Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2017 - VI ZR 81/17
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Roloff und Müller
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
- 2
- Der am 28. Januar 1964 geborene Kläger stellte sich am 23. Februar 2009 in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Klinikum wegen belastungsabhängiger Schmerzen im rechten Fuß vor. Ein mitgebrachtes MRT vom 21. Januar 2009 zeigte eine inkomplette Sehnenruptur des musculus tibialis posterior. Eine im Klinikum der Beklagten zu 1 veranlasste Röntgenaufnahme führte zur Diagnose eines erworbenen Pes Planovalgus rechts mit tibialis posterior Dysfunktion Grad II. Eine fortgeschrittene Arthrose im Sprunggelenk ergab sich nicht. Dem Kläger waren von einem Vorbehandler Einlagen verordnet worden. Diese hatten aber nicht zu einer Besserung der Beschwerden geführt. Dem Kläger wurde von dem im Klinikum der Beklagten zu 1 tätigen Ärzten eine komplexe Rückfußkorrektur rechts, gelenkerhaltend im Sinne einer kombinierten Calcaneus-Verlängerungs- und Verschiebungsosteotomie mit lateraler Beckenkammspan -Interposition, einem FDL-Transfer sowie einer plantarisierenden Metatarsale I-Osteotomie empfohlen. Am 20. Mai 2009 wurde der Eingriff im Hause der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2 durchgeführt. Der Kläger wurde am 30. Mai 2009 aus der Klinik entlassen. In der Folgezeit ergaben sich diverse Komplikationen. Der Kläger macht u.a. geltend, die Operation sei nicht indiziert gewesen, da konservative Behandlungsmöglichkeiten zuvor nicht ausgeschöpft worden seien. Er sei nicht über die Behandlungsalternative einer konservativen Therapie mit Gips, Orthese oder physikalischen Maßnahmen aufgeklärt worden.
- 3
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht geltend, die Zulassung der Revision sei zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten.
II.
- 4
- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
- 5
- 1. Ohne Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde allerdings, das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen, dass der Kläger in der Berufungsinstanz die Frage der Indikation der Operation zum Gegenstand seines Vorbringens gemacht habe.
- 6
- a) Zwar ist das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger den Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, mit der Berufung nicht mehr weiterverfolge. Bei der gebotenen Würdigung des Berufungsbegehrens im Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung des Grundsatzes der interessengerechten Auslegung, die der Senat selbst vornehmen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2016 - VI ZB 63/14, VersR 2016, 1072 Rn. 11 mwN; BGH, Urteile vom 24. Juni 2010 - I ZR 166/08, GRUR 2010, 1026 Rn. 10 - Photodynamische Therapie; Beschluss vom 27. Januar 2015 - II ZR 191/13, juris Rn. 10), besteht kein Zweifel daran, dass der Kläger mit der Berufung auch die Bejahung der Indikation durch das Landgericht angreifen wollte. Der Kläger führt auf S. 3 der Berufungsbegründung einleitend aus, im Wesentlichen stritten die Parteien über die Indikation zum operativen Vorgehen, über die "fehlerhafte Operation" selbst sowie über Aufklärungsfragen hinsichtlich Risikoaufklärung und Aufklärung über echte Behandlungsalternativen. In der Folge stellt der Kläger die Argumentation des Landgerichts zu den drei genannten Themenkomplexen, so unter I. 1. - als Unterpunkt des Behandlungsfehlers - die Argumentation des Landgerichts zur Indikation der Operation dar. Auf S. 5 ff. schließt sich die Würdigung des Urteils an. Unter Ziffer I. "Zum Behandlungsfehler" wirft der Kläger dem Landgericht vor, dass das Urteil allein die Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen wiedergebe und die widersprechende ärztliche Einschätzung des Privatsachverständigen nicht einmal erwähne. Das Landgericht habe sich mit dem Privatgutachten, aus dem sich Widersprüche zum Gerichtsgutachten ergäben, nicht auseinandergesetzt und die Widersprüche nicht aufgeklärt. Der Privatsachverständige sei zu der Überzeugung gekommen, dass im Rahmen der Behandlung des Klägers nicht sämtliche konservativen Behandlungsmöglichkeiten zur Behandlung der Tibialis posterior - Sehnen-Dysfunktion von Beklagtenseite vorgeschlagen und durchgeführt worden seien. Zur Behandlung hätten regressierende Behandlungsmöglichkeiten mit Gips oder Orthese sowie physikalische Maßnahmen zur Verfügung gestanden. Insoweit bezieht sich der Kläger auf die zusammenfassenden Ausführungen des Privatsachverständigen auf S. 53 des Gutachtens. Der Kläger hat damit hinreichend klar zu erkennen gegeben, dass er den Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, mit der Berufung weiterverfolgen will.
