Bundessozialgericht Beschluss, 02. Juli 2018 - B 10 ÜG 2/17 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:020718BB10UEG217R0
bei uns veröffentlicht am02.07.2018

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2017 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt weitere Entschädigung für die Dauer eines Gerichtsverfahrens vor dem SG Frankfurt am Main (S 9 P 74/05). In der Sache stritten die Beteiligten um die Pflegestufe der am 16.4.2008 verstorbenen früheren Klägerin I. F. (F.).

2

Im Juni 2004 erhob F., vertreten durch den Kläger des Entschädigungsverfahrens, Klage vor dem SG und beantragte unter dem dortigen Az S 19 P 2020/04, ihr unter Aufhebung des "ablehnenden Bescheides" Pflegegeld in Höhe von 2091 Euro monatlich für den Zeitraum vom 21.3.2003 bis 25.1.2004 zu zahlen. Im Oktober 2005 erweiterte sie ihre Klage auf den Widerspruchsbescheid vom 11.10.2005 und beantragte, ihr Pflegegeld für die Zeit vom 21.3.2003 bis 25.1.2004 in Höhe von 4182 Euro, für die anschließende Zeit bis 31.3.2005 in Höhe von 205 Euro monatlich und für die Zeit ab 1.4.2005 in Höhe von 410 Euro monatlich zu zahlen.

3

Mit Beschluss vom 5.11.2005 trennte das SG den Rechtsstreit "betreffend die Klage gegen den Rücknahmebescheid vom 4.8.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2005, mit denen der Bewilligungsbescheid vom 3.3.2004 über die Gewährung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I ab 26.1.2004 mit Wirkung vom 1.8.2005 aufgehoben worden ist", ab und führte das Verfahren insoweit unter dem Az S 9 P 74/05 weiter.

4

Nach dem Tod der F. im April 2008 wurde dieses Klageverfahren ua vom Kläger als Miterbe fortgeführt. Das SG verurteilte die beklagte Pflegekasse ua an den Kläger als Rechtsnachfolger der F. Pflegegeld vom 26.1.2004 bis 31.8.2007 nach Stufe I und für die anschließende Zeit bis 16.4.2008 nach Stufe III zu zahlen (Urteil vom 11.8.2011). Im anschließenden Berufungsverfahren erhob der Kläger am 12.8.2014 Verzögerungsrüge. Mit Urteil vom 21.8.2014 wies das LSG die Berufung des Klägers zurück. Die hiergegen beim BSG erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (Beschluss vom 25.2.2015).

5

Am 7.5.2015 hat der Kläger beim LSG als Entschädigungsgericht Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben. Das Entschädigungsgericht hat mit Urteil vom 20.9.2017 den Beklagten verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem SG Frankfurt am Main unter Az S 9 P 74/05 geführten Gerichtsverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1800 Euro zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Entschädigungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Das in diesem Entschädigungsverfahren maßgebliche Ausgangsverfahren vor dem SG sei überlang gewesen. Die Verfahrenslaufzeit in der Berufungsinstanz sei nicht zu berücksichtigen. Nach Erhebung der Verzögerungsrüge sei es dort zu keiner (weiteren) Verzögerung mehr gekommen. In Bezug auf die sechsmonatige Verzögerung zu Lebzeiten der F. genüge zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Nachteile eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG. Bis zum Tod der F. sei der Kläger des Entschädigungsverfahrens lediglich als Prozessbevollmächtigter aufgetreten und habe kein eigenes Interesse am Ausgangsverfahren gehabt. Ein solches habe er erst nach deren Tod als Verfahrensbeteiligter besessen. Daher führe erst die nach dem Tod der F. eingetretene Verzögerung zu einem geldwerten Entschädigungsanspruch des Klägers. Hiervon ausgehend seien 18 Monate in Höhe des in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgegebenen Richtwerts von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für die sechs Monate der Verzögerung zu den Lebzeiten der ursprünglichen Klägerin sei daneben eine eigenständige Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht erforderlich, weil diese bereits als notwendiges Minus in der Zuerkennung einer Entschädigung enthalten sei.

6

Mit seiner Revision wendet der Kläger sich ausschließlich gegen die vom Entschädigungsgericht abgelehnte Entschädigung für Verzögerungszeiträume vor dem Tod der F. Es sei im Hinblick auf Sinn und Zweck der Entschädigung nach § 198 GVG das falsche Zeichen und ein völliges Missverständnis des gesetzgeberischen Willens und des Willens des EGMR, auf dessen Veranlassung der deutsche Gesetzgeber § 198 GVG geschaffen habe, den deutschen Staat und die deutsche Justiz mit einem Entfall der Entschädigungspflicht zu belohnen, wenn die überlange Verfahrensdauer so lange gedauert habe, dass der Kläger während des Prozesses versterbe und aus diesem Grund die Früchte seines Prozesses nicht mehr selbst ernten könne. Dies würde den deutschen Gerichten einen Anreiz geben, Prozesse so lange nicht zu bearbeiten, bis der jeweilige Kläger versterbe. Entgegen der Auffassung des Entschädigungsgerichts reiche eine Wiedergutmachung "auf andere Weise" im Sinne des § 198 Abs 4 GVG nicht aus. Es sei schon nicht ersichtlich, worin diese bestehen solle. Eine Feststellung, dass auch die Verfahrensdauer zwischen Klageerhebung und Tod der F. unangemessen gewesen sei, enthalte das angefochtene Urteil nicht. Zudem gehe das Entschädigungsgericht im Zeitraum bis zum Tod der F. unzutreffend von einer Verzögerung von lediglich sechs Monaten aus. Das SG-Urteil hätte noch im Jahr 2004 vorliegen können. Mehr als drei Monate nach Klageerhebung wäre für die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Grad der Pflegebedürftigkeit und die Vernehmung der benannten Zeugen nicht notwendig gewesen.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger über den vom Hessischen Landessozialgericht zu seinen Gunsten bereits ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 2000 Euro zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit,
hilfsweise
den Beklagten zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft der verstorbenen I. F., bestehend aus
1. E. B., , N.
2. H. F., , N.
3. J. F., , A.
4. H. F., , D.
5. D. F., , R.
zu Händen des Klägers als Miterben über den vom Hessischen Landessozialgericht zu seinen Gunsten bereits ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 2000 Euro zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

II. Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Der Kläger hat sein Rechtsmittel nicht ausreichend begründet (§ 164 SGG).

11

1. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - SozR 4-2600 § 163 Nr 1 RdNr 11 ff - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Beschluss vom 17.1.2011 - B 13 R 32/10 R - BeckRS 2011, 68777 RdNr 10; BSG Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 16/06 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 ff; BSG Beschluss vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22).

12

Wendet sich die Revision - wie vorliegend - gegen die Verletzung materiellen Rechts, ist in der Begründung darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung nicht oder nicht richtig angewendet worden sei. Hierzu darf der Revisionsführer nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils rechtlich auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (stRspr, zB BSG Beschluss vom 26.9.2017 - B 1 KR 3/17 R - Juris RdNr 38; BSG Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 8; BSG Urteil vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/12 R - BSGE 115, 18 = SozR 4-1300 § 13 Nr 1, RdNr 22; BSG Beschluss vom 23.4.2013 - B 9 V 4/12 R - Juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 17.1.2011 - B 13 R 32/10 R - BeckRS 2011, 68777 RdNr 11; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 11; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 19.3.1992 - 7 RAr 26/91 - BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG Urteil vom 16.12.1981 - 11 RA 86/80 - SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f; BSG Beschluss vom 2.1.1979 - 11 RA 54/78 - SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17). "Auseinandersetzung" bedeutet Beschäftigung mit dem Streitstoff unter Darlegung der Gründe, die die Entscheidung der Vorinstanz als unrichtig erscheinen lassen (BSG Urteil vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/12 R - BSGE 115, 18 = SozR 4-1300 § 13 Nr 1, RdNr 23). Dabei darf sich der Revisionsführer aber nicht nur darauf beschränken, auf die Unvereinbarkeit der in der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen (vgl BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 5/16 R - Juris RdNr 11; BSG Urteil vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 1 KR 14/01 R - Juris RdNr 10). Vielmehr ist ein Eingehen auf den rechtlichen Gedankengang des Vordergerichts unumgänglich (vgl BSG Beschluss vom 14.12.2016 - B 4 AS 52/15 R - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 26.8.2015 - B 13 R 14/15 R - Juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10). Notwendig hierfür sind Rechtsausführungen, die geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 5/16 R - Juris RdNr 11; BSG Urteil vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VS 5/01 R - Juris RdNr 12; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 1 KR 14/01 R - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22).

13

Diese Formerfordernisse sollen im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der vor dem BSG zugelassene Prozessbevollmächtigte des Revisionsführers das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (stRspr, zB BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 4/15 R - Juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 17.1.2011 - B 13 R 32/10 R - BeckRS 2011, 68777 RdNr 11; BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6; BSG Urteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10), bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (vgl stRspr, zB BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 5/16 R - Juris RdNr 12; BSG Urteil vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16).

14

Die Revisionsbegründung des Klägers genügt den vorgenannten Darlegungsanforderungen nicht. Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung den von ihm mit der Revision noch geltend gemachten Entschädigungsanspruch auf die Zeit bis zum Tod der ursprünglich klagenden F. im April 2008 begrenzt. Hinsichtlich des von ihm behaupteten Verstoßes des Entschädigungsgerichts gegen § 198 GVG teilt der Kläger jedoch lediglich seine eigene Rechtsansicht mit, dass die Vorinstanz zu Unrecht bis zum Tod der F. nur von einer Verzögerung von sechs Monaten ausgegangen sei, eine Wiedergutmachung "auf andere Weise" gemäß § 198 Abs 4 GVG für die Verzögerungsmonate vor dem Tod der F. nicht ausreiche und die Rechtsauffassung des Entschädigungsgerichts dem Sinn und Zweck der Entschädigung nach § 198 GVG widerspreche, weil sie den deutschen Gerichten einen "Anreiz" gebe, einen Prozess so lange unbearbeitet liegen zu lassen, bis der jeweilige Kläger versterbe. Diese äußerst allgemein und sehr pauschal gehaltenen Bedenken gegen das vom Entschädigungsgericht gefundene materiell-rechtliche Ergebnis reichen nicht aus. Auf seine zu diesem Ergebnis geführten konkreten Gedankengänge, tragenden Argumente und tatsächlichen Feststellungen sowie die in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG geht der Kläger - worauf auch der Beklagte in seiner Revisionserwiderung vom 6.2.2018 hinweist - nicht ansatzweise ein, obwohl das Entschädigungsgericht sich die von ihm herangezogene Rechtsprechung bei seiner Urteilsfindung zu eigen gemacht hat. So setzt sich der Kläger schon nicht damit auseinander, dass das Ausgangsverfahren (S 9 P 74/05) nach der vom Entschädigungsgericht unter Bezugnahme auf § 198 Abs 6 Nr 1 SGG vertretenen Auffassung nicht bereits im Jahr 2004, sondern erst mit der Klageerweiterung im Oktober 2005 beim SG anhängig geworden war. Ungeachtet dessen geht der Kläger in seiner Revisionsbegründung auch nicht darauf ein, dass nach den Feststellungen des Entschädigungsgerichts das SG das Ausgangsverfahren nur zu ganz bestimmten Zeiten nicht betrieben hat. Weder werden die insoweit im Einzelnen aufgeführten Zeiträume gerichtlicher Inaktivität benannt oder konkret angegriffen, noch berücksichtigt der Kläger bei seiner Argumentation die vom Entschädigungsgericht entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG dem SG eingeräumte Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig 12 Monaten (zB Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 4 RdNr 36). Schon deshalb reicht die Behauptung des Klägers, das SG-Urteil hätte nach Vernehmung der benannten Zeugen und Einholung des Sachverständigengutachtens "noch im Jahr 2004" vorliegen können, ersichtlich nicht aus, um eine entschädigungsrelevante (weitere) Verzögerung des Ausgangsverfahrens zu begründen. Der Kläger verkennt überdies, dass nicht jede Überschreitung der durchschnittlichen oder gar der optimalen Verfahrensdauer bereits einen Entschädigungsanspruch auslöst. Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist - wie bereits in den Gesetzesmaterialien zum Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgeführt - "nicht von dem Maßstab eines 'idealen Richters' auszugehen, sondern es ist anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver Maßstab anzulegen" (so BT-Drucks 18/9092 S 19 und jüngst Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 16 RdNr 45 - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Auch geht der Kläger nicht darauf ein, dass das Entschädigungsgericht die dem SG als Ausgangsgericht nach der vorgenannten Rechtsprechung des BSG grundsätzlich zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten auf den Anfangszeitraum der von ihm festgestellten Inaktivitätszeiten des SG gelegt hat und setzt sich demzufolge nicht damit auseinander, ob und inwieweit diese Vorgehensweise mit der Rechtsprechung des BSG zur Positionierung der Inaktivitätszeiten innerhalb des Ausgangsverfahrens vereinbar ist (vgl hierzu Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 22).

15

Soweit der Kläger meint, dass auch für Verzögerungsmonate zu Lebzeiten der ursprünglichen Klägerin und den ihr bzw ihm dadurch zugefügten Nachteil nicht vermögenswerter Art nur die Zahlung einer Geldentschädigung nach § 198 Abs 2 GVG in Betracht komme und entgegen der Auffassung des Entschädigungsgerichts hier nicht lediglich eine "Wiedergutmachung auf andere Weise" gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG als Kompensation des Nichtvermögensschadens genüge, unterzieht er sich wiederum nicht der notwendigen Mühe der Auseinandersetzung mit den einschlägigen tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Insoweit hat das Entschädigungsgericht im Rahmen der schon nach dem Gesetzestext gebotenen Einzelfallabwägung maßgeblich auf die unterschiedliche Interessenlage des Klägers an dem Ausgangsverfahren vor und nach dem Tod von F. abgestellt. Erst nach deren Tod habe für den Kläger als Rechtsnachfolger (Miterbe) und das Ausgangsverfahren selbst fortführender Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs 6 Nr 2 GVG, § 69 Nr 1 SGG) am Fortgang des Ausgangsverfahrens ein unmittelbar eigenes Interesse bestanden. Mit dieser entscheidungserheblichen Begründung des Entschädigungsgerichts anknüpfend an den verschiedenartigen (objektiven) Bedeutungsgehalt des Ausgangsverfahrens für den Kläger als Entschädigungskläger vor und nach dem Tod der ursprünglichen Klägerin setzt er sich in keiner Weise auseinander. Anlass hierzu hätte aber bereits deshalb bestanden, weil das BSG anknüpfend an die Bedeutung des Ausgangsverfahrens für den jeweiligen Kläger bereits darauf hingewiesen hat, dass bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens die Kompensation eines Nichtvermögensschadens durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts nach § 198 Abs 4 S 1 GVG, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen, dann (ausnahmsweise) in Betracht kommen kann, wenn das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger in der gebotenen Einzelfallbetrachtung keine besondere Bedeutung hatte(vgl Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 41; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 6 RdNr 50; Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 45). Hierauf hat auch das Entschädigungsgericht tragend abgestellt. Aus welchem Grund das Ausgangsverfahren für den Kläger in seiner Eigenschaft als (späterer) Entschädigungskläger dennoch bei objektivierter Betrachtung vor dem Tod der F. als ursprünglicher Klägerin insoweit von besonderer Bedeutung gewesen sei, dass auch für die bis dahin bereits verzögerten Zeiten des Ausgangsverfahrens nur eine Kompensation in geldwerter Entschädigung nach § 198 Abs 2 GVG in Betracht komme, legt der Kläger in der Revisionsbegründung in Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung in keiner Weise dar. Allein sein schlichter Hinweis auf die Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs 1 S 1 GVG(vgl hierzu BFH Urteil vom 20.8.2014 - X K 9/13 - BFHE 247, 1 RdNr 41 f) genügt insoweit ersichtlich nicht.

16

Auch der Vortrag des Klägers, das Urteil des Entschädigungsgerichts enthalte keine Feststellung, dass die Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens zwischen Klageerhebung und Tod der F. unangemessen gewesen sei, lässt eine hinreichende Kenntnisnahme und Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils vermissen. Insoweit führt das Entschädigungsgericht in den Entscheidungsgründen nämlich aus, dass hier eine über die zu Gunsten des Klägers ausgesprochene Entschädigung hinausgehende Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht notwendig sei, weil diese Feststellung "bereits als notwendiges Minus" in der Zuerkennung der Entschädigung für verzögerte Zeiten nach dem Tod der ursprünglichen Klägerin und der Fortführung des Ausgangsverfahrens durch den Kläger als Verfahrensbeteiligten enthalten sei (vgl zum Anspruch auf gerichtliche Feststellung der Überlänge eines Gerichtsverfahrens nach § 198 Abs 4 GVG, der als eine Art "kleiner Entschädigungsanspruch" ein Minus im Verhältnis zum Anspruch auf Geldentschädigung ist: Senatsurteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 13 RdNr 17; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 57). Auch auf diese tragende Argumentation des Entschädigungsgerichts geht der Kläger nicht ein.

17

Insgesamt erschöpft sich die Revisionsbegründung des Klägers im Wesentlichen in einer Wiederholung seines Vortrags vor dem Entschädigungsgericht und in dem Aufstellen pauschaler Thesen ohne substanzielle Auseinandersetzung mit dessen tragenden Entscheidungsgründen. Dies reicht - wie ausgeführt - zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen nach § 164 Abs 2 S 3 SGG jedoch nicht aus.

18

Die nach alledem nicht hinreichend begründete Revision ist als unzulässig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).

19

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 S 6 SGG, § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

20

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 47 Abs 1 S 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 S 1, § 63 Abs 2 S 1 GKG.

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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2014 aufgehoben, soweit darin das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2012 geändert worden ist.

Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. werden auch insoweit zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Synchronsprecher wegen Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) versicherungspflichtig war, sowie darüber, ob er beitragsrechtlich als "unständig Beschäftigter" anzusehen ist.

2

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Krankenkasse und war ua zwischen dem 5.12.2006 und dem 16.11.2007 an 53 nicht zusammenhängenden Einzeltagen bei den Beigeladenen zu 4., 5. und 7. bis 9. sowie einem weiteren (inzwischen insolventen, durch den Beigeladenen zu 6. vertretenen) Synchronisationsunternehmen als Synchronsprecher tätig. Teilweise wurden auf seine Einkünfte aus diesen Tätigkeiten von den Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, teilweise wurden die Einkünfte von diesen als solche aus selbstständiger Tätigkeit abgerechnet. Den Antrag des Klägers, seine "Versicherungspflicht als unständig Beschäftigter festzustellen", lehnte die Beklagte als Einzugsstelle ab, weil er selbstständig tätig gewesen sei, und wies seinen Widerspruch - nach Anerkennung der Versicherungspflicht als Beschäftigter für wenige einzelne Tage - im Wesentlichen zurück (Bescheid vom 16.7.2008; Widerspruchsbescheid vom 22.6.2009).

3

Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger an den noch streitigen Tagen als Synchronsprecher wegen Ausübung unständiger Beschäftigung der Versicherungspflicht ua in der GRV unterlegen habe (Urteil vom 24.10.2012). Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. (Deutsche Rentenversicherung Bund) hat das LSG - nach vorheriger Abtrennung der die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung betreffenden Verfahrensteile - das vorinstanzliche Urteil teilweise - in Bezug auf dessen Feststellung "unständiger Beschäftigung" in der GRV - aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen; im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen: Für die Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht wegen Beschäftigung komme es jeweils auf die einzelnen Einsatztage an. Der Kläger sei in den Betrieb der Synchronisationsunternehmen eingegliedert gewesen, weil er in deren Räumen und mit deren Betriebs- und Produktionsmitteln gearbeitet habe, zeitlich in deren Arbeitsabläufe eingebunden und organisatorisch auf die Zusammenarbeit mit Regisseur, Cutter und Tonmeister angewiesen gewesen sei. Während der Einsätze habe er insoweit Weisungen und inhaltlicher Kontrolle unterlegen. Ein Unternehmerrisiko habe der Kläger im Hinblick auf die Vergütungsmodalitäten nicht getragen. Er sei in seinen Beschäftigungen nicht versicherungsfrei gewesen. Eine Beitragsberechnung nach der in der GRV bestehenden Regelung für "unständig Beschäftigte" könne der Kläger nicht verlangen, weil diese eine "berufsmäßige" Ausübung der Beschäftigung erfordere. Daran fehle es hier, da der zeitliche und wirtschaftliche Schwerpunkt seiner Erwerbstätigkeit im Bereich der Selbstständigkeit gelegen habe (Urteil vom 14.5.2014).

4

Hiergegen richten sich die Revisionen des Klägers und der Beklagten. Der Kläger rügt (sinngemäß) die Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG und von § 163 Abs 1 SGB VI. Als nicht "berufsmäßig" tätig kämen nur Personengruppen in Betracht, die nach ihrer Lebensstellung in der Regel keine versicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben pflegten. Die Einkünfte aus "unständiger Beschäftigung" seien hingegen wesentlicher Teil seiner Gesamteinkünfte. Die Beklagte rügt die Verletzung von § 1 S 1 Nr 1 SGB VI und § 7 Abs 1 SGB IV. Das LSG habe bereits keine Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter wegen der streitigen Tätigkeiten annehmen dürfen. Nach den Grundsätzen, die die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in ihrer Verlautbarung vom 30.9.2005 aufgestellt hätten, sei der Kläger als Synchronsprecher Selbstständiger gewesen.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2014 aufzuheben, soweit darin das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2012 geändert worden ist, und die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. gegen dieses Urteil insgesamt zurückzuweisen,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

6

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2014 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2012 insgesamt aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

7

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag.

8

Der Senat hat durch Beschluss vom 27.4.2016 beim 5. Senat des BSG angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine formgerechte Begründung einer Revision iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG, soweit es die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts betrifft, festhält. Der 5. Senat hat durch Beschluss vom 6.10.2016 (B 5 SF 3/16 AR) entschieden, dass er an der Rechtsauffassung festhält, wie sie in den von der Anfrage des 12. Senats des BSG in Bezug genommenen Entscheidungen zum Ausdruck gekommen ist.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Berufungsurteil ist insoweit aufzuheben, als das LSG dort die Anwendung des für "unständig Beschäftigte" geltenden § 163 Abs 1 SGB VI auf die Synchronsprechertätigkeiten des Klägers verneint hat.

10

Die Revision der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen.

11

1. Die Revisionen des Klägers und der Beklagten sind zulässig, denn ihre Begründungen genügen den gesetzlichen Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG in seiner Konkretisierung durch die ständige Rechtsprechung des BSG.

12

a) Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl dazu BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 11 ff mwN). Danach muss, wenn mit der Revision die Verletzung einer Rechtsnorm gerügt wird, in der Begründung dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift im materiellen Sinne von der Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl § 546 ZPO). Das Revisionsvorbringen muss eine Prüfung und Durcharbeitung des Prozessstoffs durch den Prozessbevollmächtigten erkennen lassen (vgl BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 5 RdNr 13; BSG Urteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 54/15 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 3 RdNr 11 mwN). Mit diesem Erfordernis soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessbevollmächtigter die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt.

13

b) Der notwendige Inhalt einer Revisionsbegründung ist im Einzelfall nach Maßgabe des mit dem Begründungserfordernis verfolgten Zwecks sowie unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben näher zu bestimmen. Denn aufgrund der Rechtsschutzgarantie in Art 19 Abs 4 S 1 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG vom 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 ua - BVerfGE 96, 27, 39; BVerfG vom 21.10.2015 - 2 BvR 912/15 - NJW 2016, 44). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährleistung des Rechtsschutzes abhängt (BVerfG vom 2.3.1993 - 1 BvR 249/92 - BVerfGE 88, 118, 126 f). Das gilt auch für Darlegungsanforderungen, die nicht derart streng gehandhabt werden dürfen, dass sie von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (BVerfG vom 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104, 137; BVerfG vom 21.10.2015, aaO; vgl auch BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 12).

14

c) Die Verletzung einer Norm iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG(inhaltsgleich § 139 Abs 3 S 4 VwGO, § 554 Abs 3 Nr 3 Buchst a ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung und § 120 Abs 2 Finanzgerichtsordnung aF) ist das Ergebnis der fehlerhaften Anwendung eines Rechtssatzes (vgl § 546 ZPO), also eines Subsumtionsschlusses, bei dem ein nach abstrakten Merkmalen bestimmter rechtlicher Obersatz mit einem individuellen Lebenssachverhalt in Übereinstimmung gebracht wird. Der Fehler kann sowohl in einer unzutreffenden Inhaltsbestimmung der abstrakten Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm (Interpretationsfehler) als auch in der fehlerhaften Annahme von Deckungsgleichheit zwischen einem zutreffend ausgelegten Obersatz und dem maßgebenden Sachverhalt (Subsumtionsfehler) liegen. Für die Beurteilung einer Rechtsverletzung in der Revisionsinstanz unbeachtlich ist lediglich ein Fehler des Berufungsgerichts bei der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen, sofern nicht im Einzelfall zulässig und begründet ein Verfahrensmangel gerügt wird (§ 163 SGG).

