Bundesfinanzhof Urteil, 03. Nov. 2011 - V R 16/09

bei uns veröffentlicht am03.11.2011

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist als Konzertveranstalterin tätig. Unter anderem übernimmt sie bei Tourneen von Künstlern die Funktion des örtlichen Veranstalters. Dazu kauft sie vom Tourneeveranstalter die künstlerischen Leistungen ein, beschafft geeignete Auftrittsorte, bewirbt die Veranstaltungen und organisiert den Verkauf der Eintrittskarten.

2

Die Klägerin setzte in den Streitjahren (1999 bis 2001) die Karten unter anderem über Vorverkaufsstellen ab. Dabei wurden den Vorverkaufsstellen die bedruckten Eintrittskarten überlassen, verbunden mit der Abrede, dass nicht verkaufte Karten von der Klägerin zurückgenommen werden. In dem jeweiligen "Kartenübergabe-Protokoll-Vertrag" übernahm die Vorverkaufsstelle den Verkauf der Eintrittskarten "von" der Klägerin. Darüber hinaus verpflichteten sich die Vorverkaufsstellen, von der jeweiligen Veranstaltung zwei Plakate im Schaufenster auszuhängen. Die Eintrittskarten enthielten jeweils einen Hinweis auf die Klägerin als örtlichen Veranstalter. Ferner war der Preis aufgedruckt mit dem Vermerk "zzgl. Vvk.-Gebühr", zu dem die Vorverkaufsstellen die Karten zu verkaufen hatten. Den Vorverkaufsstellen war gestattet, eine Vorverkaufsgebühr von bis zu 10 v.H. des Kartenpreises zu erheben.

3

Bei einigen Veranstaltungen mussten die Vorverkaufskassen über den auf der Karte aufgedruckten Preis hinaus einen bestimmten Anteil der erzielten Vorverkaufsgebühren an die Klägerin abführen (sog. teilweise Refundierung der Vorverkaufserlöse). Diese "Refundierungen" behandelte die Klägerin ebenso wie die eigentlichen Kartenerlöse überwiegend als Umsätze zum ermäßigten Steuersatz, zum Teil auch als gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) steuerfreie Umsätze.

4

Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Klägerin die "refundierten" Vorverkaufsgebühren zu Unrecht den ermäßigt besteuerten oder steuerfreien Umsätzen zugerechnet habe, schätzte die Höhe der "refundierten" Vorverkaufserlöse auf 1,25 v.H. der insgesamt verbuchten Erlöse und änderte die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre entsprechend.

5

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seines in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2009, 1346 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die jeweilige Vorverkaufsstelle habe Vermittlungsleistungen gegenüber den Kartenkäufern erbracht, für die sie als Entgelt die vollen Vorverkaufsgebühren erhalten habe.

6

Die Vorverkaufsstelle habe sowohl zivilrechtlich als auch umsatzsteuerrechtlich als Vermittler gehandelt und die Konzertkarten nicht im eigenen, sondern im Namen der Klägerin verkauft. Für den Erwerber der Eintrittskarte sei aufgrund der Gestaltung der Karte --der namentlichen Nennung der Klägerin und der gesonderten Nennung des Eintrittspreises für die genannte Veranstaltung der Klägerin-- ohne weiteres erkennbar, dass er von der Klägerin eine Eintrittsberechtigung für deren Veranstaltung erwerbe.

7

Bestätigt werde dies im Übrigen durch die erkennbare Interessenlage des Erwerbers einerseits, der sich bei Fehlleistungen an den genannten Veranstalter wenden wolle, und der Vorverkaufsstelle andererseits, die Handlungsspielräume nur in Bezug auf die Höhe der Vermittlungsgebühr habe und sich nicht den Haftungsrisiken bei Fehlleistungen der Veranstaltung aussetzen wolle. Da die Vorverkaufsstelle die Eintrittskarten im Namen der Klägerin vertreibe, trete die Klägerin in unmittelbare Leistungsbeziehungen zu den Kartenkäufern, wobei es sich bei den auf den Eintrittskarten aufgedruckten Preisen ohne Vorverkaufsgebühren um die von der Klägerin erzielten Entgelte handele. Auch die Voraussetzungen eines Kommissionsgeschäftes lägen deswegen nicht vor, weil die Vorverkaufsstellen aufgrund der Gestaltung der Eintrittskarten erkennbar sich nicht im eigenen Namen verpflichtet haben, die betreffende Veranstaltung durchzuführen.

8

Darüber hinaus erbringe die Klägerin Leistungen an die Vorverkaufsstellen, indem sie diesen die Eintrittskarten zum Vorverkauf bereitstelle und ihnen damit Geschäftschancen einräume. Bei den "refundierten" Vorverkaufserlösen handele es sich um das hierfür von den Vorverkaufsstellen an die Klägerin gezahlte Entgelt.

9

Auch die Höhe der vom FA zugrunde gelegten Umsätze sei nicht zu beanstanden. Die Gewährung weiterer Vorsteuern sei nicht angezeigt, weil nicht klar sei, ob die Klägerin ihre Vorsteuer im Hinblick auf die von ihr erzielten steuerfreien Umsätze gekürzt habe und der Anteil der steuerfreien Umsätze an den Gesamtumsätzen sehr gering sei.

10

Mit der hiergegen gerichteten Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts geltend. Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Leistungen der Vorverkaufsstellen seien die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen maßgebend. In Betracht kämen Eigengeschäfte der Vorverkaufsstellen, Kommissionsgeschäfte oder Vermittlungsgeschäfte. Die Vorverkaufsstellen handelten aus Sicht des Kartenkäufers im eigenen Namen; mit ihnen komme deshalb auch das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zustande. Allerdings könne auch von Kommissionsgeschäften ausgegangen werden. Auszuschließen hingegen seien Vermittlungsgeschäfte.

11

Letztlich komme es auf die tatsächliche rechtliche Einstufung nicht an, da in allen zivilrechtlichen Fallkonstellationen als Rechtsfolge nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ein Steuersatz von nur 7 v.H. anzusetzen sei.

12

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1999 um ... €, für 2000 um ... € und für 2001 um ... € herabzusetzen.

13

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

14

Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor, von der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG sei nur die Verschaffung der Eintrittsberechtigung selbst erfasst, nicht jedoch damit im Zusammenhang stehende sonstige Dienstleistungen der hier vorliegenden Art. Nur die Klägerin in ihrer Eigenschaft als (örtliche) Veranstalterin könne Eintrittsberechtigungen verschaffen. Die zwischengeschalteten Vorverkaufsstellen seien hierzu nicht in der Lage. Den Kartenkäufern komme es nicht auf den Erwerb einer Eintrittskarte als solcher, sondern auf die Erlangung der Möglichkeit zur Teilnahme an einer Veranstaltung an. Die Eintrittskarte diene lediglich zum Nachweis der Berechtigung des Besuchers.

15

Die Vorverkaufsstellen handelten im fremden Namen und seien durch Vermittlungsgeschäfte für die Klägerin tätig geworden. Die Vorverkaufsgebühr stelle eine Art Entgelt an die Vorverkaufsstelle für den vorzeitigen und gesicherten Kartenerwerb dar. Das Entgelt werde nur vom jeweiligen Kartenkäufer gegenüber der Vorverkaufsstelle geschuldet.

16

Das Handeln im fremden Namen schließe die Annahme von Kommissionsgeschäften aus. Diese entsprächen auch nicht den wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Beteiligten.

17

Umsatzsteuerrechtlich stehe die Vorverkaufsstelle allein in einem Leistungsaustausch mit der Klägerin. Dieses Leistungsaustauschverhältnis werde durch die Einräumung der Möglichkeit zum Handel mit Eintrittskarten durch die Vorverkaufsstellen seitens der Klägerin einerseits und der Abführung eines Teils der von den Kartenkäufern der Vorverkaufsstelle geschuldeten Vorverkaufsgebühren an die Klägerin andererseits charakterisiert.

Entscheidungsgründe

18

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

19

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei den "refundierten" Vorverkaufserlösen um Entgelte für dem Regelsteuersatz unterliegende Leistungen der Klägerin an die Vorverkaufsstellen gehandelt hat. Entgegen der Auffassung des FG umfassen die nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt zu besteuernden Leistungen der Klägerin an die Erwerber der Eintrittsberechtigungen (folgend: Kartenkäufer) auch den Vorverkauf und das hierfür zu entrichtende Entgelt. Die mit den Vorverkaufsstellen vereinbarte "Refundierung" mindert die von der Klägerin den Vorverkaufsstellen für deren Vermittlung geschuldete Provision. Die Feststellungen des FG erlauben dem Senat nicht die abschließende Beurteilung, ob in den Streitjahren die auf die Leistungen der Klägerin (Kartenverkauf zzgl. Vorverkauf) bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes entstandene Steuer niedriger ist, als in den vom FG bestätigten Umsatzsteuerbescheiden.

20

1. Das FG geht zu Recht davon aus, dass die Vorverkaufsstellen lediglich Vermittler für die Leistungen der Klägerin an die Kartenkäufer waren und die Klägerin mit der durch die Vorverkaufsstellen vermittelten entgeltlichen Überlassung von Eintrittskarten sonstige Leistungen i.S. des § 3 Abs. 9 UStG erbracht hat, die auch den Vorverkauf umfassen; entgegen der Auffassung des FG haben die Vorverkaufsstellen keine Vermittlungsleistungen gegenüber den Kartenkäufern erbracht.

21

a) Die Beteiligten eines Leistungsaustausches ergeben sich aus den schuldrechtlichen Vertragsbeziehungen. Deren Inhalt ist durch Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen, bei der auch der Empfängerhorizont zu berücksichtigen ist (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Januar 2011 II R 30/09, BFH/NV 2011, 755), zu ermitteln. Die Vertragsauslegung obliegt grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz; sie bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. Januar 2011 V R 6/09, BFH/NV 2011, 1733, unter II.2.b, und vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, Leitsatz). Hat das FG seine Überzeugung vom Inhalt der in einem Vertrag abgegebenen Erklärungen wie im Streitfall vorrangig nicht aufgrund tatrichterlicher Feststellungen eines dahingehenden übereinstimmenden Willens der Vertragsparteien, gewonnen, und kommen --wie im Streitfall-- weitere tatrichterliche Feststellungen insoweit nicht in Betracht, kann der BFH die Auslegung des FG durch seine eigene Auslegung ersetzen (BFH-Urteil vom 27. März 1981 V R 58/74, nicht veröffentlicht, Leitsatz 1).

22

b) Das FG geht im Streitfall zu Recht davon aus, dass die Vorverkaufsstellen gegenüber den Kartenkäufern sowohl zivilrechtlich als auch umsatzsteuerrechtlich als Vermittler aufgetreten sind und die Konzertkarten nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Klägerin verkauft haben und schließt dies aus dem auf den verkauften Karten aufgedruckten Hinweis auf die Klägerin als die Veranstalterin der Konzerte, bestätigt durch das erkennbare Interesse des Kartenkäufers an einem Vertragsschluss mit dem Veranstalter. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die Vorverkaufsstellen dabei handelsrechtlich als Handelsvertreter zu beurteilen sind (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 1986 I ZR 105/84, Der Betrieb 1986, 1117), ist entgegen der Auffassung der Klägerin umsatzsteuerrechtlich ohne Bedeutung.

23

c) Die Leistungen der Klägerin an die Kartenkunden umfassen entgegen der Auffassung des FG auch den Vorverkauf. Die Würdigung des FG, die Vorverkaufsstellen erbrächten Vermittlungsleistungen an den Kartenkunden, sowie die Annahme, die Klägerin habe an die Vorverkaufsstellen eine sonstige Leistung in Form der Einräumung einer Marktchance erbracht und hierfür die vereinbarte "Refundierung erhalten", lässt sich mit den Feststellungen des FG, die Vorverkaufsstellen seien als Vermittler für die Klägerin aufgetreten, nicht vereinbaren.

24

aa) Liegt --wovon das FG zu Recht ausgeht-- eine zwischen der Klägerin und den Vorverkaufsstellen vereinbarte entgeltliche Vermittlungsleistung der Vorverkaufsstellen an die Klägerin vor und sind die Vorverkaufsstellen gegenüber den Kartenkäufern in Bezug auf den Kartenverkauf nur als Vermittler für die Klägerin aufgetreten, ist die Überlassung der für die Ausübung dieser Vermittlungstätigkeit erforderlichen Unterlagen (hier die Überlassung der Konzertkarten zum Verkauf) lediglich die vom Auftraggeber (hier der Klägerin) zu schaffende Voraussetzung für die Ausübung der Vermittlungstätigkeit durch die Vorverkaufsstellen (vgl. z.B. für die Pflichten des Geschäftsherrn gegenüber dem Handelsvertreter § 86a des Handelsgesetzbuchs). Des Weiteren ist auch die Einräumung der Berechtigung zur Vermittlung und die durch den Vermittlungsauftrag für den Vermittler eröffnete Geschäftschance, aufgrund vermittelter Geschäfte Provisionen zu erhalten, lediglich Folge des Vermittlungsauftrages (hier der Vereinbarung der Klägerin mit den Vorverkaufsstellen). Für die Annahme einer eigenständigen (gegenläufigen) Leistung der Klägerin an die Vorverkaufsstellen in Form der Einräumung einer Geschäftschance durch Überlassung der Konzertkarten zum Verkauf ist danach kein Raum.

25

Vergleichbares gilt für die Annahme des FG, die Vorverkaufsstellen seien für die Kartenkäufer erkennbar nur als Vermittler für Leistungen der Klägerin aufgetreten, gleichwohl erbrächten sie aber Vermittlungsleistung gegenüber den Kartenkäufern. War für die Kartenkäufer aufgrund der Gestaltung erkennbar, dass die Vorverkaufsstellen die Karten lediglich als Vermittler im Vorverkauf in deren Namen vertreiben, ist damit die Annahme des FG, jeder einzelne Kartenkäufer schließe selbst einen Vermittlungsvertrag mit der Vorverkaufsstelle, nicht vereinbar. Im Übrigen dient der Vorverkauf auch aus der Sicht des Erwerbers einer Konzertkarte lediglich dem Zweck, für den Kartenkäufer den Besuch der Konzertveranstaltung durch rechtzeitigen Erwerb der Zugangsberechtigung sicherzustellen und hat damit nur die Bedeutung einer den Erwerb der Eintrittsberechtigung für die betreffende Veranstaltung lediglich optimierenden Leistung und keine selbständige Bedeutung. Allein der Umstand, dass die vom Kartenkäufer neben dem "Kartenpreis" zusätzlich zu entrichtende Vorverkaufsgebühr auf den Eintrittskarten als Teil des vom Kunden zu entrichtenden Kartenpreises erwähnt ("zzgl. Vvk.-Gebühr"), aber nicht betragsmäßig beziffert war, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

26

bb) Die "Vorverkaufsgebühr" ist daher Teil des von den Kartenkäufern an die Klägerin zu bezahlenden Entgelts für die Veranstaltungsleistung der Klägerin, die auch die damit zusammenhängende Organisation des Vorverkaufs umfasst. Diese ist auch umsatzsteuerrechtlich eine unselbständige Nebenleistung.

27

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen hat, liegt eine Nebenleistung zu einer Hauptleistung vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn der Unternehmer für den Leistungsempfänger zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. Juni 2011 V R 44/10, BFH/NV 2011, 2189; vom 25. Juni 2009 V R 25/07, BFHE 226, 407, BStBl II 2010, 239; vom 2. März 2011 XI R 25/09, BFHE 233, 348, BStBl II 2011, 737, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH). Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers verfolgt die Organisation des Vorverkaufs keinen anderen Zweck, als für den Kartenkäufer den Besuch der Konzertveranstaltung durch rechtzeitigen Erwerb der Zugangsberechtigung sicherzustellen. Sie ist daher Nebenleistung, die das umsatzsteuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung "Veranstaltung von Konzerten" teilt.

28

d) Die Leistungen der Klägerin an die Kartenkunden unterliegen dem ermäßigten Steuersatz.

29

aa) Die Klägerin als Veranstalterin der Konzerte hat an die Erwerber der Eintrittskarten sonstige Leistungen i.S. des § 3 Abs. 9 UStG erbracht (BFH-Urteil vom 3. Juni 2009 XI R 34/08, BFHE 226, 369, BStBl II 2010, 857, unter II.1.b).

30

bb) Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Leistungen der Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre und Museen sowie die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer. Die Klägerin ist gegenüber den Erwerbern der Eintrittsberechtigung als Veranstalter der Konzerte aufgetreten, denn der Leistungsaustausch --Vorführung gegen Eintrittsgeld-- hat sich zwischen ihr, dem Veranstalter und dem Publikum vollzogen (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2003 V R 86/01, BFH/NV 2004, 984, unter II.1.d, m.w.N.).

31

cc) Unionsrechtliche Grundlage für die Steuerermäßigung ist Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in Verbindung mit Anhang H Nr. 7 der Richtlinie 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz anwenden auf die Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen. Damit ist die Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG, auch wenn die Richtlinie den Veranstalter nicht ausdrücklich erwähnt, vereinbar (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 984, unter II.2.).

32

e) Bemessungsgrundlage für die von den Vorverkaufsstellen vermittelten Leistungen der Klägerin an die Kartenkäufer ist der Betrag, den die Kartenkunden für die Veranstaltungsleistungen der Klägerin zu entrichten hatten, mithin der bezifferte "Kartenpreis" zuzüglich der vom Kartenkunden zu bezahlenden "Vorverkaufsgebühr". Dass die Vorverkaufsstellen die Höhe der Vorverkaufsgebühr innerhalb des von der Klägerin vorgegebenen Rahmens bestimmen konnten, ist insoweit unerheblich.

