Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 94/16
vom
13. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:130617B2STR94.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Angeklagten am 13. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
1
Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge erfolgt.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Leh2 rer an einer Grundschule für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Er war Klassenlehrer der am 23. Juni 2002 geborenen Nebenklägerin L. . Diese litt an Entwicklungsverzögerungen und besuchte als „Integrationskind mit besonderem Förderbedarf“ die Grundschule. Er nutzte sich bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen mit der Nebenklägerin. Bei einem Aufenthalt der Schulklasse in einer Jugendherberge veran3 lasste der Angeklagte die Nebenklägerin dazu, in sein Zimmer zu kommen. Er zog Hose und Unterhose aus und legte sich auf das Bett. Er wies die Nebenklägerin an, ihren Badeanzug auszuziehen, dann fasste er sie an der Hüfte, setzte sie auf seinen Penis und hob sie auf und ab. Als ein Schüler an der Zimmertür klopfte, hob der Angeklagte sie herunter und befahl ihr schnell ins Bad zu gehen, sich dort anzuziehen und leise zu verhalten (Fall II.1. der Urteilsgründe

).

Am 7. Mai 2013 sollte die Nebenklägerin eine weiterführende Schule
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kennen lernen. Sie fuhr mit dem Schulbus dorthin, während ihre Mutter K. L. mit dem Angeklagten in dessen Auto folgte. Nach Ende der Vorstellung fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin und ihrer Mutter zurück, setzte die Mutter an deren Wohnung ab und nahm die Nebenklägerin mit. Weil noch Zeit bis zum Unterrichtsbeginn war, hielt der Angeklagte an seinem Haus und ging mit ihr in das Schlafzimmer. Dort entkleidete er sich und die Nebenklägerin , legte sich auf das Bett und hob sie auf seinen Schoß. Er setzte sie auf seinen Penis und hob sie hoch und herunter. Währenddessen sah er immer wieder auf die Uhr, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Nach den sexuellen Handlungen frühstückten beide, gingen mit dem Hund des Angeklagten spazieren und fuhren dann zur Grundschule (Fall II.2. der Urteilsgründe). An einem Tag im vierten Schuljahr der Nebenklägerin unterrichtete der
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Angeklagte sie im „Differenzierungsraum“, während die weitere Klassenlehrerin die anderen Schüler im Klassenraum unterrichtete. Der Angeklagte zog die Hose der vor ihm stehenden Nebenklägerin herunter, schob die Unterhose beiseite und führte einen Finger in die Scheide ein. Als die Lehrerkollegin an der Tür klopfte, um zu signalisieren, dass das Ende der Schulstunde nahe, rief der An- geklagte mit Verzögerung „komm rein“. In der Zwischenzeit zog er den Finger aus der Scheide der Nebenklägerin und diese zog ihre Hose hoch. Der Angeklagte befahl der Nebenklägerin, sich wieder an den Tisch zu setzen und ihre Stifte einzuräumen, damit die Lehrerin keinen Verdacht schöpfe (Fall II.3. der Urteilsgründe). 2. Das Landgericht hat sein Urteil, der aussagepsychologischen Sach6 verständigen folgend, auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt. Die Nebenklägerin habe das Geschehen logisch konsistent, detailreich und nachvollziehbar dargestellt. Auch habe sie eine authentisch wirkende emotionale Belastung erkennen lassen. Es lägen Besonderheiten in ihren Angaben vor, aus denen sich eine gute Aussagequalität ergebe. Die Entstehung der Beschuldigung, nachdem die Nebenklägerin durch ihre Mutter und die Zeugin A. zur Rede gestellt worden sei, weil sie Sexvideos im Internet angesehen und diese Möglichkeit ihrer Freundin vermittelt habe, spreche nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen. Zur Frage des Filminhalts habe die Nebenklägerin bekun- det, „es sei das gewesen, was der Angeklagte auch mit ihr gemacht habe.“ Er- gänzend habe sie erklärt, dass sie die Videofilme erst nach den Missbrauchs- handlungen aufgerufen habe. Die Nebenklägerin besitze eine „weit unterdurch- schnittliche Merk- und Speicherfähigkeit“, weshalb es für sie besonders schwie- rig wäre, eine erfundene Geschichte konstant zu behaupten. Auszuschließen sei, dass sie durch eine Drucksituation im Gespräch mit ihrer Mutter und der Mutter ihrer Freundin dazu motiviert worden sein könnte, eine falsche Beschul- digung aufzustellen. „Eine solche Schilderung wäre der Geschädigten mitihrer eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit nicht ad hoc möglich gewesen, wenn die geschilderten Geschehnisse nicht erlebnisbasiert gewesen wären“. Aus den Angaben der weiteren Klassenlehrerin und der Ehefrau des Angeklagten ergäben sich keine erheblichen Einwendungen gegen die Glaubhaftigkeit der Beschuldigung.

