Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 02. Mai 2016 - 2 OLG 4 Ss 32/16

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2016:0502.2OLG4SS32.16.0A
bei uns veröffentlicht am02.05.2016

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Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Koblenz vom 1. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschöffengericht zuständige Abteilung des Amtsgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Mit dem im Tenor genannten Urteil hat das Jugendschöffengericht den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50,- Euro verurteilt. Nach den Feststellungen soll er von dem gesondert verfolgten Sdk. zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Februar oder März 2012 in K. 150 g Marihuana (guter Qualität zum Preis von 8,- €/g) und 50 g Haschisch (schlechterer Qualität zum Preis von 4,- bis 7,- €/g) erworben haben. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat in Abrede stellt, hat das Jugendschöffengericht einzig auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Sdk. gestützt.

2

Gegen das Urteil hat der Angeklagte am 8. Dezember 2015 Revision eingelegt und dieses Rechtsmittel nach Zustellung des Urteils mit Schriftsätzen seines Verteidigers vom 27. Januar und 3. März 2016 näher begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

3

Das Rechtsmittel ist als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt und begründet worden. In der Sache hat es einen zumindest vorläufigen Erfolg.

4

Das Urteil leidet an einem sachlich-rechtlichen Mangel, da die Beweiswürdigung zur Täterschaft des Angeklagten lückenhaft ist (vgl. BGH, 4 StR 305/12 v. 23.08.2012 - BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 38; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015; 2 Ss 62/14 v. 13.06.2014). Da nach der Urteilsdarstellung gegen die Einlassung des Angeklagten außer der Aussage des Zeugen Sdk. keine weiteren belastenden Indizien sprechen, ist eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation gegeben (vgl. BGH, 1 StR 94/98 v. 29.07.1998 - BGHR StPO 261 Beweiswürdigung 15 ), welche die nachfolgend dargestellten besonderen Anforderungen an die Beweiswürdigung und deren Darlegung in den Urteilsgründen erfordert; diesen wird das Urteil nicht gerecht.

5

Die Beweiskonstellation Aussage-gegen-Aussage ist gekennzeichnet durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien, zurückgegriffen werden kann (vgl. BGH, 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - BGH NStZ-RR 2016, 87 ; HansOLG Hamburg, 1 Ws 88/15 v. 22.07.2015 - StraFo 2015, 328 ). Die Entscheidung hängt also allein davon ab, wem das Tatgericht glaubt. In einem solchen Fall besitzt der Angeklagte über das Bestreiten hinaus nur wenig Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. BGH, 5 StR 316/12 v. 10.10.2012 - NStZ 2013, 57 ; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015). Steht Aussage gegen Aussage, muss der Tatrichter daher im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegungen einbeziehen (vgl. BGH, 2 StR 94/14 v. 07.07.2014 - NStZ 2014, 667 ; 5 StR 394/12 v. 30.08.2012 - NStZ-RR 2013, 19 ; 4 StR 472/14 v. 19.11.2014 - NStZ-RR 2015, 86 ; 4 StR 305/12 v. 23.08.2012 - BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 38; Senat, 2 Ss 62/14 v. 13.06.2014; 2 Ss 85/12 v. 22.10.2012), insbesondere ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - BGH NStZ-RR 2016, 87 ; 1 StR 94/98 v. 29.07.1998 - BGHSt 44, 153 <159>; Senat, 2 OLG 3 Ss 2/15 v. 03.02.2015). Hierfür können die zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage verwendeten Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. Motivationsanalyse herangezogen werden (vgl. hierzu BGH, 1 StR 582/99 v. 30.05.2000 - BGHR StPO § 244 Abs. 4 S. 1 Sachkunde 11 = NStZ 2011, 45; zu den Grundprinzipien der Glaubhaftigkeitsüberprüfung vgl. auch BGH, 1 StR 618/98 v. 30.07.1999 - BGHSt 45, 164 ). Darüber hinaus wird regelmäßig auf die Aussagegenese und -entwicklung einzugehen sein, insbesondere dann, wenn - wie hier - die Gefahr besteht, dass sich ein Tatbeteiligter durch unwahre Angaben Vorteile für sein eigenes Strafverfahren verschafft haben könnte.

6

Die vom Jugendschöffengericht durchgeführte Aussageanalyse ist unvollständig. Es fehlen zunächst Feststellungen zur Entstehung und Entwicklung der Aussage des Zeugen Sdk.. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt bei der Bewertung von belastenden Zeugenaussagen in der Beweiskonstellation Aussage-gegen-Aussage eine besondere Bedeutung zu (vgl. BGH, 5 StR 113/14 v. 24.04.2014 - NStZ-RR 2014, 219 ). Von Relevanz ist insbesondere, ob der Zeuge aus freien Stücken ausgesagt hat oder er durch Dritte oder besondere Umstände hierzu gedrängt wurde. Darüber hinaus wird nicht mitgeteilt, was der Zeuge bei früheren, etwa polizeilichen Vernehmungen zum Tatvorwurf bekundet hat, sei es im vorliegenden oder in einem anderen Verfahren. Der Senat kann daher nicht nachvollziehen, ob die vom Jugendschöffengericht bejahte Aussagekonstanz auf ausreichenden objektiven Grundlagen beruht. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des einzigen Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird (vgl. BGH, 5 StR 63/12 v. 14.03.2012 - StV 2013, 7 ; 4 StR 15/14 v. 13.03.2014 - StV 2014, 723 ). Dies gilt auch für die entscheidenden Teile früherer Aussagen (vgl. BGH, 2 StR 94/14 v. 07.07.2014 - NStZ-RR 2015, 120 ; 2 StR 92/14 v. 22.10.2014 - NStZ-RR 2015, 52; 2 StR 101/15 v. 02.09.2015 - NStZ-RR 2016, 87 <88>).

7

Unzureichend sind ferner die Ausführungen zu möglichen Falschbelastungsmotiven des Zeugen. Nach den Urteilsausführungen war der von Sdk. geschilderte verfahrensgegenständliche Verkauf von Betäubungsmitteln an den Angeklagten Gegenstand eines gegen den Zeugen selbst geführten Strafverfahrens. Es liegt daher nicht fern, dass sich der Zeuge mit der damit verbundenen Aufklärungshilfe in den Genuß einer Strafmilderung gemäß § 31 BtMG bringen wollte, umso mehr, als das gegen ihn geführte Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Trier eingestellt worden sein soll. Aufzuklären und im Urteil darzustellen ist somit, was der Zeuge als Beschuldigter in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren bekundet hat und ob sich seine Angaben, auch in Bezug auf andere Betäubungsmittelabnehmer, als wahr erwiesen haben. Ohne Kenntnis dieser Umstände kann der Senat nicht überprüfen, ob die Überzeugung des Jugendschöffengerichts von dem Fehlen eines Belastungsmotivs auf einer hinreichend objektiven Grundlage beruht.

8

Das Urteil unterliegt aufgrund dieses sachlich-rechtlichen Fehlers insgesamt der Aufhebung.

III.

9

Für die neue Hauptverhandlung ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anforderungen an die Beweiswürdigung möglicherweise anders darstellen, wenn der im Urteil erwähnte Dealer “A.“ aus K. ausfindig gemacht und als Zeuge vernommen wird. Sdk. will die an den Angeklagten verkauften Betäubungsmittel unmittelbar vor der Tat bei besagtem „A.“ erworben haben. Würde dieser den Verkauf von 100 g Marihuana und 50 g Haschisch an Sdk. glaubhaft bestätigen, dann wäre darin ein außerhalb der Aussage des Zeugen Sdk. liegendes Indiz zu sehen, was für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben sprechen könnte; in diesem Fall wäre nicht mehr von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation mit den daraus folgenden erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung auszugehen (vgl. BGH, 2 StR 486/02 v. 28.05.2003 - NStZ-RR 2003, 268 ; 1 StR 379/03 v. 21.01.2004 - NStZ 2004, 635 ; LR-Sander, StPO, 26. Aufl. § 261 Rn. 81). Im Verurteilungsfall werden zudem Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der Betäubungsmittel zu treffen sein.

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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 02. Mai 2016 - 2 OLG 4 Ss 32/16 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe


Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich d

Strafprozeßordnung - StPO | § 335 Sprungrevision


(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden. (2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt w

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(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden.

(2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre.

(3) Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form eingelegte Revision als Berufung behandelt. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebenen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil ist Revision nach den allgemein geltenden Vorschriften zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 305/12
vom
23. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Angeklagten am 23. August 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 7. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Plettenberg vom 3. Mai 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die der Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger zu Grunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte mit der Nebenklägerin und deren Lebensgefährten, einem Halbbruder des Angeklagten, in einer Wohnung. Im Dezember 2009 suchte die Nebenklägerin den Angeklagten in seinem Zimmer auf, weil sie nicht schlafen konnte. Zuvor hatte sie ein ihr verschriebenes Antidepressivum in einer überhöhten Dosis eingenommen, das eine beruhigende und schlaffördernde Wirkung hatte. Beide setzten sich auf das Bett des Angeklagten und sahen sich eine DVD an. Nachdem die Nebenklägerin auf dem Bett liegend eingeschlafen war, entkleidete der Angeklagte ihren Unterleib und führte an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Als die Nebenklägerin erwachte, stieß sie den Angeklagten von sich, der daraufhin außerhalb ihres Körpers zur Ejakulation kam (UA 10). Die schockierte Nebenklägerin verließ das Zimmer und begab sich weinend ins Bad, um sich zu waschen. Anschließend kehrte sie zu ihrem schlafenden Lebensgefährten zurück, ohne ihm etwas von dem Geschehenen zu berichten. Als die Nebenklägerin den Angeklagten am nächsten Tag auf den Vorfall ansprach, erklärte dieser, dass er von einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ausgegangen sei. Am 17. Dezember 2009 erfuhr die Nebenklägerin von ihrer Frauenärztin, dass sie schwanger ist. Daraufhin erklärte sie dem Angeklagten, dass sie den Vorfall nun ihrem Lebensgefährten offenbaren werde, weil sie sich des genauen Zeitpunkts des Geschlechtsverkehrs mit ihm nicht mehr sicher war und deshalb befürchtete, er könnte der Vater des Kindes sein (UA 11).
4
Der Angeklagte hat angegeben, dass ihn die Nebenklägerin in seinem Zimmer aufgesucht habe und es in der Folge zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen sei. Bereits zuvor habe es bei zwei Gelegenheiten sexuelle Kontakte (Handverkehr) zwischen ihm und der Nebenklägerin gegeben. Drei bis vier Tage nach dem Vorfall habe die Nebenklägerin einen Schwangerschaftstest durchgeführt, der positiv verlaufen sei. Daraufhin habe sie ihm vorgeworfen, dass er der Vater sei und angekündigt, ihrem Lebensgefährten von dem Vorfall zu erzählen. Er habe sie daraufhin eindringlich gebeten , dabei die Wahrheit zu sagen. Dies habe die Nebenklägerin mit der Begründung abgelehnt, dass dann ihr Lebensgefährte die Beziehung zu ihr beenden würde. Sie werde deshalb behaupten, der Angeklagte habe sie vergewaltigt, nachdem sie unter dem Einfluss eingenommener Medikamente eingeschlafen sei (UA 15).
5
Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf die für glaubhaft erachtete Einlassung der Nebenklägerin gestützt. Dabei ist das Landgericht dem aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen O. gefolgt, die zu dem Schluss gelangt ist, dass die Angaben der Nebenklägerin ausschließlich mit der Erlebnishypothese in Einklang zu bringen sind (UA 21 f.).
6
2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). In einem Fall in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten beeinflussen können (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Beschluss vom 15. Januar 2008 – 4 StR 533/07; Beschluss vom 22. Januar 2002 – 5 StR 549/01, NStZ-RR 2002, 146; Beschluss vom 23. Mai 2000 – 1 StR 156/00, NStZ 2000, 496, 497). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
7
a) Die Ausführungen des Landgerichts zu den Angaben der Nebenklägerin in Bezug auf frühere sexuelle Kontakte mit dem Angeklagten lassen besorgen , dass nahe liegende Gesichtspunkte nicht in Betracht gezogen worden sind, deren Berücksichtigung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis führen könnte.
8
Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung (UA 18) und bei ihrer zweiten polizeilichen Einvernahme im Ermittlungsverfahren angegeben (UA 26, 31), an sexuelle Kontakte mit dem Angeklagten im Vorfeld des Tatgeschehens keine Erinnerung zu haben. Das Landgericht hat darin kein gegen die Glaubhaf- tigkeit ihrer Angaben sprechendes Indiz gesehen, weil bei einer „konstruierten Aussage“ eine „komplikationslose Verneinung“ dieser Frage zu erwarten gewe- sen wäre. Zudem habe die Nebenklägerin die ihr verordneten Medikamente schon vor dem Tatgeschehen in eigenmächtig überhöhter Dosierung eingenommen , sodass aus ihrer Sicht zumindest die Möglichkeit bestanden habe, dass sich der Angeklagte ihr zuvor schon in ähnlicher Weise genähert und sexuelle Handlungen an ihr begangen haben könnte (UA 32).
9
Macht ein Zeuge in Bezug auf ein wenig vergessensanfälliges Erleben eine unter normalen Bedingungen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend, besteht Grund zu der Annahme, dass er dieses Thema meiden will und sein Aussageverhalten auch im Übrigen einer entsprechenden Steuerung unterliegt. Das Landgericht hätte daher erörtern müssen, ob die Nebenklägerin der Frage nach weiteren, insbesondere einvernehmlichen sexuellen Kontakten mit dem Angeklagten ausweichen wollte und – bejahendenfalls – inwieweit sich daraus Schlüsse auf eine entsprechende Steuerung ihrer Aussage auch in Bezug auf die Schilderung des Tatgeschehens ziehen lassen.
10
Die Erwägung, dass bei einer erfundenen Aussage eine „komplikationslose Verneinung“ der Frage nach einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu erwarten gewesen wäre, vermag die glaubwürdigkeitskritische Bedeutung der geltend gemachten Erinnerungslücke nicht zu entkräften. Zwar trifft es zu, dass ein falsche Anschuldigungen erhebender Zeuge häufig darauf bedacht sein wird, seine Einlassung von Schwächen freizuhalten (vgl. Niehaus in Volbert/ Steller, Handbuch der Rechtspsychologie, S. 314), sodass in dem Zugeständnis von Erinnerungslücken ein motivationsbezogenes Glaubhaftigkeitsmerkmal gesehen werden kann (vgl. Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. Rn. 732), doch kann dies nur für Erinnerungslücken gelten, die mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sind und deshalb auf eine ungesteuerte Aussageweise hindeuten. So liegt es hier aber gerade nicht.
11
Die Annahme des Landgerichts, die Nebenklägerin könnte im Unklaren darüber gewesen sein, ob sie schon zuvor von dem Angeklagten ohne ihr Wissen in ähnlicher Weise sexuell angegangen worden ist, findet in den Urteilsgründen keine Stütze und ist eine bloße Vermutung. Sie ist zudem unbehelflich, weil ein solcher sexueller Kontakt unfreiwillig gewesen wäre und es an dieser Stelle vornehmlich um die Frage ging, ob die Nebenklägerin freiwillig sexuelle Handlungen mit dem Angeklagten vorgenommen hat.
12
b) Die Wertung des Landgerichts, wonach sich „gerade auch in den be- stehenden Erinnerungslücken“ eine Konstanz in der Aussage der Nebenkläge- rin gezeigt habe (UA 30, 31), korrespondiert nicht in jeder Hinsicht mit allgemeinen Erfahrungssätzen.
13
Der Annahme, dass in der Übereinstimmung von Aussageinhalten in aufeinanderfolgenden Vernehmungen ein Indiz für das Vorliegen einer erlebnisbegründeten Aussage gesehen werden kann, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Beobachtungen realer Vorgänge und eigene Erlebnisse zuverlässiger gespeichert werden, als aus dem Allgemeinwissen zusammengesetzte oder von Dritten vorgegebene Inhalte (vgl. Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 51). Eine für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung bedeutsame Konstanz kann sich daher nur in Bezug auf hinreichend komplexe Sachverhaltsschilderungen ergeben (Greuel, Wirklichkeit-Erinnerung-Aussage, S. 38; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 53 ff.). Sie lässt sich dagegen nur mit Einschränkungen auf die wiederholte Äußerung stützen, zu einem bestimmten Geschehen nichts mehr zu wissen.
14
c) Die Bewertung der Abweichungen in den Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen weist einen Erörterungsmangel auf.
15
Die Nebenklägerin hat im Ermittlungsverfahren angegeben, bei dem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten auf der rechten Seite mit etwa rechtwinklig angewinkelten Beinen gelegen zu haben, während der Angeklagte auf dem Bett hinter ihr kniete und von hinten in sie eingedrungen sei. Ob sie tatsächlich auf der rechten Seite gelegen habe, könne sie nicht mehr mit Bestimmtheit sagen (UA 25). Bei der drei Wochen später erfolgten Exploration durch die Sachverständige war sich die Nebenklägerin hinsichtlich ihrer Lage auf dem Bett nicht mehr sicher. Sie gab an, dass sich „vor ihren Augen ein Bild entwickelt“ habe, nach dem sie auf dem Rücken gelegen und der Angeklagte sich über ihr befunden habe (UA 27). In der Hauptverhandlung erklärte die Nebenklägerin hierzu „dass sie gelegen und sich der Angeklagte über ihr be- funden habe. Ob sie dabei auf der rechten Seite gelegen habe, könne sie nicht mehr sagen“ (UA 19). Die vom Landgericht angehörte Sachverständige hat die- se Abweichungen für unbedenklich gehalten, weil die polizeiliche Aussage nicht zeitnah zu dem Tatgeschehen erfolgt und die Zeugin bestrebt gewesen sei, den Vorfall zu verdrängen (UA 29). Dem hat sich das Landgericht angeschlossen (UA 30) und weiter ausgeführt, dass bei einer Aussagekonstruktion zu erwarten gewesen wäre, dass die Nebenklägerin bestehende Unsicherheiten im Lauf der Vernehmungen ausräumt (UA 31).
16
Eine Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen stellt einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar, wenn sie nicht mehr mit natürlichen Gedächtnisunsicherheiten erklärt werden kann (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Bei der Schilderung von körpernahen Ereignissen ist im Allgemeinen zu erwarten, dass der Zeuge globale Körperpositionen bei der Haupthandlung auch über längere Intervalle in Erinnerung behält (Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 53; Greuel, Wirklichkeit-Erinnerung-Aussage, S. 38 f.). Das Landgericht hätte sich daher näher damit auseinandersetzen müssen, dass die Nebenklägerin ihre eigene Gesamtkörperposition bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Vernehmungen abweichend geschildert hat. Mit einem Bemühen um Verdrängung ist dies nicht ohne Weiteres erklärbar.
17
d) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Falschaussagemotiv ausgeschlossen hat, stehen nicht im Einklang mit dem übrigen Beweisergebnis.
18
Das Landgericht hat in Betracht gezogen, dass die Nebenklägerin aufgrund der bei ihr festgestellten Schwangerschaft gegenüber ihrem Lebensgefährten ein schlechtes Gewissen bekommen und sich daraufhin zu rechtfertigen versucht haben könnte. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass für die Nebenklägerin im Fall einvernehmlicher sexueller Handlungen nicht die Not- wendigkeit bestanden hätte, sich ihrem Lebensgefährten anzuvertrauen. Sie habe sich nicht in einer Rechtfertigungssituation befunden, da die Vaterschaft ihres Lebensgefährten von keiner Seite angezweifelt worden sei. Die Offenbarung des Vorfalls habe vielmehr nur die Funktion gehabt, sich durch eine Aussprache von einem innerlich belastenden Erleben zu befreien. Ein einvernehmliches sexuelles Erleben mit dem Angeklagten hätte sie hingegen verschweigen können. Insofern deuteten die gewichtigeren Umstände darauf hin, dass ein sich stetig steigernder innerer Druck, der durch die Schwangerschaft entscheidend verstärkt worden sei, dazu geführt habe, dass sie sich ihrem Lebensgefährten habe anvertrauen müssen (UA 39).
19
Nach den Feststellungen hat die Nebenklägerin ihrem Lebensgefährten den Vorfall unmittelbar nach dem positiv verlaufenen Schwangerschaftstest offengelegt und dies gegenüber dem Angeklagten damit begründet, dass sie sich des genauen Zeitpunkts des Geschlechtsverkehrs mit ihm, dem Angeklagten , nicht mehr sicher sei und deshalb befürchte, er könne der Vater des Kindes sein (UA 11). Nichts anderes ergibt sich aus der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung (UA 20). Anlass für die Offenbarung war danach allein die konkrete Angst, infolge des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten schwanger geworden zu sein und nicht ein sich stetig steigernder innerer Druck. Die Erwägung, dass für die Nebenklägerin bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kein Grund bestanden hätte, sich ihrem Lebenspartner anzuvertrauen , geht vor diesem Hintergrund ebenso ins Leere, wie die Annahme, dass sie sich nicht in einer Rechtfertigungssituation befunden habe, weil bisher noch keine Zweifel in Bezug auf die Vaterschaft angemeldet worden seien.
20
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dazu wird es sich empfehlen, einen anderen Sachverständigen zu Rate zu ziehen.