- 7
- b) Der Geltendmachung eines Gehörsverstoßes wegen Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens steht aber der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
- 8
- aa) Nach diesem Grundsatz muss ein Beteiligter die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschlüsse vom 17. März 2016 - IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; vom 15. Juli 2015 - IV ZB 10/15, VersR 2016, 137; Urteil vom 8. November 1994 - XI ZR 35/94, NJW 1995, 403; BVerfGE 73, 322, 325; 77, 381, 401; 81, 22, 27; 86, 15, 22; 95, 163, 171). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken , nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (BGH, Beschlüsse vom 17. März 2016 - IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; vom 6. Mai 2010 - IX ZB 225/09, MDR 2010, 948; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178, juris Rn. 10).
- 9
- bb) So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss vom 28. Oktober 2016 unter I. 1. ausdrücklich und in Fettdruck darauf hingewiesen, dass der Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, von der Berufung nicht mehr weiterverfolgt werde. Dieser auf einer unzureichenden Befassung mit dem Berufungsbegehren beruhende Hinweis forderte eine Reaktion des Klägers geradezu heraus. Der Kläger hat die Möglichkeit, das Berufungsgericht auf das fehlerhafte Verständnis der Berufungsbegründung hinzuweisen , aber nicht genutzt. In seinem im Anschluss an den Hinweisbeschluss eingereichten Schriftsatz hat er lediglich beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
- 10
- 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt aber mit Erfolg, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts, den Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, den Kläger unzureichend über Behandlungsalternativen aufgeklärt zu haben, auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruht.
- 11
- a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 88, 366, 375 f. mwN).
- 12
- b) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung nicht berücksichtigt, wonach ausweislich der Angaben des Privatsachverständigen im Streitfall konservative Möglichkeiten zur Behandlung der beim Kläger festgestellten Tibialis posterior - Sehnen-Dysfunktion - nämlich regressierende Behandlungsmöglichkeiten Gips, Orthese sowie physikalischen Maßnahmen - zur Verfügung gestanden hätten, über die der Kläger nicht aufgeklärt worden sei, und wonach die Auffassung des Privatsachverständigen im Widerspruch zu der des gerichtlichen Sachverständigen stehe, weshalb bereits das Landgericht den Sachverhalt weiter habe aufklären müssen. Der Privatsachverständige führt auf S. 52 f. seines Gutachtens aus, dass alle zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Artikel eindeutig empfehlen würden, dass bei Grad I und II der Tibialis posterior Sehnen-Dysfunktion initial eine konservative Therapie im Vordergrund stehe. In der Literatur seien mehrere Studien publiziert worden, die darauf hinwiesen, dass eine Tibialis posterior Sehnen-Dysfunktion Grad II erfolgreich konservativ behandelt werden könne. Die Follow-up-Studie von Lin et al., publiziert in Foot & Ankle International 2008, beschreibe eine erfolgreiche Therapie dieser Dysfunktion über einen Zeitraum von 7 bis 10 Jahren. Der Artikel liege dem Gutach- ten bei. Des Weiteren lägen die Therapieempfehlungen hinsichtlich des Acquired Adult Flatfoot Deformity der American Orthopaedic Foot & Ankle Society bei sowie ein Übersichtsartikel von Holly Olszewski hinsichtlich Studien über die erfolgreiche konservative Behandlung der Tibialis posterior SehnenDysfunktion. Nach Auffassung des Privatsachverständigen habe zunächst die beim Kläger vorliegende Teilruptur der Tibialis posterior-Sehne konservativ behandelt werden müssen. Zu diesem Zweck hätten Behandlungsmöglichkeiten mit Gips oder Orthese zur Verfügung gestanden ebenso wie physikalische Maßnahmen. Zur Schmerzlinderung hätten Medikamente eingesetzt werden können. Auf S. 54 bejaht der Sachverständige die Frage, ob alternative Behandlungsmöglichkeiten mit zumindest gleichem hypothetischen Behandlungserfolg bestanden hätten, ausdrücklich und verweist noch einmal auf die zuvor erwähnten Studien und Artikel.