33

Entgegen der Auffassung der Klägerin berührt die "Refundierung" eines Teils der von den Vorverkaufsstellen für die Klägerin von den Kartenkäufern vereinnahmten Entgelte nicht die Bemessungsgrundlage für den Verkauf der Konzertkarte, sondern mindert die Höhe der von der Klägerin den Vorverkaufsstellen geschuldeten Vermittlungsprovision; denn die "Refundierung" beruht allein auf den Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der jeweiligen Vorverkaufsstelle. Entgelt für deren Vermittlungsleistung an die Klägerin ist letztendlich nur der Betrag, den die Vorverkaufsstellen von den Vorverkaufsgebühren als Provision behalten dürfen, also in den "Refundierungsfällen" der um die "Refundierung" geminderte Betrag.

34

2. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Die Klägerin hat zu Unrecht die Vorverkaufsgebühren, die die Kartenkunden jeweils zu entrichten hatten, nur in Höhe der "refundierten" Vorverkaufsgebühren als Entgelt für ihre Umsätze erfasst. Zur Bemessungsgrundlage für ihre insgesamt dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Leistungen an die Kartenkunden gehören jedoch die ungekürzten Vorverkaufsgebühren. Die Minderung des Provisionsentgelts ist nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Besteuerungszeitraum der "Refundierung" zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 15. September 2011 V R 36/09, Deutsches Steuerrecht 2011, 2392, unter II.B.2.b aa; vom 18. September 2008 V R 56/06, BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, Leitsatz). Zur Höhe der Provisionen und der "Refundierung" sind weitere Feststellungen erforderlich. Auch fehlen Feststellungen zum Vorsteuerabzug für die von den Vorverkaufsstellen an die Klägerin erbrachten Vermittlungsleistungen, insbesondere zum Vorliegen entsprechender Rechnungen.

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


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(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, ka

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Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 17 Änderung der Bemessungsgrundlage


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(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof

1.
in der Sache selbst entscheiden oder
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Der Bundesfinanzhof verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der in dem Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.

(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

(1a) Als Lieferung gegen Entgelt gilt das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Lieferer. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in den Fällen des § 6b.

(1b) Einer Lieferung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Entnahme eines Gegenstands durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen;
2.
die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands durch einen Unternehmer an sein Personal für dessen privaten Bedarf, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen;
3.
jede andere unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens.
Voraussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.

(2) (weggefallen)

(3) Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs) liegt zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer.

(3a) Ein Unternehmer, der mittels seiner elektronischen Schnittstelle die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Empfänger nach § 3a Absatz 5 Satz 1 unterstützt, wird behandelt, als ob er diesen Gegenstand für sein Unternehmen selbst erhalten und geliefert hätte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Unternehmer mittels seiner elektronischen Schnittstelle den Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro unterstützt. Eine elektronische Schnittstelle im Sinne der Sätze 1 und 2 ist ein elektronischer Marktplatz, eine elektronische Plattform, ein elektronisches Portal oder Ähnliches. Ein Fernverkauf im Sinne des Satzes 2 ist die Lieferung eines Gegenstands, der durch den Lieferer oder für dessen Rechnung aus dem Drittlandsgebiet an einen Erwerber in einem Mitgliedstaat befördert oder versendet wird, einschließlich jener Lieferung, an deren Beförderung oder Versendung der Lieferer indirekt beteiligt ist. Erwerber im Sinne des Satzes 4 ist ein in § 3a Absatz 5 Satz 1 bezeichneter Empfänger oder eine in § 1a Absatz 3 Nummer 1 genannte Person, die weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschreitet noch auf ihre Anwendung verzichtet; im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ist die von diesem Mitgliedstaat festgesetzte Erwerbsschwelle maßgebend. Satz 2 gilt nicht für die Lieferung neuer Fahrzeuge und eines Gegenstandes, der mit oder ohne probeweise Inbetriebnahme durch den Lieferer oder für dessen Rechnung montiert oder installiert geliefert wird.

(4) Hat der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen und verwendet er hierbei Stoffe, die er selbst beschafft, so ist die Leistung als Lieferung anzusehen (Werklieferung), wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Das gilt auch dann, wenn die Gegenstände mit dem Grund und Boden fest verbunden werden.

(5) Hat ein Abnehmer dem Lieferer die Nebenerzeugnisse oder Abfälle, die bei der Bearbeitung oder Verarbeitung des ihm übergebenen Gegenstands entstehen, zurückzugeben, so beschränkt sich die Lieferung auf den Gehalt des Gegenstands an den Bestandteilen, die dem Abnehmer verbleiben. Das gilt auch dann, wenn der Abnehmer an Stelle der bei der Bearbeitung oder Verarbeitung entstehenden Nebenerzeugnisse oder Abfälle Gegenstände gleicher Art zurückgibt, wie sie in seinem Unternehmen regelmäßig anfallen.

(5a) Der Ort der Lieferung richtet sich vorbehaltlich der §§ 3c, 3e und 3g nach den Absätzen 6 bis 8.

(6) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Befördern ist jede Fortbewegung eines Gegenstands. Versenden liegt vor, wenn jemand die Beförderung durch einen selbständigen Beauftragten ausführen oder besorgen lässt. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstands an den Beauftragten.

(6a) Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), so ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung dabei durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der zugleich Lieferer ist (Zwischenhändler), ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates und verwendet der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Gelangt der Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer verwendet, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde. Gelangt der Gegenstand der Lieferung vom Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Gegenstand der Lieferung im Namen des Zwischenhändlers oder im Rahmen der indirekten Stellvertretung (Artikel 18 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1) für seine Rechnung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet wird.

(6b) Wird ein Unternehmer gemäß Absatz 3a behandelt, als ob er einen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte, wird die Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch diesen Unternehmer zugeschrieben.

(7) Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. In den Fällen der Absätze 6a und 6b gilt Folgendes:

1.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt.
2.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands endet.

(8) Gelangt der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung oder Versendung aus dem Drittlandsgebiet in das Inland, gilt der Ort der Lieferung dieses Gegenstands als im Inland gelegen, wenn der Lieferer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist.

(8a) (weggefallen)

(9) Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. Sie können auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustands bestehen.

(9a) Einer sonstigen Leistung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen; dies gilt nicht, wenn der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1b ausgeschlossen oder wenn eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Absatz 6a durchzuführen ist;
2.
die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.

(10) Überlässt ein Unternehmer einem Auftraggeber, der ihm einen Stoff zur Herstellung eines Gegenstands übergeben hat, an Stelle des herzustellenden Gegenstands einen gleichartigen Gegenstand, wie er ihn in seinem Unternehmen aus solchem Stoff herzustellen pflegt, so gilt die Leistung des Unternehmers als Werkleistung, wenn das Entgelt für die Leistung nach Art eines Werklohns unabhängig vom Unterschied zwischen dem Marktpreis des empfangenen Stoffs und dem des überlassenen Gegenstandes berechnet wird.

(11) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung eingeschaltet und handelt er dabei im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung, gilt diese Leistung als an ihn und von ihm erbracht.

(11a) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung, die über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht wird, eingeschaltet, gilt er im Sinne von Absatz 11 als im eigenen Namen und für fremde Rechnung handelnd. Dies gilt nicht, wenn der Anbieter dieser sonstigen Leistung von dem Unternehmer als Leistungserbringer ausdrücklich benannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn

1.
in den von jedem an der Erbringung beteiligten Unternehmer ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind;
2.
in den dem Leistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind.
Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn der Unternehmer hinsichtlich der Erbringung der sonstigen Leistung im Sinne des Satzes 2
1.
die Abrechnung gegenüber dem Leistungsempfänger autorisiert,
2.
die Erbringung der sonstigen Leistung genehmigt oder
3.
die allgemeinen Bedingungen der Leistungserbringung festlegt.
Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, wenn der Unternehmer lediglich Zahlungen in Bezug auf die erbrachte sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 abwickelt und nicht an der Erbringung dieser sonstigen Leistung beteiligt ist.

(12) Ein Tausch liegt vor, wenn das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung besteht. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht.

(13) Ein Gutschein (Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein) ist ein Instrument, bei dem

1.
die Verpflichtung besteht, es als vollständige oder teilweise Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung anzunehmen und
2.
der Liefergegenstand oder die sonstige Leistung oder die Identität des leistenden Unternehmers entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind.
Instrumente, die lediglich zu einem Preisnachlass berechtigen, sind keine Gutscheine im Sinne des Satzes 1.

(14) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen, ist ein Einzweck-Gutschein. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im eigenen Namen, gilt die Übertragung des Gutscheins als die Lieferung des Gegenstands oder die Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im Namen eines anderen Unternehmers, gilt diese Übertragung als Lieferung des Gegenstands oder Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, durch den Unternehmer, in dessen Namen die Übertragung des Gutscheins erfolgt. Wird die im Einzweck-Gutschein bezeichnete Leistung von einem anderen Unternehmer erbracht als dem, der den Gutschein im eigenen Namen ausgestellt hat, wird der leistende Unternehmer so behandelt, als habe er die im Gutschein bezeichnete Leistung an den Aussteller erbracht. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die ein Einzweck-Gutschein als Gegenleistung angenommen wird, gilt in den Fällen der Sätze 2 bis 4 nicht als unabhängiger Umsatz.

(15) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ist ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der Umsatzsteuer nach § 1 Absatz 1, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Umsatzsteuer unterliegt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerinnen und Revisionsbeklagten (Klägerinnen), die Erbinnen ihres im Januar 2001 verstorbenen Vaters, reichten die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) angeforderte, unter Mitwirkung der Steuerkanzlei B und D erstellte Erbschaftsteuererklärung im September 2001 ein. Sie hatten "den Herren Steuerberater A. B und C. D" unter der vom FA für das Verfahren zunächst vergebenen Steuer-Ermittlungsnummer am 7. Februar 2001 Vollmacht erteilt, sie in allen Steuerangelegenheiten vor den hierfür zuständigen Behörden und Gerichten zu vertreten, für die Klägerinnen verbindliche Erklärungen abzugeben, Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. In den Vollmachten, die "bis auf den Widerruf" gelten sollten und dem FA vorgelegt wurden, hieß es weiter, Steuerbescheide und alle sonstigen Verwaltungsakte (einschließlich förmlicher Zustellungen) sowie Urteile und gerichtliche Verfügungen seien ausschließlich den Bevollmächtigten bekannt zu geben. Steuerberater B ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen im vorliegenden gerichtlichen Verfahren.

2

Das FA erließ am 10. Mai 2002 für die Klägerinnen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) stehende Erbschaftsteuerbescheide, die für jede Klägerin eine eigene Steuernummer ausweisen und die es den bevollmächtigten Steuerberatern bekannt gab. Die Bescheide wurden nicht angefochten. Der Bitte des FA, nähere Angaben zu den in der Erbschaftsteuererklärung erwähnten Vorschenkungen zu machen, entsprachen die Klägerinnen zunächst nicht. Erst nach erneuter Aufforderung teilte Steuerberater B mit Schreiben vom 23. September 2004 Einzelheiten zu den Vorschenkungen mit. In diesem Schreiben wird Steuerberater D als "Kooperationspartner" bezeichnet.

3

Das FA berücksichtigte in den geänderten Erbschaftsteuerbescheiden vom 27. Dezember 2005 die Vorschenkungen sowie einen im Jahr 2002 ergangenen Bescheid zur Feststellung des Grundstückswerts eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks. Es erhöhte die festgesetzte Erbschaftsteuer von bisher je … DM (… €) gegenüber der Klägerin zu 1. auf … DM (… €), gegenüber der Klägerin zu 2. auf … DM (… €) und gegenüber der Klägerin zu 3. auf … DM (… €). Die Bescheide waren an "StB. B und D", in einem Fall mit dem vorangestellten Zusatz "Herrn", als Empfangsbevollmächtigte der Klägerinnen adressiert. Die Übermittlung der Bescheide erfolgte durch Postzustellungsurkunden. Im Sichtfenster der Bescheidumschläge war in der Absenderzeile die "Finanzverwaltung NRW Postfach …  …" ausgewiesen. Die Umschläge selbst trugen das Logo der "Finanzverwaltung NRW" und waren wie auch die Zustellungsurkunden mit einer Geschäftsnummer i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (VwZG) versehen. Die Geschäftsnummern setzten sich aus der jeweiligen Steuernummer, der Bezeichnung ("ErbSt-Bescheid") und dem Datum des Bescheids sowie dem Zusatz "ESST 11" zusammen. Die ersten drei Ziffern der Steuernummer entsprachen dabei der Kennnummer des FA. Ausweislich der Zustellungsurkunden wurden die Bescheide am 29. Dezember 2005 einer namentlich bezeichneten Büroangestellten von Steuerberater B übergeben. Zugleich erließ das FA für die Vorschenkungen gegenüber den Klägerinnen zu 1. und 3. Schenkungsteuerbescheide.

4

Mit Schreiben vom 6. Januar 2006 sandte Steuerberater B die Sendungen mit der Begründung an das FA zurück, die Klägerinnen würden nicht mehr von der Sozietät B und D, sondern ausschließlich von ihm betreut, wie sich bereits aus dem Schreiben vom 23. September 2004 ergebe. Die Sozietät sei bereits seit längerer Zeit nicht mehr tätig und daher nicht mehr Empfangsbevollmächtigte. Eine wirksame Bekanntgabe unter der vom FA gewählten Adressierung sei daher nicht möglich.

5

Die Klägerinnen erhoben mit Schreiben vom 16. Januar 2006 Einspruch gegen die Steuerfestsetzungen und führten zur Begründung aus, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Zustellungsvollmacht für die B und D GbR habe nicht mehr bestanden. Aufgrund des Schreibens des Steuerberaters B vom 23. September 2004 und des Zeitablaufs hätten sich dem FA Zweifel am Fortbestehen der Vollmacht aufdrängen müssen. Zudem hätten sich die Vollmachten auf eine andere Steuernummer als die in den Bescheiden genannten Steuernummern bezogen. Die Zustellungen entsprächen auch nicht den Anforderungen des § 3 VwZG. Insbesondere ließen die Sendungen die erlassende Dienststelle nicht erkennen. Die Einsprüche blieben erfolglos.

6

Das Finanzgericht (FG) gab den zunächst getrennt erhobenen und in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen gegen die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 984 veröffentlichte Urteil statt. Es führte zur Begründung der Aufhebung der Bescheide aus, die Schenkungsteuerbescheide seien bereits deshalb unwirksam, weil für Steuerberater B keine entsprechende Empfangsvollmacht vorgelegen habe. Im Übrigen seien alle angefochtenen Bescheide nicht wirksam bekannt gegeben worden, weil die absendende Dienststelle auf den Sendungen entgegen § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht ausreichend bezeichnet gewesen sei. Es genüge nicht, dass sich diese Dienststelle anhand der auf den Sendungen angegebenen Postfachnummer und Postleitzahl ermitteln lasse. Die mit Ende des Jahres 2005 abgelaufene Festsetzungsfrist sei auch nicht gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO gewahrt. Zwar habe Steuerberater B die Bescheide im Jahr 2006 erhalten. Dies spiele aber wegen des Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG keine Rolle, da das FA nicht alle für den Erlass eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschriebenen Voraussetzungen eingehalten habe.

7

Mit der auf die Aufhebung der Erbschaftsteuerbescheide durch das FG beschränkten Revision rügt das FA Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG. Die Bescheide seien noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist wirksam bekannt gegeben worden. Der tatsächliche Zugang der Bescheide beim Bevollmächtigten der Klägerinnen sei durch die Postzustellungsurkunden hinreichend nachgewiesen. Die absendende Dienststelle habe sich aufgrund der gemachten Angaben zweifelsfrei ermitteln lassen. Jedenfalls sei die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO gewahrt worden.

8

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA die geänderten Erbschaftsteuerbescheide vom 26. und 27. April 2010, mit denen es die Erbschaftsteuer gegenüber der Klägerin zu 1. auf … DM (… €), gegenüber der Klägerin zu 2. auf … DM (… €) und gegenüber der Klägerin zu 3. auf … DM (… €) herabsetzte. Das FA berücksichtigte dabei die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Berechnung des nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes anrechenbaren Betrags für Vorerwerbe (BFH-Urteile vom 2. März 2005 II R 43/03, BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728, und vom 31. Mai 2006 II R 20/05, BFH/NV 2006, 2260, und hinsichtlich der Klägerin zu 2. zusätzlich BFH-Urteile vom 8. März 2006 II R 10/05, BFHE 213, 106, BStBl II 2006, 785; vom 8. März 2006 II R 73/04 und II R 29/05, BFH/NV 2006, 1661 und 1662; vom 19. Dezember 2007 II R 34/06, BFHE 218, 419, BStBl II 2008, 260, und vom 19. November 2008 II R 22/07, BFH/NV 2009, 587).

9

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie die Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 18. Juni 2007 betrifft, und die Klage gegen die Erbschaftsteuerbescheide vom 26. und 27. April 2010 abzuweisen.