II.


21
Sollte das Landgericht wieder zu einer Verurteilung gelangen, wird erneut eine nachträgliche Gesamtstrafe (§ 55 Abs. 1 StGB) gebildet werden müssen. Dazu sind die in dem früheren Urteil verhängten Einzelstrafen festzustellen , da allein sie in die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe einfließen und die Gesamtstrafe aus dem früheren Urteil aufgelöst wird (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1958 – 1 StR 312/58, BGHSt 12, 99; SSW-StGB/Eschelbach, § 55 Rn. 24).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 101/15
vom
2. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:0209152STR101.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. Dezember 2014, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; von dem Vorwurf weiterer vier Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit sechs Jahre alte Geschädigte jeweils ein Wochenende im April und im Mai 2014 gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder bei dem Angeklagten, ihrem Stiefvater. In jeweils einer Nacht zog der Angeklagte, der mit beiden Kindern auf einem Schlafsofa im Wohnzimmer schlief, der Geschädigten Schlafanzughose und Unterhose aus, streichelte sie zwischen den Beinen im Bereich der Scheide, streckte ihre angewinkelten Beine aus und rieb seinen Penis zwischen den Oberschenkeln des Kindes bis zum Samenerguss.
4
2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt, die es mit Hinweis auf Detailreichtum und aussageübergreifende Konstanz ihrer Angaben für glaubhaft erachtete. Von dem Vorwurf von vier weiteren sexuellen Übergriffen hat es den Angeklagten freigesprochen, weil die Angaben des Kindes zur Häufigkeit der Übergriffe nicht als verlässlich erschienen.

II.

5
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft.
6
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52).
7
Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159). Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, a.a.O., S. 158). Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 17. November 1998 - 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257). Darüber hinaus ist es in Fallkonstellationen, in denen die Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten, jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111; Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219).
8
2. Diesen besonderen Darlegungsanforderungen wird das angegriffene Urteil nicht in vollem Umfange gerecht.
9
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Wesentlichen auf die Angaben der zum Tatzeitpunkt sechs, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sieben Jahre alten Zeugin und auf die Annahme der Konstanz ihrer Angaben gestützt. Die Beweiserwägungen zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin sind jedoch in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.
10
aa) Es fehlt schon an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung der Aussagequalität und der Aussagekonstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht.
11
Zwar hat die Strafkammer im Rahmen der von ihr vorgenommenen Glaubhaftigkeitsprüfung dargelegt, dass die Zeugin „sich als ihrem Alter entsprechend aussagetüchtig gezeigt“ habe und grundsätzlich fähig sei, Ereignisse adäquat wahrzunehmen, sich daran zu erinnern und darüber zu berichten ; Schwächen seien vorhanden, soweit die Häufigkeit von Vorfällen oder deren zeitliche Einordnung in Frage stehe. Deshalb sei dem Umstand, dass die Zeugin ursprünglich abweichende Angaben zur Häufigkeit der Vorfälle gemacht und von einer größeren Zahl von Übergriffen gesprochen habe, als Teil ihrer zeitlichen Einordnungsschwäche anzusehen und daher unbedenklich; gleiches gelte für die unterschiedlichen Angaben zum Ort der Übergriffe, weil die Zeugin die aktuelle Wohnung des Angeklagten „letztlich auch als alleinigen Ort entsprechender Begebenheiten konkretisierte“ (UA S. 15).
12
Ob diese vom Landgericht angestellte Würdigung der unterschiedlichen Angaben der Zeugin mit der Annahme von Aussagekonstanz vereinbar ist, kann in Ermangelung einer geschlossenen Wiedergabe ihrer wesentlichen Angaben in der Hauptverhandlung nicht überprüft werden.
13
bb) Das Landgericht hat nicht übersehen, dass die Zeugin die sexuellen Übergriffe zunächst eher stereotyp dahin umschrieben hatte, dass sie nicht mehr zum Papa wolle, weil der „immer Sex mit ihr mache“, und dass sie zunächst berichtet hatte, der Angeklagte habe sich jeweils auf sie gelegt, "seinen Pipimann unten in sie reingesteckt" und sie habe dabei Schmerzen verspürt. Soweit das Landgericht ihre späteren, hiervon deutlich abweichenden und mit dem Kriterium der Konstanz schwerlich zu vereinbarenden Bekundungen in der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte mit seinem Gesicht ihr zugewandt den „Schenkelverkehr“ jeweils bis zum Samenerguss vollzogen habe, mit dem Hinweis darauf zu relativieren suchte, diese unterschiedlichen Darstellungen des Kerngeschehens beruhten auf dem „unterschiedlichen Vernehmungsfor- mat“ (UAS. 28) und auf dem erkennbaren Unbehagen der Zeugin, überhaupt über die Geschehnisse zu sprechen, lässt sich auch dies in Ermangelung der zusammenhängenden Wiedergabe ihrer Bekundungen in der Hauptverhandlung und in den früheren Vernehmungen nicht nachvollziehen.
14
Gleiches gilt für die Bewertung des Landgerichts, dass die unterschiedlichen Schilderungen unter Berücksichtigung des kindlichen Alters und der fehlenden Sexualkenntnisse der Zeugin ohne Weiteres miteinander vereinbar seien.
15
cc) Schließlich erscheinen auch die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung, die für die Bewertung kindlicher Zeugenaussagen von besonderer Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), als lückenhaft. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass die Mutter der Zeugin von einer durch die Schwester des leiblichen Vaters der Zeugin im Jahr 2005 erstatteten Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter wusste, dass sie in Kontakt mit der damaligen Anzeigeerstatterin stand und dass sie die Zeugin nach der erstmaligen Offenbarung der Geschehnisse durch sie zu der Frauenärztin brachte, die auch in dem damaligen Missbrauchsfall involviert war. Das Landgericht hat diesen Besonderheiten jede Beweisbedeutung mit dem Hinweis darauf abgesprochen, dass Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung fehlten. Es hat jedoch in diesem Zusammenhang nicht erkennbar erwogen, ob Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung des Kindes durch ihre Mutter bestehen, die den Inhalt ihrer Zeugenaussage beeinflusst haben kann.
16
3. Das Urteil beruht auf diesen Darlegungsmängeln. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu dem Hinweis, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu erwägen haben wird. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Nebenklägers wird die Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 8. Juli 2015 mit der Maßgabe aufgehoben, dass dem Beistand des Nebenklägers Akteneinsicht in folgende Bestandteile der Verfahrensakten gewährt wird:

Leitakte

Bl. 19

Bl. 24-26

Bl. 30-31

Bl. 38-40

Bl. 56-59

Bl. 70-73

Bl. 89-97

Bl. 100-108

Bl. 120

Bl. 143-145

Bl. 157

Bl. 171

Bl. 190

Bl. 192-197

Bl. 226-247

Bl. 260-306

2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Dem Angeklagten wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vorgeworfen, in Hamburg am 28. Februar 2015 einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Beschwerdeführers begangen zu haben. Der Beschwerdeführer hat nach Anklageerhebung seinen Anschluss als Nebenkläger erklärt und Akteneinsicht beantragt. Die begehrte Akteneinsicht hat der Strafkammervorsitzende durch die in der Beschlussformel benannte Entscheidung unter Hinweis auf die anderenfalls bestehende Gefahr für den Untersuchungszweck nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner „(sofortigen) Beschwerde“; der Strafkammervorsitzende hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Generalsstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel kostenpflichtig zu verwerfen.

II.

2

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 StPO ist nach Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (§ 304 StPO). Dem steht § 305 Satz 1 StPO mangels Verweisung in § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO nicht entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; ferner Lauterwein, Akteneinsicht und -auskünfte für den Verletzten, Privatpersonen und sonstige Stellen §§ 406e und § 475 StPO [2011], S. 161; Löwe/Rosenberg/Wenske, 26. Aufl., Nachtr. § 406e Rn. 8).

3

2. In der Sache bleibt dem Rechtsmittel indes der Erfolg ganz überwiegend versagt. Es liegt der Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO vor. Mildere Mittel zur Verhinderung einer Gefährdung des Untersuchungszwecks sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

4

a) Zwar steht dem Nebenkläger grundsätzlich nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über seinen Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Aktensicht zu (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO). Dieses Recht war hier indes in weiten Teilen nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen und auf den in der Beschlussformel benannten Inhalt zu begrenzen. Hiernach kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint.

5

aa) Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Zwar steht den mit der Sache befassten Gerichten hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 – 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519, 1520). Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage (zu hierin liegenden Gefahren etwa Schwenn, StV 2010, 705, 708; BeckOK-StPO/Eschelbach, 21. Ed., § 261 Rn. 55.3), reicht – entgegen anderer Stimmen im Schrifttum (vgl. Schlothauer, StV 1987, 356, 357 m.w.N.; Riedel/Wallau, NStZ 2003, 393, 397) – für sich zur Versagung aber nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 1988 – 2 VAs 3/88, StV 1988, 332, 334; vgl. ferner BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Für die Prüfung der – abstrakten (vgl. nur Löwe/Rosenberg/Hilger, 26. Aufl., § 406e Rn. 12 f.; SSW-StPO/Schöch, § 406e Rn. 12) – Gefährdung des Untersuchungszwecks ist vielmehr eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; Hilger, a.a.O. Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406e Rn. 6a). Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

6

bb) Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Sander, StV 2000, 45, 46; ders. in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 261 Rn. 83d m.w.N.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m.w.N.). Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181; ferner Sander, a.a.O.; Schmandt, a.a.O., m.w.N.).

7

cc) So liegt es hier zumindest betreffend das – den mit Blick auf die Spontanäußerungen des Angeklagten (vgl. Bl. 3, 5, 6 und 55 d.A.) sowie angesichts von Zeugenaussagen (vgl. nur etwa die Aussage des Zeugen I., Bl. 128 ff. d.A.) sowie durch das beim Angeklagten sichergestellte Tatwerkzeug hochwahrscheinlich vorgenommenen versuchten Tötungshandlungen vorangegangene – Tatvorgeschehen. Hierzu gibt es über die Angaben des Beschwerdeführers hinaus keine weiteren Zeugenaussagen oder sonstigen Beweismittel. Der Beschwerdeführer nimmt jeden Anlass für den Angeklagten zu einem körperlichen Übergriff in Abrede. Einen solchen legen allerdings die durch den Angeklagten abgesetzten Notrufe (vgl. Bl. 32 d.A.) sowie Zeugenaussagen (vgl. etwa Bl. 112 d.A.) und das dokumentierte Verletzungsbild beim Angeklagten nahe. Diesem kommt für die vom Tatgericht zu würdigenden etwaigen Rechtfertigungsgründe aber auch für die Strafbemessung (vgl. § 213 StGB) maßgebliche Bedeutung zu.

8

dd) In diesen Fällen ist das gerichtliche Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert. Eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten ist hier mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die auch hier anwendbaren rechtlichen Maßgaben seiner Beschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; vgl. ferner BeckOK-StPO/Weiner, 21. Ed. § 406e Rn. 4). Soweit der Senat damit auch hier in einem Ausnahmefall der – namentlich den Angeklagten schützenden – gerichtlichen Wahrheitserforschungspflicht zur Herbeiführung einer materiell gerechten Entscheidung grundsätzlich den Vorrang vor den Informationsrechten eines Nebenklägers gewährt (vgl. hierzu auch Radtke, NStZ 2015, 108, 109), entspricht er einer auch aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren und überzeugenden Wertentscheidung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22; ferner Barton, StRR 2009, 404 ff.). Rechtspolitische Bestrebungen, dem Nebenkläger – im Zuge der mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz; BGBl. 2009 I S. 2280) erstrebten Entkopplung von Privat- und Nebenklage (vgl. hierzu Wenske, a.a.O., § 406e Rn. 1) – nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) ein unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht zu gewährleisten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 3. September 2009, BT-Drucks. 16/12098, S. 35) konnten sich im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht durchsetzen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 1. Juli 2009, BT-Drucks. 16/13671, S. 22 sowie BT-Drucks. 16/12812, S. 15). Soweit die Gesetzesmaterialien als möglichen Anwendungsbereich des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO das Akteneinsichtsgesuch eines der Tatbeteiligung verdächtigen Angehörigen eines Getöteten erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22), handelt es sich ausdrücklich um eine Beispielskonstellation, die den – schon vom Wortlaut her nicht näher konkretisierten – Anwendungsbereich der Vorschrift nicht begrenzt.

9

b) Mangels näherer Ausführungen in der Antrags- und der Beschwerdeschrift des Nebenklägervertreters vermag der Senat über das allgemeine Informationsinteresse des Nebenklägers hinaus keine Gründe zu erkennen, die eine sofortige Akteneinsicht geböten. Ob und – bejahendenfalls – mit welchem Gewicht solche Umstände im Einzelfall in die hier vorgenommene Ermessensentscheidung einzustellen wären, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.

10

c) Auch mildere Mittel sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Eine Verpflichtungserklärung des Nebenklägervertreters, die Akteninhalte dem Nebenkläger nicht zur Kenntnis zu geben, ist weder durchsetzbar noch mit der gebotenen Sicherheit zu kontrollieren (vgl. Senatsbeschluss vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700).

