Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. Januar 2013 gemäß § 552a ZPO auf ihre Kosten zurückzuweisen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 331.941,47 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Revision ist zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und die Revision auch keine Aussicht auf Erfolg hat.

2

I. Ein Zulassungsgrund besteht nicht. Weder erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts noch stellen sich Fragen von grundsätzlicher Bedeutung in entscheidungserheblicher Weise.

3

1. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob die vom Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH mit Sitz in Lübeck gegen die ehemalige, in der Schweiz lebende Geschäftsführerin der GmbH geltend gemachten Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG und § 43 Abs. 3 GmbHG die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck nach Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Lugano-Übereinkommen, LugÜ) begründen oder nach Art. 5 Nr. 1 a LugÜ, wie das Landgericht in dem vom Berufungsgericht bestätigten Zwischenurteil ausgesprochen hat, oder ob die Anwendung des Lugano-Übereinkommens auf die genannten Ansprüche nach Art. 1 Abs. 2 b LugÜ ausgeschlossen ist, weil der Kläger mit seiner Klage den gleichen Zweck verfolge wie mit einer Insolvenzanfechtungsklage, wie die Revision meint. Seit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Januar 2014 (ZIP 2014, 181) ist klargestellt, dass auch in diesem Fall das Landgericht Lübeck für die Klage international zuständig wäre, so dass die Urteile der Vorinstanzen jedenfalls im Ergebnis richtig sind und die dargestellte Streitfrage sich nicht (mehr) als entscheidungserheblich und damit klärungsfähig erweist.

4

2. Geht man entgegen der Ansicht der Vorinstanzen mit der Revision davon aus, dass es sich vorliegend um eine Konkurs- bzw. Insolvenzsache handelt, so dass das Lugano-Übereinkommen nach Art. 1 Abs. 2 b LugÜ nicht anwendbar wäre, ergibt sich dennoch eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO). Für die Anwendbarkeit der Verordnung genügt es entgegen der Ansicht der Revision, dass die Insolvenzschuldnerin ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat. Nicht erforderlich ist ein Binnenbezug in dem Sinn, dass sich eine Klage gegen eine Partei richtet, die ihren Wohnort oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.

5

a) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf eine Vorlage des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12, ZIP 2012, 1467) mit Urteil vom 16. Januar 2014 (ZIP 2014, 181) für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen Wohnsitz ebenfalls in der Schweiz hatte, entschieden, dass das angerufene deutsche Gericht nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zuständig ist. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verlange nicht, dass der zu entscheidende Sachverhalt Anknüpfungspunkte zu zwei oder mehreren Mitgliedstaaten aufweise, und auch der Sinn und Zweck der Verordnung, die Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung, und speziell das Ziel des Art. 3 EuInsVO, die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit und damit die Rechtssicherheit zu fördern, erfassten jeden grenzüberschreitenden Sachverhalt (EuGH, ZIP 2014, 181 Rn. 25 ff.). Dass der Drittstaat, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz habe, eine Entscheidung des nach den oben genannten Grundsätzen zuständigen Gerichts mangels Bindungswirkung der Verordnung unter Umständen nicht anerkenne und vollstrecke, stehe nicht entgegen, da zumindest die anderen Mitgliedstaaten das Urteil anerkennen und vollstrecken könnten, insbesondere wenn sich ein Teil des Vermögens des Beklagten im Gebiet eines dieser Staaten befinde (EuGH, ZIP 2014, 181 Rn. 36 ff.). Der Bundesgerichtshof ist dem mit Urteil vom 27. März 2014 (IX ZR 2/12, juris Rn. 6 f.) gefolgt.

6

Ordnet man die Geltendmachung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 und § 43 Abs. 3 GmbHG mit der Revision als Konkurs- bzw. Insolvenzsachen ein, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass für diese etwas anderes gelten könnte. Denn die Entscheidung des Gerichtshofs stützt sich nicht auf Besonderheiten der Insolvenzanfechtung, sondern legt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für alle Verfahren aus, die unter den Begriff der Insolvenz nach Art. 1 Abs. 1 EuInsVO fallen.

7

b) Die gegebene internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte läuft auch nicht deshalb leer, weil es an einer örtlichen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts fehlen könnte (vgl. zu der deshalb bestehenden ausnahmsweisen Prüfungskompetenz in der Revisionsinstanz: BGH, Urteil vom 21. November 1996 - IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127, 129 f.). Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck würde sich nicht aus der EuInsVO ergeben, da diese nur die internationale Zuständigkeit regelt. Es kann dahinstehen, ob sich aus der Zivilprozessordnung direkt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck ableiten lässt. Auch wenn das nicht der Fall sein sollte, folgt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck aus einer analogen Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO.

