Bundesgerichtshof Urteil, 06. Nov. 2002 - 5 StR 281/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Gegenstand des Verfahrens ist die Tötung von vier Menschen, die zwischen 1984 und 1989 unbewaffnet und ohne Gefährdung anderer versuchten , die DDR über die damalige Grenze nach Berlin (West) zu verlassen.
Die Anklage wirft den Angeklagten folgendes vor: Sie hätten während ihrer jeweiligen Mitgliedschaft im Politbüro des Zentralkomitees der SED der DDR einen Totschlag durch Unterlassen begangen. Dabei werden den Angeklagten B und L die Tötungen der Flüchtlinge Bi , S und G (Fälle 2 bis 4) zur Last gelegt. Dem Angeklagten H wird jedenfalls die Tötung des Flüchtlings M Sch (Fall 1) vorgeworfen. Die Frage, ob der Anklagevorwurf gegen diesen Angeklagten auch die Tötung der drei Flüchtlinge Bi , S und G – insbesondere begangen durch eine Mit- wirkung am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 – umfaßt, wird vom Landgericht und der Staatsanwaltschaft unterschiedlich beurteilt.
Das Landgericht hat die Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hat im wesentlichen folgendes festgestellt: Der Angeklagte H war Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED vom 24. Mai 1984 bis zum 22. November 1985. Er hatte zahlreiche Kontakte in die Bundesrepublik Deutschland und unternahm „kleine Schritte“, um „in Fragen der Grenze und der Freizügigkeit eine Änderung zum Besseren herbeizuführen“. Auch nach seiner Wahl zum Mitglied des Politbüros war er „bestrebt, unter Ausnutzung seiner guten Kontakte durch realistische Schritte und Verbesserungen mit Langzeitwirkung konkrete Erfolge zu erreichen ... Diese seine Bemühungen scheiterten jedoch bereits am 17. August 1984, als der Generalsekretär Erich Honecker auf einer Geheimsitzung in Moskau der sowjetischen Führung die Gründe für seine geplante Reise in die Bundesrepublik Deutschland und in diesem Zusammenhang die von dem Angeklagten H vorformulierten Überlegungen und Vorstellungen zu einem verbesserten Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland im humanitären Bereich vortrug und auf strikte Ablehnung seitens der Sowjetunion stieß.“ Die Angeklagten B und L waren Mitglieder des Politbüros vom 21. April 1986 bis November 1989.
Der Flüchtling Sch wurde am 1. Dezember 1984 beim Überklettern der Berliner Mauer durch Schüsse der Grenzsoldaten der DDR getroffen und verblutete. Am 24. November 1986 wurde Bi bei dem Versuch, die Grenzsperranlagen zu überwinden, von Schüssen der Grenzposten der DDR tödlich getroffen. Am 12. Februar 1987 wurde S bei dem Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden, von Grenzposten der DDR erschossen. Am 5. Februar 1989 wurde G bei dem Versuch, die Grenzsperranlagen zu überwinden, durch Grenzposten der DDR beschossen; er erlag einem Brustdurchschuß.
Einen aktiven Beitrag der Angeklagten zu diesen Tötungen hat das Landgericht nicht festgestellt.
Das Landgericht hat die Freisprüche im wesentlichen mit folgendem begründet: Die Angeklagten hätten sich nach dem Strafrecht der DDR nicht strafbar gemacht. Zwar habe ihnen eine Pflicht zur Abwendung der Todeserfolge im Sinne des § 9 StGB-DDR oblegen. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Regelungen in Art. 1 und Art. 30 Abs. 2 der Verfassung der DDR von 1968 und in Art. 6 und 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II 1534 – IPbürgR –). Wenn den Angeklagten auch – angesichts begrenzter Entscheidungsfreiheit der DDR innerhalb des Warschauer Paktes – nicht der Vorwurf zu machen sei, nicht auf einen gänzlichen Abbau der Sperranlagen hingewirkt zu haben, so hätten sie doch die Pflicht gehabt, auf eine „Humanisierung“ des Grenzsystems, namentlich auf eine Einhaltung der Gesetze der DDR, insbesondere des Grenzgesetzes der DDR hinzuwirken. Solches sei ihnen auch zumutbar gewesen. Jedoch fehle es an der Kausalität zwischen Handlungsbeitrag und Erfolg, die nach dem Strafrecht der DDR „eindeutig bewiesen“ sein müsse.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren Revisionen gegen die Freisprüche der drei Angeklagten. Die Nebenklägerin, Mutter des Getöteten Bi , greift mit ihren Revisionen die Freisprüche der Angeklagten B und L an. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
A.
Die den Freisprüchen zugrundeliegende Ansicht des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich durch das ihnen zur Last gelegte Unterlassen nicht strafbar gemacht, weil es nach dem Recht der DDR an der Kausalität zwi-
schen ihrem jeweiligen Verhalten und den eingetretenen Todeserfolgen mangele, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Auszugehen ist von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach für die Tötungen von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze nicht nur die Schützen, die jeweils die tödlichen Schüsse abgegeben haben, und die militärischen Vorgesetzten der Schützen, sondern auch diejenigen Personen strafrechtlich verantwortlich sein können, die politische Verantwortung für das Grenzregime der DDR trugen (vgl. dazu die Dokumentationen bei Laufhütte in Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs , 2000, S. 409, 418 ff. und Willnow JR 1997, 221, 224 ff.; Marxen /Werle, Strafjustiz und DDR-Unrecht Bd. 2 – zwei Teilbände – Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze 2002). Allen in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist jedoch gemein , daß sie ein aktives Tun der jeweiligen Beteiligten zum Gegenstand haben. Dagegen geht es im vorliegenden Verfahren um die Frage, ob die Angeklagten wegen bloßen Unterlassens für die Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze strafrechtlich verantwortlich sein können. Diese Frage ist zu bejahen.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben die Angeklagten sich strafbar gemacht. Sie haben nach dem Recht der DDR durch Unterlassen eine Beihilfe zum Mord (§ 112 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Nr. 3, § 9 StGB-DDR) und nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland einen Totschlag durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft (§§ 212, 13, 25 Abs. 1 StGB) begangen.
I.