10

Die Klägerinnen beantragen, die Erbschaftsteuerbescheide vom 26. und 27. April 2010 aufzuheben und die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

11

Sie halten an ihrer Auffassung fest, dass die Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 innerhalb der Festsetzungsfrist nicht wirksam bekannt gegeben worden seien. Aus dem Schreiben vom 23. September 2004 habe sich ergeben, dass die Sozietät nicht mehr bestanden habe und deshalb nicht mehr Empfangsbevollmächtigte habe sein können. Im Dezember 2005 sei die Sozietät voll beendet gewesen. Sämtliche Mandate seien bereits im Jahr 2002 mit Zustimmung der Mandanten auf die Einzelpraxen der bisherigen Mitglieder der Sozietät übergegangen. Das Erbschaftsteuermandat der Klägerinnen habe auf deren Wunsch Steuerberater B übernommen. Es liege zudem eine zur Unwirksamkeit der Zustellung liegende Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften vor, da die absendende Dienststelle auf der zuzustellenden Sendung nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sei. Eine Heilung dieses Mangels sei nicht möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des FA ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet und hat auch in der Sache selbst Erfolg.

13

1. Die Revision führt gemäß § 127 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie die Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 18. Juni 2007 betrifft, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat. An die Stelle der ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheide, über die das FG entschieden hat, sind während des Revisionsverfahrens die Änderungsbescheide vom 26. bzw. 27. April 2010 getreten, die nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (BFH-Urteile vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269; vom 12. Februar 2009 V R 61/06, BFHE 224, 467, BStBl II 2009, 828, und vom 30. Juni 2010 II R 60/08, BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897). Da sich aufgrund der Änderungsbescheide an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat, bedarf es keiner Zurückverweisung nach § 127 FGO. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, weil das finanzgerichtliche Verfahren nicht an einem Verfahrensmangel leidet (BFH-Urteile vom 15. März 2007 II R 5/04, BFHE 215, 540,  BStBl II 2007, 472, und in BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897).

14

2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage gegen die Erbschaftsteuerbescheide vom 26. und 27. April 2010 ist unbegründet. Mit diesen Bescheiden wurde dem Begehren der Klägerinnen teilweise gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO stattgegeben. Eine Aufhebung der Bescheide oder weitere Herabsetzung der Steuer ist nicht geboten. Die Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 waren wirksam und lediglich hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Steuern rechtswidrig.

15

a) Der wirksamen Zustellung der Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 an Steuerberater B als Bevollmächtigten der Klägerinnen gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG stand nicht entgegen, dass die zwischen den Steuerberatern B und D bestehende Sozietät in der Rechtsform einer GbR inzwischen aufgelöst worden war. Diese Auflösung hatte nicht zum Erlöschen der erteilten Vollmachten vom 7. Februar 2001 geführt.

16

aa) Sind die Vollmachten ihrem Wortlaut entsprechend so zu verstehen, dass sie den Steuerberatern B und D als mehreren Bevollmächtigten erteilt worden waren, so genügte in entsprechender Anwendung des § 84 der Zivilprozessordnung die Zustellung an einen von ihnen (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 1998  9 B 776/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1998, 3582, m.w.N.). Die Auflösung der Sozietät spielt keine Rolle.

17

bb) Sind die Vollmachten hingegen so auszulegen, dass die zwischen den Steuerberatern B und D bestehende Sozietät als solche bevollmächtigt war (zur Zulässigkeit der Bevollmächtigung einer Sozietät in der Rechtsform einer GbR vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 17. September 2008  IV ZR 343/07, NJW 2009, 440, unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 29. Januar 2001 II ZR 331/00, BGHZ 146, 341), steht die Auflösung der Sozietät der Wirksamkeit der Zustellung der Steuerbescheide ebenfalls nicht entgegen.

18

Wird eine Sozietät von Rechtsanwälten oder Steuerberatern in der Rechtsform einer GbR, der eine Verfahrens- oder Prozessvollmacht erteilt worden war, aufgelöst, führt dies nicht zu einem Erlöschen der Vollmacht. Durch die Auflösung einer GbR tritt abgesehen von dem möglichen Wechsel in der Geschäftsführung (§ 730 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) im Verhältnis zu den Geschäftspartnern der GbR zunächst keine Änderung ein (Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Juni 1998 8 U 258/97, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht --NZG-- 1999, 67); die Identität der Gesellschaft bleibt auch in der Liquidationsphase bestehen. Die Abwicklungsgesellschaft hat die bereits bestehenden Mandate fortzuführen, bis mit Zustimmung des jeweiligen Mandanten eine anderweitige Regelung (Vertragsübernahme durch einen der bisherigen Sozien) getroffen oder das Mandatsverhältnis beendet wird (Bormann in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, Kommentar, § 59a BRAO/§ 32 BORA Rz 164; Henssler in Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 32 BORA Rz 6 f.; Römermann, NZG 1999, 68).

19

Die Auflösung der zwischen den Steuerberatern B und D bestehenden Sozietät hatte somit auch dann, wenn die Sozietät als solche bevollmächtigt gewesen sein sollte, nicht zur Folge, dass die von den Klägerinnen erteilten Vollmachten erloschen sind. Die Sozietät hat vielmehr insoweit im Außenverhältnis fortbestanden. Jeder der beiden Steuerberater war berechtigt, mit Wirkung für die Abwicklungsgesellschaft und somit für die Klägerinnen Zustellungen entgegenzunehmen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 84 Rz 1).

20

cc) War die Sozietät beim Erlass der Erbschaftsteuerbescheide vom 27. Dezember 2005 nicht nur aufgelöst, sondern bereits vollbeendet, wie die Klägerinnen im Revisionsverfahren vorgetragen haben, das FG aber nicht festgestellt hat, so ändert dies nichts an der Wirksamkeit der Bekanntgabe der Bescheide. Diese Bescheide waren nicht an die Sozietät B und D, sondern an "StB. B und D", in einem Fall mit dem vorangestellten Zusatz "Herrn", adressiert. Wie bereits ausgeführt, genügte die Bekanntgabe an Steuerberater B als einen dieser Steuerberater den gesetzlichen Anforderungen (oben II.2.a aa), zumal dieser das Erbschaftsteuermandat der Klägerinnen übernommen hatte, wie sich aus dem Schreiben vom 6. Januar 2006 an das FA und den Ausführungen der Klägerinnen im Revisionsverfahren ergibt.

21

b) Die Vollmachten sind auch nicht durch Zeitablauf erloschen. Sie waren nicht befristet, sondern galten nach ihrem Wortlaut "bis auf den Widerruf". Ihnen lässt sich nicht entnehmen, dass sie lediglich für Erbschaftsteuerbescheide gelten sollten, die alsbald nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung ergehen. Sie sollten vielmehr auch für Rechtsbehelfe und Rechtsmittel und somit langfristig gelten. Dass die Klägerinnen die Vollmachten widerrufen hätten, hat das FG nicht festgestellt und bringen die Klägerinnen auch nicht vor. Ein Widerruf der Vollmachten wäre zudem dem FA gegenüber gemäß § 80 Abs. 1 Satz 4 AO erst mit Zugang bei diesem wirksam geworden. Im Schreiben vom 23. September 2004 kann kein Widerruf der Vollmachten durch die Klägerinnen gesehen werden. Aus dem Schreiben ging vielmehr hervor, dass jedenfalls Steuerberater B weiterhin für die Klägerinnen als Bevollmächtigter handeln wollte und sollte. Zudem ergibt sich das Fortbestehen der Bevollmächtigung von Steuerberater B aus dessen Schreiben vom 6. Januar 2006 an das FA und den Ausführungen der Klägerinnen im Revisionsverfahren zur im Jahr 2002 erfolgten Übernahme ihres Erbschaftsteuermandats durch Steuerberater B.

22

c) Ebenfalls ohne Bedeutung ist, dass die Erbschaftsteuerbescheide nicht unter der Steuernummer ergangen sind, die auf den Vollmachten angegeben war. Die Vollmachten stellen verfahrensrechtliche Willenserklärungen dar, deren Inhalt durch Auslegung unter Beachtung des "Empfängerhorizonts" zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1994 II R 131/91, BFH/NV 1995, 475). Diese Auslegung ergibt, dass die Steuerberater B und D hinsichtlich der Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen die Klägerinnen in Bezug auf den Nachlass ihres Vaters bevollmächtigt wurden, und zwar auch zur Empfangnahme der zu erwartenden Erbschaftsteuerbescheide. Eine Auslegung der Vollmachten dahingehend, dass sie nur für den Fall gelten sollten, dass die Steuerbescheide unter der in den Vollmachten angegebenen Steuernummer ergehen, scheidet aus. Eine solche Auslegung wäre mit Sinn und Zweck der Vollmachten nicht vereinbar. Es entsprach vielmehr den berechtigten Interessen der Klägerinnen an einer sachgerechten Beratung und Vertretung, dass die Vollmachten für das Erbschaftsteuerverfahren gelten sollten, und zwar auch für den Fall, dass, wie zu erwarten war, die Steuerbescheide nicht unter der zunächst vergebenen einheitlichen Steuer-Ermittlungsnummer, sondern unter Angabe von eigenen Steuernummern für jede der Klägerinnen ergehen würden. Die unter Angabe von eigenen Steuernummern für jede der Klägerinnen erfolgte Bekanntgabe der ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheide an die Steuerberater B und D war demgemäß auch nicht beanstandet worden.

23

d) Die Bescheide vom 27. Dezember 2005 sind auch nicht deshalb unwirksam oder rechtswidrig, weil auf den Bescheidumschlägen das FA nicht namentlich bezeichnet war. Die Zustellung ist vielmehr am 29. Dezember 2005 gemäß § 11 Abs. 3 VwZG durch Übergabe an die Angestellte von Steuerberater B wirksam erfolgt.

24

aa) Bei der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde ist nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG die Sendung mit der Anschrift des Empfängers und mit der Bezeichnung der absendenden Dienststelle, einer Geschäftsnummer und einem Vordruck für die Zustellungsurkunde zu versehen. Für den Nachweis einer wirksamen Zustellung ist dabei neben der Anschrift des Empfängers in erster Linie die Angabe der Geschäftsnummer entscheidend. Da eine Postzustellungsurkunde nicht die Übergabe des --in einem verschlossenen Umschlag beförderten-- Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung bezeugt, stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung und auf der Postzustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Um die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Postsendung zu gewährleisten, muss die Geschäftsnummer infolgedessen die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005 IV R 44/03, BFHE 211, 9, BStBl II 2006, 214, m.w.N.).

25

Ermöglicht die Geschäftsnummer die Identifizierung der zugestellten Sendung, ist die namentliche Bezeichnung der absendenden Dienststelle entbehrlich. Für die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG erforderliche Bezeichnung der absendenden Dienststelle reicht es dann vielmehr aus, wenn diese Dienststelle aufgrund der auf dem Bescheidumschlag und gegebenenfalls in einem Sichtfenster des Umschlags gemachten Angaben eindeutig identifiziert werden kann. Der Zweck der Zustellungsvorschriften wird auch in einem solchen Fall erreicht. Diese sind nicht Selbstzweck, sondern dienen dazu, die Tatsache des Zugangs eines Schriftstücks und dessen Zeitpunkt sicher nachweisen zu können und dem Adressaten der Zustellung eine zuverlässige Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück zu vermitteln (BFH-Urteil vom 25. Januar 1994 VIII R 45/92, BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603; BGH-Urteil vom 21. März 2001 VIII ZR 244/00, NJW 2001, 1946, unter II.2.b bb). Um dieses Ziel zu erreichen, genügt es, wenn die zugestellte Sendung identifiziert werden kann und die absendende Dienststelle zwar nicht namentlich genannt wird, sich aber aus den auf der Sendung gemachten Angaben eindeutig ersehen lässt.

26

bb) So verhält es sich im Streitfall. Die auf den Bescheidumschlägen angegebenen Geschäftsnummern bezeichneten die darin enthaltenen Bescheide anhand der Steuernummern sowie der Art und des Datums der Bescheide klar und eindeutig. Die absendende Dienststelle ergab sich aus den ersten drei Ziffern der Steuernummern, die der Kennnummer des FA entsprachen, und war aufgrund der zusätzlichen Absenderangaben (Finanzverwaltung NRW, Postfach und Postleitzahl) problemlos identifizierbar.

27

e) Die Rücksendung der Bescheide an das FA führte nicht dazu, dass die bereits wirksam gewordene Zustellung wieder unwirksam wurde. Wurde ein Steuerbescheid wirksam bekannt gegeben, kann der Empfänger die Bekanntgabe nicht nachträglich ungeschehen machen (vgl. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 7 VwZG Rz 10).

28

3. Die Kostenentscheidung beruht für die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens und für die bis zum Erlass der Änderungsbescheide vom 26. und 27. April 2010 angefallenen Kosten des Revisionsverfahrens auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO und für die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens auf § 135 Abs. 1 FGO. Trotz erheblicher Verschiedenheit der Beteiligung der Klägerinnen am Streitwert bedarf es keiner Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 5 Satz 2 FGO. Die Klägerinnen haften zwar gesamtschuldnerisch für die auf sie entfallenden Gerichtskosten (§ 32 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes --GKG--). Da die Klägerinnen nur durch Teile des Streitgegenstandes betroffen sind, nämlich durch die jeweils gegen sie ergangenen Steuerbescheide, beschränkt sich aber die gesamtschuldnerische Haftung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 GKG für die einzelnen Klägerinnen jeweils auf den Betrag, der entstanden wäre, wenn die Klageverfahren nicht verbunden worden wären, ohne dass dies in der Entscheidungsformel ausgesprochen werden muss. Die bis zur Verbindung angefallenen Gerichtsgebühren sind getrennt nach den Streitwerten der bis dahin anhängigen einzelnen Verfahren zu bemessen (BFH-Beschlüsse vom 8. August 1968 V B 29-32/68, BFHE 93, 266, BStBl II 1968, 778, und vom 26. Mai 2000 XI E 1/00, BFH/NV 2001, 43).

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruhe.

(2) Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im Übrigen ist der Bundesfinanzhof an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war aufgrund eines sog. Bezirkshändlervertrages für die U-GmbH als Kommissionärin tätig und lieferte Haushaltsgegenstände an Endverbraucher. Die Klägerin beauftragte sog. Beraterinnen und Gruppenberaterinnen, Warenlieferungen an Endverbraucher zu vermitteln und vergütete die Vermittlungsleistungen der Beraterinnen mit einer Provision von 24 % des von ihnen vermittelten Umsatzes. Die Gruppenberaterinnen erhielten zusätzlich eine Provision von 3 % des Umsatzes ihrer Gruppe. Zwischen der U-GmbH und den Beraterinnen und den Gruppenberaterinnen (Beraterinnen) bestanden keine schriftlichen Verträge.

2

Die Beraterinnen erhielten neben den Provisionen auch sog. Wettbewerbspreise. Sie konnten diese Preise im Rahmen sog. Umsatzwettbewerbe bei Erreichen bestimmter Umsatzgrenzen und im Rahmen sog. Rekrutierungswettbewerbe, bei denen es um die Anwerbung neuer Beraterinnen ging, erhalten. Bei den Wettbewerbspreisen handelte es sich um Gegenstände oder Reisen. Im Zusammenhang mit den von der U-GmbH vorformulierten Beraterinnenverträgen wurden die Beraterinnen auf die Möglichkeit, in Wettbewerben Preise zu gewinnen, hingewiesen.

3

Für die Wettbewerbe stellte die U-GmbH der Klägerin Prospekte zur Verfügung, in denen die einzelnen Wettbewerbspreise und die entsprechenden Wettbewerbsbedingungen für das Erreichen bestimmter Umsatzgrenzen oder für die Rekrutierung neuer Beraterinnen für den jeweils vorgegebenen Zeitraum beschrieben wurden. Die Prospekte richteten sich direkt an die Beraterinnen. Auf den Prospekten befanden sich Name, Adresse und Internetadresse der U-GmbH.

4

Zu jedem Wettbewerb richtete die U-GmbH Anschreiben an die Klägerin, in denen sie die hierfür geltenden Wettbewerbsbedingungen wie z.B. die zu erreichende Umsatzhöhe vorgab. Die Klägerin war verpflichtet, ihren Beraterinnen diese Wettbewerbe und die jeweiligen Bedingungen vorzustellen. Hierfür erhielt sie von der U-GmbH einen Satz der für den jeweiligen Wettbewerb ausgeschriebenen Preise, die ihr, der Klägerin, als "Sonderofferte" in Rechnung gestellt wurden. Wenn eine Beraterin ein Wettbewerbsziel erreichte, füllte sie eine Preisanforderungskarte aus und reichte sie bei der Klägerin ein, die die Zielerreichung zu prüfen hatte. Die U-GmbH stellte der Klägerin die an die jeweiligen Beraterinnen übergebenen Wettbewerbspreise stückweise in Rechnung. In den Rechnungen wurden die jeweils übermittelten Gegenstände genau bezeichnet. Daneben stellte die U-GmbH der Klägerin auch Wettbewerbskosten in Rechnung, die im Wesentlichen auf Material, Prospekte und Muster zur Vorstellung der Preise entfielen. Wurden die Gegenstände, die die U-GmbH gegenüber der Klägerin als "Sonderofferte" abgerechnet hatte, nicht an eine Gewinnerin weitergegeben, belastete die U-GmbH der Klägerin einen höheren Preis nach und stellte diesen zusätzlich in Rechnung. Für den Fall, dass ein Produkt der U-GmbH als Wettbewerbspreis ausgegeben wurde, wurde der Klägerin von der U-GmbH nachträglich ein niedrigerer Preis gutgeschrieben.