11

d) Der Senat hat daher den Umfang der Akteneinsicht auf den in der Beschlussformel ausgewiesenen Teil der Verfahrensakten beschränkt. Erfasst von der Versagung sind danach namentlich die dokumentierten Zeugenvernehmungen, die Äußerungen des Angeklagten sowie die hieran jeweils anschließenden Eindrucks- und Ermittlungsvermerke sowie die Auswertungen am Tatort gesicherter Spuren. Im Übrigen war die Akteneinsicht zu gewähren (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

5 StR 316/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 10. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung
vom 10. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K. ,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Februar 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, sowie im Rechtsfolgenausspruch.
Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und der Nebenklägerin im Rahmen einer Adhäsionsentscheidung einen Schmerzensgeldbetrag zugesprochen. Vom Vorwurf, zwei weitere sexuelle Übergriffe begangen zu haben, hat es ihn freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge gegen die den Freisprüchen zugrunde liegende Beweiswürdigung sowie gegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Die Revision des Angeklagten erhebt eine Ver- fahrensrüge und darüber hinaus die allgemeine Sachrüge. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
3
a) Der wegen eines Sexualdelikts vorbestrafte Angeklagte bot der Mutter der am 26. Januar 2005 geborenen Nebenklägerin Sc. an einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen Juni 2009 und Sommer 2010 an, auf die Nebenklägerin, die in seiner Wohnung übernachten sollte, aufzupassen. Als die Nebenklägerin sich in seiner Obhut befand, zog er die Hose ihres Schlafanzugs herunter, legte sie mit dem Bauch auf einen Tisch und cremte ihren Anus ein. Gegen den Willen des sich wehrenden Kindes drang der Angeklagte mehrfach mit seinem Penis in dessen After ein.
4
Die Nebenklägerin, die noch mehrere Tage unter Schmerzen litt, erzählte ihrer Mutter am nächsten Morgen, was vorgefallen war. Diese untersuchte die Nebenklägerin, konnte aber keine Verletzungen an der Vagina und dem After ihres Kindes entdecken. Sie schenkte der Schilderung ihrer Tochter zwar keinen Glauben; gleichwohl brach sie den Kontakt zum Angeklagten ab. Eine Anzeige bei der Polizei erstattete sie nicht. Zu Ermittlungen kam es erst, als die Nebenklägerin sich am 12. März 2011 gegenüber einer Freundin ihrer Mutter weinend offenbarte, die anschließend die Polizei verständigte.
5
Die Jugendkammer stützt die Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeklagten im Wesentlichen auf die von ihr als glaubwürdig bewertete Aus- sage der Nebenklägerin. Ihr sei nicht zuzutrauen, „eine derartige Aussage- konstanz mit Realkennzeichen durch alle Vernehmungen zu halten, wenn sie nicht erlebnisbasiert“ sei (UA S. 17). Soweit die Nebenklägerin der Freundin ihrer Mutter am 12. März 2011 nur von einem vaginalen Geschlechtsverkehr erzählt hatte, stelle dies die Erlebnisbasiertheit ihrer Aussage nicht in Frage, weil – entsprechend den Ausführungen der sachverständigen Zeugin DiplomPsychologin G. – zu berücksichtigen sei, „dass die körperliche Wahr- nehmung einer Fünfjährigen hinsichtlich After und Vagina noch wenig ausgeprägt sei und die Abweichung daher aus Sicht der Geschädigten nicht das Kerngeschehen“ betreffe (UA S. 19). Des Weiteren sei der Umstand, dass die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung den Tisch neben der Couch, in der Hauptverhandlung hingegen den Küchentisch als genaue Tatörtlichkeit angegeben habe, als nicht wesentliche Abweichung anzusehen. Diese Abweichung könne als vergleichsweise nebensächliche Einzelheit einerseits dem Alter der Nebenklägerin sowie dem relativ lange zurückliegenden Tatzeitraum, andererseits dem ungenauen Frageverhalten des Vernehmungsbeamten geschuldet sein.
6
b) Die zugelassene Anklage warf dem Angeklagten darüber hinaus vor, die Nebenklägerin in seiner Wohnung im gleichen Zeitraum ein weiteres Mal anal auf dem Tisch und einmal vaginal auf der Couch mit seinem Geschlechtsteil penetriert zu haben.
7
Die Jugendkammer hat den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sie diese Taten „nicht zweifelsfrei feststellen“ konnte. In einer – gesondert – vorgenommenen Beweiswürdigung führt sie aus: „Bei der Überprüfung der Entstehung der Aussage sowie nach den Glaubwürdigkeitskriterien und Realkennzeichen“ sei sie zwar überzeugt, dass es weitere Vorfälle gegeben habe (UA S. 32); die Analyse der Aussagequalität der Nebenklägerin ergebe aber trotz anzunehmender umfassender Aussagetüchtigkeit und Beruhen ihrer Angaben auf einem wahren Erlebnishintergrund keine hinreichende Konstanz (UA S. 33). Zu Gunsten des Angeklagten könne die Jugendkammer daher nur das zugrunde legen, was die Nebenklägerin konstant ausgesagt habe und darüber hinaus mit den übrigen Zeugenaussagen in Übereinstimmung zu bringen sei.
8
Die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, wonach der Analverkehr auf der Couch und der Geschlechtsverkehr auf dem Tisch stattgefunden haben, weiche zum einen erheblich von ihren Angaben im Ermittlungsverfahren ab. Darüber hinaus habe die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung angegeben, dass ein Vaginalverkehr auch auf der Couch in der Wohnung ihrer Mutter vorgefallen sei, als diese einkaufen gewesen sei. Diese Aussage der Nebenklägerin sei mit ihren Angaben im Ermittlungsverfahren nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus habe ihre Mutter in Abrede gestellt, die Nebenklägerin in ihrer Wohnung jemals mit dem Angeklagten allein gelassen zu haben; zudem habe diese nur einmal beim Angeklagten in dessen Wohnung übernachtet.
9
c) Das Landgericht hat des Weiteren zwei weitere Anklagevorwürfe, wonach der Angeklagte im gleichen Zeitraum in seiner Wohnung jeweils den Oralverkehr an der Nebenklägerin auf einem Tisch vollzogen habe, auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
10
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
a) Die gegen die Freisprüche gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen , wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf , ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
12
In den Freispruchsfällen ist bereits ein unauflösbarer Widerspruch darin zu sehen, dass die Jugendkammer einerseits überzeugt ist, dass die Aussage der Nebenklägerin zu weiteren sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf einem wahren Erlebnishintergrund basiert und es deshalb solche Übergriffe gegeben hat. Andererseits spricht sie den Angaben der Nebenklägerin mit Blick auf deren widersprüchliche Schilderungen und daraus abgeleitete Defizite der Aussagekonstanz die Glaubhaftigkeit ab und zieht zudem nicht abschließend bewertete Zeugenaussagen heran, dass es zu weiteren Vorfällen – entgegen der Aussage der Nebenklägerin – keine Gelegenheit gegeben habe. Diese Wertungen sind miteinander nicht in Einklang zu bringen.
13
Darüber hinaus ermöglichen die Darlegungen des Landgerichts nicht die revisionsrechtliche Überprüfung, ob es die festgestellten Abweichungen in den Angaben der Nebenklägerin zutreffend bewertet hat. Es fehlt insoweit an einer hinreichenden Darstellung und Analyse der Aussageentstehung und -entwicklung. Ebenso wenig ist dargelegt, woraus sich die Erlebnisbezogenheit weiterer sexueller Übergriffe aus den Schilderungen der Nebenklägerin ergibt.
14
Hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts. Für den Fall erneuter Verurteilung des Angeklagten in dem bisherigen Verurteilungsfall darf der von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtene (Einzel-) Strafausspruch nicht erhöht werden.
15
b) Die Revision des Angeklagten dringt ebenfalls mit der Sachrüge durch, weil sich die Beweiswürdigung auch zu seinen Lasten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist. Auf die Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt insbesondere, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f. mwN). Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.
17
Die Jugendkammer setzt sich im Rahmen der besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung nicht damit auseinander, welche Auswirkungen die bei der Nebenklägerin zu den Freispruchsfällen festgestellten Aussagedefizite auf den Verurteilungsfall haben. Vielmehr steht die Beweiswürdigung zu dem als erwiesen angesehenen Fall und zu den als nicht erwiesen angesehenen Fällen nahezu beziehungslos nebeneinander (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 2010 – 2 StR 185/10, und Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 126/11). Hinzu kommt, dass der erstmals in der Hauptverhandlung von der Nebenklägerin geschilderte sexuelle Übergriff des Angeklagten in der Wohnung der Mutter des Tatopfers auch im Verurteilungsfall in die Glaubwürdigkeitsprüfung hätte einbezogen werden müssen. Ebenso hätte es der Erörterung bedurft , ob die gemäß § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung eingestellten Fälle des Oralverkehrs an der Nebenklägerin erweislich waren oder ob auch insoweit Glaubwürdigkeitsdefizite vorgelegen haben, die im Rahmen einer kritischen Gesamtwürdigung die Aussage der Nebenklägerin in Frage stellen könnten.
18
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens vor der erneuten Hauptverhandlung wird nicht fernliegen. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der Adhäsionsentscheidung die Grundlage.
Basdorf Raum Schaal
König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 94/14
vom
7. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts folgte der Angeklagte der 44jährigen B. , die er kurz zuvor an der Theke eines Lokals zum ersten Mal angesprochen hatte, in den Vorraum der dortigen Toilette und „verlangte von ihr, ihm ‚einen zu blasen‘“. B. lehnte ab und „forderte ihn mit derben Worten auf“, sie in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte öffnete daraufhin seine Hose, packte die Geschädigte „fest an den Haaren, drückte den Kopf der sich sträubenden Geschädigten hinunter und zwang sie so, seinen ungeschützten Penis in den Mund zu nehmen“. Die Geschädigte wehrte sich. Es gelang ihr, sich wegzudrehen. Sie bat den Angeklagten weinend , er möge sie in Ruhe lassen. Der Angeklagte griff ihr jedoch fest an das TShirt , das dabei einriss, und stieß sie gegen die Toilettenwand, um den Oralverkehr fortzusetzen. Auch schlug er mehrfach auf die Geschädigte ein. Als die Barfrau des Lokals wegen lauter Schreie im Toilettenraum erschien, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab.
3
b) Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt. Mit der Geschädigten, die ihm unbekannt gewesen sei, habe er zwar ein paar Worte gewechselt; er habe sie aber „weder im Toilettenraum getroffen noch dort vergewaltigt“.
4
Die Strafkammer ist dieser Einlassung nicht gefolgt. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingeschlagen und seinen erigierten Penis in Höhe des Gesichts der vor ihm knieenden Geschädigten gehalten habe, habe auch die (tatunbeteiligte) glaubwürdige Barfrau bezeugt. Die in Augenschein genomme- nen Bilder der Überwachungskamera bestätigten ebenfalls „den äußeren Ablauf der Geschehnisse“, wonach der Angeklagte der Geschädigten in den Toilettenbereich folgte, einige Minuten später die Barfrau nachkam und wenige Sekunden darauf die Geschädigte mit zerrissenem T-Shirt im Gastraum erschien und eilig das Lokal verließ. Schließlich habe die glaubwürdige Geschädigte das Geschehen – so wie festgestellt – geschildert, insbesondere hinsichtlich des ihr gegenüber erzwungenen Oralverkehrs.
5
2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil sich das Landgericht im Urteil nicht mit der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung erschöpfend auseinandergesetzt habe, und der aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. März 2014 in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, kommt es deshalb nicht an. Der Senat kann demzufolge auch dahingestellt sein lassen, ob dem Revisionsvortrag nicht (auch) die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu entnehmen sein könnte.
6
a) Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich des sexuellen Übergriffs des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
aa) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder widersprüchlich ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rdn. 3 und 38). Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, Rn. 13, zit. nach juris). Bei einer Aussagegegen -Aussage-Konstellation hat der Tatrichter zudem grundsätzlich im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegung einzubeziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rdn. 11a, jeweils mwN).
8
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Soweit es den erzwungenen Oralverkehr betrifft, ist die Geschädigte alleinige Zeugin; außerhalb ihrer Zeugenaussage bestehende Indizien für einen vollendeten sexuellen Übergriff des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung auch damit befasst, ob der Angeklagte die Geschädigte – wie von ihr behauptet – zeitgleich vaginal zu vergewaltigen versucht habe; dieses Geschehen hat das Landgericht indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit als bewiesen erachtet. Denn nicht auszuschließen sei, dass die Geschädigte, die zum Tatzeitpunkt unter Drogeneinfluss (Alkohol und Kokain) gestanden habe, in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Soweit es dagegen den erzwungenen Oralverkehr betrifft , sei – so das Landgericht – die Aussage der Geschädigten im Kern glaubhaft. „Auch wenn sie zum Tatzeitpunkt unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, so hatte sie daran doch zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen, sondern es von Anfang an als stets im Vordergrund stehenden und für sie besonders bedrü- ckenden Umstand hervorgehoben“.
10
Mit dieser für sich genommen schon kaum nachvollziehbaren Bewertung wird die unterschiedliche Behandlung beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit der Geschädigten, die zudem – was das Landgericht freilich gesondert erörtert – „ersichtlich falsche und widersprüchliche Angaben zur Tatörtlichkeit gemacht“ habe, nicht widerspruchsfrei dargelegt. Die Bewertung des Landgerichts, der (von der Geschädigten behauptete) erzwungene Oralverkehr sei gegenüber dem (von ihr behaupteten) erzwungenen Vaginalverkehr ein bedrückenderer Umstand gewesen, ist nicht mit Anknüpfungstatsachen belegt. Dieser Schluss liegt auch nicht auf der Hand. Weshalb die Aussage der Geschädigten trotz beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit gleichwohl im festgestellten Umfang als glaubhaft angesehen wurde, erschließt sich nicht.
11
Hinzu kommt hier, dass es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei fehlt. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswür- digung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
12
Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Etwaige Bekundungen der Geschädigten zum Kerngeschehen werden dagegen nicht mitgeteilt.
13
Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr erwähnten "Abweichungen" zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZRR 1997, 172).
14
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung lässt auch die – von diesem Rechtsfehler nicht betroffene – Verurteilung wegen der tateinheitlich dazu begangenen (vorsätzlichen) Körperverletzung entfallen (Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 12 mwN).
15
3. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sichausführlich mit allen Filmsequenzen der Videoaufzeichnung der Überwachungskamera zu befassen haben. Fischer Schmitt Eschelbach Ri'inBGH Dr. Ott ist an Zeng der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer
5 StR 394/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung in zehn tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
2
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung betreffend die sexuellen Übergriffe des Angeklagten vom 5./6. Februar 2010 hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Angesichts der vorliegenden Aussagegegen -Aussage-Konstellation hätte das Landgericht im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegung einbeziehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09, vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10, und vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, StraFo 2012, 269, je- weils mwN). Daran fehlt es hier.
3
Das Landgericht bescheinigt der Nebenklägerin „hohe Aussagekonstanz“ (UA S. 14). Dies steht in deutlichem Widerspruch zu dem Um- stand, dass die Nebenklägerin bei ihrer vier Tage nach dem Geschehen erstatteten Strafanzeige durch den Angeklagten vollführte sexuelle Übergriffe gar nicht erwähnte, vielmehr rund zwei Wochen zurückliegende Schläge gegen ihr Ohr sowie eine Nötigung zum Drogenkonsum am Tatabend mitteilte. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 2. März 2010 bekundete sie erst- mals „einen erzwungenen Geschlechtsverkehr“, was sie bei einer Verneh- mung vom 12. April 2010 dahin erweiterte, dass der Angeklagte auf sie uriniert und ihr befohlen habe, das nasse Oberteil während eines (von mindestens zehn) Geschlechtsakts nicht auszuziehen; in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 28. September 2010 gab sie dann ergänzend an, der Angeklagte habe eine Substanz gemischt und auf ihre Scheide aufgetragen, wonach er seinen Hund veranlasst habe, an ihrer Scheide zu lecken (UA S. 14).
4
Bereits angesichts dieses das Kerngeschehen betreffenden auffälligen Aussageverhaltens waren eine eingehende Darstellung und Würdigung der Bekundungen der einzigen Belastungszeugin einschließlich der näheren Umstände der Anzeigeaufnahme und der weiteren Aussageentwicklung unabdingbar , um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen (vgl. zur Beweiswürdigung in einschlägigen Fällen BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165 mwN). Dem werden die rudimentären Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Zeugin das einmal geschilderte Geschehen bei ihren Vernehmungen stets wieder- holt und „lediglich um einzelne Details ergänzt“ habe, die die rechtliche Quali- tät nicht verändert hätten, trifft dies im Übrigen auf den Inhalt der Strafanzei- ge offensichtlich und auf die zweite Aussage („einen“ erzwungenen Ge- schlechtsakt) möglicherweise nicht zu. Zudem liegt auf der Hand, dass die hinzugekommenen überaus erniedrigenden Einzelhandlungen den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat beträchtlich erhöhen. Ferner hätte die von der Nebenklägerin gegebene Erklärung der kritischen Nachprüfung bedurft, sie habe erst Vertrauen zu den sie vernehmenden Personen fassen müssen. Das gilt etwa mit Blick darauf, dass die Nebenklägerin auch Vertrauenspersonen (Mutter und ehemalige Schwiegermutter) von sexuellen Übergriffen nichts gesagt hat (UA S. 17).
5
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
2. Der Senat hebt auch den Schuldspruch wegen Körperverletzung am 21. Januar 2010 auf. Dem neuen Tatgericht soll eine insgesamt stimmige Beweiswürdigung ermöglicht werden.
7
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
a) Dass der Angeklagte und die Nebenklägerin die Umstände ihres Zusammenlebens im Wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, gibt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich der durch den Angeklagten bestrittenen Taten entgegen der Wertung im angefochtenen Urteil (UA S. 13) nichts her.
9
b) Das neu verhandelnde Tatgericht wird sich eingehend mit der Tatsache zu befassen haben, dass die Nebenklägerin nach der sie in besonderem Maße erniedrigenden Tat noch weitere vier Tage beim Angeklagten gelebt hat. Die im angefochtenen Urteil insoweit angestellte Erwägung, die späte Anzeigeeerstattung sei durch die vom Angeklagten geschaffene finanzielle Abhängigkeit der Nebenklägerin und deren abgebrochene Kontakte zu Familie und Freunden bedingt (UA S. 14), leuchtet nicht ein. Vier Tage nach der Tat vermochte die Nebenklägerin ohne Weiteres den Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen, die sie auch sogleich betreute. Es ist nicht ersichtlich, aus wel- chem Grund dies nicht auch früher hätte der Fall gewesen sein können. Darüber hinaus existieren, was allgemein bekannt ist, für derartige Notsituationen öffentliche Anlaufstellen.
10
c) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin eingangs des Tatgeschehens beim Drogenkonsum und einer anschließenden Selbstbefriedigung gefilmt (UA S. 7). Zu diesem Umstand und etwaigen Ermittlungshandlungen zur Auffindung des hergestellten Films verhalten sich die Urteilsgründe im Rahmen der Beweiswürdigung nicht.
11
d) Sollte das neue Tatgericht erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen, wird es dessen Schuldfähigkeit unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu prüfen haben.
12
e) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des § 177 StGB mehrere sexuelle Handlungen – was das Landgericht hier wohl angenommen hat – bei fortdauernder Gewalt eine Tat im Rechtssinn bilden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235 mwN), nicht mehrere tateinheitlich verwirklichte Verbrechen der Vergewaltigung.
Basdorf Raum Schaal König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 305/12
vom
23. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Angeklagten am 23. August 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 7. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Plettenberg vom 3. Mai 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die der Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger zu Grunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte mit der Nebenklägerin und deren Lebensgefährten, einem Halbbruder des Angeklagten, in einer Wohnung. Im Dezember 2009 suchte die Nebenklägerin den Angeklagten in seinem Zimmer auf, weil sie nicht schlafen konnte. Zuvor hatte sie ein ihr verschriebenes Antidepressivum in einer überhöhten Dosis eingenommen, das eine beruhigende und schlaffördernde Wirkung hatte. Beide setzten sich auf das Bett des Angeklagten und sahen sich eine DVD an. Nachdem die Nebenklägerin auf dem Bett liegend eingeschlafen war, entkleidete der Angeklagte ihren Unterleib und führte an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Als die Nebenklägerin erwachte, stieß sie den Angeklagten von sich, der daraufhin außerhalb ihres Körpers zur Ejakulation kam (UA 10). Die schockierte Nebenklägerin verließ das Zimmer und begab sich weinend ins Bad, um sich zu waschen. Anschließend kehrte sie zu ihrem schlafenden Lebensgefährten zurück, ohne ihm etwas von dem Geschehenen zu berichten. Als die Nebenklägerin den Angeklagten am nächsten Tag auf den Vorfall ansprach, erklärte dieser, dass er von einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ausgegangen sei. Am 17. Dezember 2009 erfuhr die Nebenklägerin von ihrer Frauenärztin, dass sie schwanger ist. Daraufhin erklärte sie dem Angeklagten, dass sie den Vorfall nun ihrem Lebensgefährten offenbaren werde, weil sie sich des genauen Zeitpunkts des Geschlechtsverkehrs mit ihm nicht mehr sicher war und deshalb befürchtete, er könnte der Vater des Kindes sein (UA 11).
4
Der Angeklagte hat angegeben, dass ihn die Nebenklägerin in seinem Zimmer aufgesucht habe und es in der Folge zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen sei. Bereits zuvor habe es bei zwei Gelegenheiten sexuelle Kontakte (Handverkehr) zwischen ihm und der Nebenklägerin gegeben. Drei bis vier Tage nach dem Vorfall habe die Nebenklägerin einen Schwangerschaftstest durchgeführt, der positiv verlaufen sei. Daraufhin habe sie ihm vorgeworfen, dass er der Vater sei und angekündigt, ihrem Lebensgefährten von dem Vorfall zu erzählen. Er habe sie daraufhin eindringlich gebeten , dabei die Wahrheit zu sagen. Dies habe die Nebenklägerin mit der Begründung abgelehnt, dass dann ihr Lebensgefährte die Beziehung zu ihr beenden würde. Sie werde deshalb behaupten, der Angeklagte habe sie vergewaltigt, nachdem sie unter dem Einfluss eingenommener Medikamente eingeschlafen sei (UA 15).
5
Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf die für glaubhaft erachtete Einlassung der Nebenklägerin gestützt. Dabei ist das Landgericht dem aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen O. gefolgt, die zu dem Schluss gelangt ist, dass die Angaben der Nebenklägerin ausschließlich mit der Erlebnishypothese in Einklang zu bringen sind (UA 21 f.).
6
2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). In einem Fall in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten beeinflussen können (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Beschluss vom 15. Januar 2008 – 4 StR 533/07; Beschluss vom 22. Januar 2002 – 5 StR 549/01, NStZ-RR 2002, 146; Beschluss vom 23. Mai 2000 – 1 StR 156/00, NStZ 2000, 496, 497). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
7
a) Die Ausführungen des Landgerichts zu den Angaben der Nebenklägerin in Bezug auf frühere sexuelle Kontakte mit dem Angeklagten lassen besorgen , dass nahe liegende Gesichtspunkte nicht in Betracht gezogen worden sind, deren Berücksichtigung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis führen könnte.
8
Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung (UA 18) und bei ihrer zweiten polizeilichen Einvernahme im Ermittlungsverfahren angegeben (UA 26, 31), an sexuelle Kontakte mit dem Angeklagten im Vorfeld des Tatgeschehens keine Erinnerung zu haben. Das Landgericht hat darin kein gegen die Glaubhaf- tigkeit ihrer Angaben sprechendes Indiz gesehen, weil bei einer „konstruierten Aussage“ eine „komplikationslose Verneinung“ dieser Frage zu erwarten gewe- sen wäre. Zudem habe die Nebenklägerin die ihr verordneten Medikamente schon vor dem Tatgeschehen in eigenmächtig überhöhter Dosierung eingenommen , sodass aus ihrer Sicht zumindest die Möglichkeit bestanden habe, dass sich der Angeklagte ihr zuvor schon in ähnlicher Weise genähert und sexuelle Handlungen an ihr begangen haben könnte (UA 32).
9
Macht ein Zeuge in Bezug auf ein wenig vergessensanfälliges Erleben eine unter normalen Bedingungen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend, besteht Grund zu der Annahme, dass er dieses Thema meiden will und sein Aussageverhalten auch im Übrigen einer entsprechenden Steuerung unterliegt. Das Landgericht hätte daher erörtern müssen, ob die Nebenklägerin der Frage nach weiteren, insbesondere einvernehmlichen sexuellen Kontakten mit dem Angeklagten ausweichen wollte und – bejahendenfalls – inwieweit sich daraus Schlüsse auf eine entsprechende Steuerung ihrer Aussage auch in Bezug auf die Schilderung des Tatgeschehens ziehen lassen.
10
Die Erwägung, dass bei einer erfundenen Aussage eine „komplikationslose Verneinung“ der Frage nach einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu erwarten gewesen wäre, vermag die glaubwürdigkeitskritische Bedeutung der geltend gemachten Erinnerungslücke nicht zu entkräften. Zwar trifft es zu, dass ein falsche Anschuldigungen erhebender Zeuge häufig darauf bedacht sein wird, seine Einlassung von Schwächen freizuhalten (vgl. Niehaus in Volbert/ Steller, Handbuch der Rechtspsychologie, S. 314), sodass in dem Zugeständnis von Erinnerungslücken ein motivationsbezogenes Glaubhaftigkeitsmerkmal gesehen werden kann (vgl. Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. Rn. 732), doch kann dies nur für Erinnerungslücken gelten, die mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sind und deshalb auf eine ungesteuerte Aussageweise hindeuten. So liegt es hier aber gerade nicht.
11
Die Annahme des Landgerichts, die Nebenklägerin könnte im Unklaren darüber gewesen sein, ob sie schon zuvor von dem Angeklagten ohne ihr Wissen in ähnlicher Weise sexuell angegangen worden ist, findet in den Urteilsgründen keine Stütze und ist eine bloße Vermutung. Sie ist zudem unbehelflich, weil ein solcher sexueller Kontakt unfreiwillig gewesen wäre und es an dieser Stelle vornehmlich um die Frage ging, ob die Nebenklägerin freiwillig sexuelle Handlungen mit dem Angeklagten vorgenommen hat.
12
b) Die Wertung des Landgerichts, wonach sich „gerade auch in den be- stehenden Erinnerungslücken“ eine Konstanz in der Aussage der Nebenkläge- rin gezeigt habe (UA 30, 31), korrespondiert nicht in jeder Hinsicht mit allgemeinen Erfahrungssätzen.
13
Der Annahme, dass in der Übereinstimmung von Aussageinhalten in aufeinanderfolgenden Vernehmungen ein Indiz für das Vorliegen einer erlebnisbegründeten Aussage gesehen werden kann, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Beobachtungen realer Vorgänge und eigene Erlebnisse zuverlässiger gespeichert werden, als aus dem Allgemeinwissen zusammengesetzte oder von Dritten vorgegebene Inhalte (vgl. Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 51). Eine für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung bedeutsame Konstanz kann sich daher nur in Bezug auf hinreichend komplexe Sachverhaltsschilderungen ergeben (Greuel, Wirklichkeit-Erinnerung-Aussage, S. 38; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 53 ff.). Sie lässt sich dagegen nur mit Einschränkungen auf die wiederholte Äußerung stützen, zu einem bestimmten Geschehen nichts mehr zu wissen.
14
c) Die Bewertung der Abweichungen in den Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen weist einen Erörterungsmangel auf.
15
Die Nebenklägerin hat im Ermittlungsverfahren angegeben, bei dem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten auf der rechten Seite mit etwa rechtwinklig angewinkelten Beinen gelegen zu haben, während der Angeklagte auf dem Bett hinter ihr kniete und von hinten in sie eingedrungen sei. Ob sie tatsächlich auf der rechten Seite gelegen habe, könne sie nicht mehr mit Bestimmtheit sagen (UA 25). Bei der drei Wochen später erfolgten Exploration durch die Sachverständige war sich die Nebenklägerin hinsichtlich ihrer Lage auf dem Bett nicht mehr sicher. Sie gab an, dass sich „vor ihren Augen ein Bild entwickelt“ habe, nach dem sie auf dem Rücken gelegen und der Angeklagte sich über ihr befunden habe (UA 27). In der Hauptverhandlung erklärte die Nebenklägerin hierzu „dass sie gelegen und sich der Angeklagte über ihr be- funden habe. Ob sie dabei auf der rechten Seite gelegen habe, könne sie nicht mehr sagen“ (UA 19). Die vom Landgericht angehörte Sachverständige hat die- se Abweichungen für unbedenklich gehalten, weil die polizeiliche Aussage nicht zeitnah zu dem Tatgeschehen erfolgt und die Zeugin bestrebt gewesen sei, den Vorfall zu verdrängen (UA 29). Dem hat sich das Landgericht angeschlossen (UA 30) und weiter ausgeführt, dass bei einer Aussagekonstruktion zu erwarten gewesen wäre, dass die Nebenklägerin bestehende Unsicherheiten im Lauf der Vernehmungen ausräumt (UA 31).
16
Eine Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen stellt einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar, wenn sie nicht mehr mit natürlichen Gedächtnisunsicherheiten erklärt werden kann (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Bei der Schilderung von körpernahen Ereignissen ist im Allgemeinen zu erwarten, dass der Zeuge globale Körperpositionen bei der Haupthandlung auch über längere Intervalle in Erinnerung behält (Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., S. 53; Greuel, Wirklichkeit-Erinnerung-Aussage, S. 38 f.). Das Landgericht hätte sich daher näher damit auseinandersetzen müssen, dass die Nebenklägerin ihre eigene Gesamtkörperposition bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Vernehmungen abweichend geschildert hat. Mit einem Bemühen um Verdrängung ist dies nicht ohne Weiteres erklärbar.
17
d) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Falschaussagemotiv ausgeschlossen hat, stehen nicht im Einklang mit dem übrigen Beweisergebnis.
18
Das Landgericht hat in Betracht gezogen, dass die Nebenklägerin aufgrund der bei ihr festgestellten Schwangerschaft gegenüber ihrem Lebensgefährten ein schlechtes Gewissen bekommen und sich daraufhin zu rechtfertigen versucht haben könnte. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass für die Nebenklägerin im Fall einvernehmlicher sexueller Handlungen nicht die Not- wendigkeit bestanden hätte, sich ihrem Lebensgefährten anzuvertrauen. Sie habe sich nicht in einer Rechtfertigungssituation befunden, da die Vaterschaft ihres Lebensgefährten von keiner Seite angezweifelt worden sei. Die Offenbarung des Vorfalls habe vielmehr nur die Funktion gehabt, sich durch eine Aussprache von einem innerlich belastenden Erleben zu befreien. Ein einvernehmliches sexuelles Erleben mit dem Angeklagten hätte sie hingegen verschweigen können. Insofern deuteten die gewichtigeren Umstände darauf hin, dass ein sich stetig steigernder innerer Druck, der durch die Schwangerschaft entscheidend verstärkt worden sei, dazu geführt habe, dass sie sich ihrem Lebensgefährten habe anvertrauen müssen (UA 39).
19
Nach den Feststellungen hat die Nebenklägerin ihrem Lebensgefährten den Vorfall unmittelbar nach dem positiv verlaufenen Schwangerschaftstest offengelegt und dies gegenüber dem Angeklagten damit begründet, dass sie sich des genauen Zeitpunkts des Geschlechtsverkehrs mit ihm, dem Angeklagten , nicht mehr sicher sei und deshalb befürchte, er könne der Vater des Kindes sein (UA 11). Nichts anderes ergibt sich aus der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung (UA 20). Anlass für die Offenbarung war danach allein die konkrete Angst, infolge des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten schwanger geworden zu sein und nicht ein sich stetig steigernder innerer Druck. Die Erwägung, dass für die Nebenklägerin bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kein Grund bestanden hätte, sich ihrem Lebenspartner anzuvertrauen , geht vor diesem Hintergrund ebenso ins Leere, wie die Annahme, dass sie sich nicht in einer Rechtfertigungssituation befunden habe, weil bisher noch keine Zweifel in Bezug auf die Vaterschaft angemeldet worden seien.
20
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dazu wird es sich empfehlen, einen anderen Sachverständigen zu Rate zu ziehen.