II.

Die Revision ist mit der Sachrüge begründet, sodass es auf die Verfah7 rensrügen nicht ankommt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das
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Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungenan die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung aufgestellt. Dabei ist insbesondere der Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage besondere Bedeutung beizumessen. In einer solchen Konstellation hat der Tatrichter zudem in einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegungen ein- zubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 - 2 StR 94/14, NStZ 2014, 667; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15; Beschluss vom 10. Januar2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368; Beschluss vom 4. April 2017 - 2 StR 409/16). 2. Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden.
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a) Die Erwägungen zur Aussageentstehung sind lückenhaft.
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Die Beschuldigung des Angeklagten ist erstmals geäußert worden,
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nachdem die Freundin der Nebenklägerin beim Aufrufen von Sexfilmen im Internet angetroffen worden war und ihrer Mutter erklärt hatte, sie sei von der Nebenklägerin darüber instruiert worden, worauf die Nebenklägerin von beiden Müttern zur Rede gestellt wurde. Sie befand sich dabei unter dem erheblichen Druck einer nachhaltigen Befragung über ein sonst als Tabu behandeltes The- ma. Insbesondere die Mutter der Nebenklägerin habe „nicht locker gelassen“. Dazu hat die vom Landgericht vernommene aussagepsychologische
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Sachverständige erläutert, die Nebenklägerin besitze „keine erhöhte Anfälligkeit dafür, Suggestiveinflüssen zu folgen. Sie habe sowohl bei der gutachterlichen Exploration als auch bei den anderen Vernehmungen Suggestivfragen oftmals nicht gemäß der Suggestion beantwortet.“ Ihre Angaben sprächen auch nicht dafür, dass sie „durch den Druck im Gespräch mit ihrer Mutter und der Zeugin A. dazu motiviert gewesen sein könne, eine bewusste Falschaussage gegen den Angeklagten vorzubringen, um dadurch ihre eigene Schuld zu vermindern und ihre Mutter in der Diskussion wegen des Aufrufens der Sexseiten im Internet milde zu stimmen. Aus aussagepsychologischer Sicht sei es äußerst unwahrscheinlich, insbesondere auch aufgrund der vorhandenen Entwicklungsverzögerungen der Zeugin, dass L. eine qualitativ so hochwertigeLüge hätte spontan vorbringen können.“
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Das Landgericht hat sich insgesamt dem Ergebnis der Sachverständigen angeschlossen, dass die Angaben der Nebenklägerin „mit hoher Wahr- scheinlichkeit erlebnisbasiert und glaubhaft“ seien. Es hat aber nicht selbst überprüft, ob die Nebenklägerin unter dem Druck der intensiven Befragung und mit Blick auf ihr Anschauungsmaterial aus Filmdarstellungen im Internet das Bild von sexuellen Handlungen mit Erlebnissen aus dem Alltag in der Grundschule verknüpft haben könnte, um dem Druck zu entweichen. Bei weiteren Befragungen der Nebenklägerin sind nach der Bemerkung
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der Sachverständigen auch Suggestivfragen vorgekommen, deren Art und Bedeutung im Urteil nicht näher erläutert werden. Der Hinweis der Sachverständigen darauf, dass die Nebenklägerin auf Suggestivfragen oft nicht im Sinne der Erwartungshaltung der Fragesteller geantwortet habe, reicht nicht aus, um nachvollziehbar zu begründen, dass es sich bei den tatbezogenen Aussagen der Nebenklägerin um nicht aufgrund von suggestiven Einflüssen entstandene Schilderungen gehandelt hat.
