, weil dies zur Durchsetzung des - bei Auslegung des § 839 BGB und dabei insbesondere des Richterspruchprivilegs zu beachtenden - Anspruchs des Beschwerdeführers auf Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung innerhalb angemessener Zeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ebenfalls vorliegen.

26

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Maßstäbe der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>) und die sich daraus ergebende Verpflichtung, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>), bereits geklärt.

27

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung hat besonderes Gewicht und betrifft den Beschwerdeführer wegen der sich aus den angegriffenen Entscheidungen ergebenden erheblichen finanziellen Belastung in existentieller Weise (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

28

3. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Zwar begegnet die Auslegung des § 839 BGB durch den Bundesgerichtshof im Ergebnis keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken; die Anwendung dieser Maßstäbe durch das Oberlandesgericht verletzt hingegen den Beschwerdeführer zum Teil in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

29

a) Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf die Verletzung von Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; stRspr). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht ist erst erreicht, wenn die Auslegung der Fachgerichte Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.>; 99, 145 <160>; 129, 78 <102>; BVerfG, Urteil des Erstens Senats vom 11. Juli 2012 - 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08 -, NJW 2012, S. 3081 <3086>).

30

Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) lässt sich die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes im materiellen Sinn für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ableiten (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>). Hieraus ergibt sich unter anderem die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Es gibt keine allgemeingültigen Zeitvorgaben; verbindliche Richtlinien können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 <2812>; EGMR, Urteil der Dritten Sektion vom 11. Januar 2007 - 20027/02, Herbst/Deutschland -, NVwZ 2008, S. 289 <291>).

31

Gegenüber dem Anspruch auf Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung in angemessener Zeit sind allerdings weitere, teilweise widerstreitende rechtsstaatliche Anforderungen zu beachten (vgl. BVerfGE 88, 118 <124>; 93, 99 <107>). So ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes außerdem auf eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes gerichtet (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>). Die Gerichte dürfen die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung nicht so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist (vgl. BVerfGE 53, 115 <127 f.>) und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 101, 275 <294 f.>). Zur Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und zur materiell richtigen Entscheidung sind die Gerichte grundsätzlich gehalten, von den Parteien angebotene Beweise oder Darlegungen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 117, 202 <240>). Hieraus folgt, dass den Gerichten ein gewisser Spielraum bei der Verfahrensgestaltung und noch mehr bei der inhaltlichen Beurteilung des zu entscheidenden Falles verbleibt.

32

Die Verfahrensgestaltung obliegt in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht im Rahmen des ihm im Hinblick auf die Verfahrensführung durch die einschlägige Prozessordnung eingeräumten Ermessens. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen, wobei es freilich das Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht außer Acht lassen und die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nicht aus sachwidrigen Erwägungen unterlassen darf (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>), die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 <2812>), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere durch sie herbeigeführte Verfahrensverzögerungen sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, deren Anleitung im Ermessen des Gerichts steht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 -, NJW 1999, S. 2582 <2583>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2009 - 1 BvR 3171/08 -, VersR 2010, S. 1617 <1618>).

33

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die Auslegung der § 839 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG durch den Bundesgerichtshof nicht den bei Prüfung einer Amtspflichtverletzung zu beachtenden Anspruch des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz und die sich daraus ergebende Verpflichtung, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen.

34

aa) Es beruht nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Anspruches auf wirkungsvollen Rechtsschutz, dass der Bundesgerichtshof vom Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB auch solche Maßnahmen erfasst sieht, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen.

35

Das Richterspruchprivileg findet seinen Grund in den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, WM 2013, S. 815 <817>), die hier dafür sprechen, dass eine rechtskräftige Entscheidung durch einen Amtshaftungsprozess nicht erneut in Frage gestellt wird (vgl. dazu BGHZ 57, 33 <45>; Leipold, JZ 1967, S. 737 <739>; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 34 Rn. 262 (Januar 2009); ders. in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 323; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 34 Rn. 52). Diesem Ziel entspricht die Erstreckung des Haftungsprivilegs des § 839 Abs. 2 BGB auf solche richterlichen Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Ob das Haftungsprivileg darüber hinaus auch auf Art. 97 Abs. 1 GG gestützt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung.

36

Dem verfassungsrechtlich verankerten Beschleunigungsgebot wird Rechnung getragen, indem nach § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB eine gerichtliche Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung nicht dem Haftungsprivileg unterfällt und der Kreis der vom Haftungsprivileg umfassten vorbereitenden Maßnahmen restriktiv nur soweit zu ziehen ist, wie dies durch die im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens geboten ist (vgl. dazu Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 34 Rn. 52). Zudem ist bei der Prüfung der Verfahrensführung außerhalb des privilegierten Bereichs zu beachten, dass eine Verzögerung durch eine nach § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht überprüfbare Maßnahme in der Folge zur Pflicht führen kann, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen.

