Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Mai 2017 - L 7 R 434/15

bei uns veröffentlicht am09.05.2017
nachgehend
Bundessozialgericht, B 12 R 38/17 B, 04.04.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.05.2015 teilweise aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 insoweit zurückgewiesen, als diese einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 267.039,22 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 174.131,00 EUR, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis einschließlich 31.12.1996 betreffen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 4/5, der Kläger 1/5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 1/10 und der Kläger 9/10.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 283.163,93 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist im Berufungsverfahren ein Nachforderungsbetrag von 283.163,93 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 184.639,00 EUR, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996.

Der Kläger war zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraumes als selbständiger Handelsvertreter gemäß § 84 Handelsgesetzbuch (HGB) im Zeitschriftengewerbe und in der Vermittlung von Telekommunikations- und Stromverträgen für die Firma V. Co. GmbH (künftig: V) tätig. Die Vermittlung von Abonnements und Verträgen erfolgte durch Haustürwerbung, für die der Kläger - aus seiner Sicht selbständige - Mitarbeiter als „Drückerkolonnen“ (so der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen …) einsetzte.

Nachdem gegen den Kläger unter Einbeziehung eines Urteils des Landgerichts D-Stadt vom 10.03.2003, Aktenzeichen …, wegen seiner Tätigkeit als Chef einer „Drückerkolonne“ (vergleiche rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen …) in der Zeit von 1992 bis 1996 mit Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen …, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung verhängt worden war, führte der Kläger seine Tätigkeit in der Folgezeit fort.

Auf Grund von Ermittlungen des Hauptzollamts C-Stadt - bei denen Unterlagen des Klägers über die Werber für die Zeit ab 1997 beschlagnahmt wurden (insgesamt 17 Ordner) - wurde der Kläger vom Landgericht C-Stadt mit Urteil vom 16.02.2011, Aktenzeichen … unter Einbezug der früheren Strafen gemäß §§ 266a Abs. 1 Abs. 2 Nr. 2, 53 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren erneut wegen seiner Tätigkeit als Chef einer „Drückerkolonne“ (vergleiche rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen …) verurteilt. Nach seiner Haftentlassung ist der Kläger inzwischen wieder als selbständiger Handelsvertreter gemäß § 84 HGB tätig.

Aufgrund der den strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Ermittlungen leitete die Beklagte mit Anhörungsschreiben vom 07.06.2011, mit dem der Kläger eingehend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet wurde, ein Betriebsprüfungsverfahren ein. Der Kläger äußerte sich zum Anhörungsschreiben nicht.

Mit Bescheid vom 10.08.2011 forderte die Beklagte vom Kläger auf Grund ihrer Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.12.1992 bis 31.05.2009 eine Nachzahlung in Höhe von 1.528.044,61 EUR, davon 771.664,50 EUR Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV.

Bei den vom Kläger eingesetzten Werbern habe es sich um Scheinselbständige gehandelt, was auch das Landgericht C-Stadt in seinem Urteil vom 16.02.2011, Az.: …, ausgeführt habe. Dies ergebe das Gesamtbild der Verhältnisse, bei dem die relevanten Merkmale gegeneinander abgewogen werden müssten. Die Werber seien in den Betrieb des Klägers eingegliedert und hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit an Weisungen des Klägers gebunden gewesen. Die Werber hätten bestimmte Arbeitszeiten einhalten müssen und seien persönlich vom Kläger abhängig gewesen. Freie Tage und Urlaub hätten mit dem Kläger abgesprochen werden müssen.

Die Werber seien mit einer von der Firma V bezahlten Zugfahrtkarte zu Orten gefahren, an denen sie sich nicht auskannten. Da die Werber in der Regel auch ohne Führerschein und völlig mittellos gewesen seien, seien sie gezwungen gewesen, in den vom Kläger angemieteten Häusern bzw. Ferienwohnungen vor Ort zu übernachten und sich dort verpflegen zu lassen. Dort habe der Kläger bzw. seine Teamleiter die Zimmerbelegung zum Teil bestimmt, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit vorgegeben und über den jeweiligen Einsatzort am Tag entschieden.

An die Werber seien in der Regel nur geringfügige Beträge in bar ausgezahlt worden. Von den den Werbern zustehenden wöchentlichen Provisionsansprüchen seien wöchentlich 180 EUR für Verpflegung und Unterkunft einbehalten und ein bestimmter Prozentsatz der Provisionsansprüche auf ein sog. Stornokonto einbezahlt worden für den Fall, dass abgeschlossene Verträge storniert würden und der vereinbarte Provisionsanspruch entsprechend niedriger ausfiel. Den Werbern hätten daher die Mittel und Möglichkeiten gefehlt, am Wochenende nach Hause zu fahren. Der Kläger bzw. dessen Teamleiter hätten auch über die Freizeit der Werber bestimmt. So hätten beispielsweise Werber, die im Team T. in M-Stadt stationiert gewesen seien, sonntags zusammen mit dem Teamleiter E. nach A-Stadt zum Kläger zu Besuch fahren müssen.