8

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 19. Mai 2009 (IX ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 Rn. 11 ff.) aus den genannten Vorschriften eine örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte für Insolvenzanfechtungsklagen hergeleitet, wenn nach europäischem Recht für Anfechtungsklagen die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist. Müssten Anfechtungsklagen trotz bestehender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen werden, würde das in europarechtswidriger Weise gegen Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verstoßen. Nimmt man mit der Revision an, dass die Geltendmachung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 und § 43 Abs. 3 GmbHG ebenso wie eine Insolvenzanfechtungsklage als Konkurs- bzw. Insolvenzsache einzuordnen ist, führt dies vorliegend zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und in analoger Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck als am Ort des für das Verfahren zuständigen Insolvenzgerichts belegenen sachlich zuständigen Landgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2014 - IX ZR 2/12, juris Rn. 8).

9

II. Da auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Revision das Landgericht Lübeck örtlich und international zuständig ist, hat die Revision keine Aussicht auf Erfolg.

Bergmann                     Caliebe                        Drescher

                     Born                       Sunder

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

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(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. (2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Sch

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(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist aussc

Zivilprozessordnung - ZPO | § 19a Allgemeiner Gerichtsstand des Insolvenzverwalters


Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.

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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.

(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.

(3) Insbesondere sind sie zum Ersatz verpflichtet, wenn den Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben, daß dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben.

(4) Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 2/12
vom
21. Juni 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EuInsVO Art. 3 Abs. 1
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren
(ABl. Nr. L 160, S. 1) folgende Frage vorgelegt:
Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über
das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage
gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen
Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?
BGH, Beschluss vom 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12 - OLG Hamm
LG Münster
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter
Dr. Fischer und Dr. Pape
am 21. Juni 2012

beschlossen:
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. Nr. L 160, S. 1; im Folgenden: EuInsVO) folgende Frage vorgelegt: Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?

Gründe:


I.


1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 4. Mai 2007 in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Zi. (Schuldnerin ). Die Beklagte, die Stiefmutter der Schuldnerin, ist schweizer Staatsangehörige und lebt in der Schweiz. Der Kläger nimmt sie im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr eines Betrages von 8.015,08 € nebst Zinsen in Anspruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen worden. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anfechtungsanspruch weiter.

II.


2
Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der im Beschlusstenor gestellten Frage einzuholen (Art. 267 Abs. 1 Buchst. B, Abs. 3 AEUV). Die Sachentscheidung ist abhängig von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.
3
1. Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist eröffnet. Unmittelbar regelt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zwar nur die Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren selbst. Eine Insolvenzanfechtungsklage gehört jedoch zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als Annexverfahren ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Gemäß Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Februar 2009 (Rs C-339/07, ZIP 2009, 427 Rn. 21, Deko Marty Belgium) sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig , der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
4
2. Bisher ungeklärt ist die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch dann eingreift, wenn das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet worden ist, der Anfechtungsgegner aber seinen allgemeinen Gerichtsstand (einen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz) nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat hat.
5
a) Seinem Wortlaut nach lässt es Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausreichen, dass der Mittelpunkt der sachlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat liegt. Dazu, ob der den Anwendungsbereich der Verordnung eröffnende grenzüberschreitende Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat oder zu einem Drittstaat bestehen muss, trifft er keine Aussage. Hieraus könnte geschlossen werden, dass der Bezug zu einem Drittstaat ausreicht (Huber in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 19 ff; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 138 f; Haubold, IPrax 2003, 34, 35 f; iE ebenso High Court of Justice London, ZIP 2003, 813; High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2. Aufl., Art. 1 VO (EG) Nr. 1346/2000 Rn. 16; FK-InsO/Wenner/Schuster, 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 9; GrafSchlicker /Kebekus/Sabel/Schlegel, InsO, 2. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 7; Gruber in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Art. 1 EuInsVO Rn. 49; Gottwald /Kolmann, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl., § 130 Rn. 10 f; Rauscher /Mäsch, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 1 EG-InsVO Rn. 15; Geimer/Schütze, EuZVR, 3. Aufl., A.5, Art. 1 Rn. 39; Adam, Zuständigkeitsfragen bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen, S. 28 f; Herchen, ZInsO 2003, 742, 745 f; Sabel/Schlegel, EWiR 2003, 367, 368; Hergenröder, DZWiR 2009, 309, 312).
6
b) Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. In der deutschsprachigen Literatur wird vielfach die Ansicht vertreten, dass nur ein "qualifizierter" Auslandsbezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat den Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet (Kemper in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, Art. 1 EuInsVO Rn. 15; MünchKomm-BGB/Kindler, VO (EG) Nr. 1346/2000, 5. Aufl., Art. 1 Rn. 28; Duursma-Kepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzordnung, Art. 1 Rn. 3, 8 f, 53; HK-InsO/Stephan, 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 11, 13; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 2; Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 120; Braun/Tashiro, InsO, 5. Aufl., vor §§ 335, 358 Rn. 17; HmbKomm-InsO/Undritz, 4. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 6 f; Smid, Internationales Insolvenzrecht, § 2 Rn. 43 f; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht , S. 32 ff; Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzordnung und die Auswirkungen auf das deutsche Insolvenzrecht, S. 108 ff; Westphal/Goether/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rn. 86 f; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 538 ff; Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87; Smid, DZWiR 2003, 397, 402 f; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646,

651).