37

bb) Die Annahme des Bundesgerichtshofes, die sachgerechte Führung des Prozesses sei außerhalb des Anwendungsbereiches des Richterspruchprivilegs aus § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB in der Regel in das Ermessen des verantwortlichen Richters gestellt und könne im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden, wobei er den Zeitfaktor nicht als allein entscheidend ansieht, beruht ebenfalls nicht auf einer unzutreffenden Einschätzung der Verpflichtung, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen. Dieser Maßstab des Bundesgerichtshofes wird den Anforderungen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes sowie dem vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Spielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung und der inhaltlichen Beurteilung des zu entscheidenden Falles im Grundsatz noch gerecht. Bei seiner Anwendung kann der Anspruch auf Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung in angemessener Zeit ausreichend berücksichtigt werden. Dabei kann sich das Ermessen im Verlauf eines Verfahrens zu einer Pflicht verdichten, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen.

38

cc) Schließlich beruht es nicht auf einer grundsätzlichen Verkennung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, dass der Bundesgerichtshof die Darlegungs- und Beweislast für eine Amtspflichtverletzung, sei es durch individuelles richterliches Fehlverhalten, sei es in Form eines Organisationsversäumnisses, - abgesehen von Darlegungserleichterungen im Einzelfall - grundsätzlich beim Kläger belässt.

39

Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln (vgl. BVerfGE 52, 131 <145>; 117, 202 <240>). Darlegungs- und Beweislasten dürfen nicht in einer Weise zugeordnet werden, die es den belasteten Verfahrensbeteiligten faktisch unmöglich macht, sie zu erfüllen (vgl. BVerfGE 54, 148 <157 f.>; 59, 128 <160>). Diese Anforderungen verlangen aber nicht, die allgemeinen Regeln des materiellen und prozessualen Rechts so auszugestalten oder anzuwenden, dass der Anspruchsteller im Amtshaftungsprozess in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen Darlegungs- und Beweiserleichterungen für sich in Anspruch nehmen kann.

40

Dabei kommen dem Anspruchsteller die Vergünstigungen der in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht generell ausgeschlossenen sekundären Darlegungslast zugute (vgl. zu den Voraussetzungen etwa BGHZ 145, 170 <184 f.>). Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass in den angegriffenen Entscheidungen der bloße Vortrag einer langen Dauer des Ursprungsverfahrens nicht als ausreichend erachtet wurde, eine sekundäre Darlegungslast des an sich nicht darlegungs- und beweisbelasteten Staates anzunehmen. Denn dem Anspruchsteller ist es nicht faktisch unmöglich, anhand des ihm bekannten Verlaufs des eigenen Verfahrens konkrete Verhaltensweisen der im Vorprozess tätigen Richter oder bei deren Überlastung ein Organisationsversäumnis substantiiert zu behaupten. Allerdings erfordert die effektive Durchsetzung des Beschleunigungsgebots eine sekundäre Darlegungslast des Staates zumindest hinsichtlich interner Abläufe und der Einzelheiten eventueller Organisationsmängel.

41

c) Die Rechtsanwendung im Urteil des Oberlandesgerichts nach der Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof beruht demgegenüber teilweise auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes in seiner Ausprägung als Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen.

42

aa) Es ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar, dass das Oberlandesgericht die Verfahrensführung des Landgerichts im Betragsverfahren nach dem Eingang des Sachverständigengutachtens nicht als haftungsrelevante Verzögerung angesehen hat.

43

Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Gewährung rechtlichen Gehörs zum Sachverständigengutachten anstelle einer sofortigen Terminierung dem Richterspruchprivileg zuzuordnen. Es ist jedoch von Verfassungs wegen nicht mehr vertretbar, dies als Rechtfertigung einer viermonatigen Verfahrensverzögerung heranzuziehen. Bei der Überprüfung dieser Verfahrensführung hat das Oberlandesgericht den Anspruch auf eine Entscheidung in angemessener Zeit grundsätzlich verkannt, weil es die Verpflichtung der Gerichte, sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen, vollständig außer Acht gelassen hat. Angesichts einer damaligen Verfahrensdauer von etwa elfeinhalb Jahren, der Möglichkeit des Gerichts, während der einmonatigen Stellungnahmefrist der Parteien bereits selbst das Gutachten zu prüfen, und der sehr kurzen Stellungnahmen der Parteien ist eine weitere Bearbeitungszeit von drei Monaten zu lang. Entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts ließ ihm das Revisionsurteil die Möglichkeit, nach der Zurückverweisung das Beschleunigungsgebot zu beachten. Der Fehler des Oberlandesgerichts ist außerdem in seiner materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht. Zwar betrifft er bei einer Gesamtdauer des Ursprungsverfahrens von mehr als 20 Jahren nur einen sehr kleinen Zeitraum, dieser hat jedoch für die Entscheidung erhebliche Bedeutung, weil für die Frage der Ursächlichkeit der Amtspflichtverletzungen für den geltend gemachten Schaden jeder Monat der Verzögerung entscheidend sein kann.