15

d) Auf dieser Grundlage erfordert die Darlegung, weshalb die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts von der Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, eine kurze Wiedergabe des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Die Rüge, dass ein im angefochtenen Urteil vorgenommener Subsumtionsschluss die Verletzung einer Rechtsnorm in dem genannten Sinne bewirkt haben soll, macht nicht nur Ausführungen zum rechtlichen Obersatz, sondern auch zu den tatsächlichen Umständen (= Sachverhalt), auf die dieser Obersatz angewendet wurde, erforderlich (vgl BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 5 RdNr 11 mwN). Rechtsausführungen in dem angefochtenen Urteil mögen für sich genommen zutreffend oder unzutreffend sein; eine mit der Revision angreifbare Rechtsverletzung bewirken solche Interpretationen einer Norm jedoch nur, wenn sie bei Anwendung auf den maßgebenden Sachverhalt auch entscheidungsrelevant sind (vgl BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 4 RdNr 16 mwN; BSG vom 27.4.2016 - B 12 KR 16/14 R - Juris RdNr 18; BSG vom 27.4.2016 - B 12 KR 17/14 R - Juris RdNr 14). Das Erfordernis der Wiedergabe des für die geltend gemachte Rechtsverletzung wesentlichen Sachverhalts ist dabei kein Selbstzweck. Es dient dazu, dass der Revisionsführer die Entscheidungserheblichkeit seiner Rechtsausführungen im Blick behält und von der Durchführung von Verfahren, in denen es auf einen Streit über die zutreffende Auslegung einer Norm letztlich überhaupt nicht ankommt, Abstand nimmt. Hierfür genügt es, wenn der Revisionsführer in der Revisionsbegründung den entscheidungsrelevanten Lebenssachverhalt in eigenen Worten kurz wiedergibt.

16

e) Der erkennende 12. Senat muss die vorliegende Sache nicht dem Großen Senat des BSG zur Klärung der Anforderungen an eine Revisionsbegründung vorlegen.

17

aa) Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 27.4.2016 (B 12 KR 16/14 R - Juris) beim 5. Senat des BSG angefragt, ob es für die formgerechte Begründung einer Revision erforderlich sei, "an welcher genauen Stelle" der Revisionsführer dem Berufungsurteil die von ihm genannten Tatumstände entnehmen möchte, ob es erforderlich sei, das BSG mit der Revisionsbegründung in die Lage zu versetzen, "ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind".

18

bb) Der 5. Senat des BSG hat mit Beschluss vom 6.10.2016 (B 5 SF 3/16 AR - Juris) an seiner Rechtsauffassung festgehalten, zur Begründung jedoch darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in den bisherigen Entscheidungen des 5. Senats zur formgerechten Revisionsbegründung vom erkennenden Senat nicht zutreffend bewertet worden seien.

19

cc) Nach Klarstellung des 5. Senats im Beschluss vom 6.10.2016 zu den Anforderungen an eine hinreichende Revisionsbegründung, die sich mit denen des erkennenden Senats decken und daher eine Vorlage an den Großen Senat des BSG nach § 41 SGG entbehrlich machen, geht auch der erkennende Senat von den nachfolgend genannten Anforderungen an die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus:

20

(1) Wird mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt, ist in der Revisionsbegründung auf den Gedankengang des Vordergerichts und damit zumindest kurz auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung einzugehen und der vom Vordergericht festgestellte entscheidungserhebliche Lebenssachverhalt darzulegen.

21

(2) Aufwand und Intensität des Eingehens auf die tatrichterlichen Feststellungen richten sich nach deren eigener Qualität und sind am geringsten, wenn in den Gründen der angegriffenen Entscheidung die ihr zugrunde liegenden Tatsachen ausdrücklich mitgeteilt werden.

22

(3) Weicht das Vordergericht von dieser Idealform tatrichterlicher Feststellungen ab und trifft es Feststellungen lediglich auf den Gesamttext seiner Entscheidung verteilt und/oder nur mittelbar in der Weise, dass allenfalls aus seiner Rechtsanwendung deutlich wird, von welchem Sachverhalt es ausgegangen ist, muss die Revisionsbegründung als Ergebnis eigener geistiger Arbeit - und nicht von "copy and paste" - darlegen, welchen Umständen sie dem angefochtenen Urteil den mitgeteilten Sachverhalt entnimmt.

23

(4) Eine formgerechte Revisionsbegründung erfordert weder stets eine geschlossene Darstellung des Streitstoffes und der angegriffenen Entscheidung als Ganzes noch bedarf sie zwingend der wörtlichen Wiedergabe der vom Vordergericht festgestellten, rechtlich relevanten Tatumstände.

24

(5) Angaben, an welcher genauen Stelle dem angegriffenen Urteil bestimmte Tatumstände zu entnehmen sind, bedarf es in Ausnahmefällen nur dann, wenn nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welchen Lebenssachverhalt sich das Tatsachengericht als für seine Entscheidung maßgebend vorgestellt hat und dieser erst ermittelt werden muss, weil die Urteilsgründe einer entsprechenden Interpretation bedürfen.

25

f) Den oben erläuterten Anforderungen werden die Revisionsbegründungen des Klägers und der Beklagten gerecht. Insbesondere haben sie den für eine revisionsgerichtliche Prüfung notwendigen Sachverhalt in der gebotenen Weise dargestellt.

26

2. Der Kläger unterlag in seinen für die beigeladenen Produktionsunternehmen ausgeübten Synchronsprechertätigkeiten wegen Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV, die hier allein (noch) zu beurteilen ist (dazu a). Er war in diesen Tätigkeiten nicht ausnahmsweise wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei (dazu b). Bei der Bemessung der Rentenversicherungsbeiträge sind die im Beitragsrecht der GRV für "unständig Beschäftigte" bestehenden Regelungen anzuwenden (dazu c).

27

a) Zutreffend hat das LSG - entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung - angenommen, dass der Kläger in den Synchronsprechertätigkeiten wegen Beschäftigung rentenversicherungspflichtig war, und die Entscheidung der beklagten Einzugsstelle insoweit als rechtsfehlerhaft angesehen.

28

aa) In den Jahren 2006 und 2007 unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Rentenversicherungspflicht (§ 1 S 1 Nr 1 SGB VI). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs 1 S 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert fortgeltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs 1 S 1 und 2 SGB IV). Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des Senats zum Vorliegen von Versicherungspflicht begründender Beschäftigung aufgestellten Grundsätzen ausgegangen (zB BSG Urteil vom 30.4.2013 - B 12 KR 19/11 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 13 mwN; auch schon BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 15 mwN; aus jüngerer Zeit: Senatsurteile vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 17 und vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 16) und hat diese in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise umgesetzt.

29

bb) Bei Gestaltungen der vorliegenden Art ist für die Prüfung der Versicherungspflicht nicht auf den gesamten Tätigkeitszeitraum, sondern - mit dem LSG - stets auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme des einzelnen Einsatzangebots, dh hier jeweils an dem Tag, an dem bei einem der beigeladenen Produktionsunternehmen synchronisiert wurde, bestehen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 19 mwN, vor allem unter Hinweis auf BSG Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - Juris RdNr 24). Nach den für den Senat bindenden - weil insoweit von den Beteiligten nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen - Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) fehlen Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Kläger und den Synchronisationsunternehmen eine Dauerrechtsbeziehung bestand, aufgrund derer den Kläger vor Annahme eines der hier streitigen Einsätze eine - ggf auch nur latente - Verpflichtung traf, Tätigkeiten für diese auszuüben, oder dass umgekehrt eine Verpflichtung der Unternehmen bestand, dem Kläger Arbeit anzubieten oder Entgelt zu gewähren (vgl BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 19).

30

Ausgehend von den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts ist dessen Würdigung, dass unter Gesamtabwägung aller Indizien und Umstände bei den hier maßgebenden einzelnen Einsätzen Beschäftigungen vorgelegen haben, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht war der Kläger in den Betrieb des jeweiligen Synchronisationsunternehmens eingegliedert und unterlag unter Vorgabe von Terminen und zeitlicher Abfolge für die Aufnahmen, von Räumlichkeiten sowie Dialog- und Synchronbüchern im Einzelnen den Weisungen der von den Produktionsunternehmen gestellten Regisseure, Cutter und Tonmeister. Gesichtspunkte der Kunstfreiheit gebieten dabei keine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für die Beurteilung des Klägers als Beschäftigter; weder die künstlerische Freiheit der Sprecher bei der Gestaltung der Synchronisation noch ein möglicher Schutz auf die Synchronisation von Filmen gerichteter Tätigkeit nach Art 5 Abs 1 S 2 sowie Abs 3 GG (Film- und Kunstfreiheit) stehen demnach entgegen.

31

An den jeweiligen Synchronisationstagen war der Kläger verpflichtet, einen "Take" so oft zu wiederholen, wie dies durch den Regisseur in Wahrnehmung eines diesbezüglichen Weisungsrechts des Synchronisationsunternehmens angeordnet wurde. Schon aus diesem Grunde unterlag er nicht etwa nur künstlerisch-fachlichen Weisungen bezüglich der künstlerischen Gestaltung der Synchronisation, die für sich genommen einer Einordnung als selbstständige Tätigkeit noch nicht entgegenstehen. Auch gab das Produktionsunternehmen nach den bindenden Feststellungen des LSG ua die Reihenfolge für die Abarbeitung der einzelnen "Takes" sowie Beginn, Ende und Pausen der Aufnahmen und der verschiedenen Synchronsprecher einseitig vor.

32

cc) Soweit die Beklagte mit ihrer Revision geltend macht, der Kläger habe ein relevantes unternehmerisches Risiko zu tragen gehabt, weil ihm beim Entfall des Synchroneinsatzes kein Entgelt zugestanden habe, verhilft ihr dieser Vortrag - mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen des LSG und ohne diesbezügliche Tatsachenrügen in der Revisionsinstanz (vgl § 163 SGG) - nicht zum Erfolg. So hat das Berufungsgericht jedenfalls festgestellt, dass als Teil des Gagensystems Mindesthonorare für Synchronsprecher vereinbart waren, deren Höhe von dem zunächst disponierten Zeitraum sowie dem Aufnahmeort abhing. Hieraus hat es zutreffend den Schluss gezogen, dass ein für Selbstständige typisches Risiko, die eigene Arbeitskraft mit der Ungewissheit einer Vergütung eingesetzt zu haben, (gerade) nicht bestanden hat.

33

Ein unternehmerisches Risiko des Klägers ist - mit dem LSG - auch nicht aus anderen Gründen anzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist der Umstand, dass eigenes Kapital oder eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist, nur dann ein Hinweis auf das Vorliegen selbstständiger Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (zuletzt ausführlich BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 36 mwN). Aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft ggf nicht verwerten zu können ("Auftragsrisiko"), folgt noch kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (vgl hierzu BSG Urteil vom 4.6.1998 - B 12 KR 5/97 R - SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 36 f).

34

dd) Die Tätigkeit des Klägers als Synchronsprecher erfolgte auch nicht aufgrund von Werkverträgen (zur Abgrenzung von Werkvertrag und Dienstvertrag vgl BGH Urteil vom 16.7.2002 - X ZR 27/01 - BGHZ 151, 330 zu II. 1. der Gründe; BAG Urteil vom 25.9.2013 - 10 AZR 282/12 - AP Nr 126 zu § 611 BGB Abhängigkeit - Juris RdNr 15 ff). Nach den vom BAG (aaO) zur Abgrenzung von Werk- und Arbeitsvertrag entwickelten Grundsätzen, denen sich der Senat für die Prüfung der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung anschließt, kommt es entscheidend darauf an, ob sich Weisungsrechte des Werkbestellers/Dienstherrn ausschließlich auf die Ausführung des vereinbarten Werks beziehen (Werkvertrag), oder ob auch Weisungsrechte bezüglich des Arbeitsvorgangs und der Zeiteinteilung bestehen; wird die Tätigkeit durch den "Besteller" geplant und organisiert und ist der "Werkunternehmer" in den arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten "Werks" faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsvertrag nahe (BAG, aaO, Juris RdNr 17 mwN). Dass hier (gerade) Letzteres der Fall war, steht nach den vom LSG insoweit festgestellten Tatsachen zu Inhalt und Umfang der während der Ausübung der Tätigkeiten des Klägers als Synchronsprecher erteilten Weisungen außer Frage.

35

Die von der Beklagten für ihren Rechtsstandpunkt herangezogene Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprechern vom 30.9.2005 ist schon vor dem Hintergrund der Senatsrechtsprechung zur (ausschließlichen) Bedeutung der Verhältnisse nach Annahme des einzelnen Einsatzangebots ohne Relevanz. Entgegen den in dem Rundschreiben enthaltenen Ausführungen kann für das Vorliegen von Beschäftigung insbesondere nicht verlangt werden, dass eine Rahmenvereinbarung besteht. Ebenso wenig sprechen nur kurzzeitige Einsätze zwingend für selbstständige Tätigkeit. Aus der bloßen Kurzzeitigkeit von Tätigkeiten kann - anders als der BFH dies für das Steuerrecht annimmt (BFH Urteil vom 1.3.1973 - IV R 231/69 - BFHE 109, 39; Urteil vom 3.8.1978 - VI R 212/75 - BFHE 126, 271; Urteil vom 12.10.1978 - IV R 1/77 - BFHE 133, 357) - schon deshalb nichts hergeleitet werden, weil das Sozialversicherungsrecht mit den Regelungen der Zeitgeringfügigkeit (vgl § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV) und für "unständig Beschäftigte" (anders als das Einkommensteuerrecht) Sondernormen für Personen mit sehr kurzfristigen Beschäftigungen enthält.

36

b) Der Kläger war als bei den beigeladenen Produktionsunternehmen beschäftigter Synchronsprecher an den einzelnen Einsatztagen nicht in der GRV wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei.

37

Nach § 5 Abs 2 S 1 Halbs 1 Nr 1 SGB VI in der seinerzeit geltenden Fassung(des Gesetzes vom 23.12.2002, BGBl I 4621) sind Personen, die eine geringfügige Beschäftigung (§ 8 Abs 1, § 8a SGB IV) ausüben, in dieser Beschäftigung in der GRV versicherungsfrei. Nach § 8 Abs 1 SGB IV in dessen in den Jahren 2006 und 2007 maßgebender Fassung(der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) ist eine Beschäftigung geringfügig, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt (Nr 1), die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 Euro im Monat übersteigt (Nr 2).

38

Einer Annahme von Geringfügigkeit im Sinne (zeit)geringfügiger Beschäftigungen nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV, die hier allein in Betracht kommen könnten, steht bereits entgegen, dass nicht erkennbar ist, dass die streitigen Synchronsprechertätigkeiten ihrer Eigenart nach auf die in § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV genannten Zeiträume begrenzt zu sein pflegten oder im Voraus vertraglich begrenzt waren.

39

c) Soweit es um die beitragsrechtliche Behandlung des Klägers als beschäftigter Synchronsprecher geht, also darum, ob von den beigeladenen Produktionsunternehmen als Arbeitgebern zu dessen Gunsten weitere Rentenversicherungsbeiträge zu erheben sind, gelangen die im Beitragsrecht der GRV für "unständig Beschäftigte" bestehenden Regelungen des § 163 Abs 1 SGB VI zur Anwendung. Bei der Bestimmung des Umfangs beitragspflichtiger Einnahmen "unständig Beschäftigter" in der GRV ist eine "Berufsmäßigkeit" der Beschäftigung als hinzutretendes, einschränkendes Tatbestandsmerkmal nicht zu fordern.

40

aa) Nach § 163 Abs 1 S 1 SGB VI(idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) ist für unständig Beschäftigte als beitragspflichtige Einnahmen ohne Rücksicht auf die Beschäftigungsdauer das innerhalb eines Kalendermonats erzielte Arbeitsentgelt bis zur Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Unständig ist nach § 163 Abs 1 S 2 SGB VI die Beschäftigung, die auf weniger als eine Woche entweder nach der Natur der Sache befristet zu sein pflegt oder im Voraus durch den Arbeitsvertrag befristet ist.

41

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die streitigen Tätigkeiten des Klägers als Synchronsprecher sind ausgehend von den Feststellungen des LSG als wiederholte, iS des § 163 Abs 1 S 2 SGB VI kurzzeitige Beschäftigungen und nicht - zB wegen in der Zwischenzeit auch bestehender Dienstbereitschaft - als (dauernde) durchgehende Beschäftigung zu bewerten(vgl zu einer abweichenden Konstellation BSG Urteil vom 20.3.2013 - B 12 R 13/10 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 19 - als "Gäste" beschäftigte Bühnenkünstler). Ob sich die Befristung aus der Natur der Sache (Synchronisierung einer bestimmten Rolle) oder aus einer vertraglichen Abrede ergab, muss insoweit nicht entschieden werden. Auch das wiederholte Tätigwerden für stets bestimmte Synchronisationsunternehmen steht dieser Beurteilung nicht entgegen; denn eine bloße Aneinanderreihung unständiger Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber begründet noch kein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis (vgl BSG Urteil vom 13.2.1962 - 3 RK 2/58 - BSGE 16, 158, 163 = SozR Nr 1 zu § 441 RVO S Aa 2 f mwN; BSG Urteil vom 16.2.1983 - 12 RK 23/81 - SozR 2200 § 441 Nr 2). Wie bereits erörtert, erfordert Letzteres eine - hier nicht vorliegende - ununterbrochen anhaltende Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Betroffenen (vgl BSG Urteil vom 4.6.1998 - B 12 KR 5/97 R - SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 39 f; BSG Urteil vom 31.1.1973 - 12/3 RK 16/70 - USK 7311 S 50; BSG Urteil vom 22.11.1973 - 12 RK 17/72 - BSGE 36, 262, 264 f = SozR Nr 8 zu § 441 RVO S Aa 11 RS).

42

bb) Die Bestimmung des Umfangs beitragspflichtiger Einnahmen "unständig Beschäftigter" nach § 163 Abs 1 SGB VI setzt nicht zusätzlich voraus, dass diese ihre Beschäftigung "berufsmäßig" ausüben. Insoweit sind alle Voraussetzungen für die beitragsrechtliche Behandlung des Klägers in der GRV als "unständig Beschäftigter" gegeben. Dieses Ergebnis folgt aus einer Auslegung des § 163 Abs 1 SGB VI nach seinem Wortlaut und dem Gesetzeszusammenhang, in den die Norm gestellt ist(dazu (1)). Eine Auslegung nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die sich an dessen historischen Normvorstellungen (als Erkenntnisquelle) orientieren muss, liefert demgegenüber keinen klaren Befund bzw lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu (dazu (2)).

43

(1) Weil § 163 Abs 1 S 2 SGB VI das Merkmal der "Berufsmäßigkeit" als hinzutretende Tatbestandsvoraussetzung mit den Personenkreis "unständig Beschäftigter" eingrenzender Wirkung nicht enthält, spricht schon der Gesetzeswortlaut dafür, dieses Merkmal hier - im Beitragsrecht der GRV - (gerade) nicht als für die Abgrenzung der genannten Personengruppe konstitutiv zu betrachten.

44

Ausschlaggebend ist darüber hinaus eine systematische Betrachtung der Gesetzesbestimmungen, die in den einzelnen Versicherungszweigen eine Anknüpfung an den Tatbestand "unständige Beschäftigung" enthalten (außerhalb des SGB VI: § 27 Abs 3 Nr 1 SGB III, § 232 Abs 3, § 186 Abs 2 S 1, § 190 Abs 4 SGB V). Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber das Merkmal der "Berufsmäßigkeit" - vom jeweiligen rechtlichen Kontext abhängig (Versicherungspflicht-, Beitrags-, Mitgliedschaftsrecht) - als die Personengruppe "unständig Beschäftigter" eingrenzende Tatbestandsvoraussetzung systematisch mal hinzugenommen (so in § 27 Abs 3 Nr 1 SGB III: "… in einer unständigen Beschäftigung, die sie berufsmäßig ausüben …") und mal von einer Hinzunahme abgesehen hat (so in § 163 Abs 1 S 2 SGB VI).

45

(2) Ist eine Auslegung des § 163 Abs 1 SGB VI aus den obigen Gründen in dem genannten Sinne geboten, so lassen sich über eine Interpretation, die die Regelungsabsicht des Gesetzgebers berücksichtigt, keine dem gefundenen (Auslegungs)Ergebnis widersprechenden Anhaltspunkte gewinnen. Solche abweichenden Normvorstellungen lassen sich zwingend weder der Gesetzeshistorie noch der älteren Rechtsprechung des BSG entnehmen.

46

So wird in der Begründung des Entwurfs eines Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) zu § 158 Abs 1 - dem späteren § 163 Abs 1 SGB VI - zwar ausgeführt, Absatz 1 entspreche dem geltenden Recht(vgl den Entwurf eines RRG 1992 der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 7.3.1989, BT-Drucks 11/4124 S 184). § 1400 Abs 2 RVO(iVm §§ 232, 233 SGB V), auf den in einem Klammerzusatz verwiesen wird, gibt jedoch weder nach seinem Wortlaut noch sonst - etwa unter Berücksichtigung dort vorgenommener Verweisungen (auf den für die Beitragsberechnung in der gesetzlichen Krankenversicherung maßgebenden Grundlohn, auf den Betrag nach § 1385 Abs 3a RVO) - Aufschluss darüber, welche Merkmale sich der Gesetzgeber des SGB VI im vorliegenden Zusammenhang des Beitragsrechts der GRV für den Anknüpfungstatbestand "unständige Beschäftigung" vorgestellt hat.

47

Andere - von den Verfassern des Entwurfs eines RRG 1992 - nicht in Bezug genommene Vorschriften der RVO (§ 442 iVm § 441 RVO, später wortgleich in den bis zum 31.12.1995 geltenden § 179 Abs 1 SGB V übernommen) oder des Angestelltenversicherungsgesetzes ( § 118 Abs 2, § 127 Abs 1 und 4 AVG, jeweils in der bis 31.12.1988 geltenden Fassung) legen die "Berufsmäßigkeit" - insoweit wie im geltenden Recht - je nach dem besonderen Kontext dieser Bestimmungen bereichsspezifisch als eine hinzutretende konstitutive Tatbestandsvoraussetzung fest (so in § 442 RVO - einer Zuständigkeits- bzw Mitgliedschaftsvorschrift aus der gesetzlichen Krankenversicherung; zu den hierfür aufgebotenen sozialpolitischen Motiven vgl schon die Begründung zum Reformbedarf der Krankenversicherung unständig Beschäftigter in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung der Mittel der Träger der Krankenversicherung vom 22.8.1979, BT-Drucks 8/3126 S 10 f) oder sehen von einem solchen Hinzutreten ab.

48

Für eine Auslegung nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers einschlägige Erkenntnisse ergeben sich auch nicht aus älterer Rechtsprechung des Senats zu den früheren Vorschriften der §§ 441, 442 RVO:

49

Soweit der Senat in seinem Urteil vom 4.6.1998 (B 12 KR 5/97 R - SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 40) ausgeführt hat, eine Beschäftigung sei nach den §§ 441, 442 RVO "unständig", wenn sie auf weniger als eine Woche entweder nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflege oder im Voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt sei und der Arbeitnehmer solchen "unständigen Beschäftigungen" berufsmäßig nachgehe, kann hieraus für die Auslegung des § 163 Abs 1 SGB VI nichts hergeleitet werden. Die §§ 441 und 442 RVO sind weder Vorgängervorschriften des § 163 Abs 1 SGB VI(missverständlich insoweit der dortige Klammerzusatz mit seiner Verweisung auf § 163 Abs 1 S 2 SGB VI) noch wurde die Formulierung des § 442 RVO - "Personen, die berufsmäßig unständigen Beschäftigungen nachgehen, in denen sie versicherungspflichtig sind (unständig Beschäftigte), gehören der für ihren Wohnort zuständigen Ortskrankenkasse an - in § 163 Abs 1 SGB VI aufgegriffen.

50

Aus der Entscheidung des Senats vom 22.11.1973 (12 RK 17/72 - BSGE 36, 262, 265 = SozR Nr 8 zu § 441 RVO S Aa 12) kann ebenfalls nicht entnommen werden, dass "unständig" iS des § 163 Abs 1 SGB VI nur eine Beschäftigung sei, die auch "berufsmäßig" ausgeübt werde. In der genannten Entscheidung ging es nicht um Fragen der Beitragsbemessung, sondern um die Frage des Vorliegens von Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs 1 AVG in einer Nebenbeschäftigung und damit um einen anderen gesetzlichen Kontext.

