Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Apr. 2016 - 4 StR 474/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:280416B4STR474.15.0
28.04.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 474/15
vom
28. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280416B4STR474.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , des Nebenklägers und des Beschwerdeführers am 28. April 2016 gemäß §§ 46, 349 Abs. 1, 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Juni 2015 – unter Verwerfung des weiter gehenden Rechtsmittels als unbegründet – im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von einem Jahr Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Der Ausspruch entfällt.
2. Der Antrag des Nebenklägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das vorbezeichnete Urteil zu gewähren, wird verworfen.
3. Seine Revision gegen dieses Urteil wird als unzulässig verworfen.
4. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es bestimmt, dass vor der Unterbringung ein Jahr der verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen ist.
2
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Auch der Nebenkläger hat fristgerecht Revision eingelegt. Die Revisionsrechtfertigung, mit der er die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes beanstandet, ging jedoch erst am 22. August 2015 und damit einen Tag nach Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO beim Landgericht ein. Nach Kenntnisnahme von dem auf § 349 Abs. 1 StPO gestützten Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts hat der Vertreter des Nebenklägers fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

A.


3
Zur Revision des Angeklagten

I.


4
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt insbesondere für die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz ge- handelt (zum bedingten Tötungsvorsatz vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011 – 3 StR 351/11, NStZ 2012, 151 mwN).

II.


5
Die vom Landgericht für die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB gegebene Begründung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie widerstreitet der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung (§ 67 Abs. 1 StGB) und vermag eine Abweichung von der Regel, wonach zunächst die Maßregel zu vollstrecken ist, nicht zu rechtfertigen.
6
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzugs der Strafe das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, da dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muss es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig zu heilen und seine Persönlichkeitsstörung zu behandeln, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugsziels arbeiten kann (vgl. nur Senatsurteil vom 23. August 1990 – 4 StR 306/90, BGHSt 37, 160, 161 f.; BGH, Beschluss vom 22. März 2006 – 1 StR 75/06, StraFo 2006, 299). Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzugs bedarf daher eingehender Begründung. Steht zu besorgen, dass der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichtemachen könnte, so müssen dafür überzeugende Gründe vorliegen, die in den Urteilsgründen darzulegen sind (BGH, Beschluss vom 22. März 2006 aaO; ebenso BGH, Beschluss vom 26. April 2001 – 1 StR 109/01, jeweils mwN).
7
2. Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme nicht gerecht.
8
Das Landgericht führt, insoweit dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, im angefochtenen Urteil aus, der Angeklagte habe die Tendenz, jegliche Verantwortung für seine aggressiven Impulshandlungen von sich zu weisen ; er habe nie lernen müssen, die Verantwortung für sein Handeln bei sich selbst zu sehen. Durch die Anordnung eines teilweisen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe könne dem Angeklagten verdeutlicht werden, dass er trotz aller Schwierigkeiten, seine Impulse zu kontrollieren, prinzipiell noch dazu in der Lage sei und er somit auch selbst Verantwortung für sein aggressives Verhalten trage. Diese Erwägung lässt nicht erkennen, warum eine Konfrontation mit den Folgen seines strafbaren Handelns eher im Strafvollzug als bei der Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus erreicht werden kann oder die Strafhaft als Vorstufe der Behandlung für deren Zweck erforderlich sein könnte. Dies versteht sich auch nicht von selbst und wäre deshalb näher zu begründen gewesen , zumal es naheliegt, dass der zugrunde liegenden Neigung des Angeklagten im Vollzug der Maßregel besser als im Strafvollzug begegnet werden kann.
9
3. Der Senat hält es insbesondere nach der vom Angeklagten inzwischen erlittenen, über einjährigen Untersuchungshaft für ausgeschlossen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen für die Vorwegvollstreckung (eines Teils) der Strafe noch ergeben könnten. Er sieht daher von einer Zurückverweisung der Sache ab und lässt stattdessen die Anordnung des Vorwegvollzugs entfallen.
10
4. Dieser geringfügige Teilerfolg rechtfertigt es nicht, den Angeklagten von einem Teil der durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten freizustellen (vgl. SSW-StPO/Steinberger-Fraunhofer, 2. Aufl., § 473 Rn. 22).

B.


11
Zur Revision des Nebenklägers

I.