b) Es fehlt auch die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige
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Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. aa) Das Landgericht hat nach der Mitteilung, dass es sich „dem Ergeb-
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nis der Sachverständigen“ anschließe, nur noch erläutert, dass die Angaben der Zeuginnen M. und T. nicht geeignet seien, die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zu erschüttern, dem Angeklagten im Fall II.3. der Urteilsgründe ein „ausreichend großes Zeitfenster“ zur Tatbegehung zur Verfü- gung gestanden habe, das Ergebnis der gynäkologischen Untersuchung keinen Erkenntniswert besitze und das vorläufige Ergebnis der Beweisaufnahme bezüglich eingestellter Tatvorwürfe kein Glaubhaftigkeitsbedenken ergebe. Damit wird das Risiko einer Falschdarstellung durch die Nebenklägerin unter bewusst oder unbewusst erfolgender Entwicklung eines falschen Tatbildes nach intensiven Fragen aufgrund bildhafter Vorstellungen von sexuellen Handlungen aus entsprechenden Filmdarstellungen im Internet nicht nachvollziehbar ausgeräumt. bb) Auch wäre eine weiter gehende Plausibilitätskontrolle der Angaben
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durch das Tatgericht erforderlich gewesen. Im Fall II.3. der Urteilsgründe sollen die sexuellen Handlungen unter Zeitdruck mit wiederholtem Blick des Angeklagten auf die Uhr erfolgt sein; danach sollen aber der Angeklagte und das Kind ein Frühstück und einen Spaziergang mit dem Hund nicht ausgelassen haben. Die Fragwürdigkeit eines solchen Geschehens wäre bei der gebotenen Gesamtwürdigung mit in den Blick zu nehmen gewesen. 3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Ange18 klagten auf diesen Rechtsfehlern beruht. Krehl Eschelbach Zeng Bartel Grube

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 94/14
vom
7. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts folgte der Angeklagte der 44jährigen B. , die er kurz zuvor an der Theke eines Lokals zum ersten Mal angesprochen hatte, in den Vorraum der dortigen Toilette und „verlangte von ihr, ihm ‚einen zu blasen‘“. B. lehnte ab und „forderte ihn mit derben Worten auf“, sie in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte öffnete daraufhin seine Hose, packte die Geschädigte „fest an den Haaren, drückte den Kopf der sich sträubenden Geschädigten hinunter und zwang sie so, seinen ungeschützten Penis in den Mund zu nehmen“. Die Geschädigte wehrte sich. Es gelang ihr, sich wegzudrehen. Sie bat den Angeklagten weinend , er möge sie in Ruhe lassen. Der Angeklagte griff ihr jedoch fest an das TShirt , das dabei einriss, und stieß sie gegen die Toilettenwand, um den Oralverkehr fortzusetzen. Auch schlug er mehrfach auf die Geschädigte ein. Als die Barfrau des Lokals wegen lauter Schreie im Toilettenraum erschien, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab.
3
b) Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt. Mit der Geschädigten, die ihm unbekannt gewesen sei, habe er zwar ein paar Worte gewechselt; er habe sie aber „weder im Toilettenraum getroffen noch dort vergewaltigt“.
4
Die Strafkammer ist dieser Einlassung nicht gefolgt. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingeschlagen und seinen erigierten Penis in Höhe des Gesichts der vor ihm knieenden Geschädigten gehalten habe, habe auch die (tatunbeteiligte) glaubwürdige Barfrau bezeugt. Die in Augenschein genomme- nen Bilder der Überwachungskamera bestätigten ebenfalls „den äußeren Ablauf der Geschehnisse“, wonach der Angeklagte der Geschädigten in den Toilettenbereich folgte, einige Minuten später die Barfrau nachkam und wenige Sekunden darauf die Geschädigte mit zerrissenem T-Shirt im Gastraum erschien und eilig das Lokal verließ. Schließlich habe die glaubwürdige Geschädigte das Geschehen – so wie festgestellt – geschildert, insbesondere hinsichtlich des ihr gegenüber erzwungenen Oralverkehrs.
5
2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil sich das Landgericht im Urteil nicht mit der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung erschöpfend auseinandergesetzt habe, und der aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. März 2014 in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, kommt es deshalb nicht an. Der Senat kann demzufolge auch dahingestellt sein lassen, ob dem Revisionsvortrag nicht (auch) die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu entnehmen sein könnte.