Nach dem Recht der DDR gilt folgendes:
1. Die jeweiligen Schützen haben sich wegen Mordes nach § 112 Abs. 1 StGB-DDR strafbar gemacht (vgl. zu den hier vorliegenden Tötungsfällen BGHSt 39, 1 und 168; BGH, Beschl. vom 1. November 1995 – 5 StR 527/95; ferner BGHSt 40, 218, 231; 45, 270, 295). Zu den Taten dieser Täter führt eine ununterbrochene Verantwortlichkeitskette, ausgehend von den Trägern grundsätzlicher politischer Entscheidungen, vom Politbüro über den Nationalen Verteidigungsrat, das Ministerium für Nationale Verteidigung und die militärische Hierarchie der Grenztruppen der DDR. Diese Kette stellt sich in der Bewertung nach dem Strafrecht der DDR folgendermaßen dar: Die Mitglieder des Politbüros begingen mit ihrer Zustimmung zu entsprechenden Beschlüssen dieses Gremiums eine Anstiftung zum Mord (BGHSt 45, 270, 295). Ebenso begingen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates mit ihrer Beteiligung an dessen Beschlüssen eine Anstiftung zum Mord (BGHSt 40, 218, 228, 231 f.; BGHSt 45, 270, 286 ff.). In Verfahren gegen die Generäle der Grenztruppen der DDR, deren Mitwirkung an Jahresbefehlen jeweils zu den hier gegenständlichen Tötungsfällen führte, hat der Bundesgerichtshof in Bestätigung der jeweiligen tatrichterlichen Urteile entschieden, daß die am Erlaß der Jahresbefehle beteiligten Offiziere wegen Anstiftung oder – soweit sie lediglich ihren Vorgesetzten zugearbeitet haben – wegen Beihilfe zum Mord schuldig sind (so BGHSt 44, 204 für die Befehlsebene 101; BGH, Beschl. vom 30. April 1997 – 5 StR 42/97 – und Beschl. vom 4. April 2000 – 5 StR 635/99 – für die Befehlsebene 80; BGH, Beschl. vom 8. November 1999 – 5 StR 732/98 – für die Befehlsebenen 40 und 20). Die jeweiligen Vergatterer der Schützen, deren Tatentschluß bereits durch die zuvor erfolgte generelle Befehlserteilung geweckt war, haben eine Beihilfe zum Mord begangen (BGHSt 47, 100; BGH, Beschl. vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 375/01; Beschl. vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 462/01 – und Beschl. vom 6. November 2001 – 5 StR 455/01).
2. Die Angeklagten wirkten an der Spitze dieser Verantwortungskette mit und haben sich damit strafbar gemacht. Die Angeklagten haften zwar weder aus den Gesichtspunkten der mittelbaren Täterschaft oder der Mittäterschaft noch wegen Anstiftung zum Mord, wohl aber wegen Beihilfe zum Mord (dazu unten 3).
a) Mittelbare Täterschaft scheidet aus. § 22 Abs. 1 StGB-DDR definiert als mittelbaren Täter denjenigen, der die Tat durch einen anderen, der für diese Tat selbst nicht verantwortlich ist, ausführen läßt (vgl. Strafrecht der DDR, Kommentar zum StGB 5. Aufl. 1987 – fortan als „DDR-Kommentar“ zitiert – § 22 Anm. 3). Diese Voraussetzungen sind hier deshalb nicht gegeben , weil die unmittelbar handelnden Personen selbst verantwortlich sind (vgl. BGHSt 40, 218, 229, 231).
b) Mittäterschaft nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 StGB-DDR liegt deshalb nicht vor, weil diese nach Rechtsprechung und Lehre der DDR voraussetzt, daß jeder der Beteiligten die Tatbestandsmerkmale unmittelbar selbst verwirklicht (OG NJ 1971, 242; DDR-Kommentar § 22 Anm. 5; Mühlberger NJ 1973, 287, 288; vgl. BGH aaO).
c) Anstiftung (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR) zu einem Tötungsdelikt kommt deshalb nicht in Betracht, weil Anstiftung durch Unterlassen dem Recht der DDR fremd ist (DDR-Kommentar § 22 Anm. 4; Strafrecht der DDR Allgemeiner Teil, Lehrbuch 2. Aufl. 1978 S. 379). Anstiftung durch Unterlassen wird auch bei Anwendung des Strafgesetzbuches weitgehend nicht anerkannt (Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 26 Rdn. 5; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 56; Roxin in LK 11. Aufl. § 26 Rdn. 61 ff. je m. w. N.), gehörte mithin nicht etwa zu den elementaren, auch bei Anwendung und Auslegung des Strafrechts in der DDR fraglos anerkannten Grundlagen des allgemeinen Strafrechts.
3. Die Angeklagten haben sich jedoch wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord strafbar gemacht. Beihilfe durch Unterlassen ist nach dem Recht der DDR gegeben, wenn der betreffenden Person eine Rechtspflicht nach § 9 StGB-DDR obliegt, gegen die strafbare Handlung des Täters einzuschreiten, und das Verhalten des Gehilfen die Straftat tatsächlich ermöglicht oder erleichtert hat (DDR-Kommentar § 22 Anm. 6). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Die Angeklagten leisteten durch ihr Unterlassungsverhalten Beihilfe zu den Mordtaten der Schützen. Die beschriebene ununterbrochene Anstiftungskette verbindet die Taten der Schützen mit den Taten der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates, so daß die Beihilfe zu den letztgenannten Taten Beihilfe zu den Taten der Schützen ist. Wenngleich eine solche „Kettenteilnahme“ – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Schrifttum der DDR keine ausdrückliche Erwähnung findet, ist sie gleichwohl nach dem Recht der DDR möglich. Dies ergibt sich schon daraus, daß nach der Systematik des § 22 StGB-DDR die „begangene Straftat“, zu der der Gehilfe im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 3 StGB-DDR Hilfe leistet, auch eine Anstiftung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR sein kann. Zudem hat sich das Strafrecht der DDR, soweit es nicht besondere neue Regelungen traf, von den überkommenen elementaren Grundsätzen der Straftatlehre nicht entfernt. Zu diesen Grundsätzen zählt die Regel, daß in der Beihilfe zur Anstiftung eine Beihilfe zur Haupttat liegt (RGSt 14, 318, 320; 59, 396, 397). Hiervon ist der Senat bereits ausgegangen, als er durch Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 StPO die Verurteilung von Offizieren der Grenztruppen der DDR auch insoweit bestätigt hat, als diesen Verurteilungen eine Beihilfe zum Mord nach dem Recht der DDR zugrunde gelegt war (vgl. oben 1).
a) Die Angeklagten hatten als Mitglieder des Politbüros die Pflicht im Sinne des § 9 StGB-DDR, in diesem Gremium darauf hinzuwirken, daß die Tötung von Personen unterblieb, die einzig vorhatten, unbewaffnet aus der DDR oder Berlin-Ost in den westlichen Teil Deutschlands zu gelangen.