5

Darüber hinaus erhielten auch sog. Gastgeberinnen, die Räumlichkeiten für Verkaufspartys zur Verfügung stellten, "Geschenke". Welches Geschenk die einzelne Gastgeberin erhielt, hing insbesondere von den auf den Partys erzielten Umsätzen und der Anzahl der durchgeführten Partys ab. Auch die Bedingungen dieser Wettbewerbe wurden von der U-GmbH in Prospekten vorgegeben. Die Gastgeberinnengeschenke wurden von der U-GmbH in der gleichen Weise abgerechnet wie die von den Beraterinnen gewonnenen Wettbewerbsgeschenke.

6

Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass der von der Klägerin in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung enthaltene Aufwand für die Wettbewerbe in den Streitjahren zu 75 % auf die Wettbewerbsgeschenke entfiel. Das FA war der Auffassung, die Sachpreise seien als tauschähnlicher Umsatz nach § 3 Abs. 12 Satz 2 des Umsatzsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) zwischen der Klägerin und den Beraterinnen zu berücksichtigen. Das FA änderte die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre entsprechend. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

7

Das Finanzgericht (FG) bestätigte das FA. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe nicht die U-GmbH, sondern die Klägerin die als Sachpreise gewährten Gegenstände und Reisen geleistet. Die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen hätten zwischen der U-GmbH und der Klägerin einerseits sowie zwischen der Klägerin und den Beraterinnen andererseits, nicht aber unmittelbar zwischen der U-GmbH und den Beraterinnen bestanden. Die Klägerin habe die Wettbewerbe im Rahmen der mit den einzelnen Beraterinnen bestehenden Vertragsverhältnisse durchgeführt. Die Chance auf Preisgewinn habe sich aus diesen Verträgen ergeben. Die Klägerin habe nicht als Stellvertreter der U-GmbH in deren Namen gehandelt. Aus Art. 5 Abs. 1 des Bezirkshändlervertrages (BHV), wonach die Klägerin "in keinem Fall das Recht [hat], namens der Gesellschaft zu handeln oder die Gesellschaft in irgendeiner Weise zu verpflichten", ergebe sich ein ausdrückliches Vertretungsverbot. Die Klägerin sei auch nicht als Bote der U-GmbH tätig gewesen. Aus Sicht der Beraterinnen sei die Klägerin Veranstalter der Wettbewerbe gewesen. Art. 5 Abs. 3 BHV, wonach die Klägerin "kein Eigentum an den [ihr] gelieferten Produkten" erwerbe, habe sich nur auf die an die Endverbraucher zu liefernde Ware, nicht aber auch auf Wettbewerbspreise bezogen. Die Nennung der U-GmbH auf den Wettbewerbsprospekten sei unerheblich. Es liege auch keine Auslobung durch die U-GmbH vor. Es handele sich um tauschähnliche Umsätze nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG, da die Klägerin die Wettbewerbspreise für die Leistungen der Beraterinnen geleistet habe. Ebenso sei es bei den Gastgeberinnengeschenken, die als Gegenleistung für die Durchführung von Verkaufspartys anzusehen seien.

8

Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass FG und FA den Sachverhalt ungenügend aufgeklärt hätten und ihr Beweisangebot in der mündlichen Verhandlung nicht protokolliert worden sei. In den zwischen ihr und den Beraterinnen bestehenden Verträgen würden die Wettbewerbe nicht erwähnt; nur die Rückseite der Verträge weise hierauf als Schilderung eines möglichen Erfolgsweges hin und sei als bloße Beschreibung zukünftiger Möglichkeiten nicht geeignet, Vertragsbestandteil zu werden. Unter Beachtung der Regelungen für z.B. Haustürgeschäfte seien sie nicht Vertragsbestandteil geworden. Auch die Formulierung "gewonnene Wettbewerbspreise" in den Gruppenberaterinnenverträgen spreche gegen einen Leistungsaustausch. Sie, die Klägerin, wende die Kosten für die Wettbewerbe auf, um von allen Beraterinnen Mehrleistungen zu erzielen. Die in ihren Verträgen mit den Wettbewerbsteilnehmern erwähnte Chance, einen Wettbewerbspreis zu erhalten, reiche nicht aus, um den für einen Leistungsaustausch erforderlichen Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung zu begründen. Sie sei zivilrechtlich nicht verpflichtet gewesen, sich an den Wettbewerbskosten zu beteiligen und habe im Übrigen nur einen Teil der Kosten hierfür getragen. Es sei verkannt worden, dass die Wettbewerbe aus vorwiegend eigenbetrieblichem Interesse der U-GmbH durchgeführt worden seien. Sie habe nur eine Vorprüfung vorgenommen, ob das Wettbewerbsziel erreicht worden sei; die U-GmbH habe sich eine endgültige Prüfung vorbehalten. Dass die Wettbewerbspreise in den an sie gerichteten Rechnungen der U-GmbH aufgeführt worden seien, habe nur der Vereinfachung gedient. Erst aufgrund der Nachbelastung bei einer anderen Verwendung erwerbe sie Verfügungsmacht und könne wie ein Eigentümer nach Belieben mit dem Gegenstand verfahren. Sie sei bei der Auslobung der Wettbewerbspreise nur ein Kommunikationsmedium, mit dem die U-GmbH ihr Auslobungsangebot übermittelt habe.

9

Für die Erreichung des Wettbewerbsziels habe die jeweilige Beraterin eine gesonderte Leistung durch "ein gegenüber ihrer üblichen Leistung erhöhtes Bemühen" erbracht und damit durch einen "über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Einsatz". Empfänger dieser Leistung sei die U-GmbH als Veranstalter der Wettbewerbe gewesen. Eigenständiges Entgelt hierfür sei der durch die U-GmbH ausgelobte Wettbewerbspreis gewesen. Die Bedingungen der Wettbewerbe würden "bis ins letzte Detail" durch die U-GmbH geregelt. Sie habe keinerlei Möglichkeit gehabt, hierauf Einfluss zu nehmen. Die Wettbewerbsprospekte seien nur mit der Adresse der U-GmbH gekennzeichnet gewesen und hätten keinen Hinweis auf die einzelnen Bezirkshandlungen enthalten. Die Wettbewerbsgewinnerinnen seien durch die U-GmbH bekannt gegeben worden. Sie habe nur den durch die U-GmbH ausgelobten Wettbewerbspreis ausgehändigt, ohne diesen zu liefern. Gegen den Entgeltcharakter der Wettbewerbspreise spreche auch, dass die Auslobungen darauf abzielten, alle Beraterinnen und nicht nur die Gewinnerinnen zu motivieren. Es fehle daher an einer inneren Verbundenheit wechselseitig erbrachter Leistungen. Auch wenn eine Direktleistung der Preise durch die U-GmbH an die Beraterinnen vorliege, sei sie zum Vorsteuerabzug berechtigt, da die Rechnungen auf die Maßnahme Verkaufsförderung hinweisen und die Art des Wettbewerbs bezeichnen.

10

Bei den Gastgeberinnengeschenken bestehe im Übrigen die Besonderheit, dass es sich um Produkte der U-GmbH handele, die sie dem normalen Sortiment für Kommissionsware entnommen habe. Sie habe diese Geschenke wie ein Endverbraucher gekauft und im Tausch für die Überlassung von Räumen hingegeben.

11

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und zur Sachverhaltsaufklärung an das FG zurückzuverweisen.

12

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

13

Die Würdigung des FG sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Entscheidungsgründe

14

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

15

1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin (§ 76 Abs. 1 FGO) als Verfahrensmangel, das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag gestellt, obwohl spätestens aufgrund der Ladung erkennbar war, dass das FG eine mögliche Beweiserhebung nicht durchzuführen beabsichtigte. Gleichwohl hat die in der mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertretene Klägerin rügelos zur Sache verhandelt und damit ihr Rügerecht durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. August 2008 IX B 207/07, BFH/NV 2008, 2022, und vom 19. Mai 2010 IX B 198/09, BFH/NV 2010, 1647). Auf die Gründe, aufgrund derer die Stellung eines konkreten Beweisantrags unterblieben ist, kommt es grundsätzlich nicht an.

16

Soweit die Klägerin vorträgt, dass ein von ihr in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nicht protokolliert worden sei, hätte sie eine Protokollberichtigung beantragen müssen. Dies ist nicht geschehen (BFH-Beschluss vom 18. März 2010 V B 57/08, BFH/NV 2010, 1312).

17

Im Übrigen ist eine durch das FA unterlassene Sachaufklärung kein Verfahrensfehler im Sinne des Revisionsrechts (z.B. BFH-Beschluss vom 9. Mai 2007 IX B 218/06, BFH/NV 2007, 1526).

18

2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin die Abgabe der Sachzuwendungen an die Beraterinnen als eigene Leistung zu versteuern hat.

19

a) Nach ständiger Rechtsprechung sind entgeltliche Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar und unterliegen gemäß Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG dem Anwendungsbereich der Steuer, wenn zwischen einer Leistung und einem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht und sich dieser Zusammenhang aus einem Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ergibt, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die Vergütung den Gegenwert für die Leistung bildet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. Dezember 2007 V R 60/05, BFHE 219, 455, BStBl II 2009, 486, m.w.N. zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union). Nach diesem Rechtsverhältnis bestimmt sich auch die Person des Leistenden und die des Leistungsempfängers (BFH-Urteil vom 23. September 2009 XI R 14/08, BFHE 227, 218, BStBl II 2010, 243, unter II.2.a). Dies gilt auch für die Abgabe von Sachleistungen im Rahmen von Verkaufswettbewerben. Es ist dann nach Maßgabe der zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Fall einer "Leistungskette" und dem Fall einer Direktleistung zu differenzieren (BFH-Urteil vom 16. März 1995 V R 128/92, BFHE 177, 527, BStBl II 1995, 651, unter II.1. und 2., zu Verkaufswettbewerben im Verhältnis zwischen Hersteller, Händler und Arbeitnehmern des Händlers).

20

b) Die Vertragsauslegung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz; sie bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268, und vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539). Im Streitfall ist die Auslegung des FG, nach der die Klägerin als Leistende die Abgabe der Sachpreise zu versteuern hat, jedenfalls möglich.

21

aa) Unter ausdrücklicher Anwendung der sich aus dem BFH-Urteil in BFHE 177, 527, BStBl II 1995, 651 ergebenden Grundsätze hat das FG sein Urteil darauf gestützt, dass die U-GmbH die Geschenke nicht unmittelbar an die Beraterinnen auslobte, sondern zivilrechtliche und dementsprechend umsatzsteuerrechtliche Leistungsbeziehungen nur zwischen der U-GmbH und der Klägerin einerseits und der Klägerin und den Beraterinnen andererseits bestanden.

22

bb) Diese Vertragsauslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, da das FG die umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen nach Maßgabe der zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen bestimmt hat und die Würdigung der Vertragsbeziehungen keinen Rechtsfehler erkennen lässt. Möglich ist insbesondere auch die Würdigung, dass sich das Vertretungsverbot nach Art. 5 Abs. 1 BHV auch auf die Tätigkeit der Klägerin bei der Abgabe der Sachpreise bezogen hat.

23

cc) Die Einwendungen der Klägerin hiergegen greifen nicht durch.

24

(1) Aus den Begriffen der "Durchführung" der Wettbewerbe oder der "Teilnahme" an diesen ergibt sich nichts für die Frage, ob die Zuwendung der Sachpreise durch die U-GmbH oder die Klägerin erfolgte. Auch wenn die Wettbewerbe z.B. deutschlandweit von der U-GmbH "durchgeführt" wurden, steht dies der Beurteilung, dass die Sachpreise den Beraterinnen durch die jeweils "teilnehmende" Bezirkshändlerin zugewendet werden, nicht entgegen. Revisionsrechtlich ist daher die Würdigung des FG nicht zu beanstanden, dass die U-GmbH in den Wettbewerbsprospekten als überregionaler Organisator genannt wurde, während den Bezirkshändlerinnen wie der Klägerin die Abwicklung im jeweiligen Bezirk oblag und die Klägerin entsprechend dem Vertretungsverbot nach Art. 5 Abs. 1 BHV im eigenen Namen handelte (s. oben II.2.a). Dem BHV sind im Übrigen keine Regelungen zu entnehmen, die für die Annahme eines verbindlichen Leistungsversprechens der U-GmbH gegenüber den Beraterinnen sprechen.

25

(2) Nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine Leistung zwischen Hersteller und Händler auch dann vor, wenn der Hersteller dem Händler Leistungen unter der Auflage zuwendet, diese den Wettbewerbssiegern zu überlassen (s. oben II.2.a). Für die Verschaffung einer eigentümerähnlichen Verfügungsmacht spricht dabei auch, dass die Klägerin zu einer abweichenden Verfügung über die Wettbewerbspreise --wenn auch zu einem höheren Preis, der dann zu einer Änderung nach § 17 UStG führte-- berechtigt war. Dies hat das Schleswig-Holsteinische FG bei seinem Urteil zu einer zumindest vergleichbaren Fallgestaltung vom 16. Februar 2005  4 K 252/02, auf das sich die Klägerin beruft, nicht hinreichend berücksichtigt.

26

Dass die Klägerin im Rahmen eines "Zwei-Preis-Systems" für ausgegebene und nicht ausgegebene Sachpreise an die U-GmbH unterschiedlich hohe Preise zu bezahlen hat, betrifft dabei nur die Höhe des von der Klägerin geschuldeten Entgelts, nicht aber die zwischen den Beteiligten bestehenden Leistungsbeziehungen. Daher kommt es auch nicht auf die Methode der Kostenaufteilung für die Sachpreise zwischen U-GmbH und Klägerin an. Im Übrigen ist es umsatzsteuerrechtlich entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich, ob sie zivilrechtlich Eigentum an den Sachzuwendungen erlangt hat (BFH-Urteil vom 16. April 2008 XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909, unter II.2.a).

27

(3) Beim Einwand der Klägerin, sie habe Kosten für Reiseleistungen auch dann tragen müssen, wenn die Reise keiner ihrer Beraterinnen zugewendet worden sei, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2008 X B 102/07, Zeitschrift für Steuern & Recht 2008, R702; vom 21. Juni 2006 VIII B 330/03, nicht veröffentlicht).

28

(4) Ob die Sachzuwendungszusagen nach nationalen Vorschriften zum Konsumentenschutz zivilrechtlich wirksam erteilt wurden, ist nach § 40 der Abgabenordnung (AO) unbeachtlich (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Februar 2002 V R 19/01, BFHE 198, 220, BStBl II 2003, 950, unter II.2.a). Weiter ist es nach § 41 AO unerheblich, ob die Klägerin die Kosten für die Sachpreise getragen hat, ohne hierzu im Verhältnis zur U-GmbH rechtlich verpflichtet gewesen zu sein.

29

(5) Für die Beurteilung der Leistungsverhältnisse ist entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich, ob der Leistungsempfänger Arbeitnehmer oder Unternehmer ist (Senatsurteil vom 28. Juni 1994 V R 16/92, BFHE 175, 291, BStBl II 1995, 274). In beiden Fällen ist der Sachpreis im Rahmen eines tauschähnlichen Verhältnisses nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG als zusätzliches Entgelt für die Vermittlungsleistungen zu erfassen.

30

(6) Auch die Sachzuwendungen im Rahmen der Rekrutierungswettbewerbe erfolgten im Rahmen tauschähnlicher Umsätze nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG, bei denen die Klägerin die Abgabe der Sachpreise als eigene Leistung zu versteuern hat. Dass es sich nicht um ein zusätzliches Entgelt für die Verkaufsvermittlung, sondern um eine Vergütung für eine eigenständige Personalvermittlungsleistung handelte, ist umsatzsteuerrechtlich unerheblich. Gleiches gilt schließlich auch für die "Gastgeberinnengeschenke", bei denen sich der unmittelbare Zusammenhang daraus ergab, dass sie nur abgegeben wurden, wenn eine Gastgeberin Räumlichkeiten für Verkaufsaktionen zur Verfügung stellte.

31

dd) Die Auslegung des FG entspricht im Übrigen auch der Interessenlage der Parteien. Danach sollte die Klägerin gegenüber den Beraterinnen im eigenen Namen handeln. Dementsprechend hat sie die von Beraterinnen geschuldeten Vermittlungsleistungen im eigenen Namen bezogen und diese im eigenen Namen vergütet. Zu dieser Vergütung gehörte auch die Zuwendung der Sachpreise.

32

Lobt ein Warenlieferant unter seinen Vermittlern im Rahmen eines Verkaufswettbewerbs zur Umsatzsteigerung eine Erlebnisreise (sog. Incentive-Reise) aus, ist deren Wert zusätzliches Entgelt für die Leistungen des die Reise gewinnenden Vermittlers (BFH-Urteil in BFHE 175, 291, BStBl II 1995, 274, Leitsatz, zum Pächter einer Markentankstelle). Es liegen dann tauschähnliche Umsätze i.S. von § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG vor, bei denen die Leistungen des Vermittlers durch die Provisionszahlungen und die Zuwendung der Sachpreise (Zuwendung von Gegenständen oder Reisen) vergütet wurden. Der für die Begründung eines steuerbaren Zusammenhangs zwischen Vermittlung und Zuwendung des Sachpreises erforderliche unmittelbare Zusammenhang ergibt sich dabei bereits daraus, dass die Sachpreise ohne die Vermittlungstätigkeit nicht versprochen worden wären (BFH-Urteil in BFHE 175, 291, BStBl II 1995, 274, unter II.1.).