7
Annexverfahren, insbesondere die hier in Frage stehenden Insolvenzanfechtungsklagen werden in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht ausdrücklich geregelt, so dass aus dem Schweigen der Vorschrift keine Schlussfolgerungen hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs gezogen werden können. Die Grün- de, welche den Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 12. Februar 2009 (aaO) bewogen haben, Insolvenzanfechtungsklagen der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu unterstellen, lassen sich auf entsprechende Klagen gegen Anfechtungsgegner außerhalb des Gebiets der Europäischen Union zudem nur teilweise übertragen. Die Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaats entspricht dem im zweiten und im achten Erwägungsgrund der EuInsVO genannten Zweck der Verbesserung der Effizienz und der Beschleunigung der Insolvenzverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 22). Der vierte Erwägungsgrund, welcher der Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten entgegenwirken soll, nimmt demgegenüber nur auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts Bezug (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 23 f). Insolvenzanfechtungsprozesse mit Bezügen allein zu Drittstaaten lassen sich nicht unter diesen Erwägungsgrund subsumieren. Schließlich stellt sich das Problem der Anerkennung des aufgrund einer Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ergangenen Urteils (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 25 ff). Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuInsVO, der die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in Annexverfahren regelt, gilt im Verhältnis zu Drittstaaten nicht.
8
3. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte lässt sich nur aus Art. 3 Abs. 1 EGInsVO herleiten. Der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters (§ 19a ZPO) gilt für Klagen gegen den Insolvenzverwalter, nicht allgemein für Klagen des Insolvenzverwalters (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1990 - IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246, 247). Art. 102 § 1 EGInsO und § 3 InsO regeln die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Prozessgerichte (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419, 1420; vom 19. Mai 2009 - IX ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 Rn. 15).

9
4. Die Vorlagefrage lässt sich nicht unter Heranziehung anderer europäischer Rechtsquellen, die Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit enthalten, beantworten. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO; ABl. 2001, L 12, S. 1) findet im vorliegenden Fall keine Anwendung. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO ist sie auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anwendbar. Dies schließt Insolvenzanfechtungsprozesse ein. Der Europäische Gerichtshof hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ; ABl. 1972, L 299, S. 32) entschieden, dass eine Konkursanfechtungsklage sich auf ein Konkursverfahren bezieht, weil sie unmittelbar aus diesem hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens hält (EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979 - Rs 133/78, EuGHE 1979, 733, Rn. 4 - Gourdain). Das gilt auch im Rahmen von Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO (vgl. das eingangs zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Februar 2009 - Rs C-339/07, Rn. 19) und für Art. 1 des Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstre- ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (ABl. 1988 Nr. L 319, S. 9) in der revidierten Fassung vom 30. Oktober 2007 (ABl. 2009 Nr. L 147, S. 5).
Kayser Vill Lohmann
Fischer Pape

Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 28.10.2010 - 2 O 736/09 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 03.05.2011 - I-27 U 145/10 -
6
1. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Diese Bestimmung ist dahingehend auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats , in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Eine Insolvenzanfechtungsklage gehört zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als Annexverfahren ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - Rs C-339/07, NZI 2009, 199; BGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - IX ZR 39/06, NZI 2009, 532 Rn. 6 f; Beschluss vom 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12, WM 2012, 1449 Rn. 3). Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.

(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.

(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.

(3) Insbesondere sind sie zum Ersatz verpflichtet, wenn den Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben, daß dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben.

(4) Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.

(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.

(2) Hat der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gemäß § 29 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes in Anspruch genommen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.

(3) Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus.

(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.

(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.

(3) Insbesondere sind sie zum Ersatz verpflichtet, wenn den Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben, daß dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben.

(4) Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

Der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, wird durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt.

(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.

(2) Hat der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gemäß § 29 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes in Anspruch genommen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.

(3) Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus.

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1. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Diese Bestimmung ist dahingehend auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats , in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Eine Insolvenzanfechtungsklage gehört zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als Annexverfahren ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - Rs C-339/07, NZI 2009, 199; BGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - IX ZR 39/06, NZI 2009, 532 Rn. 6 f; Beschluss vom 21. Juni 2012 - IX ZR 2/12, WM 2012, 1449 Rn. 3). Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.