Bundesgerichtshof Urteil, 23. Apr. 2013 - X ZR 169/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die W. Ges.m.b.H. & Co. KG mit Sitz in I. war Inhaberin des europäischen Patents 957 066 (Streitpatents). Das Patentgericht hat auf die Nichtigkeitsklage der Klägerinnen das Streitpatent mit Urteil vom 16. Oktober 2008 teilweise für nichtig erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Am 9. Dezember 2008 ist über das Vermögen der Patentinhaberin in Österreich das Konkursverfahren als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden.
- 2
- Gegen die teilweise Klageabweisung richtet sich die am 23. Dezember 2008 eingelegte und am 16. April 2009 begründete Berufung der Klägerinnen. Der (nunmehr beklagte) Konkursverwalter hat das Streitpatent übertragen; die Erwerberin ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.
- 3
- Die Klägerinnen haben die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt, nachdem der Verwalter das parallel geführte Verletzungsverfahren aufgenommen, aber die Aufnahme des Nichtigkeitsverfahrens abgelehnt hat.
Entscheidungsgründe:
- 4
- Der Rechtsstreit ist von den Klägerinnen nach Art. 15 EuInsVO i.V.m. § 99 Abs. 1 PatG, §§ 250, 240 Satz 1 ZPO, § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO wirksam aufgenommen worden.
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- 1. Das Patentnichtigkeitsverfahren ist durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Beklagten in Österreich gem. Art. 15 EuInsVO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden.
- 6
- 2. Ob die Klägerinnen den Rechtsstreit wirksam aufgenommen haben, richtet sich nach deutschem Recht. Ebenso wie für die Auswirkung des österreichischen Konkursverfahrens auf den vor deutschen Gerichten anhängigen Rechtsstreit ist auch für die Frage, wer zur Aufnahme des Rechtsstreits befugt ist, nach Art. 15 EuInsVO die lex fori und nicht die lex loci concursus maßgeblich (Rauscher/Mäsch, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 2010, Art. 15 EuInsVO Rn. 1 ff.; Paulus, Europäische Insolvenzverordnung, 2010, Art. 15 EuInsVO Rn. 6; Pannen/Damann, Europäische Insolvenzverordnung, 2007, Art. 15 EuInsVO Rn. 11 f.; Braun/Ehret, InsO, 5. Aufl. 2012, § 352 Rn. 9). Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich damit nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften.
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- 3. Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufnahme des Rechtsstreits wirksam. Denn das Patentnichtigkeitsverfahren ist eine Rechtsstreitigkeit, die die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse betrifft und damit als Passivprozess außer durch den Insolvenzverwalter auch vom Gegner aufgenommen werden kann.
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- a) Ob dem aus einem Patent in Anspruch genommenen Verletzer in der Insolvenz des Patentinhabers hinsichtlich des die Klagegrundlage bildenden Patents entsprechend § 47 InsO ein Aussonderungsrecht zuzubilligen ist und er demzufolge zur Aufnahme eines unterbrochenen Patentnichtigkeitsverfahrens befugt ist, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden (offengelassen in BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 - X ZR 79/06, GRUR 2010, 861 Rn. 29 - Schnellverschlusskappe).
- 9
- Hierzu wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass dem Kläger für den Fall der Insolvenz des Patentinhabers die Möglichkeit der Aufnahme des Patentnichtigkeitsverfahrens gegeben werden müsse, wenn er vom Insolvenzverwalter aus dem Streitpatent in Anspruch genommen werde. Das Patent könne Gegenstand der Aussonderung sein, wenn mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werde, dass dem Streitpatent die Schutzvoraussetzungen fehlten und das Schutzrecht deshalb nicht zur Masse gehöre (Keukenschrijver/Engel, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl. 2011, Rn. 495). Mit entsprechenden Erwägungen hat das Bundespatentgericht für das Einspruchsverfahren die Anwendung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO bejaht (BPatG, Beschluss vom 2. Februar 2012 - 23 W (pat) 339/05 Rn. 45, ZInsO 2012, 1090).
