Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Nov. 2019 - I ZR 35/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. November 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Löffler, Feddersen und die Richterin Dr. Schmaltz
beschlossen:
Gründe:
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- I. Die Klägerin hat für zwei Kochbücher der Beklagten Fotoaufnahmen gefertigt und für drei ganztägige Fototermine jeweils ein Pauschalhonorar erhalten. Sie verlangt mit ihrer Klage eine Vertragsanpassung nach § 32 UrhG. Das Landgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens unter anderem zur Einwilligung in eine Vertragsanpassung verurteilt, nach welcher der Klägerin eine laufende Beteiligung in Höhe von 1% des Nettoverkaufspreises der beiden Kochbücher ab dem jeweils 10.001 Exemplar zu zahlen ist. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der angestrebten Revision möchte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.
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- II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig (§ 544 Abs. 1 und 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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- 1. Die Zulassung der Revision ist nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG oder des Anspruchs auf ein rechtsstaatliches Verfahren veranlasst. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das Berufungsurteil beruhe auf einer Verletzung dieser Verfahrensgrundrechte , weil das Berufungsgericht sein Urteil auf ein Sachverständigengutachten gestützt habe, obwohl der Sachverständige seine Befundtatsachen nicht angegeben habe.
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- a) Zwar trifft es zu, dass beide Tatgerichte den Sachverständigen hätten dazu anhalten müssen, seine Rechercheergebnisse zu der Vergütungspraxis bei derartigen Buchprojekten darzulegen, damit diese insbesondere im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit den streitgegenständlichen Kochbüchern hätten überprüft werden können. Ein Sachverständiger muss die Befundtatsachen jedenfalls insoweit offenlegen, als er seine sachverständige Beurteilung hierauf stützt, damit diese von den Verfahrensbeteiligten nachvollzogen und hinterfragt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. August 2017 - 1 BvR 776/14, juris Rn. 22; BGH, Urteil vom 12. November 1991 - KZR 18/90, BGHZ 116, 47, 58 [juris Rn. 32] - Amtsanzeiger; Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 128/11, NJW-RR 2011, 1459 Rn. 18; BeckOK.ZPO/Scheuch, 34. Edition [Stand: 1. September 2019], § 404a Rn. 10). Der Zugang der Parteien zu den Befundtatsachen, auf deren Feststellung ein Sachverständiger sein Gutachten gestützt hat, gehört zu den elementaren Verfahrensregeln, die das Rechtsstaatsprinzip in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gewährleistet (vgl. BVerfGE 91, 176, juris Rn. 18; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2000 - 1 BvR 2646/95 [juris Rn. 3]; Beschluss vom 30. August 2017 - 1 BvR 776/14 [juris Rn. 22]). Im Streitfall hat der Sachverständige zu seinen bei Verlagen und Fotografen durchgeführten Befragungen keine näheren Angaben gemacht, so dass diese Befundtatsachen nicht überprüfbar waren. Damit hätte das Sachverständigengutachten als Urteilsgrundlage nicht herangezogen werden dürfen.
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- b) Allerdings steht der Zulassung der Revision der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der nicht nur für die Verfassungsbeschwerde, sondern auch für die Nichtzulassungsbeschwerde gilt. Danach muss ein Beteiligter im Instanzenzug alle prozessual zulässigen und nicht offensichtlich aussichtslosen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Grundrechtsverletzung zu verhindern oder ihre Korrektur zu bewirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2013 - 1 BvR 1024/12, juris Rn. 7). Dies entspricht auch § 295 ZPO, wonach eine Partei einen Verfahrensverstoß nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Rüge nicht genutzt hat (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - IV ZB 10/15, NJW-RR 2015, 1150 Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2017 - VI ZR 81/17, NJW-RR 2018, 404 Rn. 8).