51

3. Einer Prüfung der (sinngemäß) auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützten Verfahrensrüge des Klägers bedarf es nicht mehr.

52

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2012 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. April 2010 geändert.

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2009 insoweit rechtswidrig gewesen ist, als sich die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B auch auf die Zeit bis zur Erteilung des Bescheides vom 25. Mai 2009 bezieht.

Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Streitwert wird auf 309,40 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Befugnis des Klägers, als Verfahrensbevollmächtigter in einem Verwaltungsverfahren zur erstmaligen Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie der Voraussetzungen von Merkzeichen aufzutreten.

2

Der Kläger ist selbstständiger Steuerberater. Mit Schreiben vom 22.12.2008 stellte er für seinen Mandanten, Herrn B, vertreten durch dessen Mutter, Frau B, als gerichtlich bestellte Betreuerin, beim beklagten Land (Eingang am 23.12.2008) einen Erstantrag nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Auf das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 3.2.2009 betreffend die beabsichtigte Zurückweisung als Bevollmächtigter oder Beistand gemäß § 13 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) machte der Kläger mit Schreiben vom 23.3.2009 ua geltend, dass es sich bei dem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Hinblick auf Steuer- und Kindergeldangelegenheiten um eine für Steuerberater zulässige Nebenleistung iS des § 5 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) handele.

3

Mit Bescheid vom 15.5.2009 wies der Beklagte den Kläger gemäß § 13 Abs 5 SGB X als Bevollmächtigten in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B zurück, da es sich um eine Rechtsdienstleistung handele, die der Kläger nicht verrichten dürfe, zumal sie nicht als eine zum Berufs- oder Tätigkeitsfeld eines Steuerberaters gehörende, erlaubte Nebenleistung anzusehen sei. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.8.2009).

4

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte mit Bescheid vom 25.5.2009 über den Feststellungsantrag des Herrn B entschieden und mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2009 den dagegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen.

5

Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zurückweisung als Verfahrensbevollmächtigter gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 7.4.2010 aus folgenden Erwägungen abgewiesen: Die nach Erledigung des für den Mandanten eingeleiteten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens eingereichte Klage des Klägers sei zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte habe den Kläger zu Recht als Bevollmächtigten in einem Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX zurückgewiesen, weil dieser nicht über die erforderliche Erlaubnis iS von § 3 RDG verfüge. Eine erlaubnisfreie Nebentätigkeit iS von § 5 Abs 1 RDG liege nicht vor, da das Feststellungsverfahren nach dem SGB IX sozialrechtlich und nicht steuerrechtlich geprägt sei und dementsprechend eine diesbezügliche besondere Sachkunde voraussetze. Gegen eine Befugnis zur Vertretung in Schwerbehindertenangelegenheiten spreche auch § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG, wonach Steuerberater lediglich in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) vor den Sozialgerichten vertretungsbefugt seien. Aus dieser Differenzierung lasse sich herleiten, dass eine Vertretung durch Steuerberater in anderen sozialrechtlichen Verfahren nicht erlaubt sei.

6

Die anschließende Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) mit Urteil vom 25.9.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die nach Erledigung des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrens zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage sei unbegründet. Die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B sei gemäß § 13 Abs 5 SGB X zu Recht erfolgt, weil der Kläger entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen iS des § 2 Abs 1 RDG erbracht habe. Eine GdB-Feststellung sei ohne rechtliche Prüfung des Einzelfalles nicht möglich. Sie beruhe nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens, sondern sei unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln. Eine erlaubnisfreie Tätigkeit nach § 2 Abs 3 RDG (Erstattung wissenschaftlicher Gutachten, Tätigkeit in Einigungs- und Schiedsstellen, Mediation etc) liege offensichtlich nicht vor.

7

Auch handele es sich nicht um eine Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG, weil im Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX Rechtskenntnisse erforderlich seien, die nicht den für die vorliegend in Betracht kommende steuerberatende Haupttätigkeit bzw für die Tätigkeit in Kindergeldangelegenheiten erforderlichen Rechtskenntnissen entsprächen. Vielmehr erschöpfe sich die steuerliche Beratung in Hinweisen auf die einkommensteuerlichen Auswirkungen eines höheren GdB und auf den Weg zu dessen Feststellung. Von diesem Zeitpunkt an lägen in einem Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX alle weiteren Schritte außerhalb des Steuerrechts; insoweit komme es auf steuerrechtlichen Sachverstand gerade nicht an (Bundessozialgericht Urteil vom 16.5.1995 - 9 RV 14/94 - SozR 3-1300 § 13 Nr 2). Dabei sei eine besondere Fachkunde des Klägers in Angelegenheiten nach dem SGB IX unbeachtlich, weil iS des § 5 Abs 1 S 2 RDG ausschließlich auf die Qualifikation des Bevollmächtigten abzustellen sei, die objektiv für die (nicht rechtsdienstleistende) Haupttätigkeit allgemein erforderlich sei. Nicht entscheidend sei, über welche juristischen Kenntnisse der Dienstleistende tatsächlich verfüge.

8

Da die Vertretung in einem Antragsverfahren nach dem SGB IX im Verhältnis zur Vertretung in Steuer- bzw Kindergeldangelegenheiten nicht von nur untergeordneter Bedeutung sei, stelle sie keine Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG dar. Die rechtlichen Vorteile der Feststellung des GdB sowie von Nachteilsausgleichen erschöpften sich nicht in Steuervorteilen, sondern hätten Tatbestandswirkung für eine Vielzahl von Ansprüchen und rechtlichen Vorteilen wie zB im Kündigungsschutz, für Zusatzurlaub, bei der Erleichterung des Zugangs zu Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, bei Leistungen für Mehrbedarfe im Sozialhilferecht, bei besonderen Parkberechtigungen im Straßenverkehr, bei der Kostenbefreiung bzw Ermäßigung im öffentlichen Personenverkehr oder beim Blindengeldbezug. Dies belege, dass das Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX eine eigenständige Bedeutung habe, der im Einzelfall mehr Gewicht zukommen könne als Steuer- bzw Kindergeldangelegenheiten.

9

Dieses Ergebnis stimme auch überein mit der gesetzgeberischer Intention des § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG, wonach ua Steuerberater ausschließlich in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p SGB IV vor dem SG und LSG vertretungsberechtigt seien. Damit habe der Gesetzgeber für das gerichtliche Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass eine Vertretung durch Steuerberater nur in engen Grenzen, nicht jedoch im Sozialrecht insgesamt zulässig sei. Andernfalls wäre es sinnwidrig, wenn Steuerberater im Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX vertretungsberechtigt sein sollten, während dieser Personenkreis im Gerichtsverfahren ausgeschlossen werde. Da es sich bei den Regelungen in § 5 RDG um Bestimmungen zum Schutz der Rechtsuchenden handele, lägen hinreichende Gründe des Allgemeinwohls dafür vor, die Berufsfreiheit nach Art 12 GG durch Regelungen zur Berufsausübung einzuschränken.

10

Zur Begründung seiner vom LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger ua vor: Entgegen der Auffassung des LSG sei die Klage begründet, weil er als Steuerberater berechtigt sei, Mandanten im Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht zu vertreten. Er dürfe also nicht iS des § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen werden. Das RDG normiere für diese Tätigkeit keinen Erlaubnisvorbehalt, diese sei entweder bereits nach § 2 Abs 1 RDG oder zumindest als Nebenleistung nach § 5 Abs 1 RDG erlaubnisfrei.

11

Zunächst ergebe sich ein Ausschluss der Vertretungsbefugnis eines Steuerberaters im Verwaltungsverfahren zur Feststellung des GdB nach dem SGB IX nicht aus § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG. Denn zum einen handele es sich hier nicht um die Vertretung im gerichtlichen Verfahren, sondern um eine solche im Verwaltungsverfahren. Zum anderen komme es auf den Nachweis theoretischer und praktischer Sachkunde im Schwerbehindertenrecht nicht an, weil Steuerberater auch im Rahmen der §§ 2, 3 und 5 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen könnten. Insoweit verkenne die Argumentation des SG und LSG die Bedeutung der Registrierungsregelungen für die Bereiche Inkasso, Rentenberatung etc. Eine Auslegung der fraglichen Vorschriften habe sich am Maßstab des Art 12 GG auf Seiten der Steuerberater und des Art 2 Abs 1 GG auf Seiten der Rechtsuchenden zu orientieren.

12

Seine in Rede stehende Tätigkeit als Steuerberater zu Gunsten von Schwerbehinderten unterfalle schon deshalb nicht dem Erlaubnisvorbehalt des § 2 Abs 1 RDG, weil im Regelfall und vor allem auch im vorliegenden Fall keine Rechtsdienstleistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht worden sei. Eine darin vorausgesetzte konkrete Prüfung sei vorliegend nicht erfolgt. SG und LSG verletzten Bundesrecht, wenn sie auch im Falle einer schlichten Antragstellung einen Erlaubnisvorbehalt annähmen, ohne zu prüfen, ob entsprechend dem Gesetz eine Rechtsprüfung erforderlich sei. Sie übersähen, dass die Erforderlichkeit einer Rechtsprüfung auch vom Willen des Auftraggebers abhänge.

13

Eine Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs 1 RDG setze voraus, dass eine "besondere" juristische Prüfung erforderlich sei. Die juristische Prüfung einfacher Sachverhalte und eine routinemäßige Erörterung einiger Paragraphen eröffne demgegenüber nicht den Anwendungsbereich des RDG. Insoweit sei § 2 Abs 1 RDG im Hinblick auf die zentralen Tatbestandsmerkmale enger auszulegen als Art 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Ungeachtet der Streichung der Worte "vertieft" oder "besondere" (Rechtsprüfung) in § 2 RDG, komme eine Erlaubnispflicht nach der sich zum RBerG klar abgrenzenden und vom Bundestag nicht geänderten Gesetzesbegründung nur in Betracht, wenn die Rechtslage im Statusfeststellungsverfahren vom Steuerberater intensiv geprüft werde. Der genannten Kürzung im Gesetzestext könne vor dem Hintergrund einer teleologischen sowie vor allem europarechts- und verfassungskonformen Auslegung des § 2 RDG keine relevante Bedeutung zukommen. Dies ergebe sich bereits seit dem Jahr 2000 aus der liberalen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zur restriktiven Auslegung des Art 1 § 1 RBerG. Dieser Ansicht zur Auslegung des § 2 RDG folge mittlerweile die überwiegende neuere Judikatur dahingehend, dass eine enge Auslegung geboten und die Streichungen im Gesetzestext irrelevant seien.

14

Darüber hinaus komme eine Erlaubnisfreiheit nach § 5 Abs 1 RDG in Betracht, da die in Rede stehende Rechtsdienstleistung als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild eines Steuerberaters gehöre. Mit dieser Regelung knüpfe der Gesetzgeber an die vergleichbare Bestimmung des Art 1 § 5 RBerG an, welche ebenfalls bei Nebenleistungen zur Erlaubnisfreiheit geführt habe. Allerdings sei § 5 Abs 1 RDG weiter gefasst als der bisherige Ausnahmetatbestand zur sog "Annexrechtsberatung", sodass die bisherige Judikatur des BSG einer Ausgrenzung von Steuerberatern im Renten- und Sozialrecht nicht mehr haltbar sei. Nunmehr komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Hauptleistung ohne rechtsdienstleistenden Anteil überhaupt erbracht werden könne. Die Heraushebung einzelner Tätigkeiten in Abs 2 solle nicht der Einschränkung des Anwendungsbereichs des Abs 1 dienen, sondern inhaltlich über diesen hinausgehen. So werde in der Gesetzesbegründung betont, dass § 5 Abs 1 RDG aufgrund des neuen Regelungskonzeptes eine "grundlegend andere Bedeutung" zukomme als dem bisherigen Art 1 § 5 RBerG. Es könne nicht substantiiert in Frage gestellt werden, dass es sich bei den in Rede stehenden Rechtsdienstleistungen der Steuerberater zu Gunsten schwerbehinderter Mandanten um Nebenleistungen im Vergleich zur Steuerberatung als Hauptleistung handele. Die Rechtsdienstleistung sei auch nicht von einem derartigen Gewicht, dass sie im Mittelpunkt des Leistungsangebotes stehe, welcher immer noch die Erfassung der steuerlichen Ansprüche sei. Auch wenn die Beratung in Schwerbehindertenangelegenheiten nicht zum engeren Berufsbild des Steuerberaters oder gar zu dessen Ausbildung gemäß dem Steuerberatungsgesetz (StBerG) gehöre, so sei die Feststellung der Körperbehinderung für die weitere Berücksichtigung im Steuerrecht erforderlich. Der Schwerbehinderte erwarte deshalb diese Nebenleistung vom steuerlichen Berater; diese solle in einer Hand bleiben. Der sachliche Zusammenhang mit der steuerrechtlichen Berücksichtigung, wie zB bei den Pauschbeträgen für Körperbehinderung gemäß § 33b Einkommensteuergesetz (EStG), werde von der Beklagten wie vom SG und LSG verkannt.

15

Insbesondere aus der Sicht des Mandanten sei es gerade notwendig, dass der steuerliche Berater in seiner Eigenschaft den Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht mit stelle. Dies ergebe sich bereits aus der besonderen Vertrauenssituation, die der steuerliche Berater gegenüber seinem Mandanten aufgrund des Mandates traditionell innehabe, insbesondere bei einem bestehenden Dauermandat mit Kenntnis der persönlichen Verhältnisse der Mandanten. Vor diesem Hintergrund sei eine weite Auslegung des § 5 Abs 1 RDG geboten. Der schwerbehinderte Rechtsuchende könne nicht darauf verwiesen werden, zusätzlich einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Die Vorschrift sei bewusst als entwicklungsoffene Bestimmung konzipiert worden. Für die Annahme einer solchen Annexkompetenz der Steuerberater spreche auch der haftungsrechtliche Aspekt, denn dieser müsse seine Mandanten auf sozialversicherungsrechtliche Probleme hinweisen, um nicht in die Gefahr einer Haftung zu geraten. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um eine Vertretung in einem Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren handele.

16

Die vom SG und LSG für zulässig erachtete Zurückweisung sei schließlich mit Art 12 Abs 1 GG und mit dem Rechtsschutzanspruch des Bürgers gemäß Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG unvereinbar. Das Vertretungsverbot stelle für Steuerberater einen rechtserheblichen Eingriff in deren geschützte Berufsausübungsfreiheit dar und verletze zugleich den grundrechtlich geschützten Anspruch des Rechtsuchenden auf Rechtsschutz und damit die Wahl seines Beraters in Schwerbehindertenangelegenheiten. Dieser Eingriff sei auch erheblich, da der Rechtsuchende gezwungen werde, einen anwaltlichen Berater zusätzlich zu beauftragen, mit der Folge von Mehraufwand. Dies sei vor allem für die meist verarmten schwerbehinderten Mandanten unzumutbar.

17

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2012 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. April 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2009 rechtswidrig gewesen ist.

18

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

19

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend ua aus: Die Revision sei bereits unzulässig, weil der Kläger eine bestimmte klärungsbedürftige Frage nicht formuliert habe. Es werde lediglich allgemein eine Verletzung von Bundesrecht gerügt. Im Übrigen seien die anstehenden Fragen bereits vom BVerfG, zB mit Beschluss vom 22.12.2000 "- 1 BvR 71/97 -", hinlänglich zur Vorgängervorschrift in Art 1 § 5 Nr 1 RBerG beantwortet worden. Diese Rechtsprechung habe weiterhin Gültigkeit. Der Steuerberater müsse sich zur Erfüllung seiner beruflichen Obliegenheiten mit einer Reihe von Vorschriften außerhalb des eigentlichen Steuerrechts befassen. Er dürfe dieses Umfeld aber nicht selbst vollständig bearbeiten. Daran habe das RDG nichts geändert.

20

Die Revision sei jedenfalls unbegründet, weil die Tätigkeit im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft keinen unbedeutenden Annex zur sonstigen beruflichen Tätigkeit des Steuerberaters darstelle. Als Steuerberater erbringe der Kläger, anders als eine Privatperson, eine Rechtsdienstleistung und werde geschäftlich tätig, weil er seinen Mandanten im Außenverhältnis auf einem rechtlichen Gebiet vertrete. Dabei komme es nicht auf die Komplexität oder (vermeintliche) Einfachheit der für dieses konkrete Verfahren maßgeblichen Rechtsmaterie an. Ob der Kläger als Bevollmächtigter im Einzelfall jegliche (eigene) juristische Prüfung aus welchen Gründen auch immer unterlasse, sei für die Beurteilung irrelevant und tangiere im Falle der Verletzung etwaiger vertraglicher Sorgfaltspflichten nur das bürgerlich-rechtliche Innenverhältnis. Zudem könne es auch bei historischer Auslegung des § 13 Abs 5 SGB X nicht angehen, während eines Verfahrens eine Art Controlling darüber zu institutionalisieren, ob der Bevollmächtigte gerade noch unjuristisch denkt oder schon gedanklich tiefer in die Rechtsmaterie eingestiegen sei. Eine Zurückweisung könne aus Gründen der Verfahrensklarheit nicht vom zufälligen Ausmaß der jeweiligen juristischen Befassung und Prüfung im Einzelfall abhängen, insbesondere sei keine Ermessensentscheidung vorgesehen. Der Hinweis auf die Armut von Mandanten überzeuge bereits deshalb nicht, weil es insoweit das Rechtsinstitut der Beratungshilfe gebe. Auch böten diverse Sozialrechtsverbände kostengünstige Beratung und Vertretung an.

Entscheidungsgründe

21

1. Die vom LSG zugelassene Revision des Klägers ist statthaft (§ 160 Abs 1 SGG) und auch sonst zulässig. Der Kläger hat bei ihrer Einlegung und Begründung Form und Fristen eingehalten (vgl § 164 SGG).

22

Die Revision ist entgegen der Ansicht des Beklagten ausreichend begründet. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl etwa BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R - Juris RdNr 11 ff mwN; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 25.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27) sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts von der Vorinstanz (LSG oder SG) nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der von der Vorinstanz angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl zB BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111, 112 f = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat.

23

Der Kläger rügt unter Auseinandersetzung mit dem Streitstoff eine Verletzung von § 13 Abs 5 SGB X, von § 2 Abs 1, §§ 3 und 5 Abs 1 RDG sowie von Art 12 Abs 1 GG. Dazu legt er Gründe dar, die das Urteil des LSG aus seiner rechtlichen Sicht als unrichtig erscheinen lassen (vgl hierzu insgesamt auch: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9c mwN). Diese Ausführungen genügen den Anforderungen an eine Revisionsbegründung. Der Beklagte orientiert sich zu Unrecht an den Voraussetzungen nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Diese sind lediglich bei der Prüfung einer Nichtzulassungsbeschwerde von Bedeutung und nicht - wie vorliegend - im Falle einer zugelassenen Revision.

24

2. Die Revision des Klägers ist teilweise begründet.

25

a) Einer Sachentscheidung des Senats stehen keine prozessualen Hindernisse entgegen. Klage und Berufung sind zulässig. SG und LSG haben insbesondere die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 S 3 SGG) zu Recht für zulässig erachtet, weil der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 15.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2009 hat. Dieser Verwaltungsakt betrifft die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in dem für Herrn B geführten Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht. Er hat sich auf andere Weise erledigt (vgl § 39 Abs 2 SGB X), nachdem jenes Verwaltungsverfahren durch den Bescheid des Beklagten vom 25.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2009 abgeschlossen worden war. Zunächst ist es unschädlich, dass sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt bereits vor der Klageerhebung erledigt hat (vgl BSG SozR 4-1500 § 131 Nr 3; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - in ASR 2012, 70 RdNr 33; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 131 RdNr 7d mwN). Sodann ergibt sich das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers insbesondere daraus, dass für weitere Verwaltungsverfahren seiner Mandanten nach dem SGB IX eine Wiederholungsgefahr besteht (vgl hierzu: BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 2, S 2 - Juris RdNr 11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 10a f).

26

Die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter des Herrn B bezieht sich ersichtlich auf das gesamte Verwaltungsverfahren betreffend Feststellungen nach dem SGB IX (GdB, Voraussetzungen von Merkzeichen), also nicht nur auf das Antrags-, sondern auch auf das Widerspruchsverfahren (§§ 8, 62 SGB X iVm §§ 78 ff SGG; vgl dazu von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 8 RdNr 8). Dementsprechend erstreckt sich auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung auf beide Teile des Verwaltungsverfahrens.

27

b) Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als ihn der Beklagte als Bevollmächtigten des Herrn B im Verwaltungsverfahren bis zum Erlass des Bescheides vom 25.5.2009 zurückgewiesen hat. In diesem Umfang ist der erledigte Verwaltungsakt des Beklagten rechtswidrig gewesen. Der Kläger war berechtigt, für seinen Mandanten einen Erstantrag zur Feststellung des GdB sowie der Voraussetzungen von Merkzeichen iS des § 69 SGB IX zu stellen und das Verwaltungsverfahren bis zur Bescheidung des Antrags zu betreiben. Im Übrigen ist die Revision - das Widerspruchsverfahren (§§ 78 ff SGG)betreffend - unbegründet.

28

Ein Beteiligter iS von § 10 SGB X kann sich in einem außergerichtlichen Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen(§ 13 Abs 1 S 1 SGB X). Nach § 13 Abs 5 SGB X(idF des Art 2 Nr 1 Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften <4.VwVfÄndG> vom 11.12.2008, BGBl I 2418) sind Bevollmächtigte und Beistände jedoch zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG(idF vom 12.12.2007, BGBl I 2840) Rechtsdienstleistungen erbringen. Nach dieser Vorschrift ist die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Dabei ist eine Rechtsdienstleistung in diesem Sinne nach der Legaldefinition in § 2 Abs 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Erlaubt sind allerdings Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören (§ 5 Abs 1 S 1 RDG).

29

aa) Vor diesem rechtlichen Hintergrund haben die Instanzgerichte zu Unrecht bereits für das Betreiben des außergerichtlichen Verwaltungsverfahrens zur Erstfeststellung des GdB und von Voraussetzungen für Merkzeichen nach dem SGB IX durch den Kläger bis zur Bescheidung des Antrags vom 23.12.2008 (Bescheid des Beklagten vom 25.5.2009) eine Rechtsdienstleistung iS des § 2 Abs 1 RDG angenommen. Es handelt sich bei dieser Tätigkeit des Klägers zwar ganz offensichtlich um eine konkrete fremde Angelegenheit (vgl hierzu BT-Drucks 16/3655 S 48; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - in MDR 2011, 680 = Juris RdNr 29 bis 31). Diese erfordert jedoch noch keine rechtliche Prüfung des Einzelfalls, wie sie § 2 Abs 1 RDG voraussetzt.

30

Wie das Merkmal "rechtliche Prüfung" auszulegen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Zum Teil wird eine solche erst angenommen, wenn der vertretene Rechtsuchende eine besondere rechtliche Betreuung oder Aufklärung erkennbar erwartet oder nach der Verkehrsanschauung eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich ist. Dabei wird darauf verwiesen, dass im ursprünglichen Regierungsentwurf zu § 2 Abs 1 RDG von einer "besonderen" rechtlichen Prüfung ausgegangen worden sei(vgl BT-Drucks 16/3655 S 7 und 46). Aus eben diesem Umstand wird aber auch geschlossen, dass kein hoher Maßstab zugrunde zu legen sei. Danach seien alle rechtlichen Prüfungstätigkeiten erfasst, wenn sie nur über eine einfache rechtliche Prüfung und Rechtsanwendung hinausgingen und einer gewissen Sachkunde bedürften (siehe zum Meinungsstreit insgesamt die Darstellung bei: BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - MDR 2011, 680 = Juris RdNr 28 mwN). Der BGH hat die Frage ausdrücklich offen gelassen, weil die dort relevante Frage ohnehin eine vertiefte Rechtsprüfung erforderte, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausging (vgl BGH, aaO).

31

Der erkennende Senat sieht sich im vorliegenden Fall ebenfalls nicht veranlasst, den Begriff der rechtlichen Prüfung abschließend zu klären. Auch wenn man insoweit keine hohen Anforderungen stellt, erfordert die bei einem Erstantrag nach § 69 SGB IX erfolgende Tätigkeit eines Bevollmächtigten keine relevante rechtliche Prüfung.

