Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:280917B4STR240.17.0
bei uns veröffentlicht am28.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 240/17
vom
28. September 2017
BGHSt: ja (zu I)
BGHR: ja (zu I)
Nachschlagewerk: ja (zu I)
Veröffentlichung: ja (zu I)
––––––––––––––––––––––––––
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit
zwingend für die Schlussvorträge aller Verfahrensbeteiligten auszuschließen.
BGH, Beschluss vom 28. September 2017 – 4 StR 240/17 – LG Bielefeld
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:280917B4STR240.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 6. Dezember 2016 aufgehoben in den Aussprüchen über
a) die Einzelstrafe im Fall II. 1 der Urteilsgründe; jedoch haben die zugehörigen Feststellungen Bestand;
b) die Gesamtstrafe und
c) die Dauer des Vorwegvollzugs mit den jeweils zugehörigen Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie wegen Vergewaltigung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Mona- ten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit der Maßgabe angeordnet, dass drei Jahre und drei Monate der verhängten Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind, und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verfahrensbeanstandungen bleiben ohne Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge nach § 338 Nr. 6 StPO in Verbindung mit §§ 169, 171b GVG. Die Revision sieht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit darin, dass der Schlussantrag des Vertreters des Nebenklägers Z. in einem nicht öffentlichen Teil der Hauptverhandlung angebracht wurde.
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Die Staatsanwaltschaft hatte die zur Verurteilung gelangten Vergewaltigungstaten zum Nachteil der Nebenklägerinnen F. und S. einerseits und die ebenfalls zur Verurteilung gelangte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers Z. andererseits gesondert angeklagt. Das Landgericht hat beide Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Geschädigten F. , S. und Z. wegen der zu ihrem Nachteil begangenen Taten zur Nebenklage zugelassen.
5
In der Hauptverhandlung hat das Landgericht die Nebenklägerinnen F. und S. unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG und den Nebenkläger Z. in öffentlicher Verhandlung vernommen. Für die Schlussplädoyers aller Verfahrensbeteiligten hat der Vorsitzende gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG den Ausschluss der Öffentlichkeit angeordnet.
6
2. Die Rüge ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 171b Abs. 5 GVG ausgeschlossen. Gemäß § 171b Abs. 5 GVG in Verbindung mit § 336 Satz 2 StPO ist die gerichtliche Entscheidung darüber der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen. Dies steht jedoch einer Überprüfung der Frage, ob eine generelle Befugnis bestand, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen, nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 275 [zu § 171b Abs. 3 GVG aF]; Beschlüsse vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16, StV 2017, 369; vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 171b GVG Rn. 16).
7
3. Die Rüge ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung, für die Dauer der Schlussvorträge aller Verfahrensbeteiligten den Ausschluss der Öffentlichkeit anzuordnen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung ergibt sich aus § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG.
8
Nach dieser Vorschrift ist die Öffentlichkeit für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand.
9
Dies war hier der Fall. Denn für die Dauer der Vernehmungen der Nebenklägerinnen F. und S. fand die Verhandlung gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zudem handelte es sich um ein Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten.
10
a) Der Annahme der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG steht zunächst nicht entgegen, dass die Vergewaltigungstaten zum Nachteil der Nebenklägerinnen F. und S. einerseits und die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers Z. andererseits ursprünglich gesondert angeklagt waren. Denn die durch Beschluss des Landgerichts vom 3. Juni 2016 erfolgte Verbindung beider Strafsachen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung gemäß § 4 Abs. 1 StPO hatte ihre Verschmelzung zu einem einheitlichen Verfahren zur Folge (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1990 – 4 StR 616/89, BGHSt 36, 348, 349; KK-StPO/Scheuten, 7. Aufl., § 4 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 5 Rn. 1).
11
b) Der Verfahrensweise nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG bezüglich aller Schlussanträge steht ebenfalls nicht entgegen, dass nur die zum Nachteil der Nebenklägerinnen F. und S. begangenen Vergewaltigungen, nicht aber auch die zum Nachteil des Nebenklägers Z. verübte gefährliche Körperverletzung Straftaten im Sinne des § 171b Abs. 2 GVG sind.
12
Denn die Vorschrift des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG geht von einem einheitlichen und unteilbaren Verfahrensbegriff aus. Eine Differenzierung nach dem Inhalt und dem prozessualen Bezug der Schlussvorträge sowie nach der prozessualen Stellung des jeweiligen Verfahrensbeteiligten sieht sie nicht vor. Daher ist, sofern die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG erfüllt sind, die Öffentlichkeit zwingend für die Schlussvorträge aller Verfahrensbeteiligten auszuschließen. Dafür sprechen nicht nur der Wortlaut der Vorschrift sowie ihr Sinn und Zweck, sondern auch die Wahrung der Interessen weiterer Nebenkläger und der Wille des Gesetzgebers, den Öffentlichkeitsausschluss nach dieser Vorschrift praktikabel auszugestalten. Im Einzelnen:
13
(aa) Bereits der Wortlaut des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG steht einem Verständnis der Vorschrift dahingehend, dass für den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge zwischen den einzelnen Verfahrensbeteiligten zu differenzieren wäre, entgegen. Eine derartige Einschränkung lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift, die das „Verfahren“ insgesamt betrifft, nicht entnehmen. Hiernach genügt es vielmehr, dass jedenfalls eine verfahrensgegenständliche Tat eine solche im Sinne des § 171b Abs. 2 GVG ist.
14
(bb) Auch Sinn und Zweck des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG gebieten es, dass bei Anwendung dieser Vorschrift nicht zwischen den Schlussvorträgen der einzelnen Verfahrensbeteiligten zu differenzieren ist.
15
Der Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 171b GVG dient dem Schutz der Persönlichkeitssphäre der Verfahrensbeteiligten, Zeugen und Verletzten. Umstände aus ihrem persönlichen Lebensbereich, insbesondere aus dem Sexualbereich , sollen in der Regel nicht öffentlich erörtert werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16, StV 2017, 369; vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180, 181; vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, NStZ 2015, 181); das Öffentlichkeitsprinzip tritt insoweit hinter den verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Achtung der Pri- vatsphäre zurück (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 22 f.; KK-StPO/Diemer, aaO, § 171b GVG Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 171b GVG Rn. 1).
16
Als besondere Ausprägung des Schutzzwecks des § 171b GVG soll die Regelung in Abs. 3 Satz 2 verhindern, dass Umstände, für deren Erörterung die Öffentlichkeit während des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung ausgeschlossen war, bei den Schlussvorträgen – in denen typischerweise der Inhalt der Hauptverhandlung, mithin auch die den persönlichen Lebensbereich eines Verfahrensbeteiligten oder Zeugen betreffenden Umstände, erneut aufgerollt werden – gleichwohl öffentlich zur Sprache kommen (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16, StV 2017, 369, 370; Krauß in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 171b GVG Nachtr. Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 171b GVG Rn. 12).
17
Diese Gefahr bestünde jedoch, wenn der Schlussvortrag eines Verfahrensbeteiligten , dessen Anschlussberechtigung sich aus anderen als den in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten ergibt – wie dies hier für den Nebenkläger Z. der Fall ist –, in öffentlicher Verhandlung stattfände. Denn es steht jedem Verfahrensbeteiligten frei, sich in seinem Schlussvortrag auf den gesamten Inhalt der Beweisaufnahme und damit auch auf andere Taten als diejenigen , die ausschließlich ihn selbst betreffen, zu beziehen und zu ihnen Stellung zu nehmen. Er kann insoweit insbesondere auch solche Umstände erörtern , die die Persönlichkeitsrechte anderer Verfahrensbeteiligter, Zeugen und Verletzter berühren und derentwegen die Öffentlichkeit während des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung zumindest zeitweise ausgeschlossen war. Durch seinen Schlussvortrag könnten diese Umstände – entgegen dem durch § 171b GVG bezweckten Schutz der Persönlichkeitssphäre – letztlich doch in öffentlicher Verhandlung zur Sprache kommen, wenn nicht während der Dauer sämtlicher Schlussvorträge die Öffentlichkeit ausgeschlossen wäre.
18
Dies gilt erst recht, wenn – wie im vorliegenden Fall – durchaus Zusammenhänge zwischen den Taten nach § 171b Abs. 2 GVG und den nicht den Katalog dieser Vorschriften betreffenden Taten bestehen.
19
(cc) Nicht zuletzt aus diesem Grund trägt dieses Verständnis des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auch den Interessen derjenigen Nebenkläger Rechnung, deren eigene Anschlussberechtigung sich nicht aus einer der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten ergibt. Denn wenn diese Nebenkläger bzw. Nebenklägervertreter ihre Schlussvorträge in öffentlicher Verhandlung halten müssten, wäre zu besorgen, dass sie – in dem Bestreben, die zuvor nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit erörterten Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich anderer Verfahrensbeteiligter nunmehr nicht ihrerseits öffentlich zu erörtern – im auszuschöpfenden Verfahrensstoff eingeschränkt sein könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16, StV 2017, 369, 370 für die entsprechende Situation beim Angeklagten).
20
(dd) Schließlich steht die Auslegung, dass im Rahmen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG nicht nach den Schlussvorträgen der einzelnen Verfahrensbeteiligten oder nach dem Prozessstoff zu differenzieren ist, auch im Einklang mit dem aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Willen des Gesetzgebers, eine praktikable Handhabung des Öffentlichkeitsausschlusses nach dieser Vorschrift sicherzustellen. So wurde im Gesetzgebungsverfahren von einer Beschränkung des Öffentlichkeitsausschlusses auf diejenigen Abschnitte der Schlussvorträge, die sich mit den nicht öffentlichen Teilen der Hauptverhandlung befassen, be- wusst Abstand genommen, da eine solche Teilung als praktisch nicht durchführbar erachtet wurde (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 18).
21
Dies gilt auch für die Schlussvorträge derjenigen Verfahrensbeteiligten, deren Anschlussberechtigung sich aus anderen als den in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten ergibt. Denn auch sie können sich, wie bereits ausgeführt, in ihren Schlussvorträgen auf den gesamten Inhalt der Beweisaufnahme und insbesondere auch auf solche Umstände beziehen, für deren Erörterung zuvor zum Zwecke des Schutzes der Persönlichkeitssphäre von Verfahrensbeteiligten , Verletzten oder Zeugen die Öffentlichkeit ausgeschlossen war. Innerhalb ihrer Schlussvorträge müsste daher – je nachdem, ob Umstände angesprochen werden sollen, die zuvor (auch oder ausschließlich) in einem nicht öffentlichen Teil der Hauptverhandlung erörtert wurden – die Öffentlichkeit abwechselnd ausgeschlossen und wiederhergestellt werden. Eine solche Teilung – die auch den Schlussvortrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft beträfe – hat der Gesetzgeber zurecht als nicht praktikabel angesehen; sie würde nicht nur dazu führen, dass ein einheitlicher Schlussvortrag – gegebenenfalls mehrfach – unterbrochen werden müsste, um zunächst eine Entscheidung über einen Ausschluss der Öffentlichkeit herbeizuführen, sodann die Öffentlichkeit auszuschließen und sie schließlich wiederherzustellen, sondern wäre zudem in hohem Maße fehleranfällig.