II.


21
Sollte das Landgericht wieder zu einer Verurteilung gelangen, wird erneut eine nachträgliche Gesamtstrafe (§ 55 Abs. 1 StGB) gebildet werden müssen. Dazu sind die in dem früheren Urteil verhängten Einzelstrafen festzustellen , da allein sie in die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe einfließen und die Gesamtstrafe aus dem früheren Urteil aufgelöst wird (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1958 – 1 StR 312/58, BGHSt 12, 99; SSW-StGB/Eschelbach, § 55 Rn. 24).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 101/15
vom
2. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:0209152STR101.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. Dezember 2014, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; von dem Vorwurf weiterer vier Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit sechs Jahre alte Geschädigte jeweils ein Wochenende im April und im Mai 2014 gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder bei dem Angeklagten, ihrem Stiefvater. In jeweils einer Nacht zog der Angeklagte, der mit beiden Kindern auf einem Schlafsofa im Wohnzimmer schlief, der Geschädigten Schlafanzughose und Unterhose aus, streichelte sie zwischen den Beinen im Bereich der Scheide, streckte ihre angewinkelten Beine aus und rieb seinen Penis zwischen den Oberschenkeln des Kindes bis zum Samenerguss.
4
2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt, die es mit Hinweis auf Detailreichtum und aussageübergreifende Konstanz ihrer Angaben für glaubhaft erachtete. Von dem Vorwurf von vier weiteren sexuellen Übergriffen hat es den Angeklagten freigesprochen, weil die Angaben des Kindes zur Häufigkeit der Übergriffe nicht als verlässlich erschienen.

II.