32

Der Begriff der rechtlichen Prüfung verlangt jedenfalls ein gewisses Maß an substantieller Prüfung, die über eine bloße Rechtsanwendung hinausgeht. Dies ergibt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien. Das RBerG sollte durch das inhaltlich und strukturell neu gestaltete RDG abgelöst werden. Das RDG betrifft allein die Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, während die gerichtliche Vertretung in den jeweiligen Verfahrensordnungen getrennt geregelt ist (vgl bereits Gesetzentwurf der Bundesregierung in BR-Drucks 623/06 S 1). Dabei sollten auch nach Auffassung der Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG und mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht (s umfassende Darstellung in: BR-Drucks 623/06 S 47 bis 52) von Beginn an durch § 2 RDG nur solche Dienstleistungen dem Verbotsbereich des RDG unterstellt sein, die eine substantielle Rechtsprüfung erfordern und sich nicht auf die bloße Anwendung des Rechts beschränken(vgl BR-Drucks aaO, S 2). Auch durch den Wegfall des Wortes "besondere", das im ersten Entwurf noch vor dem Begriff "rechtliche Prüfung" stand, sollte an dieser Konzeption nichts Wesentliches geändert werden. So führt der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung mit Bericht zu § 2 Abs 1 RDG in seiner Gesetz gewordenen Fassung aus, dass die sprachliche Straffung der Legaldefinition im § 2 Abs 1 RDG durch Streichung des Wortes "besondere" vermeiden wolle, "dass an das Erfordernis der rechtlichen Prüfung zu hohe Maßstäbe angelegt werden". Weiter heißt es dort: "Um klar hervorzuheben, dass es im Rahmen von § 2 Abs. 1 RDG nur um die Abgrenzung von bloßer Rechtsanwendung zu juristischer Rechtsprüfung und nicht um die Unterscheidung von 'einfachem' und 'schwierigem' Rechtsrat geht, hält der Rechtsausschuss die Streichung des Wortes 'besondere' für geboten"(vgl BT-Drucks 16/6634 S 50 f). Dem ist letztlich der Bundesrat gefolgt, insbesondere im Hinblick auf das in § 1 Abs 1 S 2 RDG festgeschriebene gesetzgeberische Anliegen, Rechtsuchende vor nicht hinreichend qualifizierten Dienstleistungen zu schützen(s Niederschrift der 855. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates - R0055 - Nr 32/07 vom 24.10.2007 unter II zu Art 1 § 2 Abs 1 RDG und BR-Drucks 705/07).

33

Gemessen an diesen Kriterien sind die Antragstellung und das Betreiben des Verwaltungsverfahrens iS von § 8 SGB X zur Erstfeststellung des GdB sowie der Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach dem SGB IX bis zur Bescheidung des Antrags nicht als Rechtsdienstleistung iS des § 2 Abs 1 RDG, sondern als bloße Rechtsanwendung anzusehen. Ein Antragsteller muss bis zur Bescheiderteilung lediglich das von der Behörde vorgefertigte Formular ausfüllen und ihm vorliegende Belege über ärztliche Behandlungen beifügen bzw die ladungsfähigen Anschriften der behandelnden Ärzte angeben. Die Ärzte muss er zudem von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine bloße tatsächliche Mitwirkung, die keine rechtliche Prüfung erfordert.

34

Nach § 69 Abs 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB von wenigstens 20(s § 69 Abs 1 S 6 SGB IX) fest. Entsprechende Feststellungen treffen diese Behörden auch hinsichtlich weiterer gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (§ 69 Abs 4 SGB IX). § 69 Abs 5 S 1 SGB IX bestimmt, dass die zuständigen Behörden auf entsprechenden Antrag des behinderten Menschen "aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale" ausstellen. Den insoweit entscheidungserheblichen Sachverhalt ermittelt die jeweilige Behörde von Amts wegen (§ 20 SGB X). Folglich ist es für den Antragsteller bis zum Erlass des Erst-Bescheides nicht erforderlich, die tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge selbst zu durchschauen.

35

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass vorliegend ausschließlich eine Bewertung der Vertretungstätigkeit in einem erstmaligen Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX vorzunehmen ist. Über einen Fall der Abwehr eines (beabsichtigten) Aufhebungsbescheides nach dem SGB IX mit der Erforderlichkeit einer vorherigen Anhörung (§ 24 SGB X) oder zB über den Fall eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV ist vorliegend nicht zu entscheiden.

36

bb) Anders verhält es sich mit der Tätigkeit eines Bevollmächtigten nach Erteilung eines Erstbescheides über den GdB und das Vorliegen der Voraussetzungen für Merkzeichen nach dem SGB IX. Für diesen Teil des Verwaltungsverfahrens ist der Kläger vom Beklagten zu Recht gemäß § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen worden. Insoweit liegt eine Rechtsdienstleistung des Klägers vor, ohne dass er sich auf § 5 Abs 1 RDG (erlaubte Nebenleistung) berufen kann.

37

Nach Erlass des Feststellungsbescheides wird erstmals eine echte (eigene) rechtliche Prüfung des Bevollmächtigten iS des § 2 Abs 1 RDG erforderlich, wenn es darum geht, ob vor dem Hintergrund der rechtlichen Voraussetzungen und der bestehenden funktionalen Einschränkungen Widerspruch eingelegt werden soll. Es müssen die rechtlichen Zusammenhänge in den Blick genommen werden, um beurteilen zu können, ob alle relevanten Tatsachen vollständig und zutreffend gewürdigt worden sind. Aus dem Ergebnis dieser Prüfung folgt dann ggf die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs. Abweichende Verhältnisse sind für den vorliegenden Fall weder tatrichterlich festgestellt (vgl § 163 SGG) noch vom Kläger geltend gemacht worden. Folglich hat für die Zeit nach Erteilung des Bescheides vom 25.5.2009 keine erlaubnisfreie Tätigkeit des Klägers mehr vorgelegen.

38

Die Rechtsdienstleistung des Klägers als Bevollmächtigter des Herrn B in dem Verfahren des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.5.2009 ist nicht nach Maßgabe des § 5 RDG als erlaubt anzusehen. Nach Abs 1 dieser Vorschrift sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild einer anderen Haupttätigkeit gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind (§ 5 Abs 1 S 2 RDG).

39

Nach Auffassung des Senats ist es bereits zweifelhaft, ob die Vertretung von Mandanten im Widerspruchsverfahren nach dem SGB IX zum Berufs- und Tätigkeitsfeld von Steuerberatern gehört. Die Tätigkeit eines Steuerberaters ist die "Hilfeleistung in Steuersachen" (vgl §§ 2, 3 Nr 1, 32, 33 StBerG). Nach § 33 S 1 StBerG haben sie "die Aufgabe, im Rahmen ihres Auftrags ihre Auftraggeber in Steuersachen zu beraten, sie zu vertreten und ihnen bei der Bearbeitung ihrer Steuerangelegenheiten und bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten Hilfe zu leisten". Steuerberatung ist mithin eine auf ein Fachgebiet beschränkte Rechtsberatung mit Berührungspunkten zum außersteuerlichen Recht. Letzteres ist teilweise auch Bestandteil des Steuertatbestandes, wie zB das Gesellschafts-, Erb- und Familienrecht. In diesen Fällen erstreckt sich die Beratungspflicht des Steuerberaters, falls dies mit Blick auf die steuerlichen Gegebenheiten unerlässlich ist, auf "fremde" Rechtsgebiete, wie umgekehrt auch andere Berufe die Verpflichtung haben können, auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 3 S 7 f mwN).

40

Über eine solche Beratungstätigkeit hinaus gehören Verrichtungen auf anderen Rechtsgebieten nicht schon dann zum Berufsbild eines Steuerberaters, wenn bestimmte in diesem Bereich angesiedelte Tatbestände steuerrechtlich relevant sind. Da das Steuerrecht sehr viele Vorgänge erfasst, für die (auch) andere Rechtsvorschriften maßgebend sind, könnten sich Steuerberater sonst nahezu unbeschränkt auf praktisch allen Rechtsgebieten betätigen. Es muss sich vielmehr im Einzelfall um eine Nebenleistung handeln, die ein Steuerberater mit seiner beruflichen Qualifikation ohne Beeinträchtigung des Schutzzwecks des RDG miterledigen kann. Dabei kommt es nicht auf die individuelle Qualifikation, sondern auf die allgemeine juristische Qualifikation des Rechtsdienstleistenden im Rahmen seiner Haupttätigkeit an (vgl BT-Drucks 16/3655 S 54; Dreyer/Müller in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 5 RdNr 30; Weth in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl 2010, § 5 RDG RdNr 12; Kleine-Cosack, RDG, 2. Aufl 2008, § 5 RdNr 66). Insofern ist es von Bedeutung, dass das Schwerbehindertenrecht nicht zu den Prüfungsgebieten der Steuerberaterprüfung gehört (vgl § 37 Abs 3 StBerG). Dass sich das Berufsbild des Steuerberaters ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage auf die Vertretung in Widerspruchsverfahren nach dem SGB IX erstrecken könnte, ist für den Senat nicht ersichtlich.

41

Eine Sonderregelung, wie sie in § 13 Abs 6 SGB X iVm § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG enthalten ist, fehlt für den Bereich des Schwerbehindertenrechts. Nach § 13 Abs 6 SGB X können Personen nicht zurückgewiesen werden, die nach § 73 Abs 2 S 1 und 2 Nr 3 bis 9 SGG zur Vertretung in sozialgerichtlichen Verfahren befugt sind. § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG sieht ua eine Vertretungsbefugnis für Steuerberater in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p SGB IV vor. Dadurch hat der Gesetzgeber unter Anerkennung der in einem bestimmten Bereich rechtsdienstleistenden Tätigkeiten von Steuerberatern bestimmt, dass diese in Verfahren ihrer Auftraggeber gegenüber den Einzugsstellen und bei Betriebsprüfungsverfahren gegenüber den Rentenversicherungsträgern vertretungsbefugt sein sollen. Für das Gerichtsverfahren hat er deren Vertretungsbefugnis damit konkludent auf die ausdrücklich bezeichneten Angelegenheiten beschränkt: "Neu ist die Vertretungsbefugnis der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie der ihnen im Steuerberatungsrecht gleichgestellten Personen und Gesellschaften in sozialgerichtlichen Verfahren, die Angelegenheiten des § 28h und des § 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch betreffen. Mit diesen Verfahren, die die Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags durch die gesetzlichen Krankenkassen (Einzugsstellen) und die Beitragsprüfung betreffen, sind Steuerberater außergerichtlich regelmäßig befasst. Sie sind hier in besonderer Weise sachkundig …" (BT-Drucks 16/3655 S 95; vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 73 RdNr 22). Für das Verwaltungsverfahren ist darin lediglich eine positive Regelung der Vertretungsbefugnis von Steuerberatern zu sehen, die als Sondervorschrift iS von § 3 RDG neben den allgemeinen Bestimmungen des RDG steht, welche die außergerichtliche Rechtsdienstleistung betreffen(aA zB SG Aachen Urteil vom 27.11.2009 - S 6 R 217/08 - DStR 2010, 76 = Juris RdNr 27; nachgehend LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - ASR 2012, 70 RdNr 42). Andererseits scheidet auch eine analoge Anwendung von § 13 Abs 6 SGB X iVm § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG auf Feststellungsverfahren nach dem SGB IX mangels Regelungslücke von vornherein aus(vgl dazu LSG NRW Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - ASR 2012, 70 RdNr 42 mwN).

42

Unabhängig von den genauen Grenzen des Berufsbildes ist die Beratung und Vertretung von Mandanten nach Erlass eines Feststellungsbescheides nach dem SGB IX unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände keine Nebenleistung eines Steuerberaters iS des § 5 Abs 1 RDG.

43

Der Begriff der Nebenleistung wird in § 5 Abs 1 S 2 RDG umschrieben. Danach kommt es auf den Inhalt, den Umfang und den sachlichen Zusammenhang der Nebenleistung mit der Hauptleistung sowie auf die Rechtskenntnisse an, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Anders als noch im RBerG vorgesehen, ist es nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich, ob die als Nebenleistung erbrachte Tätigkeit selbst auch eine Hauptleistung sein kann oder ob die Haupttätigkeit auch ohne die Nebenleistung überhaupt erbracht werden kann. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des § 5 Abs 1 RDG nicht auf solche rechtlichen Nebenleistungen beschränkt, ohne die, wie zB bei der Erfüllung von Beratungs- und Aufklärungspflichten, die Haupttätigkeit nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden kann(vgl Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts: BR-Drucks 623/06 S 106 ff = Begründung zum Regierungsentwurf in BT-Drucks 16/3655 S 51 ff; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - MDR 2011, 680 = Juris RdNr 35 mwN; BGH Urteil vom 6.10.2011 - I ZR 54/10 - DB 2012, 458 RdNr 22 mwN; BGH Urteil vom 31.1.2012 - VI ZR 143/11 - BGHZ 192, 270 RdNr 11).

44

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der im Regierungsentwurf zu § 5 Abs 1 S 1 RDG nach den Worten "zum Berufs- oder Tätigkeitsbild" enthaltene Satzteil "oder zur vollständigen Erfüllung der mit der Haupttätigkeit verbundenen gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten" im weiteren Gesetzgebungsverfahren wieder gestrichen worden ist. Denn nach der Begründung zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses diente diese Änderung lediglich der Straffung des Nebenleistungstatbestandes unter Vermeidung weiterer Unklarheiten in Bezug auf eine ausufernde Auslegung der Norm. Insbesondere sollte verhindert werden, dass rechtsdienstleistende Nebenpflichten disponibel werden und von dem Vertreter und Vertretenen willkürlich und ohne Zusammenhang mit der eigentlichen Haupttätigkeit vereinbart werden können (vgl hierzu insgesamt BGH Urteil vom 31.1.2012, aaO, RdNr 14 mwN unter Hinweis auf BT-Drucks 16/6634 S 51).

45

Maßgeblich ist, ob die Rechtsdienstleistung nach der Verkehrsanschauung innerhalb der Gesamtleistung ein solches Gewicht hat, dass nicht mehr von einer bloßen Nebenleistung ausgegangen werden kann. Auch eine vorangehende oder nachfolgende Nebenleistung kann noch in einem unmittelbaren und sachlichen Zusammenhang mit der Hauptleistung stehen, wenn sie zum Ablauf oder zur Abwicklung der Haupttätigkeit gehört und nicht selbst wesentlicher Teil der (oder einer) Hauptleistung ist (vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 6.10.2011, aaO, RdNr 23; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - Juris RdNr 37 mwN). Die Grenzen der Nebenleistung hat der Gesetzgeber dann angenommen, wenn die Rechtsdienstleistung isoliert als gesonderte Dienstleistung angeboten wird. Entscheidend sei, "ob die Rechtsdienstleistung innerhalb der Gesamtleistung ein solches Gewicht hat, dass für sie die volle Kompetenz eines Rechtsanwalts oder die besondere Sachkunde einer registrierten Person erforderlich ist" (BT-Drucks 16/3655 S 52). Bei der Bewertung der insoweit abzuklärenden Abgrenzungsfragen hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 GG keine enge Auslegung für geboten erachtet. § 5 RDG soll gerade eine weitergehende Zulassung von Nebenleistungen gegenüber der zuvor gültigen Vorschrift des Art 1 § 5 RBerG ermöglichen(vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 4.11.2010, aaO, Juris RdNr 42; BGH Urteil vom 6.10.2011, aaO, RdNr 22; Kleine-Cosack, RDG, 2. Aufl 2008, § 5 RdNr 21).

46

Allerdings ist dabei auch der Sinn und Zweck des RDG in Betracht zu ziehen. Dieser hat in § 1 Abs 1 S 2 RDG seinen Niederschlag gefunden und beinhaltet den Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen(vgl Begründung in BT-Drucks 16/3655 S 51). Dieser Schutz umfasst auch die ordnungsgemäße Geltendmachung von Ansprüchen im Rahmen des Rechtsgewährungsanspruchs als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art 19 Abs 4 und Art 20 Abs 3 GG). Soweit kein Vertretungszwang besteht (vgl zB § 73 Abs 4 SGG) kann ein juristischer Laie im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren seine Interessen auch selbst wahrnehmen; dies geschieht jedoch auf eigene Verantwortung. Bedient er sich dabei eines berufsmäßigen Bevollmächtigten, so kann er bei dessen Tätigkeit eine bestimmte Qualität erwarten, die durch das RDG gesichert werden soll.

47

Vor diesem Hintergrund ist auch zu berücksichtigen, dass Steuerberater auf einem speziellen Teilgebiet des Rechts eine beratende Stellung innehaben, sodass eine Nebentätigkeit von geringem Umfang in anderen Rechtsbereichen mit der Steuerberatertätigkeit in einem sachlichen Zusammenhang stehen kann. Dies ist im Gesetzgebungsverfahren bereits so gesehen worden. Danach sollte der Schwerpunkt der (Haupt-)Tätigkeit stets auf nicht rechtlichem Gebiet liegen, soweit es sich nicht um Dienstleistungen von Angehörigen steuerberatender Berufe oder nach § 10 RDG registrierter Personen handelt(vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 6.10.2011 aaO, RdNr 23).

48

Nach diesen Grundsätzen wertet der erkennende Senat die Tätigkeit des Klägers im Anschluss an die Erteilung des Feststellungsbescheides vom 25.5.2009 nach dem SGB IX nicht als Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG. Insbesondere dem in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B eingeleiteten Widerspruchsverfahren kommt ein so erhebliches Gewicht zu, dass die darauf bezogene Rechtsdienstleistung für einen Steuerberater nicht den Charakter einer Nebenleistung hat. Die streitigen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht haben weit über das Steuerrecht hinaus Bedeutung. Sie können sich nicht nur auf die Inanspruchnahme aller möglichen Nachteilsausgleiche, sondern zB auch auf das Kündigungsschutz- und Rentenversicherungsrecht auswirken. Überdies hat der Gesetzgeber für die Erstattung von Kosten im Vorverfahren, namentlich von Gebühren eines Bevollmächtigten, in § 63 SGB X eine besondere Regelung vorgesehen(vgl dazu Dreyer/Müller in Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 5 RdNr 18). Als Vorstufe eines Gerichtsverfahrens (vgl § 62 SGB X iVm §§ 78 ff SGG) erfordert das Widerspruchsverfahren typischerweise qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur bei Rechtsanwälten und registrierten Personen iS des § 10 Abs 1 Nr 2 RDG vorausgesetzt werden können(vgl dazu allgemein BR-Drucks 623/06 S 108, 112).

49

cc) Nach Auffassung des Senats ist die von ihm vertretene Auslegung und Anwendung des RDG mit dem GG vereinbar. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit iS von Art 12 Abs 1 GG vor. Hierzu hat der 10. Senat des BSG noch unter der Geltung des RBerG ausgeführt, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Beruf des Steuerberaters "allenfalls eine Beschränkung im Randbereich" der Berufsausübung vorliege, "die das Berufsbild im Kernbereich und die durch den Beruf gesicherte Existenz unbeeinträchtigt" lasse (BSG Urteil vom 13.8.1996 - 10 RKg 8/95 - SozR 3-1300 § 13 Nr 3 zu RdNr 30 nach Juris mwN). An dieser Einschätzung hat sich durch das RDG nichts geändert. Dieses hat zwar im Hinblick auf veränderte gesellschaftliche Berufsbilder und Verkehrsanschauungen eine erforderliche verfassungskonforme Anpassung vorgenommen, aber aus guten Gründen nicht alle Beschränkungen der Berufsausübung im Bereich der Rechtsdienstleistungen aufgehoben.

50

Das BVerfG hat bereits mit Kammerbeschluss vom 16.2.2006 (2 BvR 951/04, 2 BvR 12 BvR 1087/04, NJW 2006, 1502 RdNr 23) noch zum RBerG darauf hingewiesen, dass dieses - wie andere Gesetze auch - einem Alterungsprozess unterworfen sei, da es in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen stehe, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern könne. Dem hat der Gesetzgeber mit dem RDG Rechnung getragen und eine flexiblere, mehr am Einzelfall ausgerichtete Regelung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen getroffen (vgl ua BT-Drucks 16/3655 S 52 f). Diese erlaubt nunmehr auch eine begrenzte Tätigkeit für Steuerberater in Feststellungsverfahren nach dem SGB IX und stellt damit eine Erweiterung der Berufsausübungsfreiheit gegenüber den früheren Verhältnissen dar. Die darüber hinaus weiterhin bestehenden Beschränkungen für Steuerberater stellen damit - nach wie vor - keinen willkürlichen Eingriff in deren Berufsfreiheit und Berufsausübungsfreiheit dar (s hierzu allgemein zuletzt zum Umfang des Schutzbereichs auch unter Darstellung der Liberalisierung des Berufsrechts für Steuerberater: BVerfG Beschluss vom 23.8.2013 - 1 BvR 2912/11 - AnwBl 2013, 825). Denn der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutz des Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen (§ 1 Abs 1 S 2 RDG) stellt eine ausreichende Rechtfertigung für die Intensität des hier vorliegenden Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit von Steuerberatern im Bereich sozialrechtlicher Verwaltungsverfahren dar, soweit es diesen nach wie vor nicht erlaubt ist, als Bevollmächtigte ein Widerspruchsverfahren in Feststellungsverfahren nach dem SGB IX zu betreiben. Für eine Prüfung am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit besteht daneben - soweit es den Kläger betrifft - kein Raum, weil Art 2 Abs 1 GG gegenüber Art 12 Abs 1 GG subsidiär ist (BVerfG Beschluss vom 21.6.2011 - 1 BvR 2930/10 - NZS 2012, 102 RdNr 25 mwN). Auf mögliche Grundrechtspositionen seines Mandanten kann sich der Kläger nicht berufen.

51

Ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht ist daneben weder konkret geltend gemacht worden noch sonst wie ersichtlich.

52

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 155 Abs 1 VwGO.

53

4. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs 2 S 1 und § 52 Abs 1 GKG. Die für die Streitwertbestimmung maßgebende Bedeutung der Sache für den Kläger ist kostenrechtlich mit dem Gebührenanspruch des Bevollmächtigten für das Vorverfahren zu beziffern, auch wenn dieser mit seiner Fortsetzungsfeststellungsklage das Interesse verfolgt, eine Wiederholung seiner Zurückweisung als Bevollmächtigter in außergerichtlichen Verfahren betreffend Schwerbehindertenangelegenheiten nach dem SGB IX in Zukunft zu verhindern. Dieses das Feststellungsbegehren begründende weitere Interesse ist kostenrechtlich nicht von Bedeutung, wenn sich der Streitwert eines Verfahrens bereits aus den gestellten Sachanträgen ergibt (vgl bereits BFHE 119, 405; BSG Beschluss vom 5.10.1999 - B 6 KA 24/98 R -). Der Kläger erstrebt mit seinem Antrag die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses von der Vertretung seines Mandanten B in dem betreffenden konkreten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Darin ist das wirtschaftliche Interesse eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X für ein Vorverfahren enthalten, der sich entsprechend dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) berechnet. Danach ergibt sich eine Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV RVG in Höhe des Schwellenwertes von 240,00 Euro sowie eine Pauschale nach Nr 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro zzgl 19 % Umsatzsteuer (49,40 Euro) nach Nr 7008 VV RVG, insgesamt 309,40 Euro. Vor diesem Hintergrund ist für den Auffangsstreitwert nach § 52 Abs 2 GKG kein Raum.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Bei der 1962 geborenen Klägerin ist nach dem Schwerbehindertenrecht ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen einer psychischen Minderbelastbarkeit bei posttraumatischer Belastungsstörung sowie wegen eines Wirbelsäulensyndroms, Schulter-Arm-Syndroms beidseits und eines chronischen Schmerzsyndroms festgestellt (Bescheid des beklagten Landes vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2009).

3

Im September 1993 beantragte die Klägerin erstmals nach dem OEG die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Folge sexuellen Missbrauchs mit Gewaltanwendung durch ihren Vater in der Zeit von 1965 bis 1978. Nach Rücknahme dieses Antrags berichtete die Klägerin im Rahmen ihres erneuten Antrags vom 11.9.2003 von sexuellem Missbrauch (Vergewaltigung) durch den Vater in der Zeit von ihrem 4. bis 11. Lebensjahr. Sie teilte auf Anfrage gegenüber dem Beklagten mit, dass eine detaillierte Schilderung des Geschehens bei ihr erneut erhebliche psychische Probleme hervorrufen würde und sie zum Teil keinen Kontakt mehr zu ihren Schwestern habe. Diese wollten auch die Vergangenheit ruhen lassen und zu diesem Thema nichts mehr sagen. Diesen Antrag zog die Klägerin mit Schreiben vom 19.12.2003 wieder zurück.

4

Mit Schreiben vom 29.3.2006 stellte die Klägerin dann den im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Antrag auf Leistungen nach dem OEG. Dabei verwies sie auf ihre Schilderung der Gewalttaten gegenüber ihrem Psychotherapeuten Dipl.-Psychologe J., da es ihr extrem schwerfalle, die Gewalttaten selbst zu schildern. Mit Schreiben vom 7.9.2006 teilte die Klägerin mit, dass sie weiterhin mit der Befragung ihrer Eltern und Schwestern nicht einverstanden sei. Nach Auswertung der Stellungnahmen des Dipl.-Psychologen J. lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab, weil der Vollbeweis für rechtswidrige, vorsätzliche tätliche Angriffe im Sinne des OEG nicht erbracht worden sei (Bescheid vom 16.11.2006). Im anschließenden Widerspruchsverfahren wies die Klägerin erfolglos darauf hin, dass auch ihr Ex-Mann bis zur Trennung 1992 ihr gegenüber gewalttätig geworden sei und ihr kurz vor der Trennung ein Messer an den Hals gehalten habe (Widerspruchsbescheid vom 4.4.2007).