II.


22
Die Revision hat hingegen mit der Sachrüge teilweise Erfolg.
23
1. Die im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe hat keinen Bestand. Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Straftat unter laufender Bewährung begangen habe (UA S. 61 f.). Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
24
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte diese Tat – eine besonders schwere Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB aF – „im Frühjahr 2015, vermutlich im April oder Mai 2015“ beging (UA S. 24). Zu diesem Zeitpunkt stand der Angeklagte nicht mehr und auch noch nicht wieder unter Bewährung. Denn die zur Bewährung ausgesetzte Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford vom 24. März 2010 war mit Wirkung vom 16. April 2012 erlassen worden, weitere Verurteilungen aus den Jahren 2013 und 2014 betrafen lediglich Geldstrafen und das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 17. Juni 2015, durch das der Angeklagte zu zwei zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt wurde, lag – wovon aufgrund des nicht genau feststellbaren Tatzeitpunkts zugunsten des Angeklagten ausgegangen werden muss – zeitlich erst nach dieser Tat.
25
Zwar hat das Landgericht bei der Strafrahmenwahl einen minder schweren Fall gemäß § 177 Abs. 5 StGB aF angenommen, so dass insoweit auszuschließen ist, dass die Strafrahmenwahl auf der fehlerhaften Strafzumessungserwägung beruht. Für die Strafzumessung im engeren Sinne kann der Senat hingegen nicht ausschließen, dass sich die fehlerhafte Strafzumessungserwägung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
26
Der zur Aufhebung des Strafausspruchs für diese Tat führende Wertungsfehler betrifft die hierzu getroffenen Feststellungen nicht; diese können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
27
2. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, die Bildung der Gesamtstrafe unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Tat zu II. 1 der Urteilsgründe vor dem Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 17. Juni 2015 begangen wurde, und unter Beachtung des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO richtig zu fassen.
28
3. Bereits mit der Aufhebung der Gesamtstrafe entfällt ferner der Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs. Dieser weist allerdings auch für sich genommen einen Rechtsfehler auf.
29
a) Das Landgericht hat den vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu vollstreckenden Teil der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten mit drei Jahren und drei Monaten bemessen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich insoweit am Halbstrafenzeitpunkt und der voraussichtlichen Dauer der Unterbringung , die mit zwei Jahren zu beziffern sei, orientiert habe (UA S. 72).
30
b) Die dieser Berechnung zugrunde liegende Annahme einer zweijährigen Unterbringungsdauer lässt sich nicht damit in Einklang bringen, dass sich die Strafkammer ausdrücklich den Ausführungen des von ihr angehörten psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, der mit Blick auf das Alter des Angeklagten und dessen langjährige Betäubungsmittelabhängigkeit einen Therapiezeitraum von zwei bis drei Jahren als für die Erreichung eines Therapieerfolges notwendig bezeichnet hat (UA S. 72).
31
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte durch die Zugrundelegung einer lediglich zweijährigen Unterbringungsdauer im Hinblick auf die Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs beschwert ist. Denn bei einer voraussichtlichen Therapiedauer von mehr als zwei Jahren – nach der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung von § 64 Satz 2 StGB ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt, sondern kann auch dann angeordnet werden, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 1 f., 24 f.; BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17, NStZ-RR 2017, 310; vom 4. Mai 2017 – 2 StR 570/16, StraFo 2017, 245, 246) – würde sich die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe entsprechend verringern.
32
Über die voraussichtliche Dauer der Therapiemaßnahme sowie die Dauer des Vorwegvollzugs ist deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – erneut zu befinden.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17 zitiert 15 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 169


(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihre

Strafprozeßordnung - StPO | § 4 Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen


(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 171b


(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache

Strafprozeßordnung - StPO | § 336 Überprüfung der dem Urteil vorausgegangenen Entscheidungen


Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht. Dies gilt nicht für Entscheidungen, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerd

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 172


Das Gericht kann für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn 1. eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist,1a. eine Gefährdung des Lebens, des Leibes od

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11

bei uns veröffentlicht am 21.06.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 623/11 vom 21. Juni 2012 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––––– GVG § 171b StPO § 257c Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 1 1.

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2017 - 3 StR 97/17

bei uns veröffentlicht am 14.06.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 97/17 vom 14. Juni 2017 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a. ECLI:DE:BGH:2017:140617B3STR97.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Bes

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2017 - 2 StR 570/16

bei uns veröffentlicht am 04.05.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 570/16 vom 4. Mai 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ECLI:DE:BGH:2017:040517B2STR570.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Dez. 2016 - 1 StR 487/16

bei uns veröffentlicht am 07.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 487/16 vom 7. Dezember 2016 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2016:071216B1STR487.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2016 auf Antrag

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Nov. 2015 - 2 StR 311/15

bei uns veröffentlicht am 12.11.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 311/15 vom 12. November 2015 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdef

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Sept. 2014 - 1 StR 212/14

bei uns veröffentlicht am 17.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 2 1 2 / 1 4 vom 17. September 2014 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - 4 StR 240/17.

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2019 - 4 StR 605/18

bei uns veröffentlicht am 09.05.2019

BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- GVG § 171b Abs. 3 Satz 2, § 174 Abs. 1 Satz 2 StPO § 338 Nr. 6 Liegen die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor, stellt das Fehlen

Referenzen

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig. Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Satz 2 entsprechend.

(2) Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise untersagt werden. Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden. Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einem Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen durch das Gericht zu löschen.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden.

(4) Die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen 1 bis 3 sind unanfechtbar.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht. Dies gilt nicht für Entscheidungen, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 623/11
vom
21. Juni 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
–––––––––––––––––––––––––––––
1. Nach § 171b GVG darf die Öffentlichkeit auch während der Verlesung des Anklagesatzes
von der Verhandlung ausgeschlossen werden.
2. a) Die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft zu dem Verständigungsvorschlag
des Gerichts ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich.
b) Das Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht nach
§ 257c Abs. 4 Satz 1 StPO tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern erfordert eine
dahingehende gerichtliche Entscheidung.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Juni 2012,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Juli 2011 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den umfassend geständigen Angeklagten nach einer Verständigung (§ 257c StPO) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Mit Verfahrensbeschwerden wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes und beanstandet im Zusammenhang mit der Verständigung, dass das Landgericht es unterlassen habe, sich im Urteil mit den Gründen für das Festhalten an der Verständigung auseinanderzusetzen, obwohl aufgrund neu in der Hauptverhandlung zutage getretener Umstände Veranlassung bestanden habe, sich nach § 257c Abs. 4 StPO von der Verständigung zu lösen. Die Sachrüge ist mit Angriffen gegen den Strafausspruch näher ausgeführt.
2
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


3
Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin im Erdgeschoss des vom Angeklagten allein bewohnten Hauses zunächst zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, in dessen Verlauf der Angeklagte unvermittelt begann, ihn erregende und für die Nebenklägerin schmerzhafte Handlungen, unter anderem Schläge mit der flachen Hand gegen die Brust der Nebenklägerin, vorzunehmen, worauf die Nebenklägerin vergeblich versuchte, den Angeklagten wegzudrücken. Nachdem der Angeklagte die Nebenklägerin, die eine entsprechende Aufforderung zuvor abgelehnt hatte, in das im Obergeschoss gelegene Schlafzimmer geschoben hatte, führte er den Geschlechtsverkehr mit der auf dem Bett liegenden Nebenklägerin unter denselben Begleitumständen weiter. Als die Nebenklägerin ihn bei ihrer fortdauernden Gegenwehr mit ihren Fingernägeln am Hals verletzte, schlug der Angeklagte , der zu diesem Zeitpunkt erkannt hatte, dass die Fortführung des Geschlechtsverkehrs und die Schläge gegen die Brüste gegen den Willen der Nebenklägerin geschahen, ihr mit beiden Händen nacheinander ins Gesicht. Sodann setzte er den Geschlechtsverkehr mit der resignierenden und jede Gegenwehr aufgebenden Nebenklägerin fort und urinierte ihr anschließend auf den Bauch. In der Folgezeit vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin den Analverkehr unter Einsatz eines Gleitgels und - nach einer Unterbrechung, in der sich der Angeklagte von hinten an die Nebenklägerin anschmiegte und äußerte , er könne auch kuscheln - ein weiteres Mal den vaginalen Geschlechtsverkehr , ehe er der Nebenklägerin erneut auf den Bauch urinierte. Bei Tatbegehung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Alkoholgenusses nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt.

II.