- 13
- Demgegenüber hatte der gerichtliche Sachverständige auf die Frage des Klägervertreters nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten die Anwendung einer Orthese oder eines Gipses nicht für gleichermaßen indiziert gehalten. Bei dieser Sachlage rügt die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach ein Widerspruch zwischen den diesbezüglichen Ausführungen des Privatsachverständigen und denen des gerichtlichen Sachverständigen nicht zu erkennen sei, nur darauf beruhen kann, dass das Berufungsgericht den Akteninhalt unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur selektiv zur Kenntnis genommen hat.
- 14
- c) Der Geltendmachung dieses Gehörsverstoßes steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Zwar findet sich die entsprechende Beurteilung des Berufungsgerichts bereits im Hinweisbeschluss. Der Kläger ist ihr in seinem im Anschluss an den Hinweisbeschluss eingereichten Schriftsatz nicht entgegengetreten , sondern hat lediglich beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Dies gereicht ihm aber nicht zum Nachteil. Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, ein Widerspruch zwischen den Ausführungen des Privatsachverständigen und denen des gerichtlichen Sachverständigen sei nicht zu erkennen, nicht begründet. Es hat sich darauf beschränkt, einen anderen Standpunkt als den vom Kläger vertretenen einzunehmen. Dieser hatte die Widersprüche zwischen den Ausführungen des Privatsachverständigen und denen des gerichtlichen Sachverständigen in der Berufungsbegründung im Einzelnen aufgezeigt und als rechtsfehlerhaft beanstandet, dass sich das Landgericht mit der abweichenden Einschätzung des Privatsachverständigen in keiner Weise auseinandergesetzt hatte. Der gegenteiligen Auffassung des Berufungsgerichts hätte der Kläger nur dadurch entgegentreten können, dass er seine bereits in der Berufungsbegründung erhobenen Rügen wiederholt. Hierzu war er nicht gehalten.
- 15
- d) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des durch die Vorlage des Privatsachverständigengutachtens konkretisierten Vorbringens des Klägers und bei der dementsprechend gebotenen Ergänzung der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung aller Umstände des gesamten Falles zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Galke von Pentz Offenloch Roloff Müller
LG München I, Entscheidung vom 15.06.2016 - 9 O 18711/13 -
OLG München, Entscheidung vom 18.01.2017 - 1 U 3074/16 -
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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Tenor
-
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 2. März 2015 wird auf ihre Kosten verworfen.
-
Streitwert: 1.401,93 €
Gründe
- 1
-
I. Die Klägerin wendet sich gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist versagt hat.
- 2
-
Die Klägerin hat gegen das ihr am 29. Oktober 2014 zugestellte Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 29. Januar 2015 verlängerten Begründungsfrist ging keine Berufungsbegründung beim Landgericht ein. Mit einem am 4. Februar 2015 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und mit am 10. Februar 2015 eingegangenen Schriftsatz ihre Berufung begründet.
- 3
-
Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
- 4
-
Sie rügt, das Berufungsgericht habe verkannt, dass Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist nicht zu laufen begonnen hätten. Der Amtsrichter habe das Verkündungsprotokoll nur mit einem Handzeichen abgezeichnet, das nicht die Anforderungen an eine Unterschrift erfülle. Es fehle mithin an einer wirksamen Verkündung. Dies sei von Amts wegen zu prüfen. Das Berufungsgericht habe deshalb den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zurückweisen dürfen, sondern als gegenstandslos behandeln müssen.
- 5
-
II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt weder den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Auch bedarf es im Streitfall keiner Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen.