5
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft.
6
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52).
7
Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159). Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, a.a.O., S. 158). Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 17. November 1998 - 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257). Darüber hinaus ist es in Fallkonstellationen, in denen die Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten, jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111; Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219).
8
2. Diesen besonderen Darlegungsanforderungen wird das angegriffene Urteil nicht in vollem Umfange gerecht.
9
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Wesentlichen auf die Angaben der zum Tatzeitpunkt sechs, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sieben Jahre alten Zeugin und auf die Annahme der Konstanz ihrer Angaben gestützt. Die Beweiserwägungen zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin sind jedoch in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.
10
aa) Es fehlt schon an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung der Aussagequalität und der Aussagekonstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht.
11
Zwar hat die Strafkammer im Rahmen der von ihr vorgenommenen Glaubhaftigkeitsprüfung dargelegt, dass die Zeugin „sich als ihrem Alter entsprechend aussagetüchtig gezeigt“ habe und grundsätzlich fähig sei, Ereignisse adäquat wahrzunehmen, sich daran zu erinnern und darüber zu berichten ; Schwächen seien vorhanden, soweit die Häufigkeit von Vorfällen oder deren zeitliche Einordnung in Frage stehe. Deshalb sei dem Umstand, dass die Zeugin ursprünglich abweichende Angaben zur Häufigkeit der Vorfälle gemacht und von einer größeren Zahl von Übergriffen gesprochen habe, als Teil ihrer zeitlichen Einordnungsschwäche anzusehen und daher unbedenklich; gleiches gelte für die unterschiedlichen Angaben zum Ort der Übergriffe, weil die Zeugin die aktuelle Wohnung des Angeklagten „letztlich auch als alleinigen Ort entsprechender Begebenheiten konkretisierte“ (UA S. 15).
12
Ob diese vom Landgericht angestellte Würdigung der unterschiedlichen Angaben der Zeugin mit der Annahme von Aussagekonstanz vereinbar ist, kann in Ermangelung einer geschlossenen Wiedergabe ihrer wesentlichen Angaben in der Hauptverhandlung nicht überprüft werden.
13
bb) Das Landgericht hat nicht übersehen, dass die Zeugin die sexuellen Übergriffe zunächst eher stereotyp dahin umschrieben hatte, dass sie nicht mehr zum Papa wolle, weil der „immer Sex mit ihr mache“, und dass sie zunächst berichtet hatte, der Angeklagte habe sich jeweils auf sie gelegt, "seinen Pipimann unten in sie reingesteckt" und sie habe dabei Schmerzen verspürt. Soweit das Landgericht ihre späteren, hiervon deutlich abweichenden und mit dem Kriterium der Konstanz schwerlich zu vereinbarenden Bekundungen in der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte mit seinem Gesicht ihr zugewandt den „Schenkelverkehr“ jeweils bis zum Samenerguss vollzogen habe, mit dem Hinweis darauf zu relativieren suchte, diese unterschiedlichen Darstellungen des Kerngeschehens beruhten auf dem „unterschiedlichen Vernehmungsfor- mat“ (UAS. 28) und auf dem erkennbaren Unbehagen der Zeugin, überhaupt über die Geschehnisse zu sprechen, lässt sich auch dies in Ermangelung der zusammenhängenden Wiedergabe ihrer Bekundungen in der Hauptverhandlung und in den früheren Vernehmungen nicht nachvollziehen.
14
Gleiches gilt für die Bewertung des Landgerichts, dass die unterschiedlichen Schilderungen unter Berücksichtigung des kindlichen Alters und der fehlenden Sexualkenntnisse der Zeugin ohne Weiteres miteinander vereinbar seien.
15
cc) Schließlich erscheinen auch die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung, die für die Bewertung kindlicher Zeugenaussagen von besonderer Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), als lückenhaft. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass die Mutter der Zeugin von einer durch die Schwester des leiblichen Vaters der Zeugin im Jahr 2005 erstatteten Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter wusste, dass sie in Kontakt mit der damaligen Anzeigeerstatterin stand und dass sie die Zeugin nach der erstmaligen Offenbarung der Geschehnisse durch sie zu der Frauenärztin brachte, die auch in dem damaligen Missbrauchsfall involviert war. Das Landgericht hat diesen Besonderheiten jede Beweisbedeutung mit dem Hinweis darauf abgesprochen, dass Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung fehlten. Es hat jedoch in diesem Zusammenhang nicht erkennbar erwogen, ob Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung des Kindes durch ihre Mutter bestehen, die den Inhalt ihrer Zeugenaussage beeinflusst haben kann.
16
3. Das Urteil beruht auf diesen Darlegungsmängeln. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu dem Hinweis, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu erwägen haben wird. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 582/99
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24. Juni 1999 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet. Der Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Verletzung von § 244 Abs. 4 2. Halbsatz StPO rügt.
Dazu ist folgendes Prozeßgeschehen festgestellt: Das Landgericht beauftragte eine Diplom-Psychologin der Universität H. mit der aussagepsychologischen Begutachtung der 17jährigen Hauptbelastungszeugin. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, die Aussage des Mädchens, sie sei vom Angeklagten vergewaltigt worden, sei glaubhaft. In der Hauptverhandlung beantragte die Verteidigung als weiteren Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. von der Universität D. zur Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin zu hören. Die Verteidigung behauptete unter Bezugnahme auf eine schriftliche Stellungnahme von Prof. Dr. S. , das Glaubwürdigkeitsgutachten der DiplomPsychologin sei zum Teil mit erheblichen Mängeln und Versäumnissen belastet.
Das Landgericht lehnte den Beweisantrag mit der Begründung ab, das Gegenteil der behaupteten Tatsachen sei durch die Anhörung der DiplomPsychologin bereits erwiesen. Die Sachkunde der Sachverständigen sei nicht zweifelhaft. Ihr Gutachten gehe nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus und enthalte keine Widersprüche. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich und solche auch nicht vorgetragen, daß der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfüge, die denen der gehörten Gutachterin überlegen erscheinen könnten.
Die Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Überprüfung stand.

II.


Der Ablehnungsbeschluß vom 4. Mai 1999 entspricht allerdings nicht den Anforderungen, die der Senat seit seinem Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR
618/98 -, NStZ 2000, 100 an die Begründung eines Beschlusses stellt, mit dem das Gericht trotz erhobener Einwände gegen die Sachkunde des Gutachters die Einholung eines weiteren aussagepsychologischen Gutachtens ablehnen kann.
1. Wird unter Bezugnahme auf eine kritische Würdigung des Erstgutachtens durch einen anderen Fachvertreter auf konkrete Mängel dieses Gutachtens hingewiesen, muß sich das Tatgericht mit den behaupteten Einwänden im einzelnen auseinandersetzen. Dieses Erfordernis gilt dann nicht, wenn die geltend gemachten Mängel nach anerkannten wissenschaftlichen Maßstäben offensichtlich nicht bestehen (BGH aaO S. 101). Dies gilt auch für Fälle, in denen – ohne nähere Kenntnis der gesamten Aktenlage – allein das schriftliche Sachverständigengutachten einer eher allgemein gehaltenen Methodenkritik ausgesetzt wird.
2. Der Senat ist den von der Verteidigung vorgebrachten Einwänden nachgegangen und hat das von der Revision vorgelegte schriftliche Gutachten der Diplom-Psychologin überprüft. Dies gibt dem Senat Anlaß klarzustellen, daß es sich bei den im Urteil vom 30. Juli 1999 niedergelegten methodischen Grundprinzipien für die aussagepsychologische Begutachtung um Prüfungsschritte handelt, nach denen der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige gedanklich arbeitet. Für die Beteiligten muß überprüfbar sein, auf welchem Weg der Sachverständige zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (BGH aaO S. 104). Die aussagepsychologischen Gutachten müssen nicht einheitlich einer bestimmten Prüfstrategie folgen und einen einheitlichen Aufbau haben. Die einzelnen Elemente der Aussagebegutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden. Es gilt
weiterhin der Grundsatz, daß es in erster Linie dem Sachverständigen überlassen ist, in welcher Art und Weise er sein Gutachten dem Gericht unterbreitet (BGH aaO S. 104).
3. Der Senat schließt aus, daß die in der Stellungnahme von Prof. Dr. S. behaupteten Mängel im Gutachten der Diplom-Psychologin zu einem falschen Gutachtenergebnis geführt haben:

a) Das Gutachten enthält allerdings keinen Bericht über die Aussage und deren Verlauf, der auf einem Wortprotokoll auf der Grundlage einer Tonband - oder Videoaufnahme beruht und aus dem die Fragen und Antworten hervorgehen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Juli 1999 ausgeführt : Im Interesse einer besseren Dokumentation sind “in der Regel” Audiound ggf. Videoaufnahmen zu erstellen (BGH aaO S. 104). Nur durch eine genaue Dokumentation kann eine Abschätzung erfolgen, welche Aussagequalitäten bei den Schlußfolgerungen zur Glaubhaftigkeitseinschätzung verwertet werden können. Enthält jedoch wie hier das Gutachten der Diplom-Psychologin einen umfangreichen, detailreichen Bericht über die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen , der auch Erzählanstöße aufweist und dem - unter Verwendung der indirekten Rede - mittelbar eine Anzahl der gestellten Fragen und Antworten zu entnehmen sind, entzieht dies jedenfalls den bis zur Entscheidung des Senats vom 30. Juli 1999 erstellten Gutachten die wissenschaftliche Grundlage nicht zwingend.

b) Gegenstand einer aussagepsychologischen Beurteilung ist allerdings nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit der Untersuchten im
Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft (BGH aaO S. 101). Dennoch lagen hier Besonderheiten vor, die es notwendig machten zu prüfen, ob wegen einer beim Tatopfer festgestellten Bulimie eine Beeinträchtigung der Fähigkeit der Zeugin zur Wahrnehmung, Speicherung und Reproduktion von komplexen Sachverhalten und zur Realitätskontrolle vorlag. Diese Prüfung ist erfolgt. Einschränkungen der Fähigkeiten der Geschädigten zu einer qualifizierten Aussage hat das Landgericht aufgrund der Aussage des als Zeugen gehörten Oberarztes Dr. K. vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim verneint.

c) Der Einwand, das Gutachten habe zur Klärung externer Einflüsse auf die Aussage die Alternativhypothese “bewußte oder irrtümliche Falschaussage” und die Aussagegenese nicht ausreichend berücksichtigt, ist nicht begründet.
Das Vorbringen richtet sich im Grunde gegen die von der Gutachterin verwendeten Prüfungselemente und die von ihr gewählte Prüfungsreihenfolge.
Nach den Gutachten der seinerzeit vom Senat gehörten Sachverständigen Prof. Dr. Steller und Prof. Dr. Fiedler, wie sie im Urteil vom 30. Juli 1999 mitgeteilt worden sind, soll der Gutachter den zu überprüfenden Sachverhalt an Hand von anerkannten Realkennzeichen auf einen realen Erlebnishintergrund untersuchen. Das erlangte Ergebnis ist durch die Bildung von Alternativhypothesen zu überprüfen. Mit dieser Hypothesenbildung soll überprüft werden, ob die im Einzelfall vorfindbare Aussagequalität durch sogenannte Parallelerlebnisse oder reine Erfindung erklärbar sein könnte. Die Nullhypothese sowie die in der Aussagebegutachtung im wesentlichen verwendeten Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsana-
lyse und der Fehlerquellen – bzw. der Motivationsanalyse sind gedankliche Arbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage. Sie sind nicht nur in einer Prüfungsstrategie anzuwenden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau.
Die gerichtlich bestellte Gutachterin hat nicht den Weg der Analyse des Aussageinhalts und der nachfolgenden Überprüfung der Ergebnisse durch Alternativhypothesen gewählt. Sie untersucht die Aussage der Geschädigten “formal und inhaltlich” unter dem Abschnitt “Spezielle Glaubwürdigkeit” und beginnt mit der Entstehung der Aussage. Dabei überprüft sie mögliche Motive, die auf eine Falschaussage hindeuten könnten. Die Diplom-Psychologin prüft ausführlich die “bewußte Falschaussage” und schließt diese aus, nachdem die Geschädigte am Tag nach dem Vorfall zu der Anzeige bei der Polizei gedrängt und dort sofort vernommen worden ist. Für die Prüfung der Alternative “Irrtümliche Falschaussage” bietet der zu prüfende Sachverhalt einer Vergewaltigung keinen Anlaß.
Die Diplom-Psychologin befaßt sich im Rahmen der Prüfung der Geschichte der Aussage – wenn auch nur kurz - auch mit der “Suggestionshypothese”. Sie schließt diese aus, weil in der Erstaussagesituation die Notwendigkeit einer Rechtfertigung vor der Mutter oder auf erwartete negative Reaktionen auf das Bekanntwerden des sexuellen Erlebnisses nicht bestanden habe.
Ihrer Prüfung legt die Gutachterin die Mitteilungen der Geschädigten an die Personen zugrunde, die das Tatopfer unmittelbar im Anschluß an die Tathandlung in einer Telefonzelle in unmittelbarer Nähe des Tatortes aufgefunden und befragt haben. Daß die kurz nach der Tat gemachte Aussage der Geschä-
digten auch konstant ist, belegt die Sachverständige an Hand der vor der Polizei gemachten Aussagen der Zeugen Sa. M. , Ma. und E. R. . Daß die Sachverständige sich auf die polizeilichen Vernehmungen der Zeugen stützt und ohne ausdrücklichen Auftrag des Gerichts keine eigenen informatorischen Anhörungen im Vorfeld durchgeführt hat, sieht der Senat wegen der im Urteil vom 30. Juli 1999 gemachten strafprozessualen Vorbehalte ausdrücklich nicht als Mangel des Gutachtens an (BGH aaO S. 103).
Der Senat schließt aus, daß die Sachverständige unter Berücksichtigung der objektiven Begleitumstände des Auffindens in der Telefonzelle (zerrissenes T-Shirt, Kratzspuren am Hals des Angeklagten) bei einem anderen methodischen Vorgehen zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre. Im übrigen hat das Landgericht der Aussagegenese nach dem Auffinden der Geschädigten in der Telefonzelle in seiner Beweiswürdigung breiten Raum gewidmet und hat durch eigenständige Würdigung der Zeugenaussagen die Möglichkeit einer Falschbezichtigung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

d) Soweit schließlich Prof. Dr. S. den Einwand erhebt, hinsichtlich der Feststellungen der Sachverständigen zur “Konstanz” der Aussage des Tatopfers als Zeugin bestünden erhebliche Zweifel, ist dies nicht näher ausgeführt. Die von der Dipolm-Psychologin angenommene Konstanz der Aussagen bei den wiederholten Vernehmungen wird im übrigen von den Feststellungen der Strafkammer bestätigt.

III.


Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Schäfer Herr RiBGH Dr. Maul ist wegen Granderath Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schäfer Nack Boetticher

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR113/14
vom
24. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. August 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der 9-jährige Nebenkläger S. an zwei nicht näher feststellbaren Tagen von Mitte August 2011 bis Mitte Oktober 2011 gemeinsam mit seinem damals 9-jährigen Verwandten M. den Angeklagten. Bei diesen Besuchen stimulierten sich der Nebenkläger und der Angeklagte jeweils gegenseitig manuell am entblößten erigierten Penis; beim zweiten Besuch nahm der Angeklagte entsprechende Handlungen auch mit dem Zeugen M. vor und führte zusätzlich bei diesem den Oralverkehr durch.
3
Der Angeklagte hat die Taten bestritten und eine Reihe von Falschbelastungsmotiven angeführt, die im Wesentlichen auf Auseinandersetzungen mit der Familie S. , insbesondere dem älteren Bruder des Nebenklägers, dem Zeugen Sc. , zurückzuführen seien. Das Landgericht sieht den Angeklagten ausschließlich aufgrund der Angaben des Zeugen M. als überführt an. Es hat den Sachver- halt festgestellt, den der Zeuge konstant geschildert hat, und die in der Aussage enthaltenen Divergenzen zugunsten des Angeklagten nicht zugrunde gelegt. Keines der vom Angeklagten genannten Falschbelastungsmotive habe einen engen Bezug zum Zeugen M. aufgewiesen; gegen die Einbindung des Zeugen M. in ein eventuelles Komplott der Familie S. spreche jeweils die Entstehungsgeschichte seiner Aussage und der des Zeugen Sc. . Die Angaben des Nebenklägers hat das Landgericht nicht herangezogen, weil sie Abweichungen im Kerngeschehen aufwiesen, detailarm seien und eine fremdsuggestive Beeinflussung durch den Zeugen Sc. , bei dem der Angeklagte im Sommer 2011 ebenfalls unter ähnlichen Umständen den Oralverkehr durchgeführt haben soll, nicht ausgeschlossen werden konnte.
4
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Würdigung der Aussage des von der Strafkammer als einzigen Belastungszeugen herangezogenen Zeugen M. erfüllt die insofern geltenden strengen Anforderungen nicht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., und vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12 – sowie Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19 und 119).
5
a) Die Urteilsgründe enthalten schon keine zusammenhängende Darstellung der Aussage des Zeugen M. mit den zugehörigen Details, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den im Einzelnen festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden, Abweichungen in der eigenen Aussage des Belastungszeugen für das Revisionsgericht überprüfbar machen. Hinzu kommt, dass das Landgericht zwar keine Feststellungen auf die Angaben des Nebenklägers gestützt hat; es hat sich aber auch nicht damit auseinandergesetzt , ob diese insgesamt der Glaubhaftigkeit der zugrunde gelegten Angaben entgegenstehen könnten.
6
b) Das Landgericht befasst sich zudem nur beiläufig mit der Entstehungsgeschichte der Aussagen des Zeugen M. und des Nebenklägers, ohne sie näher auszuführen. Namentlich teilen die Urteilsgründe nicht mit, wie es zur Aufdeckung der Taten und zur Anzeigeerstattung kam. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt aber gerade bei der Bewertung kindlicher Zeugen in Missbrauchsfällen besondere Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1997 – 3 StR 558/97, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3). Ihre Darstellung war hier gerade mit Blick auf das von dem Angeklagten behauptete Familienkomplott und den Tatvorwurf Sc. betreffend unentbehrlich.
7
Der Zeuge M. ist erstmals am 13. Januar 2012 polizeilich vernommen worden. Ausgangspunkt für seine Vernehmung waren die Angaben des Nebenklägers in dessen polizeilicher Vernehmung vom 9. Januar 2012. Das Landgericht hätte deshalb darstellen müssen, welche Angaben der Nebenkläger in dieser vorangegangenen Vernehmung gemacht hat und wie es wiederum zur Entstehung und Entwicklung dieser Aussage kam.
8
Am 16. Januar 2012 ist dann der Zeuge Sc. zu dem ihn betreffenden (von der Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellten) Missbrauchsvorwurf gegen den Angeklagten polizeilich vernommen worden. Dieser enge zeitliche Zusammenhang seiner Vernehmung mit den polizeilichen Vernehmungen der geschädigten Kinder, die Ähnlichkeit der Tatvorwürfe und der Umstand, dass sich um die Familie des Nebenklägers, insbesondere um seinen Bruder , eine Reihe von möglichen Falschbelastungsmotiven rankt, hätten es erfordert, auch ihn betreffend Aussageentstehung und -entwicklung eingehender darzustellen und insbesondere auch in diesem Zusammenhang die Umstände und den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung im Einzelnen darzulegen.
9
c) Schließlich ist die Feststellung, der Zeuge M. habe vor seiner Vernehmung mit niemandem über das Geschehen gesprochen (UA S. 17), durchgrei- fenden Zweifeln unterworfen. Insbesondere wäre zu erörtern gewesen, ob und inwieweit zwischen dem Zeugen M. und dem Nebenkläger Gespräche über die gemeinsam erlebten Taten, deren Aufdeckung und das Ermittlungsverfahren stattgefunden haben, um eine gegenseitige Beeinflussung der Zeugen – auch vor dem Hintergrund einer möglichen Fremdsuggestion durch den Zeugen Sc. (vgl. UA S. 19) – ausschließen zu können. Zudem erscheint die Annahme, dass die von der Polizei über den wesentlichen Inhalt der Aussage des Nebenklägers informierten Eltern des Zeugen M. vor dessen Vernehmung ihren Sohn nicht auf die Vorwürfe angesprochen haben sollen, schon nach der Lebenserfahrung zweifelhaft. Insoweit verweist der Senat ergänzend auf den Revisionsvortrag im Zusammenhang mit einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge.
10
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts des Alters der zur Tatzeit kindlichen Zeugen und der gesamten Begleitumstände wird das neue Tatgericht die Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten ernsthaft zu erwägen haben.
11
Der Senat weist darauf hin, dass die Aussagen des Nebenklägers und des Zeugen Sc. durchaus geeignet sein könnten, die Angaben des Zeugen M. zu stützen. Dies setzt freilich eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten gegenseitiger Beeinflussung der drei Zeugen voraus.
Basdorf Schneider Dölp
Berger Bellay
5 StR 63/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. März 2012