33

Die Annahme der Klägerin, es bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zuwendung der Sachpreise und den Vermittlungsleistungen der jeweiligen Zuwendungsempfängerinnen, da sie die Kosten für die Wettbewerbe aufgewendet habe, um Mehrleistungen von allen Beraterinnen zu erzielen, ist daher nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 175, 291, BStBl II 1995, 274 unbeachtlich. Im Übrigen liegt entgegen der Auffassung der Klägerin neben den von den Beraterinnen erbrachten Vermittlungsleistungen keine umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistung in Form eines --im Vergleich zum allgemeinen Einsatz-- "erhöhten Bemühens" vor. Für die Annahme einer eigenständigen Leistung zur Erlangung von Wettbewerbspreisen bestehen keine Anhaltspunkte.

34

c) Schließlich wäre, wie das FG weiter zutreffend entschieden hat, die Klage auch dann unbegründet, wenn entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin nicht von einer Leistungskette und damit von Leistungen der Klägerin an die Beraterinnen und Gastgeberinnen, sondern von Direktleistungen der U-GmbH an die Beraterinnen und Gastgeberinnen auszugehen wäre, da der Klägerin dann der von ihr aus den Rechnungen der U-GmbH geltend gemachte Anspruch auf Vorsteuerabzug nicht zustünde.

35

aa) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG muss der Unternehmer für den Vorsteuerabzug aus bezogenen Leistungen über eine Rechnung verfügen. Die Rechnung muss nach ständiger Rechtsprechung des Senats Angaben tatsächlicher Art enthalten, welche die Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglichen, wobei der Aufwand zur Identifizierung der Leistung dahin gehend begrenzt sein muss, dass die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet worden ist (BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 V R 59/07, BFHE 222, 189, BStBl II 2009, 218, unter II.2.a).

36

bb) Im Streitfall hat die Klägerin den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der U-GmbH in Anspruch genommen. Nach den Feststellungen des FG erteilte die U-GmbH Rechnungen über die Erbringung von Sachpreisen. Lägen entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin Direktleistungen der U-GmbH an die Beraterinnen und Gastgeberinnen vor, hätte die U-GmbH daher über Leistungen abgerechnet, die sie nicht an die Klägerin, sondern unmittelbar an die Beraterinnen erbracht hätte. Die Auffassung der Klägerin, sie sei auch bei Vorliegen von Direktleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigt, da sich die Rechnungen der U-GmbH auf die Erbringung einer andersartigen Leistung ("Gesamtpaket Verkaufsfördermaßnahme") an die Klägerin bezögen, ist nach der BFH-Rechtsprechung (BFH-Urteil in BFHE 222, 189, BStBl II 2009, 218) unzutreffend, da die der Klägerin erteilten Rechnungen über die Zuwendung von Sachpreisen eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung dieser anderen Leistung nicht ermöglichten.

(1) Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen, zur Verfügung zu stellen.

(2) Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die erforderlichen Nachrichten zu geben. Er hat ihm unverzüglich die Annahme oder Ablehnung eines vom Handelsvertreter vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäfts und die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts mitzuteilen. Er hat ihn unverzüglich zu unterrichten, wenn er Geschäfte voraussichtlich nur in erheblich geringerem Umfange abschließen kann oder will, als der Handelsvertreter unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte.

(3) Von den Absätzen 1 und 2 abweichende Vereinbarungen sind unwirksam.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ausgeführten Stadtrundfahrten im Streitjahr 2007 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

2

Die Klägerin nimmt für Touristen mit Kraftomnibussen Stadtrundfahrten in X und Umgebung vor. Sie bedient vier Linien.

3

Die Linie 1 führt vom Ausgangspunkt über 22 Haltestellen zurück. Die Fahrgäste können an den Haltestellen ein- und aussteigen und ggf. einen späteren Bus zur Weiterfahrt nutzen. Der Fahrgast erhält über Bandansage Informationen zu den Sehenswürdigkeiten, die an der Fahrstrecke gelegen sind. Die Klägerin erhob im Streitjahr 2007 für die Gesamtfahrt auf der Linie 1 ein Entgelt von 18 €, das auch zur Teilnahme an Führungen berechtigt. Das Angebot, an geführten Besichtigungen teilzunehmen, nahmen nur ca. 14 % der Fahrgäste wahr. Abendfahrten in der Zeit von 18:00 Uhr bis 22:00 Uhr, die ohne Führungen angeboten werden, kosteten 12 €.

4

Der Linienverkehr der Linie 1 ist durch das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 14. Juli 2006 nach § 42 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) genehmigt worden. Die Genehmigung legt die Haltestellen, die Abfahrzeiten und das Entgelt (für die Gesamtfahrt 18 €, für eine Teilstrecke 3 €) fest.

5

Die Genehmigungen der Linien 2 bis 4 (vom 9. November 2001 und am 17. Januar 2005 für die Linie 2, sowie vom 5. April 2001 für die Linien 3 und 4) beruhen auf § 43 PBefG. Sie bestimmen zwar die Linienführung, enthalten aber keine Vorschriften zu Beförderungsentgelten oder einen Fahrplan. Im Laufe des Jahres 2008 wurden vom Regierungspräsidium für diese Linien neue Genehmigungen auf der Grundlage des § 42 PBefG erteilt und neben der Fahrstrecke auch Abfahrzeiten und Entgelte vorgeschrieben. Die von der Klägerin im Jahre 2007 erhobenen Entgelte entsprechen der Höhe nach den in der Genehmigung im Jahr 2008 erwähnten Entgelten.

6

In ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für 2007 erklärte die Klägerin die Umsätze aus den Stadtrundfahrten mit dem ermäßigten Steuersatz. Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, die streitigen Umsätze unterlägen der Regelbesteuerung und erließ entsprechend geänderte Vorauszahlungsbescheide. Während des Einspruchsverfahrens, am 23. Juni 2009, erging der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2007, der in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2009 von Beförderungsentgelten in Höhe von 3.288.834 € ausgeht und die Umsatzsteuer nach dem Regelsteuersatz von 19 % auf 399.300 € festsetzt.

7

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die Klägerin habe eine einheitlich als Personenbeförderung zu beurteilende Leistung erbracht, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % unterliege. Auf den Zweck der Beförderung komme es für den Begriff der Personenbeförderung nicht an. Zu Unrecht sei das FA der Auffassung, die Leistung der Klägerin sei keine "Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen im genehmigten Linienverkehr", sondern eine Leistung eigener Art, bei der es dem Kunden auf eine Kombination aus Führungen, Museumseintritten und Beförderung ankomme, ohne dass den einzelnen Aspekten dieser Leistung eine selbständige Bedeutung oder gar der Beförderung die Hauptbedeutung zukomme; denn in dem Entgelt, das die Klägerin im Streitjahr für die Beförderung erhoben habe, sei kein Eintrittsgeld für Museen oder etwaiges Entgelt für die Teilnahme an Führungen enthalten; die Klägerin habe nur Fahrpreise in der Höhe verlangt, wie sie in den (für die Linie 1 im Streitjahr und für die Linien 2 bis 4 im Jahr 2008 erteilten) Genehmigungen als Linienverkehr festgelegt seien. Der Kunde bezahle also im Wesentlichen für die Beförderung. Dass er durch die Vorbeifahrt an Sehenswürdigkeiten, erläuternde Bandansagen und die Möglichkeit, an Führungen teilzunehmen, Vergnügen empfinde, mache die Beförderungsfahrt nicht zu einer anderen Leistung, da ihr Zweck unerheblich sei.

8

Mit der Revision macht das FA geltend, die Umsätze der Klägerin unterlägen dem Regelsteuersatz, weil die durchgeführten Stadtrundfahrten keine Personenbeförderung im Linienverkehr, sondern eine sonstige Leistung eigener Art darstellten. Dies ergebe sich aus den Feststellungen des FG, wonach die Teilnehmer der Stadtrundfahrten überwiegend Touristen waren, während der Fahrt Bandansagen zu den Sehenswürdigkeiten erfolgten und die Teilnahme an Führungen im Entgelt enthalten sei. Für die Leistung der Klägerin sei das gemeinsame "Sightseeing" prägend. Es fehle zudem an der weiteren Voraussetzung einer Beförderung im Linienverkehr, weil es sich bei den Teilnehmern der Stadtrundfahrt nicht um einen unbestimmten Teilnehmerkreis gemäß § 42 PBefG gehandelt habe. Zwar sei der Klägerin für die Stadtrundfahrten tatsächlich eine Genehmigung für die Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr erteilt worden. Dies sei jedoch unerheblich, da es gemäß § 38 der Abgabenordnung (AO) nur auf die tatsächlichen Gegebenheiten ankomme. Die Genehmigung sei zudem nach § 44 Abs. 2 Nr.4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nichtig, weil die Genehmigung keine Aussage zu den Bandansagen während der Fahrt enthielten, diese deshalb nicht genehmigt seien und sich hierdurch der Charakter der Fahrten verändert habe. Auch handele es sich nach verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung bei Stadtrundfahrten nicht um Linienverkehr i.S. des § 42 PBefG, sondern um Ausflugsverkehr und damit um Gelegenheitsverkehr i.S. des § 48 PBefG. Ein nichtiger Verwaltungsakt binde die Finanzverwaltung nicht. Die Einbeziehung eines Freizeit- und Tourismusverkehrs bei Stadtrundfahrten widerspreche auch dem historischen Normzweck, aus sozialen Gründen die Fahrpreise günstig zu halten. Von der Begünstigung seien Verkehrsmittel, die --wie die Bergbahnen-- touristischen Zwecken dienten, jedenfalls bis zum Streitjahr 2007 ausgenommen worden. Auch die Einbeziehung der Bergbahnen in die Begünstigung ab dem 1. Januar 2008 sei nach der Gesetzesbegründung "aus sozialen Gründen" erfolgt.

9

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

10

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

11

Sie ist der Auffassung, sie habe eine Beförderungsleistung erbracht, denn auch die Durchführung von Stadtrundfahrten sei eine der Raumüberwindung dienende Tätigkeit. Diese zum Beförderungsgesetz a.F. entwickelte Definition (Beförderung als Raumüberwindung) gelte auch für das UStG fort. Der Zweck der Fahrt sei unerheblich. Zwar habe der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG a.F. die Bergbahnen und Aufstiegshilfen (Sesselbahnen und Skilifte) von der Begünstigung ausgenommen, diesen Ausnahmetatbestand jedoch zum 1. Januar 2008 aufgehoben. Auch bei der Besteuerung von Personen mit Schiffen sei schon vor 2008 anerkannt, dass auch die Schifffahrten im Freizeit- und Tourismusverkehr unter den Begünstigungstatbestand fielen (FG München, Urteil vom 19. Oktober 2005  3 K 3912/02, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 456). Auch wenn der historische Wille des Gesetzgebers auf eine Begünstigung des Nahverkehrs aus sozialen Gründen ausgerichtet gewesen sei, habe dies im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck gefunden. § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG wolle vielmehr jegliche Beförderung im Nahverkehr begünstigen, denn auch der Verkehr mit Taxen sei begünstigt. Ebenso sei der Linienverkehr zu Flughäfen, Museen oder Spielbanken begünstigt. Das PBefG klassifiziere eine Verkehrsleistung nicht nach dem Benutzerkreis, sondern nach den Merkmalen der Verkehrsleistung.

12

Entgegen der Rechtsauffassung des FA liege auch keine mit dem Regelsteuersatz zu besteuernde sonstige Leistung eigener Art vor, da die Beförderung der Leistung das Gepräge gebe, bei der die sonstigen Bestandteile das Schicksal der Beförderung teilten oder zumindest selbständig neben die Beförderung träten. Nach der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers seien die während der Stadtrundfahrt erfolgten Bandansagen und auch die Führungen zu den Sehenswürdigkeiten als unselbständige Nebenleistungen zur Beförderungsleistung zu beurteilen, die lediglich von 14 % der Gäste genutzt würden. Wäre von selbständigen Nebenleistungen auszugehen, müssten diese im Schätzungswege aufgeteilt werden. Die Steuerbegünstigung entfalle auch nicht, weil die Genehmigung nach dem PBefG nichtig sei. Es handele sich hierbei um einen Grundlagenbescheid einer Verwaltungsbehörde i.S. des § 171 Abs. 10 AO. Zudem handele es sich --wie § 43 PBefG zeige-- auch materiell-rechtlich um Linienverkehr.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beurteilung als Beförderungsleistung steht nicht entgegen, dass die Beförderung touristischen Zwecken dient. Umfassten die Leistungen der Klägerin zusätzlich zur Beförderung auch die Berechtigung zur Teilnahme an entgeltlichen Führungen, liegen zwei selbständige Leistungen vor, von denen nur die Beförderungsleistung dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG unterliegt. Die Feststellungen des FG erlauben insoweit keine abschließende Entscheidung.

14

1. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG ermäßigt sich die Steuer auf sieben Prozent u.a. "für die Beförderungen von Personen ... im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, im Kraftdroschkenverkehr ...

a) innerhalb einer Gemeinde oder

b) wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als fünfzig Kilometer beträgt".

15

Die Regelung beruht auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie Nr. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, einen ermäßigten Steuersatz auf die "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" anzuwenden. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG gibt den Mitgliedstaaten lediglich einen Rahmen vor, den diese nicht überschreiten dürfen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes erlaubt (EuGH-Urteil vom 8. Mai 2003 C-384/01, Kommission/Frankreich, Slg. 2003, I-4395 Rdnr. 27; vom 6. Mai 2010 C-94/09, Kommission/Frankreich, BFH/NV 2010, 1401 Rdnr. 29), wenn die nationale Regelung insoweit --wie hier mit der Beschränkung der Ermäßigung auf kurze Strecken der Personenbeförderung-- den in der Richtlinie vorgegebenen Rahmen nicht überschreitet.

16

a) Die Klägerin hat Leistungen durch Personenbeförderung ausgeführt, weil sie Personen mit Kraftfahrzeugen als Beförderungsmittel fortbewegt hat (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 1998 V R 58/94, BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160, m.w.N. zum Begriff Beförderungsleistungen).

17

b) § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG erlaubt die Ermäßigung für die Beförderung von Personen "im genehmigten Linienverkehr". Für die Auslegung der Vorschrift ist deshalb die verkehrsrechtliche Bedeutung dieser Begriffe maßgebend (BFH-Urteil vom 26. August 1976 V R 55/73, BFHE 120, 419, BStBl II 1977, 105).

18

Nach § 2 PBefG ist genehmigungspflichtig "die Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr (§ 42 und § 43 PBefG)". Nach § 42 PBefG ist Linienverkehr "eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können". Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind. Nach § 43 PBefG gilt als Linienverkehr "unabhängig davon, wer den Ablauf der Fahrten bestimmt, auch der Verkehr, der unter Ausschluß anderer Fahrgäste der regelmäßigen Beförderung von

1. Berufstätigen zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Berufsverkehr),

2. Schülern zwischen Wohnung und Lehranstalt (Schülerfahrten),

3. Personen zum Besuch von Märkten (Marktfahrten),

4. Theaterbesuchern

dient. Die Regelmäßigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Ablauf der Fahrten wechselnden Bedürfnissen der Beteiligten angepaßt wird".

19

aa) § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG setzt nach dem Wortlaut lediglich voraus, dass es sich um eine Personenbeförderung im genehmigten Linienverkehr handelt und die Beförderungsstrecke entweder innerhalb einer Gemeinde erfolgt oder eine bestimmte Strecke nicht überschreitet. Die Regelung ergibt keinen Anhaltspunkt für die Auffassung des FA, die Ermäßigung diene allein sozialen Zwecken und schließe daher Beförderungen im Freizeit- und Tourismusverkehr aus. Aus der Beschränkung auf Fahrten innerhalb einer Gemeinde und Beförderungsstrecken unter 50 km (Buchst. a und Buchst. b), ergibt sich lediglich, dass nur der bezeichnete Nahverkehr begünstigt sein soll (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Juli 2007 V R 68/05, BFHE 219, 224, BStBl II 2008, 208; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1992  1 BvL 29/87, BVerfGE 85, 238); eine weitere Einschränkung in Bezug auf den "genehmigten Linienverkehr" ergibt sich weder daraus noch --wie das FA meint-- aus der "Systematik" der in § 12 Abs. 2 UStG genannten Ermäßigungen. Insoweit genügt der Hinweis, dass die Regelung Beförderungen im genehmigten Linienverkehr nach § 43 Nrn. 3 und 4 PBefG --Personenbeförderungen, die "Vergnügungsziele" (z.B. Theater- oder Marktbesuche)-- zum Gegenstand haben, nicht ausschließt. Unerheblich ist daher auch, ob es sich um eine "Rundfahrt" handelt, bei der Anfangspunkt und Endpunkt der Fahrstrecke zusammenfallen (vgl. bereits BFH-Urteil vom 14. Dezember 1951 II 176/51 U, BFHE 56, 52, BStBl III 1952, 22).

20

bb) Auch aus dem Unionsrecht, das uneingeschränkt die Ermäßigung für (jede) "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" erlaubt, ergibt sich kein Anhaltspunkt für einen Ausschluss von "Beförderungen, die zu touristischen oder Vergnügungszwecken" angeboten werden.

21

c) Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin für die streitigen Personenbeförderungen auch Linienverkehrsgenehmigungen nach § 42 und § 43 des PBefG erhalten.