Da die Arbeitszeit von Montag bis Samstag ganztägig gedauert habe, hätten die Werber auch keine Möglichkeit gehabt, einer weiteren Beschäftigung nachzugehen. Die Werber hätten keinerlei Eigeninitiative entwickeln müssen und hätten für den Vertragsabschluss an der Haustüre Formulare erhalten. In verpflichtenden Schulungen seien den Werbern Werbesprüche beigebracht worden, die diese an der Haustüre auswendig aufgesagt hätten.

Die Werber hätten keinerlei unternehmerisches Risiko getragen und auch kein Kapital einsetzen müssen. Sie verfügten überwiegend über keine Steuernummer, führten keine Umsatzsteuer ab und hätten auch keine eigene Buchführung gehabt. Sämtliche Arbeitsmittel seien den Werbern vom Kläger zur Verfügung gestellt worden.

Falls zu wenige Abonnements verkauft wurden, hätten der Kläger bzw. die Teamleiter Überstunden und Schulungen anberaumt.

Zwar hätten die Werber bei den Hausgesprächen selbst entscheiden können, welches Produkt sie anbieten wollten. Die Produktpalette sei jedoch auf die Angebote der Firma V, nämlich die von dieser Firma vertretenen Zeitschriftenabonnements, Telekommunikations- und Stromverträge, beschränkt gewesen.

Das Angebot der Übernachtungsmöglichkeit, der Verpflegung und von Fahrgemeinschaften für die Werber sei zwar freiwillig gewesen. Faktisch seien die Werber jedoch zwingend auf diese betriebliche Organisation angewiesen gewesen. Die Werber verfügten oftmals über keinerlei Vorbildung, hätten kein Fahrzeug und keinen Führerschein gehabt und seien mittellos gewesen, da sie aus der Arbeitslosigkeit heraus sich auf Zeitungsannoncen des Klägers bewarben. Sie hätten keinerlei Möglichkeiten gehabt, in dem für sie jeweils fremden Einsatzgebiet ihre Unkosten anfangs selbst zu bestreiten.

Soweit die Werber im jeweiligen Einsatzgebiet frei hätten entscheiden können, in welche Straße sie gingen und bei welcher Haustür sie klingelten, ändere dies nichts daran, dass das Einsatzgebiet vom Kläger bzw. den Teamleitern vorgegeben worden sei. Dabei hätten der Kläger bzw. die Teamleiter darüber entschieden, wo die einzelnen Werber abgesetzt wurden, nachdem am Morgen gemeinsam losgefahren worden war.

Auch ergebe sich kein unternehmerisches Risiko daraus, dass die Werber wöchentlich die Kosten für Unterkunft und Verpflegung hereinwirtschaften mussten. Bei diesen Kosten handle es sich um Ausgaben der allgemeinen Lebensführung, die auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bzw. auch bei Arbeitslosigkeit anfielen.

Zwar sei der wirtschaftliche Erfolg der Werber maßgeblich vom Gelingen des Verkaufsgesprächs abhängig gewesen. Hierbei hätten die Werber jedoch keine erhebliche Eigeninitiative entwickeln müssen, da die Tätigkeit keine besondere Qualifikation vorausgesetzt habe und den Werbern in Schulungen die Werbesprüche beigebracht worden seien. Unerheblich sei insoweit, ob die Werber die gelernten Sprüche abwandeln oder verändern dürften.

Im Wesentlichen hätten sich die Werber an die Vorgaben des Klägers halten müssen, die auch in den Verpflichtungserklärungen zum Teil schriftlich festgehalten wurden.

Auch eine erfolgsabhängige Bezahlung mittels Provisionen spreche nicht zwingend für Selbständigkeit. Eine solche sei auch einem Arbeitsverhältnis nicht fremd, beispielsweise bei Produktionsarbeitern im Akkord.

Insbesondere habe es Zielvorgaben bezüglich der täglich zu erbringenden Abonnements gegeben.

Bei einer derartigen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses sei es auch nicht maßgebend, dass die Werber keine festen Bezüge oder Anspruch auf Urlaub, Sozialleistungen oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehabt hätten.

