Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2006 - 1 StR 392/06

bei uns veröffentlicht am21.11.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 392/06
vom
21. November 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21. November 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Gefangenen in Tateinheit mit Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich nicht von seiner Schuld überzeugen konnte. Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft - vertreten von dem Generalbundesanwalt - und der Nebenklägerin.
2
Die Rechtsmittel haben Erfolg.
3
Dem Angeklagten - einem ehemaligen Polizeibeamten - war zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin zwischen dem 29. und 30. Januar 2004 während seines Nachtdienstes in der Polizeihaftanstalt in N. sexuell miss- braucht zu haben. Die Nebenklägerin war damals in der Punkerszene verhaftet, von der sie sich - so das Landgericht - inzwischen gelöst hat.

I.

4
Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Das Landgericht konnte sich von der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin R. nicht überzeugen.
5
1. Diese hat in der Hauptverhandlung bekundet, sie sei am Abend des Tattages, nach beleidigenden Äußerungen gegenüber Polizeibeamten aufgrund ihrer Trunkenheit in Gewahrsam genommen worden. Bei dem Vorfall sei ihr damaliger Freund, der Zeuge S. , mit seinem und ihrem Hund anwesend gewesen. Sie sei insgesamt dreimal in Gewahrsam genommen worden. Das Zusammentreffen mit dem Angeklagten sei jedenfalls nach der "Geschichte mit den Hunden" gewesen. Vor der Ausnüchterungszelle habe sie Hose und Stiefel ausziehen müssen. Als sie wiederholt eine Decke verlangt habe, sei der Angeklagte gekommen und habe sie - in seiner Begleitung - sich eine Decke von außerhalb ihrer Zelle holen lassen. Einige Zeit später sei sie wach geworden vom Geräusch des Schlüssels an der Zellentür. Der Angeklagte sei zu ihr in den Innenraum der Zelle gekommen und habe gesagt, er müsse sie durchsuchen bzw. untersuchen. Auf seine Weisung habe sie sich mit dem Gesicht zur Wand stellen und die Beine breit machen müssen. Der Angeklagte habe, den Slip beiseite schiebend, von hinten zwei Finger in die Scheide geschoben und "ein wenig hin- und hergemacht". Dann habe der Angeklagte eine kurze Bemerkung fallen lassen und sich aus ihrer Zelle entfernt. Nach ihrer Entlassung am nächsten Morgen habe sie ihrem damaligen Freund noch am gleichen Tag erzählt, dass es "schlimm war", sie sei "sexuell belästigt worden". Dabei habe sie "Rotz und Wasser geheult". Er habe gesagt, niemand werde ihr glauben. Deshalb habe sie niemandem davon erzählt. Ca. ein Jahr später habe sie "den Brief von der Kripo gekriegt" und nicht gewusst, worum es gehe. Deshalb habe sie ihn ihrer Bewährungshelferin gezeigt, die telefonisch nachgefragt habe, worum es gehe.
6
2. Die Zeugin KHK'in H. hat nach dem Urteil des Landgerichts geschildert , warum die Dienstzeiten des Angeklagten mit dem Aufenthalt weiblicher Gefangener in der Polizeihaftanstalt im Polizeipräsidium N. abgeglichen worden seien. Auf einen Musterbrief an alle entsprechenden Personen habe sich die Bewährungshelferin von R. telefonisch gemeldet. Nach Übergabe des Telefonhörers an die Nebenklägerin habe sie (KHK'in H. ) ihr "von Übergriffen durch einen Kollegen in der Haftanstalt" berichtet. R. habe "dann gleich mehr oder minder eine Personenbeschreibung gegeben und gefragt, ob der es denn wäre". Nachdem sie, die Zeugin, dies bejaht habe, sei von R. angegeben worden, sie habe "die Beine breit machen" müssen und sei "betatscht" worden.
7
3. Der Zeuge S. hat bestätigt, dass die Nebenklägerin nach einer "Nacht in der Ausnüchterungszelle fertig gewesen" sei, geheult und ihm erzählt habe, sie sei "mit Fingern im Genitalbereich betatscht" worden. Er meine allerdings, dass dies nach einer Ingewahrsamnahme im März 2004 nach einem anderen Vorfall gewesen sei.
8
4. Von den Polizeibeamten, die in der betreffenden Dienstschicht in der Polizeihaftanstalt anwesend waren, konnte sich nur eine Beamtin an die Nebenklägerin erinnern, aber auch keine konkreten Angaben zum verfahrensrelevanten Geschehen machen. Die übrigen vier Beamten konnten sich an die Nebenklägerin nicht erinnern, auch auf Vorhalt nicht an eine Gefangene, die sich in Begleitung eines Polizeibeamten selbst eine Decke holen musste oder an eine Frau im Slip im Zellentrakt.
9
5. Das Landgericht hat die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin u.a. damit begründet, dass nicht sicher geklärt werden konnte, ob sie sich tatsächlich ohne Überhose in ihrer Zelle befunden hat, weil keiner der diensthabenden Polizeibeamten sich an eine Frau ohne Überhose und an eine solche, die sich von außerhalb ihrer Zelle eine Decke holen musste, erinnern konnte. Letztlich meinte das Landgericht, eine Absprache zwischen der Nebenklägerin und dem Zeugen S. dahingehend, einen Polizeibeamten zu Unrecht zu belasten, nicht sicher ausschließen zu können, da beide schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hatten.

II.