beschlossen:
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 25. Oktober 2011 gewährt.
Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts misshandelte der Angeklagte seine damalige Lebensgefährtin M. „nicht mehr näher be- stimmbaren Tagen im Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 1. August 2010“ zunächst körperlich, indem er einen Aschenbecher gegen ihren Körper warf, sie mit einer Holzlatte schlug, ihr mehrfach mit dem Fuß in die Rippen trat und ihr mit dem Handrücken auf die Oberlippe schlug (Tat 1). Einige Tage danach zwang er sie gegen ihren Willen mit Gewalt zum Analverkehr (Tat 2).
Nachdem die Geschädigte den Angeklagten nach diesen Vorfällen zunächst verlassen hatte, später jedoch wieder zu ihm zurückgekehrt war, vollzog der Angeklagte im genannten Zeitraum neuerlich gegenihren Willen gewaltsam mit ihr den Analverkehr (Tat 3).
3
Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten. Er habe M. nicht geschlagen; zu den zwischen ihnen ausgeübten Sexualpraktiken habe auch der einvernehmliche Analverkehr gehört. Das Landgericht stützt die Verurteilungen zu den Taten 2 und 3 ausschließlich auf die Bekundungen der Geschädigten M. , deren Aussagetüchtigkeit wegen ihrer Polytoxikomanie von einer Sachverständigen begutachtet worden war.
4
2. Das Urteil hält aufgrund von Mängeln in der Beweiswürdigung sachlich -rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Das Landgericht hat es bereits rechtsfehlerhaft unterlassen, den Aussageinhalt der Zeugin im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung näher mitzuteilen. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., und vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256; siehe auch Brause NStZ 2007, 505, 509 f.) müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird. Daran fehlt es.
6
Insbesondere hat das Landgericht die Gründe nicht vollständig dargelegt und erörtert, warum der Geschädigten eine nähere zeitliche Einordnung der Taten nicht möglich gewesen sei. Die Strafkammer stellt – sachverständig beraten – dazu nur fest, dass durch den Drogenkonsum die Wahrnehmungs - und Merkfähigkeit der Zeugin nicht beeinträchtigt gewesen sei; Erinnerungsdefizite in der zeitlichen Einordnung der Taten seien dadurch erklärbar , dass sie als Drogenkonsumentin mehr auf ihre Versorgung mit der Droge geachtet und alles andere ausgeblendet habe. Die Zeugin habe über weite Strecken ihres Lebens in den Jahren 2008 bis 2010 über keinen feststehenden Tagesrhythmus mehr verfügt. Das ist bei dem besonders weiten Tatzeitraum allzu pauschal.
7
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Taten 1 und 2 in der Anklageschrift auf den Zeitraum Januar oder Februar 2009 und die Tat 3 auf Juli oder August 2009 datiert wurden. Es wird nicht dargelegt und erörtert, warum die Zeugin, auf deren (früheren) Angaben die Anklageschrift ausschließlich basieren kann, die Einordnung der Tatzeiten nunmehr auf den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 1. August 2010 abänderte.
8
b) Einer näheren Darstellung und Erörterung hätten zudem bereits die Umstände bedurft, die zur Anzeigeerstattung geführt haben, um etwaige Falschbelastungsmotive seitens der Zeugin M. beurteilen zu können. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass M. den Angeklagten Anfang August 2010 endgültig verlassen, ihn aber nicht angezeigt habe, weil sie auch ihre eigene Strafverfolgung wegen ihres Drogenkonsums befürchtet habe. Nachdem sie ihren neuen Freund R. kennengelernt habe, habe sie die Vorfälle vergessen und die Sache auf sich beruhen lassen wollen. Erst als R. am 21. Dezember 2010 vom Angeklagten in einem Internet-Café mit einem Billard-Queue angegriffen worden sei und R. - ihr davon berichtet habe, habe sie sich aus einem „Schutzbedürfnis“ die- sem gegenüber zur Strafanzeige entschlossen.
9
Das Landgericht teilt Einzelheiten des Vorfalls vom 21. Dezember 2010 nicht mit. Es bleibt unklar, was im Einzelnen geschehen ist und wie es zur Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und R. gekommen ist. Ob der Angeklagte und, wenn ja, wie er sich hierzu eingelassen hat, bleibt unerörtert. Auch etwaige Gesprächsinhalte zwischen R. und M. werden nicht dargestellt. Die Aussage R. s wird nicht ansatzweise dargelegt; es wird lediglich festgestellt, dass für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten spreche, dass deren Aussage mit den „glaubhaften Angaben“ von R. „korrespondiere“.
10
c) Auch die Beweiswürdigung zu Tat 1 begegnet durchgreifenden Bedenken. Zwar liegt insoweit eine „Aussage gegen Aussage“-Konstellation nicht vor, weil die Misshandlung der Geschädigten M. teilweise in Gegenwart des Zeugen W. stattgefunden hat. Welchen Geschehensablauf dieser Zeuge aber selbst wahrgenommen hat – ein großer Teil der Misshandlungen hat nach den Feststellungen in einem verschlossenen Nebenzimmer stattgefunden – teilt das Landgericht nicht mit. Es kann damit nicht beurteilt werden, weswegen die Aussage der Geschädigten mit der des Zeugen W. „korrespondiert“.
Basdorf Raum Brause Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 15/14
vom
13. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der schweren Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


3
1. Die zugelassene Anklage legt der Angeklagten zur Last, sie habe dem Geschädigten, mit dem sie seit zehn Jahren mit dem gemeinsamen Sohn in einer seit längerem kriselnden Beziehung lebte und von dem sie sich habe trennen und aus der Wohnung ausziehen wollen, am Nachmittag des 13. Juni 2012, als der Geschädigte im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung auf der Couch ein Telefongespräch geführt habe, eine Schüssel kochenden Wassers mit den Worten über den Körper geschüttet: „Du willst mich umbringen – aber bevor Du das tust, mache ich es!“ Der Geschädigte habe dadurch Verbrennun- gen zweiten Grades beider Arme und der Brustvorderseite erlitten, wobei die Gesamtfläche der verbrannten Körperfläche bei 10 % gelegen habe. Die Verbrennungen seien zwar ausgeheilt; es seien jedoch sichtbare Narben und ein erheblicher Farbunterschied der Haut verblieben, der bei dem Geschädigten als Schwarzafrikaner besonders ins Auge falle.
4
2. Die Angeklagte hat die ihr zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, sie sei zwar mit der Schüssel kochend heißen Wassers in das Wohnzimmer gegangen, habe dort jedoch nur Kaffee zubereiten wollen, weil sie müde gewesen sei und sich in der Küche keine Sitzgelegenheit befunden habe. Als sie das Wohnzimmer betreten habe, sei der Geschädigte aufgestanden und habe sich, weiter telefonierend, vor sie gestellt. Dann habe er an der Schüssel gezogen, weshalb ein Gerangel entstanden sei. Dabei sei das Wasser auf ihn gekippt, die Schüssel sei hingefallen. Der Geschädigte habe sie, die Angeklagte , daraufhin geschlagen.
5
3. Trotz verbleibender Zweifel an der Darstellung des Geschehens durch die Angeklagte hat das Landgericht die Angeklagte freigesprochen, weil es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konkrete Feststellungen zum Tatablauf nicht zu treffen vermochte. Die Angaben des Geschädigten, bei dem es sich um den einzigen Belastungszeugen handele, seien nicht überzeugend gewesen ; die Strafkammer habe sich auf der Grundlage seiner Angaben kein Bild zum Geschehensablauf machen können. Er habe insbesondere nicht nachvollziehbar schildern können, warum die Angeklagte plötzlich mit einer Schüssel kochend heißen Wassers ins Wohnzimmer gekommen sei und gerufen habe, dass, wenn er vorhabe, sie umzubringen, sie es tue. Der Gesprächspartner des Geschädigten am Telefon habe zum konkreten Geschehensablauf keine Angaben machen können. Er habe den Geschädigten lediglich während des Gesprächs plötzlich schreien gehört, dass die Angeklagte ihn mit Wasser überschüttet habe und ihn umbringen wolle. Danach sei weder auszuschließen, dass die Angeklagte bewusst und willentlich das kochend heiße Wasser über den Körper des Geschädigten geschüttet habe, noch, dass das Wasser in einem Gerangel zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten unbeabsichtigt auf dessen Körper gelangt sei.

II.


6
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.
7
1. Zum einen beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht, dass die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten enthalten.
8
a) Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind. Das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in je- der Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 11. März 2010 – 4 StR 22/10, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 16, Tz. 7 mwN).
9
b) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu deren Lebenslauf , Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen , ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus dem Anklagevorwurf. Er betrifft eine Handlung, die sich innerhalb der zwischen ihr und dem Geschädigten bestehenden, langjährigen Lebenspartnerschaft ereignet haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheblichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeit der Beteiligten, insbesondere des jeweiligen Beschuldigten, und seinen individuellen Lebensumständen unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungsentwicklung Bedeutung auch für die Beurteilung des Tatvorwurfs zukommen kann. Detaillierte Feststellungen und Erörterungen waren hier umso mehr geboten, als der vom Landgericht mitgeteilte Anklagevorwurf davon ausgeht , in der Beziehung zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten habe es bereits seit längerem gekriselt; die Angeklagte habe sich vom Tatopfer trennen und aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen wollen.
10
2. Auch die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es fehlt an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen des Nebenklägers.
11
a) Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, in den Urteilsgründen Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen einer schwierigen Beweislage , etwa dann, wenn Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Re- visionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler verwehrt ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, Tz. 14).
12
b) Gemessen daran durfte sich das Landgericht im vorliegenden Fall nicht darauf beschränken, die Angaben des Geschädigten lediglich zusammenfassend dahin zu würdigen, diese seien nicht überzeugend gewesen und die Strafkammer habe sich auch unter Berücksichtigung der Angaben des Nebenklägers kein Bild vom Geschehensablauf machen können. Dies ergibt sich schon daraus, dass die aus § 261 StPO abzuleitenden Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen bei einem freisprechenden Urteil regelmäßig nicht geringer sind als im Fall der Verurteilung (BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 – 2 StR 507/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 27 mwN). Gerade im vorliegenden Fall hätte sich das Landgericht in besonderer Weise dazu gedrängt sehen müssen, die Zeugenaussage des Nebenklägers in ihren wesentlichen Teilen in den Urteilsgründen wiederzugeben und nachfolgend unter Berücksichtigung der Einlassung der Angeklagten einer eingehenden Würdigung zu unterziehen; ausweislich der Urteilsgründe ist es selbst von einer schwierigen, einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zumindest nahe kommenden Beweislage ausgegangen.

III.


13
Das angefochtene Urteil hat schon aus den dargelegten Gründen keinen Bestand, weshalb die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. Ob die vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat vom 20. Januar 2014 erhobenen weiteren Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifende Rechtsfehler aufzeigen, kann deshalb offen bleiben.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 94/14
vom
7. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts folgte der Angeklagte der 44jährigen B. , die er kurz zuvor an der Theke eines Lokals zum ersten Mal angesprochen hatte, in den Vorraum der dortigen Toilette und „verlangte von ihr, ihm ‚einen zu blasen‘“. B. lehnte ab und „forderte ihn mit derben Worten auf“, sie in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte öffnete daraufhin seine Hose, packte die Geschädigte „fest an den Haaren, drückte den Kopf der sich sträubenden Geschädigten hinunter und zwang sie so, seinen ungeschützten Penis in den Mund zu nehmen“. Die Geschädigte wehrte sich. Es gelang ihr, sich wegzudrehen. Sie bat den Angeklagten weinend , er möge sie in Ruhe lassen. Der Angeklagte griff ihr jedoch fest an das TShirt , das dabei einriss, und stieß sie gegen die Toilettenwand, um den Oralverkehr fortzusetzen. Auch schlug er mehrfach auf die Geschädigte ein. Als die Barfrau des Lokals wegen lauter Schreie im Toilettenraum erschien, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab.
3
b) Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt. Mit der Geschädigten, die ihm unbekannt gewesen sei, habe er zwar ein paar Worte gewechselt; er habe sie aber „weder im Toilettenraum getroffen noch dort vergewaltigt“.
4
Die Strafkammer ist dieser Einlassung nicht gefolgt. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingeschlagen und seinen erigierten Penis in Höhe des Gesichts der vor ihm knieenden Geschädigten gehalten habe, habe auch die (tatunbeteiligte) glaubwürdige Barfrau bezeugt. Die in Augenschein genomme- nen Bilder der Überwachungskamera bestätigten ebenfalls „den äußeren Ablauf der Geschehnisse“, wonach der Angeklagte der Geschädigten in den Toilettenbereich folgte, einige Minuten später die Barfrau nachkam und wenige Sekunden darauf die Geschädigte mit zerrissenem T-Shirt im Gastraum erschien und eilig das Lokal verließ. Schließlich habe die glaubwürdige Geschädigte das Geschehen – so wie festgestellt – geschildert, insbesondere hinsichtlich des ihr gegenüber erzwungenen Oralverkehrs.
5
2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil sich das Landgericht im Urteil nicht mit der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung erschöpfend auseinandergesetzt habe, und der aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. März 2014 in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, kommt es deshalb nicht an. Der Senat kann demzufolge auch dahingestellt sein lassen, ob dem Revisionsvortrag nicht (auch) die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu entnehmen sein könnte.
6
a) Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich des sexuellen Übergriffs des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
aa) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder widersprüchlich ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rdn. 3 und 38). Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, Rn. 13, zit. nach juris). Bei einer Aussagegegen -Aussage-Konstellation hat der Tatrichter zudem grundsätzlich im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegung einzubeziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rdn. 11a, jeweils mwN).
8
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Soweit es den erzwungenen Oralverkehr betrifft, ist die Geschädigte alleinige Zeugin; außerhalb ihrer Zeugenaussage bestehende Indizien für einen vollendeten sexuellen Übergriff des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung auch damit befasst, ob der Angeklagte die Geschädigte – wie von ihr behauptet – zeitgleich vaginal zu vergewaltigen versucht habe; dieses Geschehen hat das Landgericht indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit als bewiesen erachtet. Denn nicht auszuschließen sei, dass die Geschädigte, die zum Tatzeitpunkt unter Drogeneinfluss (Alkohol und Kokain) gestanden habe, in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Soweit es dagegen den erzwungenen Oralverkehr betrifft , sei – so das Landgericht – die Aussage der Geschädigten im Kern glaubhaft. „Auch wenn sie zum Tatzeitpunkt unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, so hatte sie daran doch zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen, sondern es von Anfang an als stets im Vordergrund stehenden und für sie besonders bedrü- ckenden Umstand hervorgehoben“.
10
Mit dieser für sich genommen schon kaum nachvollziehbaren Bewertung wird die unterschiedliche Behandlung beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit der Geschädigten, die zudem – was das Landgericht freilich gesondert erörtert – „ersichtlich falsche und widersprüchliche Angaben zur Tatörtlichkeit gemacht“ habe, nicht widerspruchsfrei dargelegt. Die Bewertung des Landgerichts, der (von der Geschädigten behauptete) erzwungene Oralverkehr sei gegenüber dem (von ihr behaupteten) erzwungenen Vaginalverkehr ein bedrückenderer Umstand gewesen, ist nicht mit Anknüpfungstatsachen belegt. Dieser Schluss liegt auch nicht auf der Hand. Weshalb die Aussage der Geschädigten trotz beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit gleichwohl im festgestellten Umfang als glaubhaft angesehen wurde, erschließt sich nicht.
11
Hinzu kommt hier, dass es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei fehlt. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswür- digung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
12
Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Etwaige Bekundungen der Geschädigten zum Kerngeschehen werden dagegen nicht mitgeteilt.
13
Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr erwähnten "Abweichungen" zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZRR 1997, 172).
14
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung lässt auch die – von diesem Rechtsfehler nicht betroffene – Verurteilung wegen der tateinheitlich dazu begangenen (vorsätzlichen) Körperverletzung entfallen (Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 12 mwN).
15
3. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sichausführlich mit allen Filmsequenzen der Videoaufzeichnung der Überwachungskamera zu befassen haben. Fischer Schmitt Eschelbach Ri'inBGH Dr. Ott ist an Zeng der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 11. September 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall Ziffer 4 der Anklage freigesprochen wurde.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Mit Urteil vom 24. Januar 2012 hatte das Landgericht den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Senat hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 12. September 2012 (2 StR 219/12) wegen der Verletzung formellen Rechts auf.

2

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; ebenso die gegen den Freispruch im Fall Ziffer 4 der Anklage gerichtete Revision der Nebenklägerin.

I.