Auch die formelle Bezeichnung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Kläger und den Werbern als selbständiger Handelsvertretervertrag ändere nichts an der Einschätzung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Maßgebend sei die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses als abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Der Kläger sei Arbeitgeber sämtlicher eingesetzter Werber gewesen. Soweit Frau S. I. K. (künftig: K) - die damalige Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau des Klägers - auch in Vertragsunterlagen in Erscheinung trete, handle es sich bei ihr lediglich um eine „Strohfrau“. Die Beweisaufnahme des Landgerichts C-Stadt im Strafverfahren habe ergeben, dass Frau K dem Kläger lediglich bei der Unterbringung und Verpflegung der Werber geholfen habe. Für die Vertragsunterlagen habe sie nur ihren Namen zur Verfügung gestellt. Alle im Strafverfahren vernommenen Werber hätten angegeben, dass der Kläger der Chef gewesen sei, der die Anweisungen erteilt habe. Frau K sei - soweit sie den Werbern überhaupt bekannt gewesen sei - lediglich für den Haushalt und die Essenszubereitung in den Gemeinschaftsunterkünften zuständig gewesen. Entscheidungen habe Frau K nicht getroffen. Im Ergebnis seien vom Kläger daher die Beiträge an die AOK und DAK sowohl für die vom Kläger im eigenen Namen abgeschlossenen Verträge als auch die im Namen von K abgeschlossenen Verträge zu entrichten gewesen und zwar auf der Grundlage von den zuständigen Straf- und Finanzbehörden ermittelten geleisteten Zahlungen an die Werber.

Die Beklagte unterschied im Betriebsprüfungsbescheid vom 10.08.2011 dann nach unterschiedlichen Zeiträumen und führte für den nunmehr im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1997 Folgendes aus:

„Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge vom 01.12.1992 bis 31.12.1997 Für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge haben wir die sich aus dem strafrechtlichen und steuerlichen Ermittlungsbericht des Finanzamtes D-Stadt Steuerfahndungsstelle vom 29.07.2002 ergebenden Beträge zu Grunde gelegt.“

Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 22.09.1998, 12 RK 36/86, entschieden, dass bei Hinterziehung der Sozialversicherungsbeiträge die Beiträge aus dem gezahlten Arbeitsentgelt zuzüglich der vom Arbeitgeber zu zahlenden Lohnsteuer zu berechnen sei, so dass hier eine Umrechnung vom Barlohn zum beitragspflichtigen Arbeitsentgelt notwendig gewesen sei. Wegen Vorsatzes - wie es das Landgericht C-Stadt in seinem Strafurteil festgestellt habe - verjährten die Beiträge gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erst nach 30 Jahren. Säumniszuschläge würden entsprechend § 24 Abs. 1 SGB IV erhoben.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 zurück. Der am 28.08.2011 erhobene Widerspruch sei trotz Aufforderung vom 09.07.2011, Erinnerung vom 13.10.2011 und nach Fristverlängerung mit Schreiben vom 29.11.2011 nicht begründet worden. Das Strafurteil des Landgerichts C-Stadt vom 16.02.2011, Aktenzeichen …, sei inzwischen vom Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 11.08.2011, Aktenzeichen …, bestätigt worden.

Auf Grund der gegen die Nachforderung erhobenen Klage hob das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 08.05.2015 den Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2012 auf.

Unter Verweis auf u.a. zwei Entscheidungen des LSG Bayern vom 21.10.2013, L 5 R 605/13 B ER und vom 19.02.2013, L 5 R 933/12 B ER, stellte das Sozialgericht fest, dass der Erlass eines Summenbescheides nicht zulässig gewesen sei, da zumindest teilweise eine personenbezogene Zuordnung habe erfolgen können. Diese Zuordnung sei auch dann notwendig, wenn die personenbezogene Feststellung mit erheblichen Schwierigkeiten und verwaltungsmäßigem Mehraufwand verbunden sei. Aus dem Protokoll der Sitzung des Strafgerichts ergebe sich, dass einzelne Werber im Strafverfahren als Zeugen vernommen worden seien, so dass deren Adressen bekannt gewesen seien. Auch hätten teilweise Einzelabrechnungen von Werbern vorgelegen, wie sich aus der Durchsicht der 17 Ordner Ermittlungsakten ergäbe. Damit habe zumindest teilweise eine personenbezogene Zuordnung erfolgen können. Ausreichende eigene Ermittlungen der Beklagten seien nicht ersichtlich. Die betroffenen namentlich bekannten Werber seien von der Beklagten nicht angehört und auch nicht nach § 12 SGB X beteiligt worden. Die Beklagte habe sich nicht alleine auf die Ermittlungen des Hauptzollamtes und der Finanzbehörden stützen können. Der Erlass eines Summenbescheids käme nur als letztes Mittel in Betracht. Je höher die Summe der Beitragsforderung sei, desto intensiver müsse die Beklagte eine personenbezogene Zuordnung versuchen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass eine erhebliche Summe an Beitragsnachforderungen für eine Vielzahl von Personen streitig sei, so dass insgesamt die Voraussetzungen für einen Summenbescheid nicht vorlägen.