6
a) Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich des sexuellen Übergriffs des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
aa) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder widersprüchlich ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rdn. 3 und 38). Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, Rn. 13, zit. nach juris). Bei einer Aussagegegen -Aussage-Konstellation hat der Tatrichter zudem grundsätzlich im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegung einzubeziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rdn. 11a, jeweils mwN).
8
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Soweit es den erzwungenen Oralverkehr betrifft, ist die Geschädigte alleinige Zeugin; außerhalb ihrer Zeugenaussage bestehende Indizien für einen vollendeten sexuellen Übergriff des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung auch damit befasst, ob der Angeklagte die Geschädigte – wie von ihr behauptet – zeitgleich vaginal zu vergewaltigen versucht habe; dieses Geschehen hat das Landgericht indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit als bewiesen erachtet. Denn nicht auszuschließen sei, dass die Geschädigte, die zum Tatzeitpunkt unter Drogeneinfluss (Alkohol und Kokain) gestanden habe, in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Soweit es dagegen den erzwungenen Oralverkehr betrifft , sei – so das Landgericht – die Aussage der Geschädigten im Kern glaubhaft. „Auch wenn sie zum Tatzeitpunkt unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, so hatte sie daran doch zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen, sondern es von Anfang an als stets im Vordergrund stehenden und für sie besonders bedrü- ckenden Umstand hervorgehoben“.
10
Mit dieser für sich genommen schon kaum nachvollziehbaren Bewertung wird die unterschiedliche Behandlung beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit der Geschädigten, die zudem – was das Landgericht freilich gesondert erörtert – „ersichtlich falsche und widersprüchliche Angaben zur Tatörtlichkeit gemacht“ habe, nicht widerspruchsfrei dargelegt. Die Bewertung des Landgerichts, der (von der Geschädigten behauptete) erzwungene Oralverkehr sei gegenüber dem (von ihr behaupteten) erzwungenen Vaginalverkehr ein bedrückenderer Umstand gewesen, ist nicht mit Anknüpfungstatsachen belegt. Dieser Schluss liegt auch nicht auf der Hand. Weshalb die Aussage der Geschädigten trotz beeinträchtigter Wahrnehmungsfähigkeit gleichwohl im festgestellten Umfang als glaubhaft angesehen wurde, erschließt sich nicht.
11
Hinzu kommt hier, dass es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei fehlt. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswür- digung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
12
Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Etwaige Bekundungen der Geschädigten zum Kerngeschehen werden dagegen nicht mitgeteilt.
13
Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr erwähnten "Abweichungen" zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZRR 1997, 172).
14
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung lässt auch die – von diesem Rechtsfehler nicht betroffene – Verurteilung wegen der tateinheitlich dazu begangenen (vorsätzlichen) Körperverletzung entfallen (Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 12 mwN).
15
3. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sichausführlich mit allen Filmsequenzen der Videoaufzeichnung der Überwachungskamera zu befassen haben. Fischer Schmitt Eschelbach Ri'inBGH Dr. Ott ist an Zeng der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
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Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
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b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
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Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
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Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
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2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
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Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 409/16
vom
4. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:040417B2STR409.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
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wegen Vergewaltigung in vier Fällen, sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, dass drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es ab dem Jahr 2007
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zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Ehefrau, die Nebenklägerin. An einem nicht näher bestimmten Tag zwischen März 2007 und August 2011 waren der Angeklagte und die Nebenklägerin zunächst einvernehmlich intim. Der Angeklagte wünschte dann auch Oralverkehr, den seine Ehefrau ablehnte. Gegen ihren Willen drückte er ihre Beine auseinander und begann damit , an ihr den Oralverkehr durchzuführen. Den Versuch der Zeugin, sich aufzurichten , wehrte er ab, indem er sie mit den Händen nach hinten drückte. Er hielt sodann ihre Hände fest und drang mit seiner Zunge in ihre Vagina ein (Fall 5 der Anklageschrift). Im gleichen Zeitraum kam es mindestens bei einer Gelegenheit dazu,
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dass der Angeklagte die Hand der Nebenklägerin nahm und diese an sein Geschlechtsteil drückte. Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, was ihr aber nicht gelang, weil der Angeklagte diese festhielt. Sodann rieb er mit der von ihm festgehaltenen Hand der Nebenklägerin bis zum Samenerguss an seinem Penis (Fall 4 der Anklageschrift). Etwa im Jahr 2008 fertigte der Angeklagte unbemerkt intime Fotos vom
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Genitalbereich der Nebenklägerin an. Als sie diese Fotos im März oder April 2009 auf der Kamera entdeckte und ihn darauf ansprach, warf er sie aus Wut gegen einen Türrahmen. Sie wurde dadurch für kurze Zeit bewusstlos (Fall 8 der Anklageschrift). In zumindest jeweils einem Fall ab dem Jahr 2010 drang der Angeklag5 te mit einem Finger und bei einer anderen Gelegenheit mit der ganzen Hand in die Vagina der Nebenklägerin ein. Als sie sich zu wehren versuchte, überwand er ihren Widerstand mit überlegener Kraft (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift).