44

bb) Es ist ebenfalls mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot nicht mehr vereinbar, dass das Oberlandesgericht die Terminverlegung nach der ergänzenden Beweisaufnahme im Berufungsverfahren des Betragsverfahrens auf einen siebeneinhalb Monate nach der Verfügung liegenden Terminstag nicht als Grund für die Annahme einer Amtspflichtverletzung angesehen hat. Hier lässt das Oberlandesgericht die aus der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes folgende und sich mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen, außer Acht, obwohl sich eine derartige Verpflichtung nach einer Verfahrensdauer von etwa 16 Jahren geradezu aufdrängte. Das Oberlandesgericht hat gebilligt, dass die Sache mit lediglich fünf Terminvorschlägen für einen Zeitraum von siebeneinhalb Monaten wie ein gewöhnlicher Rechtsstreit behandelt wurde, und keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob im Ursprungsverfahren hinreichende Beschleunigungsmaßnahmen ergriffen worden waren.

45

Die Frage der Amtspflichtverletzung konnte hier auch nicht mit der Begründung offen bleiben, dass die haftungsbegründende Kausalität vom Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgetragen worden sei, weil er nicht dargelegt habe, dass und an welchem konkreten Tag die übrigen Prozessbeteiligten einen früheren Termin hätten wahrnehmen können. Denn diese Hilfsbegründung ist ihrerseits nicht mehr verfassungsrechtlich vertretbar. Sie beruht auf einem grundsätzlichen Verkennen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in ihrer Ausprägung als Verbot, Darlegungs- und Beweislasten in einer Weise zuzuordnen, welche die Erlangung von Rechtsschutz faktisch unmöglich macht. Das Oberlandesgericht stellt Anforderungen an den Vortrag des Beschwerdeführers, die es ihm unmöglich machen, die von ihm verlangte Darlegungslast zu erfüllen. Ohne Kenntnis von den internen Abläufen des Gerichts war es dem Beschwerdeführer faktisch unmöglich, vorzutragen, welche Nachmittagstermine vom Gericht zur Verfügung hätten gestellt und von Parteivertretern und Sachverständigen hätten wahrgenommen werden können.

46

cc) Die Annahme des Oberlandesgerichts, die verzögerte Terminierung im weiteren Verlauf des Verfahrens nach dem zweimaligen Berichterstatterwechsel sei vertretbar, beruht ebenfalls auf einer grundsätzlichen Fehleinschätzung der Verpflichtung, sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Der Berichterstatterwechsel liegt ausschließlich in der organisatorischen Verantwortung des Staates, der für dessen Folgen haftet. Das Oberlandesgericht verkennt zudem die Bedeutung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, indem es das Unterlassen einer Terminierung durch den zweiten Berichterstatter mit der Begründung als vertretbar ansieht, dass der weitere Berichterstatterwechsel absehbar gewesen sei und ein Nachfolger möglicherweise die Erforderlichkeit prozessleitender Maßnahmen anders bewerten würde.

47

dd) Im Übrigen beruht die Überprüfung des Ursprungsverfahrens auf etwaige amtspflichtwidrige Verzögerungen nicht auf einer grundsätzlichen Verkennung der Verpflichtung zum Abschluss eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit. Bezüglich des Grundverfahrens ist für eine derartige Verletzung schon deshalb nichts ersichtlich, weil das Oberlandesgericht angesichts des damaligen Prozessstadiums bei einer Betrachtung ex ante noch nicht verpflichtet war, sich in besonderem Maße um eine Beschleunigung zu bemühen. Die Beurteilung der Verfahrensführung des Landgerichts im Betragsverfahren bis zum Eingang des Sachverständigengutachtens ist ebenfalls von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da nicht erkennbar ist, dass es - abgesehen von dem im Ausgangsverfahren beanstandeten nachsichtigen Umgang mit dem ersten Sachverständigen - das ihm eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Sachverständigenauswahl und der sonstigen Beweiserhebung fehlerhaft ausgeübt hat. Schließlich ist es nicht zu beanstanden, den Zeitraum zwischen einem Einzelrichtertermin vor dem Oberlandesgericht und der Anberaumung eines Senatstermins noch nicht als Ergebnis eines unvertretbaren Zuwartens anzusehen, weil eine sofortige Terminierung nicht als die einzige dem Beschleunigungsgebot gerecht werdende Maßnahme betrachtet werden konnte.

48

d) Die Abweisung der Amtshaftungsklage beruht auf den festgestellten Verstößen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Oberlandesgericht zu einem abweichenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es im Amtshaftungsprozess die aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang beachtet hätte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht dann weitere amtspflichtwidrige und damit haftungsrelevante Verzögerungen im Betragsverfahren von mehreren Monaten festgestellt hätte, und dass nach den noch zu treffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts im Amtshaftungsprozess bereits eine weitere haftungsrelevante Verzögerung von wenigen Monaten genügt hätte, um die Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung und geltend gemachtem Schaden zu bejahen.

III.

49

Das Urteil des Oberlandesgerichts vom 17. Juni 2011 ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Nichtzulassungsbeschwerde wird damit gegenstandslos.

50

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, diejenige über die Festsetzung des Gegenstandwerts auf § 14 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Durch die Erhebung der Klage wird die Streitsache rechtshängig. In Verfahren nach dem Siebzehnten Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens wird die Streitsache erst mit Zustellung der Klage rechtshängig.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.