22

Ohne Erfolg macht das FA geltend, die Genehmigungen seien rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Genehmigung nach §§ 42 und 43 PBefG nicht vorgelegen hätten. Die materielle Bindungswirkung einer Genehmigung als Linienverkehr erstreckt sich nicht nur auf den Unternehmer, dem die Genehmigung erteilt worden ist, sondern auch auf andere Behörden. Dies folgt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte aus dem Grundsatz der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten, wonach, wenn eine Behörde durch Verwaltungsakt zu einer verbindlichen Regelung oder Qualifikation gelangt, dieser Verwaltungsakt Tatbestandswirkung entfaltet, solange er nicht offensichtlich rechtswidrig und daher nichtig ist. Auch Gerichte, die nicht selbst mit der Kontrolle der betreffenden Genehmigung im Rahmen von Klagen und Anträgen befasst sind, sind als Teil des staatlichen Kompetenzgefüges an den Inhalt einer bestandskräftigen, formell wirksamen Genehmigung gebunden (z.B. BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 VI R 18/08, BFHE 230, 67, BStBl II 2010, 1072; vom 21. Januar 2010 VI R 52/08, BFHE 228, 295, BStBl II 2010, 703; vom 14. November 2001 X R 24/00, BFHE 197, 301, BStBl II 2002, 514; zur Bindung einer verkehrsrechtlichen Genehmigung für andere Behörden z.B. Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Januar 2008  11 CE 08.3037, juris).

23

d) Entgegen der Rechtsauffassung des FA sind die erteilten Genehmigungen nicht nichtig.

24

aa) Insoweit fehlt es schon daran, dass die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 1 VwVfG (wie im Übrigen auch nach § 125 Abs. 1 AO) voraussetzt, dass er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ein Verwaltungsakt ist jedoch nicht allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften --auch diejenigen des formellen Rechts (Verfahrensrechts)-- unrichtig angewendet worden sind (z.B. Senatsurteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151).

25

bb) Schon der zutreffende Hinweis des FA, dass die Beurteilung der Stadtrundfahrten in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung umstritten ist und es unterschiedliche Auffassungen zur Frage gibt, ob Stadtrundfahrten mit jederzeitiger Zustiegsmöglichkeit wegen des gemeinsamen touristischen Zwecks Linienverkehr sind (ablehnend Oberverwaltungsgericht --OVG-- Hamburg, Beschluss vom 20. September 2004  1 Bs 303/04, Deutsches Verwaltungsblatt 2005, 260; zustimmend OVG Münster, Beschluss vom 24. Mai 2007  13 B 577/07, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport 2007, 561: Linienverkehr "sui generis"), belegt, dass, selbst wenn die Genehmigungen im Streitfall nicht hätten erteilt werden dürfen, jedenfalls kein besonders schwerwiegender und offensichtlicher Fehler vorliegt.

26

2. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG widersprüchlich sind.

27

a) Nach den Feststellungen im Tatbestand des FG enthält das Entgelt von 18 € auch die Berechtigung zur Teilnahme an Führungen, während "Abendfahrten, die ohne Führungen angeboten wurden", 12 € kosteten. Dies könnte die Annahme nahelegen, dass die Klägerin zusätzlich zur Beförderung Führungen im Wert von 6 € anbietet. Andererseits geht das FG im Urteil davon aus, dass das von der Klägerin erhobene Entgelt dem Betrag entspreche, den die Genehmigungsbehörde für die betreffende Beförderung festgelegt hat. Aus einem bei den Akten befindlichen Bescheid vom 14. Juli 2006 ergibt sich, dass die Genehmigung für die Linie 1 in der Anlage 2 hierzu die Haltestellen und die Fahrzeiten genau (Fahrzeiten von 9:30 Uhr bis zuletzt 18:30 Uhr) bezeichnet, das Beförderungsentgelt mit 18 € für die Gesamtstrecke und 3 € für die Einzelfahrt angibt. Weiter ist dort unter "Bedingungen und Anlagen" bestimmt, dass "der Fahrplan und die Beförderungsentgelte, denen die Genehmigungsbehörde zugestimmt hat, genau einzuhalten" sind. Dies könnte die Annahme nahelegen, dass es sich bei den erwähnten Führungen um solche handelt, an denen jedermann kostenlos teilnehmen kann, und der Feststellung des FG insoweit eine irreführende Werbeaussage der Klägerin zugrunde liegen könnte. Zweifelhaft ist jedoch, ob es sich bei der bei den Akten befindlichen Genehmigungsurkunde vom 14. Juli 2006 um den vom FG in Bezug genommenen Genehmigungsbescheid handelt, denn die Zahl der Haltestellen stimmt nicht mit der vom FG genannten Zahl von 22 überein. Auch ist darin nicht von genehmigten Abendfahrten "von 18.00 bis 22.00 Uhr zum Fahrpreis von 12 €" die Rede. Vergleichbares gilt für die im Streitjahr überdies noch nicht geltenden Genehmigungen für die Linien 2 bis 4. Zum Inhalt der im Streitjahr geltenden Genehmigungen für die Linien 2 bis 4 hat das FG lediglich festgestellt, es handele sich um Genehmigungen nach § 43 PBefG.

28

Die Sache geht daher an das FG zurück, das den Inhalt der Genehmigungen und weiter feststellen muss, ob es sich bei den "angebotenen" Führungen um solche handelt, die für jedermann kostenlos sind.

29

b) Das FG wird bei seiner Entscheidung Folgendes zu berücksichtigen haben:

30

Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, gelten für die Frage, unter welchen Bedingungen mehrere zusammenhängende Leistungen als eine Gesamtleistung zu behandeln sind, folgende Grundsätze (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 V R 25/07, BFHE 226, 407, BStBl II 2010, 239; vom 2. März 2011 XI R 25/09, BStBl II 2011, 737, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH):

31

Jeder Umsatz ist in der Regel als eigenständige, selbständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb sind die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Unternehmer dem Leistungsempfänger mehrere selbständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.

32

Eine einheitliche Leistung liegt danach insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn der Unternehmer für den Leistungsempfänger zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

33

aa) Das FG geht bei seiner Entscheidung im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Bandansagen, mit denen die Passagiere während der Beförderung auf Sehenswürdigkeiten hingewiesen werden, eine Nebenleistung zur Beförderung darstellen. Ziel, Dauer und Umstände der Personenbeförderung sind Anlass und Grund für die Wahl des Kunden für die betreffende Beförderungsstrecke mit touristisch interessanten Haltepunkten. Die Informationen während der Fahrt beeinflussen jedoch nicht die Art der Personenbeförderung, sondern nur die Umstände, unter denen sie durchgeführt wird und lassen sich von der Beförderung nicht trennen. Sie dient für den Fahrgast aus der Sicht eines Durchschnittsbetrachters nur dazu, die Beförderung auf der Linie, die an Sehenswürdigkeiten vorbeiführt oder an Sehenswürdigkeiten hält, unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

34

bb) Umfasste das Beförderungsentgelt auch Entgelte für die Teilnahme an Führungen, handelt es sich um zwei selbständige Leistungen, von denen nur die Beförderung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Die Voraussetzungen für die Annahme einer einheitlichen Leistung liegen nicht vor, denn weder stellt die beliebige Teilnahme eines Fahrgastes an Führungen vor einer oder im Anschluss an eine Beförderung ein Mittel dar, um die Beförderungsleistung selbst unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, noch sind beide Leistungen so miteinander verbunden, dass deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Denn wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, nehmen nur 14 % der Fahrgäste an den Führungen teil. Ohne Bedeutung ist, dass der Fahrgast nach einem Zwischenaufenthalt mit einer Führung mit derselben Fahrkarte von der Klägerin auf der betreffenden Linie weiter befördert wird. Umsatzsteuerrechtlich liegt eine einheitliche Leistung nicht allein deshalb vor, weil Leistungen aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werden. Zu Beförderungsleistungen hat der Senat bereits im Urteil vom 31. Mai 2007 V R 18/05 (BFHE 217, 88, BStBl II 2008, 206) entschieden, dass die Beförderung eines Fahrgastes von dessen Wohnung zum Bestimmungsort und zurück durch denselben Taxiunternehmer umsatzsteuerrechtlich keine einheitliche (einzige) Beförderungsleistung mit einer Gesamtbeförderungsstrecke, sondern auch dann in zwei getrennte Beförderungsleistungen aufzuteilen ist, wenn das Taxi nach Durchführung der Hinfahrt zum Bestimmungsort nicht auf den Kunden wartet, sondern der Kunde später --sei es aufgrund vorheriger Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund erneuter telefonischer Bestellung-- erneut mit einem Taxi am Bestimmungsort abgeholt und zum Ausgangsort zurückbefördert wird. Nichts anderes gilt für den vorliegenden Sachverhalt, wenn der Kunde aufgrund einer die gesamte Strecke umfassenden Fahrkarte nach einer Unterbrechung weiterfährt. Bei einem einheitlichen Entgelt für zwei selbständige Leistungen ist dieses nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode aufzuteilen (z.B. EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, CPP, Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31). Insoweit kann z.B. der Unterschied zwischen Tag- und Abendfahrten oder der Umstand von Bedeutung sein, ob die Klägerin entgeltliche Führungen auch isoliert von der Beförderung angeboten hat.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb 1997 das im Schiffsregister als Frachtschiff eingetragene Schiff MS "X". Das als Hochseefischereifahrzeug gebaute Schiff war im Jahre 1994 in ein Hochseeangelfahrzeug umgebaut worden. Es hat Zwei- und Vierbettkabinen mit Dusche und WC für jede Kabine und einen Salon. Auf dem Schiffsdeck befindet sich ein "Schlachtplatz" zur Verarbeitung des Fangs und es besteht die Möglichkeit, den Fang direkt nach der Verarbeitung zu frosten.

2

Der im Inland ansässige Kläger bot in den Streitjahren 1997 bis 2001 mehrtägige Hochseeangelreisen in drei Fanggebiete in der Ostsee von verschiedenen Abfahrtshäfen an. Das Entgelt von 180 DM bzw. 225 DM pro Tag und Person umfasste die Beförderung sowie Unterkunft und Vollpension. Alle mit dem Angeln in Zusammenhang stehenden Leistungen, insbesondere die Beschaffung der notwendigen Fangutensilien, Köder und sonstiges Zubehör gehörten nicht zum Angebotsumfang; diese brachten die Gäste selbst mit. Vom ersten bis zum letzten Angeltag wurde eine "Pokal-Angelzeit" mit Pokalverleihung am Ende der Angelreise angeboten. Die besten Angler des Jahres 2001 erhielten einen Tag Hochseeangeln kostenlos.

3

Der Kläger behandelte die Hochseeangelreisen in den Streitjahren als nicht im Inland ausgeführte und deshalb nicht steuerbare Beförderungen. Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Streitjahre kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Durchführung der so genannten Angelkreuzfahrten keine Beförderungsleistung darstelle mit der Folge, dass der Ort der Leistung sich aus § 3a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergebe und diese steuerpflichtig sei.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte, das Finanzamt (FA), folgte der Auffassung des Prüfers und änderte die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzungen für die Jahre 1997 bis 2001 entsprechend.

5

Die Einsprüche des Klägers wies das FA zurück. Der Kläger erbringe ein sog. Leistungspaket, bei dem die Beförderung lediglich eine unabdingbare Nebenleistung und die Ermöglichung des Angelns auf hoher See die Hauptleistung sei. Für die Kunden stünde nicht die Beförderung, sondern das Angelvergnügen im Vordergrund. Andernfalls hätten sie eine Seereise auf einem normalen Passagierschiff angetreten. Soweit dort (beispielsweise Tanz-)Vergnügen als Zeitvertreib angeboten würden, sei dies nicht mit dem Streitfall vergleichbar, in dem die Gäste an der Reise ausschließlich deshalb teilnähmen, um auf hoher See dem Angelsport nachgehen zu können.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 82). Leistungsort sei gemäß § 3a Abs. 1 UStG die im Inland gelegene Stadt Y, von der aus der Kläger sein Unternehmen betreibe. Die Ausnahmeregelung des § 3b UStG greife nicht ein. Denn dafür müsse die Beförderung der Hauptzweck der Leistung sein. Die im Rahmen der Hochseeangeltour erbrachten Leistungen stellten --was auch unstreitig sei-- umsatzsteuerrechtlich eine einheitlich zu beurteilende Leistung dar. Anders als im Fall der vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen "Schiffspauschalreisen" stehe vorliegend aber nicht die Art der Schiffsbeförderung, die dem Passagier ein besonderes Reiseerlebnis vermitteln solle, als Hauptleistung im Vordergrund, sondern das vom Kläger ermöglichte Erlebnis, auf hoher See in bestimmten Fanggebieten das Angeln auszuüben.

7

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, die Fahrten von H und I in D oder S im Inland zu den Fanggebieten, in diesen und von ihnen zurück zum Hafen seien zweifelsfrei Beförderungsleistungen. Die Gestellung von Unterkunft und Verpflegung sei bei einer mehrtägigen Reise nach der Rechtsprechung des BFH und der Verwaltungsauffassung eine Nebenleistung. Ebenso stelle die Einräumung der Möglichkeit, den Fang an Bord zu verarbeiten und einzufrieren eine Nebenleistung zur Beförderung dar, denn nur sie ermögliche die vom Kläger geschuldete Mitbeförderung des Fangs zum Hafen.

8

Befördern sei nach dem Urteil des FG Hamburg vom 28. April 2008  5 K 10/07 auch dann der Hauptzweck, wenn für die Gäste der Sport oder das Vergnügen im Vordergrund stehe. Es sei zudem möglich, dass Nicht-Angler an der Reise teilnähmen.

9

Der Kläger beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 1997 bis 2001, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2005, dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer wie folgt festgesetzt wird:

für 1997 auf ... DM, für 1998 auf ... DM,

für 1999 auf ... DM, für 2000 auf ... DM und

für 2001 auf ... DM.

10

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11

Der Leistung liege ein einheitlicher Vertrag mit einem Gesamtpreis zugrunde, wobei der auf die Beförderung allein entfallende Wertanteil wesentlich niedriger sei. Alle Leistungen dienten wirtschaftlich dem einen Ziel, Hochseeangeln zu ermöglichen. Anders als bei Kreuzfahrten wählten die Gäste das Schiff wegen seiner Besonderheiten als Angelplatz und nicht als Beförderungsmittel, um einen bestimmten Ort aufzusuchen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG ist die --einheitliche-- Leistung des Klägers bei der gebotenen Gesamtbetrachtung als Beförderungsleistung zu beurteilen.

13

1. Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG --neben weiteren Voraussetzungen-- die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland ausführt. Grundsätzlich wird eine sonstige Leistung nach § 3a Abs. 1 UStG an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Jedoch wird nach § 3b Abs. 1 Satz 1 UStG eine Beförderungsleistung dort erbracht, wo die Beförderung bewirkt wird.

14

Befördern ist die räumliche Fortbewegung von Personen oder Gegenständen, wobei die Art des Beförderungsmittels nicht von Bedeutung ist. Die Tatsache der Beförderung durch ein dafür geeignetes Fahrzeug entfällt nicht, wenn das Motiv nicht in dem wirtschaftlichen Nutzen einer Beförderung zu sehen ist, sondern in der sportlichen Betätigung oder in anderen Gründen der Freizeitgestaltung (BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 1983 V S 13/83, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1984, 122, und vom 28. September 1987 V B 106/86, BFH/NV 1988, 339).

15

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist bei einem Umsatz, der --wie im Streitfall-- ein Leistungsbündel darstellt, für die Frage, ob mehrere zusammenhängende Leistungen als eine Gesamtleistung zu behandeln sind, eine Gesamtbetrachtung erforderlich. In der Regel ist zwar jede Leistung als eigene selbstständige Leistung anzusehen. Eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darf aber im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems auch nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb ist das Wesen bzw. sind die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige gegenüber dem Leistungsempfänger mehrere selbstständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (BFH-Urteile vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712, und vom 10. Februar 2010 XI R 49/07, BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109, jeweils m.w.N.).

16

Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96 --Card Protection Plan Ltd (CPP)--, Slg. 1999, I-973, UR 1999, 254; BFH-Urteile vom 11. November 2004 V R 30/04, BFHE 207, 560, BStBl II 2005, 802, und in BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109). Dem Umstand, dass ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Freilich kann es für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sprechen, wenn ein Leistungserbringer seinen Kunden eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringt (BFH-Urteil in BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109); dasselbe gilt für den Umstand, dass Leistungen aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werden (BFH-Beschluss vom 26. April 2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664, m.w.N.).

17

2. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist entgegen der Auffassung des FG die einheitliche Leistung des Klägers --von der die Vorinstanz und die Beteiligten zu Recht ausgehen-- bei der gebotenen Gesamtbetrachtung als Beförderungsleistung zu beurteilen. Das vom Kläger erbrachte Leistungsbündel wird --aus der maßgeblichen Sicht der Durchschnittsverbraucher-- geprägt von der Beförderung der Passagiere zu den jeweiligen Fanggebieten und von diesen zurück zum Ausgangshafen einschließlich der Beförderung der in den Fanggebieten von den Kunden selbst geangelten Fische.

18

a) Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass bei einer Pauschalreise auf einem Schiff mit Unterkunft und Verpflegung die erbrachten Verpflegungs- und Übernachtungsleistungen Nebenleistungen zu der Hauptleistung der Beförderung sind und deren rechtliches Schicksal teilen; eine derartige Schiffspauschalreise wird nicht zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang verbunden, der als eine Leistung eigener Art beurteilt werden muss (BFH-Urteile vom 1. August 1996 V R 58/94, BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160, unter III.2.a bb; vom 29. August 1996 V R 103/93, BFH/NV 1997, 383, und vom 19. September 1996 V R 129/93, BFHE 181, 216, BStBl II 1997, 164).

19

Bei den hier zu beurteilenden mehrtägigen Hochseeangelreisen kann nichts anderes gelten.