Im Übrigen sei der Summenbescheid auch wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Es sei nicht erkennbar, dass die Beklagte Ermessen ausgeübt habe. Nicht jeder Aufzeichnungspflichtverletzung müsse mit einem Summenbescheid begegnet werden. Die Ermessensausübung sei gerichtlich voll überprüfbar. Vorliegend sei von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen, was nach § 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führe. Die Vorschrift des § 28f SGB IV sei im Bescheid nicht einmal erwähnt.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und diese beschränkt auf den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996 mit einem Gesamtnachforderungsbetrag von 283.163,93 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 184.639,00 EUR unter Vorlage einer Berechnung der Beiträge für diesen Zeitraum. Danach entfielen in diesem Zeitraum von der Gesamtsumme auf die vom Kläger abgeschlossenen Verträge 267.039,22 Euro (Beiträge 92.908,22 Euro und Säumniszuschläge 174.131,00 Euro) und auf die von Frau K abgeschlossenen Verträge 16.124,71 Euro (Beiträge 5.616,71 Euro und Säumniszuschläge 10.508,00 Euro).

Der Erlass eines Summenbescheids nach § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV stünde nicht im Ermessen der Beklagten. Bei Prüfung der Voraussetzungen der Vorschrift für den Erlass eines Summenbescheids habe die Behörde lediglich einen Beurteilungsspielraum. Da hier Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Stundenaufzeichnungen geführt hätten, habe nicht einmal eine Schätzung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit erfolgen können, die Grundlage für die Berechnung des Beitragsschadens hätte sein können, sogar wenn das dem einzelnen Werber geschuldete Entgelt bekannt gewesen wäre. Bei einer rein erfolgs- bzw. leistungsbezogenen Vergütung wie hier sei eine Schätzung schon deshalb kaum möglich, weil die Provisionsabrechnung zeitlich versetzt erfolgt sei; denn nur wenn der Vertrag nicht vom Kunden widerrufen worden sei, habe der Werber die volle Provision erhalten.

Angesichts der vom Sozialgericht aufgestellten hohen Hürden für den Erlass eines Summenbescheids werde die Berufung jedoch auf den Zeitraum von 01.12.1992 bis 31.12.1996 beschränkt. Für diesen Zeitraum hätten von Anfang an keine Aufzeichnungen und Abrechnungen des Klägers vorgelegen, so dass auch kein Arbeitnehmer namentlich bekannt gewesen sei.

Die Nachforderungen für diesen Zeitraum gründeten sich demgemäß allein auf die Schätzungen im strafrechtlichen und steuerrechtlichen Ermittlungsbericht des Finanzamts D-Stadt für diesen Zeitraum und dem hierzu ergangen Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen …, der seit 29.07.2004 rechtskräftig sei. Diese Unterlagen, auf denen der Bescheid für den im Berufungsverfahren noch streitigen Zeitraum allein beruhe, lägen so noch vor. Erst für den Zeitraum ab 1997 seien Unterlagen beschlagnahmt worden und weitere Beweismittel, etwa aus dem Strafverfahren vor dem Landgericht C-Stadt, das mit dem Urteil vom 16.02.2011, Aktenzeichen … geendet habe, vorhanden. Nur für spätere Zeiträume ab dem Jahr 1997 seien Werber namentlich bekannt gewesen und dementsprechend als Zeugen vernommen worden.

Für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum seien weitere Ermittlungen der Beklagten objektiv unmöglich gewesen, da der Kläger seine Aufzeichnungspflichten verletzt und weder im Strafverfahren noch im Beitragsverfahren weitere Beweismittel oder Angaben vorgetragen habe, auf Grund deren eine eigenständige Befragung von einzelnen Arbeitnehmern hätte nachgeholt werden können.

Der Kläger sei Arbeitgeber auch für die Werber gewesen, die unter der Gebietsnummer von Frau K geführt worden seien. Frau K sei nur wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden (Urteil des Landgerichts C-Stadt vom 29.11.2011, Az.: …). Aus dem Urteil ergebe sich, dass allein der Kläger Arbeitgeber gewesen sei. Frau K sei auch erst ab dem Jahr 2003 als Strohfrau in Erscheinung getreten.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08. Mai 2015 teilweise aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 insoweit zurückzuweisen, als diese den Nachforderungsbetrag von 283.163,93 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 184.639,00 EUR, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996 betrifft.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg sei in vollem Umfang zutreffend. Der Kläger sei bei der Firma V in einer mittleren Hierarchiestufe als freier Handelsvertreter tätig gewesen. Die Werber hätten für den Kläger vor Ort als selbständige Handelsvertreter auf niederer Leitungsebene gearbeitet. Hierbei sei der Kläger für die Unterstützung und Leitung dieser nachgeordneten Außendienstmitarbeiter zuständig gewesen.

Als Entgelt für die Betreuung der untergeordneten Struktur habe der Kläger als leitender Handelsvertreter eine individuell bemessene Provision für jeden durch diese Struktur auf niederer Ebene geworbenen Vertrag erhalten, die als „Superprovision“ bezeichnet worden sei.