12
Der vom Nebenkläger wegen Versäumung der Frist zur Begründung seines Rechtsmittels gestellte Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg.
13
1. Im Unterschied zum Angeklagten ist dem Nebenkläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der nach Versäumung der Revisionsbegründung Wiedereinsetzung beantragt, nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 336/13, BGHR StPO § 44 Verschulden 10 mwN; SSW-StPO/Tsambikakis, 2. Aufl., § 44 Rn. 40). Für die Frage, ob der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt für ein Verschulden seines Kanzleipersonals haftet, kommt es darauf an, ob dieses sorgfältig ausgewählt und überwacht wird und ob eine zur Verhinderung von Fristüberschreitungen taugliche Büroorganisation vorhanden ist (BGH, Beschluss vom 17. März 2010 – 2 StR 27/10; Beschluss vom 9. Juni 2015 – VIII ZB 100/14, Tz. 9, IBR 2015, 523). Deshalb erfordert die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nicht nur eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist. Vorzutragen sind ferner diejenigen Tatsachen, die ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Bevollmächtigten ausschließen (Senatsbeschluss vom 28. August 2013; BGH, Beschlüsse vom 17. März 2010 – 2 StR 27/10 und vom 9. Juni 2015, jeweils aaO). Dies betrifft insbesondere die organisatorischen Vorkehrungen, durch die im Rahmen der Arbeitsabläufe in der Kanzlei sichergestellt werden soll, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig fertig gestellt wird, sondern auch innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 aaO).
14
2. Danach kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die vom Nebenklägervertreter vorgelegte eidesstattliche Versicherung seiner Kanzleimitarbeiterin überhaupt eine schlüssige und damit unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Glaubhaftmachung hinreichende Darstellung derjenigen Umstände enthält, die zu der mit einer fehlerhaften Berechnung begründeten Fristversäumung geführt haben sollen.
15
3. Es fehlt jedenfalls an einem hinreichenden Vortrag von Tatsachen, die eine unverschuldete Fristversäumnis des Prozessbevollmächtigten selbst begründen könnten.
16
a) Ausweislich der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherung oblag seiner insoweit besonders unterwiesenen Kanzleikraft die eigenverantwort- liche Führung der Fristen und die diesbezügliche Fristenkontrolle. Bei dieser Tätigkeit werde sie, so der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Neben- klägers, durch die „hiesigen schriftlichen Anweisungen sowohl zum Notieren von Fristen als auch zur Führung des Fristenkalenders“ unterstützt.
17
b) Damit ist ein Verschulden des Nebenklägervertreters selbst nicht ausgeschlossen. Zwar darf ein Rechtsanwalt in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2000 – 1 StR 103/00, BGHR StPO § 44 Verschulden 7; vom 6. Juli 2004 – 5 StR 204/04, jeweils mwN). Aber schon das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung darf er beispielsweise nur unterzeichnen und zurückgeben , wenn durch geeignete organisatorische Vorkehrungen sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 mwN).

II.


18
Diesen Anforderungen genügende Maßnahmen hat der Prozessbevollmächtigte des Nebenklägers nicht vorgetragen. Dies gilt zum einen im Hinblick auf eine zur Verhinderung von Fristüberschreitungen taugliche, generelle Büroorganisation , zum anderen hinsichtlich einer Überwachung der Fristennotierung durch die betreffende Mitarbeiterin. Der allgemeine Hinweis auf insoweit existierende (schriftliche) Anweisungen reicht hingegen nicht aus.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 3. August 2016 wird als unzulässig verworfen.

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(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre.