aa) Die nach § 9 StGB-DDR relevante Pflicht zum Handeln kann sich gemäß der dortigen enumerativen Aufzählung der möglichen Pflichtenquellen (vgl. DDR-Kommentar § 9 Anm. 2) namentlich aus dem Gesetz und aus dem Beruf des Täters ergeben. Soweit die Rechtspflichten des Täters sich nicht von vornherein aus einer Rechtsnorm oder aus schriftlichen Unterlagen wie einem Arbeitsvertrag oder einem Funktionsplan ergeben, ist auf Grund der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit festzustellen, welche Rechtspflichten im Sinne des § 9 StGB-DDR bestehen; hierfür kommen auch „ungeschriebene“ Pflichten in Betracht (Wittenbeck/Pompoes NJ 1971, 475, 476). Dabei gelten für eine derartige Erfolgsabwendungspflicht – in Abgrenzung von den einfachen strafrechtlichen Handlungspflichten (vgl. dazu Wittenbeck NJ 1971, 201) – zwei wesentliche Kriterien. Zum einen muß die Pflicht aus einer besonderen Verantwortung für den Schutz des verletzten Objektes, die sich aus der gesellschaftlichen Stellung oder aus dem Beruf ergibt, resultieren. Zum anderen muß die Pflicht direkt auf die Vermeidung und Abwendung von Schäden und Gefahren abzielen (Strafrecht der DDR, Lehrbuch 1988 S. 202). Solches kann sich insbesondere „aus der konkreten gesellschaftlichen Stellung des Täters“ (Wittenbeck/Pompoes aaO S. 477) und aus „rechtlich relevanten Verantwortungsbeziehungen“ ergeben, wofür „die leitende Stellung und Funktion eines Bürgers“ (Strafrecht der DDR aaO S. 203) an erster Stelle steht. In diesem Sinne hat das Oberste Gericht der DDR Betriebsleiter und andere leitende Mitarbeiter eines Betriebes für verantwortlich im Sinne des § 9 StGB-DDR erachtet (OG NJ 1976, 719). Es hat damit seine Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des StGB-DDR vom 12. Januar 1968 (GBl. I S. 1) fortgesetzt, wonach Personen in Führungsverantwortung – wie Betriebsleiter (OGSt 2, 105; 3, 318), Schulleiter (OGSt 9, 216, 220) und selbständige Unternehmer (OGSt 4, 80; 9, 292) – in gleicher Weise als Unterlassungstäter verantwortlich gemacht worden waren.
bb) Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, daß die Angeklagten als Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der SED der DDR im Sinne
des § 9 StGB-DDR verpflichtet waren, gegen das praktizierte Grenzregime in der DDR einzuschreiten.
(1) Die Rechtspflicht der Mitglieder des Politbüros zum gebotenen Handeln folgt zunächst aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 30 Abs. 1 und 3 der Verfassung der DDR von 1968 – fortan „VerfDDR“ –, ergänzend aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Danach war der Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit in der DDR garantiert.
(a) Dies folgt schon aus dem Verfassungsrecht der DDR. Art. 30 VerfDDR lautet in seinen Absätzen 1 und 3:
„(1) Die Persönlichkeit und Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar.
(3) Zum Schutze seiner Freiheit und der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeit hat jeder Bürger den Anspruch auf die Hilfe der staatlichen und gesellschaftlichen Organe.“
Wenngleich Leben und körperliche Unversehrtheit in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich genannt sind, war doch im Verfassungsrecht der DDR anerkannt , daß auch diese Rechtsgüter der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 30 Abs. 1 VerfDDR unterfielen. So sagt der Kommentar zur Verfassung der DDR: „Der Schutz der Persönlichkeit und Freiheit umfaßt nicht nur den Schutz der körperlichen Unversehrtheit, des Lebens und der Gesundheit ...“ (Verfassung der DDR, Kommentar 1969 Art. 30 Anm. 1; vgl. auch Brunner, Menschenrechte in der DDR 1989 S. 111, 113; BGHSt 39, 1, 23). Allerdings steht Art. 30 VerfDDR in Kapitel 1 unter der Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten der Bürger“. Diese Grundrechte der Bürger waren zwar subjektive Rechte und wurden zugleich als Menschenrechte bezeichnet (Staats-
recht der DDR, Lehrbuch 2. Aufl. 1984 S. 180/181). Dabei wurden die Be- griffe Grundrechte, Bürgerrechte und Menschenrechte auswechselbar benutzt (Klenner in Klaus/Buhr, Philosophisches Wörterbuch 12. Aufl. 1976 Bd. 2 S. 779; Kuczynski, Menschenrechte und Klassenrechte 1978 S. 33; vgl. auch Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie 3. Aufl. 1980 S. 413 ff.). Sie wurden jedoch nicht als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat verstanden (Haney Staat und Recht 1962, 1063, 1069 f.; Riege in Poppe u.a., Politische und persönliche Grundrechte in den Kämpfen unserer Zeit 1984 S. 55). Hintergrund dessen war, daß nach dem Staatsverständnis der DDR „gesellschaftliche Erfordernisse“, Staatsziele und Bürgerinteressen deckungsgleich waren (Klenner aaO S. 782; grundsätzlich dazu Klenner, Studien über die Grundrechte 1964; Klenner, Marxismus und Menschenrechte 1982; Kuczynski aaO jeweils passim). Gleichwohl wurde diesen Grundrechten in der Staatsrechtslehre der DDR im Rahmen einer „wechselseitigen Verantwortung von Staat und Bürger" (Riege aaO) ausdrücklich der Charakter einer „Schutzfunktion“ zugunsten der Bürger zugeschrieben (Riege aaO; Schüßler Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1982, 1200, 1205; ähnlich Verfassung der DDR, Kommentar aaO; vgl. auch Poppe Staat und Recht 1980, 674, 679; Bradter, Moral – Motiv – Verhalten 1976 S. 44). Es wurde gar ausdrücklich formuliert, daß der Staat „den Schutz der persönlichen Freiheiten der Bürger gegen einen gesetzwidrigen Eingriff einzelner Staatsorgane, Staatsfunktionäre und Bürger, wenn notwendig, durch positives Handeln zu garantieren“ habe (Marxistisch-leninistische allgemeine Theorie des Staates und des Rechts 1975 Bd. 3 S. 284), daß der Staat verpflichtet sei, „aktiv gewisse Menschenrechte zu sichern dadurch, daß er ständig zu ihrem Schutz eingreift – etwa im Falle des Menschenrechts auf Sicherheit“ (Kuczynski aaO S. 38). Danach sind die Vorschriften des Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR als ein im Sinne des § 9 StGB-DDR pflichtbegründendes Gesetz zu verstehen.
(b) Es treten die Vorschriften der Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom
19. Dezember 1966 (IPbürgR) hinzu. Der Senat hat in seinem Urteil BGHSt 39, 1, 16 f. ausgeführt, daß dieser Pakt die DDR völkerrechtlich band, obwohl die DDR es nach Beitritt und Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde unterlassen hat, den Pakt gemäß Art. 51 VerfDDR zum Anlaß für innerstaatliche Gesetzesänderungen zu nehmen und von der Volkskammer „bestätigen“ zu lassen.
(c) Schließlich tritt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948) hinzu, deren rechtliche Bedeutung der Senat in seinem Urteil BGHSt 40, 241, 245 ff. beschrieben hat.