10
Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
1. Die Ausführungen des Landgerichts werden den Anforderungen an die Begründungspflicht eines freisprechenden Urteils nicht gerecht. Das Landgericht beschränkt sich darauf, nach Mitteilung des Anklagevorwurfs und der Einlassung des Angeklagten die Bekundungen von Zeugen wiederzugeben. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter jedoch zunächst darlegen, welchen Sachverhalt er als festgestellt erachtet (st. Rspr., BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7 m.w.N.). Derartige Feststellungen zum Tatgeschehen selbst und zur Vorgeschichte fehlen. Die Wiedergabe allein von Bekundungen der vernommenen Zeugen genügt der Begründungspflicht nicht (BGHR aaO m.w.N.).
12
2. Darüber hinaus hält die Beweiswürdigung der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
13
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
14
a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft.
15
aa) Das Landgericht teilt zwar im Rahmen der wiedergegebenen Zeugenaussage der KHK'in H. mit, diese habe geschildert, warum die Dienstzeiten des Angeklagten mit dem Aufenthalt weiblicher Gefangener in der Polizeihaftanstalt abgeglichen worden seien und dass ein Musterbrief an alle entsprechenden Personen ergangen sei, nennt aber den Grund des Abgleichs nicht und gibt auch den Inhalt des Musterbriefes nicht wieder. Hierbei könnte es sich um beweiserhebliche Indiztatsachen für die Täterschaft des Angeklagten handeln, wenn die Kommissarin der Nebenklägerin berichtete, dass es um Übergriffe durch einen Kollegen in der Haftanstalt gehe. Eine Auseinandersetzung mit dem Grund des Abgleichs und dem Inhalt des Musterbriefes hätte es schon deshalb bedurft, weil die Ermittlungen gegen den Angeklagten ersichtlich nicht auf die Nebenklägerin beschränkt waren und auf einer vorangegangenen Initiative beruhten.
16
bb) Die Entstehungsgeschichte der Aussage von R. wird vom Landgericht nicht gewürdigt.
17
Das Landgericht hätte die Tatsache, dass sie keine Eigeninitiative im Hinblick auf die Anzeige ergriffen hat, weil ihr niemand glauben werde, sondern erst der Musterbrief ca. ein Jahr später die Anzeige auslöste, erörtern und bewerten müssen. Denn die Aussageentstehung ist ein wesentliches Indiz im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung von belastenden Aussagen. Auch zu der spontanen Personenbeschreibung des Angeklagten am Telefon durch die Nebenklägerin gegenüber der KHK'in H. nach der bloßen Mitteilung, dass es um Übergriffe durch einen Kollegen in der Haftanstalt gehe, verhält sich die Beweiswürdigung nicht. Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit der spontanen Beschreibung der Tathandlung am Telefon.
18
b) Die erforderliche Gesamtwürdigung enthält das Urteil nicht.
19
Das Landgericht hat einige den Angeklagten entlastende Indiztatsachen aufgeführt. Damit werden die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin begründet (UA S. 9). Belastende Indiztatsachen bleiben unerwähnt. Eine Abwägung enthält das Urteil nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung hinsichtlich einer Absprache zwischen der Nebenklägerin und ihrem damaligen Freund - den Angeklagten zu Unrecht zu belasten - gelangt wäre, wenn es die oben aufgezeigten unerwähnten Indiztatsachen in eine zusammenschauende Würdigung einbezogen hätte.
20
Nach alledem muss die Sache schon aufgrund der Sachrüge neu verhandelt werden.
21
3. Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft zwar dem Wortlaut nach nur die Verletzung materiellen Rechts gerügt, der Sache nach aber auch eine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Damit hat sie ebenfalls Erfolg.
22
a) Wenn die Staatsanwaltschaft beanstandet, das Landgericht habe in der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte bereits eine fast identische Tat begangen hat, die durch Verlesen des Urteils des Amtsgerichts - Schöffengericht - N. vom 16. November 2004, rechtskräftig seit dem 22. März 2006, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist darin eine Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO zu sehen. Dass die Beschwerdeführerin die Nichtverwertung einer gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesenen Urkunde im Zusammenhang mit ihren Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unschädlich. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Rüge, sondern ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist (vgl. BGHSt 19, 273, 275; BGH StV 1993, 459; BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 - 5 StR 62/06; zuletzt Urteil vom 16. Oktober 2006 - 1 StR 180/06). In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Die Beschwerdeführerin legt den festgestellten Sachverhalt zum Tatgeschehen aus dem Strafurteil dar. Das auszugsweise Verlesen des Urteils im allgemeinen Einverständnis wird durch das Protokoll belegt (Sachakte Bd. III Bl. 541). Die Staatsanwältin hat in ihrem Schlussvortrag eine Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Strafe aus obigem Urteil beantragt (Sachakte Bd. III Bl. 551).
23
b) Nach dem dargelegten und im genannten Strafurteil festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte wegen einer der ihm hier vorgeworfenen sehr stark ähnelnden Tat, begangen ca. einen Monat später im Rahmen seines Dienstes in der betreffenden Haftanstalt zur Nachtzeit, rechtskräftig verurteilt worden. Eine aufgrund eines Vorführungsbefehls inhaftierte Frau verlangte ebenfalls Bettzeug und musste es sich in Begleitung des Angeklagten selbst aus dem Zellentrakt holen. Im Zelleninnenraum erklärte er ihr, er müsse sie für die Personenbeschreibung vermessen. Er forderte sie auf, "ihre Beine breit zu machen". Nachdem er ihr Hose und Unterhose ein Stück heruntergezogen hatte , streichelte er sie außen an der Scheide, schob ihren BH hoch und umfasste mit beiden Händen ihre Brüste.
24
Diese rechtskräftig abgeurteilte und in die Hauptverhandlung eingeführte Tat hätte das Landgericht schon deshalb in seinem Urteil verwerten und als beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen müssen, weil in Betracht kommen kann, dass die vorgeworfene Tat dem Angeklagten nicht wesensfremd ist, und sie zudem gravierende Parallelen im Tatablauf aufweist. Diese wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sind durchaus geeignet, die Überzeugungsbildung des Tatrichters zu beeinflussen. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 62/06