- 6
-
1. Das Berufungsgericht ist ohne zulassungsrelevanten Rechtsfehler davon ausgegangen, dass das erstinstanzliche Urteil wirksam verkündet worden ist und die Zustellung des Urteils deshalb die Berufungsbegründungsfrist in Lauf setzte.
- 7
-
a) Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin mit ihrer - keineswegs zwingenden - Ansicht recht hat, der Schriftzug unter dem Verkündungsprotokoll des Amtsgerichts stelle keine Unterschrift dar. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, begründet dies unter den Umständen des Streitfalles keinen zulassungsrelevanten Grundrechtsverstoß. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert es der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität, dass ein Beteiligter alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 73, 322, 325; 77, 381, 401; 81, 22, 27; 86, 15, 22; 95, 163, 171). Ist ein Rechtsmittel gegeben, das (auch) dazu führen kann, diese Verletzung zu überprüfen oder zu verhindern, so ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 285/09, NZM 2011, 274 Rn. 10; Beschluss vom 6. Mai 2010 - IX ZB 225/09, WM 2010, 1722 Rn. 7 f.). Gleiches gilt für das Grundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
- 8
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So liegen die Dinge hier. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils geltend gemacht, dass dieses Urteil nicht ordnungsgemäß verkündet worden ist. Sie hätte aber die mit der Rechtsbeschwerde gerügten Umstände bereits im Berufungsverfahren rügen können, wenn sie nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils Akteneinsicht genommen hätte. Dies hat die Klägerin unterlassen. Damit enthält die implizite Entscheidung des Berufungsgerichts, dass der Schriftzug des Amtsrichters unter dem Verkündungsprotokoll die - in der Rechtsprechung geklärten - Anforderungen an eine Unterschrift erfüllt, allenfalls einen Fehler im Einzelfall. Ein Zulassungsgrund besteht schon deshalb nicht.
- 9
-
b) Unabhängig davon ist es rechtlich nicht zu beanstanden, den Schriftzug des Amtsrichters unter dem Verkündungsprotokoll als Unterschrift anzusehen. Die Anforderungen an eine Unterschrift sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Mai 2015 - IV ZB 32/14 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2013 - VIII ZB 18/13, NJW 2013, 3451 Rn. 6; vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, juris Rn. 10 m.w.N.). Im Streitfall gleicht der Schriftzug - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zutreffend hinweist - in seinen wesentlichen Eigenheiten den übrigen in der Akte vorhandenen Unterschriften des Amtsrichters.
- 10
-
2. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Anforderungen an eine Unterschrift sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.
-
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt
-
Dr. Karczewski Dr. Schoppmeyer
(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.
(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Über das Vermögen des Schuldners wurde auf seinen mit einem Restschuldbefreiungsgesuch verbundenen Eigenantrag am 17. Februar 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Schlusstermin vom 16. Mai 2006 beantragte das Finanzamt unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 10. April 2006 und Berichte des Insolvenzverwalters, dem - bei diesem Termin nicht anwesenden - Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Eine von dem Schuldner nach Erhalt des Terminprotokolls und des Schriftsatzes des Finanzamts bis Mitte Juni 2007 angekündigte Stellungnahme wurde nicht abgegeben.
- 2
- Das Amtsgericht hat dem Schuldner durch Beschluss vom 17. Juli 2008 die Restschuldbefreiung versagt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Schuldner gegen die Versagung der Restschuldbefreiung.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Finanzamt habe einen hinreichend substantiierten Versagungsantrag gestellt. Einer Glaubhaftmachung der Versagungsgründe habe es nicht bedurft, weil der Schuldner im Schlusstermin nicht erschienen sei und das tatsächliche Vorbringen des Gläubigers nicht bestritten habe. Ein Bestreiten des Schuldners nach Beendigung des Schlusstermins sei unbeachtlich. Der Schuldner habe Mitwirkungspflichten verletzt , weil er einen sich im Februar 2004 ergebenden pfändbaren Betrag von 275 € nur verzögert und zum Teil an den Insolvenzverwalter abgeführt habe. Da der Insolvenzverwalter unter ausführlicher Darlegung des Geschehensablaufs im Einzelnen vorgetragen habe, dass der Schuldner einen Restbetrag von 137,50 € nicht beglichen habe, seien das schlichte Bestreiten des Schuldners und die pauschale Behauptung, Zahlung geleistet zu haben, nicht zu berücksichtigen. Ferner habe der Schuldner keine ordnungsgemäße Abrechnung für den Zeitraum seiner Selbständigkeit erteilt. Insoweit habe der Schuldner selbst eingeräumt, nur einen Teil der Belege eingereicht zu haben. Vor diesem Hintergrund überzeuge es nicht, wenn der Schuldner sich nunmehr darauf berufe, sämtliche Belege übermittelt zu haben.