3

1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit 10jährige Geschädigte die Herbstferien 2001 mit dem Angeklagten in dessen Wohnung, nachdem ihre Mutter, die sie zunächst begleitet hatte, eines Morgens unerwartet abreisen musste. Den Tag der Abreise verbrachte die Geschädigte sodann mit dem Angeklagten und dessen 11jährigem Sohn, der gegen Abend ebenfalls die Wohnung verließ. Der Angeklagte sah sich mit der Geschädigten zunächst einen Videofilm an, bevor er ihr einen Zungenkuss gab, sie anschließend auszog und mit ihr den Vaginalverkehr vollzog (Fall II. 1. der Urteilsgründe - Ziff. 1 der Anklage). Einige Wochen später übernachtete die Geschädigte zusammen mit ihrer Mutter erneut in der Wohnung des Angeklagten. Am frühen Morgen betrat der Angeklagte das Zimmer, in dem die Geschädigte alleine schlief. Er streichelte sie an der unbedeckten Brust. Als er Geräusche der Mutter aus dem Nebenzimmer hörte, hielt er inne und verließ das Zimmer (Fall II. 2. der Urteilsgründe - Ziff. 3 der Anklage).

4

2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt und sich dabei unter anderem auf die Konstanz ihrer Angaben im Hinblick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt gestützt.

5

Von dem Tatvorwurf, während des Ferienaufenthalts im Oktober 2001 mit der Geschädigten einen weiteren Vaginalverkehr vollzogen (Ziff. 2 der Anklage) sowie dem weiteren Vorwurf, an einem Nachmittag Anfang 2002 versucht zu haben, die Geschädigte in seinem Ladengeschäft zu küssen (Ziff. 4 der Anklage), hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die Geschädigte konnte sich - anders als bei früheren Vernehmungen - nur noch an einen mit dem Angeklagten vollzogenen Geschlechtsverkehr erinnern. Darüber hinaus schilderte sie einen Besuch im Ladengeschäft des Angeklagten, bei dem er sie geküsst, an der Brust gestreichelt und ihr den Finger in die Scheide eingeführt habe, wobei sie einräumte, dass dieser erstmals von ihr geschilderte Vorfall auch zu einem anderem Zeitpunkt passiert sein könne.

II.

6

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, nicht ankommt.

7

Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f.; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928).

9

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil es jedenfalls an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin fehlt, so dass die vom Landgericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsgerichtlich nicht überprüft werden kann.

10

Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - die Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin beruht und diese sich entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, müssen aber jedenfalls die entscheidenden Teile ihrer bisherigen Aussagen in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

11

Zwar hat das Landgericht die von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung erfolgte Aussage ausführlich geschildert. Es fehlt jedoch an einer zusammenhängenden Darstellung ihrer davon abweichenden früheren Angaben bei der Polizei. In den Urteilsgründen wird insoweit lediglich mitgeteilt, dass der Nebenklägerin Teile ihrer früheren Aussage vorgehalten wurden und dass sich die beiden Vernehmungsbeamtinnen auch auf Vorhalt nicht an Einzelheiten erinnern konnten. Gar nicht dargestellt wird, was die Geschädigte im Rahmen der vorangegangenen Hauptverhandlung, aufgrund derer der Angeklagte vollumfänglich verurteilt worden war, ausgesagt hat.

12

Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei aufgezeigten abweichenden Erinnerungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172).

III.

13

Die Revision der Nebenklägerin, die sich allein gegen den Freispruch des Angeklagten im Fall Ziff. 4 der Anklage richtet, hat ebenfalls Erfolg.

14

Die Beweiswürdigung des Landgerichts wird den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nicht gerecht, denn auch insoweit fehlt es an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin.

Fischer     

Schmitt     

RiBGH Dr. Eschelbach
ist aus tatsächlichen Gründen
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Fischer

Ott     

Zeng     

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 101/15
vom
2. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:0209152STR101.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. Dezember 2014, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; von dem Vorwurf weiterer vier Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit sechs Jahre alte Geschädigte jeweils ein Wochenende im April und im Mai 2014 gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder bei dem Angeklagten, ihrem Stiefvater. In jeweils einer Nacht zog der Angeklagte, der mit beiden Kindern auf einem Schlafsofa im Wohnzimmer schlief, der Geschädigten Schlafanzughose und Unterhose aus, streichelte sie zwischen den Beinen im Bereich der Scheide, streckte ihre angewinkelten Beine aus und rieb seinen Penis zwischen den Oberschenkeln des Kindes bis zum Samenerguss.
4
2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt, die es mit Hinweis auf Detailreichtum und aussageübergreifende Konstanz ihrer Angaben für glaubhaft erachtete. Von dem Vorwurf von vier weiteren sexuellen Übergriffen hat es den Angeklagten freigesprochen, weil die Angaben des Kindes zur Häufigkeit der Übergriffe nicht als verlässlich erschienen.

II.

5
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft.
6
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52).
7
Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159). Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, a.a.O., S. 158). Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 17. November 1998 - 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257). Darüber hinaus ist es in Fallkonstellationen, in denen die Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten, jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111; Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219).
8
2. Diesen besonderen Darlegungsanforderungen wird das angegriffene Urteil nicht in vollem Umfange gerecht.
9
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Wesentlichen auf die Angaben der zum Tatzeitpunkt sechs, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sieben Jahre alten Zeugin und auf die Annahme der Konstanz ihrer Angaben gestützt. Die Beweiserwägungen zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin sind jedoch in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.
10
aa) Es fehlt schon an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung der Aussagequalität und der Aussagekonstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht.
11
Zwar hat die Strafkammer im Rahmen der von ihr vorgenommenen Glaubhaftigkeitsprüfung dargelegt, dass die Zeugin „sich als ihrem Alter entsprechend aussagetüchtig gezeigt“ habe und grundsätzlich fähig sei, Ereignisse adäquat wahrzunehmen, sich daran zu erinnern und darüber zu berichten ; Schwächen seien vorhanden, soweit die Häufigkeit von Vorfällen oder deren zeitliche Einordnung in Frage stehe. Deshalb sei dem Umstand, dass die Zeugin ursprünglich abweichende Angaben zur Häufigkeit der Vorfälle gemacht und von einer größeren Zahl von Übergriffen gesprochen habe, als Teil ihrer zeitlichen Einordnungsschwäche anzusehen und daher unbedenklich; gleiches gelte für die unterschiedlichen Angaben zum Ort der Übergriffe, weil die Zeugin die aktuelle Wohnung des Angeklagten „letztlich auch als alleinigen Ort entsprechender Begebenheiten konkretisierte“ (UA S. 15).
12
Ob diese vom Landgericht angestellte Würdigung der unterschiedlichen Angaben der Zeugin mit der Annahme von Aussagekonstanz vereinbar ist, kann in Ermangelung einer geschlossenen Wiedergabe ihrer wesentlichen Angaben in der Hauptverhandlung nicht überprüft werden.
13
bb) Das Landgericht hat nicht übersehen, dass die Zeugin die sexuellen Übergriffe zunächst eher stereotyp dahin umschrieben hatte, dass sie nicht mehr zum Papa wolle, weil der „immer Sex mit ihr mache“, und dass sie zunächst berichtet hatte, der Angeklagte habe sich jeweils auf sie gelegt, "seinen Pipimann unten in sie reingesteckt" und sie habe dabei Schmerzen verspürt. Soweit das Landgericht ihre späteren, hiervon deutlich abweichenden und mit dem Kriterium der Konstanz schwerlich zu vereinbarenden Bekundungen in der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte mit seinem Gesicht ihr zugewandt den „Schenkelverkehr“ jeweils bis zum Samenerguss vollzogen habe, mit dem Hinweis darauf zu relativieren suchte, diese unterschiedlichen Darstellungen des Kerngeschehens beruhten auf dem „unterschiedlichen Vernehmungsfor- mat“ (UAS. 28) und auf dem erkennbaren Unbehagen der Zeugin, überhaupt über die Geschehnisse zu sprechen, lässt sich auch dies in Ermangelung der zusammenhängenden Wiedergabe ihrer Bekundungen in der Hauptverhandlung und in den früheren Vernehmungen nicht nachvollziehen.
14
Gleiches gilt für die Bewertung des Landgerichts, dass die unterschiedlichen Schilderungen unter Berücksichtigung des kindlichen Alters und der fehlenden Sexualkenntnisse der Zeugin ohne Weiteres miteinander vereinbar seien.
15
cc) Schließlich erscheinen auch die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung, die für die Bewertung kindlicher Zeugenaussagen von besonderer Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), als lückenhaft. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass die Mutter der Zeugin von einer durch die Schwester des leiblichen Vaters der Zeugin im Jahr 2005 erstatteten Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter wusste, dass sie in Kontakt mit der damaligen Anzeigeerstatterin stand und dass sie die Zeugin nach der erstmaligen Offenbarung der Geschehnisse durch sie zu der Frauenärztin brachte, die auch in dem damaligen Missbrauchsfall involviert war. Das Landgericht hat diesen Besonderheiten jede Beweisbedeutung mit dem Hinweis darauf abgesprochen, dass Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung fehlten. Es hat jedoch in diesem Zusammenhang nicht erkennbar erwogen, ob Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung des Kindes durch ihre Mutter bestehen, die den Inhalt ihrer Zeugenaussage beeinflusst haben kann.
16
3. Das Urteil beruht auf diesen Darlegungsmängeln. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu dem Hinweis, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu erwägen haben wird. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 486/02
vom
28. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h. c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Roggenbuck,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27. Juni 2002 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 2. Juni 1999 wegen sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das angefochtene Urteil, das nach Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens ergangen ist, hat die Verurteilung durch das Landgericht Darmstadt aufrechterhalten. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte lernte Ende 1996 die Zeugin H.-P., das spätere Tatopfer kennen und bezog mit ihr im August 1997 eine gemeinsame Wohnung. Da sich das Zusammenleben aber nicht befriedigend gestaltete, trennte sich die Zeugin von ihm nach ca. drei bis vier Monaten und suchte sich eine eigene Wohnung. Der Angeklagte akzeptierte die Trennung nicht. Er verfolgte die Zeugin mit Anrufen , suchte sie in ihrer neuen Wohnung auf und drohte ihr, sie und ihre Tochter umzubringen. Er belästigte die Zeugin auch, wenn sie sich in der Wohnung ihrer Schwester aufhielt. Dennoch verbrachte die Zeugin mit ihm im April/Mai 1998 einen Urlaub in der Türkei. Während sie anschließend für einige Monate ihr Heimatland Iran besuchte, befreundete sich der Angeklagte mit seiner jetzigen Lebensgefährtin, einer Niederländerin, bei der er auch den Juli 1998 verbrachte. Trotz dieser neuen Beziehung rief er die Schwester der Zeugin mehrfach an, um sich nach der Rückkehr der Zeugin zu erkundigen, und nach deren Rückkehr am 10. August 1998 auch diese selbst, um mit ihr zu reden und sich mit ihr zu verabreden. Am 24. August 1998 ließ er der Zeugin, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Wohnung ihrer Schwester aufhielt, durch diese ausrichten, daß sie herunterkommen solle. Als sie daraufhin das Fenster der Wohnung öffnete und heraussah, beschimpfte er sie und drohte ihr, sie umzubringen , wenn sie nicht komme. Zwei Tage später suchte er die Wohnung der Zeugin auf und forderte sie auf, zu einem letzten Gespräch herunterzukommen. Um Aufsehen in der Nachbarschaft zu vermeiden, folgte die Zeugin der Aufforderung und setzte sich in das Auto des Angeklagten. Unvermittelt fuhr der Angeklagte los. Er drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie nicht mit zu ihm nach Hause komme. In der von ihm gemeinsam mit dem Zeugen H. bewohnten Wohnung ging er mit der Zeugin in sein Zimmer, wo man sich zunächst unterhielt. Der Angeklagte drückte plötzlich die auf dem Bett des Angeklagten sitzende Zeugin nach hinten, hielt ihre Hände mit der linken Hand fest, zog ihr mit
Gewalt Leggings und Slip herunter und vollzog gegen ihren Willen mit ihr den Geschlechtsverkehr. Als die Zeugin die Leggings danach wieder anziehen wollte, zerriß er diese, um sie am Weggehen zu hindern, auch nahm er der Zeugin die von ihr mitgebrachten 50,-- DM weg, um ihr kein Geld für die Heimfahrt zu lassen. Der Zeugin gelang jedoch die Flucht, als der Angeklagte ins Bad ging. Er folgte ihr noch, erreichte sie aber nicht mehr. Die Zeugin berichtete unmittelbar danach ihrer Schwester von dem Geschehenen, die ihr zur Anzeige riet. Da die Zeugin aber Angst vor dem Angeklagten hatte, ging sie erst fünf Tage später zur Polizei, als der Angeklagte sie weiterhin nicht in Ruhe ließ.
Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Nicht er, sondern die Zeugin habe die Trennung nicht akzeptiert und ihn des öfteren angerufen. So habe sie ihn auch am Tattag angerufen und sich mit ihm zum Essen verabredet. Während des Essens habe er ihr erklärt, daß er neu liiert und die Beziehung mit ihr beendet sei. Sie habe dies hingenommen und sei dann mit in seine Wohnung gegangen, um noch Kleidungsstücke aus seiner Wohnung zu holen. Dort sei es auf ihre Initiative zum einverständlichen Geschlechtsverkehr gekommen. Sie sei dann noch eine Stunde geblieben und habe bei ihm übernachten wollen, was er abgelehnt habe. Sie sei dann gegen 19.00 Uhr gegangen. Er sei ihr nach 10 bis 15 Minuten gefolgt und habe sie an der S-Bahn stehen sehen. Sie habe ihn auch danach mehrfach angerufen und ihm erklärt, als er auf der Trennung beharrte, daß das Folgen haben werde.
Diese Einlassung hat das Landgericht insbesondere auf Grund der glaubhaften Aussage der Zeugin als widerlegt angesehen und das Geschehen als Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.


1. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht unzulässig sind, jedenfalls unbegründet. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, daß das Landgericht sich in den Urteilsgründen nicht mit Tatsachen auseinandergesetzt habe, die es aufgrund eines Beweisantrags der Verteidigung als wahr unterstellt habe, was hier im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin H.-P. erforderlich gewesen wäre.
Auch diese Rüge hat keinen Erfolg.
Allerdings war die Ablehnung des Beweisantrags nicht rechtsbedenkenfrei. Das Landgericht hatte die Beweisbehauptungen als wahr unterstellt und in der Beschlußbegründung weiter ausgeführt, daß davon abgesehen die behaupteten Tatsachen für die Entscheidung nicht von Bedeutung seien. Der Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung, der nur bei einer erheblichen Tatsache in Betracht kommt, und der Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit schließen einander aber aus. Die Angriffsrichtung der Rüge (vgl. auch BGH NStZ 1998, 636 f.) geht aber nicht auf den in der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags liegenden Verfahrensmangel, sondern sieht einen Verfahrensfehler in der fehlenden Auseinandersetzung des Urteils mit den als wahr unterstellten Tatsachen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin H.-P. Dabei erscheint schon zweifelhaft, ob angesichts der Widersprüchlichkeit der Beschlußbegründung hier überhaupt von der Zusage einer Wahrunterstellung ausgegangen werden konnte. Jedenfalls liegt der von der Revision beanstandete Erörterungsmangel nicht vor. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß es einer Auseinandersetzung mit den als wahr unter-
stellten Tatsachen in den Urteilsgründen nur dann bedarf, wenn sie sich angesichts der im übrigen gegebenen Beweislage aufdrängt und die Beweislage sich sonst als lückenhaft erwiese (BGH BGHR StPO § 244 Abs. 3). Ein solcher Fall war hier entgegen der Auffassung der Revision nicht gegeben, denn zur Glaubwürdigkeit der Zeugin H.-P. brachten die von dem Zeugen K. zu bekundenden Tatsachen, soweit sie nicht diese Zeugin sondern deren Schwester betrafen, keine weitergehenden Erkenntnisse. Soweit sie eine allgemeine Warnung des Zeugen K. vor der ganzen Familie der Zeugin H.-P. einschließlich dieser Zeugin selbst zum Inhalt hatten, handelte es sich um eine durch keine Tatsachen belegte Meinungsäußerung.
2. Auch die Sachrüge ist unbegründet, insbesondere weist die Beweiswürdigung keine den Bestand des Urteils gefährdende Rechtsfehler auf. Zu erörtern ist auch hier nur folgendes:
Das Landgericht hat die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten auf die ausführlich gewürdigte Aussage der Zeugin H.-P. gestützt, die jedenfalls in Randbereichen von der Schwester der Zeugin bestätigt worden ist. Eine Beweissituation, in der Aussage gegen Aussage steht, lag daher nicht vor. Die Abweichungen in der Aussage der Zeugin vor der Kammer gegenüber ihren Angaben in der früheren Hauptverhandlung vor dem Landgericht Darmstadt, teilweise auch vor der Polizei, die sämtlich nicht das Kerngeschehen betreffen, hat das Landgericht gesehen und erörtert. Seine Auffassung, daß es sich dabei zum Teil um nur scheinbare Abweichungen (Telefonat nach Iran, das die Zeugin auch nach den Angaben des Angeklagten von seiner Wohnung aus geführt hat), teilweise um Mißverständnisse in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Darmstadt (Sprechanlage am Haus der Schwester) und teilweise um Erin-
nerungsfehler - Farbe des am Tattag getragenen Shirts, Tragen einer kleinen Handtasche oder Mitsichführen des Geldes lose in einer Tasche des Shirts, Begrüßung durch den Zeugen H. - gehandelt habe, ist nachvollziehbar. Unter diesen Umständen ist die Würdigung des Landgerichts, daß die Abweichungen in den Aussagen der Zeugin nicht geeignet seien, ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern, nicht zu beanstanden.
Frau Vors.RiinBGH Detter Bode Dr. Rissing-van Saan ist aufgrund Urlaubs verhindert, ihre Unterschrift zu leisten. Detter Otten Roggenbuck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 379/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21. Januar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Bundesanwalt ,
Staatsanwältin
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
richts Landshut vom 9. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (II 1 der Urteilsgründe);
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
c) soweit der Angeklagte von den ihm unter Nrn. 1, 3 und 5 der Anklage und den beiden ersten der ihm unter Nr. 6 der Anklage zur Last gelegten Vorwürfen freigesprochen worden ist. 2. Die Revision wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen
a) die Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung (II 2 der Urteilsgründe);
b) den Freispruch von dem dem Angeklagten unter Nr. 4 der Anklage zur Last gelegten Vorwurf richtet. Insoweit hat die Beschwerdeführerin die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Dem Angeklagten liegen zahlreiche, zum Teil schwerwiegende Delikte zur Last, die er sämtlich zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau begangen haben soll.
Die Strafkammer hat die entsprechenden Aussagen der Nebenklägerin für sich genommen jedoch nicht als hinreichend sichere Verurteilungsgrundlage angesehen und ist ihnen nur insoweit gefolgt, als sie sich auch anderweitig bestätigt haben.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin greift die Beweiswürdigung an und hält es für rechtsfehlerhaft, daß die Strafkammer über die abgeurteilten Taten hinaus "die weiteren Taten" nicht festgestellt hat. Bezug genommen ist damit erkennbar auf die (unverändert zugelassene) Anklage und die dort vorgenommene rechtliche Bewertung der Taten. Beantragt ist, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben.
Die Revision ist zwar nicht in vollem Umfang, wohl aber überwiegend zulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie auch begründet.