Die Handelsvertretung des Klägers sei bei V unter den Organisationsnummern 250 und 155 (Zeitschriften), 136 (Telefonverträge) sowie 103 (Stromverträge) geführt worden. Die Handelsvertretung der früheren Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau des Klägers Frau K sei unter der Organisationsnummer 296 erfolgt. Den Betriebsnummern des Klägers sei die DAK Gesundheit zugeordnet gewesen, der Betriebsnummer von Frau K die AOK.

Das Strafgericht C-Stadt habe mit Urteil vom 16.02.2011, … den Kläger und mit späterem Strafurteil auch Frau K wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten gemäß § 266a StGB schuldig gesprochen und den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und Frau K zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Kläger und Frau K gemeinschaftlich gehandelt hätten. Wer als Arbeitgeber Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge gewesen sei, habe sich aus dem Strafurteil jedoch nicht schließen lassen. Zumindest sei der Kläger nicht für die Betriebsnummer von Frau K Arbeitgeber gewesen.

Auf Grund des Abrechnungssystems habe der Kläger ein Doppel seiner monatlichen Rechnungen an V sowie auch Originale der Rechnungen seiner Handelsvertreter, mit denen sie gegenüber dem Kläger abgerechnet hätten, aufbewahrt. Dieses zentrale Abrechnungssystem sei durch die Aktenführung nachvollziehbar gewesen und hätte dazu führen müssen, dass die Beklagte Beiträge jedem einzelnen Werber hätte zuordnen müssen. In den fünf Jahren seiner Tätigkeit zwischen 1992 und 1996 habe der Kläger rund 60 Monatsrechnungen an V gerichtet. Wenn insgesamt 887 Provisionsabrechnungen vorlägen, würde dies bedeuten, dass zu jeder Monatsabrechnung des Klägers als Vertriebspartner rund 12 korrespondierende Einzelrechnungen seiner Untervertriebspartner erstellt und zu den Akten genommen worden seien. Dies sei aus den beschlagnahmten Akten ersichtlich gewesen.

Inzwischen habe das Finanzamt L-Stadt die Akten nach Ablauf von zehn Jahren nach Erledigung der Sache jedoch vernichtet. Dies sei dem BayLSG am 08.09.2015 mitgeteilt worden. Von ursprünglich beim Kläger als Beweismittel beschlagnahmten 17 Ordnern an Unterlagen seien nur noch 6 Ordner Verwaltungsakten bei der Beklagten, also nur Auszüge, vorhanden. Der streitgegenständliche Bescheid beruhe auf diesen Akten und nicht auf eigenständigen Ermittlungen der Beklagten im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens. Von einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch den Kläger, wie es § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV für die Zulässigkeit des Erlasses eines Summenbescheids voraussetze, könne nicht die Rede sein, da sich aus den vernichteten Akten ergeben hätte, dass Aufzeichnungen vorhanden gewesen seien. Dem Sozialgericht hätten bei seiner Entscheidung die 17 Ordner Ermittlungsakten sowie die nunmehr verbliebenen 6 Verwaltungsakten vorgelegen. Dem Kläger sei es nunmehr wegen der Aktenvernichtung unmöglich, nachzuweisen, dass eine personenbezogene Ermittlung in den Jahren 1992 bis 1996 möglich gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei damit der Kernbereich des Rechts auf faires Verfahren verletzt mit der Folge, dass die Beklagte aus der ihr zuzurechnenden Aktenvernichtung keine Verfahrensnachteile für den Kläger ziehen dürfe.

Der Summenbescheid sei auch, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt habe, wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig.

Im Übrigen hätte die Beklagte zwei getrennte Beitragsbescheide erlassen müssen. Zum einen gegenüber dem Kläger mit einem Gesamtbetrag von 828.739 EUR und gegenüber Frau K mit einem Gesamtbetrag von 699.304 EUR.

Letztlich läge auch ein Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV vor. Ausgeschlossen sei es, den Bruttolohn als Quote der Betriebseinnahmen zu schätzen, insbesondere wenn die gezahlten Nettoprovisionen bekannt seien. Auch seinen möglicherweise damals einige Werber nur geringfügig tätig gewesen.

Die weiteren Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Gründe

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Augsburg den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996 aufgehoben, was die Nachforderung in Höhe von 267.039,22 Euro, davon 174.131,00 Euro an Säumniszuschlägen, anbetrifft. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig ergangen mit der Folge, dass die Klage hiergegen abzuweisen ist.

a) Zutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und auch den Gegenstand des Rechtsstreits in der Berufung bildenden Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV handelt.

Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das erkennende Gericht mittels Auslegung des Bescheides zu beantworten (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R Rz 16). Darauf, ob die Rechtsgrundlage des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV im Bescheid genannt wird, kommt es nicht an (vgl. BSG, aaO). Demgemäß war eine Beiladung einzelner Arbeitnehmer auch nicht veranlasst (BSG, aaO).

b) Anders als das Sozialgericht meint, handelt es sich beim Erlass eines Summenbescheids jedoch um keine - dann insoweit gerichtlich nachprüfbare - Ermessensentscheidung.

Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 SGB IV.

Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 iVm § 89 Abs. 5 SGB X nicht. Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat danach grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (vgl. zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr. 3 S. 4 ff mwN).

Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs. 2 S. 3 und S. 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV vor.

Soweit § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV von „kann“ spricht, handelt es sich um kein Ermessens-Kann. Vielmehr bringt dieses „Kann“ lediglich ein rechtliches Dürfen zum Ausdruck (sog „Kompetenz-Kann“, vgl. etwa BSG, Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R, Rz. 25). Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift, insbesondere im Lichte der Gesetzeshistorie, vgl. BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R -, BSGE 89, 158-167, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3, SozR 3-2400 § 14 Nr. 22.

§ 28f Abs. 2 SGB IV regelte danach bei Inkrafttreten eine bis zum Zustandekommen dieser Vorschrift seit Jahrzehnten bestehende Zweifelsfrage, vgl. BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R.

Die Versicherungs- und Beitragspflicht ist in allen Versicherungszweigen personenbezogen ausgestaltet und hängt zum Teil von Arbeitsentgeltgrenzen ab. Damit entscheiden das Arbeitsentgelt und seine Höhe über das Bestehen von Versicherungsverhältnissen. Die Höhe des Arbeitsentgelts bestimmt in der Regel auch die Höhe der Beiträge. Danach richtet sich teilweise wiederum die Höhe späterer Leistungen, allerdings je nach Versicherungszweig und Art der Leistung in unterschiedlichem Umfang. Insgesamt dienen die Beiträge, die für die Beschäftigten zu entrichten sind, zur Finanzierung von Leistungen aus den einzelnen Versicherungszweigen.

Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Arbeitgeber ihre Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt haben und deswegen die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten sowie die Beitragshöhe nicht ohne weiteres festgestellt werden können. Es kam in Betracht, entweder zur Sicherung der sozialen Rechte der Beschäftigten möglichst weitgehend an dem Erfordernis einer personenbezogenen Regelung festzuhalten oder unter deren Vernachlässigung der Sicherung des Beitragsaufkommens der Versicherungsträger den Vorrang einzuräumen.

Das weit gehende Festhalten an personenbezogenen Feststellungen konnte verhindern, dass die Verletzung von Aufzeichnungspflichten durch Arbeitgeber zu einer Beeinträchtigung des sozialen Schutzes ihrer Beschäftigten führte.

Andererseits ermöglichte es diesen Arbeitgebern, sich ihren Beitragspflichten zu entziehen und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, wenn personenbezogene Feststellungen nicht möglich und eine pauschale Beitragsfestsetzung unzulässig war. Die Zulässigkeit einer solchen pauschalen Festsetzung schloss hingegen die genannten Vorteile bei Arbeitgebern aus, sicherte das Beitragsaufkommen der Versicherungsträger insgesamt und trug so zur Finanzierung ihrer Leistungen bei.

Das BSG hatte früher der personenbezogenen Feststellung einen weitgehenden Vorrang eingeräumt. Etwa mit Urteil vom 17.12.1985 (BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1399 Nr. 16) hatte das BSG in Fortführung früherer Rechtsprechung entschieden, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe auch dann grundsätzlich personenbezogen festzustellen seien, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht verletzt hatte und die Aufklärung des Sachverhalts dadurch zwar erschwert, aber nicht unmöglich gemacht worden war. Das BSG hatte den Versicherungsträgern lediglich gewisse Beweiserleichterungen im Sinne des Erlasses von Summenbescheiden eingeräumt.

Erstmals mit Wirkung vom 01.01.1989 ist durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in das SGB IV vom 20.12.1988, BGBl I 2330, mit § 28f Abs. 2 SGB IV eine gesetzliche Regelung zu den Summenbescheiden getroffen worden. Sie galt zunächst für den Erlass solcher Bescheide durch die Krankenkassen als Einzugsstellen, die damals noch die Arbeitgeber prüften. In den Anforderungen an die Zulässigkeit von Summenbescheiden blieb § 28f Abs. 2 jedoch in den genannten Sätzen 1 bis 6 unverändert, als die Vorschrift auf die Pflegeversicherung ausgedehnt wurde (Art. 3 Nr. 8 des PflegeVG vom 26.05.1994, BGBl I 1014) und als an Stelle der Krankenkassen (Einzugsstellen) die Träger der Rentenversicherung für die Prüfung der Arbeitgeber zuständig wurden (§ 28f SGB IV idF des Art. 1 Nr. 1 Buchst a und § 28p SGB IV idF des Art. 1 Nr. 4 des 3. SGBÄndG vom 30.06.1995, BGBl I 890).