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 23. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2006,
an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwältin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 18. Oktober 2005 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen , die am 27. April 1984 geborene Tochter S. seiner ehemaligen Ehefrau zwischen Juli 1996 und dem 26. April 2000 in 43 Fällen als Kind und in 19 Fällen als Jugendliche und Schutzbefohlene sexuell missbraucht zu haben. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel hinsichtlich der Freisprechung des Angeklagten in den Fällen 44 bis 62 der Anklage zurückgenommen hat, bleibt auch die weitergehende, allein mit der Sachrüge geführte , die Freisprüche von den Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB betreffende Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ohne Erfolg.
2
Dem Angeklagten liegt noch zur Last, S. in 40 Fällen an ihrem Geschlechtsteil und mehreren anderen Stellen ihres Körpers gestreichelt zu haben. In zwei weiteren Fällen soll sich der Angeklagte nach Berühren des Geschlechtsteils des Mädchens – in einem Fall nach Einführung eines Fingers in die Scheide – selbst befriedigt und in einem weiteren Fall das Geschlechtsteil des auf Geheiß des Angeklagten breitbeinig auf einem seiner Beine sitzenden Mädchens unter dem Schlüpfer massiert haben.
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte zog im März 1996 zu seiner späteren Ehefrau und deren Töchtern S. (knapp zwölf Jahre alt) und D. (knapp neun Jahre alt). Die Mädchen reagierten aggressiv und ablehnend gegenüber dem Angeklagten. Die Konsultation einer Kinderpsychologin führte Ende 1996 zu einer Art „Waffenstillstand“ zwischen den Beteiligten. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes beschlossen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin zu heiraten. Zwei Wochen vor dem Hochzeitstermin (2. August 1997) erzählte S. ihrer Schwester, vom Angeklagten „angefasst“ worden zu sein. Auf Nachfragen von Familienmitgliedern schwieg S. hierzu. In der 1998 bezogenen neuen Wohnung schliefen die Mädchen in einem gemeinsamen Kinderzimmer. Anfang 2001 bot der Angeklagte der damals 13-jährigen D. 200 DM, falls sie sich nackt breitbeinig vor ihm präsentiere. Das Mädchen unterrichtete sogleich ihre Mutter. Diese nahm den Vorfall zum Anlass, sich vom Angeklagten zu trennen und mit D. auszuziehen. S. wohnte noch bis Anfang April mit ihrem Stiefbruder in der Wohnung des Angeklagten.
5
Die Mutter der Mädchen erhob in einer wegen des Verdachts des Betruges am 30. Juli 2004 durchgeführten Beschuldigtenvernehmung gegenüber dem Angeklagten den Vorwurf, dieser hätte sich an S. vergriffen. Daraufhin wurden D. am 19. und S. am 23. August 2004 von der Polizei zeugenschaftlich vernommen. Die Sachbearbeiterin zweifelte an der Glaubhaftigkeit der Aussagen von S. und regte eine Nachvernehmung an. Diese erfolgte am 14. Februar 2005 durch die Staatsanwaltschaft, allerdings ohne die nach § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO, § 163a Abs. 5 StPO gebotene Belehrung.
6
2. Die zur Freisprechung des Angeklagten führende Beweiswürdigung des Landgerichts hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.
7
a) Die Weigerung des Landgerichts, wegen des Belehrungsfehlers den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der Hauptbelastungszeugin beweiswürdigend heranzuziehen, begründet keinen auf die Sachrüge beachtlichen Erörterungsmangel. Eine Verfahrensrüge hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Für die sachlichrechtliche Nachprüfung steht dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung (BGHSt 35, 238, 241). Daraus ergeben sich aber die von der Revision geltend gemachten Umstände nicht vollständig, so dass eine Umdeutung der im Ansatz im Anschluss an BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 6 schlüssigen Beanstandung der Staatsanwaltschaft in eine zulässige Verfahrensrüge mangels ausreichenden Vortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) zur Zeugenbelehrung in der Hauptverhandlung und zum Inhalt der Zeugenaussage vor der Staatsanwältin ausscheidet.
8
b) Die Beweiswürdigung begegnet auch im Übrigen noch keinen durchgreifenden Bedenken.
9
Das Landgericht hat die Aussagen der Hauptbelastungszeugin in der Hauptverhandlung mangels konkreter und detaillierter Angaben zu den Tatvorwürfen für eine Überführung des Angeklagten als nicht ausreichend erachtet (UA S. 9). Bei dieser Sachlage wäre der Tatrichter verpflichtet gewesen , die – was sich aus dem Zusammenhang der Darlegungen UA S. 9 ergibt – konkreteren Angaben der Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung im Einzelnen darzustellen und deren Beweiswert zu erwägen (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189; insoweit in BGHSt 47, 243 ff. nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02). Das Landgericht hat hingegen lediglich in pauschaler Weise auf eine Vielzahl von Widersprüchen im Vergleich zum Inhalt der polizeilichen Zeugenaussage hingewiesen. Dies begründet indes vor dem Hintergrund weiterer den Beweiswert auch der polizei- lichen Zeugenaussage in Frage stellender wesentlicher Umstände hier keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
10
Aus dem Zusammenhang der Darlegungen (UA S. 9) ergibt sich nämlich, dass die Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung weitergehende Vorwürfe des Vaginal- und Analverkehrs gegen den Angeklagten erhoben hat, die nicht Eingang in die Anklageschrift gefunden haben. Zudem hat die Zeugin die Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten gegenüber dessen Mutter glaubhaft in Abrede genommen (UA S. 12). Die Zeugin war in der Hauptverhandlung nicht in der Lage, auch hinsichtlich dieser Vorwürfe detaillierte Angaben zum Geschehensablauf zu machen und die Vorfälle zeitlich einzuordnen (UA S. 9). Danach hätte es außerhalb der Aussage der Belastungszeugin liegender gewichtiger Gründe bedurft , um den – hier im Einzelnen nicht mitgeteilten – Inhalt der polizeilichen Vernehmung zur Grundlage einer Verurteilung zu erheben (vgl. BGHSt 44, 153, 159). Solche Umstände hat das Landgericht nach vom Revisionsgericht letztlich hinzunehmender wertender Betrachtung nicht gefunden.
11
Die Mutter der Mädchen konnte als Zeugin von keiner konkreten Missbrauchshandlung berichten, weil sich S. ihr offensichtlich nicht offenbart hatte. Auf die von der Revision an sich zu Recht kritisierten Erwägungen des Landgerichts über den Zeitpunkt der Anzeigenerstattung und des unterlassenen Vortrags des Missbrauchs im Ehescheidungsverfahren (UA S. 10) kommt es danach nicht an. Zwar hat die Zeugin D. in der Hauptverhandlung erstmalig und im Widerspruch zu ihrer polizeilichen Vernehmung einen einzigen Übergriff des Angeklagten geschildert, bei dem dieser S. an deren unbedeckten Brüsten „begrapscht“ hatte (UA S. 10). Diesen Umstand wertet das Landgericht im Blick auf die in Rede stehende Tatserie und die im Einzelnen belegte Belastungstendenz der Aussage dieser Zeugin in der Hauptverhandlung aber nachvollziehbar als nicht überzeugend. Soweit das Landgericht schließlich in seiner Gesamtabwägung der von der polizeilichen Sachbearbeiterin erhobenen Falschbelastungshypothese beigetreten ist und diese nicht durch das verbliebene gewichtige, aber nicht zum Anklagevorwurf erhobene Belastungsindiz, die Auslobung von 200 DM für eine sexuelle Präsentation der Zeugin D. , als widerlegt angesehen hat, liegen diese – im Kontext weitere Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. begründender Umstände stehenden – Erwägungen des Tatrichters noch innerhalb des vom Revisionsgericht zu respektierenden Beurteilungsspielraums des Tatrichters.
Basdorf Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 180/06
vom
16. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
12. Oktober 2006 in der Sitzung am 16. Oktober 2006, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. Oktober 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten am 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. August 1998. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat nunmehr das Landgericht Mannheim das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Januar 1998 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin mit Rügen der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Erfolg hat auch eine Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 261 StPO) der Nebenklägerin. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