I.


1. Verurteilt wurde der Angeklagte wegen

a) gefährlicher Körperverletzung (Mißhandlung der Nebenklägerin mit einem Stock und einem Gürtel) zu einem Jahr Freiheitsstrafe (II 1 der Urteilsgründe , entspricht Nr. 2 der Anklage);


b) vorsätzlicher Körperverletzung (Mißhandlung der Nebenklägerin mit den Fäusten) zu sechs Monaten Freiheitsstrafe (II 2 der Urteilsgründe, entspricht dem dritten Vorwurf von Nr. 6 der Anklage).
Hieraus wurde eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten gebildet.
Soweit dem Angeklagten tateinheitlich neben der gefährlichen Körperverletzung auch noch Vergewaltigung und Freiheitsberaubung und tateinheitlich neben der vorsätzlichen Körperverletzung auch noch Freiheitsberaubung und Bedrohung vorgeworfen wurde, konnte sich die Strafkammer nicht überzeugen. Von einem Freispruch hat sie insoweit aber abgesehen. Dies ist auf der Grundlage des Standpunkts der Strafkammer zutreffend (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 12 m.w. Nachw.).
2. Freigesprochen wurde der Angeklagte von insgesamt vier, teilweise in Tateinheit mit weiteren Delikten stehenden Vorwürfen der Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung (Nr. 1 und Nr. 5 der Anklage, 2. Fall von Nr. 3 und 2. Fall von Nr. 6 der Anklage), von zwei, ebenfalls in Tateinheit mit weiteren Delikten stehenden Vorwürfen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (jeweils der erste Fall von Nrn. 3 und 6 der Anklage) und dem Vorwurf einer räuberischen Erpressung (Nr. 4 der Anklage).
3. Ein Nebenkläger kann nur im Zusammenhang mit Nebenklagedelikten Revision einlegen, also insbesondere mit der Behauptung, der Angeklagte sei zu Unrecht vom Vorwurf eines Nebenklagedelikts freigesprochen worden, oder es sei bei einer Verurteilung nicht auch die Verurteilung wegen eines tateinheitlich erfüllten (gegebenenfalls weiteren) Nebenklagedelikts erfolgt (vgl. im einzelnen Meyer-Goßner aaO § 400 Rdn. 4 m.w. Nachw.).


a) Dementsprechend ist die Revision nicht zulässig im Fall II 2 der Urteilsgründe (vgl. oben I 1 b), in dem zusätzlich noch eine tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung und Bedrohung in Betracht gekommen wäre und hinsichtlich des Freispruchs vom Vorwurf der räuberischen Erpressung im Fall Nr. 4 der Anklage (vgl. oben I 2 am Ende), da insoweit allein nicht nebenklagefähige Delikte im Raum stehen.

b) Im übrigen ist die Revision zulässig, da es in sämtlichen verbleibenden Fällen allein oder jedenfalls auch um die unterbliebene Verurteilung wegen eines Sexual- oder eines vorsätzlich begangenen Körperverletzungsdelikts, also jeweils eines Nebenklagedelikts (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 a oder Nr. 1 c StPO) geht.

II.


Im aufgezeigten Umfang ist die Revision begründet.
Während der Angeklagte jedes Fehlverhalten abgestritten hat, hat die Nebenklägerin die Vorgänge unter Angabe zahlreicher Details so geschildert, wie dies auch in der Anklage geschehen ist.
Ihr könne jedoch, so die Strafkammer, nur in sehr beschränktem Umfang geglaubt werden. Sie habe, wie im einzelnen dargelegt wird, schon öfter die Unwahrheit gesagt, auch gegenüber Gerichten und Behörden, und damit dem Angeklagten jeweils helfen wollen. Dies begründe Zweifel an ihrer generellen Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus bestünden aber auch näher ausgeführte Bedenken gegen ihre auf die Anklagevorwürfe bezogenen Aussagen, so daß ihre Angaben nur dann Grundlage einer Verurteilung sein könnten, wenn sie durch andere Beweismittel bestätigt würden, wie dies bei den abgeurteilten Taten
- hier lagen ärztliche Atteste oder die Angaben unbeteiligter Zeugen vor - hin- sichtlich der Körperverletzungen der Fall sei. All dies liegt zwar im Ansatz im Rahmen einer vom Revisionsgericht hinzunehmenden tatrichterlichen Beweiswürdigung, konkret ist die Beweiswürdigung aber lückenhaft und eine Reihe einzelner Erwägungen erscheinen so fernliegend, daß sie mangels näherer Begründung nicht mehr als tragfähig angesehen werden können. 1. Schon gegen die Ausführungen zur „generellen“ Glaubwürdigkeit der Person der Nebenklägerin – die ohnehin allenfalls begrenzte Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit der konkreten fallbezogenen Aussage zuläßt (vgl. BGH StV 1994, 64 m.w. Nachw.; vgl. hierzu auch Boetticher in NJW-Sonderheft für G. Schäfer 2002, 8, 12 f.) – bestehen Bedenken:
a) Die Nebenklägerin hat den Angeklagten, ihren damaligen Ehemann, nach den Feststellungen der Strafkammer mit unwahren Angaben gegenüber amtlichen Stellen insbesondere vor ihm nachteiligen ausländerrechtlichen Konsequenzen schützen wollen. Es liegt nicht ohne weiteres nahe, daß dies ein gewichtiges Indiz für die Annahme sein könnte, vorliegend belaste sie ihn zu Unrecht. Die gegenläufige Zielrichtung der von der Strafkammer festgestellten früheren Unwahrheiten und der vorliegenden Angaben wäre jedenfalls erkennbar zu erwägen gewesen.
b) Ebensowenig ist in diesem Zusammenhang ein weiterer sich aufdrängender Gesichtspunkt erörtert: Die Strafkammer hat festgestellt, daß der (einschlägig vorbestrafte) Angeklagte gegen die Nebenklägerin "öfters gewalttätig" wurde und es dabei - ersichtlich über die abgeurteilten Fälle hinaus - "zu massiven Körperverletzungen" gekommen ist. Eine Reihe von Zeugen haben insoweit Details bekundet , z. B. Verletzungsspuren gesehen oder beobachtet zu haben, wie der An-
geklagte die Nebenklägerin die Treppe hinuntergeworfen und für den Fall der Benachrichtigung der Polizei weitere Gewalt angedroht hat. Ein möglicher Zusammenhang zwischen den festgestellten Tendenzen zu falschen, den Angeklagten begünstigenden Angaben und der vom Angeklagten offenbar immer wieder ausgeübten massiven Gewalt wäre bei der Gewichtung der festgestellten Falschaussagen ebenfalls in die Erwägungen einzubeziehen gewesen.
c) Demgegenüber erwägt die Strafkammer in diesem Zusammenhang auch folgendes: Die Nebenklägerin hat das dargelegte Verhalten zu Gunsten des Angeklagten unter anderem damit erklärt, daß der Angeklagte sie bedroht habe und dies dahin erläutert, daß er zu ihr "nicht nett" gewesen sei. Eine in dieser Weise gekennzeichnete Drohung, so folgert die Strafkammer, könne "dem Wortsinn nach ... nicht besonders gravierend" gewesen sein und deswegen das Verhalten der Nebenklägerin nicht erklären. Dies ist jedoch für die genannte Bewertung von Bedrohungen der Nebenklägerin durch den Angeklagten deshalb keine tragfähige Erwägung, weil die Strafkammer auch in diesem Zusammenhang die von ihr festgestellten massiven Körperverletzungen, die der Angeklagte der Nebenklägerin zugefügt hat, nicht erkennbar bedacht hat. 2. Von alledem abgesehen, hat die Strafkammer aber auch bei der Bewertung der tatbezogenen Angaben der Nebenklägerin einen rechtlich nicht unbedenklichen Maßstab angelegt:
a) Bei einem Widerspruch zwischen mehreren Erkenntnisquellen hat das Gericht ohne Rücksicht auf deren Art und Zahl darüber zu befinden, in welchen von ihnen die Wahrheit ihren Ausdruck gefunden hat. Stehen sich Bekundungen eines - insbesondere einzigen - Zeugen und des Angeklagten unvereinbar gegenüber ("Aussage gegen Aussage"), darf das Gericht allerdings den Bekundungen dieses Zeugen nicht deshalb, weil er Anzeigeerstatter und
(gegebenenfalls) Geschädigter ist, ein schon im Ansatz ausschlaggebend höheres Gewicht beimessen als den Angaben des Angeklagten (vgl. zusammenfassend Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 71 m. zahlr. Nachw.). Maßgebend ist nicht allein die formale Stellung des Aussagenden im Prozeß, sondern der innere Wert einer Aussage, also deren Glaubhaftigkeit. Es ist in einer Gesamtwürdigung (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f. m.w. Nachw.) zu entscheiden, ob einer solchen Zeugenaussage gefolgt werden kann (zu den im Rahmen einer kriterienorientierten Aussageanalyse vielfach bedeutsamen, gleichwohl einer schematischen Bewertung aber nicht zugänglichen aussageimmanenten Qualitätsmerkmalen vgl. eingehend BGHSt 45, 164, 170 ff. m.w. Nachw.).
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Strafkammer nicht in vollem Umfang gerecht. Sie hat nämlich nicht erkennbar gewürdigt, daß in den abgeurteilten Fällen die Angaben der Nebenklägerin durch andere, von der Strafkammer als zuverlässig angesehene Beweismittel bestätigt wurden. Insoweit hat also die Nebenklägerin die Wahrheit gesagt, während der Angeklagte demgegenüber gelogen hat. Hinsichtlich der übrigen Teile der Aussage besteht unter diesen Umständen gerade nicht die durch das Fehlen sonstiger Erkenntnisse gekennzeichnete "Aussage gegen Aussage"-Situation. Zwar ist der Tatrichter im Ergebnis nicht gehindert, einem Zeugen nur teilweise zu glauben, dies bedarf jedoch einer eingehenden Gesamtwürdigung aller bei der Prüfung einer Aussage insgesamt angefallener Erkenntnisse und nicht einer lediglich isolierten Prüfung jedes einzelnen Teils einer Aussage. 3. Hinzu kommt hier, daß auch gegen mehrere auf die Angaben zum Tatgeschehen bezogene Erwägungen der Strafkammer rechtliche Bedenken bestehen:

a) Die Strafkammer hat festgestellt, daß die Nebenklägerin auf dem Scheidungsantrag den Namen des Angeklagten "mit einem großen Herz" eingerahmt hat. Dies, so die Nebenklägerin, sei ironisch gemeint gewesen, man gebrauche in Bayern den Ausdruck "des is a Herzerl". Die Strafkammer hält diese Ausführungen für psychologisch nicht nachvollziehbar, da "Herzerl" Ausdruck für eine "harmlose Person" sei. Eine Zeugin, so heißt es dann ohne nähere Erläuterung, habe bekundet, die Nebenklägerin habe den Angeklagten als "Herzerl" bezeichnet, wenn sie sich ihm überlegen gefühlt habe. All dies, so die Strafkammer dann zusammenfassend, könne dafür sprechen, daß sich die Nebenklägerin rächen wolle. Diese Ausführungen können nicht ohne weiteres nachvollziehbar verdeutlichen , warum das auf den Scheidungsantrag gemalte Herz für eine Falschaussage sprechen könnte. Im übrigen bemerkt der Senat, daß selbst dann, wenn die Nebenklägerin ihre Angaben gemacht hätte, um sich am Angeklagten zu rächen, dies nicht ohne weiteres die Unrichtigkeit ihrer Angaben belegen würde (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 206, 208 m.w. Nachw.). Es ist nicht erkennbar , daß sich die Strafkammer dessen bewußt gewesen wäre.
b) Die Strafkammer erwägt, daß die Nebenklägerin "niemandem etwas von den Vergewaltigungen" berichtet habe. Sie führt aber auch aus, daß die Nebenklägerin einer Freundin gesagt habe, sie habe zwar mit dem Angeklagten geschlafen, aber nicht freiwillig. Hierzu erwägt die Strafkammer, es bestünden Zweifel, ob die Nebenklägerin ihre "fehlende Bereitschaft (zum Geschlechtsverkehr ) nach außen signalisiert" habe. Die Annahme, die Nebenklägerin habe Vergewaltigungen (z. B. aus Rache) nur erfunden, wofür auch spreche , daß sie früher niemandem etwas davon erzählt habe und die Annahme, die Nebenklägerin habe zwar gegenüber Zeugen von unfreiwilligem Geschlechtsverkehr berichtet, möglicherweise habe der Angeklagte aber nicht bemerkt, daß Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Nebenklägerin stattfand , sind miteinander nicht vereinbar und können daher auch nicht, wie hier in
unklarer Weise geschehen, miteinander vermengt werden. Einmal fehlte es schon am objektiven Tatbestand, einmal nur am subjektiven Tatbestand. Wäre - obwohl eine konkrete Grundlage für eine solche Annahme nicht zu erkennen ist - davon auszugehen, daß der Angeklagte etwaigen Widerstand der Nebenklägerin lediglich nicht bemerkt hat, wäre gegebenenfalls auch auf die im Urteil zwar wiedergegebenen, aber nicht näher behandelten Tatumstände einzugehen gewesen. Danach soll der Angeklagte der Nebenklägerin z. B. nach (gewaltsamem ) Geschlechtsverkehr "eine Knoblauchwurst, ein Holzstück und Flaschen" in die Scheide eingeführt haben. Die Annahme, daß er etwa irrtümlich geglaubt habe, die Nebenklägerin sei mit solchem Vorgehen einverstanden, erscheint sehr fernliegend und hätte jedenfalls eingehender Begründung bedurft.
c) Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist auch die Würdigung der Aussage der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zehn Jahre alten Tochter der Nebenklägerin. Diese hat bekundet, sie habe am Kommunionstag ihrer Cousine durch die Tür gesehen, wie ihre Mutter ans Bett gefesselt und dabei ganz nackt gewesen sei. Der Angeklagte habe auf der Mutter gelegen und vergeblich versucht , die Tür mit seinem Fuß zu schließen, als er sie bemerkt habe. Die Strafkammer hält dies nicht für glaubhaft. Die Zeugin sei von ihrer Mutter beeinflußt. So habe sie etwa auf die Frage, warum die Mutter den Angeklagten (1995) geheiratet hat, keine anderen Gründe angegeben als diese und auch deren Worte gebraucht (Der Angeklagte habe "genervt"). Grundsätzlich kann allerdings gerade bei der Würdigung von Kinderaussagen eine Rolle spielen, daß Kinder in erhöhtem Maße (bewußten oder unbewußten) Beeinflussungen unterliegen und darüber hinaus auf Grund eines Autoritätsgefälles besonders bestrebt sein können, sich entsprechend dem Wunsch eines Erwachsenen, zumal der Mutter, zu verhalten. Steht eine solche Möglichkeit im Raum, bedarf es vor allem näherer Erwägungen zur Persönlich-
keit des Kindes und hierzu angefallener Erkenntnisse. Je nach den Umständen des Falles kann dabei auch sachverständige Beratung zweckmäßig sein (vgl. zu alledem näher Eisenberg, Beweisrecht der StPO 4. Aufl. Rdn. 1861 m.w. Nachw.). Ohne derartige Erwägungen ist jedenfalls die Annahme nicht tragfähig , die detaillierte Schilderung eines von ihr angeblich beobachteten konkreten Vorganges durch die Tochter der Nebenklägerin sei hier nicht zuletzt deshalb nicht glaubhaft, weil sie keine eigenständige Äußerung dazu abgegeben hat, warum ihre Mutter den Angeklagten geheiratet hat. Dies gilt um so mehr, als die Zeugin zum Zeitpunkt dieser Eheschließung höchstens drei Jahre alt war. 4. Nach alledem ist das Urteil in dem Umfang aufzuheben, in dem es auf Grund der Revision der Nebenklägerin einer Überprüfung durch den Senat zugänglich ist. Soweit der Angeklagte im Fall II 1 der Urteilsgründe nur wegen gefährlicher Körperverletzung und nicht auch wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist, kann auch der für sich genommene rechtsfehlerfreie Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht bestehen bleiben, da die Vergewaltigung hierzu gegebenenfalls in Tateinheit stünde (st. Rspr., vgl. d. Nachw. b. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12). Damit entfällt zugleich die Gesamtstrafe. Nack Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit