Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2010 - 4 StR 216/10

published on 22/06/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2010 - 4 StR 216/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 216/10
vom
22. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Juni 2010 gemäß §§ 206a, 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 4. Dezember 2009
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, insoweit wird das Verfahren eingestellt; die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insofern der Staatskasse zur Last;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 34 Fällen und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln schuldig ist,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, die Einziehung , den Verfall von Wertersatz und den erweiterten Verfall mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kos- ten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in fünf Fällen, dabei in vier Fällen gewerbsmäßig handelnd, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung von sichergestellten Betäubungsmitteln und "Betäubungsmittelutensilien" sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 3.290 € und den erweiterten Verfall von 5.605 € angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Verfahren ist in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe einzustellen , da es insofern an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.
3
a) Wegen der Fälle 1 bis 36 der Urteilsgründe hatte die Staatsanwaltschaft am 28. Mai 2009 Anklage erhoben, die das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juli 2009 unverändert zum Hauptverfahren zugelassen hat; zugleich hat es beschlossen, die Hauptverhandlung mit der Vorsitzenden und - neben den Schöffen - nur einer Beisitzerin durchzuführen. In der daraufhin begonnenen Hauptverhandlung beschloss die Strafkammer am 6. Oktober 2009, die am 23. September 2009 ferner erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen , mit der dem Angeklagten die später als Fälle 37 bis 44 abgeurteilten Taten zur Last gelegt wurden.
4
b) Diese Verfahrensweise war fehlerhaft. Bezüglich der dem Angeklagten in der Anklage vom 23. September 2009 zur Last gelegten Taten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Denn die große Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen entschieden, sondern in der gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Damit besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis , das zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe und zur Einstellung des Verfahrens führt (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 142/08, NStZ 2009, 52, und - auch zur Kostenentscheidung - Urteil vom 21. Januar 2010 - 4 StR 518/09 jeweils m.w.N.).
5
2. Zu den Einziehungs- und Verfallanordnungen hat der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 6. Mai 2010 ausgeführt: "1. Die Einziehungsanordnung, die lediglich auf zwei Sicherstellungsprotokolle verweist, bezeichnet die einzuziehenden Betäubungsmittel und Betäubungsmittelutensilien nicht genau genug. Bei einer Einziehungsanordnung müssen die einzuziehenden Gegenstände so genau bezeichnet sein, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; die Bezugnahme auf ein Asservatenverzeichnis genügt nicht (BGH, Beschluss vom 25. August 2009, 3 StR 291/09 m.w.N.). Bei der Einziehung von Betäubungsmitteln gehört dazu insbesondere die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts (Senat, Beschluss vom 12. Oktober 1999, 4 StR 391/99). Diesen Anforderungen wird die Einziehungsanordnung des Urteils nicht gerecht. Da sich die Anordnung auch mit Hilfe der Urteilsgründe nicht so genau konkretisieren lässt, dass sie vom Senat ergänzt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007, 1 StR 251/07), ist sie aufzuheben. 2. In der Wohnung des Angeklagten wurde Bargeld in Höhe von 8.895,- Euro sichergestellt (UA S. 6), welches nach Ansicht der Kammer aus Drogengeschäften stammt (UA S. 32). Allerdings erschließt sich nicht, wieso ein Teilbetrag in Höhe von 3.290,- Euro "aus den Betäubungsmittelgeschäften" stammen soll und der andere Teilbetrag in Höhe von 5.605,- Euro aus anderen nicht abgeurteilten Drogengeschäften, so dass insoweit der erweiterte Verfall nach § 73d StGB i.V.m. § 33 Abs. 1 BtMG anzuordnen war. Abgesehen davon, dass bei einer Zuordnung des sichergestellten Geldes zu den abgeurteilten Geschäften die Einziehung [richtig: Verfall] nach § 73 StGB zu erfolgen hat - wieso die Kammer einen Wertersatzverfall nach § 73a StGB angenommen hat, ist nicht nachvollziehbar - erfordert der Vorrang des § 73 StGB gegenüber der subsidiären Vorschrift des § 73d StGB, dass vor einer Anwendung des § 73d unter Ausschöpfung der zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind (Senat, Urteil vom 11. Dezember 2008, 4 StR 386/08 m. zahlr. w.N.). Dem werden die lediglich pauschalen Ausführungen der Kammer (UA S. 32) nicht gerecht, sie ermöglichen dem Revisionsgericht nicht die Prüfung , ob das Gericht die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB richtig angewendet hat".
6
Dem schließt sich der Senat an. Zudem kann die Anordnung des Verfalls von Wertersatz schon infolge der Teileinstellung keinen Bestand haben.
7
3. Vorsorglich bemerkt der Senat, dass die auf § 353 Abs. 2 StPO beruhende Aufhebung der den Verfallentscheidungen zuzuordnenden Feststellungen nicht die sogenannten doppelrelevanten Tatsachen erfasst, die auch den Schuld- oder Strafausspruch tragen (z. B. die Feststellungen zu den Einkaufsund Verkaufspreisen; vgl. näher Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. Einl. 187; § 353 Rdn. 20); insoweit sind nur ergänzende Feststellungen zulässig, die den bindend gewordenen nicht widersprechen dürfen. Ernemann Solin-Stojanović Cierniak Mutzbauer Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) besetzt. Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Schöffen nicht mit.

(2) Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung. Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, beschließt sie hierüber bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung. Sie beschließt eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen, wenn

1.
sie als Schwurgericht zuständig ist,
2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder
3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
Im Übrigen beschließt die große Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.

(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.

(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.

(1) Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden ist, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat handelt.

(2) Umfang und Wert des Erlangten einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen können geschätzt werden.

Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 32 bezieht, können eingezogen werden. § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden, so ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind.

(2) Hat sich der Täter oder Teilnehmer vor der Anordnung der Einziehung nach Absatz 1 an einer anderen rechtswidrigen Tat beteiligt und ist erneut über die Einziehung seiner Gegenstände zu entscheiden, berücksichtigt das Gericht hierbei die bereits ergangene Anordnung.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden ist, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat handelt.

(2) Umfang und Wert des Erlangten einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen können geschätzt werden.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.