4
Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
5
1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet gemäß § 338 Nr. 6 StPO den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Verlesung des Anklagesatzes und macht geltend, § 171b GVG lasse eine Beschränkung der Öffentlichkeit während der Anklageverlesung nicht zu.
6
a) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Da die Beanstandung des Verfahrens die prinzipielle Reichweite der Ausschließungsbefugnis nach § 171b GVG zum Gegenstand hat, sind die Einzelheiten der im Zusammenhang mit der Ausschließungsentscheidung der Strafkammer angefallenen Unterlagen, deren Vortrag der Generalbundesanwalt und dieVerteidigung vermissen, für die Entscheidung über die Verfahrensrüge ohne Bedeutung.
7
b) Die Regelung des § 171b Abs. 3 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der erhobenen Rüge nicht entgegen. Gemäß § 171b Abs. 3 GVG unanfechtbar und daher gemäß § 336 Satz 2 StPO der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen ist die gerichtliche Entscheidung darüber, ob die in § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1989 - 1 StR 786/88, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Dauer 1; Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 268/06, StV 2007, 514; vgl. auch den Entwurf der Bundesregierung für ein Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren, BT-Drucks. 10/5305 S. 23 f.). Damit ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die Begründung einer nach § 171b GVG ergangenen Entscheidung inhaltlich zu überprüfen (vgl. Wickern in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 171b GVG, Rn. 25). Die Rüge der Staatsanwaltschaft zielt indessen nicht auf die Tragfähigkeit der von der Strafkammer für ihre Ausschließungsanordnung angeführten Gründe, sondern stellt die generelle Befugnis für den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes in Frage. Diese Beanstandung wird von § 171b Abs. 3 GVG nicht ausgeschlossen.
8
c) Die Rüge ist unbegründet. Nach § 171b GVG darf die Öffentlichkeit auch während der Verlesung des Anklagesatzes von der Verhandlung ausgeschlossen werden.
9
Die Vorschrift des § 171b GVG knüpft an den Begriff der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht in § 169 Satz 1 GVG an und lässt beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG einen Ausschluss der Öffentlichkeit für sämtliche Abschnitte der Hauptverhandlung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1992 - 1 StR 105/92, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Dauer 5; Wickern aaO, Rn. 21). Die Ausschließungsbefugnis nach § 171b GVG reicht nicht weniger weit als bei den Ausschlusstatbeständen des § 171a GVG und § 172 GVG, für welche ausdrücklich normiert ist, dass die Öffentlichkeit für die (Haupt-)Verhandlung oder einen Teil davon ausgeschlossen werden kann. Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 171b GVG. Durch die Schaffung des § 171b GVG sollte der bis dahin in § 172 Nr. 2 GVG in der Fassung vom 9. Mai 1975 geregelte Schutz des persönlichen Lebensbereichs eines Prozessbeteiligten oder Zeugen durch eine Änderung des Abwägungsmaßstabs zugunsten des Persönlichkeitsschutzes verbessert, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Erörterung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich aus dem Zusammenhang der übrigen Ausschlussgründe gelöst und plakativ an die Spitze gestellt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 10/5305 S. 23). Dafür, dass bei dem neu in das Gerichtsverfassungsgesetz aufgenommenen § 171b GVG - anders als bei § 172 GVG - bestimmte Verfahrensabschnitte der Hauptverhandlung von der Ausschließungsbefugnis ausgenommen sein sollten, bietet die Entstehungsgeschichte keinen Anhalt. Das Gesetz enthält in § 173 GVG lediglich für die Urteilsverkündung eine besondere Regelung, wonach die Verlesung der Urteilsformel stets öffentlich zu erfolgen hat und der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Eröffnung der Urteilsgründe einen besonderen Beschluss des Gerichts nach §§ 171b, 172 GVG erfordert. Die eine Gegenausnahme zu den Ausschließungstatbeständen der §§ 171a, 171b und 172 GVG beinhaltende Bestimmung des § 173 GVG ist entgegen der Ansicht der Revision einer ausdehnenden, ihren Anwendungsbereich auf andere Verfahrensvorgänge erstreckenden Auslegung nicht zugänglich.
10
Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 Satz 1 StPO) und umfasst nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO die Verlesung des Anklagesatzes. Die Verlesung ist ein Teil der Verhandlung, für den bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden darf (vgl. für § 172 GVG RG, Urteil vom 13. Mai 1927 - 1. D 392/1927; Wickern aaO, § 172 GVG, Rn. 39). Auch bei der Verlesung des Anklagesatzes können Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten , Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG zu rechtfertigen vermögen, weil deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, ohne dass das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision weder aus dem Umstand, dass der Inhalt des Anklagesatzes auf einer vorläufigen Bewertung des Ermittlungsergebnisses durch die Staats- anwaltschaft beruht, noch aus der verfahrensrechtlichen Funktion des Anklagesatzes zur Umgrenzung und Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes.
11
2. Im Zusammenhang mit der Verständigung nach § 257c StPO macht die Revision einen Verstoß gegen die §§ 257c, 261, 267 StPO geltend. Sie beanstandet , das Landgericht habe trotz des von der Staatsanwaltschaft erklärten Widerrufs der Zustimmung zu dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag in den Urteilsgründen nicht ausgeführt, ob und aus welchen Gründen es an der Verständigung habe festhalten wollen. Die in der Hauptverhandlung neu zutage getretenen Umstände - die erheblichen psychischen Tatfolgen für die Nebenklägerin und das erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nach Intervention der Staatsanwaltschaft erfolgte Eingeständnis des erzwungenen Analverkehrs durch den Angeklagten - hätten der Strafkammer Anlass geben müssen, den der Verständigung zugrunde gelegten Strafrahmen zu verlassen.
12
Der Rüge bleibt der Erfolg versagt.
13
a) Nach der Konzeption des § 257c StPO kommt eine Verständigung über das Ergebnis des Verfahrens durch einen Vorschlag des Gerichts und die Zustimmungserklärungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft zustande. Das Gericht gibt nach § 257c Abs. 3 Satz 1 StPO den Inhalt einer möglichen Verständigung bekannt und macht dabei regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO eine Strafober- und Strafuntergrenze anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - 3 StR 426/10, NStZ 2011, 648; Beschluss vom 16. März 2011 - 1 StR 60/11, StV 2012, 134, 135). Für die in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO als Vorschlag bezeichnete Bekanntgabe hat das Gericht das vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung erwartete Prozessverhalten, bei dem es sich in aller Regel um ein Geständnis handeln wird (§ 257c Abs. 2 Satz 2 StPO), genau zu bezeichnen und unter antizipierender Berücksichtigung dieses Verhaltens und Beachtung der Vorgaben des materiellen Rechts eine strafzumessungsrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfs vorzunehmen (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, BT-Drucks. 16/12310 S. 14; Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren , § 257c Rn. 56). Die Verständigung kommt gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustande, wenn der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag zustimmen. Die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft ist als gestaltende Prozesserklärung (vgl. MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., Einleitung, Rn. 95, 102, 116) unanfechtbar und unwiderruflich (vgl. Niemöller aaO, Rn. 28; Altvater, Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 26; Meyer-Goßner aaO, § 257c, Rn. 25). Die Staatsanwaltschaft hat auch dann von sich aus keine Möglichkeit, die getroffene Verständigung mit der daraus resultierenden Bindungswirkung für das Gericht nachträglich zu Fall zu bringen, wenn sie die Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO für ein Entfallen der Bindungswirkung als gegeben ansieht (vgl. Niemöller aaO, Rn. 39, 111; Altvater aaO; Eschelbach in Graf, StPO, § 257c, Rn. 30; Velten in SK-StPO, 4. Aufl., § 257c, Rn. 25; Ambos/Ziehn in Radtke/Hohmann, StPO, § 257c, Rn. 35).
14
b) Das Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht tritt ungeachtet des insoweit unklaren Wortlauts des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO nicht kraft Gesetzes von selbst ein, sondern erfordert eine dahingehende gerichtliche Entscheidung. Die Prüfung, ob eine mit dem materiellen Recht in Einklang stehende Ahndung auch bei veränderter Beurteilungsgrundlage noch im Rahmen der getroffenen Verständigung möglich ist, liegt im Verantwortungsbereich des Gerichts. Um ein materiell-rechtlich richtiges und gerechtes Urteil zu gewährleisten (BT-Drucks. 16/12310 S. 14), räumt § 257c Abs. 4 StPO dem Gericht die Befugnis ein, sich unter den in § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geregelten Voraussetzungen aus der Bindung durch die Verständigung zu lösen. Das Abweichen von der Verständigung ist das Gegenstück zu dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag und stellt sich der Sache nach als Widerruf der zum Bestandteil der Verständigung gewordenen Strafrahmenzusage dar. Dies macht eine entsprechende Entscheidung des Gerichts erforderlich (vgl. Niemöller aaO, Rn. 113; BT-Drucks. 16/12310 S. 15; a.A. Altvater aaO, S. 24). Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung folgt zudem aus der Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, die das Entfallen der Bindung an die Verständigung unter anderem davon abhängig macht, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Für die danach erforderliche Überzeugungsbildung bedarf es zwingend einer gerichtlichen Entscheidung. Die Entscheidung über das Abweichen von der Verständigung ist nach § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO unverzüglich mitzuteilen, um dem Angeklagten und den weiteren Verfahrensbeteiligten - insbesondere mit Blick auf das mit dem Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO verknüpfte Verwertungsverbot für ein im Zuge der Verständigung abgelegtes Geständnis des Angeklagten - die Möglichkeit zu geben, ihr Prozessverhalten auf die neue Verfahrenslage einzurichten (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 15).
15
c) Ein Abweichen von der Verständigung setzt unter anderem voraus, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tatoder schuldangemessen ist. Dies ist in § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO ausdrücklich geregelt, gilt in gleicher Weise aber auch für die Fälle des § 257c Abs. 4 Satz 2 StPO. Gegenstand der in § 257c Abs. 4 Satz 2 StPO angesprochenen Prognose ist die strafzumessungsrechtliche Bewertung, die das Gericht bei seiner Zusage der Strafrahmengrenzen unter antizipierender Berücksichtigung des nach dem Inhalt des Verständigungsvorschlags erwarteten Prozessverhaltens des Angeklagten vorgenommen hat. Von einem nicht der Prognose entsprechenden Verhalten des Angeklagten, das ein Abweichen von der Verständigung zu rechtfertigen vermag, kann daher nur dann die Rede sein, wenn das von der Erwartung abweichende tatsächliche Prozessverhalten aus der Sicht des Gerichts der Strafrahmenzusage die Grundlage entzieht.
16
Bei der Beantwortung der Frage, ob die in Aussicht gestellten Strafrahmengrenzen auch auf veränderter Beurteilungsgrundlage eine tat- und schuldangemessene Ahndung ermöglichen, kommt dem Gericht - wie auch sonst bei Wertungsakten im Bereich der Strafzumessung - ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der erst überschritten ist, wenn der zugesagte Strafrahmen nicht mehr mit den Vorgaben des materiellen Rechts in Einklang zu bringen ist. Dies wäre etwa anzunehmen, wenn die Strafrahmenzusage sich unter Berücksichtigung von neu eingetretenen oder erkannten Umständen oder des tatsächlichen Prozessverhaltens des Angeklagten so weit von dem Gedanken eines gerechten Schuldausgleichs entfernte, dass sie als unvertretbar erschiene. In diesem Fall wäre das Gericht jedenfalls aus Gründen sachlichen Rechts verpflichtet, von der getroffenen Verständigung abzuweichen. Da die Anforderungen des materiellen Strafrechts im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO nicht disponibel sind (vgl. nur BT-Drucks. 16/12310 S. 7 ff., 13 f.), wäre ein auf der Grundlage der Verständigung ergehendes Urteil sachlich-rechtlich fehlerhaft. Ob in einem Festhalten an der Verständigung bei nach Maßgabe von § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO unvertretbar gewordener Strafrahmenzusage zugleich ein Verfahrensverstoß gegen § 257c Abs. 4 StPO läge, kann der Senat dahinstehen lassen. Denn im vorliegenden Fall hat das Landgericht den ihm im Rahmen des § 257c Abs. 4 StPO zukommenden Beurteilungsrahmen nicht überschritten. Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt keine nach § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO neu in die strafzumessungsrechtliche Bewertung einzubeziehenden Umstände auf, die geeignet sind, die Vertretbarkeit der von der Strafkammer in ihrem Verständigungsvorschlag in Aussicht gestellten Strafober - und Strafuntergrenze in Frage zu stellen. Dies gilt sowohl für den Umstand, dass der Angeklagte den gewaltsam erzwungenen Analverkehr erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung glaubhaft eingeräumt hat, als auch für die erheblichen psychischen Folgen der Tat für die Nebenklägerin.
17
d) Ausführungen in den Urteilsgründen zum Festhalten an oder Abweichen von der Verständigung sind entgegen der Ansicht der Revision nicht erforderlich. Während in dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren ursprünglich die Feststellung in den Urteilsgründen vorgesehen war, dass dem Urteil eine Verständigung zugrunde liegt (vgl. Referentenentwurf S. 6 f. bei Niemöller aaO, Anhang 4), verlangt die Gesetz gewordene Regelung des § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO lediglich die Angabe, dass dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist. Die Vorschrift soll auch für die Urteilsgründe Transparenz herstellen (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 15). Die Darstellung des Inhalts der Verständigung ist dabei nicht geboten. Insoweit findet die notwendige Dokumentation gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO in der Sitzungsniederschrift statt, welche die Grundlage einer vom Revisionsgericht auf Verfahrensrüge hin gegebenenfalls vorzunehmenden Prüfung des Verfahrens nach § 257c StPO bildet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2010 - 1 StR 359/10, NStZ 2011, 170; vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10, BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 5 Offenlegung 1; vom 13. Januar 2010 - 3 StR 528/09, NStZ 2010, 348). Für das Abrücken von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO verbleibt es mangels einer anderen gesetzlichen Regelung bei dem Grundsatz, dass Verfahrensvorgänge im Urteil nicht zu erörtern sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613; vom 8. Mai 2007 - 1 StR 202/07, NStZ-RR 2007, 244; a.A. für § 257c Abs. 4 Meyer-Goßner aaO, § 267, Rn. 23a; Velten aaO, § 257c, Rn. 41). Die Mitteilung nach § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO über die Entscheidung zum Abgehen von der Verständigung und deren Gründe ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen und nimmt an dessen Beweiskraft teil.

III.


18
Die Sachrüge bleibt - auch unter Berücksichtigung des § 301 StPO - ebenfalls ohne Erfolg. Die Strafzumessung und die Bewährungsentscheidung im angefochtenen Urteil halten einer rechtlichen Prüfung stand.
19
1. Die Annahme einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler, gestützt auf die durch die Bekundungen der Nebenklägerin partiell bestätigten Angaben des Angeklagten, den Umfang des Alkoholkonsums des Angeklagten festgestellt und auf dieser Grundlage sachverständig beraten eine maximale Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit von 2,9 Promille ermittelt. Ausgehend von dieser in den Blutkreislauf aufgenommenen Alkoholmenge, die zutreffend als gewichtiges Beweisanzeichen für eine die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigende Alkoholintoxikation gewertet worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37; vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136; Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 69 ff.), hat es eine Gesamtwürdigung der sonstigen Begleitumstände unter Einbeziehung des Verhaltens des Angeklagten und dessen nicht gegebener Alkoholgewöhnung vorgenommen und ist zu der Überzeugung gelangt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens aufgrund der Alkoholisierung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies lässt weder eine unzutreffende Anwendung des Zweifelssatzes noch anderweitige Rechtsfehler erkennen.
20
2. Die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung kann vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden; eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Einen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Die Strafkammer hat die erheblichen psychischen Tatfolgen für die Nebenklägerin zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Die dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB doppelt geminderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB entnommene Strafe ist zwar milde, sie liegt aber nicht außerhalb des dem Tatrichter eröffneten Beurteilungsrahmens.
21
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich gegen die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Den dem Tatrichter bei der Gesamtwürdigung nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB eingeräumten Beurteilungsspielraum (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56, Rn. 11, 25 m.w.N.) hat das Landgericht nicht überschritten. Es hat alle wesentlichen für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte erwogen und sich für die Bejahung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten, sein Geständnis und den gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich gestützt. Vor dem Hintergrund dieser von der Strafkammer angeführten gewichtigen Milderungsgründe liegt auch in dem Fehlen von Ausführungen im Urteil zur Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung ausnahmsweise die Vollstreckung der Strafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB), kein Rechtsfehler. Denn einer ausdrücklichen Erörterung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB bedarf es nur dann, wenn aus den Urteilsgründen ersichtliche Umstände die Anwendung dieser Vorschrift nahelegen (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1994 - 4 StR 252/94, BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 15; vom 30. Oktober 1990 - 1 StR 500/90, BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 9).
Ernemann Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

Das Gericht kann für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn

1.
eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist,
1a.
eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist,
2.
ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden,
3.
ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung mit Strafe bedroht ist,
4.
eine Person unter 18 Jahren vernommen wird.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

(2) Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 487/16
vom
7. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:071216B1STR487.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2016 auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß §§ 206a Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 1. Juni 2016 wird
a) das Verfahren insoweit eingestellt, als der Angeklagte im Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist; die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insoweit der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert , dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 200 Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 201 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Verfahren war gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte in Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist.
3
Zwar erfüllt das unter Fall 199 der Urteilsgründe geschilderte Verhalten des Angeklagten zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Januar 1997 den Tatbestand des nach § 2 Abs. 3 StGB anwendbaren § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der bis zum 31. März 1998 gültigen Fassung. Jedoch war die Tat bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahr 2013 bereits verjährt. § 176 Abs. 5 StGB aF sah nämlich als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, so dass nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die fünfjährige Verjährungsfrist galt. Da die Verjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aF bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers ruhte, begann die Verjährungsfrist erst am 18. Geburtstag des Opfers, dem 12. Dezember 2003, zu laufen und war im Jahr 2013 bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens bereits verstrichen.
4
Dieses von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis gebietet die Einstellung des Verfahrens im Fall 199 nach § 206a Abs. 1 StPO und führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs.
5
Es kommt dadurch zum Wegfall der für Fall 199 verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten hat dennoch Bestand, da der Senat in Anbetracht der für die übrigen Taten verhängten 200 Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten ausschließen kann, dass die Gesamtfreiheitsstrafe ohne die in Wegfall geratene Einzelfreiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre.

II.

6
Im Übrigen ist die Revision aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. September 2016 ausgeführten Gründen unbegründet.
7
Näherer Erörterung bedarf hier nur die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 6 StPO:
8
Die Revision rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, indem diese am 1. Juni 2016 nach Ausschluss gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG bei „den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreter und Verteidiger“ für das letzte Wort des Angeklagten nicht wiederhergestellt worden sei.
9
Die Rüge ist nicht nach § 171b Abs. 5 GVG ausgeschlossen. Nach § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO ist die gerichtliche Entscheidung darüber der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorlagen. Dies hindert jedoch nicht die Überprüfung der Frage, ob eine generelle Befugnis besteht, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen (vgl. bzgl. Verlesung der Anklageschrift: BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 ff. Rn. 7; bzgl. der Schlussanträge: BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
10
Die Rüge ist jedoch unbegründet. Nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit für „die Schlussanträge“ in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
11
Vorliegend war die Öffentlichkeit in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an vorangegangenen Sitzungstagen nach § 171b Abs. 1 und 3 GVG – während Zeugenvernehmungen und der vom Verteidiger vorgetragenen Einlassung des Angeklagten – zeitweise ausgeschlossen gewesen. Für diesen Fall bestimmt § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit auch für „die Schlussanträge“.
12
Zu den „Schlussanträgen“ im Sinne des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zählt auch das letzte Wort des Angeklagten. Dies gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift.
13
Der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG dient dem Schutz sowohl der Intimsphäre der Prozessbeteiligten als auch der von Zeugen. Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich, insbesondere aus dem Sexualbereich , sollen in der Regel nicht öffentlich erörtert werden müssen (vgl. BTDrucks. 10/5305, S. 23). Dies soll nicht nur den Zeugen schützen, sondern ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nach § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG vielmehr auch dann vorgesehen, wenn allein der Angeklagte dies zum Schutz seines persönlichen Lebensbereichs beantragt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14 und vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016,

180).

14
§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG sieht einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit bei den Schlussanträgen für den Fall vor, dass die Öffentlichkeit bereits im Verlauf der Hauptverhandlung nach § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder § 172 Nr. 4 GVG ausgeschlossen war. In den Schlussanträgen wird nämlich typischerweise der Inhalt der Hauptverhandlung, mithin auch die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffenden Umstände , erneut aufgerollt (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.). Dies gilt für das letzte Wort ebenso wie für die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Auch der Angeklagte kann sich in seinem letzten Wort auf Beweiserhebungen aus der Hauptverhandlung beziehen, die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffen. Eine Differenzierung zwischen den Schlussanträgen der Prozessbeteiligten und dem letzten Wort des Angeklagten ist deshalb unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks dieser Vorschrift nicht veranlasst. Im Übrigen wurde von einer Beschränkung des Öffentlichkeitsausschlusses auf einzelne Abschnitte der Plädoyers, in denen die betreffenden Umstände erörtert werden, bewusst abgesehen, da eine entsprechende Teilung praktisch nicht durchführbar wäre (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 18). Für das letzte Wort gilt Gleiches.
15
Vor allem spricht jedoch für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auch während des letzten Wortes des Angeklagten, dass dieser andernfalls im letzten Wort eingeschränkt sein könnte. Sinn und Zweck des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO ist es, dem Angeklagten zu ermöglichen, auch noch im letzten Augenblick vor der Urteilsverkündung für ihn günstige Umstände gegenüber dem Gericht vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87, NStZ 1987, 423). Hierbei könnte der Angeklagte in öffentlicher Sitzung gehemmt sein, wenn es sich um Umstände handelt, die seinen persönlichen Lebensbereich betreffen, und über die er sich zuvor nur in nicht-öffentlicher Sitzung geäußert hat. Dies soll § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG jedoch gerade verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
16
Dieser Auslegung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG steht auch nicht der Wortlaut der Vorschrift „Schlussanträge“ entgegen. Vielmehr spricht das Gesetz auch im Rahmen von § 258 Abs. 1 StPO davon, dass nach Schluss der Be- weisaufnahme der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte „zu ihren Ausführungen und Anträgen“ das Wort erhalten. § 258 Abs. 2 StPO stellt nur eine Konkretisierung der Reihenfolge dahingehend dar, dass dem Angeklagten – auch im Falle einer Erwiderung der Staatsanwaltschaft – das letzte Wort zusteht. Es handelt sich hierbei jedoch offensichtlich um einen Unterfall der „Ausführungen und Anträge“ aus § 258 Abs. 1 StPO, die als gesetzliche Überschrift den Titel „Schlussvorträge“ tragen. Es sprichtdaher bereits der Wortlaut dafür, das letzte Wort des Angeklagten, das bei einem nicht-verteidigten Angeklagten kaum von seinem Schlussantrag getrennt werden kann, als Unterfall der „Schlussanträge“ i.S.d. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG anzusehen (so wohl auch der 2. Strafsenat, der bei einem contra legem unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Verfahrensfehler nicht ausschließen konnte, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass „der Angekl., wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hät- te, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten“, BGH, Be- schluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).

III.