(2) Die Angeklagten waren als Mitglieder des Politbüros persönlich zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit auch derjenigen Bürger der DDR verpflichtet, die die DDR gewaltlos verlassen wollten. Zu den nach Art. 30 Abs. 3 VerfDDR zur Hilfe berufenen staatlichen und gesellschaftlichen Organen zählte in erster Linie das Politbüro. Die politische Macht in der DDR ging von einem Herrschaftszentrum aus. Dieses umfassend und unkontrolliert herrschende Führungszentrum der DDR war das Politbüro des Zentralkomitees der SED, die für alle Bereiche der DDR einen Alleinführungsanspruch erhob. Dieser Alleinführungsanspruch der SED war verfassungsrechtlich gesichert durch Art. 1 Abs. 1 VerfDDR:
„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“
Das Politbüro war das höchste Entscheidungsgremium der SED und damit das höchste Machtorgan der DDR. Jede grundsätzliche politische Entscheidung wurde im Politbüro gefällt. Das Politbüro befaßte sich insbesondere mit der Außen-, der Sicherheits- und der Innenpolitik. Es regelte grundle-
gende übergreifende Bereiche auch in Detailfragen. Die Entscheidungen des Politbüros hatten absolute Bindungswirkung für die Mitglieder der SED, deren Aufgabe es war, die Beschlüsse des Politbüros insbesondere durch den vollständig instrumentalisierten Staatsapparat zu verwirklichen. Auch gegenüber dem Ministerium für Nationale Verteidigung und den Streitkräften beanspruchte das Politbüro eine führende Rolle, die es mit Hilfe der Kadernomenklatur und der sogenannten Politorgane verwirklichte. Dies hat der Senat in seinem Urteil BGHSt 45, 270, 280 ff. ausführlich dargestellt.
b) Danach waren die Angeklagten verpflichtet, ihre Machtposition als Mitglieder des Politbüros in der Weise zu nutzen, daß sie auf eine Änderung des praktizierten Grenzregimes der DDR im Sinne eines Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Flüchtlingen hinwirkten. Zur Erreichung des Ziels einer solchen Humanisierung des Grenzregimes wäre nicht etwa die Öffnung der Grenzen der DDR zum westlichen Teil Deutschlands oder der Abbau der mechanischen Sperrwerke an dieser Grenze erforderlich gewesen. Vielmehr hat die Praxis der DDR bei besonderen Anlässen, wie Staatsbesuchen und Parteitagen, als Erschießungen an der Grenze – scil. Nachrichten hiervon – vermieden werden sollten, gezeigt, daß etwa eine Postenverdichtung an der Grenze es ermöglichte, Flüchtlinge handgreiflich zu stellen, statt sie aus größerer Entfernung zu erschießen (vgl. BGHSt 45, 270, 303). Zumindest in diesem Sinne hatten die Angeklagten sich im Politbüro zu äußern und entsprechende Anträge zu stellen.
c) Das Unterlassen der Angeklagten war für die von den Schützen begangenen Tötungshandlungen jedenfalls in der Weise kausal, die nach dem Recht der DDR für die Beihilfe vorausgesetzt wird.
aa) Für die Kausalität der Beihilfe genügt danach, daß das Verhalten des Gehilfen die Straftat „tatsächlich ermöglicht oder erleichtert“ hat (DDRKommentar § 22 Anm. 6). Dies ist hier erfüllt. Die Verantwortlichen auf allen Ebenen – vom Nationalen Verteidigungsrat bis hin zu den Schützen – han-
delten in dem Bewußtsein, daß ihr Tun vom höchsten Führungsorgan der DDR, dem Politbüro des Zentralkomitees der SED, getragen und gebilligt war. Dies stärkte ihre Motivation zur Begehung ihrer jeweiligen Taten.
bb) Anderes ergibt nicht etwa der Gedanke, daß die Angeklagten mit der ihnen gebotenen Initiative naheliegenderweise am Widerstand einer Mehrheit der anderen Mitglieder des Politbüros gescheitert wären, sie die weitere Tötung von Flüchtlingen also nicht verhindert hätten. Es ist nämlich in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR anerkannt, daß mehrere sich parallel verhaltende Täter regelmäßig für den eingetretenen Erfolg nebeneinander strafrechtlich verantwortlich sind. Dies gilt zunächst für den Fall mehrerer parallel, aber unabhängig voneinander aktiv vorgehender Täter (OGSt 3, 330) und für die Fälle, in denen ein Täter aktiv handelt und daneben ein Handlungspflichtiger untätig bleibt (OGSt 8, 204; 9, 325 m. Anm. Wittenbeck NJ 1967, 484; OGSt 14, 147). Insbesondere hat das Oberste Gericht der DDR in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, daß die strafrechtliche Haftung eines Unterlassungstäters nicht etwa dadurch ausgeschlossen ist, daß andere in gleicher Weise Handlungspflichtige ebenfalls untätig geblieben sind (so OGSt 2, 105, 108 zum Fall paralleler Verantwortlichkeit des Bergbaubetriebsleiters und Angehöriger mehrerer Bergbauaufsichtsbehörden ; OGSt 9, 255, 263 f. betreffend mehrere zum Brandschutz verpflichtete Betriebsangehörige; OGSt 9, 292 für das Verhältnis von Fahrzeughalter und Fahrzeugreparateur; OGSt 11, 223, 232 betreffend zwei Ärzte, die nebeneinander eine rechtzeitige Operation unterließen; OG NJ 1976, 719 betreffend mehrere leitende, für die Maschinensicherheit verantwortliche Betriebsmitarbeiter). Hierzu ist hervorzuheben, daß in allen diesen Fällen die Kausalität von täterschaftlichem Unterlassen, nicht etwa die Ursächlichkeit bloßer durch Unterlassen begangener Beihilfe in Rede stand.
cc) Soweit im Kommentar zum StGB-DDR als weitere Voraussetzung der Kausalität der Beihilfe genannt ist, daß der Täter die ihm gewährte Unterstützung ausgenutzt haben müsse, während nur straflose versuchte Bei-
hilfe vorliege, wenn der Täter von der Unterstützung des Gehilfen keinen Gebrauch gemacht habe (DDR-Kommentar § 22 Anm. 6), bleiben dabei ersichtlich die Fälle der Beihilfe durch Unterlassen außer Betracht, die indes in der genannten Kommentierung – unmittelbar davor – bestätigend erläutert wird.
dd) Der Strafbarkeit der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord steht schließlich keinesfalls entgegen, daß nicht festzustellen ist, die Schützen, die die jeweils tödlichen Schüsse abgegeben haben, seien bereits zu ihren Taten entschlossen gewesen, als die Angeklagten sich jeweils pflichtwidrig verhielten. Allerdings findet sich im Kommentar zum StGB-DDR im Rahmen der Umschreibung der Beihilfe die Wendung , daß der Gehilfe „den zur Ausführung der Tat bereits entschlossenen Täter“ unterstützt (aaO § 22 Anm. 6). Dies ist jedoch nicht etwa dahin zu verstehen , daß nur dem als omnimodo facturus handelnden Täter Beihilfe geleistet werden könnte. Vielmehr handelt es sich bei der genannten Passage erkennbar um eine Abgrenzung zur Anstiftung, die nach der gleichen Kommentierung eine „vorher nicht gewollte Straftat“ voraussetzt (aaO § 22 Anm. 4). Gemeint ist mit den beiden zitierten Wendungen, daß vom Teilnehmer ausgehende Impulse, die den Tatentschluß des Täters erst auslösen, nicht – nur – die nach der Systematik des § 22 StGB-DDR (Abs. 2 Nr. 1 und 3, Abs. 4 Satz 1) letztrangige und minderstrafwürdige Beihilfe konstituieren, sondern regelmäßig eine Anstiftung begründen werden (vgl. Strafrecht der DDR Allgemeiner Teil Lehrbuch 2. Aufl. 1978 S. 376 f.). Entsprechendes hat der Senat mit seinen Ausführungen in BGHSt 40, 218, 229, 231 und 45, 270, 302 bereits zum Ausdruck gebracht.
d) Auch die Zumutbarkeit des sub b beschriebenen Verhaltens war gegeben. Während die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens des Handlungspflichtigen in der kommentierenden und in der systematischen Darstellung des Strafrechts der DDR keinen Platz – gar im Sinne einer gesonderten Voraussetzung der Haftung des Unterlassungstäters – findet, ist diese Zu-
mutbarkeit doch vom Obersten Gericht der DDR formuliert worden: Danach wird der Rettungspflichtige von seiner Hilfspflicht nicht dadurch befreit, daß er im Fall der Hilfeleistung mit Strafverfolgung rechnen muß, sofern es um die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr geht (OGSt 3, 192 f.). Dementsprechend war den Angeklagten – angesichts der jederzeit akuten Gefährdung des Lebens von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze – das gebotene Tun auch zuzumuten. Diskriminierungen oder gar Amtsverlust hätten sie hinnehmen müssen.