(2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

(3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 351/11
vom
27. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 27. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.
2
1. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvorsatz tragenden lückenlosen Beweiswürdigung.
3
a) Nach den Feststellungen half der Angeklagte am 10. November 2010 gegen 24.00 Uhr seiner erheblich alkoholisierten Ehefrau von der Toilette hoch, wobei diese niederfiel und im Badezimmer zu liegen kam. Schon zu diesem Zeitpunkt, spätestens aber im Laufe des folgenden Vormittags entschloss er sich, seine (weiterhin) so daliegende Ehefrau zu töten. Hierzu würgte er sie mehrere Minuten mit beiden Händen, so dass sie schließlich erstickte. "Entweder vor oder nach" der Tat legte er ihr ein Kissen unter den Kopf und deckte sie mit einer Decke zu. Nicht sicher ausschließen kann das Landgericht, dass der ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte "aufgebracht und derart enthemmt war, dass seine Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Gewaltausübung erheblich eingeschränkt war".
4
b) Auf den Vorsatz des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, schließt das Landgericht daraus, dass ihm aufgrund der dauerhaften und massiven Einwirkung auf deren Hals deren "lebensbedrohliche Situation … nicht habe verborgen bleiben können." Die Art der Einwirkung lasse "keinen anderen Rückschluss zu als dass der Angeklagte mit Tötungsabsicht gehandelt hat". Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Zwar ist das Würgen eines Menschen über mehrere Minuten eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, deren Lebensbedrohlichkeit für gewöhnlich ohne weiteres erkennbar ist und die deshalb grundsätzlich darauf schließen lässt, der Täter habe den Tod des Opfers beabsichtigt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen. Rechtsfehlerfrei ist ein solcher Schluss jedoch nur dann, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme direkten Tötungsvorsatzes (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 225/11). So versteht es sich etwa nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51).
6
Danach hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte zur Tatzeit möglicherweise unter erheblichem, seine Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss stand. Dies gilt um so mehr, als das Landgericht ein Tatmotiv nicht feststellen und nicht ausschließen kann, dass der Angeklagte seiner Ehefrau nach dem Geschehen noch ein Kissen unter den Kopf legte und sie zudeckte.
7
Wegen der bei dieser Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue Feststellungen zu treffen.
8
2. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. Gleichwohl bemerkt der Senat:
9
Lehnt der Tatrichter eine Mehrzahl von Beweisanträgen deshalb ab, weil er die darin unter Beweis gestellten Indiztatsachen aus tatsächlichen Gründen als für die Entscheidung ohne Bedeutung erachtet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), so darf er die einzelnen Anträge nicht nur für sich betrachten. Vielmehr hater jeweils auch die weiteren Beweisbehauptungen (erneut) in Bedacht zu nehmen und in dem ablehnenden Beschluss darzulegen, weshalb er selbst bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Indiztatsachen einen im Falle ihres Erwiesenseins nur möglichen Schluss nicht ziehen möchte (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 225 mwN).
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 75/06
vom
22. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2006 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 14. Oktober 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Mordes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben , soweit der Vorwegvollzug von zwei Jahren Jugendstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der Jugendstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Änderung des Schuldspruchs und des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Nach den Feststellungen würgte der Angeklagte in einem dunklen Wiesengelände aufgrund eines aggressiven Affekts, nicht aus sexuellen Motiven, C. G. in Tötungsabsicht fünf bis sechs Minuten bis zur Bewusstlosigkeit. Da C. G. noch am Leben war, schleifte er sie zu einem nahe gelegenen Bach. Nunmehr spürte er sexuelles Verlangen. Er zog die besinnungslose C. G. teilweise aus und masturbierte bei gleichzeitigem Berühren von deren Scheide und After. Anschließend tötete er sein Opfer endgültig , indem er es so an den Bach legte, dass der Kopf sich unter Wasser befand.
4
Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass das Opfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05). Im vorliegenden Fall war jedoch das bewusstlose Opfer nicht mehr in der Lage, seinen entgegenstehenden Willen dem des Täters unterzuordnen, weil es sich über das Vorgehen des Täters überhaupt keine Vorstellung mehr machen konnte. Die Tathandlung erfüllt daher lediglich den Straftatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der als Auffangtatbestand eingreift, wenn eine Beugung eines entgegenstehenden Willens des Opfers nicht vorliegt (BGH aaO).
5
Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, weil die wegen des im Mittelpunkt stehenden Mordes verhängte Jugendstrafe im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angemessen erscheint.
6
2. Auch die vom Landgericht gemäß § 67 Abs. 2 StGB bestimmte Vollstreckungsreihenfolge hat keinen Bestand. Die gegebene Begründung vermag eine Abweichung von der Regel des § 67 Abs. 1 StGB, wonach zunächst die Maßregel zu vollstrecken ist, nicht zu rechtfertigen.
7
a) Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll - auch bei hohen Freiheitsstrafen - möglichst umgehend mit der Behandlung des kranken oder süchtigen Rechtsbrechers begonnen werden , weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muss es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann. Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung. Steht zu besorgen, dass der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichte machen könnte , so müssen dafür überzeugende Gründe vorliegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00 - m.w.N.).
8
b) Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme nicht gerecht. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu zutreffend ausgeführt:
9
"Die Erwägung, dem Angeklagten müsse im Interesse des möglichen Therapieerfolges zunächst ein Bewusstsein vom Ausmaß seiner schweren Schuld mit Hilfe der vorherigen teilweisen Verbüßung der Jugendstrafe vermit- telt werden, da er durch sein Verhalten und seine Äußerungen in der Hauptverhandlung bis zuletzt gezeigt habe, er erwarte Nachsicht und Verständnis für seine Tat, lässt besorgen, dass die Jugendkammer davon ausging, der Angeklagte neige dazu, seine Taten zu bagatellisieren. Diese Erwägung lässt nicht nachvollziehen, inwiefern eine Konfrontation mit den Folgen seines strafbaren Handelns eher im Strafvollzug als bei der Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus erreicht werden kann oder die Strafhaft als Vorstufe der Behandlung für deren Zwecke therapeutisch erforderlich sein könnte (vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2001 - 1 StR 109/01).
10
Das weitere Argument der Strafkammer durch den - wenigstens teilweisen - Vollzug der Jugendstrafe müsse der Therapiewille des Angeklagten gefestigt und sein Motivationsdruck erhöht werden, reicht für ein Abweichen von der Grundentscheidung des Gesetzgebers ebenfalls nicht aus, da keine konkreten Umstände im Einzelfall dargetan sind, die dies nahe legen (vgl. BGHR § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10) und die hierzu durch die Anhörung des Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse ebenso wenig mitgeteilt werden (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 12)."
11
Zudem hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die Therapiebereitschaft auch beim Vollzug der Maßregel gefördert werden kann (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 14), da es zu den wesentlichen Aufgaben des Maßregelvollzugs gehört, den Verurteilten zur Einsicht in die Notwendigkeit seiner Behandlung zu bringen. Das Landgericht hätte im Übrigen auch bedenken müssen, dass die vorhandene Therapiebereitschaft, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch durch seinen Verteidiger erklären lassen konnte, während des Strafvollzugs wieder zerstört werden könnte (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10; Vorwegvollzug, teilweiser

12).