17
In Anbetracht des nur geringen Teilerfolgs der Revision hält der Senat es nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten sowie den im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 StPO). Raum Graf Jäger Radtke Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/15
vom
12. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. November 2015
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 27. März 2015 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG hat zum Strafausspruch Erfolg.
3
1. In der Hauptverhandlung, die am 4. Dezember 2014 begann, wurde die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung von Zeugen und des Angeklagten mehrfach durch Gerichtsbeschluss gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GVG ausgeschlossen. Bei den Schlussanträgen war die Öffentlichkeit hergestellt. Es befanden sich auch Zuhörer im Sitzungssaal.
4
Da Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben, wäre indes nach der zwingenden Vorschrift des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG – auch ohne entsprechenden Antrag – die Öffentlichkeit während der Schlussanträge auszuschließen gewesen. Es liegt daher ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor, der mit Wirkung vom 1. September 2013 durch Art. 2 StORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1805) eingeführt wurde und der zurzeit der Hauptverhandlung galt.
5
2. Der Angeklagte ist insoweit auch anfechtungsbefugt. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der erhobenen Rüge nicht entgegen.
6
Gemäß § 171b Abs. 5 GVG sind zwar Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 unanfechtbar und damit der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen. Dies betrifft aber nur die inhaltliche Überprüfung der gerichtlichen Ausschließungsanordnung darauf, ob die in § 171b Abs. 1 und 2 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen (vgl. zu § 171b Abs. 3 GVG a.F., BGH, Urteil vom 21. Februar 1989 – 1 StR 786/88, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Dauer 1; Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 275). Damit ist es dem Revisionsgericht zwar verwehrt, die Begründung einer nach § 171b GVG ergangenen Entscheidung inhaltlich zu überprüfen (vgl. Wickern in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 171b GVG, Rn. 25), nicht gehindert ist es dagegen, die generelle Befugnis für den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes zu prüfen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11; BGHSt 57, 273, 275).
7
Nichts anderes kann gelten, wenn nur der Vorsitzende in einem Verfahrensabschnitt vor Anbringung der Schlussanträge (zu diesem Zeitpunkt rechtsfehlerfrei , weshalb eine Beanstandung nach § 238 StPO nicht in Betracht kommt) die Wiederherstellung der Öffentlichkeit angeordnet hat und das Gericht – wie vorliegend – weiterverhandelt und überhaupt keine Entscheidung über die Öffentlichkeit des Verfahrens getroffen hat (so schon zutreffend BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, Beck RS 2014, 19859 – nicht tragend). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das erkennende Gericht nach dem Gesetzeswortlaut ("ist die Öffentlichkeit auszuschließen") keinen Beurteilungsspielraum hatte. Einer Anfechtbarkeit durch den Angeklagten steht auch nicht entgegen, dass die Vorschrift in erster Linie dem Opferschutz geschuldet ist. Denn § 171b GVG dient insgesamt dem Schutz der Privatsphäre, auch des Angeklagten als Subjekt des Verfahrens (vgl. BGH, aaO). Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem u.a. mehrmals die Öffentlichkeit auch auf Antrag des Angeklagten ausgeschlossen wurde, weil Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen sollten.
8
3. Wie die Revision und der Generalbundesanwalt zutreffend ausführen, ist zwar der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben, weil diese Vorschrift bei einer unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, Beck RS 2014, 19859 mwN). Durchgreifend ist aber der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO).
9
a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der insoweit geständigen Einlassung des Angeklagten und der ansonsten gegebenen klaren Beweislage ausschließen , dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nicht-öffentlichen Schlussvorträgen insoweit noch Erhebliches hätten bekunden können. Soweit die Strafkammer dem Angeklagten unter Berücksichtigung der übrigen Beweisergebnisse hinsichtlich seiner sexuellen Orientierung nicht gefolgt ist, bleibt der Schuldspruch davon unberührt.
10
b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe sowie die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls der Angeklagte , wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden , Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten.
11
Die Öffentlichkeit wurde in der Hauptverhandlung mehrfach auf Antrag des Angeklagten nach § 171b Abs. 1 GVG ausgeschlossen, weil im Rahmen seiner geständigen Einlassung Umstände aus seiner Intimsphäre, namentlich seiner Sexualsphäre zur Sprache kamen. Bereits aus diesem Grund besteht die begründete Annahme, dass der Angeklagte über seine Einlassung hinaus in seinem letzten Wort weitere sich zu seinen Gunsten auswirkende Umstände angesprochen hätte, wenn er nicht der besonderen Belastung der öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt gewesen wäre. Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 1 2 / 1 4
vom
17. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2014 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 23. Dezember 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen , Sachbeschädigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe und mit vorsätzlichem Besitz von Munition, Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und mit vorsätzlichem Besitz von Munition und wegen vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe, mit vorsätzlichem Führen von zwei Schalldämpfern, mit vorsätzlichem Besitz von Munition sowie mit vorsätzlichem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Es hat weiter seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Hiergegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
3
Sein Rechtsmittel ist in vollem Umfang begründet (§ 349 Abs. 4 StPO), weil sowohl ein Verfahrensfehler als auch ein materiell-rechtlicher Fehler vorliegt.
4
1. Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO231b Abs. 1 StPO) hat Erfolg, weil die Hauptverhandlung (hier Einnahme eines Augenscheins ) in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt ist.
5
Durch Beschluss des Landgerichts wurde der Angeklagte gemäß § 177 GVG für die weitere Vernehmung der Zeugin B. am 15. November 2013 aus dem Sitzungszimmer entfernt, nachdem er zuvor mehreren sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden … nicht nachgekommen war …
6
Nach Entfernung des Angeklagten machte die Zeugin weitere Angaben. Im Protokoll heißt es sodann: "Die von der Polizei gefertigten Lichtbilder der Wohnung der Geschädigten B. wurden in Augenschein genommen."
7
Die Zeugin machte sodann weitere Angaben zur Sache. Der Angeklagte wurde über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage B. informiert (§§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO).
8
Die Lichtbilder werden im Protokoll anschließend nicht mehr erwähnt.
9
a) Die Rüge ist zulässig erhoben.
10
Der Revisionsführer hat diesen Sachverhalt vollständig vorgetragen. Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO war es im vorliegenden Fall nicht erforderlich , die Lichtbilder im Einzelnen zu beschreiben, wenn dies auch im Einzelfall zur erforderlichen Klarstellung schon verlangt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 - 1 StR 391/03). Dies war weder notwendig, um die Frage beantworten zu können, ob die Abwesenheit bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung stattfand, noch ob es sich nur um einen Vernehmungsbehelf handelte. Hier ergibt sich aus den auf die Sachrüge zugänglichen schriftlichen Urteilsgründen , dass die Lichtbilder für das erkennende Gericht wesentlich waren, denn sie werden bei der Beweiswürdigung dreimal angeführt (UA S. 20, 26, 27). Nicht wesentlich waren für das Gericht die Einzelheiten der Bilder, denn es ist nur von "Lichtbildern ihres Schlafzimmers", "Lichtbildern der Wohnung" und "Bildern ihrer Wohnung" die Rede. Näherer Vortrag war daher im vorliegenden Fall für die Beurteilung durch das Revisionsgericht entbehrlich (vgl. auch BGH, Urteil vom 7. April 2004 - 2 StR 436/03). Dies gilt auch für die Prüfung der Frage , ob lediglich von einem Vernehmungsbehelf auszugehen ist (vgl. hierzu auch nachfolgend 1b).
11
b) Die Rüge ist auch begründet.
12
Durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274 StPO), dass während der Vernehmung der Zeugin B., bei der der Angeklagte nach § 177 GVG ausgeschlossen war, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder durchgeführt wurde. Nach den Gesamtumständen ist hier davon auszugehen, dass es sich um einen förmlichen Augenschein gehandelt hat und die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf eingesetzt worden sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2002 - 5 StR 477/02).
13
Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlaufe einer Zeugenvernehmung hätte keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 4 StR 529/13 mwN).
14
Der Wortlaut des Protokolls ist eindeutig: Die Bilder wurden "in Augenschein genommen". Auf die Einschätzung des Sitzungsstaatsanwalts in seiner Gegenerklärung, wo nach seiner Erinnerung die Lichtbilder "als Hilfe dienten, die Angaben des Zeugen B. betreffend ihrer Wohnverhältnisse nachvollziehen zu können", kommt es danach nicht an.
15
Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass kein förmlicher Augenschein erfolgt ist. Denn dort heißt es: "Dieses Geschehen konnte B. anhand von in Augenschein genommenen Lichtbildern …" (UA S. 20) und "beruhen u.a. … auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Wohnung von B." (UA S. 26). Umstände, die die Beweiskraft des Urteils in Zweifel ziehen könnten (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2002 - 1 StR 270/02), liegen danach nicht vor.
16
Eine gegebenenfalls zulässige Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.
17
Danach ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorgenommen und auch nicht in seiner Anwesenheit wiederholt worden (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 - 3 StR 163/07). Dass der Angeklagte hier nicht nach § 247 StPO sondern nach § 177 GVG entfernt wurde, ist für die Beurteilung des Verstoßes ohne Bedeutung. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 4 StR 529/13), ohne dass dies durch den Entfernungsbeschluss gedeckt war; denn die Augenscheinnahme gehörte nicht zur Vernehmung (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt 57. Aufl. Rn. 7 und 20 ff. zu § 247 StPO). Es stand auch nicht zu befürchten (vgl. § 231b Abs. 1 StPO), dass der Angeklagte bei nachträglicher Inaugenscheinnahme der Lichtbilder (bei seiner Unterrichtung gemäß §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO) den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde.
18
c) Der dargestellte Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten wegen den beiden Vergewaltigungsfällen, bei denen sich das Landgericht ausdrücklich auf die Lichtbilder gestützt hat, und der Gesamtstrafe sowie der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB).
19
Hingegen gefährdet dieser Verfahrensfehler den Bestand der Verurteilung wegen der Waffendelikte nicht. Ein Einfluss des Verfahrensfehlers ist insoweit ausgeschlossen (vgl. u.a. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 2 zu § 338), weil sich die Beweisaufnahme durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder bei der Vernehmung der Zeugin B. darauf nicht bezog (vgl. auch BGH, Urteil vom 7. April 2004 - 2 StR 436/03).
20
2. Die Rüge einer Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO, § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG, der mit Wirkung vom 1. September 2013 durch Art. 2 StORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1805) neu gefasst wurde, hat ebenfalls Gewicht.
21
In der Hauptverhandlung, die am 4. November 2013 begann, wurde mehrfach durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG ausgeschlossen.
22
a) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben. Denn diese Vorschrift ist bei unzulässiger Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 21. November 1969 - 3 StR 249/68, BGHSt 23, 82, 85; 176, 178; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 583/06).
23
b) Es liegt aber ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor, der zurzeit der Hauptverhandlung galt.
24
aa) Die Rüge ist in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Form erhoben. Ein Vortrag dazu, dass nach der Wiederherstellung der Öffentlichkeit tatsächlich auch Zuhörer den Verhandlungssaal betreten haben, würde die Anforderungen überspannen, zumal da diese Mitteilung nicht für den Nachweis des Rechtsfehlers notwendig ist, sondern allenfalls für die Frage der Prüfung eines Beruhens des Urteils auf dem Rechtsfehler von Belang sein könnte.
25
bb) Gemäß § 171b Abs. 5 GVG sind die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 (grundsätzlich) unanfechtbar. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen Entscheidungen nicht, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt sind (§ 336 Satz 2 StPO; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 583/06; BGH, Beschluss vom 31. August 1999 - 1 StR 410/99, BGH NJW 2007, 709).
26
Gleichwohl neigt der Senat im vorliegenden Fall dazu, in dem das Landgericht überhaupt keine Entscheidung getroffen, sondern nur der Vorsitzende (einige Verfahrensabschnitte vorher und deshalb zu diesem Zeitpunkt rechtsfehlerfrei , weshalb eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO nicht zu verlangen ist) die Wiederherstellung der Öffentlichkeit angeordnet hat, die Anfechtbarkeit zu bejahen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das erkennende Gericht nach dem Gesetzeswortlaut ("ist die Öffentlichkeit auszuschließen") keinen Beurteilungsspielraum hatte. Einer Anfechtbarkeit durch den Angeklagten steht hier auch nicht entgegen, dass die Vorschrift in erster Linie dem Opferschutz geschuldet ist. Denn § 171b GVG dient insgesamt dem Schutz der Privatsphäre, auch des Angeklagten als Prozessbeteiligten.
27
Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem u.a. auch mehrmals die Öffentlichkeit auf Antrag des Angeklagten ausgeschlossen wurde, weil entsprechende Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen sollten.
28
Danach wird insoweit von einer Anfechtungsbefugnis des Angeklagten auszugehen sein. Ob der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO) hier durchgreift oder ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht, kann der Senat offenlassen.
29
Hinsichtlich der Vergewaltigungen war das Urteil schon im Hinblick auf die unter 1. dargestellte Verfahrensrüge aufzuheben; die Verurteilung wegen der weiteren Delikte hat schon aus materiell-rechtlichen Gründen (nachfolgend 3.) keinen Bestand.
30
3. Der Schuldspruch wegen der verschiedenen Waffendelikte war aus sachlich-rechtlichen Gründen aufzuheben. Zutreffend führt der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. Mai 2014 dazu aus, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft insoweit von drei selbständigen Taten ausgegangen ist, statt insgesamt Tateinheit (§ 52 StGB) anzunehmen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 71/14). Der beantragten Schuldspruchänderung durch den Senat steht hier § 265 StPO entgegen. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass sich der Angeklagte nach einem entsprechenden Hinweis anders als geschehen eingelassen und sich erfolgreicher verteidigt hätte.
31
Die zugehörigen Feststellungen können danach ebenfalls nicht bestehen bleiben.
32
Die Sache war daher insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Raum Rothfuß Jäger
Mosbacher Fischer

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 487/16
vom
7. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:071216B1STR487.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2016 auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß §§ 206a Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 1. Juni 2016 wird
a) das Verfahren insoweit eingestellt, als der Angeklagte im Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist; die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insoweit der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert , dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 200 Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 201 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Verfahren war gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte in Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist.
3
Zwar erfüllt das unter Fall 199 der Urteilsgründe geschilderte Verhalten des Angeklagten zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Januar 1997 den Tatbestand des nach § 2 Abs. 3 StGB anwendbaren § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der bis zum 31. März 1998 gültigen Fassung. Jedoch war die Tat bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahr 2013 bereits verjährt. § 176 Abs. 5 StGB aF sah nämlich als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, so dass nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die fünfjährige Verjährungsfrist galt. Da die Verjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aF bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers ruhte, begann die Verjährungsfrist erst am 18. Geburtstag des Opfers, dem 12. Dezember 2003, zu laufen und war im Jahr 2013 bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens bereits verstrichen.
4
Dieses von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis gebietet die Einstellung des Verfahrens im Fall 199 nach § 206a Abs. 1 StPO und führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs.
5
Es kommt dadurch zum Wegfall der für Fall 199 verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten hat dennoch Bestand, da der Senat in Anbetracht der für die übrigen Taten verhängten 200 Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten ausschließen kann, dass die Gesamtfreiheitsstrafe ohne die in Wegfall geratene Einzelfreiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre.

II.

6
Im Übrigen ist die Revision aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. September 2016 ausgeführten Gründen unbegründet.
7
Näherer Erörterung bedarf hier nur die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 6 StPO:
8
Die Revision rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, indem diese am 1. Juni 2016 nach Ausschluss gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG bei „den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreter und Verteidiger“ für das letzte Wort des Angeklagten nicht wiederhergestellt worden sei.
9
Die Rüge ist nicht nach § 171b Abs. 5 GVG ausgeschlossen. Nach § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO ist die gerichtliche Entscheidung darüber der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorlagen. Dies hindert jedoch nicht die Überprüfung der Frage, ob eine generelle Befugnis besteht, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen (vgl. bzgl. Verlesung der Anklageschrift: BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 ff. Rn. 7; bzgl. der Schlussanträge: BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
10
Die Rüge ist jedoch unbegründet. Nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit für „die Schlussanträge“ in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
11
Vorliegend war die Öffentlichkeit in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an vorangegangenen Sitzungstagen nach § 171b Abs. 1 und 3 GVG – während Zeugenvernehmungen und der vom Verteidiger vorgetragenen Einlassung des Angeklagten – zeitweise ausgeschlossen gewesen. Für diesen Fall bestimmt § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit auch für „die Schlussanträge“.
12
Zu den „Schlussanträgen“ im Sinne des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zählt auch das letzte Wort des Angeklagten. Dies gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift.
13
Der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG dient dem Schutz sowohl der Intimsphäre der Prozessbeteiligten als auch der von Zeugen. Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich, insbesondere aus dem Sexualbereich , sollen in der Regel nicht öffentlich erörtert werden müssen (vgl. BTDrucks. 10/5305, S. 23). Dies soll nicht nur den Zeugen schützen, sondern ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nach § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG vielmehr auch dann vorgesehen, wenn allein der Angeklagte dies zum Schutz seines persönlichen Lebensbereichs beantragt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14 und vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016,

180).