20

b) Soweit das FG im Streitfall eine Beförderungsleistung mit der Begründung abgelehnt hat, es komme den Kunden auf das Erlebnis an, auf hoher See in bestimmten Fanggebieten das Angeln auszuüben, steht dies im Widerspruch zur dargelegten Rechtsprechung, wonach es eine Beförderungsleistung nicht ausschließt, wenn das Motiv der Reise nicht in dem wirtschaftlichen Nutzen einer Beförderung zu sehen ist, sondern in der sportlichen Betätigung oder in anderen Gründen der Freizeitgestaltung (BFH-Beschluss in BFH/NV 1988, 339).

21

Dass das Schiff möglicherweise in den Fanggebieten nicht bewegt wurde, um den Kunden das Angeln zu ermöglichen, steht der Gesamtbeurteilung als Beförderungsleistung gleichfalls nicht entgegen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Fahrt aus den unterschiedlichsten Gründen und insbesondere im Interesse der Mitreisenden unterbrochen wird (Besichtigungsreisen per Bus, Photosafari u.ä.).

22

Landgänge und Naturbeobachtungen von Bord aus sind im Rahmen von Schiffsreisen gleichermaßen von der Beförderung dorthin und ggf. dem Warten vor Ort abhängig. Auch kann die Beförderung mit einem Schiff hier wie dort allein deshalb gebucht worden sein, weil das Schiff das geeignetere Beförderungsmittel zum Erreichen des jeweiligen Zieles darstellt, und nicht wegen des mit einer Seereise verbundenen speziellen Reiseerlebnisses.

23

Im Übrigen handelt es sich im Streitfall bei dem --so die Einspruchsentscheidung-- "Angelvergnügen" an Bord gerade um ein besonderes Reiseerlebnis; die Passagiere haben die streitige Beförderung mit einem Schiff gebucht, weil sie nur im Verlauf dieser Reise Hochseeangeln konnten. Damit vergleichbar werden beispielsweise Fahrten auf Schiffen mit Glasboden zur Beobachtung von Korallenriffen gebucht. Jeweils steht --entgegen der Auffassung des FG-- die Beförderung im Vordergrund.

24

c) Die Gestattung der Nutzung der Schlachttische und Frostanlage durch die Passagiere stellt eine Nebenleistung zu der vertraglich vereinbarten Beförderung des Fangguts dar. Denn diese Einrichtungen sind dazu bestimmt, die Verwertung und den Transport des Fangguts unter optimalen Bedingungen durchzuführen und zu ergänzen. Hierfür spricht auch, dass sie ohne gesonderte vertragliche Vereinbarung und ohne gesondertes Entgelt genutzt werden konnten und der hierfür ggf. anzusetzende Wertanteil im Verhältnis zu dem Wert der Beförderungsleistung einschließlich der Verpflegungs- und Übernachtungsleistungen jedenfalls geringfügig wäre (vgl. zur Bedeutung des Werts der Leistung BFH-Urteil vom 15. Januar 2009 V R 9/06, BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433, unter II.1.b und 2.a unter Verweis auf das EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 Rs. C-308/96 und C-94/97 --Madgett und Baldwin--, Slg. 1998, I-6229, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1999, 129).

25

Weder das Ermöglichen des Angelns in den Fanggebieten noch die Nutzung der Einrichtungen zur Bearbeitung des Fanggutes durch die Angler begründen demnach einen Ausnahmefall, in dem die Reisenden wegen der Annehmlichkeiten eines besonderen Schiffs oder wegen außergewöhnlicher Darbietungen auf dem Schiff keinen Wert auf die Beförderung und die Beförderungsstrecke legen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160, unter III.2.a bb).

26

d) Zu Unrecht beruft sich das FA auf die BFH-Urteile vom 7. Mai 1975 V R 30/71 (BFHE 115, 537, BStBl II 1975, 651) und vom 4. Juli 2002 V R 41/01 (BFH/NV 2002, 1622). Das erstere betraf die Bergung von Kies aus dem Meer und die Beförderung des an Bord genommenen Materials an Land. Dort war bei natürlicher Betrachtung das Aufspüren und die Bergung des Kieses die den Charakter der gesamten Tätigkeit bestimmende Leistung, hinter der die Beförderung zurücktrat. In dem Urteil in BFH/NV 2002, 1622 war bereits keine Beförderungsleistung zu beurteilen.

27

3. Das angefochtene Urteil beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Es war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und an das FG zurückzuverweisen, da der Senat mangels Feststellungen des FG nicht beurteilen kann, ob sich aus seiner Entscheidung die Notwendigkeit einer Korrektur der abgezogenen Vorsteuerbeträge ergibt. Es fehlt zudem an den Feststellungen des FG zu den jeweiligen inländischen und ausländischen Streckenanteilen, deren es bedarf, um die Anwendbarkeit von § 3b Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG i.V.m. § 7 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung beurteilen zu können.

(1) Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

(1a) Als Lieferung gegen Entgelt gilt das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Lieferer. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in den Fällen des § 6b.

(1b) Einer Lieferung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Entnahme eines Gegenstands durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen;
2.
die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands durch einen Unternehmer an sein Personal für dessen privaten Bedarf, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen;
3.
jede andere unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens.
Voraussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.

(2) (weggefallen)

(3) Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs) liegt zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer.

(3a) Ein Unternehmer, der mittels seiner elektronischen Schnittstelle die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Empfänger nach § 3a Absatz 5 Satz 1 unterstützt, wird behandelt, als ob er diesen Gegenstand für sein Unternehmen selbst erhalten und geliefert hätte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Unternehmer mittels seiner elektronischen Schnittstelle den Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro unterstützt. Eine elektronische Schnittstelle im Sinne der Sätze 1 und 2 ist ein elektronischer Marktplatz, eine elektronische Plattform, ein elektronisches Portal oder Ähnliches. Ein Fernverkauf im Sinne des Satzes 2 ist die Lieferung eines Gegenstands, der durch den Lieferer oder für dessen Rechnung aus dem Drittlandsgebiet an einen Erwerber in einem Mitgliedstaat befördert oder versendet wird, einschließlich jener Lieferung, an deren Beförderung oder Versendung der Lieferer indirekt beteiligt ist. Erwerber im Sinne des Satzes 4 ist ein in § 3a Absatz 5 Satz 1 bezeichneter Empfänger oder eine in § 1a Absatz 3 Nummer 1 genannte Person, die weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschreitet noch auf ihre Anwendung verzichtet; im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ist die von diesem Mitgliedstaat festgesetzte Erwerbsschwelle maßgebend. Satz 2 gilt nicht für die Lieferung neuer Fahrzeuge und eines Gegenstandes, der mit oder ohne probeweise Inbetriebnahme durch den Lieferer oder für dessen Rechnung montiert oder installiert geliefert wird.

(4) Hat der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen und verwendet er hierbei Stoffe, die er selbst beschafft, so ist die Leistung als Lieferung anzusehen (Werklieferung), wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Das gilt auch dann, wenn die Gegenstände mit dem Grund und Boden fest verbunden werden.

(5) Hat ein Abnehmer dem Lieferer die Nebenerzeugnisse oder Abfälle, die bei der Bearbeitung oder Verarbeitung des ihm übergebenen Gegenstands entstehen, zurückzugeben, so beschränkt sich die Lieferung auf den Gehalt des Gegenstands an den Bestandteilen, die dem Abnehmer verbleiben. Das gilt auch dann, wenn der Abnehmer an Stelle der bei der Bearbeitung oder Verarbeitung entstehenden Nebenerzeugnisse oder Abfälle Gegenstände gleicher Art zurückgibt, wie sie in seinem Unternehmen regelmäßig anfallen.

(5a) Der Ort der Lieferung richtet sich vorbehaltlich der §§ 3c, 3e und 3g nach den Absätzen 6 bis 8.

(6) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Befördern ist jede Fortbewegung eines Gegenstands. Versenden liegt vor, wenn jemand die Beförderung durch einen selbständigen Beauftragten ausführen oder besorgen lässt. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstands an den Beauftragten.

(6a) Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), so ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung dabei durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der zugleich Lieferer ist (Zwischenhändler), ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates und verwendet der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Gelangt der Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer verwendet, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde. Gelangt der Gegenstand der Lieferung vom Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Gegenstand der Lieferung im Namen des Zwischenhändlers oder im Rahmen der indirekten Stellvertretung (Artikel 18 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1) für seine Rechnung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet wird.

(6b) Wird ein Unternehmer gemäß Absatz 3a behandelt, als ob er einen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte, wird die Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch diesen Unternehmer zugeschrieben.

(7) Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. In den Fällen der Absätze 6a und 6b gilt Folgendes:

1.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt.
2.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands endet.

(8) Gelangt der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung oder Versendung aus dem Drittlandsgebiet in das Inland, gilt der Ort der Lieferung dieses Gegenstands als im Inland gelegen, wenn der Lieferer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist.

(8a) (weggefallen)

(9) Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. Sie können auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustands bestehen.

(9a) Einer sonstigen Leistung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen; dies gilt nicht, wenn der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1b ausgeschlossen oder wenn eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Absatz 6a durchzuführen ist;
2.
die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.

(10) Überlässt ein Unternehmer einem Auftraggeber, der ihm einen Stoff zur Herstellung eines Gegenstands übergeben hat, an Stelle des herzustellenden Gegenstands einen gleichartigen Gegenstand, wie er ihn in seinem Unternehmen aus solchem Stoff herzustellen pflegt, so gilt die Leistung des Unternehmers als Werkleistung, wenn das Entgelt für die Leistung nach Art eines Werklohns unabhängig vom Unterschied zwischen dem Marktpreis des empfangenen Stoffs und dem des überlassenen Gegenstandes berechnet wird.

(11) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung eingeschaltet und handelt er dabei im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung, gilt diese Leistung als an ihn und von ihm erbracht.

(11a) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung, die über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht wird, eingeschaltet, gilt er im Sinne von Absatz 11 als im eigenen Namen und für fremde Rechnung handelnd. Dies gilt nicht, wenn der Anbieter dieser sonstigen Leistung von dem Unternehmer als Leistungserbringer ausdrücklich benannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn

1.
in den von jedem an der Erbringung beteiligten Unternehmer ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind;
2.
in den dem Leistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind.
Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn der Unternehmer hinsichtlich der Erbringung der sonstigen Leistung im Sinne des Satzes 2
1.
die Abrechnung gegenüber dem Leistungsempfänger autorisiert,
2.
die Erbringung der sonstigen Leistung genehmigt oder
3.
die allgemeinen Bedingungen der Leistungserbringung festlegt.
Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, wenn der Unternehmer lediglich Zahlungen in Bezug auf die erbrachte sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 abwickelt und nicht an der Erbringung dieser sonstigen Leistung beteiligt ist.

(12) Ein Tausch liegt vor, wenn das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung besteht. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht.

(13) Ein Gutschein (Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein) ist ein Instrument, bei dem

1.
die Verpflichtung besteht, es als vollständige oder teilweise Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung anzunehmen und
2.
der Liefergegenstand oder die sonstige Leistung oder die Identität des leistenden Unternehmers entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind.
Instrumente, die lediglich zu einem Preisnachlass berechtigen, sind keine Gutscheine im Sinne des Satzes 1.

(14) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen, ist ein Einzweck-Gutschein. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im eigenen Namen, gilt die Übertragung des Gutscheins als die Lieferung des Gegenstands oder die Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im Namen eines anderen Unternehmers, gilt diese Übertragung als Lieferung des Gegenstands oder Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, durch den Unternehmer, in dessen Namen die Übertragung des Gutscheins erfolgt. Wird die im Einzweck-Gutschein bezeichnete Leistung von einem anderen Unternehmer erbracht als dem, der den Gutschein im eigenen Namen ausgestellt hat, wird der leistende Unternehmer so behandelt, als habe er die im Gutschein bezeichnete Leistung an den Aussteller erbracht. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die ein Einzweck-Gutschein als Gegenleistung angenommen wird, gilt in den Fällen der Sätze 2 bis 4 nicht als unabhängiger Umsatz.

(15) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ist ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der Umsatzsteuer nach § 1 Absatz 1, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Umsatzsteuer unterliegt.

(1) Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen. Dies gilt nicht, soweit er durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt wird. Wird in diesen Fällen ein anderer Unternehmer durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt, hat dieser Unternehmer seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Die Sätze 1 bis 4 gelten in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b sinngemäß. Bei Preisnachlässen und Preiserstattungen eines Unternehmers in einer Leistungskette an einen in dieser Leistungskette nicht unmittelbar nachfolgenden Abnehmer liegt eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach Satz 1 nur vor, wenn der Leistungsbezug dieses Abnehmers im Rahmen der Leistungskette im Inland steuerpflichtig ist. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann unterbleiben, soweit ein dritter Unternehmer den auf die Minderung des Entgelts entfallenden Steuerbetrag an das Finanzamt entrichtet; in diesem Fall ist der dritte Unternehmer Schuldner der Steuer. Die Berichtigungen nach den Sätzen 1 und 2 sind für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Die Berichtigung nach Satz 4 ist für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem der andere Unternehmer wirtschaftlich begünstigt wird.

(2) Absatz 1 gilt sinngemäß, wenn

1.
das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen;
2.
für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist;
3.
eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb rückgängig gemacht worden ist;
4.
der Erwerber den Nachweis im Sinne des § 3d Satz 2 führt;
5.
Aufwendungen im Sinne des § 15 Abs. 1a getätigt werden.

(3) Ist Einfuhrumsatzsteuer, die als Vorsteuer abgezogen worden ist, herabgesetzt, erlassen oder erstattet worden, so hat der Unternehmer den Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Absatz 1 Satz 8 gilt sinngemäß.

(4) Werden die Entgelte für unterschiedlich besteuerte Lieferungen oder sonstige Leistungen eines bestimmten Zeitabschnitts gemeinsam geändert (z.B. Jahresboni, Jahresrückvergütungen), so hat der Unternehmer dem Leistungsempfänger einen Beleg zu erteilen, aus dem zu ersehen ist, wie sich die Änderung der Entgelte auf die unterschiedlich besteuerten Umsätze verteilt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt ein Lufttransportunternehmen zur Personenbeförderung. Fluggäste konnten nach den Vertragsbedingungen der Klägerin Flüge zu allgemeinen Konditionen mit Rücktritts- und Umbuchungsmöglichkeit oder zu preislich ermäßigten Sonderkonditionen ohne Rücktritts- und ohne Umbuchungsmöglichkeit sowie ohne Erstattung des Flugpreises buchen. Bei Buchung eines Fluges zu diesen Sonderkonditionen behielt die Flugreservierung bis 30 Minuten vor dem Abflug ihre Gültigkeit. Trat der Fluggast den Flug bis zu diesem Zeitpunkt nicht an, konnte die Klägerin den Sitzplatz anderweitig an einen ggf. vor Ort wartenden Fluggast vergeben.

2

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ging im Anschluss an eine zur Umsatzsteuer 1996 bis 2000 durchgeführte Außenprüfung davon aus, dass auch bei den nicht in Anspruch genommenen Flügen ein Leistungsaustausch vorliege. Die von der Klägerin bis dahin als nicht steuerbarer Schadensersatz angesehenen Einnahmen (sog. unflown revenue) behandelte das FA als Entgelt für steuerpflichtige Leistungen und erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 1996 bis 2004. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

3

Nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG) erbrachte die Klägerin auch im Fall der nicht in Anspruch genommenen Flüge zu den von ihr angebotenen Sonderkonditionen dadurch eine Leistung, dass sie für den gebuchten Flug einen Sitzplatz bereitgestellt habe. Der Leistungsinhalt sei durch die Sonderkonditionen derart modifiziert worden, dass der Kunde, dem wegen des ermäßigten Preises kein Rücktrittsrecht zugestanden habe, die Zahlung letztlich dafür geleistet habe, dass ihm die Möglichkeit eingeräumt worden sei, am durchgeführten Flug teilzunehmen. Zwischen Inlands- und Auslandsflügen sei nicht zu differenzieren, da in beiden Fällen eine nach § 3a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) am Unternehmensort der Klägerin steuerbare und steuerpflichtige Bereitstellungsleistung vorliege. Einen Tatbestandsberichtigungsantrag der Klägerin lehnte das FG ab.

4

Das Urteil des FG ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2009, 2053 veröffentlicht.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Reservierungsbestätigung komme ebenso wie der Leistungsbereitschaft entgegen der Auffassung des FG keine eigenständige Bedeutung zu. Das FG habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, da es die Grundsätze zur einheitlichen Leistung unzutreffend angewendet habe. Zumindest handele es sich um bloße Nebenleistungen. Gegenstand der Vereinbarung sei die Beförderung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Ort gewesen; diese Leistung habe sie nicht erbracht. Die spätere Nichtinanspruchnahme des Fluges sei für die Frage, was Gegenstand des vereinbarten Leistungsinhalts sei, nicht von Bedeutung. Die Zahlung sei für den Fall, dass der Kunde den Flug nicht in Anspruch nehme, ein im Voraus vereinbarter pauschaler Schadensersatz, der nicht der Umsatzsteuer unterliege. Der Sachverhalt unterscheide sich entgegen der Auffassung des FG nicht von dem Fall, in dem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 18. Juli 2007 C-277/05, Société thermale d'Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424) ein Angeld als Schadensersatz beurteilt habe. Für die Vergleichbarkeit mit einem Angeld spreche, dass es sich um wirtschaftlich identische Vorgänge handele. Auf die nationalrechtlichen Besonderheiten der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen komme es umsatzsteuerrechtlich nicht an.