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An einem Tag um den 19. August 2011 wollte die Nebenklägerin nicht mit dem Angeklagten sexuell verkehren. Er kniete sich auf ihre Oberarme und führte seinen Penis in ihren Mund ein. Dabei hielt er den Kopf der Nebenklägerin mit einer Hand an ihren Haaren fest und stützte sich mit der anderen Hand am Bettrahmen ab. So erzwang er den Oralverkehr bis zum Samenerguss in ihr Gesicht (Fall 2 der Anklageschrift). Unmittelbar vor dem 40. Geburtstag der Nebenklägerin am 26. Mai
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2012 stieß der Angeklagte diese im Rahmen eines Streits mit Wucht gegen den Backofen in der Küche. Sie trug ein Hämatom davon (Fall 9 der Anklageschrift).

II.

Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein Verfahrenshindernis
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vor. Die Tatumgrenzungsfunktion der Anklageschrift ist noch gewahrt. 1. Die Anklageschrift hat die Aufgabe, den Verfahrensgegenstand im
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Sinne von § 151 StPO zu kennzeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 185). Sie bestimmt dadurch mittelbar auch den Umfang der Rechtskraft eines späteren Urteils und dient der Verhinderung einer Mehrfachverfolgung des Angeklagten wegen derselben Tat (Art. 103 Abs. 3 GG). § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO nennt Tatzeit und Tatort als Konkretisierungsmerkmale; jedoch stehen diese Merkmale nicht allein. Andere Umstände, insbesondere Einzelheiten der Tatbegehung, dienen ebenfalls der Tatkonkretisierung. Tatzeit und Tatort als Umgrenzungsmerkmale können dadurch ergänzt oder ersetzt werden. Ihr Fehlen oder ihre Unbestimmtheit ist nicht schon für sich genommen ein we- sentlicher Anklagemangel. Maßgeblich ist vielmehr, ob der historische Geschehensablauf mit der Gesamtheit der mitgeteilten Umgrenzungsmerkmale noch ausreichend gekennzeichnet ist. 2. Diesen Anforderungen genügt die Tatschilderung in der Anklage10 schrift noch ausreichend. Als Fall 5 der Anklageschrift wurde ein Fall des erzwungenen Oralver11 kehrs zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, der sich durch Auseinanderdrücken der Beine der Ehefrau und Eindringen des Angeklagten mit der Zunge in ihre Vagina von anderen Taten unterscheidet. Insoweit ist er hinreichend konkretisiert, obwohl der in der Anklageschrift genannte Zeitraum, innerhalb dessen diese Tat begangen worden sein soll, sich über mehrere Jahre erstreckt. Der weitere Fall eines erzwungenen Oralverkehrs (Fall 2 der Anklageschrift ) lag nach dem Anklagesatz kurze Zeit vor dem 19. August 2011. Er ist durch die genauere Feststellung des Tatzeitpunkts und die andersartige Begehungsweise mit einem Eindringen mit dem Penis in den Mund der Nebenklägerin von anderen Taten abgegrenzt. Bei den Fällen des erzwungenen Handverkehrs (Fall 4 der Anklage12 schrift), des Einführens eines Fingers in die Scheide und des Einführens der ganzen Hand in die Vagina (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift) handelt es sich um unterschiedliche Verhaltensweisen, die jeweils mehrfach vorgekommen sein können, aber im Zweifel zugunsten des Angeklagten als Einzelfälle zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Eine weitere Strafverfolgung wegen vergleichbarer Taten im beschriebenen Rahmen wird dadurch im Zweifel gemäß Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Die angeklagten und abgeurteilten Körperverletzungstaten sind durch
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die jeweilige Handlungsweise sowie durch den Tatanlass nach Entdeckung der intimen Fotos durch die Ehefrau (Fall 8 der Anklageschrift) beziehungsweise die Tatzeit „kurz vor dem 25.08.2012“ (Fall 9 der Anklageschrift) unterscheidbar dargestellt worden.

