Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2017 - 4 ARs 22/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juni 2017 beschlossen:
Gründe:
- 1
- 1. Der Senat hat die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht bei einer Verurteilung wegen Totschlags in der Vergangenheit mehrfach als Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB bewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1998 – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23; Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564 f.). Zuletzt hat er diese Frage ausdrücklich offengelassen (BGH, Beschluss vom 26. April 2016 – 4 StR 104/16). Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr fest.
- 2
- 2. Der Senat ist allerdings nicht der Ansicht, dass im Bereich des subjektiven Tatbestands eine vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schuldschwereskala gilt und deshalb das Vorliegen von Tötungsabsicht schon für sich genommen regelmäßig einen Straferschwernisgrund darstellt. Stattdessen kommt es auch hier auf den Einzelfall an.
- 3
- a) Die Strafzumessung ist Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Bei der Entscheidung über die Bewertungsrichtung der zumessungserheblichen Umstände und bei der Strafzumessung überhaupt kann der Tatrichter nicht von einem normativen Normalfall ausgehen. Die Annahme eines normativen Normalfalls widerspräche der Systematik des deutschen Strafrechts, das dem Tatrichter weite Strafrahmen zur Verfügung stellt und in § 46 StGB lediglich einzelne wichtige Strafzumessungsgesichtspunkte aufführt, ohne dass es sich dabei um eine erschöpfende Aufzählung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350 f.). Soweit in § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB die Beweggründe und Ziele des Täters, die aus der Tat sprechende Gesinnung und der bei der Tat aufgewendete Wille genannt werden, handelt es sich um Leitpunkte für die Bestimmung des subjektiven Handlungsunrechts. Die einzelnen Vorsatzformen treffen dazu – für sich genommen – keine unmittelbare Aussage. Sie bedürfen stets einer Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 – 1 StR 708/91, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; Beschluss vom 15. Februar 1984 – 4 StR 51/84; Beschluss vom 13. Mai 1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; Theune in: Leipziger Kommentar z. StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 102; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl., S. 214).
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- b) Dies gilt auch für die Tötungsabsicht.
- 5
- Absichtlich tötet, wem es bei seinem Tun auf die Herbeiführung des Todes ankommt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Erreichung des Todeserfolges für sicher oder nur für möglich gehalten wird. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob sie erwünscht ist oder bedauert wird (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1967 – 2 StR 368/67, BGHSt 21, 283, 284 f.; Momsen in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 15 Rn. 41; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 12 Rn. 8; zur dogmatischen Entwicklung des Absichtsbegriffs siehe Gehrig, Der Absichtsbegriff in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des StGB, 1996, S. 12 ff. mwN). Mit Tötungsabsicht handelt daher auch, wer den Tod eines anderen nicht um seiner selbst willen herbeiführen will, in ihm aber ein notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zum eigentlich angestrebten Ziel sieht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1967 – 2 StR 368/67, BGHSt 21, 283, 284 f. [Verdeckung durch Tötung ]; Mahl, Der strafrechtliche Absichtsbegriff, 2004, S. 6 f. mwN).
- 6
- Dass der Täter den Tod des Opfers als (Zwischen-)Ziel seiner Handlung anstrebt, spricht zwar für eine besonders starke Abweichung von den Maßstäben der Rechtsordnung (vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 499); es belegt aber für sich allein noch nicht das Vorliegen einer besonders verwerflichen Gesinnung oder eine besondere Stärke seines verbrecherischen Willens. Dies zeigt sich beispielhaft bei der Mitleidstötung. Wer einem moribunden Angehörigen das Leben nimmt, um ihn von schwerem Leiden zu befreien, tötet absichtlich. Dabei wird das fraglos strafmildernd zu bewertende Handlungsziel unmittelbar mit der Herbeiführung des nur deshalb angestrebten tatbestandsmäßigen Erfolges erreicht. Eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht am Maß- stab einer generellen „Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands“ bei gleichzeitiger Positivbewertung des nur durch eine Tötungerreich- baren Handlungsziels würde zu einer Aufspaltung der Bewertung des an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führen. Auch bestünde die Gefahr, dass es insoweit zu einer dem Strafzumessungsrecht wesensfremden Schematisierung kommt. Ähnlich liegt es, wenn der Täter, wie etwa in den „Haustyrannen -Fällen“, aus einer notstandsähnlichen Situation heraus absichtlich tötet.
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- Tötungsabsicht wird für sich genommen allerdings dann als selbstständiger Straferschwernisgrund herangezogen werden können, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes um seiner selbst willen ankommt und keine weiteren relevanten Handlungsziele festgestellt werden können. In diesem Fall nähert sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust an (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Juli 1953 – 1 StR 195/53, NJW 1953, 1440 [Ls]; Urteil vom 26. Februar 1986 – 3 StR 18/86).