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- Die Beklagte hätte hier zur Aufklärung der Befundtatsachen des Gutachtens die persönliche Anhörung des Sachverständigen gemäß §§ 402, 397 ZPO oder zumindest die weitere schriftliche Ergänzung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 Satz 2 ZPO beantragen können. Unabhängig von prozessualer Präklusion oder Verspätung darf das Berufungsgericht einen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht zurückweisen, wenn die Anhörung bei pflichtgemäßer Ermessensausübung von Amts wegen durchzuführen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1989 - VI ZR 25/88, VersR 1989, 378 [juris Rn. 7]; Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90, VersR 1992, 722 [juris Rn. 11]; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 411 Rn. 9a). Die Beklagte hat stattdessen nur den Umstand der fehlenden Offenbarung der befragten Verlage und Fotografen gerügt. Nachdem das Landgericht sich für seine Bemessung der angemessenen Vergütung maßgeblich auf die Beurteilung des Sachverständigen bezogen hatte, hätte die Beklagte spätestens in der Berufungsinstanz die mündliche Befragung des Sachverständigen zu seinen Beurteilungsgrundlagen beantragen können, um einen Grundrechtsverstoß durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Bei der Beantragung der persönlichen Vernehmung des Sachverständigen handelt es sich um ein prozessual übliches Vorgehen derjenigen Partei, die dessen schriftliches Gutachten für ganz oder teilweise unrichtig oder unzureichend hält. Ein solches Vorgehen war auch nicht aussichtslos. Der Sachverständige hatte die Auskunft über die Befundtatsachen nicht verweigert , sondern diese Rüge lediglich übergangen.
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- Der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes steht nicht die aus § 411 Abs. 3 ZPO folgende Verpflichtung des Tatgerichts entgegen, den Sachverständigen bei Unklarheiten oder Zweifeln an seiner schriftlichen Begutachtung von Amts wegen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden (vgl. dazu: BGH, VersR 1992, 722; BGH, Urteil vom 15. Juli 1998 - IV ZR 206/97, NJW-RR 1998, 1527, 1528 [juris Rn. 8]; Huber in Musielak/Voit aaO § 411 Rn. 9a). Das Fragerecht der Parteien und die Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts stehen nebeneinander (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - VIII ZR 96/10, NJW-RR 2011, 704 Rn. 9; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 411 Rn. 16). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist die betroffene Partei trotz der Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts zur Ergreifung aller prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung des Grundrechtsverstoßes gehalten. Eine Partei muss deshalb ihre Angriffe gegen das gerichtliche Vorgehen im Berufungsverfahren bereits so vortragen, dass ihre Prüfung in diesem Verfahren unabhängig davon gewährleistet ist, ob das Verfahren der Parteimaxime oder dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt (vgl. [zu finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren] BVerfGE 79, 174, 189 [juris Rn. 52]; BVerfG, BB 2016, 1186 Rn. 8). Dies ist im Streitfall unterblieben.
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- III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.10.2017 - 12 O 210/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.01.2019 - I-20 U 166/17 -
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(1) Der Urheber hat für die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt die angemessene Vergütung als vereinbart. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird.
(2) Eine nach einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36) ermittelte Vergütung ist angemessen. Im Übrigen ist die Vergütung angemessen, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer, Häufigkeit, Ausmaß und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist. Eine pauschale Vergütung muss eine angemessene Beteiligung des Urhebers am voraussichtlichen Gesamtertrag der Nutzung gewährleisten und durch die Besonderheiten der Branche gerechtfertigt sein.
(2a) Eine gemeinsame Vergütungsregel kann zur Ermittlung der angemessenen Vergütung auch bei Verträgen herangezogen werden, die vor ihrem zeitlichen Anwendungsbereich abgeschlossen wurden.
(3) Auf eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Urhebers von den Absätzen 1 bis 2a abweicht, kann der Vertragspartner sich nicht berufen. Die in Satz 1 bezeichneten Vorschriften finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. Der Urheber kann aber unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht für jedermann einräumen.
(4) Der Urheber hat keinen Anspruch nach Absatz 1 Satz 3, soweit die Vergütung für die Nutzung seiner Werke tarifvertraglich bestimmt ist.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.
(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)