I.


2
Dem Angeklagten H. W. wird vorgeworfen, seine Ehefrau A. , geborene Z. , von der er getrennt lebte, in den frühen Morgenstunden des 29. April 1997 - zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr - in deren Wohnung mit einem Schal stranguliert und so versucht zu haben, sie zu töten.
3
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
4
A. W. , nach Scheidung der Ehe - und deshalb auch im Folgenden - wieder Z. , war am 7. März 1996 aus der ehelichen Wohnung in der B. straße in G. ausgezogen. Sie wohnte schließlich - seit Februar 1997 - in der Erdgeschosswohnung des elterlichen Reihenhauses in der E. straße in Bi. . Ihr Vater, Wo. Z. , übernachtete häufig in der darunter liegenden Einliegerwohnung. In dieser Souterrainwohnung hatten auch der Angeklagte und seine Frau zu Beginn ihrer Ehe kurzfristig - von September bis Weihnachten 1994 - gewohnt. Erneut hatte die Geschädigte dort unmittelbar nach der Trennung vorübergehend - von März bis Mai 1996 - Unterschlupf gefunden. Die Wohnungen sind durch die Kellertreppe verbunden.
5
Im Schlafzimmer der Erdgeschosswohnung hatte sich A. Z. in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 zu Bett begeben, einem Doppelbett in dem auch der damals zwei Jahre und einen Monat alte gemeinsame Sohn K. schlief. Spätestens kurz vor 2.18 Uhr betrat eine der Geschädigten bekannte männliche Person die Wohnung. Zugang hatte sich der Mann entweder mit Hilfe eines Schlüssels verschafft oder er war von A. Z. selbst eingelassen worden. Ein Einbruch scheidet aus. Im Wohnzimmer kam es zu einem Streit, in deren Verlauf der Mann laut und erregt drohte: „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ A. Z. erwiderte mit weinerlicher, wimmernder Stimme: „Was willsch’en von mir - i heb dir doch nix getan!" In dieser Zeit - so die Strafkammer - entschloss sich der Besucher , A. Z. , die sich zwischenzeitlich in ihr Schlafzimmer begeben hatte, zu töten. Der Mann zog sich zwei aus einer Plastiktüte entnommene Vinyleinweghandschuhe über und schlang einen Wollschal aus der Wohnung der Geschädigten um deren Hals, zog dessen Enden mindestens zwei Minuten lang kräftig zusammen, bis A. Z. , die sich wehrte, das Bewusstsein verlor. Der Täter schleppte sein Opfer in den Flur. Dann wurde er vom Vater der Geschädigten gestört, der an diesem Tag in der darunter befindlichen Einliegerwohnung übernachtete. Um 2.34 Uhr war er durch Poltergeräusche, als deren Ursache er Möbelrücken im Zusammenhang mit laufenden Renovierungsarbeiten seiner Tochter vermutete, geweckt worden und wollte sich bei seiner Tochter über diese nächtliche Störung beschweren, weshalb er die Treppe zur Erdgeschosswohnung hoch stieg. Dem Täter gelang es jedoch, die Kellertüre der Wohnung der Geschädigten zuzuschlagen und durch die Haupteingangstür der Erdgeschosswohnung unerkannt zu entkommen. Wo. Z. befreite seine Tochter von der Strangulation. A. Z. überlebte zwar. Aufgrund der zeitweisen Unterbrechung der Blutzufuhr und damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns wurden dessen Nervenzellen jedoch dauerhaft so schwer und weitreichend geschädigt, dass sich die heutige Hirnfunktion im Wesentlichen auf vegetative Funktionen beschränkt.
6
Die Strafkammer vermochte sich nicht mit der für die Verurteilung notwendigen Sicherheit davon zu überzeugen, dass der Angeklagte der nächtliche Besucher und damit der Täter war.