12
c) Der Senat hält es nach alledem - auch nach nunmehr einjähriger Untersuchungshaft - für ausgeschlossen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen für die Vorwegvollstreckung (eines Teils) der Strafe noch ergeben könnten. Er sieht deshalb von einer Zurückverweisung der Sache ab und lässt stattdessen die Anordnung des Vorwegvollzugs entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO). Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 109/01
vom
26. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2001 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gewährt. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 18. September 2000 im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung seiner Revision zu gewähren, weil ihn an deren Versäumung kein Verschulden trifft (§ 44 Satz 1, § 45 StPO). Diese beruht vielmehr auf einem Versehen der Kanzlei seines Verteidigers. Das ist durch dessen anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Falle in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der Strafen aus einer anderweitigen Verurteilung zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Zur Vollstreckungsreihenfolge hat es bestimmt, daß vor dem Vollzug der Maßregel zunächst ein Jahr und zwei Monate der erkannten Freiheitsstrafe zu vollstrecken sind. Die Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat Erfolg, soweit das Landgericht den teilweisen Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die vom Landgericht für die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB gegebene Begründung widerstreitet der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung (§ 67 Abs. 1 StGB). Tragfä-
hige Gründe dafür, von dieser im Falle des Angeklagten abzuweichen, führt die Strafkammer nicht an; solche liegen auch nicht auf der Hand. 1. Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, da dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muß es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig zu heilen und seine Persönlichkeitsstörung zu behandeln , damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann (vgl. dazu BGHSt 37, 160, 162; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug , teilweiser 4, 10, 11, 12; BGH NStZ-RR 1999, 44; NStZ 1999, 613 f.). Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 10). Will der Tatrichter darauf stützen, daß der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichte machen könnte, so müssen dafür überzeugende Gründe vorliegen (BGH NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7, Vorwegvollzug, teilweiser 13). 2. Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme nicht gerecht. Das Landgericht führt aus, daß nur durch den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe eine ausreichende Konfrontation des Angeklagten mit den Folgen seiner Straftat erreicht werden könne; denn aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur neige er dazu, die eigenen Straftaten zu bagatellisieren und Verantwortung auf Dritte abzuschieben. Diese Erwägung erhellt nicht, inwiefern eine Konfrontation mit den Folgen seines strafbaren Handelns eher im Strafvollzug als bei der Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus erreicht
werden kann oder die Strafhaft als Vorstufe der Behandlung für deren Zwecke erforderlich sein könnte. Dies versteht sich nicht von selbst und wäre deshalb näher zu begründen gewesen. Es liegt nahe, daß der zugrundeliegenden Neigung des Angeklagten im Vollzug der Maßregel besser begegnet werden kann. Gleiches gilt, soweit die Strafkammer hervorhebt, durch den teilweisen Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe werde vermieden, daß der Angeklagte im Anschluß an eine erfolgreiche Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus noch Freiheitsstrafe verbüßen müsse, wodurch der Therapieerfolg gefährdet werde. Da das Landgericht damit von der Grundentscheidung des Gesetzgebers abweichen will (§ 67 Abs. 1 StGB), hätte es auf den Einzelfall bezogener tragfähiger Gründe bedurft, die eine solche Würdigung konkretisieren und nachvollziehbar erscheinen lassen. 3. Der bezeichnete Mangel führt zur Aufhebung des Ausspruchs über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die zugrunde liegenden Feststellungen
können bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler in Rede steht. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind statthaft. Schäfer Nack Schluckebier Herr RiBGH Schaal ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Kolz Schäfer

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 336/13
vom
28. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hier: Nebenklägerin C.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 28. August 2013 gemäß
§ 46 Abs. 1, § 346 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag der Nebenklägerin C. , ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 16. August 2012 zu gewähren, wird als unzulässig verworfen. 2. Der Antrag der Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 19. November 2012 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen dieses Urteil hat die Vertreterin der Nebenklägerin fristgerecht Revision eingelegt. Nachdem bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Rechtsmittelbegründung nicht eingegangen war, verwarf das Landgericht die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig. Hiergegen hat die Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts angetragen und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revi- sionsbegründungsfrist ersucht. Die versäumte Prozesshandlung hat sie nachgeholt.
2
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist unzulässig; dementsprechend erweist sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO als unbegründet.
3
1. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Nebenkläger , der nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung beantragt, nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 1981 - 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309; vom 17. März 2010 - 2 StR 27/10; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 44 Rn. 19). Deshalb erfordert die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist; zu dem erforderlichen Tatsachenvortrag gehört dabei auch, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 27/10 mwN).
4
2. Daran fehlt es.
5
Nach dem Vortrag der Nebenklägervertreterin oblag es ihrer Rechtsanwaltsgehilfin , Fristen zu überwachen und ihr die Akten rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorzulegen. Dass hier - zum ersten Mal - die Revisi- onsbegründungsfrist versäumt wurde, habe daran gelegen, dass die Rechtsanwaltsgehilfin die Frist nicht eingetragen habe.
6
Damit ist ein Verschulden der Nebenklägervertreterin selbst nicht ausgeschlossen. Zwar darf ein Rechtsanwalt in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2000 - 1 StR 103/00, BGHR StPO § 44 Verschulden 7; vom 6. Juli 2004 - 5 StR 204/04, jeweils mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt aber schon das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 mwN). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (BGH aaO S. 1080 f.; Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083).
7
Diesen Anforderungen genügende Maßnahmen hat die Nebenklägervertreterin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie weder dargelegt, dass sie ihre Angestellte ausdrücklich angewiesen hat, die Revisionsbegründungsfrist einzutragen , noch waren unter Zugrundelegung ihres Vortrags in der Kanzlei Vorkehrungen , z.B. durch eine allgemeine Weisung, Aufträge zur Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sofort und vorrangig zu erledigen , dagegen getroffen, dass die Ausführung einer entsprechenden mündlich erteilten Weisung unterblieb (BGH aaO mwN). Auch zu einer Überwachung der Fristennotierung durch ihre Angestellte fehlt jeglicher Vortrag.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Mutzbauer

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 100/14
vom
9. Juni 2015
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider, die
Richterin Dr. Fetzer sowie den Richter Kosziol

