Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juli 2014 - 2 StR 94/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
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- 1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts folgte der Angeklagte der 44jährigen B. , die er kurz zuvor an der Theke eines Lokals zum ersten Mal angesprochen hatte, in den Vorraum der dortigen Toilette und „verlangte von ihr, ihm ‚einen zu blasen‘“. B. lehnte ab und „forderte ihn mit derben Worten auf“, sie in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte öffnete daraufhin seine Hose, packte die Geschädigte „fest an den Haaren, drückte den Kopf der sich sträubenden Geschädigten hinunter und zwang sie so, seinen ungeschützten Penis in den Mund zu nehmen“. Die Geschädigte wehrte sich. Es gelang ihr, sich wegzudrehen. Sie bat den Angeklagten weinend , er möge sie in Ruhe lassen. Der Angeklagte griff ihr jedoch fest an das TShirt , das dabei einriss, und stieß sie gegen die Toilettenwand, um den Oralverkehr fortzusetzen. Auch schlug er mehrfach auf die Geschädigte ein. Als die Barfrau des Lokals wegen lauter Schreie im Toilettenraum erschien, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab.
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- b) Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt. Mit der Geschädigten, die ihm unbekannt gewesen sei, habe er zwar ein paar Worte gewechselt; er habe sie aber „weder im Toilettenraum getroffen noch dort vergewaltigt“.
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- Die Strafkammer ist dieser Einlassung nicht gefolgt. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingeschlagen und seinen erigierten Penis in Höhe des Gesichts der vor ihm knieenden Geschädigten gehalten habe, habe auch die (tatunbeteiligte) glaubwürdige Barfrau bezeugt. Die in Augenschein genomme- nen Bilder der Überwachungskamera bestätigten ebenfalls „den äußeren Ablauf der Geschehnisse“, wonach der Angeklagte der Geschädigten in den Toilettenbereich folgte, einige Minuten später die Barfrau nachkam und wenige Sekunden darauf die Geschädigte mit zerrissenem T-Shirt im Gastraum erschien und eilig das Lokal verließ. Schließlich habe die glaubwürdige Geschädigte das Geschehen – so wie festgestellt – geschildert, insbesondere hinsichtlich des ihr gegenüber erzwungenen Oralverkehrs.
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- 2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil sich das Landgericht im Urteil nicht mit der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung erschöpfend auseinandergesetzt habe, und der aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. März 2014 in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, kommt es deshalb nicht an. Der Senat kann demzufolge auch dahingestellt sein lassen, ob dem Revisionsvortrag nicht (auch) die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu entnehmen sein könnte.
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- a) Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich des sexuellen Übergriffs des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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- aa) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder widersprüchlich ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rdn. 3 und 38). Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, Rn. 13, zit. nach juris). Bei einer Aussagegegen -Aussage-Konstellation hat der Tatrichter zudem grundsätzlich im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegung einzubeziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rdn. 11a, jeweils mwN).
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- bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
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- Soweit es den erzwungenen Oralverkehr betrifft, ist die Geschädigte alleinige Zeugin; außerhalb ihrer Zeugenaussage bestehende Indizien für einen vollendeten sexuellen Übergriff des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung auch damit befasst, ob der Angeklagte die Geschädigte – wie von ihr behauptet – zeitgleich vaginal zu vergewaltigen versucht habe; dieses Geschehen hat das Landgericht indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit als bewiesen erachtet. Denn nicht auszuschließen sei, dass die Geschädigte, die zum Tatzeitpunkt unter Drogeneinfluss (Alkohol und Kokain) gestanden habe, in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Soweit es dagegen den erzwungenen Oralverkehr betrifft , sei – so das Landgericht – die Aussage der Geschädigten im Kern glaubhaft. „Auch wenn sie zum Tatzeitpunkt unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, so hatte sie daran doch zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen, sondern es von Anfang an als stets im Vordergrund stehenden und für sie besonders bedrü- ckenden Umstand hervorgehoben“.
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- Mit dieser für sich genommen schon kaum nachvollziehbaren Bewertung wird die unterschiedliche Behandlung beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit der Geschädigten, die zudem – was das Landgericht freilich gesondert erörtert – „ersichtlich falsche und widersprüchliche Angaben zur Tatörtlichkeit gemacht“ habe, nicht widerspruchsfrei dargelegt. Die Bewertung des Landgerichts, der (von der Geschädigten behauptete) erzwungene Oralverkehr sei gegenüber dem (von ihr behaupteten) erzwungenen Vaginalverkehr ein bedrückenderer Umstand gewesen, ist nicht mit Anknüpfungstatsachen belegt. Dieser Schluss liegt auch nicht auf der Hand. Weshalb die Aussage der Geschädigten trotz beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit gleichwohl im festgestellten Umfang als glaubhaft angesehen wurde, erschließt sich nicht.
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- Hinzu kommt hier, dass es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei fehlt. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswür- digung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
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- Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Etwaige Bekundungen der Geschädigten zum Kerngeschehen werden dagegen nicht mitgeteilt.
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- Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr erwähnten "Abweichungen" zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZRR 1997, 172).
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- b) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung lässt auch die – von diesem Rechtsfehler nicht betroffene – Verurteilung wegen der tateinheitlich dazu begangenen (vorsätzlichen) Körperverletzung entfallen (Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 12 mwN).
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- 3. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sichausführlich mit allen Filmsequenzen der Videoaufzeichnung der Überwachungskamera zu befassen haben. Fischer Schmitt Eschelbach Ri'inBGH Dr. Ott ist an Zeng der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer
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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.