II.


7
Zu den Grundlagen des Tatverdachts:
8
1. A. Z. konnte zur Aufklärung der Tat nichts mehr beitragen. Sie ist aufgrund der erlittenen Schädigungen nicht mehr in der Lage, Sachverhalte aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten und hierauf zu reagieren. Kommunikation , sei es sprachlich, schriftlich oder auch nur mimisch ist mit ihr nicht mehr möglich.
9
2. Der zur Tatzeit zweijährige Sohn K. W. hat aus entwicklungspsychologischen Gründen (kindliche Amnesie) keine Erinnerung mehr an die damaligen Geschehnisse und entfiel damit für die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ebenfalls als geeigneter Zeuge.
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3. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgrund folgender Erkenntnisse:
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A) Den Gründen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mannheim ist dazu zu entnehmen:
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a) Es war ein Mann, der A. Z. zu töten versuchte.
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b) Der Täter war mit der Geschädigten bekannt. Eine Beziehungstat lag nahe. Die Geschädigte betrieb die Scheidung. In diesem Zusammenhang kam es zu Auseinandersetzungen, insbesondere über das Umgangsrecht des Angeklagten mit dem Sohn K. . Dies hätte Anlass zu auch körperlichen Angriffen geben können.

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c) Am Tatort fanden sich zwei Finger von Vinyleinweghandschuhen, einer im Bett von A. Z. , einer im Flur. Sie stammen von zwei Einweghandschuhen unterschiedlicher Größe, die der Täter bei der Tat trug, und wurden beim Kampf - das Doppelbett wurde verschoben - zwischen dem Täter und der Geschädigten abgerissen. Denn an der Außenseite beider Teile fanden sich ausschließlich DNA-Anhaftungen, die von der Geschädigten stammen. An der Innenseite der Fingerteile wurde jeweils eine DNA-Mischspur gesichert, die Merkmale von mehreren, auch unbekannten Personen enthalten. Nur die DNA des Angeklagten und der Geschädigten konnte in beiden Fingern festgestellt werden. In einem der abgerissenen Handschuhfinger (der im Flur) waren sämtliche Merkmale der DNA des Angeklagten zu finden.
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d) Der Angeklagte trägt wegen der Schmerzempfindlichkeit zweier teilamputierter Finger im Alltagsleben häufig Einwegplastikhandschuhe, über die er in seiner Wohnung auch in großer Zahl verfügte.
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e) Am Tatort fand sich im Flur eine Plastiktüte, stammend von der Stadtapotheke P. , darin ein olivfarbenes Dreieckshalstuch, ein Baumwolltaschentuch , ein Latexeinmalhandschuh, vier Vinyleinweghandschuhe, eine Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro-Lights“ mit sieben Gramm Amphetamin, verpackt in sieben verschweißten Plastiktütchen, sowie eine rote Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro“, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils von Hand mit einem Kreuz markiert war und drei aufgeschnittene und wieder verklebte Folienbeutel aus Cellophan-Umverpackungen von Zigarettenschachteln enthielt. Das Dreieckshalstuch, das Baumwolltaschentuch und die Vinyleinweghandschuhe stammen - so wurde festgestellt - aus dem Haushalt des Angeklagten.