5

Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Speyer ua Beweis erhoben durch Einholung eines psychosomatisch-psychotherapeutischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 26.5.2009, in dem dieser bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung diagnostiziert hat, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit allein als Folge der erlittenen Gewalttaten und der sexuellen Misshandlungen in der Kindheit anzusehen sei. Dieser Zustand bedinge einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 70. Unter Auswertung der Angaben der Klägerin im Erörterungs- und Beweistermin vom 6.2.2008 und einer weiteren Stellungnahme des Dipl.-Psychologen J. vom 18.8.2009 sowie dessen Aussage als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2009 hat das SG mit Urteil vom selben Tage die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, als Schädigungsfolge nach dem OEG "Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung" anzuerkennen und der Klägerin ab dem 1.3.2006 Versorgungsrente nach einem GdS gemäß § 30 Abs 1 und 2 BVG von 70 zu gewähren.

6

Während des anschließenden Berufungsverfahrens hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) ein Gutachten der Dipl.-Psychologin von J., Institut für Gerichtspsychologie in Bochum, vom 5.4.2011 zur Feststellung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin eingeholt und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.5.2012 beigezogen. Sodann hat es mit Urteil vom 27.6.2012 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Dabei hat es sich auf folgende Erwägungen gestützt:

7

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Anerkennung einer "Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung" nach dem OEG und Gewährung von Versorgung nach einem GdS von 70 gemäß §§ 1 Abs 1, 10a Abs 1 S 1 OEG iVm § 30 Abs 1 und 2 BVG. Sie erfülle die Voraussetzungen des § 10a Abs 1 S 1 OEG und sei Opfer einer Gewalttat geworden. Dabei komme der Klägerin der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zugute, der auch dann anzuwenden sei, wenn Beweismittel zwar zur Verfügung ständen, die Erhebung dieser Beweise aber für das Verbrechensopfer unzumutbar sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Dipl.-Psychologen J. sei im vorliegenden Verfahren eine Vernehmung der Geschwister und der Eltern als Zeugen für die Klägerin mit schwersten gesundheitlichen Problemen verbunden. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K. lege in seiner Stellungnahme vom 2.5.2012 dar, dass aus ärztlich-psychotherapeutischer Sicht von einer Befragung der genannten Zeugen zum Schutze der Gesundheit der Klägerin dringend abzuraten sei. Dies gelte sowohl für eine Befragung in Anwesenheit als auch in Abwesenheit der Klägerin. Ansonsten sei mit einer schweren psychischen Dekompensation bis hin zum Suizid zu rechnen. Bei einer Vernehmung der Zeugen in Abwesenheit der Klägerin sei eine Konfrontation der Klägerin mit ihren Familienangehörigen auch außerhalb des Gerichtes zu befürchten. Dieser Begegnung sei die Klägerin aufgrund ihres labilen Gesundheitszustandes nicht gewachsen. Vor diesem Hintergrund habe sich der Senat nicht gedrängt gefühlt, eine Zeugenvernehmung vorzunehmen. Diese stehe vernünftigerweise dann nicht zur Verfügung, wenn sie zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Opfers führe. Auch habe der Beklagte einen Beweisantrag in der letzten mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht mehr gestellt. Eine Zeugenvernehmung, die nach überzeugenden Darlegungen verschiedener Sachverständiger zu einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin führe, überschreite die Pflicht zur Amtsermittlung und müsse deshalb unterbleiben.

8

Da somit weitere Beweismittel ohne Verschulden der Klägerin nicht zur Verfügung ständen, reiche gemäß § 15 KOVVfG eine Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauchs zur Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus. Nach der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände sei es glaubhaft, dass die Klägerin in ihrer Kindheit Opfer sexueller Misshandlungen und damit einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten der Dipl.-Psychologin von J. vom 5.4.2011, weil im Rahmen der Glaubhaftmachung einer Tatsache iS des § 15 KOVVfG gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich seien. Zur Überzeugung des Senats sei für die Glaubhaftmachung im Opferentschädigungsrecht ein psychosomatisches Gutachten entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 2.5.2012 geeigneter als ein aussagepsychologisches Gutachten. Dieser sexuelle Missbrauch sei auch ursächlich für die "Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung", zu deren Anerkennung das SG den Beklagten verurteilt habe. Insoweit werde gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen. Hieraus folge ein GdS von 70 als schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten entsprechend der VersorgungsmedizinVerordnung iVm den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B Ziff 3.7).

9

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten. Mit Beschluss vom 29.1.2013 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland auf ihren Antrag zum Revisionsverfahren beigeladen. Zur Begründung seiner Revision trägt der Beklagte vor: Das LSG gehe in rechtlich fehlerhafter Weise davon aus, dass für die Glaubhaftmachung im Opferentschädigungsrecht ein psychosomatisches Gutachten geeigneter sei, als ein aussagepsychologisches. Es könne rechtlich jedoch nicht unterschiedliche wissenschaftliche Anforderungen an ein einzuholendes Gutachten mit der Frage nach der Glaubhaftigkeit geben. Die insoweit geltende wissenschaftliche Methodik sei bereits umfangreich durch den Bundesgerichtshof (BGH) herausgearbeitet worden. Demzufolge müsse ein psychosomatisch-psychotherapeutisches Gutachten, wenn es auf die Frage der Glaubhaftigkeit eingehe, dieselben Anforderungen erfüllen, wie ein aussagepsychologisches Gutachten, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass je nach Maßstab des Gutachtens unterschiedliche rechtliche Ergebnisse in ein und demselben Fall zu finden wären. Das LSG selbst sei der Auffassung, dass, wenn man die wissenschaftliche Methodik des BGH anwende, die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin im Rahmen des Verfahrens nach dem sozialen Entschädigungsrecht als nicht gegeben anzunehmen wäre. Im Übrigen habe das LSG die Revision zur Klärung der Rechtsfrage zugelassen, ob § 15 KOVVfG ausscheide, wenn theoretisch eine Zeugeneinvernahme möglich, praktisch aber nach Angabe eines Gutachters oder behandelnden Therapeuten unzumutbar sei. Das LSG habe diesbezüglich die grundsätzliche Rechtsfrage zugelassen, ob die Norm des § 15 KOVVfG auf diese Fälle entsprechend anzuwenden sei, was das LSG bejahe. Grenze könne aber der eigentliche Wortlaut der Norm sein, der diese Fälle expressis verbis nicht erfasse und eine Beweiserleichterung darstelle.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.6.2012 und des SG Speyer vom 5.11.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

12

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und ist der Ansicht: Es sei davon auszugehen, dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG auch dann anzuwenden sei, wenn Beweismittel (hier: Zeugen) zwar zur Verfügung ständen, die Erhebung dieser Beweise aber für das Verbrechensopfer unzumutbar sei.

13

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

14

II. Die Revision des Beklagten ist unzulässig. Es fehlt an einer ausreichenden Begründung.

15

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Art nach rügt der Beklagte Verletzungen formellen und materiellen Rechts, woraus sich unterschiedliche Begründungsanforderungen ergeben.

16

In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl etwa BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R - Juris RdNr 11 ff mwN; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27) sorgfältig, sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts von der Vorinstanz (LSG oder SG) nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der von der Vorinstanz angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl zB BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111, 112 f = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat.

17

Diesen Anforderungen genügt die bis zum Ablauf der Begründungsfrist (§ 164 Abs 2 S 1 SGG) vorgebrachte Revisionsbegründung des Beklagten nicht. In dem betreffenden Schriftsatz vom 14.9.2012 fehlen schon Ausführungen dazu, welche Vorschriften des materiellen Rechts die Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewandt haben könnte. Zu §§ 1 und 10a OEG wird keine Rechtsverletzung geltend gemacht. § 15 KOVVfG wird zwar genannt, dem Vorbringen der Klägerin ist jedoch nicht zu entnehmen, inwiefern das LSG diese Vorschrift zu Unrecht herangezogen oder in ihrem Regelungsinhalt verkannt habe. Der Beklagte legt lediglich die Möglichkeit nahe, dass der eigentliche Wortlaut dieser Vorschrift Fälle einer unzumutbaren Zeugenvernehmung nicht erfassen könnte. Der Beklagte stellt weder dar, welche Rechtsansicht das LSG zu § 15 KOVVfG konkret vertreten habe, noch führt er aus, weshalb diese Rechtsansicht von ihm nicht geteilt werde.

18

Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen zunächst die den Mangel begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsauffassung - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl dazu allgemein Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12 mwN). Auch diesen Begründungserfordernissen hat der Beklagte nicht hinreichend Rechnung getragen.

19

Es wird zwar der Beweisbeschluss des SG vom 5.6.2008 sowie der inhaltliche Wert des Gutachtens von Prof. Dr. K. kritisiert. Es fehlen jedoch jegliche Ausführungen dazu, weshalb sich das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus - zu einer weiteren Amtsermittlung nach § 103 SGG hätte gedrängt fühlen müssen(vgl BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f). Nähere Angaben wären umso mehr erforderlich gewesen, als der Beklagte laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2012 vor dem LSG auf die Stellung eines Beweisantrages verzichtet und eine Vernehmung der Zeugen gleichfalls als unzumutbar angesehen hat. Im Übrigen betrifft das Vorbringen des Beklagten durchweg die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung. Dazu legt der Beklagte an keiner Stelle dar, inwiefern das LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)überschritten und damit einen Verfahrensfehler begangen habe. Die bloße Kritik an der Beweiswürdigung des LSG genügt nicht den Mindesterfordernissen einer Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 S 3 SGG). Denn ein Verfahrensmangel liegt insoweit grundsätzlich erst dann vor, wenn das LSG gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 128 RdNr 10 mwN).

20

Die nicht ordnungsgemäß begründete Revision ist außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2012 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. April 2010 geändert.

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2009 insoweit rechtswidrig gewesen ist, als sich die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B auch auf die Zeit bis zur Erteilung des Bescheides vom 25. Mai 2009 bezieht.

Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Streitwert wird auf 309,40 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Befugnis des Klägers, als Verfahrensbevollmächtigter in einem Verwaltungsverfahren zur erstmaligen Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie der Voraussetzungen von Merkzeichen aufzutreten.

2

Der Kläger ist selbstständiger Steuerberater. Mit Schreiben vom 22.12.2008 stellte er für seinen Mandanten, Herrn B, vertreten durch dessen Mutter, Frau B, als gerichtlich bestellte Betreuerin, beim beklagten Land (Eingang am 23.12.2008) einen Erstantrag nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Auf das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 3.2.2009 betreffend die beabsichtigte Zurückweisung als Bevollmächtigter oder Beistand gemäß § 13 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) machte der Kläger mit Schreiben vom 23.3.2009 ua geltend, dass es sich bei dem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Hinblick auf Steuer- und Kindergeldangelegenheiten um eine für Steuerberater zulässige Nebenleistung iS des § 5 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) handele.

3

Mit Bescheid vom 15.5.2009 wies der Beklagte den Kläger gemäß § 13 Abs 5 SGB X als Bevollmächtigten in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B zurück, da es sich um eine Rechtsdienstleistung handele, die der Kläger nicht verrichten dürfe, zumal sie nicht als eine zum Berufs- oder Tätigkeitsfeld eines Steuerberaters gehörende, erlaubte Nebenleistung anzusehen sei. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.8.2009).

4

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte mit Bescheid vom 25.5.2009 über den Feststellungsantrag des Herrn B entschieden und mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2009 den dagegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen.

5

Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zurückweisung als Verfahrensbevollmächtigter gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 7.4.2010 aus folgenden Erwägungen abgewiesen: Die nach Erledigung des für den Mandanten eingeleiteten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens eingereichte Klage des Klägers sei zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte habe den Kläger zu Recht als Bevollmächtigten in einem Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX zurückgewiesen, weil dieser nicht über die erforderliche Erlaubnis iS von § 3 RDG verfüge. Eine erlaubnisfreie Nebentätigkeit iS von § 5 Abs 1 RDG liege nicht vor, da das Feststellungsverfahren nach dem SGB IX sozialrechtlich und nicht steuerrechtlich geprägt sei und dementsprechend eine diesbezügliche besondere Sachkunde voraussetze. Gegen eine Befugnis zur Vertretung in Schwerbehindertenangelegenheiten spreche auch § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG, wonach Steuerberater lediglich in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) vor den Sozialgerichten vertretungsbefugt seien. Aus dieser Differenzierung lasse sich herleiten, dass eine Vertretung durch Steuerberater in anderen sozialrechtlichen Verfahren nicht erlaubt sei.

6

Die anschließende Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) mit Urteil vom 25.9.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die nach Erledigung des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrens zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage sei unbegründet. Die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B sei gemäß § 13 Abs 5 SGB X zu Recht erfolgt, weil der Kläger entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen iS des § 2 Abs 1 RDG erbracht habe. Eine GdB-Feststellung sei ohne rechtliche Prüfung des Einzelfalles nicht möglich. Sie beruhe nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens, sondern sei unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln. Eine erlaubnisfreie Tätigkeit nach § 2 Abs 3 RDG (Erstattung wissenschaftlicher Gutachten, Tätigkeit in Einigungs- und Schiedsstellen, Mediation etc) liege offensichtlich nicht vor.

7

Auch handele es sich nicht um eine Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG, weil im Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX Rechtskenntnisse erforderlich seien, die nicht den für die vorliegend in Betracht kommende steuerberatende Haupttätigkeit bzw für die Tätigkeit in Kindergeldangelegenheiten erforderlichen Rechtskenntnissen entsprächen. Vielmehr erschöpfe sich die steuerliche Beratung in Hinweisen auf die einkommensteuerlichen Auswirkungen eines höheren GdB und auf den Weg zu dessen Feststellung. Von diesem Zeitpunkt an lägen in einem Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX alle weiteren Schritte außerhalb des Steuerrechts; insoweit komme es auf steuerrechtlichen Sachverstand gerade nicht an (Bundessozialgericht Urteil vom 16.5.1995 - 9 RV 14/94 - SozR 3-1300 § 13 Nr 2). Dabei sei eine besondere Fachkunde des Klägers in Angelegenheiten nach dem SGB IX unbeachtlich, weil iS des § 5 Abs 1 S 2 RDG ausschließlich auf die Qualifikation des Bevollmächtigten abzustellen sei, die objektiv für die (nicht rechtsdienstleistende) Haupttätigkeit allgemein erforderlich sei. Nicht entscheidend sei, über welche juristischen Kenntnisse der Dienstleistende tatsächlich verfüge.

8

Da die Vertretung in einem Antragsverfahren nach dem SGB IX im Verhältnis zur Vertretung in Steuer- bzw Kindergeldangelegenheiten nicht von nur untergeordneter Bedeutung sei, stelle sie keine Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG dar. Die rechtlichen Vorteile der Feststellung des GdB sowie von Nachteilsausgleichen erschöpften sich nicht in Steuervorteilen, sondern hätten Tatbestandswirkung für eine Vielzahl von Ansprüchen und rechtlichen Vorteilen wie zB im Kündigungsschutz, für Zusatzurlaub, bei der Erleichterung des Zugangs zu Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, bei Leistungen für Mehrbedarfe im Sozialhilferecht, bei besonderen Parkberechtigungen im Straßenverkehr, bei der Kostenbefreiung bzw Ermäßigung im öffentlichen Personenverkehr oder beim Blindengeldbezug. Dies belege, dass das Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX eine eigenständige Bedeutung habe, der im Einzelfall mehr Gewicht zukommen könne als Steuer- bzw Kindergeldangelegenheiten.

9

Dieses Ergebnis stimme auch überein mit der gesetzgeberischer Intention des § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG, wonach ua Steuerberater ausschließlich in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p SGB IV vor dem SG und LSG vertretungsberechtigt seien. Damit habe der Gesetzgeber für das gerichtliche Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass eine Vertretung durch Steuerberater nur in engen Grenzen, nicht jedoch im Sozialrecht insgesamt zulässig sei. Andernfalls wäre es sinnwidrig, wenn Steuerberater im Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX vertretungsberechtigt sein sollten, während dieser Personenkreis im Gerichtsverfahren ausgeschlossen werde. Da es sich bei den Regelungen in § 5 RDG um Bestimmungen zum Schutz der Rechtsuchenden handele, lägen hinreichende Gründe des Allgemeinwohls dafür vor, die Berufsfreiheit nach Art 12 GG durch Regelungen zur Berufsausübung einzuschränken.

10

Zur Begründung seiner vom LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger ua vor: Entgegen der Auffassung des LSG sei die Klage begründet, weil er als Steuerberater berechtigt sei, Mandanten im Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht zu vertreten. Er dürfe also nicht iS des § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen werden. Das RDG normiere für diese Tätigkeit keinen Erlaubnisvorbehalt, diese sei entweder bereits nach § 2 Abs 1 RDG oder zumindest als Nebenleistung nach § 5 Abs 1 RDG erlaubnisfrei.

11

Zunächst ergebe sich ein Ausschluss der Vertretungsbefugnis eines Steuerberaters im Verwaltungsverfahren zur Feststellung des GdB nach dem SGB IX nicht aus § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG. Denn zum einen handele es sich hier nicht um die Vertretung im gerichtlichen Verfahren, sondern um eine solche im Verwaltungsverfahren. Zum anderen komme es auf den Nachweis theoretischer und praktischer Sachkunde im Schwerbehindertenrecht nicht an, weil Steuerberater auch im Rahmen der §§ 2, 3 und 5 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen könnten. Insoweit verkenne die Argumentation des SG und LSG die Bedeutung der Registrierungsregelungen für die Bereiche Inkasso, Rentenberatung etc. Eine Auslegung der fraglichen Vorschriften habe sich am Maßstab des Art 12 GG auf Seiten der Steuerberater und des Art 2 Abs 1 GG auf Seiten der Rechtsuchenden zu orientieren.

12

Seine in Rede stehende Tätigkeit als Steuerberater zu Gunsten von Schwerbehinderten unterfalle schon deshalb nicht dem Erlaubnisvorbehalt des § 2 Abs 1 RDG, weil im Regelfall und vor allem auch im vorliegenden Fall keine Rechtsdienstleistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht worden sei. Eine darin vorausgesetzte konkrete Prüfung sei vorliegend nicht erfolgt. SG und LSG verletzten Bundesrecht, wenn sie auch im Falle einer schlichten Antragstellung einen Erlaubnisvorbehalt annähmen, ohne zu prüfen, ob entsprechend dem Gesetz eine Rechtsprüfung erforderlich sei. Sie übersähen, dass die Erforderlichkeit einer Rechtsprüfung auch vom Willen des Auftraggebers abhänge.

13

Eine Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs 1 RDG setze voraus, dass eine "besondere" juristische Prüfung erforderlich sei. Die juristische Prüfung einfacher Sachverhalte und eine routinemäßige Erörterung einiger Paragraphen eröffne demgegenüber nicht den Anwendungsbereich des RDG. Insoweit sei § 2 Abs 1 RDG im Hinblick auf die zentralen Tatbestandsmerkmale enger auszulegen als Art 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Ungeachtet der Streichung der Worte "vertieft" oder "besondere" (Rechtsprüfung) in § 2 RDG, komme eine Erlaubnispflicht nach der sich zum RBerG klar abgrenzenden und vom Bundestag nicht geänderten Gesetzesbegründung nur in Betracht, wenn die Rechtslage im Statusfeststellungsverfahren vom Steuerberater intensiv geprüft werde. Der genannten Kürzung im Gesetzestext könne vor dem Hintergrund einer teleologischen sowie vor allem europarechts- und verfassungskonformen Auslegung des § 2 RDG keine relevante Bedeutung zukommen. Dies ergebe sich bereits seit dem Jahr 2000 aus der liberalen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zur restriktiven Auslegung des Art 1 § 1 RBerG. Dieser Ansicht zur Auslegung des § 2 RDG folge mittlerweile die überwiegende neuere Judikatur dahingehend, dass eine enge Auslegung geboten und die Streichungen im Gesetzestext irrelevant seien.

14

Darüber hinaus komme eine Erlaubnisfreiheit nach § 5 Abs 1 RDG in Betracht, da die in Rede stehende Rechtsdienstleistung als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild eines Steuerberaters gehöre. Mit dieser Regelung knüpfe der Gesetzgeber an die vergleichbare Bestimmung des Art 1 § 5 RBerG an, welche ebenfalls bei Nebenleistungen zur Erlaubnisfreiheit geführt habe. Allerdings sei § 5 Abs 1 RDG weiter gefasst als der bisherige Ausnahmetatbestand zur sog "Annexrechtsberatung", sodass die bisherige Judikatur des BSG einer Ausgrenzung von Steuerberatern im Renten- und Sozialrecht nicht mehr haltbar sei. Nunmehr komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Hauptleistung ohne rechtsdienstleistenden Anteil überhaupt erbracht werden könne. Die Heraushebung einzelner Tätigkeiten in Abs 2 solle nicht der Einschränkung des Anwendungsbereichs des Abs 1 dienen, sondern inhaltlich über diesen hinausgehen. So werde in der Gesetzesbegründung betont, dass § 5 Abs 1 RDG aufgrund des neuen Regelungskonzeptes eine "grundlegend andere Bedeutung" zukomme als dem bisherigen Art 1 § 5 RBerG. Es könne nicht substantiiert in Frage gestellt werden, dass es sich bei den in Rede stehenden Rechtsdienstleistungen der Steuerberater zu Gunsten schwerbehinderter Mandanten um Nebenleistungen im Vergleich zur Steuerberatung als Hauptleistung handele. Die Rechtsdienstleistung sei auch nicht von einem derartigen Gewicht, dass sie im Mittelpunkt des Leistungsangebotes stehe, welcher immer noch die Erfassung der steuerlichen Ansprüche sei. Auch wenn die Beratung in Schwerbehindertenangelegenheiten nicht zum engeren Berufsbild des Steuerberaters oder gar zu dessen Ausbildung gemäß dem Steuerberatungsgesetz (StBerG) gehöre, so sei die Feststellung der Körperbehinderung für die weitere Berücksichtigung im Steuerrecht erforderlich. Der Schwerbehinderte erwarte deshalb diese Nebenleistung vom steuerlichen Berater; diese solle in einer Hand bleiben. Der sachliche Zusammenhang mit der steuerrechtlichen Berücksichtigung, wie zB bei den Pauschbeträgen für Körperbehinderung gemäß § 33b Einkommensteuergesetz (EStG), werde von der Beklagten wie vom SG und LSG verkannt.

15

Insbesondere aus der Sicht des Mandanten sei es gerade notwendig, dass der steuerliche Berater in seiner Eigenschaft den Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht mit stelle. Dies ergebe sich bereits aus der besonderen Vertrauenssituation, die der steuerliche Berater gegenüber seinem Mandanten aufgrund des Mandates traditionell innehabe, insbesondere bei einem bestehenden Dauermandat mit Kenntnis der persönlichen Verhältnisse der Mandanten. Vor diesem Hintergrund sei eine weite Auslegung des § 5 Abs 1 RDG geboten. Der schwerbehinderte Rechtsuchende könne nicht darauf verwiesen werden, zusätzlich einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Die Vorschrift sei bewusst als entwicklungsoffene Bestimmung konzipiert worden. Für die Annahme einer solchen Annexkompetenz der Steuerberater spreche auch der haftungsrechtliche Aspekt, denn dieser müsse seine Mandanten auf sozialversicherungsrechtliche Probleme hinweisen, um nicht in die Gefahr einer Haftung zu geraten. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um eine Vertretung in einem Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren handele.

16

Die vom SG und LSG für zulässig erachtete Zurückweisung sei schließlich mit Art 12 Abs 1 GG und mit dem Rechtsschutzanspruch des Bürgers gemäß Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG unvereinbar. Das Vertretungsverbot stelle für Steuerberater einen rechtserheblichen Eingriff in deren geschützte Berufsausübungsfreiheit dar und verletze zugleich den grundrechtlich geschützten Anspruch des Rechtsuchenden auf Rechtsschutz und damit die Wahl seines Beraters in Schwerbehindertenangelegenheiten. Dieser Eingriff sei auch erheblich, da der Rechtsuchende gezwungen werde, einen anwaltlichen Berater zusätzlich zu beauftragen, mit der Folge von Mehraufwand. Dies sei vor allem für die meist verarmten schwerbehinderten Mandanten unzumutbar.

17

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2012 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. April 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2009 rechtswidrig gewesen ist.