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. November 2014 wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Beschwerdewert: 8.903,16 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, eine von den Klägern auf einen Vertrag über die Lieferung einer Heizungsanlage erbrachte Anzahlung von 8.903,16 € nach vorzeitiger Vertragsbeendigung zurückzuerstat- ten. Das angerufene Landgericht Frankfurt (Oder) hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe einer von ihr gestellten Bankbürgschaft, verurteilt. Das Urteil ist ihren Prozessbevollmächtigten am 9. Juli 2014 zugestellt worden. Diese haben mit einem an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 11. August 2014 (Montag), in dessen Adressfeld die Telefaxnummer des Landgerichts Cottbus eingetragen war, Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist am Nachmittag des 11. August 2014 per Telefax bei dem Landgericht Cottbus eingegangen und von diesem an das Berufungsgericht weitergeleitet worden, wo er am 18. August 2014 eingegangen ist. Das Original der Berufungsschrift ist am 12. August 2014 bei dem Berufungsgericht eingegangen.
2
Nachdem der Vorsitzende des zuständigen Senats des Berufungsgerichts die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Verfügung vom 14. Oktober 2014 auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift und die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen hatte, haben diese unter dem 28. Oktober 2014 für die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt und dies damit begründet , dass ihre mit der Absendung der Berufungsschrift betraute Kanzleimitarbeiterin , die sich in mehrjähriger Tätigkeit als verantwortungsvolle und zuverlässige Fachkraft erwiesen habe, sich mangels eines aus den Handakten ersichtlichen Schriftverkehrs mit dem Berufungsgericht zur Feststellung der Telefaxverbindung des Internets bedient und dort versehentlich eine falsche Telefaxnummer abgeschrieben habe.
3
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen zu sein. Zwar habe ihr Prozessbevollmächtigter, deren Verschulden sie sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, die einfache Aufgabe, die Empfängernummer in den Berufungsschriftsatz einzusetzen und diese Nummer in das Telefaxgerät einzugeben, einer zuverlässigen und sorgfältigen Angestellten übertragen dürfen. Denn der Anwalt trage nur für die richtige Bezeichnung des Gerichts , an das der jeweilige Schriftsatz zu richten sei, die Verantwortung. Zur Glaubhaftmachung eines fehlenden Verschuldens sei es aber erforderlich ge- wesen, mit dem Wiedereinsetzungsantrag näher zur Büroorganisation vorzutragen. Denn der Prozessbevollmächtigte sei verpflichtet, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, das heißt zumindest durch allgemeine Anweisung an die zuständige Büroangestellte sicherzustellen, dass diese auf die richtige Empfängernummer achte und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes auf der Grundlage des Sendeberichts die Vollständigkeit der Übermittlung überprüfe, um auf diese Weise das Fehlerpotenzial so gering wie möglich zu halten. Dass der Prozessbevollmächtigte dem nachgekommen sei, sei nicht ersichtlich. Zwecks Fehlervermeidung nicht nur bei der Eingabe der Telefaxnummer in das Telefaxgerät, sondern auch bei der Auswahl der Telefaxnummer gehöre zu einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle neben einem Vergleich der auf dem Sendebericht ausgedruckten Telefaxnummer mit der in dem Schriftsatz eingesetzten Telefaxnummer zugleich die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Empfängernummer an Hand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle, aus denen die Telefaxnummer des Gerichts hervorgeht, für die die Sendung bestimmt ist.
4
Ob und bejahendenfalls welche Anweisungen es insoweit gegeben habe, sei weder im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen noch gehe dies aus der eidesstattlichen Erklärung der Büroangestellten hervor. Im Gegenteil lasse diese Erklärung erkennen, dass die Büroangestellte bei Ermittlung der Telefaxnummer ganz auf sich allein gestellt gewesen sei und auf nicht näher beschriebene Art und Weise im Internet die Telefaxnummer ermittelt habe. Wie sie dabei an die Telefaxnummer des noch nicht einmal erstinstanzlich mit der Sache befassten Landgerichts Cottbus habe gelangen können, erschließe sich nicht.
5
Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der Fristversäumung sei zudem nicht dadurch unterbrochen worden, dass das Landgericht Cottbus nicht noch am Tage des Telefaxeingangs für eine Weiterleitung des Telefax an das Berufungsgericht Sorge getragen oder die Prozessbevollmächtigten über den Irrläufer informiert habe. Denn das habe so kurzfristig ohne Einholung der dazu erforderlichen Informationen nicht erwartet werden können.

II.