III.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Über14 prüfung nicht stand. Dies zwingt zur Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. 1. In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine beson15 ders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 700/13; Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 und Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16). Seine Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 351/14). Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382). 2. Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden besonderen An16 forderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte
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durch sein Verhalten verhindert, dass die Nebenklägerin nach Ende des Mut- terschutzes ihre Arbeit bei der Volksbank wieder aufnehmen konnte. Sie hatte weder eigenes Einkommen noch Einblick in die ehelichen Finanzen. Ihr war es „zunehmend peinlich“, dass sie den Angeklagten um Geld bitten musste, um neue Kleidung kaufen zu können. In den Phasen, in denen das eheliche Sexualleben ruhte, weil die Nebenklägerin nach der Geburt der Kinder sexuelle Handlungen ablehnte, unterhielt der Angeklagte außereheliche Beziehungen, wovon die Nebenklägerin erfuhr. Ab Mai 2013 hatte sie selbst eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen L. aufgenommen und war zeitweilig mit diesem nach F. gezogen. Am 15. Juni 2013 hatte der Angeklagte das Pferd „D. “ verkauft, ohne mit der Nebenklägerin darüber gesprochen zu haben. Wegen des nicht näher erläuterten Geschehens in diesem Zusammenhang hatte sie gegen ihn Strafanzeige erstattet, wonach sie anschließend gefragt wurde, „ob noch etwas vorgefallen sei“. Erst dann hatte sie erstmals gegenüber den Ermittlungsbehörden von sexuellen Übergriffen des Angeklagten berichtet. Das Landgericht hat angenommen, die Aussagen der Nebenklägerin
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seien von so hoher Qualität, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Anschuldigungen so vorzutragen, wenn diese nicht erlebnisbasiert wären. Zudem sei Aussagekonstanz festzustellen. Soweit abweichende Angaben gemacht worden seien, beträfen diese nur Randgeschehen. Indem die Nebenklägerin von langem Duschen nach der Vergewaltigung gesprochen habe, habe sie über deliktstypisches Opferverhalten nach der Tat berichtet. Ihre Angaben dazu, dass auch einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, seien teilweise entlastende Aussageelemente. Keine der strafbaren Handlungen sei von der Nebenklägerin dramatisierend beschrieben worden. Für eine Falschaussage habe kein Motiv vorgelegen. Ein mögliches Motiv, das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu erhalten und den Angeklagten beruflich oder finanziell zu schädigen, würde völlig außer Verhältnis zu den massiven Tatvorwürfen stehen. Das Aussageverhalten der Nebenklägerin spreche nicht nur gegen eine „auswendig gelernte Falschaussage“, sondern auch gegen eine falsche Erinne- rung. Soweit die Nebenklägerin in der Kur erstmals einer „Präventologin“ von sexuellen Übergriffen ihres Ehemanns berichtet habe, sei eine Überlagerung ihrer Erinnerungen durch therapeutische Prozesse auszuschließen; dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Damals sei die Nebenklägerin auch noch nicht endgültig zur Trennung von ihrem Ehemann entschlossen gewesen.
b) Diese Erwägungen sind lückenhaft.