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f) An den Enden des zur Strangulierung verwendeten Wollschals fanden sich DNA-Mischspuren. Auch hier kommt der Angeklagte als Miturheber in Betracht.
18
g) An einer Jeanshose der Geschädigten, die am Tatort - im Flur auf dem Boden liegend - sichergestellt wurde, fand sich eine DNA-Mischspur. Der Angeklagte kommt als Mitverursacher in Betracht.
19
h) Als die Wohnung des Angeklagten am Tattag durchsucht wurde, fanden sich im Badezimmer - in der Badewanne ausgebreitet - ein T-Shirt und eine Jogginghose, die noch nass waren.
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i) Während des Ermittlungsverfahrens legte der Angeklagte am 13. Mai 1997 den Ermittlungsbeamten der Polizei gegenüber ein pauschales Geständnis ab. Zu Einzelheiten befragt verwickelte er sich allerdings in Widersprüche. Der Angeklagte widerrief sein Geständnis alsbald wieder, es habe sich um ein „Gefälligkeitsgeständnis“ gehandelt, zu dem Mitgefangene ihm geraten hätten.
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j) Des weiteren ergaben sich während der - neuen - Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim folgende belastende Aspekte:
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aa) Der Angeklagte behauptete (erstmals), er habe seinen Sohn an dessen zweitem Geburtstag am 6. März 1997 in der E. straße besucht. Dieser Besuch sei harmonisch verlaufen. Er habe mit K. gespielt und mit ihm unter anderem - zusammen mit A. Z. - Blumenzwiebeln im Garten des Anwesens gepflanzt. Bei dieser Gelegenheit habe er wie üblich zum Schutz seiner kälteempfindlichen, teilamputierten Finger Einmalhandschuhe getragen. Diese habe er anschließend im Anwesen E. straße auf dem gemauerten Grill der Terrasse zurückgelassen. Dieser Besuch fand nach den Feststellungen des Landgerichts tatsächlich nicht statt. K. war an seinem zweiten Geburtstag krank, da er tags zuvor eine Erdnuss verschluckt hatte, die im Krankenhaus aus dem linken Hauptbronchus entfernt worden war.
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bb) Darüber hinaus hat der Angeklagte Teile seiner Einlassung vor dem Landgericht Karlsruhe wahrheitswidrig widerrufen. So stellte er beispielsweise erstmals in der neuen Hauptverhandlung in Abrede, jemals ein olivfarbenes Dreieckshaltstuch, wie es am Tatort in der weißen Kunststofftüte aufgefunden wurde, besessen zu haben. Dies ist nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt.
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B) Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der in den Urteilsgründen zwar nicht erwähnt ist, dem Revisionsgericht aber in der Revisionsbegründungsschrift der Nebenklägerin mitgeteilt wird. Danach war Gegenstand der Hauptverhandlung das im Internet veröffentlichte Dokument „H. s Tagebuch“ (eingeführt im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO), unter anderem mit folgendem Eintrag zum Inhalt eines beschlagnahmten Briefs des Angeklagten an seine damalige Freundin:
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„Samstag, 03.05.1997 1. Brief an C. (beschlagnahmt) Ich hoffe Du bekommst diesen Brief, wenn es auch über Umwege ist. Scheiß egal. Die wollen mich verurteilen wegen 1. Einbruch, 2. versuchter Mord mit einem B-W-Schal, 3. Drogen. Alle roten Pullis sind sichergestellt worden. Wenn sie sagt, „ja, er war’s“ bin ich für Jahre im Knast. Gestern Mittag habe ich nichts zu essen bekommen (wegen der Fahrt von P nach He. ). Abends, Wurst mit trockenem Brot." (Unterstreichung nur in der Revisionsbegründung)
26
Die Mitteilung dieses Sachverhalts erfolgt zwar im Zusammenhang mit Ausführungen zur Sachrüge. Der Sache nach ist dies jedoch eine - zulässig erhobene - Rüge der Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge).

III.


27
Die Beweiswürdigung der Strafkammer:
28
1. Die Strafkammer hat die oben genannten unter II. 3. A aufgeführten Indizien entweder nicht bestätigt gesehen und im Übrigen als nicht ausreichend zur Überzeugungsbildung hinsichtlich einer Täterschaft des Angeklagten bewertet.
29
a) Die Strafkammer hat insbesondere ausgeschlossen, dass der Täter - dies müsste dann der Angeklagte gewesen sein - die Plastiktüte, aus der er die Einweghandschuhe entnahm, in der Tatnacht mitbrachte, „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in das Tatortanwesen brachte“. Das Landgericht ist vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass A. Z. die weiße Plastiktüte - derartige Tüten wurden von der Stadtapotheke P. ab Juni 1995 ausgeteilt - mit den vom Angeklagten stammenden Gegenständen, nämlich dem Dreieckstuch, dem Taschentuch sowie den Einweghandschuhen, bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung im März 1996 mitnahm, also schon vor der Tat bei sich verwahrt hatte, und dass sie selbst dann die beiden Zigarettenschachteln und das Amphetamin in die Tüte legte. Denn die Zigarettenschachteln stammten - so hat die Strafkammer festgestellt - nicht vom Ange- klagten, sondern von der Geschädigten, die eine der Schachteln mit einem Kreuz markiert hatte. Dies schließt das Landgericht aus den Bekundungen von Zeugen, wonach die Geschädigte zuweilen Haschisch und Marihuana konsumiert , entsprechend markierte Zigarettenschachteln „zur Aufbewahrung weicher Drogen genutzt“ und „noch im Jahre 1994 gelegentlich Zigarettenschachteln mit einem Kreuz markiert“ habe. Außerdem „war die markierte Zigarettenpackung vom Tatort erst sieben Monate nach der Trennung der Eheleute W. - im Oktober 1996 - in den Handel gelangt“. „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nichts gewusst zu haben , auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte". Die Strafkammer hat dann noch ausgeschlossen , dass der Angeklagte das in der Tüte befindliche Amphetamin „unterschieben“ wollte, um anschließend nach einer „inszenierten“ Aufdeckung eines vermeintlichen Betäubungsmittelbesitzes seiner Frau im Scheidungsverfahren die von ihm gewünschte Ausweitung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn zu erreichen, zumal es hierzu keines nächtlichen Besuches bedurft hätte.
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b) Hinsichtlich der DNA-Spuren, die vom Angeklagten stammten bzw. herrühren können, hat die Strafkammer jeweils angenommen, dass der Angeklagte diese Spuren zu anderer Zeit ohne Bezug zur Tat hinterlassen haben kann. Die Einweghandschuhe konnte er schon früher benutzt haben. Mit dem Wollschal und mit der Jeanshose konnte er aufgrund familiärer Kontakte ebenfalls auf andere Art und Weise vorher in Berührung gekommen sein.
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c) Da die in den abgerissenen Fingerteilen der Einweghandschuhe sichergestellte DNA-Mischspur Merkmale von drei beziehungsweise vier Men- schen, darunter von einer nicht bekannten Person enthalte und zudem nicht jede Berührung zur Hinterlassung von Hautpartikeln führen müsse - so die sachverständig beratene Strafkammer -, kommen weitere, auch unbekannte Personen als Täter in Betracht.
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d) Einen Schlüssel zur einmal auch von ihm genutzten Wohnung in der E. straße hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht mehr.
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e) Die - wechselnde - Erklärung des Angeklagten zu den nassen Kleidungsstücken in der Badewanne (Hantieren mit Heizöl oder Duschen) nimmt die Strafkammer hin.
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f) Im Aussageverhalten des Angeklagten - behaupteter Besuch beim Sohn K. in der E. straße , Widerruf von Angaben in der ersten Hauptverhandlung - sieht die Strafkammer sein Bestreben, einer erneuten - falschen - Verurteilung zu entgehen, weshalb er auch Zuflucht zu falschen Einlassungen genommen haben mag.
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g) Dem im Mai 1997 abgelegten und dann widerrufenen Pauschalgeständnis maß die Strafkammer keine belastende Beweisbedeutung zu. Die ergänzenden Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen waren falsch oder widersprüchlich. Das Landgericht folgt der Einlassung des Angeklagten, dass er dieses falsche Geständnis seinerzeit abgegeben habe, „weil er endlich Ruhe vor den Ermittlungsbehörden habe haben wollen und im Übrigen auf ein mildes Urteil gehofft habe“.
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2. Mit dem Inhalt des in „H. s Tagebuch“ zitierten Brief, d.h. mit dem Satz „Wenn sie sagt, 'ja, er war’s' bin ich für Jahre im Knast“, hat sich die Strafkammer mit keinem Wort auseinandergesetzt, sie hat ihn nicht erwähnt.