Zur Begründung für die erstmalige Zulassung von Summenbescheiden in § 28f Abs. 2 SGB IV ursprünglicher Fassung bezieht sich der Gesetzentwurf zwar auf die bis dahin ergangene Rechtsprechung des BSG (BT-Drucks 11/2221 S. 23 zu § 28f). Die Vorschrift enthält aber ungeachtet ihrer Anknüpfung an die frühere Rechtsprechung des BSG eine eigenständige Regelung zur Zulässigkeit von Summenbescheiden. Sie stellt nach Maßgabe ihres Satzes 1 bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber die Zulässigkeit von Summenbescheiden in den Vordergrund (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R).

Soweit mit einer Vorschrift ein Behördenhandeln lediglich zulässig gemacht und damit ermöglicht werden soll, handelt es sich um ein „Kompetenz-Kann“. Eine Ermessensausübung ist nicht erforderlich und wurde auch bei keiner der in der Folge zu § 28f Abs. 2 SGB IV ergangenen Entscheidungen des BSG jemals gefordert. Eine Ermessensüberprüfung - wie sie hier das Sozialgericht vorgenommen hat - ist daher nicht möglich und hat zu unterbleiben. Vielmehr sind lediglich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Summenbescheides zu überprüfen, wie sie das Gesetz vorsieht.

c) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbescheides sind hier gegeben. Satz 2 des § 28f Abs. 2 SGB IV stand dem Erlass eines Summenbescheides nicht entgegen.

Im Hinblick auf die Zulässigkeit des Erlasses eines Summenbescheids ist zu prüfen, ob -wie es § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV fordert -, nicht etwa doch ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand personenbezogene Feststellungen hätten getroffen werden können. Anders als die Klägerseite meint, hätten hier - zumindest für den im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlichen Zeitraum - personenbezogene Feststellungen - wenn überhaupt - nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand getroffen werden können. Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw. im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet allerdings für sich genommen noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand.

Hier hat der Kläger seine Aufzeichnungspflichtverletzungen schon dadurch eingeräumt, dass er sich darauf beruft, die Werber hätten als Selbständige gearbeitet, seien daher bei ihrer Zeiteinteilung frei gewesen und folglich deren Zeiten von ihm nicht erfasst worden. Was die Höhe des Entgelts betrifft, hat der Kläger ebenfalls gegen seine Aufzeichnungspflichten verstoßen, weil die Provisionsansprüche der einzelnen Werber nicht klar und nachvollziehbar nach Ablauf der Stornierungsfrist abgerechnet wurden. Im Übrigen hat der Kläger auch nicht dargelegt, die Vorgaben der Beitragsüberwachungsverordnung auch nur ansatzweise eingehalten zu haben. Für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum waren Feststellungen, die über den des Strafbefehls des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Az.: …, hinausgegangen wären, nach den Ausführungen der Beklagten im Bescheid von 10.08.2011 schon zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Eine nach den einzelnen Beschäftigten und ihren jeweiligen individuellen Vorteilen vorgenommene Beitragsberechnung schied aus. Selbst im Falle einer personenbezogenen Beitragsbemessung wäre ein Summenbescheid zulässig gewesen wegen der größeren Zahl der Betroffenen, deren Ermittlung und der Beitragsbemessung nach den jeweiligen Verhältnissen (Jahresarbeitsentgelt, Beitragsbemessungsgrenze, Beitragssatz) mit einem Aufwand verbunden gewesen, den die Beklagte als unverhältnismäßig ansehen durfte. Demgegenüber war kein besonderes Interesse der einzelnen Betroffenen an einer individuellen Feststellung erkennbar, nachdem es sich um eine Vielzahl Betroffener und damit um jeweils verhältnismäßig geringe Beträge, die auf den Einzelnen entfielen, gehandelt hat.

Die Beklagte konnte nach alledem, insbesondere weil die Entgelte zeit- und personenbezogen nicht erfasst waren, das entsprechende Arbeitsentgelt ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand einem bestimmten Beschäftigten nicht zuordnen. Sie hat deshalb schon im Betriebsprüfungsbescheid vom 10.08.2011 zur Begründung angeführt, dass eine personenbezogene Nachberechnung der Beiträge nur mit einem unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand möglich sei. Hiergegen hat der Kläger im Widerspruchsverfahren nichts eingewandt. Im Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 hat die Beklagte daher auf die fehlende Stellungnahme des Klägers hingewiesen; die Beklagte konnte bei Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu Recht von der Zulässigkeit eines Summenbescheides ausgehen.