Quentin Feilcke
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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: "Die Kammer hat wegen nicht ausschließbarer verminderter Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB den Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert. Straferschwerend hat sie sodann allein folgende Erwägung herangezogen : 'Zu Lasten des Angeklagten war der in der Tat zum Ausdruck kommende unbedingte Vernichtungswille zu berücksichtigen, der für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck kommt, und auch innerhalb der tatbestandserfassten Fälle des direkten Tötungsvorsatzes im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorausgegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend erscheint' (UA S. 39). Diese Erwägung begegnet unter dem Gesichtspunkt des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat damit maßgeblich auf den die Tat prägenden 'unbedingten Vernichtungswillen' abgestellt. Dass der Täter eines Tötungsdeliktes, von derartiger Absicht angetrieben, dem Opfer bewusst keine Überlebenschance lässt, verwertet aber lediglich erneut zu Lasten des Angeklagten das Tatbestandsmerkmal des Tötungsvorsatzes (vgl. Senat BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1; Beschluss vom 3. Februar 2004 - 4 StR 403/03 -). Zwar hat die Kammer versucht, ihre Überlegungen im Folgenden weiter zu konkretisieren; dass darin tatsächlich eine Anknüpfung der Strafzumessung an zulässige Straferschwerungsgründe liegt, lässt sich indes der wenig geglückten Formulierung jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen, zumal die Kammer offenbar Abstufungen innerhalb der Fälle direkten Vorsatzes vorgenommen sowie den nach dem Tatgeschehen auf der Hand liegenden direkten Tötungsvorsatz schon im Rahmen der Beweiswürdigung näher erörtert und als 'bewusst, gewollt und gezielt' (UA S. 34 unten) gekennzeichnet hat. Zudem unterliegen auch die in Betracht zu ziehenden Interpretationsmöglichkeiten Bedenken. Selbst wenn man die Wendung, der 'unbedingte Vernichtungswille' sei 'für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck gekommen', letztlich als eine Beschreibung der Art der Tatausführung (§ 46 Abs. 2 StGB) werten wollte (vgl. hierzu BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5), bliebe im Kern doch nur der Vorwurf, der Angeklagte habe mit der Abgabe des Schusses aus naher Distanz die zur Erreichung seines Tatziels - die Tötung des Tatopfers - nötige Gewalt angewandt; auch dies wäre mit § 46 Abs. 3 StGB nicht vereinbar (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2, 6). Eine solche Interpretation geriete auch mit dem Grundsatz in Konflikt, dass im Verhältnis zu dem gesetzlichen Regelfall einer Tötung mit bedingtem Vorsatz eine geringere Tatschwere zukommt, nicht aber eine Tötung mit direktem Tötungsvorsatz einen gesteigerten Unrechtsgehalt aufweist. Auch im Übrigen lassen die Ausführungen selbst bei weiter Auslegung nicht erkennen, dass die Kammer in rechtlich zulässiger Weise auf erschwerende Gesichtspunkte der Tatausführung verweisen wollte, wie etwa die durch das Bereitstellen und Verdecken der Tatwaffen vom Angeklagten bewusst geschaffene Gefährlichkeit der Situation. Zwar lässt sich der weiteren Erwägung, der Vernichtungswille erscheine 'im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorangegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend' ein Bezug zur Tatmotivation entnehmen. Die Herleitung strafschärfender Umstände wird insofern durch die Feststellungen aber nicht getragen. Zum Anlass der Tat hat die Kammer festgestellt, dass der von jeher eifersüchtige (UA S. 5) Angeklagte, der erhebliche Investitionen in die von seiner Lebensgefährtin betriebene Gaststätte geleistet hatte (UA S. 3, 20), die Tat beging aus 'Angst, seine Lebensgefährtin zu verlieren und aus spontaner Wut gegen den Getöteten, dem sie sich endgültig zugewandt hatte' (UA S. 14, 33). Inwiefern hieraus - jenseits der von der Kammer verneinten niedrigen Beweggründe - ein erhöhter Unrechtsgehalt folgen soll, hätte zumindest näherer Begründung bedurft. Auch aus dem Vorverhalten des Tatopfers, dessen Äußerung 'ich nehm sie dir weg' die Tat unmittelbar ausgelöst hatte (UA S. 35), ist eine Steigerung des Schuld- und Unrechtsgehalts jedenfalls ohne nähere Darlegung nicht ohne Weiteres abzuleiten. Einer Auslegung, die Kammer habe in noch zulässiger Weise strafschärfend nicht den Tötungsvorsatz, sondern eine aus der Art der Ausführung und der Tatmotivation folgende erhöhte kriminelle Energie herangezogen , steht schließlich auch die angenommene eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten entgegen. Denn nach den Feststellungen bestand bei ihm aufgrund seiner Alkoholisierung eine toxische Reizoffenheit , in Folge derer er nicht mehr in vollem Umfang in der Lage war, die von Außen und Innen kommenden Reize zu filtrieren, abzuwägen und bedürfnisgerecht zu reagieren (vgl. UA S. 16). Im Hinblick darauf, dass sich die Kammer bei der Zumessung der Strafe ersichtlich an der Obergrenze des rechtsfehlerfrei nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB (und nicht nach § 213, 2. Alt. StGB) gemilderten Strafrahmens orientiert hatte, lässt sich ein Beruhen des Strafausspruches auf dem dargelegten Rechtsverstoß nicht ausschließen. Eine Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO erscheint deshalb ebenfalls nicht angebracht. Die Sache bedarf daher hinsichtlich des Strafausspruches neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, weil es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt; ergänzende Feststellungen sind möglich."
- 3
- Dem verschließt sich der Senat nicht. Tepperwien Maatz Athing Franke Mutzbauer
BUNDESGERICHTSHOF
Ergänzend bemerkt der Senat:
Es bedarf keiner Entscheidung, ob die u.a. zu Lasten der Angeklagten angestellte Erwägung der Strafkammer, diese habe mit Absicht und damit mit der stärksten Form des Vorsatzes gehandelt, im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. dazu einerseits BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 – 2 StR 61/12, NStZ 2012, 689; andererseits BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15, NStZ-RR 2015, 171). Da das Landgericht der Anzahl der Tatopfer bei der Bemessung der Strafe besonderes Gewicht beigemessen und ferner die über die regelmäßig zu erwartenden Tatfolgen hinausgehenden psychischen Beeinträchtigungen des Nebenklägers straferschwerend berücksichtigt hat, kann der Senat mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass der Rechtsfolgenausspruch insoweit auf einem etwaigen Wertungsfehler beruht.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke Mutzbauer Quentin
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.