IV.


37
1. Die Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
38
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Instanzgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH, Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03 -; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jeweils m.w.N.). Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147, 148).
39
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigen sich durchgreifende Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts:
40
a) Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Täter während der verbalen Auseinandersetzung spontan zur Tötung von A. Z. entschlossen hat. Mit der Möglichkeit einer schon früher geplanten, jedenfalls für den Fall des Eintritts bestimmter Umstände schon zuvor ins Auge gefassten Tat, setzt sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht auseinander. Die Erörterung dieser Variante hätte sich jedoch aufgedrängt. Denn konkrete Anhaltspunkte für eine Spontantat hat die Strafkammer nicht festgestellt. Allein aus der ausgestoßenen Drohung „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden. Demgegenüber kann die Verwendung von Einweghandschuhen nach der Bewertung durch den Sachverständigen KHK D. in seiner Fallanalyse in den vom Landgericht festgestellten Tatablauf nicht ohne weiteres eingepasst werden. Der Charakter der Tat als eskaliertes soziales Geschehen spreche dagegen, dass der Täter Handschuhe überlegt vor dem Angriff auf das Opfer angelegt habe. Dies liegt an sich auf der Hand. Gleichwohl meint das Landgericht lapidar: „Diesem - keinesfalls zwingenden - Schluss des Sachverständigen schließt sich die Kammer jedoch aufgrund der bereits dargelegten Beweisergebnisse nicht an“. Die gebotene Erörterung der zumindest ebenso nahe liegenden Möglichkeit einer geplanten Tat hätte jedoch die übrigen Beweisumstände in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen können.
41
b) In der Konsequenz dieser verkürzten Sichtweise unterlässt das Landgericht die gebotene Erörterung eines weiteren Punktes: Die Strafkammer schließt zwar - von ihrem Standpunkt aus - ohne Rechtsfehler aus, dass der Angeklagte die Absicht hatte, der Geschädigten die Amphetamine mitten in der Nacht „unterzuschieben“, um so Vorteile im Streit um das Umgangsrecht mit K. zu gewinnen. Das Landgericht erörtert aber nicht die bei einer geplanten Tat nahe liegende Möglichkeit, dass mit dem Betäubungsmittel eine falsche Spur hinsichtlich des potentiellen Täterkreises gelegt werden sollte.
42
c) Grundlage der verkürzten Sicht der Strafkammer ist, dass sie „aufgrund der mit einem Kreuz markierten Marlboroschachtel [davon ausgeht], dass sich die am Tatort sichergestellte weiße Kunststofftüte der Stadtapotheke P. früher im Besitz von A. Z. befand“; „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in der Tatnacht in das Tatortanwesen brachte“. Die Feststellung , die Zigarettenschachteln und das Amphetamin stammten von A. Z. , beruht jedoch ihrerseits auf einer fehlerhaften (lückenhaften) Beweiswürdigung , da wesentliche Aspekte unerörtert geblieben sind.
43
Für die Strafkammer folgt der Besitz der Geschädigten an den Zigarettenschachteln und am Amphetamin aus den Angaben von Zeugen, wonach A. Z. Rauschmittel konsumierte und dieses in mit Kreuzen gekennzeichneten Zigarettenschachteln verwahrte. Erwähnt, aber nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat die Strafkammer, dass die entsprechenden Beobachtungen spätestens im Jahre 1994/Januar 1995 endeten und sich die Bekundungen , soweit sie glaubhaft waren, nur auf den - gelegentlichen - Konsum von Marihuana und Haschisch bezogen, nicht aber auf Amphetamine. Mit der Variante, der Angeklagte könnte in Kenntnis der (früheren) Übung seiner Frau die Zigarettenschachtel - als Täter - zu Täuschungszwecken selbst entspre- chend vorbereitet haben, setzt sich die Strafkammer bei weitem nicht erschöpfend auseinander: „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte.“ Die - nur nebenbei erwähnte - Einlassung des Angeklagten, er habe die Angewohnheit seiner Frau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nicht gekannt, hätte den Feststellungen nicht ohne genaueres Hinterfragen zugrunde gelegt werden dürfen. Denn das Gegenteil liegt nahe, wenn diese Gewohnheit selbst im Bekanntenkreis nicht verborgen blieb. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten allein seinen Angaben folgend eher fern liegende Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind. In diesem Zusammenhang hätte es auch nahe gelegen, den Fragen nachzugehen, ob der Angeklagte selbst Betäubungsmittel konsumierte, ob er in den Wochen vor der Tat Kontakt zu Betäubungsmittelhändlern hatte, ob er rauchte, gegebenenfalls welche Marke. Fanden sich Zigarettenschachteln in der Wohnung des Angeklagten, waren - gegebenenfalls - bei diesen dann die Cellophan-Umverpackungen noch vorhanden? Nutzte er sie als Behältnisse auch für andere Dinge?
44
Dass die Geschädigte, sofern sie die Plastiktüte bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung mitnahm, damit dann noch zwei Mal umzog, bewertet die Strafkammer ebenfalls nicht.
45