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aa) Was die Nebenklägerin im Einzelnen im Vorverfahren und in der
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Hauptverhandlung ausgesagt hat, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Daher kann die Annahme einer Aussagekonstanz, die erhebliche Beweisbedeutung haben soll, vom Senat nicht nachgeprüft werden. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss auch eine Aussage der Geschädigten bei der Polizei in das Urteil mit aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts die rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung verwehrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 - 2 StR 94/14, NStZ 2014, 667, 668). Das Landgericht hat die Angaben der Nebenklägerin bei der Polizei im Urteil jedoch nicht dargestellt. Die Mitteilung bereits des Anzeigenanlasses und der dabei gemachten
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Angaben wäre erforderlich gewesen, um nachvollziehen zu können, warum die Nebenklägerin ein Geschehen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Pferdes zum Anlass für eine Strafanzeige genommen, aber die Sexualdelikte zu- nächst nicht erwähnt hat. Mit der „Erfahrung der Kammer“, dass Sexualstrafta- ten im Rahmen von Beziehungen oft erst spät zur Anzeige gebracht werden, ist dieser Ablauf nicht zu erklären. bb) Die Annahme des Landgerichts, die Aussagequalität sei derart
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hoch, dass die Nebenklägerin nicht in der Lage gewesen wäre, diese Angaben zu erfinden, ist in dieser Allgemeinheit nicht nachzuvollziehen. Der in zwei Varianten beschriebene Oralverkehr als „modus operandi“ erscheint nicht als derart komplexes Verhalten, dass eine unzutreffende Schilderung ohne Erlebnisbezug bereits wegen des Aussageinhalts ausgeschlossen wäre. Die wiederholte Wiedergabe eines solchen Geschehens lässt auch für sich genommen keine besondere Aussagekonstanz erkennen, zumal eine Vielzahl weiterer sexueller Übergriffe behauptet wurde, die von der Nebenklägerin nicht konkretisiert werden konnten. cc) Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, das sprunghafte Aus23 sageverhalten der Nebenklägerin spreche gegen eine auswendig gelernte oder aus anderer Quelle konstruierte Aussage, legt es einen Erfahrungssatz zugrunde , der nicht existiert. dd) Besondere Bedeutung kommt in der vorliegenden Fallkonstellation
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der Frage nach einem möglichen Motiv für falsche Angaben zu. Diese Frage hat das Landgericht nicht lückenlos beantwortet. Die Annahme, allein ein Interesse an der Erlangung des alleinigen Sor25 gerechts für die ehelichen Kinder oder ein Rachemotiv wegen ehelichen Fehlverhaltens des Angeklagten wäre wegen Unverhältnismäßigkeit nicht ausreichend , um ein Falschbelastungsmotiv der Nebenklägerin zu begründen, greift zu kurz. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Wunsch nach Erlangung des alleinigen Sorgerechts nicht ausreichend sein könnte, um eine Falschbelastungsmotivation zu entwickeln. Zudem wäre hier zu berücksichtigen , dass die Tochter der Nebenklägerin und des Angeklagten als derart stark belastet beschrieben wurde, dass sie Selbstmordgedanken geäußert habe. Daraus könnte sich ein verstärktes Interesse der Nebenklägerin an der Erlangung des alleinigen Sorgerechts ergeben haben.
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Schließlich steht dieses Interesse nicht allein. Es könnten zugleich finanzielle Interessen der Nebenklägerin angesichts der Tatsache, dass sie nicht über eigene Einkünfte verfügt, mit zu berücksichtigen sein. Ferner könnte Verärgerung der Nebenklägerin wegen der außerehelichen Beziehungen des Angeklagten eine ergänzende Rolle gespielt haben. Das Zusammentreffen mehrerer Gründe für eine unzutreffende Belastung des Angeklagten könnte dem Motivbündel ausreichendes Gewicht verliehen haben. ee) Der neue Tatrichter wird auch den Ursprung der Belastung des An27 geklagten durch Erstoffenbarung gegenüber der „Präventologin“ näher zu prü- fen haben. Der Hinweis auf das Fehlen bekannter Anhaltspunkte für einen sugges28 tiven Einfluss reicht nicht aus, wenn der Anlass, der Gegenstand sowie die Art und Weise der therapeutischen Maßnahmen nicht mitgeteilt werden und das Urteil offenlässt, wie sich die Nebenklägerin dabei geäußert hat (vgl. zur möglichen aussagepsychologischen Bedeutung therapeutischer Maßnahmen Senat, Urteil vom 20. Mai 2015 - 2 StR 455/14, StV 2017, 9, 10; Köhnken in Müller /Schlothauer [Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 61 Rn. 24; Mack, Kriminalistik 2014, 459, 461; Steller, NJWSonderheft für G. Schäfer, 2002, S. 69, 70; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S. 105 ff.). Die Überlegung, die Nebenklägerin sei zu jener Zeit noch nicht endgültig zur Trennung vom Angeklagten entschlossen gewesen , überbrückt diese Lücke nicht ausreichend, da die Nebenklägerin seit ihrer Kur jedenfalls schon eine außereheliche Beziehung gepflegt hat. Appl Krehl Eschelbach Zeng Grube