II.
Nach dem Strafgesetzbuch haben die drei Angeklagten sich auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen wegen Totschlags , begangen in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen, strafbar gemacht.
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen anerkannt (BGHSt 40, 257, 265 ff.).
Auch im Schrifttum wird mittelbare Täterschaft in der Form der Unterlassung für möglich gehalten (so Baumann JuS 1963, 85, 91; Baumann /Weber/Mitsch, Strafrecht AT 10. Aufl. S. 624; Blei, Strafrecht AT 18. Aufl. S. 260; Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 845 f.; Maurach /Gössel/Zipf, Strafrecht AT Teilbd. 2, 7. Aufl. S. 280; Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 706; in diesem Sinne auch Brammsen NStZ 2000, 337). Dagegen wird von anderen Autoren die Rechtsfigur der mittelbaren Unterlassungstäterschaft abgelehnt oder als obsolet erachtet (Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 25 Rdn. 54 f.; Grünwald GA 1959, 110, 122; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT 5. Aufl. S. 673; Armin Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte 1959, S. 190; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 216 sowie Täterschaft und Tatherrschaft 7. Aufl. S. 471 f.; Stratenwerth,
Strafrecht AT I 4. Aufl. S. 403; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 206). Manche der genannten Autoren nehmen statt mittelbarer Täterschaft „unmittelbare Unterlassungstäterschaft“ an (so Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 216; ähnlich Jescheck/Weigend aaO), was für die Praxis auf ein gleichwertiges Ergebnis hinausläuft.
In der bisherigen rechtswissenschaftlichen Diskussion ist die hier vorliegende Konstellation, daß mehrere – jedenfalls, wie hier, gleichrangige – Inhaber zentraler staatlicher Macht es gleichzeitig pflichtwidrig unterlassen, ein bestehendes, von ihren Weisungen abhängiges hierarchisch organisiertes System zu ändern, das die Gefahr jederzeitiger rechtswidriger Tötung von Menschen birgt, nicht in den Blick genommen worden, so daß sie auch in den genannten kritischen Stellungnahmen keine Beachtung findet. Schließlich kann die Anwendung der Regeln über die mittelbare Täterschaft auf die Fälle des Unterlassens nicht daran scheitern, daß im Fall des Unterlassens ein „Anstoß“ durch den Hintermann fehlt (so aber Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft 7. Aufl. S. 471), ein „wirklicher Geschehensablauf gerade nicht herbeigeführt wird“ (so aber Stratenwerth aaO; ähnlich Grünwald aaO). Denn mittelbare Täterschaft setzt weder eine Aktivität des Täters noch eine Kausalität nach dem für aktives Tun geltenden Regeln voraus. Grundlage der Haftung des pflichtwidrig untätigen Hintermannes ist vielmehr allein, daß das Handeln Dritter ihm wegen seiner Tatherrschaft zugerechnet wird (vgl. Schmidhäuser aaO). Diese Zurechnung ersetzt – im Vergleich zur aktiven mittelbaren Täterschaft – sein Tun. Fragen der Kausalität haben ihren Platz an anderer Stelle.
2. Es führt die oben (sub I. 1.) beschriebene ununterbrochene Verantwortungskette von den Mitgliedern des Politbüros über die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und die militärischen Befehlsgeber zu denjenigen Soldaten der Grenztruppen, die jeweils die tödlichen Schüsse auf die Flüchtlinge abgegeben haben. In dieser Kette haben die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und die Mitglieder des Politbüros sich jeweils
– durch ihr aktives Verhalten, nämlich durch ihre Mitwirkung an Beschlüssen dieser Gremien – wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht. Dies hat der Senat in den Urteilen BGHSt 40, 218 und 45, 270 ausführlich dargelegt. Er hat dabei namentlich im Verhalten dieser Träger höchster staatlicher Macht der DDR das Phänomen gefunden, das Roxin (LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 128; NJW Sonderheft für Gerhard Schäfer 2002, 52 ff.) „Organisationsherrschaft“ nennt: Der Hintermann eines uneingeschränkt schuldhaft handelnden Täters kann dann mittelbarer Täter sein, wenn er durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen bei Befehlshierarchien verschiedenster Art in Betracht. Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns , ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Er besitzt insbesondere die Tatherrschaft (BGHSt 40, 218, 236; 45, 270, 296).
Dieser Bewertung des aktiven Tuns von Mitgliedern des Politbüros entspricht auch das Verhalten der Angeklagten – mit der hinzutretenden Besonderheit , daß sie (nur) wegen Unterlassungstäterschaft haften. Auch sie hatten das im Urteil BGHSt 45, 270, 303 f. beschriebene eigene Tatinteresse und die Tatherrschaft.
3. Hier liegt jeweils ein unechtes Unterlassungsdelikt im Sinne des § 13 StGB vor. Die Angeklagten hatten als Mitglieder des Politbüros rechtlich dafür einzustehen, daß die verfahrensgegenständlichen Tötungen nicht geschahen. Diese ihre Garantenpflicht folgt schon aus Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR. Es treten die Vorschriften der Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des IPbürgR sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinzu. Insoweit gelten zunächst die gleichen Gesichtspunkte, wie sie oben (sub I. 3. a) für die Rechtslage in der DDR beschrieben sind. Ergänzend zu dieser
in konkreten Normen zu findenden Grundlage der Garantenpflicht der Ange- klagten ergibt sich, daß die Angeklagten nach den materiellen Kriterien für die Bestimmung einer Garantenstellung gar unter zweierlei Gesichtspunkten garantenpflichtig waren: Es wird unterschieden zwischen solchen Garantenpflichten einerseits, die daraus resultieren, daß der Garant eine Schutzpflicht für bestimmte Rechtsgüter hat, und andererseits solchen Garantenpflichten, die sich aus der Pflicht zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen ergeben (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 19 ff.; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 13 Rdn. 9 ff.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 13 Rdn. 5b, 5c; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT Teilbd. 2, 7. Aufl. S. 197 ff.; ähnlich Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 800 ff.). Beide Aspekte kommen hier zum Tragen. Die Angeklagten waren sowohl „Überwachungsgaranten“ als auch „Beschützergaranten“. Als Mitglieder des höchsten Machtorgans der DDR waren sie verpflichtet, das im Laufe der Jahre errichtete Grenzregime der DDR, von dem eine jederzeit akute Lebensgefahr für friedliche Flüchtlinge ausging, in der Weise zu überwachen und zu steuern, daß eine Tötung solcher Flüchtlinge unterblieb. Zum anderen waren die Angeklagten nach Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR verpflichtet, das Leben eines jeden Bürgers der DDR zu schützen (oben sub I. 3. a bb).