d) Die Strafkammer würdigt weiter nicht, dass es außer dem Angeklagten und dem Tatopfer keine Person gibt, die Spuren an den Innenseiten beider ab- gerissener Fingerteile, die von beiden Einmalhandschuhen stammen, hinterlassen hat.
46
e) Dass die vom Täter verwendeten Vinyleinmalhandschuhe aus einer vom Tatopfer selbst in ihrer Wohnung verwahrten Kunststofftüte entnommen worden seien, folgert die Strafkammer auch daraus, dass sich A. Z. zuordenbare DNA-Spuren an der Innenseite der aufgefundenen Fingerteile fanden. „Dies lasse den Schluss zu, …. dass das Opfer die Handschuhe bereits vor der Tat in Besitz gehabt und selbst getragen habe.“ Dies ist zwar für sich betrachtet ein grundsätzlich möglicher und dann revisionsrechtlich hinzunehmender Schluss. Hier hätte es aber der Erörterung bedurft, warum die Strafkammer damit inzident die bloße Verschleppung von Hautepithelzellen des Opfers ausschließt, eine Möglichkeit, die sie hinsichtlich der DNA-Spuren anderer Personen in den Fingerteilen selbst anspricht.
47
f) Selbst wenn es sich um eine Spontantat handelte und die Tüte, aus der der Täter die Einweghandschuhe entnahm, sich schon längere Zeit im Besitz der Geschädigten befand, war dem Angeklagten die Existenz der Plastikhandschuhe in der Tüte jedenfalls bekannt, während dies bei anderen potentiellen Tätern eher fern liegt. Ihm war damit ein rascher Zugriff am ehesten möglich. Dies könnte auch bei einer Spontantat für seine Täterschaft sprechen, was jedenfalls der Erörterung bedurft hätte.
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g) Bei der Bewertung der in der Badewanne des Angeklagten am 29. April 1997 vorgefundenen Kleidungsstücke lässt die Strafkammer unerörtert, dass der Nässegrad zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur schwer mit seiner ursprünglichen Einlassung vereinbar ist, wonach er diese am Tag vor der Tat (bis 16.00 Uhr) wegen Heizölgeruchs „oberflächlich ausgewaschen“ hat. Vor diesem Hintergrund könnte die neue, in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim vorgetragene Einlassung, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Kleidungsstücke ausgewaschen habe oder ob sie, nachdem er sie wegen ihres Geruchs in die Badewanne gelegt hatte, beim Haare waschen oder Duschen nass geworden sind, in einem anderen Licht erscheinen. Auch dies hätte der Erörterung bedurft.
49
2. Erfolg hat neben der Sachrüge - rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung - auch die von der Nebenklägerin - der Sache nach - zulässig erhobene Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO, Nichtverwertung des gemäß § 249 Abs. 2 StPO als Inhalt von „H. s Tagebuch“ eingeführten Briefes (Original in Ordner III Seite 139) des Angeklagten, den er „über Umwege“ an seine Freundin C. schicken wollte. Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden , dass eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei (BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 30; Wahl, Prüfung des rechtlichen Gehörs durch das Revisionsgericht, Sonderheft G. Schäfer S. 73 f.). Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift - wie hier - deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 - 5 StR 62/06 - Rdn. 7; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 72; Kuckein in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 19; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs.2 Satz 2 StPO. Weitergehender Ausführungen bedarf es nicht (§ 352 Abs. 2 StPO). In der Revisionshauptverhandlung hat der Nebenklägervertreter auf Nachfrage bestätigt, dass er mit seiner Revisionsbegründung die fehlende Verwertung des verlesenen Tagebuchabschnitts beanstanden wollte - Rüge der Verletzung des § 261 StPO -.
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Mit diesem Beweismittel von erheblichem Gewicht, mit dem entscheidenden Satz dieses Briefes „Wenn sie sagt, 'ja ich war’s’ bin ich für Jahre im Knast.“ hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung auseinandersetzen müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte könnte den Angeklagten zu Unrecht belasten, wenn er nicht der Täter ist, und dass sie damit den wahren Angreifer vor Verfolgung schützen wollte, sind nach dem Inhalt der Urteilsgründe nicht ersichtlich, auch nicht dafür, dass der Angeklagte dies hätte befürchten müssen. Diese schriftliche Äußerung des Angeklagten könnte auch sein widerrufenes Pauschalgeständnis während seiner polizeilichen Vernehmung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies hätte dann jedenfalls der Erörterung bedurft, wobei dann auch das sonstige Aussageverhalten (Offenbarung von Täterwissen?) zu bewerten gewesen wäre.
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Dass die Beweisbedeutung dieses den Angeklagten erheblich belastenden Satzes im Lauf der Hauptverhandlung vor der Strafkammer für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich entfallen sein könnte, so dass es einer Erörterung in den Urteilsgründen nicht mehr bedurft hätte, kann bei der Bedeutung dieses Beweismittels hier ausgeschlossen werden.
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3. Der Senat vermag deshalb nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Vermeidung der aufgezeigten Fehler anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Graf