6
Die nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, sind nicht erfüllt.
7
1. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 - VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 6 mwN). Ebenso wenig beruht die angefochtene Entscheidung - anders als die Rechtsbeschwerde meint - auf einem grundlegenden Fehlverständnis zum Kausalitätserfordernis zwischen einem Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten und dem aufgetretenen Fehler bei der Ermittlung der Telefaxnummer des Berufungsgerichts.
8
2. Das Berufungsgericht hat - was die Rechtsbeschwerde nicht in Frage stellt - die Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt. Es hat vielmehr unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist rechtsfehlerfrei versagt und dementsprechend das Rechtsmittel der Klägerin als unzulässig verworfen. Insbesondere kann nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumung auf einem ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Organisationsmangel (§ 233 Satz 1 ZPO) bei Ermittlung der zutreffenden Adressierung der Berufungsschrift beruht.
9
a) Ein Rechtsanwalt hat - dem Gebot des sichersten Weges folgend (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, WM 2014, 427 Rn. 10 ff.) - durch geeignete organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zwar darf er sich zur fristwahrenden Übermittlung solcher fristgebundenen Schriftsätze auch eines Telefaxgeräts bedienen. Ebenso darf er die Übermittlung solcher Schriftsätze durch Telefax als einfache büromäßige Aufgabe einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen, ohne die Ausführung des Auftrags stets konkret überwachen und kontrollieren zu müssen. Er ist dabei allerdings gehalten, durch geeignete organisatorische Vorkehrungen, insbesondere durch entsprechende allgemeine Anweisungen an das Büropersonal, sicherzustellen , dass Fehlerquellen im größtmöglichen Umfang ausgeschlossen sind und gewährleistet ist, dass bei der Adressierung die zutreffende Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2011 - III ZB 80/10, juris Rn. 8; BVerwG, NJW 2008, 932; BAG, NJW 1995, 2742, 2743; jeweils mwN). Dass solche organisatorischen Vorkehrungen hier von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten getroffen worden sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, wobei die Rechtsbeschwerde dies nach dem von ihr eingenommenen Rechtsstandpunkt bei der vorliegenden Fallgestaltung auch nicht für erforderlich hält.
10
b) Der Rechtsanwalt hat zum erforderlichen Ausschluss von Fehlerquellen die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so zu organisieren , dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (Senatsbeschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 9 mwN). Die dazu nötigen organisatorischen Vorkehrungen erfordern, wenn solche Schriftsätze mittels Telefax übersandt werden, unter anderem die generelle Anordnung , die zuvor ermittelte Telefaxnummer einer nochmaligen selbständigen Überprüfung an Hand einer zuverlässigen Quelle, gleich ob unmittelbar im Anschluss an die Ermittlung oder nach Absendung des Telefax an Hand des Übersendungsberichts, zu unterziehen, um darüber etwaige Fehler bei der Ermittlung der Telefaxnummer aufdecken zu können (BGH, Beschlüsse vom 27. August 2014 - XII ZB 255/14, MDR 2014, 1286 Rn. 7 ff.; vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, WM 2014, 427 Rn. 8; vom 17. April 2012 - VI ZB 50/11, NJW-RR 2012, 1084 Rn. 20; vom 26. Mai 2011 - III ZB 80/10, aaO; vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rn. 11, 14; vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412 Rn. 13 ff.; jeweils mwN). Diese Sorgfaltsanforderungen kommen namentlich bei Informationsquellen zum Tragen, bei denen - wie hier bei dem Internetauftritt des Berufungsgerichts - an ein und demselben Ort mehrere Empfängeradressen aufgeführt sind, so dass das Risiko eines Versehens bei der Ermittlung der zutreffenden Empfängernummer in be- sonderem Maße besteht (BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04, NJW 2004, 3491 unter II 1; vom 24. April 2002 - AnwZ 7/01, BRAK-Mitt 2002, 171 unter III 2). Dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die dafür erforderliche organisatorische Anweisung zur Durchführung einer nochmaligen Kontrolle der verwendeten Telefaxnummer an Hand einer zuverlässigen Quelle getroffen haben, ist nicht ersichtlich.
11
c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde demgegenüber geltend, dass es einer näheren Darstellung der Abläufe beim Absenden fristgebundener Schriftsätze im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht bedurft habe, weil die hier erfolgte Suche nach der Telefaxnummer im Internet als solche nicht als Verletzung einer Sorgfaltspflicht angesehen werden könne und sich abgesehen von dem Fehler bei Ermittlung der Telefaxnummer aktenkundig nichts ereignet haben könne, was auf eine Fehlorganisation schließen lasse. Der fehlende Vortrag zur Organisationsanweisung im Hinblick auf die Suche nach der Telefaxnummer sei deshalb für das Fristversäumnis nicht kausal. Das geht am Kern vorbei.
12
Hätte die erforderliche Anweisung bestanden, die ermittelte Telefaxnummer einer nochmaligen Nachkontrolle an Hand einer zuverlässigen Quelle zu unterziehen, hätte der damit betrauten Büroangestellten bei Anwendung der dafür erforderlichen Sorgfalt nicht verborgen bleiben können, dass die von ihr dem Internetauftritt des Berufungsgerichts entnommene Telefaxnummer allein zu der Rubrik des Gesamtrichterrats gehörten und dieser beziehungsweise sein am Landgericht Cottbus dienstansässiger Vorsitzender schlechthin nicht der richtige Adressat der Berufungsschrift sein konnte. In Anbetracht des Umstandes , dass für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung einer Frist ursächlich geworden ist, von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen ist und kein weiterer Fehler hinzugedacht werden darf (BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 14; vom 16. Juli 2014 - IV ZB 40/13, juris Rn. 13; vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14), ist deshalb das Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten für den Fehler der Büroangestellten zumindest mitursächlich geworden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, aaO Rn. 15 mwN).
13
3. Rechtsfehlerfrei und von der Rechtsbeschwerde unangegriffen hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass für die Versäumung der Berufungsfrist auch nicht ein den Kausalitätszusammenhang unterbrechendes gerichtliches Verschulden ursächlich war. Zwar ist auch ein mit der Sache - wie hier das Landgericht Cottbus - bislang nicht befasstes Gericht gehalten, den fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten, wenn seine Unzuständigkeit für die Berufungseinlegung schon nach der Adressierung des Schriftsatzes ohne Weiteres erkennbar war (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rn. 7 f. mwN). Das hat es jedoch nicht erfordert, die am letzten Tag der Berufungsfrist kurz vor Dienstschluss als Telefax eingegangene Berufungsschrift noch am gleichen Tage ebenfalls mit Telefax an das im Schriftsatz be- zeichnete Berufungsgericht weiterzuleiten oder sonst noch am gleichen Tage bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten Rückfrage zu halten. Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Fetzer Kosziol
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 25.06.2014 - 14 O 105/13 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 25.11.2014 - 12 U 158/14 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 103/00
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 346
Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 1 und 2 StPO beschlossen:
Der Nebenklägerin U. wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 18. August 1999 gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt die Nebenklägerin. Der Beschluß des Landgerichts München II nach § 346 Abs. 1 StPO vom 7. Dezember 1999 ist gegenstandslos.