14
§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG sieht einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit bei den Schlussanträgen für den Fall vor, dass die Öffentlichkeit bereits im Verlauf der Hauptverhandlung nach § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder § 172 Nr. 4 GVG ausgeschlossen war. In den Schlussanträgen wird nämlich typischerweise der Inhalt der Hauptverhandlung, mithin auch die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffenden Umstände , erneut aufgerollt (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.). Dies gilt für das letzte Wort ebenso wie für die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Auch der Angeklagte kann sich in seinem letzten Wort auf Beweiserhebungen aus der Hauptverhandlung beziehen, die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffen. Eine Differenzierung zwischen den Schlussanträgen der Prozessbeteiligten und dem letzten Wort des Angeklagten ist deshalb unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks dieser Vorschrift nicht veranlasst. Im Übrigen wurde von einer Beschränkung des Öffentlichkeitsausschlusses auf einzelne Abschnitte der Plädoyers, in denen die betreffenden Umstände erörtert werden, bewusst abgesehen, da eine entsprechende Teilung praktisch nicht durchführbar wäre (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 18). Für das letzte Wort gilt Gleiches.
15
Vor allem spricht jedoch für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auch während des letzten Wortes des Angeklagten, dass dieser andernfalls im letzten Wort eingeschränkt sein könnte. Sinn und Zweck des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO ist es, dem Angeklagten zu ermöglichen, auch noch im letzten Augenblick vor der Urteilsverkündung für ihn günstige Umstände gegenüber dem Gericht vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87, NStZ 1987, 423). Hierbei könnte der Angeklagte in öffentlicher Sitzung gehemmt sein, wenn es sich um Umstände handelt, die seinen persönlichen Lebensbereich betreffen, und über die er sich zuvor nur in nicht-öffentlicher Sitzung geäußert hat. Dies soll § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG jedoch gerade verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
16
Dieser Auslegung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG steht auch nicht der Wortlaut der Vorschrift „Schlussanträge“ entgegen. Vielmehr spricht das Gesetz auch im Rahmen von § 258 Abs. 1 StPO davon, dass nach Schluss der Be- weisaufnahme der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte „zu ihren Ausführungen und Anträgen“ das Wort erhalten. § 258 Abs. 2 StPO stellt nur eine Konkretisierung der Reihenfolge dahingehend dar, dass dem Angeklagten – auch im Falle einer Erwiderung der Staatsanwaltschaft – das letzte Wort zusteht. Es handelt sich hierbei jedoch offensichtlich um einen Unterfall der „Ausführungen und Anträge“ aus § 258 Abs. 1 StPO, die als gesetzliche Überschrift den Titel „Schlussvorträge“ tragen. Es sprichtdaher bereits der Wortlaut dafür, das letzte Wort des Angeklagten, das bei einem nicht-verteidigten Angeklagten kaum von seinem Schlussantrag getrennt werden kann, als Unterfall der „Schlussanträge“ i.S.d. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG anzusehen (so wohl auch der 2. Strafsenat, der bei einem contra legem unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Verfahrensfehler nicht ausschließen konnte, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass „der Angekl., wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hät- te, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten“, BGH, Be- schluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).

III.

17
In Anbetracht des nur geringen Teilerfolgs der Revision hält der Senat es nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten sowie den im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 StPO). Raum Graf Jäger Radtke Fischer

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 487/16
vom
7. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:071216B1STR487.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2016 auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß §§ 206a Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 1. Juni 2016 wird
a) das Verfahren insoweit eingestellt, als der Angeklagte im Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist; die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insoweit der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert , dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 200 Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 201 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Verfahren war gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte in Fall 199 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist.
3
Zwar erfüllt das unter Fall 199 der Urteilsgründe geschilderte Verhalten des Angeklagten zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Januar 1997 den Tatbestand des nach § 2 Abs. 3 StGB anwendbaren § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der bis zum 31. März 1998 gültigen Fassung. Jedoch war die Tat bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahr 2013 bereits verjährt. § 176 Abs. 5 StGB aF sah nämlich als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, so dass nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die fünfjährige Verjährungsfrist galt. Da die Verjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aF bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers ruhte, begann die Verjährungsfrist erst am 18. Geburtstag des Opfers, dem 12. Dezember 2003, zu laufen und war im Jahr 2013 bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens bereits verstrichen.
4
Dieses von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis gebietet die Einstellung des Verfahrens im Fall 199 nach § 206a Abs. 1 StPO und führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs.
5
Es kommt dadurch zum Wegfall der für Fall 199 verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten hat dennoch Bestand, da der Senat in Anbetracht der für die übrigen Taten verhängten 200 Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten ausschließen kann, dass die Gesamtfreiheitsstrafe ohne die in Wegfall geratene Einzelfreiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre.

II.

6
Im Übrigen ist die Revision aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. September 2016 ausgeführten Gründen unbegründet.
7
Näherer Erörterung bedarf hier nur die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 6 StPO:
8
Die Revision rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, indem diese am 1. Juni 2016 nach Ausschluss gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG bei „den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreter und Verteidiger“ für das letzte Wort des Angeklagten nicht wiederhergestellt worden sei.
9
Die Rüge ist nicht nach § 171b Abs. 5 GVG ausgeschlossen. Nach § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO ist die gerichtliche Entscheidung darüber der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorlagen. Dies hindert jedoch nicht die Überprüfung der Frage, ob eine generelle Befugnis besteht, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen (vgl. bzgl. Verlesung der Anklageschrift: BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 ff. Rn. 7; bzgl. der Schlussanträge: BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
10
Die Rüge ist jedoch unbegründet. Nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit für „die Schlussanträge“ in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
11
Vorliegend war die Öffentlichkeit in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an vorangegangenen Sitzungstagen nach § 171b Abs. 1 und 3 GVG – während Zeugenvernehmungen und der vom Verteidiger vorgetragenen Einlassung des Angeklagten – zeitweise ausgeschlossen gewesen. Für diesen Fall bestimmt § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit auch für „die Schlussanträge“.
12
Zu den „Schlussanträgen“ im Sinne des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zählt auch das letzte Wort des Angeklagten. Dies gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift.
13
Der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG dient dem Schutz sowohl der Intimsphäre der Prozessbeteiligten als auch der von Zeugen. Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich, insbesondere aus dem Sexualbereich , sollen in der Regel nicht öffentlich erörtert werden müssen (vgl. BTDrucks. 10/5305, S. 23). Dies soll nicht nur den Zeugen schützen, sondern ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nach § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG vielmehr auch dann vorgesehen, wenn allein der Angeklagte dies zum Schutz seines persönlichen Lebensbereichs beantragt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14 und vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016,

180).

14
§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG sieht einen zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit bei den Schlussanträgen für den Fall vor, dass die Öffentlichkeit bereits im Verlauf der Hauptverhandlung nach § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder § 172 Nr. 4 GVG ausgeschlossen war. In den Schlussanträgen wird nämlich typischerweise der Inhalt der Hauptverhandlung, mithin auch die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffenden Umstände , erneut aufgerollt (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.). Dies gilt für das letzte Wort ebenso wie für die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Auch der Angeklagte kann sich in seinem letzten Wort auf Beweiserhebungen aus der Hauptverhandlung beziehen, die den persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffen. Eine Differenzierung zwischen den Schlussanträgen der Prozessbeteiligten und dem letzten Wort des Angeklagten ist deshalb unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks dieser Vorschrift nicht veranlasst. Im Übrigen wurde von einer Beschränkung des Öffentlichkeitsausschlusses auf einzelne Abschnitte der Plädoyers, in denen die betreffenden Umstände erörtert werden, bewusst abgesehen, da eine entsprechende Teilung praktisch nicht durchführbar wäre (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 18). Für das letzte Wort gilt Gleiches.
15
Vor allem spricht jedoch für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auch während des letzten Wortes des Angeklagten, dass dieser andernfalls im letzten Wort eingeschränkt sein könnte. Sinn und Zweck des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO ist es, dem Angeklagten zu ermöglichen, auch noch im letzten Augenblick vor der Urteilsverkündung für ihn günstige Umstände gegenüber dem Gericht vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87, NStZ 1987, 423). Hierbei könnte der Angeklagte in öffentlicher Sitzung gehemmt sein, wenn es sich um Umstände handelt, die seinen persönlichen Lebensbereich betreffen, und über die er sich zuvor nur in nicht-öffentlicher Sitzung geäußert hat. Dies soll § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG jedoch gerade verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).
16
Dieser Auslegung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG steht auch nicht der Wortlaut der Vorschrift „Schlussanträge“ entgegen. Vielmehr spricht das Gesetz auch im Rahmen von § 258 Abs. 1 StPO davon, dass nach Schluss der Be- weisaufnahme der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte „zu ihren Ausführungen und Anträgen“ das Wort erhalten. § 258 Abs. 2 StPO stellt nur eine Konkretisierung der Reihenfolge dahingehend dar, dass dem Angeklagten – auch im Falle einer Erwiderung der Staatsanwaltschaft – das letzte Wort zusteht. Es handelt sich hierbei jedoch offensichtlich um einen Unterfall der „Ausführungen und Anträge“ aus § 258 Abs. 1 StPO, die als gesetzliche Überschrift den Titel „Schlussvorträge“ tragen. Es sprichtdaher bereits der Wortlaut dafür, das letzte Wort des Angeklagten, das bei einem nicht-verteidigten Angeklagten kaum von seinem Schlussantrag getrennt werden kann, als Unterfall der „Schlussanträge“ i.S.d. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG anzusehen (so wohl auch der 2. Strafsenat, der bei einem contra legem unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Verfahrensfehler nicht ausschließen konnte, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass „der Angekl., wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hät- te, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten“, BGH, Be- schluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180).

