Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Mai 2009 - IV ZR 57/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Das vorgenannte Urteil wird nach § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 29.164,18 €
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger verlangt von dem Beklagten wegen der Folgen einer bei einem Sportunfall erlittenen Sprunggelenks- und Fibulatrümmerfraktur eine Invaliditätsentschädigung aus einem Unfallversicherungsvertrag, dem die AUB 88 zugrunde liegen.
- 2
- Der Beklagte akzeptierte auf der Grundlage eines von ihm in Auftrag gegebenen orthopädischen Gutachtens eine teilweise Funktionsunfähigkeit des linken Beins des Klägers mit 7/20 Beinwert nach der Gliedertaxe des § 7 I (2) a AUB 88, wonach bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels ein Invaliditätsgrad von 70% gilt. Die sich danach aus der vereinbarten Invaliditätssumme von 94.078 € ergebende Leistung kürzte der Beklagte um 60% wegen Mitwirkung einer von dem Gutachter festgestellten Arthrose. Den so ermittelten Betrag von 9.219,64 € zahlte der Beklagte an den Kläger. Dieser bemisst unter Berufung auf ein von ihm eingeholtes unfallchirurgisches Gutachten die Funktionsbeeinträchtigung seines linken Beines mit 1/2 Beinwert und errechnet unter Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Progression eine Invaliditätsentschädigung von 51.742,90 €. Den nach Abzug der von dem Beklagten erbrachten Zahlung verbleibenden Betrag von 42.523,26 € hat der Kläger mit der Klage geltend gemacht.
- 3
- Das Landgericht hat nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Sachverständigen den Grad der Invalidität mit 3/7 Beinwert bemessen. Es hat den Mitwirkungsanteil einer bestehenden Arthrose mit 40% veranschlagt und dem Kläger eine restliche Invaliditätsentschädigung von 7.714,40 € zuerkannt.
- 4
- Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von weiteren 5.644,68 € stattgegeben. Es hat ebenfalls einen Invaliditätsgrad von 3/7 Beinwert angenommen und - anders als das Landgericht - die dem Vertrag zugrunde liegende progressive Invaliditätsstaffel angewandt; von der so errechneten Invaliditätsentschädigung http://www.juris.de/jportal/portal/t/1qfd/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE741882004&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 4 - hat das Oberlandesgericht 40% wegen einer mitwirkenden Arthrose in Abzug gebracht.
- 5
- Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
- 6
- II. Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht die Ausführungen des von dem Kläger beauftragten Privatgutachters nicht berücksichtigt hat.
- 7
- a) Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06 - VersR 2008, 1676 Tz. 11; vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b aa; vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a; BGH, Urteile vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790 unter II 1 a; vom 28. April 1998 - VI ZR 403/96 - VersR 1998, 853 unter II 3, jeweils m.w.N.). Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen. Es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich (Senatsurteile vom 15. Juli 1998 - IV ZR 206/97 - NJW-RR 1998, 1527 unter 2 a; vom 13. Oktober 1993 aaO, BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 - VersR 1992, 722 unter II 2, jeweils m.w.N.). Zweckmäßigerweise hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will (BGH, Urteil vom 14. April 1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576 unter II 1 b). Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen (BGH, Urteile vom 23. März 2004 aaO; vom 10. Dezember 1991 aaO; jeweils m.w.N.).
- 8
- b) Diese Vorgaben hat das Berufungsgericht ebenso wie zuvor das Landgericht nicht beachtet. Es hat nur darauf verwiesen, dass alle vom Kläger in seiner Berufungsbegründung aufgeführten Unterlagen dem gerichtlichen Sachverständigen vorgelegen hätten und in seine Begutachtung eingeflossen seien. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat zwar das vom Kläger eingeholte Gutachten erwähnt und die Ergebnisse dieser Begutachtung wiedergegeben. Damit auseinandergesetzt hat sich der Sachverständige indes nicht; er wurde dazu auch nicht in den Tatsacheninstanzen aufgefordert. Somit hat sich das Berufungsgericht letztlich ohne eigene Begründung dem gerichtlich bestellten Gutachter angeschlossen , indem es dessen Ausführungen für überzeugend erklärt hat. Eigene Sachkunde, die den Gutachterstreit beilegen könnte, hat es dabei nicht erkennen lassen. Stattdessen hat es unkritisch die Wertungen des gerichtlich bestellten Gutachters und die darauf beruhenden Feststellungen des Landgerichts übernommen. Im Hinblick auf die Widersprüche zwischen dem Gutachten des Privatgutachters und dem des gerichtlich bestellten Sachverständigen hätte das Berufungsgericht letzteren dazu anhören müssen, gegebenenfalls unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter des Klägers. Erforderlichenfalls hätte es ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen, was der Kläger ausdrücklich beantragt hatte. Da das Berufungsgericht diese sich aufdrängenden Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, ist das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt worden.
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- Die c) Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach erneuter Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen oder nach Einholung eines weiteren Gutachtens zu einem höheren Invaliditätsgrad gelangt wäre. Im angefochtenen Umfang ist das Berufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich nach sachverständiger Beratung mit den aus dem Privatgutachten ergebenden Argumenten des Klägers auseinanderzusetzen und auch das von der Beklagten eingeholte Gutachten zu berücksichtigen. Da die Beeinträchtigung des Klägers nach den getroffenen Feststellungen im Wesentlichen in seinem linken oberen Sprunggelenk lokalisiert ist, wird das Berufungsgericht auch zu klären haben, ob der Invaliditätsgrad gemäß der Gliedertaxe des § 7 I (2) a AUB 88 nach dem bislang zugrunde gelegten Beinwert oder nach dem Wert eines Fußes im Fußgelenk zu bemessen ist; im Zweifelsfall ist von der für den Kläger günstigeren Auslegung auszugehen (vgl. Senatsurteile vom 24. Mai 2006 - IV ZR 203/03 - VersR 2006, 1117 Tz. 11 ff.; vom 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02 - VersR 2003, 1163 unter II 1 und 2 c; vom 17. Januar 2001 - IV ZR 32/00 - VersR 2001, 360 unter 2).
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 15.11.2006 - 23 O 9768/04 -
OLG München, Entscheidung vom 19.02.2008 - 25 U 5743/06 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.