6

Ein gesonderter Steuerausweis liege nicht vor. Unabhängig davon sei jedenfalls zwischen dem "unflown revenue" bei Inlands- und Auslandsflügen zu differenzieren. Im Übrigen komme eine Steuerpflicht von Anzahlungen nur bis zum Zeitpunkt der vorgesehenen Leistungserbringung in Betracht. Die Zahlungen der Kunden seien aber z.B. bei kurzfristigen Buchungen teilweise erst im Anschluss an den nicht angetretenen Flug erfolgt. Das FG hätte dies aufklären müssen. Das Unionsrecht enthalte für Anzahlungen nur einen Steueranspruch, nicht aber auch einen Steuertatbestand, so dass insoweit nur eine Fälligkeitsregelung vorliege. Ein Ersatztatbestand für die Entstehung der Steuer sei nicht geschaffen worden. Auf die Berichtigung nach § 17 UStG komme es nicht an. § 17 Abs. 2 UStG sei darüber hinaus restriktiv auszulegen. Ein Umsatz, der nie vorgelegen habe, könne bei tatsächlicher Nichtausführung des Leistungsaustausches weder rückgängig gemacht noch berichtigt werden. Auch die geänderte Rechtsprechung, die für die Berichtigung nach Entgeltentrichtung auf eine Entgeltrückzahlung abstelle, könne nach § 176 der Abgabenordnung (AO) nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden. Sie könne auch mit zivilrechtlich nichtigen Ansprüchen aufrechnen. Die verfallenen Flugtickets seien nicht nochmals verkauft worden. In Frankreich werde der bei Nichtantritt einer Eisenbahnfahrt von der Eisenbahngesellschaft einbehaltene Geldbetrag als nicht steuerbarer pauschaler Schadensersatz behandelt. Sie habe keine Reservierungsleistung, sondern eine einheitliche Transportleistung erbracht.

7

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung Beweis über die Frage erhoben, ob der Prozessbevollmächtigte am 24. März 2011 gegen den Gerichtsbescheid, den der Senat im Streitfall gemäß §§ 90a Abs. 1, 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erlassen hat, fristgerecht mündliche Verhandlung beantragt hat.

8

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Änderung der angefochtenen Bescheide.

9

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

10

Das FG habe zutreffend einen Leistungsaustausch bei den Billigflügen zu Sonderkonditionen auch hinsichtlich der nicht in Anspruch genommenen Flüge bejaht. Aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers sei zu berücksichtigen, dass Fluggesellschaften in der Regel bei Stornierungen den Flugpreis einbehalten. Es liege auch kein Angeld vor. Ein Leistungsaustausch liege vor, wie sich auch daraus ergebe, dass die Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hätten.

Entscheidungsgründe

11

II. Die zulässige Revision der Klägerin ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des FG war aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

12

A) Der Senat entscheidet über die zulässige Revision der Klägerin durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung gemäß §§ 90a Abs. 4, 121 Satz 1 FGO. Zwar ist im Streitfall bereits ein Gerichtsbescheid gemäß §§ 90a Abs. 1, 121 Satz 1 FGO ergangen. Dieser gilt jedoch gemäß §§ 90a Abs. 3, 121 Satz 1 FGO als nicht ergangen. Aufgrund der vor dem Senat durchgeführten Beweiserhebung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid rechtzeitig den Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat. Hierfür spricht insbesondere, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am vorletzten Tag vor dem Fristablauf zwei Schriftstücke in den Nachtbriefkasten des Bundesfinanzhofs (BFH) eingeworfen hat, von denen eines den Antrag auf mündliche Verhandlung enthielt. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher mangels Fristversäumnis nicht zu entscheiden.

13

B) Die Revision der Klägerin ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet und führt zur Zurückverweisung an das FG. Die Klägerin hat steuerpflichtige Leistungsentgelte für Inlandsflüge vereinnahmt, die mangels Rückzahlung der Besteuerung unterliegen. Ob der Auffassung der Klägerin zu folgen wäre, sie, die Klägerin, habe gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen keine Leistungen erbracht, war daher nicht zu entscheiden. Hinsichtlich der Auslandsflüge sind demgegenüber im zweiten Rechtsgang noch weitere Feststellungen zu treffen.

14

1. Bei den Inlandsflügen hat die Klägerin die von ihr vereinnahmten Leistungsentgelte auch insoweit zu versteuern, als Fluggäste die von ihnen gebuchten Flüge nicht angetreten haben.

15

a) Vereinnahmt der Unternehmer ein Entgelt, bevor er die Leistung ausgeführt hat, entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG 1993/1999 mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem er das Entgelt vereinnahmt. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Werden Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung bewirkt ist, so entsteht der Steueranspruch nach dieser Bestimmung zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag. Bei der Anzahlung i.S. von Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG handelt es sich um den "Wert der Gegenleistung" i.S. des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG und damit um das "Entgelt" i.S. von § 10 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Anzahlung und Entgelt entsprechen sich somit, so dass zwischen dem nationalem und dem Unionsrecht kein Unterschied besteht.

16

b) Die Besteuerung des Entgelts vor Leistungserbringung setzt voraus, dass "alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d.h. der künftigen Lieferung oder der künftigen Dienstleistung, bereits bekannt sind, ... insbesondere die Gegenstände oder die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind" (EuGH-Urteil vom 21. Februar 2006 C-419/02, Bupa, Slg. 2006, I-1685 Rdnr. 48 zu Art. 10 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, denn die Klägerin hat in den Streitjahren Entgelte für konkret bezeichnete Flugreisen vereinnahmt.

17

c) Entgegen ihrer Auffassung hat die Klägerin die Entgelte vor der Leistungserbringung vereinnahmt. Unerheblich ist deshalb, ob sie das für das ausgegebene Flugticket vereinbarte Entgelt in Einzelfällen erst nach Durchführung des Fluges erhalten hat.

18

Wäre mit der Klägerin davon auszugehen, sie habe gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen keine Leistungen erbracht, unterlagen die vereinnahmten Entgelte in den Streitjahren jedenfalls als Anzahlung der Umsatzsteuer. Auch wenn ein Entgelt ohne Leistungserbringung vereinnahmt wird, erfolgt die Vereinnahmung notwendigerweise vor der Ausführung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG) oder vor der Bewirkung (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG) der --unterbliebenen-- Leistung. Eine zeitliche Grenze, bis zu der die Vereinnahmung des Entgelts zu erfolgen hat, um eine Steuerpflicht zu begründen, besteht nicht. Zwar ist die Regelung über "Anzahlungen" eng auszulegen (EuGH-Urteil Bupa in Slg. 2006, I-1685 Rdnr. 45). Dies erfordert jedoch keine den Gesetzeswortlaut einschränkende Auslegung.

19

2. Der sich aus der Vereinnahmung der Vorauszahlungen ergebende Steueranspruch ist nicht entfallen. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 UStG liegen nicht vor.

20

a) Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG sinngemäß, wenn für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung aber nicht ausgeführt wird.

21

b) Eine Berichtigung nach § 17 UStG setzt für den Fall, dass der Leistungsempfänger das Entgelt bereits ganz oder teilweise entrichtet hat, voraus, dass das vereinnahmte Entgelt zurückbezahlt wird.

22

aa) Vereinbaren der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger die vollständige oder teilweise Rückzahlung des bereits entrichteten Entgelts, mindert sich die Bemessungsgrundlage i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG nur, soweit das Entgelt tatsächlich zurückgezahlt wird, und zwar in dem Besteuerungszeitraum, in dem die Rückgewähr erfolgt (BFH-Urteil vom 18. September 2008 V R 56/06, BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, Leitsatz).

23

bb) Dies gilt auch, soweit gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG die sinngemäße Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG angeordnet ist. Vereinnahmt der leistende Unternehmer ein Entgelt, ohne die hierfür geschuldete Leistung zu erbringen, berechtigt daher erst die Rückgewähr des Entgelts zur Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG (BFH-Urteil vom 2. September 2010 V R 34/09, BFH/NV 2011, 383, Leitsatz).

24

c) Selbst wenn danach --entgegen dem FG-Urteil-- zugunsten der Klägerin davon auszugehen wäre, dass sie gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen keine Leistung erbracht hat, ist sie im Streitfall aufgrund der Entgeltvereinnahmung Steuerschuldner nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG bis zur Rückzahlung des Entgelts.

25

aa) Im Streitfall hat die Klägerin die von ihr vereinnahmten Entgelte für die von ihr zu erbringenden Leistungen nicht an die Fluggäste zurückgezahlt. Eine derartige Rückzahlung war nach den Beförderungsbedingungen der Klägerin sogar ausdrücklich ausgeschlossen.

26

bb) Im Hinblick auf diese Beförderungsbedingungen scheidet auch die Annahme einer Rückzahlung durch Aufrechnung mit einem --wie die Klägerin meint-- pauschal vereinbarten Schadensersatzanspruch gegen den Kunden wegen Nichtinanspruchnahme der angebotenen Leistung aus. Nach den vom FG in Bezug genommenen Vertragsbedingungen "verlieren die Fluggäste ihre Flugberechtigung und haben keinerlei Anspruch auf Rückvergütung oder kostenlose Umbuchung". Danach bestehen für die Vereinbarung eines Schadensersatzanspruchs zugunsten der Klägerin keine Anhaltspunkte. Ob die Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zivilrechtlich wirksam gewesen wäre (vgl. z.B. § 11 Nr. 5 des in den Streitjahren geltenden Gesetzes zur Regelung allgemeiner Geschäftsbedingungen; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 1984 VII ZR 11/84, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 633) und ob im Hinblick auf die unionsrechtliche Harmonisierung überhaupt die zivilrechtliche Wirksamkeit maßgebend sein kann, war daher nicht zu entscheiden.

27

d) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die Besteuerung der vereinnahmten Entgelte bis zu ihrer Rückzahlung nicht gegen die Systematik der Richtlinie 77/388/EWG, die in Art. 10 Abs. 1 zwischen Steuertatbestand und Steueranspruch unterscheidet und in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG für sog. "Anzahlungen" nur eine Regelung zur Entstehung des Steueranspruchs, nicht aber auch zur Entstehung des Steuertatbestands enthält.

28

Die Unterscheidung zwischen Steueranspruch und Steuertatbestand beruht darauf, dass die Leistungserbringung, nicht aber die Entgeltentrichtung der Besteuerung unterliegt (vgl. EuGH-Urteil Bupa in Slg. 2006, 1685 Rdnr. 50). Deshalb ist --wie die Klägerin unter Hinweis auf die Systematik insoweit zu Recht ausführt-- die Besteuerung rückgängig zu machen, wenn das Entgelt zwar vereinnahmt, die Leistung aber nicht erbracht wird.

29

Die Rückgängigmachung erfolgt aber nur unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Diese Vorschrift beruht auf Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Danach wird im "Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes ... die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert". Im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten danach eingeräumte Befugnis zur Festlegung von Bedingungen ist --wie die Rechtsprechung des EuGH belegt-- (EuGH-Urteil vom 29. Mai 2001 C-86/99, Freemans, Slg. 2001, I-4167) es unionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Rückgängigmachung der Besteuerung von der Rückgewähr des Entgelts abhängt (BFH-Urteil in BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250). Für die von der Klägerin vertretene "restriktive" Auslegung des § 17 Abs. 2 UStG besteht keine Veranlassung. Ebenso kommt es im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten eingeräumten Befugnisse nicht darauf an, wie "in Frankreich" der "Nichtantritt einer Eisenbahnfahrt von der Eisenbahngesellschaft" behandelt wird.

30

e) Dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 17 UStG nicht vorliegen, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht das Entstehen eines Rückforderungsanspruchs nach §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs, da diese Vorschriften aufgrund der abschließenden Spezialregelung durch das UStG im Streitfall nicht anwendbar sind.

31

f) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin schließlich auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Danach ist bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichts des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Die Rechtsprechungsänderung muss für den Erlass des Änderungsbescheides kausal gewesen sein. Insoweit wird widerlegbar vermutet, dass bei einer Übereinstimmung des Erstbescheides mit der seinerzeit geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung im Zweifel auch von deren Anwendung auszugehen ist (BFH-Urteil vom 10. Juni 2008 VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863, unter II.3.c aa). Im Streitfall beruhten demgegenüber weder die ursprüngliche Nichtbesteuerung der für nicht in Anspruch genommene Flüge vereinnahmten Entgelte bis zur Außenprüfung noch die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide auf der früheren, zwischenzeitlich aufgegebenen Senatsrechtsprechung zu § 17 UStG, weil das FA bei der Steuerfestsetzung vom Vorliegen einer Leistung der Klägerin an die nicht erschienenen Fluggäste ausgegangen ist.

32

3. Die Klägerin kann sich für die beanspruchte Nichtbesteuerung der von ihr vereinnahmten Vorauszahlungen nicht auf die Rechtsprechung des EuGH zum sog. "Angeld" berufen.

33

Das sog. Angeld wird im Rahmen von Verträgen geleistet, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand haben. In Fällen, in denen der Gast von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber das Angeld einbehält, ist nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil Société thermale d'Eugénie-les-Bains in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424) das Angeld eine pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens. Es ist mangels eines direkten Bezugs zu einer entgeltlichen Dienstleistung kein Entgelt für diese.

34

Der Schadensersatzcharakter hat das "Angeld" danach aufgrund des Vorliegens der Vereinbarung einer besonderen Zahlung ("Angeld"), die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Leistung steht, und erfasst daher nicht den Fall, dass der Unternehmer das Entgelt für die vereinbarte Leistung vereinnahmt und dieses Entgelt bei Nichtinanspruchnahme der Leistung in vollem Umfang behält. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Angeld für den Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistung auf das Entgelt für diese Leistung angerechnet wird. Denn diese Anrechnung beruht nicht auf der bloßen Zahlung des Angelds, sondern auf der im Rahmen des späteren Leistungsaustausches erfolgenden Verrechnung von Angeld und Leistungsentgelt. Unerheblich ist auch, ob eine von den Verhältnissen des Streitfalls abweichende Vertragsgestaltung zu einer teilweisen Nichtbesteuerung der von Kunden geleisteten Zahlung geführt hätte. Denn der Besteuerung ist der jeweils verwirklichte Umsatz zugrunde zu legen.

35

4. Obwohl das FG die Steuerpflicht hinsichtlich der Inlandsflüge somit im Ergebnis zu Recht bejaht hat, ist die Sache gleichwohl nicht spruchreif. Der Senat kann nach den vom FG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob entsprechend dem FG-Urteil auch eine Steuerpflicht hinsichtlich der Auslandsflüge besteht.

36

a) Entgegen dem Urteil des FG hat die Klägerin unabhängig von der vereinbarten Beförderungsleistung bei Flugteilnahme keine gesonderte Reservierungsleistung erbracht, die nach § 3a Abs. 1 UStG an ihrem Unternehmensort zu besteuern ist. Die bloße Bereitschaft zur Leistungserbringung ist entgegen der Rechtsauffassung des FG nicht wegen der später unterbliebenen Inanspruchnahme des Fluges eine eigenständige Leistung. Denn die vom FG als steuerbare Leistung beurteilte "Leistungsbereitschaft" ergibt sich bereits aus dem gegenseitigen Beförderungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Fluggast, der die Verpflichtung und Bereitschaft zur Beförderung durch die Klägerin beinhaltet (vgl. EuGH-Urteil Sociéte thermale d'Eugénie-les-Bains in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424 Leitsatz 2). Etwas anderes lässt sich entgegen der Auffassung des FG auch nicht daraus ableiten, dass wegen der Sonderkonditionen ein ermäßigter Flugpreis vereinbart ist, denn das ändert nichts daran, dass Vertragsinhalt die vereinbarte Beförderung ist und sich die "Leistungsbereitschaft" unmittelbar aus dem Beförderungsvertrag ergibt.

37

b) Anhand der vom FG getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht entscheiden, ob im Streitfall zugunsten der Klägerin ein Besteuerungsverzicht auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 UStG besteht. Feststellungen hierzu sind nachzuholen. Insoweit wird auch zu berücksichtigen sein, dass es auf den Besteuerungsverzicht nicht ankommt, wenn die Klägerin für die Auslandsflüge Rechnungen mit Steuerausweis erteilt haben sollte.

38

aa) Nach § 26 Abs. 3 UStG kann das "Bundesministerium der Finanzen unbeschadet der Vorschriften der §§ 163 und 227 der Abgabenordnung anordnen, dass die Steuer für grenzüberschreitende Beförderungen von Personen im Luftverkehr niedriger festgesetzt oder ganz oder zum Teil erlassen wird, soweit der Unternehmer keine Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Steuer (§ 14 Abs. 1) erteilt hat". Nach Abschn. 281 Nr. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) "kann die Umsatzsteuer für grenzüberschreitende Beförderungen im Luftverkehr niedriger festgesetzt oder erlassen werden".

39

bb) Liegt für die von der Klägerin erbrachten grenzüberschreitenden Beförderungsleistungen ein Besteuerungsverzicht auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 UStG vor, erstreckt sich dieser auch auf die Steuer, die aufgrund der Entgeltvereinnahmung vor Leistungserbringung entsteht (ebenso zur Anwendung von Steuerbefreiungen auf Anzahlungen Abschn. 181 Abs. 4 UStR 1996/2000/ 2004).

40

5. Die Verfahrensrügen waren aufgrund der sich aus der Entgeltvereinnahmung ergebenden Steuerpflicht nicht entscheidungserheblich (§ 126 Abs. 4 FGO), so dass über sie nicht zu entscheiden war.