18

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

19

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend ua aus: Die Revision sei bereits unzulässig, weil der Kläger eine bestimmte klärungsbedürftige Frage nicht formuliert habe. Es werde lediglich allgemein eine Verletzung von Bundesrecht gerügt. Im Übrigen seien die anstehenden Fragen bereits vom BVerfG, zB mit Beschluss vom 22.12.2000 "- 1 BvR 71/97 -", hinlänglich zur Vorgängervorschrift in Art 1 § 5 Nr 1 RBerG beantwortet worden. Diese Rechtsprechung habe weiterhin Gültigkeit. Der Steuerberater müsse sich zur Erfüllung seiner beruflichen Obliegenheiten mit einer Reihe von Vorschriften außerhalb des eigentlichen Steuerrechts befassen. Er dürfe dieses Umfeld aber nicht selbst vollständig bearbeiten. Daran habe das RDG nichts geändert.

20

Die Revision sei jedenfalls unbegründet, weil die Tätigkeit im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft keinen unbedeutenden Annex zur sonstigen beruflichen Tätigkeit des Steuerberaters darstelle. Als Steuerberater erbringe der Kläger, anders als eine Privatperson, eine Rechtsdienstleistung und werde geschäftlich tätig, weil er seinen Mandanten im Außenverhältnis auf einem rechtlichen Gebiet vertrete. Dabei komme es nicht auf die Komplexität oder (vermeintliche) Einfachheit der für dieses konkrete Verfahren maßgeblichen Rechtsmaterie an. Ob der Kläger als Bevollmächtigter im Einzelfall jegliche (eigene) juristische Prüfung aus welchen Gründen auch immer unterlasse, sei für die Beurteilung irrelevant und tangiere im Falle der Verletzung etwaiger vertraglicher Sorgfaltspflichten nur das bürgerlich-rechtliche Innenverhältnis. Zudem könne es auch bei historischer Auslegung des § 13 Abs 5 SGB X nicht angehen, während eines Verfahrens eine Art Controlling darüber zu institutionalisieren, ob der Bevollmächtigte gerade noch unjuristisch denkt oder schon gedanklich tiefer in die Rechtsmaterie eingestiegen sei. Eine Zurückweisung könne aus Gründen der Verfahrensklarheit nicht vom zufälligen Ausmaß der jeweiligen juristischen Befassung und Prüfung im Einzelfall abhängen, insbesondere sei keine Ermessensentscheidung vorgesehen. Der Hinweis auf die Armut von Mandanten überzeuge bereits deshalb nicht, weil es insoweit das Rechtsinstitut der Beratungshilfe gebe. Auch böten diverse Sozialrechtsverbände kostengünstige Beratung und Vertretung an.

Entscheidungsgründe

21

1. Die vom LSG zugelassene Revision des Klägers ist statthaft (§ 160 Abs 1 SGG) und auch sonst zulässig. Der Kläger hat bei ihrer Einlegung und Begründung Form und Fristen eingehalten (vgl § 164 SGG).

22

Die Revision ist entgegen der Ansicht des Beklagten ausreichend begründet. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl etwa BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R - Juris RdNr 11 ff mwN; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 25.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27) sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts von der Vorinstanz (LSG oder SG) nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der von der Vorinstanz angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl zB BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111, 112 f = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat.

23

Der Kläger rügt unter Auseinandersetzung mit dem Streitstoff eine Verletzung von § 13 Abs 5 SGB X, von § 2 Abs 1, §§ 3 und 5 Abs 1 RDG sowie von Art 12 Abs 1 GG. Dazu legt er Gründe dar, die das Urteil des LSG aus seiner rechtlichen Sicht als unrichtig erscheinen lassen (vgl hierzu insgesamt auch: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9c mwN). Diese Ausführungen genügen den Anforderungen an eine Revisionsbegründung. Der Beklagte orientiert sich zu Unrecht an den Voraussetzungen nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Diese sind lediglich bei der Prüfung einer Nichtzulassungsbeschwerde von Bedeutung und nicht - wie vorliegend - im Falle einer zugelassenen Revision.

24

2. Die Revision des Klägers ist teilweise begründet.

25

a) Einer Sachentscheidung des Senats stehen keine prozessualen Hindernisse entgegen. Klage und Berufung sind zulässig. SG und LSG haben insbesondere die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 S 3 SGG) zu Recht für zulässig erachtet, weil der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 15.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2009 hat. Dieser Verwaltungsakt betrifft die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter in dem für Herrn B geführten Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht. Er hat sich auf andere Weise erledigt (vgl § 39 Abs 2 SGB X), nachdem jenes Verwaltungsverfahren durch den Bescheid des Beklagten vom 25.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2009 abgeschlossen worden war. Zunächst ist es unschädlich, dass sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt bereits vor der Klageerhebung erledigt hat (vgl BSG SozR 4-1500 § 131 Nr 3; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - in ASR 2012, 70 RdNr 33; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 131 RdNr 7d mwN). Sodann ergibt sich das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers insbesondere daraus, dass für weitere Verwaltungsverfahren seiner Mandanten nach dem SGB IX eine Wiederholungsgefahr besteht (vgl hierzu: BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 2, S 2 - Juris RdNr 11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 10a f).

26

Die Zurückweisung des Klägers als Bevollmächtigter des Herrn B bezieht sich ersichtlich auf das gesamte Verwaltungsverfahren betreffend Feststellungen nach dem SGB IX (GdB, Voraussetzungen von Merkzeichen), also nicht nur auf das Antrags-, sondern auch auf das Widerspruchsverfahren (§§ 8, 62 SGB X iVm §§ 78 ff SGG; vgl dazu von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 8 RdNr 8). Dementsprechend erstreckt sich auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung auf beide Teile des Verwaltungsverfahrens.

27

b) Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als ihn der Beklagte als Bevollmächtigten des Herrn B im Verwaltungsverfahren bis zum Erlass des Bescheides vom 25.5.2009 zurückgewiesen hat. In diesem Umfang ist der erledigte Verwaltungsakt des Beklagten rechtswidrig gewesen. Der Kläger war berechtigt, für seinen Mandanten einen Erstantrag zur Feststellung des GdB sowie der Voraussetzungen von Merkzeichen iS des § 69 SGB IX zu stellen und das Verwaltungsverfahren bis zur Bescheidung des Antrags zu betreiben. Im Übrigen ist die Revision - das Widerspruchsverfahren (§§ 78 ff SGG)betreffend - unbegründet.

28

Ein Beteiligter iS von § 10 SGB X kann sich in einem außergerichtlichen Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen(§ 13 Abs 1 S 1 SGB X). Nach § 13 Abs 5 SGB X(idF des Art 2 Nr 1 Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften <4.VwVfÄndG> vom 11.12.2008, BGBl I 2418) sind Bevollmächtigte und Beistände jedoch zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG(idF vom 12.12.2007, BGBl I 2840) Rechtsdienstleistungen erbringen. Nach dieser Vorschrift ist die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Dabei ist eine Rechtsdienstleistung in diesem Sinne nach der Legaldefinition in § 2 Abs 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Erlaubt sind allerdings Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören (§ 5 Abs 1 S 1 RDG).

29

aa) Vor diesem rechtlichen Hintergrund haben die Instanzgerichte zu Unrecht bereits für das Betreiben des außergerichtlichen Verwaltungsverfahrens zur Erstfeststellung des GdB und von Voraussetzungen für Merkzeichen nach dem SGB IX durch den Kläger bis zur Bescheidung des Antrags vom 23.12.2008 (Bescheid des Beklagten vom 25.5.2009) eine Rechtsdienstleistung iS des § 2 Abs 1 RDG angenommen. Es handelt sich bei dieser Tätigkeit des Klägers zwar ganz offensichtlich um eine konkrete fremde Angelegenheit (vgl hierzu BT-Drucks 16/3655 S 48; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - in MDR 2011, 680 = Juris RdNr 29 bis 31). Diese erfordert jedoch noch keine rechtliche Prüfung des Einzelfalls, wie sie § 2 Abs 1 RDG voraussetzt.

30

Wie das Merkmal "rechtliche Prüfung" auszulegen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Zum Teil wird eine solche erst angenommen, wenn der vertretene Rechtsuchende eine besondere rechtliche Betreuung oder Aufklärung erkennbar erwartet oder nach der Verkehrsanschauung eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich ist. Dabei wird darauf verwiesen, dass im ursprünglichen Regierungsentwurf zu § 2 Abs 1 RDG von einer "besonderen" rechtlichen Prüfung ausgegangen worden sei(vgl BT-Drucks 16/3655 S 7 und 46). Aus eben diesem Umstand wird aber auch geschlossen, dass kein hoher Maßstab zugrunde zu legen sei. Danach seien alle rechtlichen Prüfungstätigkeiten erfasst, wenn sie nur über eine einfache rechtliche Prüfung und Rechtsanwendung hinausgingen und einer gewissen Sachkunde bedürften (siehe zum Meinungsstreit insgesamt die Darstellung bei: BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - MDR 2011, 680 = Juris RdNr 28 mwN). Der BGH hat die Frage ausdrücklich offen gelassen, weil die dort relevante Frage ohnehin eine vertiefte Rechtsprüfung erforderte, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausging (vgl BGH, aaO).

31

Der erkennende Senat sieht sich im vorliegenden Fall ebenfalls nicht veranlasst, den Begriff der rechtlichen Prüfung abschließend zu klären. Auch wenn man insoweit keine hohen Anforderungen stellt, erfordert die bei einem Erstantrag nach § 69 SGB IX erfolgende Tätigkeit eines Bevollmächtigten keine relevante rechtliche Prüfung.

32

Der Begriff der rechtlichen Prüfung verlangt jedenfalls ein gewisses Maß an substantieller Prüfung, die über eine bloße Rechtsanwendung hinausgeht. Dies ergibt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien. Das RBerG sollte durch das inhaltlich und strukturell neu gestaltete RDG abgelöst werden. Das RDG betrifft allein die Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, während die gerichtliche Vertretung in den jeweiligen Verfahrensordnungen getrennt geregelt ist (vgl bereits Gesetzentwurf der Bundesregierung in BR-Drucks 623/06 S 1). Dabei sollten auch nach Auffassung der Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG und mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht (s umfassende Darstellung in: BR-Drucks 623/06 S 47 bis 52) von Beginn an durch § 2 RDG nur solche Dienstleistungen dem Verbotsbereich des RDG unterstellt sein, die eine substantielle Rechtsprüfung erfordern und sich nicht auf die bloße Anwendung des Rechts beschränken(vgl BR-Drucks aaO, S 2). Auch durch den Wegfall des Wortes "besondere", das im ersten Entwurf noch vor dem Begriff "rechtliche Prüfung" stand, sollte an dieser Konzeption nichts Wesentliches geändert werden. So führt der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung mit Bericht zu § 2 Abs 1 RDG in seiner Gesetz gewordenen Fassung aus, dass die sprachliche Straffung der Legaldefinition im § 2 Abs 1 RDG durch Streichung des Wortes "besondere" vermeiden wolle, "dass an das Erfordernis der rechtlichen Prüfung zu hohe Maßstäbe angelegt werden". Weiter heißt es dort: "Um klar hervorzuheben, dass es im Rahmen von § 2 Abs. 1 RDG nur um die Abgrenzung von bloßer Rechtsanwendung zu juristischer Rechtsprüfung und nicht um die Unterscheidung von 'einfachem' und 'schwierigem' Rechtsrat geht, hält der Rechtsausschuss die Streichung des Wortes 'besondere' für geboten"(vgl BT-Drucks 16/6634 S 50 f). Dem ist letztlich der Bundesrat gefolgt, insbesondere im Hinblick auf das in § 1 Abs 1 S 2 RDG festgeschriebene gesetzgeberische Anliegen, Rechtsuchende vor nicht hinreichend qualifizierten Dienstleistungen zu schützen(s Niederschrift der 855. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates - R0055 - Nr 32/07 vom 24.10.2007 unter II zu Art 1 § 2 Abs 1 RDG und BR-Drucks 705/07).

33

Gemessen an diesen Kriterien sind die Antragstellung und das Betreiben des Verwaltungsverfahrens iS von § 8 SGB X zur Erstfeststellung des GdB sowie der Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach dem SGB IX bis zur Bescheidung des Antrags nicht als Rechtsdienstleistung iS des § 2 Abs 1 RDG, sondern als bloße Rechtsanwendung anzusehen. Ein Antragsteller muss bis zur Bescheiderteilung lediglich das von der Behörde vorgefertigte Formular ausfüllen und ihm vorliegende Belege über ärztliche Behandlungen beifügen bzw die ladungsfähigen Anschriften der behandelnden Ärzte angeben. Die Ärzte muss er zudem von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine bloße tatsächliche Mitwirkung, die keine rechtliche Prüfung erfordert.

34

Nach § 69 Abs 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB von wenigstens 20(s § 69 Abs 1 S 6 SGB IX) fest. Entsprechende Feststellungen treffen diese Behörden auch hinsichtlich weiterer gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (§ 69 Abs 4 SGB IX). § 69 Abs 5 S 1 SGB IX bestimmt, dass die zuständigen Behörden auf entsprechenden Antrag des behinderten Menschen "aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale" ausstellen. Den insoweit entscheidungserheblichen Sachverhalt ermittelt die jeweilige Behörde von Amts wegen (§ 20 SGB X). Folglich ist es für den Antragsteller bis zum Erlass des Erst-Bescheides nicht erforderlich, die tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge selbst zu durchschauen.

35

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass vorliegend ausschließlich eine Bewertung der Vertretungstätigkeit in einem erstmaligen Verwaltungsverfahren nach dem SGB IX vorzunehmen ist. Über einen Fall der Abwehr eines (beabsichtigten) Aufhebungsbescheides nach dem SGB IX mit der Erforderlichkeit einer vorherigen Anhörung (§ 24 SGB X) oder zB über den Fall eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV ist vorliegend nicht zu entscheiden.

36

bb) Anders verhält es sich mit der Tätigkeit eines Bevollmächtigten nach Erteilung eines Erstbescheides über den GdB und das Vorliegen der Voraussetzungen für Merkzeichen nach dem SGB IX. Für diesen Teil des Verwaltungsverfahrens ist der Kläger vom Beklagten zu Recht gemäß § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen worden. Insoweit liegt eine Rechtsdienstleistung des Klägers vor, ohne dass er sich auf § 5 Abs 1 RDG (erlaubte Nebenleistung) berufen kann.

37

Nach Erlass des Feststellungsbescheides wird erstmals eine echte (eigene) rechtliche Prüfung des Bevollmächtigten iS des § 2 Abs 1 RDG erforderlich, wenn es darum geht, ob vor dem Hintergrund der rechtlichen Voraussetzungen und der bestehenden funktionalen Einschränkungen Widerspruch eingelegt werden soll. Es müssen die rechtlichen Zusammenhänge in den Blick genommen werden, um beurteilen zu können, ob alle relevanten Tatsachen vollständig und zutreffend gewürdigt worden sind. Aus dem Ergebnis dieser Prüfung folgt dann ggf die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs. Abweichende Verhältnisse sind für den vorliegenden Fall weder tatrichterlich festgestellt (vgl § 163 SGG) noch vom Kläger geltend gemacht worden. Folglich hat für die Zeit nach Erteilung des Bescheides vom 25.5.2009 keine erlaubnisfreie Tätigkeit des Klägers mehr vorgelegen.

38

Die Rechtsdienstleistung des Klägers als Bevollmächtigter des Herrn B in dem Verfahren des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.5.2009 ist nicht nach Maßgabe des § 5 RDG als erlaubt anzusehen. Nach Abs 1 dieser Vorschrift sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild einer anderen Haupttätigkeit gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind (§ 5 Abs 1 S 2 RDG).

39

Nach Auffassung des Senats ist es bereits zweifelhaft, ob die Vertretung von Mandanten im Widerspruchsverfahren nach dem SGB IX zum Berufs- und Tätigkeitsfeld von Steuerberatern gehört. Die Tätigkeit eines Steuerberaters ist die "Hilfeleistung in Steuersachen" (vgl §§ 2, 3 Nr 1, 32, 33 StBerG). Nach § 33 S 1 StBerG haben sie "die Aufgabe, im Rahmen ihres Auftrags ihre Auftraggeber in Steuersachen zu beraten, sie zu vertreten und ihnen bei der Bearbeitung ihrer Steuerangelegenheiten und bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten Hilfe zu leisten". Steuerberatung ist mithin eine auf ein Fachgebiet beschränkte Rechtsberatung mit Berührungspunkten zum außersteuerlichen Recht. Letzteres ist teilweise auch Bestandteil des Steuertatbestandes, wie zB das Gesellschafts-, Erb- und Familienrecht. In diesen Fällen erstreckt sich die Beratungspflicht des Steuerberaters, falls dies mit Blick auf die steuerlichen Gegebenheiten unerlässlich ist, auf "fremde" Rechtsgebiete, wie umgekehrt auch andere Berufe die Verpflichtung haben können, auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 3 S 7 f mwN).

40

Über eine solche Beratungstätigkeit hinaus gehören Verrichtungen auf anderen Rechtsgebieten nicht schon dann zum Berufsbild eines Steuerberaters, wenn bestimmte in diesem Bereich angesiedelte Tatbestände steuerrechtlich relevant sind. Da das Steuerrecht sehr viele Vorgänge erfasst, für die (auch) andere Rechtsvorschriften maßgebend sind, könnten sich Steuerberater sonst nahezu unbeschränkt auf praktisch allen Rechtsgebieten betätigen. Es muss sich vielmehr im Einzelfall um eine Nebenleistung handeln, die ein Steuerberater mit seiner beruflichen Qualifikation ohne Beeinträchtigung des Schutzzwecks des RDG miterledigen kann. Dabei kommt es nicht auf die individuelle Qualifikation, sondern auf die allgemeine juristische Qualifikation des Rechtsdienstleistenden im Rahmen seiner Haupttätigkeit an (vgl BT-Drucks 16/3655 S 54; Dreyer/Müller in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 5 RdNr 30; Weth in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl 2010, § 5 RDG RdNr 12; Kleine-Cosack, RDG, 2. Aufl 2008, § 5 RdNr 66). Insofern ist es von Bedeutung, dass das Schwerbehindertenrecht nicht zu den Prüfungsgebieten der Steuerberaterprüfung gehört (vgl § 37 Abs 3 StBerG). Dass sich das Berufsbild des Steuerberaters ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage auf die Vertretung in Widerspruchsverfahren nach dem SGB IX erstrecken könnte, ist für den Senat nicht ersichtlich.

41

Eine Sonderregelung, wie sie in § 13 Abs 6 SGB X iVm § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG enthalten ist, fehlt für den Bereich des Schwerbehindertenrechts. Nach § 13 Abs 6 SGB X können Personen nicht zurückgewiesen werden, die nach § 73 Abs 2 S 1 und 2 Nr 3 bis 9 SGG zur Vertretung in sozialgerichtlichen Verfahren befugt sind. § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG sieht ua eine Vertretungsbefugnis für Steuerberater in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p SGB IV vor. Dadurch hat der Gesetzgeber unter Anerkennung der in einem bestimmten Bereich rechtsdienstleistenden Tätigkeiten von Steuerberatern bestimmt, dass diese in Verfahren ihrer Auftraggeber gegenüber den Einzugsstellen und bei Betriebsprüfungsverfahren gegenüber den Rentenversicherungsträgern vertretungsbefugt sein sollen. Für das Gerichtsverfahren hat er deren Vertretungsbefugnis damit konkludent auf die ausdrücklich bezeichneten Angelegenheiten beschränkt: "Neu ist die Vertretungsbefugnis der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie der ihnen im Steuerberatungsrecht gleichgestellten Personen und Gesellschaften in sozialgerichtlichen Verfahren, die Angelegenheiten des § 28h und des § 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch betreffen. Mit diesen Verfahren, die die Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags durch die gesetzlichen Krankenkassen (Einzugsstellen) und die Beitragsprüfung betreffen, sind Steuerberater außergerichtlich regelmäßig befasst. Sie sind hier in besonderer Weise sachkundig …" (BT-Drucks 16/3655 S 95; vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 73 RdNr 22). Für das Verwaltungsverfahren ist darin lediglich eine positive Regelung der Vertretungsbefugnis von Steuerberatern zu sehen, die als Sondervorschrift iS von § 3 RDG neben den allgemeinen Bestimmungen des RDG steht, welche die außergerichtliche Rechtsdienstleistung betreffen(aA zB SG Aachen Urteil vom 27.11.2009 - S 6 R 217/08 - DStR 2010, 76 = Juris RdNr 27; nachgehend LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - ASR 2012, 70 RdNr 42). Andererseits scheidet auch eine analoge Anwendung von § 13 Abs 6 SGB X iVm § 73 Abs 2 S 2 Nr 4 SGG auf Feststellungsverfahren nach dem SGB IX mangels Regelungslücke von vornherein aus(vgl dazu LSG NRW Urteil vom 23.2.2011 - L 8 R 319/10 - ASR 2012, 70 RdNr 42 mwN).

42

Unabhängig von den genauen Grenzen des Berufsbildes ist die Beratung und Vertretung von Mandanten nach Erlass eines Feststellungsbescheides nach dem SGB IX unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände keine Nebenleistung eines Steuerberaters iS des § 5 Abs 1 RDG.

43

Der Begriff der Nebenleistung wird in § 5 Abs 1 S 2 RDG umschrieben. Danach kommt es auf den Inhalt, den Umfang und den sachlichen Zusammenhang der Nebenleistung mit der Hauptleistung sowie auf die Rechtskenntnisse an, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Anders als noch im RBerG vorgesehen, ist es nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich, ob die als Nebenleistung erbrachte Tätigkeit selbst auch eine Hauptleistung sein kann oder ob die Haupttätigkeit auch ohne die Nebenleistung überhaupt erbracht werden kann. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des § 5 Abs 1 RDG nicht auf solche rechtlichen Nebenleistungen beschränkt, ohne die, wie zB bei der Erfüllung von Beratungs- und Aufklärungspflichten, die Haupttätigkeit nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden kann(vgl Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts: BR-Drucks 623/06 S 106 ff = Begründung zum Regierungsentwurf in BT-Drucks 16/3655 S 51 ff; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - MDR 2011, 680 = Juris RdNr 35 mwN; BGH Urteil vom 6.10.2011 - I ZR 54/10 - DB 2012, 458 RdNr 22 mwN; BGH Urteil vom 31.1.2012 - VI ZR 143/11 - BGHZ 192, 270 RdNr 11).

44

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der im Regierungsentwurf zu § 5 Abs 1 S 1 RDG nach den Worten "zum Berufs- oder Tätigkeitsbild" enthaltene Satzteil "oder zur vollständigen Erfüllung der mit der Haupttätigkeit verbundenen gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten" im weiteren Gesetzgebungsverfahren wieder gestrichen worden ist. Denn nach der Begründung zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses diente diese Änderung lediglich der Straffung des Nebenleistungstatbestandes unter Vermeidung weiterer Unklarheiten in Bezug auf eine ausufernde Auslegung der Norm. Insbesondere sollte verhindert werden, dass rechtsdienstleistende Nebenpflichten disponibel werden und von dem Vertreter und Vertretenen willkürlich und ohne Zusammenhang mit der eigentlichen Haupttätigkeit vereinbart werden können (vgl hierzu insgesamt BGH Urteil vom 31.1.2012, aaO, RdNr 14 mwN unter Hinweis auf BT-Drucks 16/6634 S 51).

45

Maßgeblich ist, ob die Rechtsdienstleistung nach der Verkehrsanschauung innerhalb der Gesamtleistung ein solches Gewicht hat, dass nicht mehr von einer bloßen Nebenleistung ausgegangen werden kann. Auch eine vorangehende oder nachfolgende Nebenleistung kann noch in einem unmittelbaren und sachlichen Zusammenhang mit der Hauptleistung stehen, wenn sie zum Ablauf oder zur Abwicklung der Haupttätigkeit gehört und nicht selbst wesentlicher Teil der (oder einer) Hauptleistung ist (vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 6.10.2011, aaO, RdNr 23; BGH Urteil vom 4.11.2010 - I ZR 118/09 - Juris RdNr 37 mwN). Die Grenzen der Nebenleistung hat der Gesetzgeber dann angenommen, wenn die Rechtsdienstleistung isoliert als gesonderte Dienstleistung angeboten wird. Entscheidend sei, "ob die Rechtsdienstleistung innerhalb der Gesamtleistung ein solches Gewicht hat, dass für sie die volle Kompetenz eines Rechtsanwalts oder die besondere Sachkunde einer registrierten Person erforderlich ist" (BT-Drucks 16/3655 S 52). Bei der Bewertung der insoweit abzuklärenden Abgrenzungsfragen hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 GG keine enge Auslegung für geboten erachtet. § 5 RDG soll gerade eine weitergehende Zulassung von Nebenleistungen gegenüber der zuvor gültigen Vorschrift des Art 1 § 5 RBerG ermöglichen(vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 4.11.2010, aaO, Juris RdNr 42; BGH Urteil vom 6.10.2011, aaO, RdNr 22; Kleine-Cosack, RDG, 2. Aufl 2008, § 5 RdNr 21).