III.
- 4
- Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO).
- 5
- 1. Ohne Erfolg beruft sich der Schuldner auf eine Verletzung seines Verfahrensgrundrechts aus § 103 Abs. 1 GG.
- 6
- a) Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht, so dass nicht zweifelhaft ist, dass sie auf eine Verfassungsbeschwerde hin der Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen würde. Für die Zulassung wegen eines Rechtsfehlers sind deshalb die gleichen Voraussetzungen maßgebend , die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führen würden (BGHZ 154, 288, 296 f).
- 7
- b) Soweit der Schuldner beanstandet, er sei weder zu dem Schlusstermin geladen noch durch Mitteilung einer Abschrift von dem Versagungsantrag des Finanzamts unterrichtet worden, steht der Geltendmachung eines Gehörsverstoßes der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Er fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 73, 322, 325; 77, 381, 401; 81, 22, 27; 86, 15, 22; 95, 163, 171; stRspr). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kom- menden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (BFH/NV 1993, 34; 1993, 422, 423; Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. § 295 Rn. 5; Prütting/Gehrlein/ Deppenkemper, ZPO 2. Aufl. § 295 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO 3. Aufl. § 295 Rn. 29).
- 8
- c) Der Schuldner hat zu dem Versagungsantrag und vermeintlichen Gehörsverletzungen entgegen seiner schriftsätzlichen Ankündigung gegenüber dem Amtsgericht bis Mitte Juni 2007 keine Stellungnahme abgegeben, so dass insoweit bereits ein Verfahrensfehler ausscheidet. Auch im Beschwerderechtszug hat sich der Schuldner nicht auf die mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Gehörsverstöße berufen. Ist noch ein Rechtsmittel gegen die auf der gerügten Verletzung beruhende Entscheidung gegeben, das (auch) zur Überprüfung dieser Verletzung führen kann, so ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 107, 395, 410). Bei dieser Sachlage scheidet eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG aus.
- 9
- 2. Soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, der Schuldner habe nicht substantiiert vorgetragen, den Restbetrag von 137,50 € an den Insolvenzverwalter überwiesen zu haben, handelt es sich um eine aus dem beiderseitigen Vorbringen gewonnene tatrichterliche Würdigung, die mit Rücksicht auf die verfahrensrechtlichen Erklärungspflichten des Schuldners keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erkennen lässt. Gleiches gilt für die weitere Feststellung des Beschwerdegerichts, der Schuldner habe für den Zeitraum seiner Selbständigkeit keine ordnungsgemäße Abrechnung erteilt. Das Beschwerdegericht durfte davon ausgehen, dass dem Schuldner ausweislich seiner eigenen Erklärungen die Unvollständigkeit der von ihm eingereichten Belege bewusst war.
- 10
- 3. Soweit das Beschwerdegericht dem Schuldner anlastet, einen Kooperationsvertrag nicht vorgelegt zu haben, handelt es sich entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen um keinen nachgeschobenen Versagungsgrund. Das Finanzamt hat seinen Versagungsantrag auf die Berichte des Insolvenzverwalters gestützt, aus denen hervorgeht, dass der Verwalter den Schuldner ohne Erfolg um die Vorlage dieser Unterlagen ersucht hat.
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
AG Münster, Entscheidung vom 17.07.2008 - 72 IN 131/03 -
LG Münster, Entscheidung vom 04.09.2009 - 5 T 576/08 -