III.

17
In Anbetracht des nur geringen Teilerfolgs der Revision hält der Senat es nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten sowie den im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 StPO). Raum Graf Jäger Radtke Fischer

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 97/17
vom
14. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:140617B3STR97.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 25. November 2016 aufgehoben
a) im Strafausspruch, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;
b) soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat mit den zugehörigen Feststellungen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Er- folg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
2. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hat hingegen keinen Bestand; das führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.
4
a) Die sachverständig beratene Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Hang hat, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. Sie hat auch angenommen, dass zwischen diesem Hang und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Die Strafkammer hat indes eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Behandlung im Sinne des § 64 Satz 2 StGB aufgrund folgender Erwägungen verneint:
5
Der Angeklagte habe "auf ausdrückliche und mehrfache Nachfrage der Kammer vehement bekundet", dass er eine solche Behandlung "auf keinen Fall durchführen wolle". Deshalb sei die Strafkammer davon überzeugt, "dass eine Unterbringungsdauer von höchstens zwei Jahren" nicht ausreichen werde, um bei dem Angeklagten zunächst die erforderliche Therapiemotivation zu wecken und anschließend eine erfolgreiche Therapie durchzuführen, die nach Einschätzung des Sachverständigen mindestens ein Jahr dauern werde.
6
b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie sind schon im Ansatz verfehlt, weil die Strafkammer nicht bedacht hat, dass es für die Anordnung der Maßregel nach § 64 Satz 2 StGB in seiner seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung ausreicht, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass der Behandlungserfolg "innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3" StGB zu erreichen ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist mithin, wenn - wie hier - daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt; die Höchstfrist der Unterbringung verlängert sich in diesen Fällen vielmehr nach Maßgabe des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe. Durch den Verweis auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann angeordnet werden kann, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist (BT-Drucks. 18/7244, S. 1, 2, 24 f.).
7
Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht ohne Weiteres entnehmen, dass die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt selbst unter Berücksichtigung der gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB verlängerten Höchstfrist entgegensteht. Therapieunwilligkeit kann zwar ein Indiz für unzureichende Erfolgsaussichten der Entziehungsbehandlung sein. Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände beurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. April 1996 - 3 StR 95/96, NStZ-RR 1997, 34, 35; vom 22. September 2010 - 2 StR 268/10, NStZ-RR 2011, 203; vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, juris Rn. 5).
8
c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
9
d) Da der Senat im vorliegenden Fall nicht ausschließen kann, dass das Landgericht im Falle der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte, hebt er den Strafausspruch ebenfalls auf. Die diesem zugrunde liegenden Feststellungen können indes bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht berührt werden (s. § 353 Abs. 2 StPO).
10
3. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
11
a) Es ist unter dem Gesichtspunkt des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3 StGB) nicht unbedenklich, dass die Strafkammer in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe strafschärfend gewertet hat, dass die von dem Angeklagten zum Zweck des Handeltreibens erworbenen Betäubungsmittel in diesenFällen - im Gegensatz zu den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe - "in den Verkehr geraten" sind. Denn Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Es erfasst typischerweise den Verkauf an andere Personen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. November 2003 - 2 StR 403/03, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben
5) und damit auch, dass die Betäubungsmittel in den Verkehr geraten.
12
Wenngleich die Strafkammer durch die von ihr gewählte Formulierung möglicherweise nur deutlich zum Ausdruck bringen wollte, dass der in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe vorliegende Strafmilderungsgrund, der sich daraus ergibt, dass die Betäubungsmittel in diesen Fällen sichergestellt wurden, in den Fällen 1 und 2 fehlt, so ist doch zu beachten, dass das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes sich nicht strafschärfend auswirkt.
13
b) Nicht frei von Bedenken ist auch die strafschärfende Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei den Betäubungsmitteln in allen Fällen "um Amphetamin, also eine sog. harte Droge mit hohem Gefährdungspotential" gehandelt habe. Der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit kommt im Rahmen der Strafzumessung zwar grundsätzlich eine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 - 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314 mwN). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht insoweit indes ein für die Strafzumessung maßgebliches Stufenverhältnis, das von sog. harten Drogen, wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen, wie Cannabis reicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 1996 - 2 StR 508/96, StV 1997, 75 f.; vom 26. März 2014 - 2 StR 202/13, juris Rn. 20; vom 15. Juni 2016 - 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314 mwN). Daran gemessen ist es verfehlt, Amphetamin als "harte" Droge anzusehen.
14
c) Schließlich ist es nicht bedenkenfrei, dass die Strafkammer bei den Aussprüchen über die Einzelstrafen keine Differenzierung zwischen den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe auf der einen und dem Fall 3 der Urteilsgründe auf der anderen Seite vorgenommen hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog sich das Handeltreiben des Angeklagten in allen drei Fällen gleichermaßen auf eine Menge von ca. 250 g Amphetamin mit einer Wirkstoff- menge, die in den Fällen 1 und 2 das Maß der nicht geringen Menge jeweils einfach erreichte und im Fall 3 dem 1,7-fachen der nicht geringen Menge entsprach. Während der Angeklagte seine Täterschaft in den Fällen 1 und 2 bestritten hat, hat er im Hinblick auf Fall 3 ein Geständnis abgelegt. Anders als in den Fällen 1 und 2 konnten die Betäubungsmittel im Fall 3 zudem sichergestellt werden. Gleichwohl hat die Strafkammer in allen drei Fällen auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten erkannt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass "insbesondere die strafmildernden Umstände des Geständnisses und der Sicherstellung des Amphetamins im Fall 3" der Urteilsgründe "zu einer Angleichung der Strafzumessungsgesichtspunkte geführt" hätten. Das ist aus sich heraus nicht nachvollziehbar.
Becker Schäfer RiBGH Gericke befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
Tiemann Hoch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 570/16
vom
4. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:040517B2STR570.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 4. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 26. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubter Einfuhr von in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die Angeklagte F. unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubter Einfuhr von in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihrer jeweils auf die Sachrüge gestützten Re- vision. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen Rechtsfehler ergeben.
3
2. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung hingegen nicht stand.
4
a) Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht der Maßregel hat das Landgericht die am 1. August 2016 in Kraft getretene Neufassung des § 64 Satz 2 StGB (BGBl. I 2016 S. 1610) nicht bedacht. Das Landgericht hat die Nichtanordnung der Maßregel betreffend beide Angeklagte entscheidend damit begründet, dass die für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Therapie (§ 64 Satz 2 StGB) nicht bestehe, weil die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB genannte Frist von zwei Jahren überschreite (UA S. 50, 53). Dabei hat sich die Strafkammer an der bisherigen Rechtsprechung einiger Strafsenate des Bundesgerichtshofs zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung orientiert, wonach die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB dann nicht vorliegen, wenn die Entzugsbehandlung voraussichtlich nicht innerhalb der in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB für die Maßregel vorgesehenen Höchstfrist von zwei Jahren zum Erfolg führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 48/14, NStZ-RR 2014, 212, 213 mwN; Senat, Urteil vom 20. Januar 2016 – 2 StR 378/15, NStZ 2016, 683, 685; Beschluss vom 8. August 2012 – 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7, 8; vgl. auch Fischer, StGB,64. Aufl., § 64 Rn. 19a; dagegen BGH, Urteil vom 6. Februar 1996 – 5 StR 16/96; zuletzt offengelassen BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315, 316; vgl. zum Ganzen Schneider, NStZ 2014, 617). Dieser – auf den Wortlaut des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB und den Willen des Gesetzgebers gestützten – Auslegung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2012 – 3 StR 65/12, NJW 2012, 2292) ist mit der Neufassung des § 64 Satz 2 StGB im Zuge des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 (BGBl. I 2016 S. 1610) die Grundlage entzogen worden (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 132 Rn.  21). Denn durch diese Gesetzesänderung enthält § 64 Satz 2 StGB nun eine entsprechende Klarstellung, indem nach dem Wort „Entziehungsanstalt“ die Worte „innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3“ eingefügt wurden. Damit hat der Gesetzgeber – um eine flexiblere Handhabung des § 64 StGB für den Einzelfall zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 13, 24 f.) – an die Rechtsansicht des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs angeknüpft (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14, aaO), wonach für eine erfolgversprechende Behandlung im Sinne des § 64 Satz 2 StGB grundsätzlich die bei Verhängung einer Begleitstrafe geltende verlängerte Unterbringungsfrist nach § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfügung steht (Senat, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 581/16).
5
b) Die Neufassung des § 64 Satz 2 StGB findet gemäß § 2 Abs. 6 StGB auch auf den vorliegenden Fall Anwendung (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 581/16, juris Rn. 6). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, das die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB als gegeben angesehen hat, unter Berücksichtigung der Gesetzesänderung die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
6
c) Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist deshalb hinsichtlich beider Angeklagter neu zu befinden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; Senat, Beschlüsse vom 15. März2017 – 2 StR581/16, juris Rn. 7; vom 28. Januar 2016 – 2 StR 424/15; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 7 ff.), denn die Angeklagten haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht vom Rechtsmittelangriff nicht ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363; Beschlüsse vom 15. März 2017 – 2 StR 581/16; vom 5. November 2015 – 2 StR 373/15). Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es nicht. Der Senat schließt aus, dass die Strafen geringer ausgefallen wären, wenn das Landgericht die Maßregel angeordnet hätte. Appl Eschelbach Bartel Wimmer Grube

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.