46

Allerdings ist dabei auch der Sinn und Zweck des RDG in Betracht zu ziehen. Dieser hat in § 1 Abs 1 S 2 RDG seinen Niederschlag gefunden und beinhaltet den Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen(vgl Begründung in BT-Drucks 16/3655 S 51). Dieser Schutz umfasst auch die ordnungsgemäße Geltendmachung von Ansprüchen im Rahmen des Rechtsgewährungsanspruchs als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art 19 Abs 4 und Art 20 Abs 3 GG). Soweit kein Vertretungszwang besteht (vgl zB § 73 Abs 4 SGG) kann ein juristischer Laie im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren seine Interessen auch selbst wahrnehmen; dies geschieht jedoch auf eigene Verantwortung. Bedient er sich dabei eines berufsmäßigen Bevollmächtigten, so kann er bei dessen Tätigkeit eine bestimmte Qualität erwarten, die durch das RDG gesichert werden soll.

47

Vor diesem Hintergrund ist auch zu berücksichtigen, dass Steuerberater auf einem speziellen Teilgebiet des Rechts eine beratende Stellung innehaben, sodass eine Nebentätigkeit von geringem Umfang in anderen Rechtsbereichen mit der Steuerberatertätigkeit in einem sachlichen Zusammenhang stehen kann. Dies ist im Gesetzgebungsverfahren bereits so gesehen worden. Danach sollte der Schwerpunkt der (Haupt-)Tätigkeit stets auf nicht rechtlichem Gebiet liegen, soweit es sich nicht um Dienstleistungen von Angehörigen steuerberatender Berufe oder nach § 10 RDG registrierter Personen handelt(vgl BT-Drucks 16/3655 S 52; BGH Urteil vom 6.10.2011 aaO, RdNr 23).

48

Nach diesen Grundsätzen wertet der erkennende Senat die Tätigkeit des Klägers im Anschluss an die Erteilung des Feststellungsbescheides vom 25.5.2009 nach dem SGB IX nicht als Nebenleistung iS des § 5 Abs 1 RDG. Insbesondere dem in der Schwerbehindertenangelegenheit des Herrn B eingeleiteten Widerspruchsverfahren kommt ein so erhebliches Gewicht zu, dass die darauf bezogene Rechtsdienstleistung für einen Steuerberater nicht den Charakter einer Nebenleistung hat. Die streitigen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht haben weit über das Steuerrecht hinaus Bedeutung. Sie können sich nicht nur auf die Inanspruchnahme aller möglichen Nachteilsausgleiche, sondern zB auch auf das Kündigungsschutz- und Rentenversicherungsrecht auswirken. Überdies hat der Gesetzgeber für die Erstattung von Kosten im Vorverfahren, namentlich von Gebühren eines Bevollmächtigten, in § 63 SGB X eine besondere Regelung vorgesehen(vgl dazu Dreyer/Müller in Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 5 RdNr 18). Als Vorstufe eines Gerichtsverfahrens (vgl § 62 SGB X iVm §§ 78 ff SGG) erfordert das Widerspruchsverfahren typischerweise qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur bei Rechtsanwälten und registrierten Personen iS des § 10 Abs 1 Nr 2 RDG vorausgesetzt werden können(vgl dazu allgemein BR-Drucks 623/06 S 108, 112).

49

cc) Nach Auffassung des Senats ist die von ihm vertretene Auslegung und Anwendung des RDG mit dem GG vereinbar. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit iS von Art 12 Abs 1 GG vor. Hierzu hat der 10. Senat des BSG noch unter der Geltung des RBerG ausgeführt, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Beruf des Steuerberaters "allenfalls eine Beschränkung im Randbereich" der Berufsausübung vorliege, "die das Berufsbild im Kernbereich und die durch den Beruf gesicherte Existenz unbeeinträchtigt" lasse (BSG Urteil vom 13.8.1996 - 10 RKg 8/95 - SozR 3-1300 § 13 Nr 3 zu RdNr 30 nach Juris mwN). An dieser Einschätzung hat sich durch das RDG nichts geändert. Dieses hat zwar im Hinblick auf veränderte gesellschaftliche Berufsbilder und Verkehrsanschauungen eine erforderliche verfassungskonforme Anpassung vorgenommen, aber aus guten Gründen nicht alle Beschränkungen der Berufsausübung im Bereich der Rechtsdienstleistungen aufgehoben.

50

Das BVerfG hat bereits mit Kammerbeschluss vom 16.2.2006 (2 BvR 951/04, 2 BvR 12 BvR 1087/04, NJW 2006, 1502 RdNr 23) noch zum RBerG darauf hingewiesen, dass dieses - wie andere Gesetze auch - einem Alterungsprozess unterworfen sei, da es in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen stehe, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern könne. Dem hat der Gesetzgeber mit dem RDG Rechnung getragen und eine flexiblere, mehr am Einzelfall ausgerichtete Regelung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen getroffen (vgl ua BT-Drucks 16/3655 S 52 f). Diese erlaubt nunmehr auch eine begrenzte Tätigkeit für Steuerberater in Feststellungsverfahren nach dem SGB IX und stellt damit eine Erweiterung der Berufsausübungsfreiheit gegenüber den früheren Verhältnissen dar. Die darüber hinaus weiterhin bestehenden Beschränkungen für Steuerberater stellen damit - nach wie vor - keinen willkürlichen Eingriff in deren Berufsfreiheit und Berufsausübungsfreiheit dar (s hierzu allgemein zuletzt zum Umfang des Schutzbereichs auch unter Darstellung der Liberalisierung des Berufsrechts für Steuerberater: BVerfG Beschluss vom 23.8.2013 - 1 BvR 2912/11 - AnwBl 2013, 825). Denn der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutz des Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen (§ 1 Abs 1 S 2 RDG) stellt eine ausreichende Rechtfertigung für die Intensität des hier vorliegenden Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit von Steuerberatern im Bereich sozialrechtlicher Verwaltungsverfahren dar, soweit es diesen nach wie vor nicht erlaubt ist, als Bevollmächtigte ein Widerspruchsverfahren in Feststellungsverfahren nach dem SGB IX zu betreiben. Für eine Prüfung am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit besteht daneben - soweit es den Kläger betrifft - kein Raum, weil Art 2 Abs 1 GG gegenüber Art 12 Abs 1 GG subsidiär ist (BVerfG Beschluss vom 21.6.2011 - 1 BvR 2930/10 - NZS 2012, 102 RdNr 25 mwN). Auf mögliche Grundrechtspositionen seines Mandanten kann sich der Kläger nicht berufen.

51

Ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht ist daneben weder konkret geltend gemacht worden noch sonst wie ersichtlich.

52

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 155 Abs 1 VwGO.

53

4. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs 2 S 1 und § 52 Abs 1 GKG. Die für die Streitwertbestimmung maßgebende Bedeutung der Sache für den Kläger ist kostenrechtlich mit dem Gebührenanspruch des Bevollmächtigten für das Vorverfahren zu beziffern, auch wenn dieser mit seiner Fortsetzungsfeststellungsklage das Interesse verfolgt, eine Wiederholung seiner Zurückweisung als Bevollmächtigter in außergerichtlichen Verfahren betreffend Schwerbehindertenangelegenheiten nach dem SGB IX in Zukunft zu verhindern. Dieses das Feststellungsbegehren begründende weitere Interesse ist kostenrechtlich nicht von Bedeutung, wenn sich der Streitwert eines Verfahrens bereits aus den gestellten Sachanträgen ergibt (vgl bereits BFHE 119, 405; BSG Beschluss vom 5.10.1999 - B 6 KA 24/98 R -). Der Kläger erstrebt mit seinem Antrag die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses von der Vertretung seines Mandanten B in dem betreffenden konkreten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Darin ist das wirtschaftliche Interesse eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X für ein Vorverfahren enthalten, der sich entsprechend dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) berechnet. Danach ergibt sich eine Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV RVG in Höhe des Schwellenwertes von 240,00 Euro sowie eine Pauschale nach Nr 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro zzgl 19 % Umsatzsteuer (49,40 Euro) nach Nr 7008 VV RVG, insgesamt 309,40 Euro. Vor diesem Hintergrund ist für den Auffangsstreitwert nach § 52 Abs 2 GKG kein Raum.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 2011 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten war im Revisionsverfahren noch streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Einsicht in Aktenunterlagen der Beklagten zusteht, die diese über einen Versicherungsfall eines Mitarbeiters der Klägerin führt.

2

Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie wandte sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 25.4.2008 für das Beitragsjahr 2007, mit dem ein Gesamtbeitrag von 56 604,49 € festgesetzt wurde und in dem anteilig ein Beitragszuschlag in Höhe von 12 631,91 € enthalten war. Der Beitragszuschlag lasse sich nicht nachvollziehen. Die Beklagte übermittelte daraufhin eine Aufstellung der für das Beitragsausgleichsverfahren herangezogenen Kosten. Darin war unter anderem ein Betrag in Höhe von 18 934,15 € für den bei der Klägerin beschäftigten Versicherten B. wegen eines Unfalls am 17.11.2006 enthalten. Die Klägerin begehrte nun eine Kostenaufstellung über die Behandlungskosten des Versicherten B. (Schreiben vom 19.6.2008 und 4.7.2008), denn die in Ansatz gebrachten Kosten dieses Versicherungsfalls seien nicht allein unfallursächlich.

3

Mit Schreiben vom 17.7.2008 und 29.7.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne die Unfallkosten nicht detailliert darlegen, weil die Übermittlung von Sozialdaten nur bei bestehender Übermittlungsbefugnis zulässig sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.8.2008).

4

Die Klägerin hat Klage zum SG erhoben und vorgetragen, es habe sich bei dem Unfall des Versicherten B. nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Weiterhin seien vermeidbare Kosten dadurch entstanden, dass der Versicherte im Krankenhaus nicht richtig behandelt worden sei. Sie legte die Einwilligung des Versicherten B. vom 22.7.2008 zur Einsichtnahme in seine Sozialdaten betreffend die Aufwendungen für den Unfall vom 17.11.2006 vor.

5

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.6.2010) und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe alle von ihr verauslagten Aufwendungen für den Arbeitsunfall des Versicherten B. berücksichtigen dürfen, denn es habe sich nicht um einen vom Beitragszuschlagverfahren ausgenommenen Unfall gehandelt. Der Versicherte B. habe bei seiner Tätigkeit als Zimmermann einen Arbeitsunfall erlitten. Ein unwirtschaftliches Verhalten des Versicherten B. berechtige nicht dazu, etwaige Aufwendungen der Beklagten unberücksichtigt zu lassen. Den Mitgliedsunternehmen sei innerhalb des Beitragsverfahrens nicht jede Rüge der Höhe entstandener Aufwendungen möglich. Ein Akteneinsichtsrecht in die den Versicherten B. betreffende Leistungsakte nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB X bestehe nicht. Die Klägerin sei nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens über den Arbeitsunfall. Ein Anspruch auf Übermittlung der Daten folge auch nicht aus § 1 Abs 1 Satz 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG), über den das SG trotz der grundsätzlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte kraft des sozialrechtlichen Zusammenhangs der vorliegenden Rechtsfrage zu entscheiden habe. Dem Anspruch stehe § 3 Nr 4 und 6 IFG (Schutz des Sozialgeheimnisses und eine Weitergabe von Abrechnungsdaten) entgegen.

6

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom 1.7.2011 ausgeführt, das Begehren auf Akteneinsicht sei als Verpflichtungsklage zulässig. Das Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1 SGB X beinhalte den Anspruch, die Gesamtheit der Schriftstücke, die im Verfahren des um Akteneinsicht ersuchenden Betroffenen von der Behörde angefertigt oder beigezogen wurden, einzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat habe der Klägervertreter aber klargestellt, dass seinem Akteneinsichtsgesuch nicht damit Rechnung getragen sei, wenn mit Fotokopien nur über die Höhe der entstandenen Kosten der für den Versicherten B. erbrachten Aufwendungen Auskunft gegeben werde, ohne dass die zugrunde liegende Diagnose oder therapeutische Maßnahme der entsprechenden Leistungserbringer erkennbar werde. Gemäß § 25 Abs 3 SGB X habe die Beklagte die Einsichtnahme wegen berechtigter Interessen Dritter verweigern dürfen. Der Versicherte B. sei am Beitragsverfahren nicht beteiligt. Soweit er sich im vorliegenden Rechtsstreit mit der Einsichtnahme seines Arbeitgebers in die ihn betreffenden Arztunterlagen einverstanden erklärt habe, sei dies unbeachtlich, weil eine faktische Zwangssituation zu unterstellen sei, die eine freiwillige Einwilligung ausschließe.

7

Das LSG hat die Revision nur wegen des "geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von Akteneinsicht" zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin betreffend den Beitragsbescheid bzw den Beitragszuschlag blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 29.9.2011 - B 2 U 221/11 B). Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 13.9.2011 die Revision wie folgt begründet:

"Dies wird mit der Berufung angegriffen sowie die Beurteilung des Sozialgerichts, dass die festgestellte Gesamthöhe der Aufwendungen nicht zu beanstanden sei.

Soweit das Sozialgericht das Recht der Klägerin auf Akteneinsicht aus den auf Seite 9 des Urteils genannten Vorschriften abgelehnt hat, ist die Klägerin der Auffassung, dass ihr als Betroffener, die Zahlungen zu leisten hat, zumindest ein Akteneinsichtsanspruch sui generis zusteht.

Die Begründung, der Sozialdatenschutz stehe dem Recht auf Akteneinsicht entgegen, wird nicht akzeptiert: Grundsätzlich kann es demjenigen, der eine Leistung, nämlich eine Zahlung zu erbringen hat, die auch zwangsweise gegen ihn durchgesetzt werden kann, nicht verwehrt werden, eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit auszuüben.

Eine Zwangssituation, die die Freiwilligkeit der Zustimmung des Mitarbeiters zur Akteneinsicht ausschließen würde, liegt nicht vor.

Beweis : Zeugnis des bereits genannten Mitarbeiters der Klägerin".

8

Die Klägerin hält dies auf Hinweis des Senats für eine ausreichende Revisionsbegründung.

9

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 2011 und des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. Juli 2008 und 29. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2008 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, durch Überlassung von Fotokopien aus der den Arbeitsunfall des Versicherten B. vom 17. November 2006 betreffenden Unfallakte Auskunft über die unfallbedingten Leistungspositionen, die dem Beitragszuschlag zugrunde liegen, zu erteilen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Ihre Revisionsbegründung vom 13.9.2011 entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsmittel war daher als unzulässig zu verwerfen.

12

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens war nur noch das geltend gemachte Recht auf Akteneinsicht. Das LSG hat die Zulassung der Revision in zulässiger Weise auf diesen Streitgegenstand beschränkt. Eine Teilzulassung der Revision ist bei einem abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs zulässig, auf den der jeweilige Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl zuletzt BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 20 Nr 17 vorgesehen, RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 28a, jeweils mwN). Der Senat ist an diese Entscheidung des LSG gebunden (§ 160 Abs 3 SGG).

13

Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (vgl zuletzt Beschluss des Senats vom 15.6.2012 - B 2 U 32/11 R; sowie BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Die Beiträge Beilage 2011, 254 jeweils mwN). Die Revisionsbegründung soll insbesondere sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27).

14

Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen, auf ein ihm günstiges Urteil Bezug zu nehmen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus seiner Sicht geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 mwN). Notwendig ist also, dass der Revisionsführer die Gründe dafür darlegt, das LSG habe sein Urteil auf eine Verletzung von Bundesrecht (vgl § 162 SGG) gestützt.

15

Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revisionsbegründung vom 13.9.2011 nicht gerecht. Die Klägerin hat noch nicht einmal hinreichend konkret die angeblich verletzte Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG bezeichnet. Sie verweist insofern lediglich auf die vom SG auf Seite 9 dessen Urteils angegebenen Rechtsvorschriften, ohne diese im Einzelnen zu benennen. Dieser Verweis auf die vom SG geprüften Normen zeigt, dass sich die Klägerin mit dem hier angefochtenen Urteil des LSG gerade nicht inhaltlich auseinandergesetzt hat. Die Klägerin wiederholt mit ihrer Revisionsschrift vom 13.9.2011 lediglich weitgehend wörtlich ihren Berufungsschriftsatz vom 23.7.2010, mit dem sie sich in der Berufungsinstanz gegen das Urteil des SG gewandt hatte. Dies zeigt, dass sie sich mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des LSG und den besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens in keiner Weise auseinandergesetzt hat (vgl hierzu auch BSG Urteil vom 30.3.2011, aaO, RdNr 13), weshalb sie in ihrem die Berufungsschrift wiederholenden Schriftsatz vom 13.9.2011 dem BSG als Revisionsgericht auch Beweise anbietet. Soweit die Klägerin in der Begründung weiterhin auf Ausführungen aus dem Urteil des LSG (dort Seite 9) Bezug nimmt und zur Bedeutung der Einwilligung des Arbeitnehmers vorträgt, dass das LSG nicht ohne Beweiserhebung hätte feststellen dürfen, die Einwilligung des Arbeitnehmers sei unbeachtlich, setzt sie sich ebenfalls nicht hinreichend mit den Gründen des Urteils des LSG auseinander. Insbesondere fehlen Ausführungen zu der Norm des Bundesrechts - § 25 Abs 3 SGB X -, die das LSG angewandt hat und zur Frage, welche "berechtigten Interessen" iS dieser Norm einer Akteneinsicht entgegenstehen.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs 1 Satz 1, 183 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

17

Der Streitwert war gemäß § 47 Abs 1 iVm § 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 5000 Euro festzusetzen, weil im Revisionsverfahren lediglich noch das Recht auf Akteneinsicht streitig war, für dessen Bezifferung es an Anhaltspunkten - anders als hinsichtlich des noch in den Instanzen geltend gemachten Beitragszuschlags - fehlt.

Tenor

Die Revision des Klägers und die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2015 werden als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob Geldleistungen einer in der Schweiz ansässigen Pensionskasse der Beitragspflicht in der (deutschen) gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unterlagen und ob bzw für welche Zeiträume insoweit Beiträge zu erstatten sind.

2

Der 1941 geborene Kläger war vom 5.11.1991 bis 31.12.2008 als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Neben einer Rente der (deutschen) gesetzlichen Rentenversicherung bezieht er eine Rente der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung/Invalidenversicherung (AHV-Rente; sog Erste Säule der schweizerischen Altersversorgung) und Geldleistungen der Pensionskasse der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft Neuhausen am Rheinfall (im Folgenden: SIG). Die von der SIG gezahlten Leistungen beruhen auf den Regelungen des schweizerischen Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG-CH; sog Zweite Säule der schweizerischen Altersversorgung).

3

Mit (bestandskräftig gewordenem) Bescheid vom 4.3.1993 stellte die Beklagte fest, dass der von der SIG erhaltene Versorgungsbezug ab 1.11.1992 beitragspflichtig in der GKV sei und setzte entsprechende Beiträge des Klägers fest. Die Erhöhungen der Leistungen der SIG berücksichtigte die Beklagte mit (bestandskräftigen) Beitragsbescheiden vom 27.4.1999, 10.3.2000, 14.3.2001 und 11.2.2002.

4

Nach Einführung des vollen Beitragssatzes für Versorgungsbezüge in der GKV anstelle des bis dahin geltenden halben allgemeinen Beitragssatzes zum 1.1.2004 forderte die Beklagte von dem Kläger ab diesem Zeitpunkt entsprechend höhere Beiträge aus den Leistungen der SIG (Bescheid vom 4.2.2004). Das hiergegen unter Berufung auf die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung anhängig gemachte Widerspruchsverfahren stellte die Beklagte zunächst ruhend. Nachdem das BVerfG mehrere Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen hatte, rief der Kläger das Verfahren wieder auf und machte geltend, es handele sich bei der Rente der Pensionskasse der SIG nicht um Versorgungsbezüge im Sinne von Renten der betrieblichen Altersversorgung. Die Beklagte wertete dieses als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19.5.2011 ab. Der Kläger erhob - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides - dagegen Widerspruch, meinte aber, der Bescheid sei Gegenstand des seit 2004 anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers gegen den Beitragsbescheid vom 4.2.2004 zurück, da sich dieser nur gegen die Verdoppelung der Beitragslast gerichtet habe und unbegründet sei (Widerspruchsbescheid vom 15.7.2011 - KV 112/2011). Zudem wurde (auch im Namen der Pflegekasse) der Widerspruch gegen den Überprüfungsbescheid vom 19.5.2011 zurückgewiesen, da die Rente der SIG zu den einer Rente vergleichbaren Versorgungsbezügen und nicht zu den beitragsfreien gesetzlichen Renten aus dem Ausland zähle (Widerspruchsbescheid vom 15.7.2011 - KV 149/2011).

5

Hiergegen hat der Kläger mit drei Klagen das SG angerufen, zum einen, da zu Unrecht auch über Pflegeversicherungsbeiträge entschieden worden sei, obwohl es an einem Verwaltungsakt der Pflegekasse und an einem gegen sie gerichteten Widerspruch fehle; zum anderen habe die Beklagte zu Unrecht Beiträge aus der Rente der SIG erhoben, die nun zu erstatten seien. Der Kläger hat ferner den Beitragsbescheid vom 4.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides angefochten und die teilweise Erstattung von Beiträgen begehrt.

6

Das SG hat nach Verbindung der drei gesondert erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung den Widerspruchsbescheid vom 15.7.2011 (KV 149/2011) insoweit aufgehoben, als eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 SGB X betreffend Beiträge zur Pflegeversicherung auf die Rente aus der Pensionskasse der SIG abgelehnt worden sei. Darüber hinaus hat es den Bescheid vom 19.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides geändert und festgestellt, dass die Rente des Klägers aus der Pensionskasse der SIG ab 1.6.2002 kein beitragspflichtiger ausländischer Versorgungsbezug mehr gewesen sei, sondern bei-tragsfreier ausländischer Rentenbezug. Das SG hat die Beklagte ferner zur Erstattung der aus der Rente der SIG entrichteten Krankenversicherungsbeiträge ab 1.1.2006 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Schließlich hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 4.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.7.2011 abgewiesen (Urteil vom 11.4.2013).

7

Das LSG hat die Berufung der Beklagten sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen: Das SG habe den insoweit isoliert angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 15.7.2011 mit zutreffender Begründung aufgehoben, soweit darin über Pflegeversicherungsbeiträge entschieden worden sei. Auch der Bescheid vom 19.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei zu Recht teilweise aufgehoben und es sei zutreffend festgestellt worden, dass die auf dem BVG-CH beruhende Rente aus der Pensionskasse der SIG ab 1.6.2002 beitragsfreier ausländischer Rentenbezug gemäß § 228 Abs 1 SGB V gewesen sei, dies mit der Folge, dass die ab 1.1.2006 aus der Rente der Pensionskasse der SIG entrichteten Krankenversicherungsbeiträge zu erstatten seien. Die Anschlussberufung des Klägers bleibe ohne Erfolg, da Erstattungsansprüche für die zu Unrecht erhobenen Beiträge zur GKV für die Zeit vor dem 1.1.2006 verjährt seien (Urteil vom 18.5.2015).

8

Hiergegen wenden sich beide Beteiligte mit ihren Revisionen.

9

Der Kläger rügt eine Verletzung von § 27 SGB IV: Eine rechtswidrig handelnde Behörde wie die Beklagte könne sich wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen. Die Beklagte habe dies auch zu keinem Zeitpunkt getan. Die Entscheidungen der Vorinstanzen seien schon deshalb rechtswidrig, weil sie eine Verjährung von Amts wegen berücksichtigten. Zudem sei eine Hemmung der Verjährung bereits durch die Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 4.2.2004 eingetreten. In diesem Widerspruch sei auch ein Erstattungsantrag zu sehen. § 27 Abs 2 SGB IV müsse verfassungskonform so ausgelegt werden, dass eine Verjährung erst ab Ergehen der Urteile des SG bzw LSG zu laufen beginne. Das LSG-Urteil verstoße gegen Art 14 GG. Im Übrigen genüge die Revisionsbegründung der Beklagten bereits nicht den gesetzlichen Erfordernissen gemäß § 164 Abs 2 S 3 SGG.

10

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

1.    

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2015 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. April 2013 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch die in der Zeit bis zum 31. Dezember 2005 gezahlten auf die monatlichen Geldleistungen der Pensionskasse der SIG Schweizerische Industrie-Gesellschaft Neuhausen am Rheinfall entfallenden Beiträge zur Krankenversicherung zu erstatten,

        

2.    