4. Danach war es den Angeklagten geboten, sich, wie oben (sub I. 3. b) beschrieben, im Politbüro durch Äußerungen und Anträge für eine Änderung des Grenzregimes im Sinne einer Humanisierung desselben und damit zur Rettung des Lebens der Flüchtlinge aktiv einzusetzen. Unter dem Gesichtspunkt der Handlungspflicht der Angeklagten bleibt es ohne Bedeutung , daß es ungewiß ist, ob die Angeklagten durch die ihnen gebotenen Aktivitäten jeweils das Leben der Opfer tatsächlich gerettet hätten. Nur die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens läßt die Handlungspflicht entfallen (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Zumutbarkeit 1 [= JR 1994, 510 m. Anm. Loos], Zumutbarkeit 2; vgl. auch Puppe in Nomos-Kommentar, StGB 5. Lfg. vor § 13 Rdn. 110; Samson StV 1991, 182, 185). Solches liegt hier nicht vor.
5. Das Unterlassen der Angeklagten war im Sinn der im Bereich des unechten Unterlassens geltenden Kausalitätsregeln für die den Angeklagten jeweils zuzurechnenden Tötungsfälle „quasi-ursächlich“. Dabei sind einem jeden Angeklagten diejenigen Tötungsfälle zuzurechnen, die sich nach seinem Eintritt ins Politbüro bis zu einer dort erfolgten ausdrücklichen Beschlußfassung über die Fortgeltung des Grenzregimes im Sinne von BGHSt 45, 270 zugetragen haben. Aus dem Rangverhältnis von Tun und Unterlassen ergibt sich, daß eine Verantwortlichkeit für Unterlassen jeweils durch eine solche ausdrückliche Beschlußfassung begrenzt wird. Den Angeklagten B und L sind danach die Fälle 2 bis 4 anzulasten, dem Angeklagten H zunächst Fall 1. Ihm wären über die Dauer seiner Mitgliedschaft im Politbüro hinaus auch die Fälle 2 bis 4 anzulasten, wenn nicht etwa in Bezug auf diese Fälle positives Tun durch seine Mitwirkung an der Beschlußfassung vom 11. Juni 1985 an die Stelle des Unterlassens getreten wäre.
a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann – ontologisch – nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur – notwendigerweise normativen – Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die „hypothetische Kausalität“ ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung zu setzen , wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (BGHSt 37, 106, 126 m. N. der Rspr.; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 16 bis 18; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 13 Rdn. 61; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. vor § 13 Rdn. 20; Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 684 ff.: „juristische Kausalität“). Hätte das Politbüro – auf Initiative eines seiner Mitglieder – beschlossen, das bestehende Grenzregime in der oben (sub I. 3. b) beschriebenen Weise zu humanisieren, wären die hier verfahrensgegen-
ständlichen Tötungen ausgeblieben. Der Nationale Verteidigungsrat und alle Gliederungen der Grenztruppen hätten die Anordnung des höchsten Machtorgans der DDR befolgt.
b) Im Ergebnis bleibt es ohne Bedeutung, daß die DDR in Bezug auf das Grenzregime nur eingeschränkt souverän war, daß sie nicht gegen den Willen der UdSSR die Grenze durchlässig machen oder gar das Grenzregime beseitigen durfte. Denn die Aufrechterhaltung und namentlich die Ausgestaltung des Grenzregimes hatte die UdSSR weitgehend der DDR überlassen. So hatte die DDR – und mithin das Politbüro – eine wesentliche eigene Entscheidungskompetenz, von der auch Gebrauch gemacht wurde. Dies zeigen der „eigenmächtige“ Abbau der Erdminen und Selbstschußanlagen im Jahr 1985 und die bei Staatsbesuchen und Parteitagen getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung von Erschießungen durch Erhöhung der Postendichte. Das hat der Senat in seinem Urteil BGHSt 45, 270, 302 f. näher dargestellt. Eine entsprechende Humanisierung des Grenzregimes hätte die hier in Rede stehenden Erschießungen verhindert.
c) Für die Beurteilung der „Quasi-Kausalität“ des Unterlassens der Angeklagten kommt es nicht darauf an, welche Wirkung das Handeln gehabt hätte, das jedem einzelnen von ihnen geboten war. Vielmehr ist auf das parallele Unterlassen aller derjenigen abzustellen, die ebenso wie die Angeklagten pflichtwidrig untätig geblieben sind, also auf die Untätigkeit aller Mitglieder des Politbüros im hier relevanten Zeitraum. Deshalb bleibt es ohne Bedeutung, daß jeder der Angeklagten möglicherweise im Politbüro mit der ihm gebotenen Initiative an einer entgegenstehenden Mehrheit gescheitert wäre. Kann die zur Schadensabwendung erforderliche Maßnahme nur durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zustande kommen, so setzt jeder, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterläßt, seinen Beitrag dazu zu leisten, eine Ursache dafür, daß die Maßnahme unterbleibt; innerhalb dieses Rahmens haftet er für die sich daraus ergebenden tatbestandsmäßigen Folgen. Dabei kann er sich nicht damit entlasten, daß sein Bemühen, die gebo-
tene Kollegialentscheidung herbeizuführen, erfolglos geblieben wäre, weil ihn die anderen Beteiligten im Streitfalle überstimmt hätten. Sonst könnte sich jeder Garant allein durch den Hinweis auf die gleichartige und ebenso pflichtwidrige Untätigkeit gleichgeordneter Garanten von jeder strafrechtlichen Haftung freizeichnen (BGHSt 37, 106, 131 f.).
Dieses Prinzip, im Fall parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten (auch kumulatives Unterlassen genannt) für die Beurteilung der „QuasiKausalität“ nicht etwa auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft abzustellen, hat im Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (Beulke/Bachman JuS 1992, 737, 742 ff.; Brammsen Jura 1991, 533, 536 ff.; Deutscher/Körner wistra 1996, 292, 327, 332 f.; Hilgendorf NStZ 1994, 561, 563; Kuhlen NStZ 1990, 566, 569 f. und JZ 1994, 1142, 1146; Bernd-Dieter Meier NJW 1992, 3193, 3197 f.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht 1996 S. 59 ff.; Schaal, Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen 2001 S. 202 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT 4. Aufl. S. 404). Manche Autoren stimmen dem Ergebnis zu, beschreiben jedoch eigene Begründungswege , finden insbesondere den Kern des Problems in der Frage der Garantenpflicht (so Puppe in Nomos-Kommentar, StGB 5. Lfg. vor § 13 Rdn. 109 f. und Sofos, Mehrfachkausalität beim Tun und Unterlassen 1999 S. 249 ff., 263).
