Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2009 - XII ZB 79/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger begehrt die Abänderung eines Urteils auf Zahlung nachehelichen Unterhalts. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage durch ein der Beklagten am 27. November 2008 zugestelltes Urteil teilweise stattgege- ben. Die Beklagte hat mit einem am 29. Dezember 2008 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Prozesskostenhilfe für die Einlegung der Berufung gegen dieses Urteil begehrt. Dem Antrag war der Vordruck "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" beigefügt; in der Rubrik G war die Frage "Sonstige Vermögenswerte" nicht beantwortet.
- 2
- Das Oberlandesgericht hat der Beklagten mit Beschluss vom 20. Januar 2009, zugestellt am 30. Januar 2009, Prozesskostenhilfe versagt. Die Beklagte hat daraufhin mit am 13. Februar 2009 eingegangenen Schriftsätzen Gegenvorstellung erhoben sowie Berufung eingelegt, diese auch begründet und Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Gegenvorstellung zurückgewiesen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat es sodann abgelehnt, der Beklagten Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren, und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 3
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); denn der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
- 4
- 2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht der Beklagten die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist versagt und die Berufung verworfen.
- 5
- a) Zwar geht das Oberlandesgericht zutreffend davon aus, dass der am 29. Dezember 2008 eingegangene Schriftsatz, mit dem die Beklagte die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, nicht bereits als Einlegung der Berufung gedeutet werden kann. Richtig ist zwar, dass ein Schriftsatz, der alle formellen Anforderungen an eine Berufung erfüllt, regelmäßig als wirksam eingelegte Prozesserklärung zu behandeln ist. Eine Deutung dahin, dass er gleichwohl nicht unbedingt als Berufung bestimmt ist, kommt nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 185/08 - FamRZ 2009, 494). Das ist hier indes der Fall. Denn der genannte Schriftsatz verdeutlicht unmissverständlich, dass die Beklagte zunächst nur Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung begehrt und erst "nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das erstinstanzliche Urteil … zur Überprüfung stellen" will. Die Annahme, dass die Berufung sogleich unbedingt eingelegt werden sollte, ist damit ausgeschlossen.
- 6
- b) Das Oberlandesgericht hat es jedoch zu Unrecht abgelehnt, der Beklagten , wie von ihr fristgerecht (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) begehrt, Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
- 7
- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten darf und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden kann (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 23. Februar 2005 - XII ZB 71/00 - FamRZ 2005, 789, vom 20. Februar 2008 - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868 und vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871). Das war hier der Fall.
- 8
- Zwar kann ein Rechtsmittelführer nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er sich rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist auf dem hierfür von § 117 ZPO vorgeschriebenen und von ihm vollständig ausgefüllten Vordruck über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt hat. Dabei dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit allerdings nicht überspannt werden, weil sonst der Zweck der Prozesskostenhilfe , dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, verfehlt würde. So kann die Partei, auch wenn der Vordruck einzelne Lücken enthält, u.U. gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 20. Februar 2008 - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868, 869 und vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871). Das kommt in Betracht, wenn dem Rechtmittelführer bereits in der Vorinstanz - aufgrund eines ordnungsgemäß und vollständig ausgefüllten Vordrucks - Prozesskostenhilfe gewährt worden war und eine nunmehr im Vordruck vorhandene Lücke im Zusammenhang mit dem Parteivortrag nicht den Schluss nahe legt, die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Partei hätten sich zwischenzeitlich in einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erheblichen Weise geändert.
- 9
- So liegen die Dinge hier. In ihrem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hat die Beklagte bereits einleitend auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren verwiesen ; damals hatte sie im Vordruck die Frage nach "sonstigen Vermögenswerten" verneint. Richtig ist zwar, dass die Verweisung auf die damalige Gewährung von Prozesskostenhilfe unmittelbar an die Aussage anschließt, die Berufung habe hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das hindert jedoch nicht, die Bezugnahme - auch - auf die unmittelbar vorhergehende Aussage zu beziehen, die Beklagte werde nicht in der Lage sein, die Kosten des Berufungsverfahrens selbst aufzubringen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren konnte deshalb durchaus dahin verstanden werden, dass die im erstinstanzlichen Prozesskostenhilfeverfahren dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten fortbestünden. Aus dem vom Oberlandesgericht angeführten Vortrag der Beklagten in der Klagerwiderung, auf einem Notar -Anderkonto bestehe noch ein Guthaben von knapp 20.000 €, dessen Auseinandersetzung der Kläger blockiere, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dem Amtsgericht war dieser Umstand bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten der Beklagten bekannt. Dass der Beklagten aus diesem Konto inzwischen verwertbares Vermögen zugeflossen sei, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch aus dem Urteil des Amtsgerichts ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte. Die Beklagte durfte deshalb davon ausgehen, mit ihrem - auf die frühere Gewährung von Prozesskostenhilfe Bezug nehmenden - Gesuch die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren auch in Ansehung "sonstiger Vermögenswerte" dargetan und damit die Grundlage für eine spätere Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist geschaffen zu haben.
- 10
- 3. Der Senat kann über das Wiedereinsetzungsbegehren der Beklagten abschließend entscheiden. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen liegen - nach dem auch im angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts nicht in Zweifel gezogenen - Vortrag der Beklagten vor. Die Beklagte durfte darauf vertrauen, diese Voraussetzungen bereits innerhalb der Berufungsfrist hinreichend dargelegt zu haben. Damit war der Beklagten Wiedereinsetzung in die Berufungssowie in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Der Beschluss über die Verwerfung der Berufung kann danach keinen Bestand haben. Er war deshalb aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Vorinstanzen:
AG Ahaus, Entscheidung vom 26.11.2008 - 10 F 476/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 26.03.2009 - 3 UF 196/08 -
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist bei dem Prozessgericht zu stellen; er kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Zwangsvollstreckung ist bei dem für die Zwangsvollstreckung zuständigen Gericht zu stellen.
(2) Dem Antrag sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Die Erklärung und die Belege dürfen dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden; es sei denn, der Gegner hat gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers. Dem Antragsteller ist vor der Übermittlung seiner Erklärung an den Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er ist über die Übermittlung seiner Erklärung zu unterrichten.
(3) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Formulare für die Erklärung einzuführen. Die Formulare enthalten die nach § 120a Absatz 2 Satz 4 erforderliche Belehrung.
(4) Soweit Formulare für die Erklärung eingeführt sind, muss sich die Partei ihrer bedienen.