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2015 zurückzuweisen.

11

Die Beklagte beantragt,

        

1.    

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2015 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. April 2013 insgesamt aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,

        

2.    

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2015 zurückzuweisen.

12

Sie rügt eine Verletzung von § 228 Abs 1, § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 und S 2 SGB V durch das LSG. Zu Unrecht seien die dem Kläger von der Pensionskasse der SIG gewährten Zahlungen als eine der Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Rente eingestuft worden. Richtigerweise handele es sich um einen Versorgungsbezug (Rente der betrieblichen Altersversorgung). Darüber hinaus verteidigt sie das LSG-Urteil gegen die Einwände des Klägers.

Entscheidungsgründe

13

Die Revisionen des Klägers und der beklagten Krankenkasse sind unzulässig (§ 169 SGG). Beide Beteiligten haben ihr Rechtsmittel jeweils nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen des § 164 SGG entsprechenden Weise begründet; auf insoweit bestehende Bedenken hat der Senat die Beteiligten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung bereits hingewiesen.

14

1. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG ist eine Revision fristgerecht und unter Einhaltung bestimmter Mindesterfordernisse zu begründen: Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

15

In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung (vgl nur: BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 und Urteil des Senats vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10, jeweils mwN) im Falle der Rüge der Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts - wie sie vorliegend jeweils im Raum steht - sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb diese Vorschrift im angefochtenen Urteil nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl § 546 ZPO). Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der dort angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl hierzu zB Urteil des Senats vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27, mwN). Insbesondere bedarf es der Darlegung des Revisionsführers, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 10 mwN).

16

Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw der Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat, bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 mwN). Von der notwendigen Durchdringung der Sach- und Rechtslage kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn anhand der Revisionsbegründung nicht erkennbar wird, dass der Revisionsführer auch die - ohne zulässige Verfahrensrügen für das BSG bindenden (§ 163 SGG) - tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils erfasst und seinen rechtlichen Erwägungen zugrunde gelegt hat.

17

Auf der Grundlage dieser an die Revisionsbegründung gestellten Anforderungen ist die Angabe der verletzten Norm notwendig, aber nicht hinreichend (Urteil des Senats vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10). Die Bezeichnung der durch das LSG "verletzten Rechtsnorm" iS von § 164 Abs 2 SGG muss vielmehr berücksichtigen, dass die eigentliche Rechtsverletzung das Ergebnis der Anwendung einer fehlerhaft ausgelegten Norm auf den zugrunde liegenden Sachverhalt ist - erst das Ergebnis eines Subsumtionsschlusses "verletzt" den unterlegenen Beteiligten(vgl BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - Juris RdNr 14, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 164 Nr 4 vorgesehen). Zur Beurteilung, ob im konkreten Fall eine Verletzung durch den Subsumtionsschluss des LSG stattgefunden hat, sind deshalb nicht nur Ausführungen zum rechtlichen Obersatz, sondern auch zu den Tatsachen erforderlich, auf die dieser Obersatz anzuwenden ist - nur dann wird die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsausführungen schlüssig aufgezeigt (= Zweck des Formerfordernisses). Die Revisionsbegründung muss daher auch den wesentlichen Lebenssachverhalt darstellen, über den das LSG entschieden hat. Dies nehmen beide revisionsführenden Beteiligten nicht hinreichend in den Blick.

18

2. Die Revisionsbegründung des Klägers vom 24.8.2015 genügt nicht den vorstehend genannten Anforderungen.

19

Dabei kann offenbleiben, ob es im vorliegenden Fall genügt, dass der Revisionsführer den für die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungsrelevanten, also den vom LSG festgestellten Lebenssachverhalt in eigenen Worten kurz wiedergibt (so bereits BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 4), oder ob darüber hinaus auch ausdrücklich darzulegen ist, dass und an welcher genauen Stelle des Berufungsurteils das LSG bestimmte Tatumstände festgestellt hat (vgl BSG Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; BSG Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - NZS 2015, 838 RdNr 7 = Juris RdNr 7 und die dazu ergangenen Anfragebeschlüsse des 12. Senats an den 5. Senat vom 27.4.2016 - B 12 KR 16/14 R und B 12 KR 17/14 R - sowie vom 29.6.2016 - B 12 KR 2/15 R).

20

Die Mindesterfordernisse an eine zulässige Revision gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG sind auch nach den vom erkennenden Senat bislang aufgestellten Anforderungen nicht erfüllt. Dies gilt selbst unter Heranziehung des weiteren Vortrags des Klägers in seiner Replik auf die Revisionsbegründung der Beklagten als Ergänzung seines früheren Vortrags (Schriftsatz vom 11.4.2016).

21

Die Begründung des Klägers - der der Sache nach begehrt, dass die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verurteilt werden möge, ihm auch die in der Zeit bis 31.12.2005 gezahlten, auf die monatlichen Geldleistungen der Pensionskasse der SIG entfallenden Beiträge zur GKV zu erstatten - lässt nicht erkennen, dass der ihn vertretende Prozessbevollmächtigte die darauf bezogene Rechtslage ausreichend durchdacht hat. Nach der Art und Weise des Vorbringens kann nicht angenommen werden, dass das angefochtene Urteil des LSG insoweit im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels unter Berücksichtigung der prozessualen Besonderheiten des Revisionsverfahrens auch im Hinblick auf den für das BSG maßgebenden - in mehrerlei Hinsicht durchaus unübersichtlichen - Sachverhalt überprüft wurde. Die Revisionsbegründung, die darauf gestützt wird, dass die vor dem 1.1.2006 gezahlten Beiträge entgegen der Ansicht des LSG keineswegs verjährt seien, enthält darauf bezogen bereits keine zusammenhängende Darstellung des vom LSG festgestellten entscheidungserheblichen Sachverhalts, insbesondere keine Schilderung der für die Frage der Erstattungshöhe und der Verjährung wichtigen Details zur Datenlage. Lediglich punktuell erwähnt der Kläger an verschiedenen Stellen seiner Revisionsbegründung einzelne tatsächliche Umstände, zumeist ohne kenntlich zu machen, inwieweit es sich dabei überhaupt um die für den Senat nach § 163 SGG maßgebenden vom LSG festgestellten Tatsachen handelt. Die Revisionsbegründung des Klägers enthält vielmehr nur sporadische Sachverhaltsangaben zum Bezug einer Pensionskassenrente aus der Schweiz und zu den daraus geleisteten Beiträgen zur GKV (Revisionsbegründung S 1 f), zu einem nur "vermeintlich" gestellten Antrag auf Erstattung von Beiträgen, der die Verjährung für die Beiträge bis 31.12.2005 habe eintreten lassen (Revisionsbegründung S 1) und zu einer Erstattungspflicht von Beiträgen "nicht nur ab 2002 sondern … für die ganzen Jahrzehnte des Rentenbezuges" (Revisionsbegründung S 7). Erwähnt werden zudem ein "angeblich" bestandskräftiger, bindender Bescheid vom 4.3.1993, der die Pensionskassenleistung als beitragspflichtigen Versorgungsbezug angesehen habe (Revisionsbegründung S 4), und der Bescheid vom 4.2.2004, der diese Entscheidung "natürlich" wieder mitenthalten habe, mit der Folge, dass eine Hemmung der Verjährung eingetreten sei (Revisionsbegründung S 3 f). Die Revisionsbegründung des Klägers lässt insoweit die Darstellung dafür zentraler Sachverhaltselemente trotz deren offenkundiger Entscheidungserheblichkeit vermissen. So geht aus der Revisionsbegründung schon nicht hervor, welche konkreten einzelnen Beiträge für welche konkreten Zeiträume von ihm getragen wurden und in Höhe welchen Gesamtbetrages sie ihm erstattet werden sollen. Der Kläger formuliert nur in pauschaler Weise als für ihn zentrale Rechtsfragen, ob eine Behörde, "die rechtswidrig gehandelt hat, sich überhaupt auf die Verjährung überhaupt berufen darf", ob die Verjährung beginnt, bevor der Erstattungsanspruch "überhaupt zu laufen beginnt" und ob die Vorschrift des § 27 SGB IV verfassungsgemäß sei(Revisionsbegründung S 2). Dies geschieht, ohne die für die Prüfung der Verjährung seines Beitragserstattungsanspruchs - zumal bei dem hier vorliegenden komplexen Sachverhalt - entscheidungserheblichen Feststellungen des LSG darzustellen und auch, (sollte er damit nicht einverstanden sein) ohne dass etwa Verfahrensrügen zu den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Feststellungen erhoben werden (vgl § 163 Halbs 2 SGG).

22

3. Die Revisionsbegründung der Beklagten vom 24.8.2015, die im Revisionsverfahren ihre Ansicht weiterverfolgt, dass die dem Kläger von der Pensionskasse der SIG gewährten Zahlungen nicht Rentenleistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, sondern Versorgungsbezügen der betrieblichen Altersversorgung entsprächen, genügt den vorstehend unter 1. dargestellten allgemeinen Anforderungen des § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG ebenfalls nicht. Die - schon zum Zweck der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision dazu notwendige - hinreichende Durchdringung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags der Beklagten in ihrer Replik auf die Revisionsbegründung des Klägers in ihrem Schriftsatz vom 12.10.2015.

23

Auch die Beklagte erwähnt lediglich punktuell an verschiedenen Stellen ihrer Revisionsbegründung vereinzelt tatsächliche Umstände, ohne kenntlich zu machen, inwieweit es sich dabei um die für den Senat nach § 163 SGG maßgebenden vom LSG festgestellten Tatsachen handelt und die für die Subsumtion unter die als "verletzt" gerügten Vorschriften des materiellen Rechts(hier: § 228 Abs 1, § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 und S 2 SGB V) entscheidungserheblich sind. Die Revisionsbegründung der Beklagten enthält nur äußerst knappe Sachverhaltsangaben zu den von der Pensionskasse der SIG an den Kläger geleisteten Zahlungen (Revisionsbegründung S 1) auf der Grundlage des BVG-CH (Revisionsbegründung S 2). Die Darstellung derjenigen zentralen Sachverhaltselemente, die für die og Subsumtion im Einzelnen bedeutsam und geeignet sind, die von der Beklagten begehrte Entscheidung des Senats unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile herbeizuführen, unterbleibt im Revisionsvorbringen. So benennt die Beklagte schon nicht den zwischen den Beteiligten konkret betroffenen Zeitraum der Beitragszahlungen zur GKV, dies, obwohl es darauf wegen der sowohl im Inland als auch im zwischen- und überstaatlichen Recht im Zeitablauf geänderten Rechtslage für die Entscheidungsfindung offenkundig für die Frage ankommt, ob bzw in welcher Höhe aus den Leistungen einer schweizerischen Pensionskasse Beiträge zur deutschen GKV zu entrichten sind (vgl dazu näher die zum Gesamtkomplex ergangenen weiteren Urteile des Senats vom 30.11.2016 - B 12 KR 22/14 R und B 12 KR 3/15 R). Auch rügt die Beklagte nur abstrakt eine vom LSG vermeintlich zu Unrecht angenommene Vergleichbarkeit der vom Kläger bezogenen ausländischen Leistungen mit deutschen Rentenleistungen (Revisionsbegründung S 1 ff), ohne die dazu getroffenen Feststellungen des LSG zum Inhalt des Leistungsbezugs im konkreten Fall darzustellen. Diese Feststellungen sind nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil von den Tatsacheninstanzen zum ausländischen Recht getroffene Feststellungen, die darauf beruhende Rechtsauslegung und die daraus für das ausländische Recht gezogenen Schlussfolgerungen grundsätzlich unverändert der Entscheidung über die Revision zugrunde zu legen sind; denn es handelt sich insoweit nicht um revisibles Recht iS des § 162 SGG(vgl BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25; BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4, RdNr 14).

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

                 

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Für die Vollstreckung gilt das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.

(2) Die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit sind nicht anzuwenden.

(3) An die Stelle der sofortigen Beschwerde tritt die Beschwerde (§§ 172 bis 177).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Beteiligte am Verfahren sind
1. der Kläger,
2. der Beklagte,
3. der Beigeladene.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

A. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 10. November 2006 (Klageeingang beim Finanzamt --FA--) bis zum 26. März 2013 (Zustellung des Urteils) vor dem Hessischen Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der im Klageverfahren verstorbene Ehemann (E) der Klägerin war als Bürgermeister einer Stadt im Jahre 1987 wegen versuchter umweltgefährdender Abfallbeseitigung angeklagt worden. Er wurde Ende 1996 durch ein Urteil des zuständigen Landgerichts verwarnt und mit einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM belegt. Nach seiner Verurteilung legte er wegen der langen Verfahrensdauer zunächst Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und anschließend Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Im Jahr 2001 entschied der EGMR, neun Verhandlungsjahre seien im Vergleich zum Strafmaß nicht zu rechtfertigen und stellten folglich einen Verstoß gegen Art. 6 § 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten dar. E wurde deshalb neben einem Betrag von 10.000 DM für immaterielle Schäden ein Betrag von weiteren 15.000 DM für Auslagen und Gerichtskosten zugesprochen.

3

Für die Vertretung im Verfahren vor dem BVerfG entstanden Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in Höhe von 28.681 DM und im Verfahren vor dem EGMR solche in Höhe von 20.050,72 DM, wovon 12.518,72 DM im Jahr 2000 in Rechnung gestellt und bezahlt wurden.

4

Die Klägerin und der mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagte E machten unter Anrechnung des vom EGMR ausgeurteilten Betrages von 15.000 DM die Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1997 geltend. Das FA erkannte diese Aufwendungen weder als außergewöhnliche Belastungen noch als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des E an.

5

Nach erfolglosem Vorverfahren reichten die Klägerin und E die Klageschrift am 10. November 2006 beim FA ein, die an das FG weitergeleitet wurde. Bis zum 19. Februar 2008 wurden Schriftsätze der Beteiligten ausgetauscht.

6

Am 5. November 2008 bat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin um Mitteilung, wann mit einem Fortgang des Verfahrens zu rechnen sei. Der Berichterstatter verfügte unter Verwendung eines entsprechenden Formulars, dass aufgrund zahlreicher vorrangig zu bearbeitender anderer Streitsachen derzeit leider noch nicht absehbar sei, wann im Ausgangsverfahren eine Entscheidung anstehe. Eine erneute Sachstandsanfrage der Prozessbevollmächtigten vom 8. Dezember 2009 wurde entsprechend formularmäßig beantwortet.

7

Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2010 verzichteten die Klägerin und E aufgrund eines Telefonats ihres Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter des FG vom gleichen Tag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 12. Oktober 2010 ging die Verzichtserklärung des FA beim FG ein, die dem Prozessbevollmächtigten am 13. Oktober 2010 übersandt wurde.

8

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 wies das FG die Beteiligten auf die geänderte Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Abziehbarkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen hin. Der sich hieran anschließende Schriftwechsel der Beteiligten endete mit Übersendung des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten vom 31. Oktober 2011 an das FA am 8. November 2011.

9

Mit Schreiben vom 22. November 2011 erhoben die Klägerin und E "vorsorglich die Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG)". Gleichzeitig übersandten sie eine Kopie des Beschlusses des BVerfG vom 13. Februar 1997  2 BvR 135/97, den das FG bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 angefordert hatte. Am 6. Dezember 2011 ergänzten die Prozessbevollmächtigten ihre bisherigen Stellungnahmen.

10

Am 4. Juni 2012, beim FG eingegangen am 6. Juni 2012, wiederholten die Prozessbevollmächtigten ihre "bereits geltend gemachte Verzögerungsrüge" und erkundigten sich am 14. Dezember 2012 beim FG erneut nach dem Stand des Verfahrens.

11

Das FG teilte den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 mit, mit einer Entscheidung sei voraussichtlich im 1. Quartal 2013 zu rechnen. Mit Urteil vom 19. März 2013, das den Prozessbevollmächtigten am 26. März 2013 zugestellt worden ist, wies das FG die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zwischenzeitlich zurückgewiesen worden (BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2013 VI B 41/13, nicht veröffentlicht).

12

Am 3. Mai 2013 haben die Klägerin und E die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Sie weisen darauf hin, die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Finanzgerichtsverfahren betrage nach einer Statistik des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich 17,5 Monate. Im vorliegenden Verfahren hätten die Klägerin und E gerade unter dem Eindruck der zu Gunsten des E ergangenen Entscheidung des EGMR und des hohen Alters der Kläger eine zügige Entscheidung erwarten können.

13

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, ihr, auch als Alleinerbin des verstorbenen E, wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen FG 12 K 3431/06 eine Entschädigung in Höhe von 8.400 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

15

Das Verfahren habe zwar insgesamt fünf Jahre und vier Monate keine Förderung durch das Gericht erfahren. Allerdings sei die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) erhoben worden. Relevant sei allein die am 6. Juni 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge. Somit sei die Zeit vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 ohne Belang. Ggf. könne eine Rückwirkung dieser Verzögerungsrüge bis zum Inkrafttreten angenommen werden. Deswegen komme allenfalls eine Entschädigung in Höhe von 1.200 € für die neun Monate ab Zugang der Verzögerungsrüge am 6. Juni 2012 und die Hälfte der sechs Monate bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG in Frage.

Entscheidungsgründe

16

B. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

17

Die Klage ist zulässig, da sie mehr als sechs Monate nach der (letzten) Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012, aber noch vor Rechtskraft der finanzgerichtlichen Entscheidung (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG) erhoben worden ist. Das Urteil wurde mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 Abs. 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Beschluss vom 11. Oktober 2013 rechtskräftig.

II.

18

Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Soweit diese unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens den Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 betrifft, kann weder eine Entschädigung in Geld noch die Feststellung der Unangemessenheit ausgesprochen werden, da es an der nach Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nötigen unverzüglichen Rügeerhebung fehlt (dazu unter 1.). Für den Zeitraum ab der Rügeerhebung vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin auch als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.200 € zu (dazu unter 3.).

19

1. Für den Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin --auch als Alleinerbin des E-- weder ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG noch eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu, da eine unverzüglich i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhobene Rüge nicht vorliegt. Diese Ansprüche sind deshalb präkludiert.

20

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. Für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits verzögert waren, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich" nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). Weder die Rüge vom 22. November 2011 (unter aa) noch die vom 4. Juni 2012 erhobene Rüge (unter bb) werden dieser Voraussetzung gerecht. Der Senat kann demzufolge eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG für den Zeitraum bis zum 6. Juni 2012 (unter cc) nicht aussprechen.

21

aa) Die am 22. November 2011 erhobene "vorsorgliche Verzögerungsrüge" kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tag nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Eine bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht (so auch Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.b).

22

bb) Die Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 wurde nicht mehr "unverzüglich nach Inkrafttreten" i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhoben.

23

Der Senat hat bereits entschieden, dass im Rahmen der gebotenen normspezifischen Auslegung des in Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG verwendeten Begriffs "unverzüglich" ein Zeitraum von drei Monaten als sachgerecht anzusehen ist (so schon Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.d; insoweit folgend auch Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 10. April 2014 III ZR 335/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1967; ebenso BGH-Urteil vom 17. Juli 2014 III ZR 228/13, NJW 2014, 2588). Dieser Zeitraum ist vorliegend überschritten.

24

b) Folge der nicht "unverzüglich nach Inkrafttreten erhobenen" Verzögerungsrüge ist nach Ansicht des Senats, dass zunächst die Zuerkennung einer Geldentschädigung vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG entfällt (vgl. Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.b). Nach Ansicht des BGH in NJW 2014, 1967, unter II.1.d aa soll darüber hinaus ein solcher Anspruch nach § 198 GVG für den Zeitraum, der vom Inkrafttreten bis zur Erhebung einer solchen Verzögerungsrüge verstrichen ist, ausgeschlossen sein; dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG. Mit Rücksicht auf diese Entscheidung und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes schließt sich der Senat dieser Rechtsansicht an und hält an seiner im Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12 (BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547) geäußerten Rechtsansicht im Anwendungsbereich des Art. 23 ÜberlVfRSchG nicht weiter fest.

25

Folglich ist hier eine ggf. vorliegende Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer für die Zeit vor der Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 nicht möglich.

26

2. Bezogen auf den Zeitraum ab Erhebung der Verzögerungsrüge war die Dauer des Ausgangsverfahrens unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich auf sechs Monate.

27

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG (vgl. hierzu und zum Begriff der Angemessenheit im Finanzgerichtsverfahren ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2.).

28

b) Nach diesen Grundsätzen ist das Ausgangsverfahren für den Zeitraum nach Erhebung der Verzögerungsrüge um sechs Monate in unangemessener Weise verzögert worden.

29

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

30

Der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens war als eher überdurchschnittlich anzusehen. Einerseits waren Aufwendungen im Zusammenhang mit Rechtsanwaltskosten bei einem Verfahren vor dem EGMR zu beurteilen, für die eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vorlag. Zum anderen befand sich die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen, wenn auch den Zivilprozess betreffend, im Fluss.

31

Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war für die Klägerin und E erheblich. Zum einen waren beide Eheleute bei Klageerhebung im Ausgangsverfahren hoch betagt und zum anderen hatten sie bereits ein Verfahren vor dem EGMR wegen eines überlangen Strafverfahrens anstrengen müssen. Verständlicherweise war ihr Wunsch nach endgültiger Klärung der Streitigkeiten groß, zu denen aus ihrer Sicht auch der Finanzgerichtsprozess um die Anerkennung der Rechtsanwaltsgebühren als Annex zu dem vorangegangenen Strafverfahren und den Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR zu zählen ist.

32

bb) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 unangemessen ist, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

33

Im Juni 2012 hatte das Ausgangsverfahren bereits fünfeinhalb Jahre gedauert. Faktisch hat es bis zu diesem Zeitpunkt geruht und wurde --trotz der Verzögerungsrüge am 4. Juni 2012-- erst dadurch aufgenommen, dass das FG im Dezember 2012 eine Entscheidung im 1. Quartal 2013 in Aussicht stellte. Demgemäß ist im Zeitraum von Juni 2012 bis November 2012 (insgesamt sechs Monate) eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens eingetreten.

34

3. Für die Verzögerung des Verfahrens von der Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 bis zum November 2012 ist der Klägerin eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 1.200 € zuzusprechen.

35

a) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.6.a).

36

b) Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall für die unangemessenen Verzögerungszeiträume ab Inkrafttreten des Gesetzes nicht ausreichend. Dafür spricht vor allem, dass das FG auf die zahlreichen Versuche der Klägerin und des E, es zu einer Entscheidung innerhalb angemessener Frist zu bewegen, gar nicht reagiert und ihnen nicht einmal einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat, ab dem mit einer Verfahrensförderung zu rechnen sei. In diesem Fall ist offensichtlich, dass die Klägerin und E aus nachvollziehbaren Gründen an einer zügigen Entscheidung interessiert und infolgedessen von der Verfahrensverzögerung in stärkerem Maße betroffen waren.

37

c) Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich weder aus dem hohen Alter der Klägerin und des E noch daraus, dass dieses Ausgangsverfahren seinen Ursprung in einem erfolgreichen Verfahren vor dem EGMR hatte.

38

Auch wenn im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, kann dieser im konkreten Fall nach Monaten bemessen werden (ebenso bereits Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179).

39

d) Der Klägerin ist für den erlittenen immateriellen Nachteil für sich und E jeweils ein Entschädigungsbetrag von 600 € zu zahlen.

40

aa) Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Er ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht dementsprechend jeder Person zu, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist (weiterführend: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014  5 C 1/13 D, Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3). Verfahrensbeteiligt waren bei Klageerhebung die Klägerin und ihr während des Klageverfahrens verstorbener Ehemann, als dessen Alleinerbin die Klägerin das Klageverfahren fortführt.

41

bb) Der Entschädigungsanspruch des E ist vererblich, entspricht die Entschädigung doch einem Schadensersatzanspruch für immaterielle Schäden (zur Vererblichkeit eines solchen Anspruchs vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 253 BGB Rz 22, m.w.N.).

42

Diese Vererblichkeit wird auch nicht durch die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ausgeschlossen (so auch Zöller/ Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 198 GVG, Rz 11, unter Hinweis auf Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rz 267). Zwar bestimmt diese Vorschrift, dass "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage (...) der Anspruch nicht übertragbar (ist)". Diese Vorschrift, die § 13 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nachgebildet worden ist, soll jedoch allein die Pfändbarkeit nach § 851 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und damit den Handel mit dem Anspruch verhindern (vgl. BTDrucks 17/3802, 36).

43

4. Der Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

44

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

45

Die Klägerin und E haben eine Entschädigung in Höhe von 8.400 € beantragt.

46

Der Klägerin ist --auch als Alleinerbin des E-- eine Entschädigung in Höhe von 1.200 € zuzusprechen, so dass sie zu 1.200/8.400, also zu 1/7 obsiegt hat.

47

6. Mit Einverständnis der Beteiligten (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 155 Satz 2 FGO) hat der erkennende Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.