Der erhobenen Kritik an dieser Sicht ist folgendes entgegenzuhalten: Soweit Samson StV 1991, 182, 185 meint, bei Untätigkeit parallel handlungspflichtiger Garanten hafteten allein diejenigen, die zuerst „den Eindruck der Uneinsichtigkeit erweckt“ hätten, nicht aber diejenigen, die „resignierten“, vernachlässigt dies die Gleichrangigkeit der Handlungspflicht aller Garanten. Soweit gar argumentiert wird, das Abstellen auf die Untätigkeit aller Garanten , deren Unterlassen zu erwarten sei, erinnere an „Geßlers Hut“ (Dencker, Kausalität und Gesamttat 1996 S. 170), ist zu entgegnen: Die Beurteilung der „Quasi-Kausalität“ des Unterlassens erfolgt allein nach normativen Kriterien.
In diesem Zusammenhang ist rechtmäßiges Verhalten der parallelen Garanten zu unterstellen; denn das Recht hat von der Befolgung seiner Regeln auszugehen (Sofos aaO S. 263; vgl. auch Jakobs in Festschrift für Koichi Miyazawa 1995 S. 419, 423).
6. Die kollektive Verweigerung des gebotenen Handelns durch gleichermaßen verpflichtete Garanten, nämlich die Angeklagten und die übrigen untätig gebliebenen Mitglieder des Politbüros, stellt sich als Nebentäterschaft , auch Mehrtäterschaft genannt (vgl. Cramer/Heine in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 25 Rdn. 100; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 222 f.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 25 Rdn. 11; Fincke GA 1975, 161 ff.), dar. Der Annahme einer Mittäterschaft bedarf es hier nicht, da es nicht erforderlich ist, – wie typischerweise in Fällen aktiver Mittäterschaft – jedem Mittäter aktive Tatbeiträge anderer Mittäter zuzurechnen.
Auch die oben (sub 5.) beschriebene „Quasi-Kausalität“, wonach der „quasi-ursächliche“ Beitrag jedes einzelnen Politbüro-Mitgliedes zum jeweiligen Taterfolg nicht in der gedachten bloßen Konsequenz des individuellen Unterlassens zu suchen, sondern in der hypothetischen Folge des gemeinschaftlichen Unterlassungsverhaltens aller Politbüro-Mitglieder zu finden ist, nötigt nicht etwa zu der Prüfung, ob auch die Voraussetzungen einer Mittäterschaft , namentlich ein gemeinschaftlicher Tatentschluß, vorliegen.
7. Zudem war es den Angeklagten zuzumuten, im Politbüro durch Äußerungen und Anträge auf eine Änderung des praktizierten Grenzregimes hinzuwirken. Angesichts der Schwere der drohenden Übel (vgl. BGHSt 4, 20, 23; BGH NJW 1964, 731, 732; BGH NStZ 1984, 164), hier der jederzeit bevorstehenden rechtswidrigen Tötung von Menschen, hatte das Interesse der Angeklagten an der Erhaltung ihrer Reputation und ihrer Ämter zurückzustehen. Zur Erhaltung von Menschenleben sind äußerste Anstrengungen zu fordern (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Zumutbarkeit 1 = JR 1994, 510 m. Anm. Loos). Allerdings kann es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit be-
deutsam sein, daß das Rettungsbemühen nur eine verschwindend geringe Rettungschance bietet (BGH aaO). So liegt es hier aber nicht. Die vielfach aus akuten Anlässen zur Vermeidung von Erschießungen vorgenommene Umgestaltung der Grenzsicherungsmethoden und der Abbau von Erdminen und Selbstschußanlagen (vgl. BGHSt 45, 270, 303; oben sub I. 3. b und II. 5. b) zeigen, daß eine Humanisierung des Grenzsystems zur Vermeidung der Erschießung von Flüchtlingen durchaus möglich war. Insoweit ist gleichfalls nicht auf die Aussichtslosigkeit der Einzelbemühungen abzustellen.
8. Auch entspricht das Unterlassungsverhalten der Angeklagten einer aktiven vorsätzlichen Tötung im Rahmen des Wertungsvergleichs, den die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB gebietet. Die Innehabung zentraler Macht an der Spitze einer Staatsführung läßt aktives rechtswidriges Tun einerseits und das Untätigsein angesichts einer bestehenden rechtswidrigen Praxis andererseits besonders eng zueinanderrücken (vgl. die Auslegung der letzten beiden Politbürobeschlüsse zur Grenzsicherung, BGHSt 45, 270, 289 f.).
9. Schließlich stellt sich die Beteiligung der Angeklagten an den Tötungen nicht etwa nur als Beihilfe zu den Taten der den Angeklagten in verschiedenster Weise nachgeordneten Tätern dar. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe für die Fälle des pflichtwidrig untätigen Hintermannes in der Rechtsprechung wenig gesichert (vgl. BGHSt 2, 150, 151; 4, 20, 21; 13, 162, 166; 40, 257, 268; BGH NJW 1951, 204, 205 und 1966, 1763) und im Schrifttum umstritten (vgl. Cramer/Heine in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. vor § 25 Rdn. 104; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 57; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 201 ff. je m. w. N.). Indes kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagten nach allen in Betracht kommenden Kriterien Unterlassungstäter – und nicht nur unterlassende Gehilfen – waren. Sie waren als Inhaber zentraler staatlicher Macht sowohl „Überwachungsgaranten“ als auch „Beschützergaranten“ (oben sub 3). Die ihnen Nachgeordneten bis zu den Schützen hatten nach ihren Weisungen zu handeln , was das Selbstverständnis und die Willensrichtung der Angeklagten
prägte. Die Verantwortlichkeit nimmt in Fällen solcher „Organisationsherrschaft“ mit größerem Abstand zum Tatort typischerweise nicht ab, sondern zu (BGHSt 40, 218, 237; F.C. Schroeder, Der Täter hinter dem Täter 1965 S. 166 f.). Jede wertende Betrachtung bestätigt das gefundene Ergebnis.
10. Das tateinheitliche pflichtwidrige Unterlassen der Angeklagten führte zu mehreren Tötungsfällen. Dies begründet eine einzige Unterlassungstat jedes Angeklagten (BGHSt 37, 106, 134).
III.
Welches dieser Rechte bei der Beurteilung der Unterlassungstaten der Angeklagten als das mildere Recht (Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages i.V. mit § 2 Abs. 3 StGB) anzuwenden ist, bestimmt sich – bei Anwendung des Grundsatzes strikter Alternativität (BGHSt 37, 320, 322; 38, 18, 20; 41, 247, 277) – nach folgendem: Nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland wird sich eine Anwendung des Strafrahmens des § 213 StGB im Hinblick auf die zweite Alternative der Vorschrift aufdrängen (vgl. BGHSt 45, 270, 306), der gemäß § 49 Abs. 1 StGB jedenfalls gemäß § 13 Abs. 2 StGB nochmals zu mildern sein wird. Andererseits wird aber auch das Strafrecht der DDR hier naheliegend eine leichtere Strafart als Freiheitsstrafe, insbesondere eine Verurteilung auf Bewährung nach § 33 StGB-DDR zulassen, weil § 22 Abs. 4 Satz 1 StGB-DDR für den Fall der Beihilfe die Möglichkeit der außergewöhnlichen Strafmilderung nach § 62 StGB-DDR und damit die Anwendung einer leichteren als der gesetzlich vorgesehenen Strafart Freiheitsstrafe ermöglicht, „wenn die Tat weniger schwerwiegend ist“, was anzunehmen sich schon im Blick auf das abzuurteilende Unterlassen aufdrängen wird.