Gründe:

Das Landgericht hat mit Beschluß vom 7. Dezember 1999 die Revision der Nebenklägerin gegen das landgerichtliche Urteil vom 18. August 1999 mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der in § 345 Abs. 1 StPO bestimmten Frist begründet worden. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit Anträgen auf Entscheidung des Revisionsgerichts und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Anträge haben Erfolg.
1. Der Senat hat folgenden Verfahrensgang festgestellt: Rechtsanwalt G. legte als Vertreter der Nebenklägerin am 24. August 1999 gegen das vom Landgericht am 18. August 1999 verkündete Urteil Revision ein. Das Urteil wurde am 24. September 1999 an den Rechtsanwalt zugestellt. Dieser begründete die Revision - gestützt auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde - im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999, eingegangen beim Landgericht am 27. Oktober 1999. Die Strafkammer teilte dem Rechtsanwalt am 28. Oktober 1999 mit, das Rechtsmittel sei verspätet.
Rechtsanwalt G. bestritt im Schriftsatz vom 4. November 1999 die Zustellung des Urteils am 24. September 1999. Ein Umschlag, auf dem die Zustellung vermerkt worden sei, befinde sich nicht bei seinen Akten. Wenn die Zustellungsurkunde das Datum ausweise, handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Schreibfehler. Sein Eingangsstempel auf der ersten Seite der ihm zugestellten landgerichtlichen Urteilskopie trage das Datum des 27. September 1999.
Gleichzeitig beantragte der Rechtsanwalt wegen der Versäumung der Frist zur formgerechten Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu führte er aus, eine eventuelle Fehlstempelung beim Posteingang sei ihm nicht zurechenbar, denn es liege kein von ihm zu vertretenes organisatorisches Verschulden vor. Der Anwalt dürfe den Posteingang durch ausgebildete, erfahrene und zuverlässige Kräfte in eigener Verantwortung erledigen lassen. Bei seinen beiden Angestellten handele es sich um ausgebildete Anwaltsekretärinnen, die langjährige
Praxiserfahrung hätten. Aufgrund seiner Anweisung hätten sie die eingehende Post am Tage des Eingangs zu stempeln. Es sei in der täglichen Praxis noch nie vorgekommen, daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei.
2. Die Anträge haben Erfolg. Die Nebenklägerin hat glaubhaft gemacht , daß sie aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Ihr ist deshalb wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Verwerfungsbeschluß nach § 346 Abs. 1 StPO hat keinen Bestand.

a) Aus der mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten Zustellungsurkunde ergibt sich, daß das landgerichtliche Urteil am 24. September 1999 an Rechtsanwalt G. zugestellt worden ist. Die vom Landgericht veranlaßten Anfragen bei der Post ergeben auch nach Auffassung des Senats nichts anderes.

b) Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihren Prozeßbevollmächtigten daran kein Verschulden trifft. Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschl. v. 12. Februar 1965 – IV ZR 231/63 = BGHZ 43, 148, 153; Beschluß v. 13. Januar 2000 – VII ZB 20/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 44 Rdn. 20). Die Nebenklägerin hat durch ergänzenden
Vortrag ihres Rechtsanwalts im Schriftsatz vom 4. November 1999, durch Vorlage der Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils, das als Eingangsstempel den 27. September 1999 trägt, und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Der Rechtsanwalt hat vorgetragen, daß er die Anweisung erteilt hat, die eingehende Post sei am Tage des Eingangs zu öffnen und mit dem Eingangsstempel zu versehen. In der täglichen Praxis sei es nie vorgekommen , daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei. Er habe sich daher für die Überwachung der Fristen auf die Richtigkeit des Eingangsstempels 27. September 1999 verlassen können. Danach bestehen keine Bedenken, daß der Rechtsanwalt die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung herkömmlicher Fristen den Büroangestellten überlassen konnte. Es liegt kein Fall vor, der ihn veranlassen mußte, selbst eine weitergehende Kontrolle der Zustellung und des Beginns der Frist vorzunehmen. Das Anbringen des falschen Eingangsstempels, der Grundlage für die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist war, beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzelversehen einer Angestellten.

c) Einer Nachholung der versäumten Revisionsbegründung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf es hier nicht, weil die Revision im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999 bereits vorher – wenn auch nicht fristgerecht – begründet und der Anwalt im Wiedereinsetzungsantrag vom 4. November 1999 zumindest stillschweigend darauf Bezug genommen hat (Maul in KK
StPO 4. Aufl. § 45 Rdn. 9 m. w. Nachw.). Das Vorbringen der Nebenklägerin bedarf daher revisionsrechtlicher Überprüfung.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