- 10
- b) Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Gegenstand des in § 86 InsO geregelten Teilungsmassestreits sind Streitigkeiten über Ansprüche gegen den Schuldner, die unmittelbar auf eine Minderung der Teilungsmasse abzielen (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 86 Rn. 3). Damit ist bei einem Passivprozess entscheidend, ob den Insolvenzgläubigern eine Minderung der Teilungsmasse droht. Aus diesem Grund kann eine negative Feststellungsklage, mit der der Kläger die Feststellung des Nichtbestehens eines vom Schuldner in Anspruch genommenen Rechts begehrt, ein Teilungsmassestreit sein (Braun/ Kroth, InsO, 5. Aufl. 2012, § 86 Rn. 4; Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 86 Rn. 6; HK/Kayser, InsO, 6. Aufl. 2011, § 86 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Wittkowski/ Kruth, InsO, 24. ErgLf. 2012, § 86 Rn. 4; Uhlenbruck aaO Rn. 1 mwN). Ebenso betrifft eine gegen den Insolvenzschuldner gerichtete, auf ein gewerbliches Schutzrecht gestützte Unterlassungsklage nach verbreiteter Auffassung nach ihrem sachlichen Gehalt einen Aussonderungsanspruch und unterfällt damit § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Karsten Schmidt, ZZP 1977, 38, 51; Andres/Leithaus, InsO, 2. Aufl. 2011, § 86 Rn. 3; Braun/Kroth aaO § 86 Rn. 4; Jaeger/Windel aaO Rn. 13, 16; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth aaO Rn. 4; Uhlenbruck aaO Rn. 8; s. auch HK/Kayser aaO Rn. 8; differenzierend MünchKomm.InsO/ Schumacher, 2. Aufl. 2007, § 86 Rn. 15). Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber zwar eine den Gläubiger nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO zur Aufnahme berechtigende Masseverbindlichkeit angenommen (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - I ZR 158/07, GRUR 2010, 536 - Modulgerüst II). Er hat dies aber damit begründet, dass die Verwirklichung des Verletzungstatbestands nicht dazu führe , dass die Produkte nicht zur Insolvenzmasse gehörten. Gerade hierum geht es aber, nicht anders als bei der negativen Feststellungsklage, bei der Patentnichtigkeitsklage. Die Klage, mit der der vom Insolvenzverwalter als Verletzer in Anspruch Genommene die mangelnde Patentfähigkeit des Gegenstands des Patents geltend macht, entzieht im Falle ihres Erfolges das Patent und die auf das Patent gestützten Ansprüche gegen den Verletzer als Vermögensrechte der Teilungsmasse. Sie tritt damit auch an die Stelle einer negativen Feststellungsklage , mit der eine vom Schuldner als Verletzer in Anspruch genommene Partei das Nichtbestehen solcher Ansprüche wegen Patentverletzung geltend macht. Denn da das Bestehen solcher Ansprüche im Patentverletzungsprozess nicht mit der Begründung geleugnet werden kann, dem Gegenstand des Patents fehle die Patentfähigkeit, wird das Ziel eines solchen Feststellungsbegehrens mit der erfolgreichen Patentnichtigkeitsklage erreicht, die sämtlichen aus dem Patent abgeleiteten Ansprüchen des Schuldners die Grundlage entzieht und damit die Teilungsmasse mindert.
- 11
- 4. Der Entscheidung über die Wirksamkeit der Aufnahme durch Zwischenurteil steht nicht entgegen, dass die Berufung, wie der Beklagte und seine Streithelferin meinen, ohnedies als unzulässig zu verwerfen wäre. Einlegung und Begründung der Berufung durch die Klägerinnen sind nicht nach § 249 Abs. 2 ZPO unwirksam, weil sie während der Zeit der Unterbrechung vorgenommen worden sind. Denn die Vorschrift ist allein auf Prozesshandlungen anzuwenden , die dem Gegner gegenüber vorzunehmen sind, nicht aber auf die Einlegung eines Rechtsmittels bei Gericht (BGH, Urteil vom 30. September 1968 - VII ZR 93/67, BGHZ 50, 397, 400; Urteil vom 21. Juni 1995 - VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563; Urteil vom 16. Januar 1997 - IX ZR 220/96, NJW 1997, 1445). Ob es an einer wirksamen Zustellung der Berufungs- sowie der Berufungsbegründungsschrift gefehlt hat, kann offenbleiben, da der Beklagte jedenfalls gemäß § 295 ZPO auf die Rüge des Mangels verzichtet hat, indem er in der mündlichen Verhandlung die Zurückweisung der Berufung beantragt und damit zur Sache verhandelt hat.
Hoffmann Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.10.2008 - 3 Ni 30/06 (EU) -
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Die Aufnahme eines unterbrochenen oder ausgesetzten Verfahrens und die in diesem Titel erwähnten Anzeigen erfolgen durch Zustellung eines bei Gericht einzureichenden Schriftsatzes.
(1) Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie betreffen:
- 1.
die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmasse, - 2.
die abgesonderte Befriedigung oder - 3.
eine Masseverbindlichkeit.
(2) Erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Rechtsstreits nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Patentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen.
(2) Eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts findet nur statt, soweit dieses Gesetz sie zuläßt.
(3) Für die Gewährung der Akteneinsicht an dritte Personen ist § 31 entsprechend anzuwenden. Über den Antrag entscheidet das Patentgericht. Die Einsicht in die Akten von Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents wird nicht gewährt, wenn und soweit der Patentinhaber ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dartut.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
Die Aufnahme eines unterbrochenen oder ausgesetzten Verfahrens und die in diesem Titel erwähnten Anzeigen erfolgen durch Zustellung eines bei Gericht einzureichenden Schriftsatzes.
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
(1) Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie betreffen:
- 1.
die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmasse, - 2.
die abgesonderte Befriedigung oder - 3.
eine Masseverbindlichkeit.
(2) Erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Rechtsstreits nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.
(1) Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie betreffen:
- 1.
die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmasse, - 2.
die abgesonderte Befriedigung oder - 3.
eine Masseverbindlichkeit.
(2) Erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Rechtsstreits nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
Wer auf Grund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, daß ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, ist kein Insolvenzgläubiger. Sein Anspruch auf Aussonderung des Gegenstands bestimmt sich nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten.
(1) Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie betreffen:
- 1.
die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmasse, - 2.
die abgesonderte Befriedigung oder - 3.
eine Masseverbindlichkeit.
(2) Erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Rechtsstreits nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
(1) Die Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens hat die Wirkung, dass der Lauf einer jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Unterbrechung oder Aussetzung die volle Frist von neuem zu laufen beginnt.
(2) Die während der Unterbrechung oder Aussetzung von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen sind der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung.
(3) Durch die nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung eintretende Unterbrechung wird die Verkündung der auf Grund dieser Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht gehindert.
(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.
(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.