B.
Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft sich gegen den Freispruch des Angeklagten H richtet, hat sie aus einem weiteren Gesichtspunkt Erfolg. Das Landgericht hat die diesem Angeklagten vorgeworfene Tat nicht umfassend rechtlich gewürdigt. Dies begründet – auch – einen sachlichrechtlichen Fehler (BGH StV 1981, 127, 128 m. w. N. der Rspr.; Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 264 Rdn. 12; Gollwitzer in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 264 Rdn. 74), so daß es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Die Anklage wirft dem Angeklagten H – neben dem Unterlassen – zusätzlich vor, am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 mitgewirkt zu haben (Anklageschrift S. 17). Angesichts dessen, daß das Verhalten eines jeden Angeklagten im Politbüro während seiner Mitgliedschaft in diesem Gremium als eine einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO zu verstehen ist, kann kein Zweifel daran bestehen, daß dem Angeklagten H auch die Tötungsfälle 2 – betreffend Bi vom 24. November 1986, 3 – betreffend S vom 12. Februar 1987 und 4 – betreffend G vom 5. Februar 1989 (Anklageschrift S. 22 f.) zur Last gelegt sind. Dies gilt, wenngleich der Anklagesatz insoweit auslegungsbedürftig ist.
Hätte das Landgericht eine Mitwirkung des Angeklagten H an dem Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 festgestellt, so würden sich für diesen Angeklagten diejenigen rechtlichen Konsequenzen ergeben, die der Senat in dem Urteil BGHSt 45, 270, 287 ff., 295 f. für andere an dem genannten Beschluß des Politbüros Beteiligte gezogen hat, nämlich eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft nach dem StGB (bei Anstiftung zum Mord nach dem Recht der DDR).
Das Landgericht hat diesen Teil des Vorwurfs gegen den Angeklagten H im Urteil gar nicht geprüft. Auch dies führt insoweit zur Aufhe- bung des Urteils. Da bei dem Angeklagten H das positive Tun einer etwaigen Mitwirkung an dem Beschluß vom 11. Juni 1985 die bloße mit pflichtwidrigem Unterlassen einhergehende Mitgliedschaft im Politbüro gleichsam verstärkend überlagern würde, begründete eine Strafbarkeit dieses Angeklagten im Fall 1 wegen Unterlassens und in den Fällen 2 bis 4 durch positives Tun – nicht anders als bei einem fortdauernden Unterlassen – eine einheitliche Tat.
C.
Danach ergibt sich auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils, daß die Angeklagten sich während ihrer Mitgliedschaft im Politbüro nach dem Strafgesetzbuch wegen Totschlags durch Unterlassen, nach dem Recht der DDR wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord strafbar gemacht haben. Gleichwohl erachtet der Senat es für geboten , die Angeklagten nicht von hier aus schuldig zu sprechen, sondern die Sache in vollem Umfang an einen neuen Tatrichter zurückzuverweisen. Sonst würde den Angeklagten, die gegen die Freisprüche Rechtsmittel nicht einlegen und somit die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen nicht angreifen konnten, eine Instanz genommen (BGH StV 1999, 415 m. Anm. Pauly; BGHR StPO 354 Abs. 1 Schuldspruch 1; BGHR StGB § 339 Staatsanwalt 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 354 Rdn. 23 m. w. N.; vgl. aber die andere Verfahrensweise in BGHSt 36, 277, 282 f. und BGH, Urt. vom 15. August 2002 – 3 StR 11/02).
D.
Schließlich bemerkt der Senat folgendes:
I.
Soweit dem Angeklagten H ein Unterlassen zur Last gelegt wird, geben – freilich vage – Feststellungen im angefochtenen Urteil Anlaß zu einem Hinweis: So hatte der Angeklagte zahlreiche Kontakte in die Bundesrepublik Deutschland und unternahm „kleine Schritte“, um „in Fragen der Grenze und der Freizügigkeit eine Änderung zum Besseren herbeizuführen“, womit er jedoch scheiterte. Es erscheint nicht völlig ausgeschlossen, daß der Angeklagte damit gar – unter den Gesichtspunkten des Unterlassens – derjenigen Handlungspflicht nachgekommen ist, die ihm als Mitglied des Politbüros oblag. Insoweit wird darauf Bedacht zu nehmen sein, daß ein entsprechendes als konkret aussichtsreich erachtetes Verhalten die Zumutbarkeit eines rechtlich gebotenen Verhaltens in Frage stellen kann, dessen Unterlassen zwar im Sinne der obigen Darlegungen grundsätzlich strafrechtlich relevant war, das tatsächlich jedoch kaum eine realistische Durchsetzungschance hatte. Die Zumutbarkeit könnte dann unter dem Gesichtspunkt entfallen , daß das eigentlich gebotene Verhalten möglicherweise dazu geführt hätte, daß realistische Erfolgschancen konkreter anderweitiger Bemühungen, das Grenzregime abzumildern, entwertet worden wären. Von einer strafrechtlichen Haftung wegen etwaiger aktiver Mitwirkung am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 könnte dies den Angeklagten H indes nicht befreien. Jedoch wären Aktivitäten der genannten Art gegebenenfalls für die Sanktionsentscheidung von so erheblicher Bedeutung, daß die Sanktion an der untersten Grenze des Zulässigen bemessen werden müßte.
II.
Im Fall eines Schuldspruchs wird bei der Strafzumessung betreffend alle Angeklagte dem Zeitfaktor – auch unter Bedacht auf die Dauer des Revisionsverfahrens – Rechnung zu tragen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).
III.
Der Senat findet erstmalig eine Verantwortlichkeit hoher Funktionsträger der DDR für Tötungen an der innerdeutschen Grenze unter dem Gesichtspunkt des Unterlassens. Dies hat seine Gründe in der besonderen Rangstellung des Politbüros und seiner Mitglieder. Es erscheint gänzlich fernliegend, daß der Senat eine entsprechende Handlungspflicht hoher Funktionsträger der DDR, die unterhalb dieser Machtebene standen, bejahen würde.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum
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(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.
(2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.
(2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.
(2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.
(2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten findet § 2 des Strafgesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, daß das Gericht von Strafe absieht, wenn nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik weder eine Freiheitsstrafe noch eine Verurteilung auf Bewährung noch eine Geldstrafe verwirkt gewesen wäre.
(2) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Geldstrafe (§§ 40 bis 43) gelten auch für die vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangenen Taten, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist. Die Geldstrafe darf nach Zahl und Höhe der Tagessätze insgesamt das Höchstmaß der bisher angedrohten Geldstrafe nicht übersteigen. Es dürfen höchstens dreihundertsechzig Tagessätze verhängt werden.
(3) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Aussetzung eines Strafrestes sowie den Widerruf ausgesetzter Strafen finden auf Verurteilungen auf Bewährung (§ 33 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik) sowie auf Freiheitsstrafen Anwendung, die wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangener Taten verhängt worden sind, soweit sich nicht aus den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches etwas anderes ergibt.
(4) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, soweit für die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.