5 StR 204/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Freiheitsberaubung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2004

beschlossen:
1. Der Nebenklägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. November 2003 auf ihre Kosten gewährt.
Der Beschluß des Landgerichts nach § 346 Abs. 1 StPO vom 10. Februar 2004 ist damit gegenstandslos.
2. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. November 2003 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e z u 1.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19. Mai 2004 ausgeführt: „Der zulässige, insbesondere rechtzeitig (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) gestellte Wiedereinsetzungsantrag muss auch in der Sache Erfolg haben.
Zwar kann einem Nebenkläger keine Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn der von ihm bevollmächtigte Rechtsanwalt schuldhaft gehan- delt hat (vgl. BGHSt 30, 309; BGH, Urteil vom 13. August 2002 – 4 StR 263/02 –). Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihre Prozessbevollmächtigte daran kein Verschulden trifft.
Ein Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (vgl. BGHR StPO § 44 Verschulden 7 m. w. N.; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 44 Rdn. 19 f.). Die Nebenklägerin hat durch ergänzendes Vorbringen ihrer Anwältin im Schriftsatz vom 2. Februar 2004, durch Vorlage von Kopien aus deren Bürokalender für den 30. Januar und 6. Februar 2004 und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Diese hat vorgetragen, daß sie die Notierung der Fristen einer bereits examinierten Mitarbeiterin übertragen und diese die berechneten Fristen ihr gegenüber korrekt benannt hatte. Es habe sich bei dieser Mitarbeiterin um eine gut ausgebildete Fachkraft der Kanzlei gehandelt, die alle ihr zugewiesenen Aufgaben stets mit besonderer Sorgfalt erledigt habe. Insbesondere die Fristenkontrolle sei bis zuletzt immer wieder überprüft worden, ohne daß es zu Beanstandungen gekommen sei. Danach bestehen keine Bedenken, daß die Rechtsanwältin sowohl die Feststellung des Fristbeginns als auch die Berechnung der Frist der von ihr damit betrauten Büroangestellten überlassen durfte. Es liegt kein Fall vor, der sie veranlassen musste, selbst eine weitergehende Kontrolle der Fristen vorzunehmen. Die fälschliche Eintragung des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist unter dem 6. Februar 2004 beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzel- versehen der Angestellten.“ Dem schließt sich der Senat an.
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 58/09
vom
2. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterzeichnen und zurückgeben
, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten
und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.
BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09 - OLG Hamm
LG Bochum
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge und die Richterin von Pentz

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Juli 2009 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 221.312,00 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 18. Februar 2009 teilweise stattgegeben. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13. März 2009 zugestellt worden. Eine vollstreckbare Urteilsausfertigung ist ihm am 24. März 2009 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. April 2009, der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 19. Juni 2009, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26. Juni 2009 zugestellt worden ist, hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist bereits am 14. April 2009 abgelaufen und die Berufung deshalb verspätet eingelegt worden sei. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 3. Juli 2009 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung u.a. ausgeführt, im Büro ihres Prozessbevollmächtigten gebe es die Anweisung, dass dann, wenn ein Urteil mit dem unterzeichneten Empfangsbekenntnis in das Sekretariat zurückgelange, die (Berufungs -)Fristen zu berechnen und im Fristenkalender sowie auf dem Urteil zu notieren seien. Hier liege der Fehler darin, dass nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zwar dieses, nicht aber das Urteil selbst zur Akte gelangt sei, was sich trotz höchster Sorgfalt nicht habe vermeiden lassen.
2
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Dieser habe den gebotenen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt, weil er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet habe, ohne selbst das Datum der Zustellung auf dem Urteil zu vermerken, eine Wiedervorlagefrist zu bestimmen und die Fristnotierung sicherzustellen. Zudem habe er es pflichtwidrig versäumt , anlässlich der Zustellung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung zu prüfen , ob die (Berufungs-)Fristen richtig erfasst und festgehalten waren.
3
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
5
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
6
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (Senatsbeschlüsse vom 26. März 1996 - VI ZB 1/96 und VI ZB 2/96 - VersR 1996, 1390 und vom 12. Januar 2010 - VI ZB 64/09 - z.V.b.; BGH, Beschluss vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 1 m.w.N.). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 1992 - XII ZR 268/91 - VersR 1992, 1536; vom 16. September 1993 - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371 und vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - aaO). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - VersR 2003, 792, 793 und vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - VersR 2005, 94, 95; BGH, Beschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - BGHR ZPO § 233 [Empfangsbekenntnis 6] und vom 27. September 2007 - IX ZA 14/07 - AnwBl 2008, 71).
7
Durch welche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gewährleistet ist, dass bei Urteilszustellungen nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch Rechtsanwalt H. die Eintragung der Berufungsfrist erfolgt und nicht in Vergessenheit gerät , zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht auch nicht geltend, dass Rechtsanwalt H. am 13. März 2009 eine Einzelanweisung zur Fristnotierung erteilt habe und die Ausführung einer solchen Anweisung durch allgemeine organisatorische Maßnahmen sichergestellt gewesen sei. Mithin hat Rechtsanwalt H. die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, als er am 13. März 2009 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne ausreichende Vorkehrungen für die Notierung der Rechtsmittelfrist getroffen zu haben.
8
Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob Rechtsanwalt H. auch im Rahmen der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist.
9
3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
10
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 18.02.2009 - 6 O 368/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 24.07.2009 - I-26 U 65/09 -