Die Beklagte konnte über den Erlass eines Summenbescheides und damit über die Frage, ob eine personenbezogene Beitragserhebung unverhältnismäßig verwaltungsaufwendig war, ohnehin nur bis zum Abschluss des Vorverfahrens entscheiden (BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R -, BSGE 89, 158-167, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3, SozR 3-2400 § 14 Nr. 22, Rz. 28) Bis dahin war der Summenbescheid von der Klägerin nicht beanstandet worden. Die Verhältnismäßigkeit des Summenbescheides kann zwar auch im gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Dies ist zur Wahrung der sozialen Rechte der Beschäftigten selbst dann erforderlich, wenn der Betroffenen den Erlass eines Summenbescheides nicht rügt. Für eine - spätere - Beanstandung durch ein Gericht ist jedoch erforderlich, dass abgestellt wird allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R Rz. 28).

Soweit hier der Kläger mit seinem Vorbringen zur angeblichen Möglichkeit der Benennung einzelner Personen für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum erstmals im Prozess und mehrere Jahre nach der Betriebsprüfung und dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens den Summenbescheid zu Fall bringen will, kann er deshalb damit keinen Erfolg haben (vgl BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R Rz. 28). Vielmehr müsste der Kläger, wenn er jetzt noch eine personenbezogene Beitragsbemessung anstrebt, dieses nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zum Summenbescheid in einem Widerrufsverfahren § 28f SGB IV und damit in einem besonderen Verwaltungsverfahren geltend machen, wobei er nicht nur die Möglichkeit einer personenbezogenen Beitragsfestsetzung aufzeigen, sondern zugleich alle für die individuelle Beitragsfeststellung erforderlichen Angaben mitzuteilen hätte, BSG, Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R Rz. 28.

Nachdem die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbescheides, insbesondere auch im Hinblick auf das Unterlassen weiterer Feststellungen durch die Beklagte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht, zwar voller gerichtlicher Überprüfung unterliegt, dabei jedoch auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr. 3 S. 8), verletzt die Aktenvernichtung durch das Finanzamt den Kläger - wie von diesem behauptet - auch nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. dazu etwa BVerfG Beschluss vom 06.04.1998, 1 BvR 2194/97, BFH Beschluss vom 05.02.2014, X B 138/13, BFH Beschluss vom 13.02.2014, X B 168-170/13).

Nach Abschluss des Vorverfahrens war es dem Kläger, nicht mehr möglich, den Summenbescheid dadurch zu Fall zu bringen, dass er nachträglich im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit personenbezogener Feststellungen nachgewiesen hätte. Ausschlaggebend war allein der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids. Zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte aufgrund ihrer bis dahin vom Kläger nicht in Frage gestellten Feststellungen von der Zulässigkeit eines Summenbescheides ausgehen.

Zum anderen sind die für das Betriebsprüfungsverfahren relevanten Verwaltungsakten der Beklagten noch vorhanden, insbesondere der strafrechtliche und steuerrechtliche Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes D-Stadt vom 29.07.2002. Hier kann zumindest anhand der Verwaltungsakten der Beklagten die Rechtmäßigkeit des Bescheides noch insofern beurteilt werden, als die Beklagte sich auf diese Unterlagen gestützt hat (zu abweichenden Fallgestaltungen vgl. BVerfG Beschluss vom 06.04.1998, 1 BvR 2194/97, BFH Beschluss vom 05.02.2014, X B 138/13, BFH Beschluss vom 13.02.2014, X B 168-170/13).

d) Der damit zulässigerweise erlassene Summenbescheid ist zum Teil rechtswidrig. Der Kläger war nicht Arbeitgeber der Werber, die den Vertrag mit Frau K abgeschlossen hatten, so dass die Berufung in Höhe des Betrages zurückzuweisen ist, der auf die für Frau K geführten Verträge entfällt, nämlich 16.124,71 Euro.

aa) Zwar ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die Werber abhängig beschäftigt waren. Dies ergibt die zutreffende Gesamtabwägung der Beklagten anhand aller relevanten Merkmale, die sich der Senat vollinhaltlich zu eigen macht. Die Werber waren keine selbständigen Handelsunternehmer auf „niedriger“ Stufe, wie der Kläger behauptet, sondern von ihm eingesetzte, in jeder Beziehung abhängige Personen, die sich nur innerhalb der vom Kläger eingeteilten Kolonnen nach dessen Vorgaben bewegen konnten.

bb) Allerdings hat die Beklagte die Arbeitgebereigenschaft des Klägers im Hinblick auf die von seiner jetzigen Ehefrau unter Vertrag genommenen und ihr zugeordneten Werber nicht überzeugend festgestellt mit der Folge, dass der Kläger für diese Werber keine Beiträge nachentrichten muss. Der Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 war insoweit rechtswidrig und ist damit insoweit im Ergebnis zutreffend vom Sozialgericht aufgehoben worden.

Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Arbeitgebereigenschaft des Klägers bezüglich der Werber, die bei dessen jetziger Ehefrau unter Vertrag waren und mit dieser abgerechnet wurden, auf das Strafurteil des Landgerichts C-Stadt Bezug nimmt, ist das unzureichend. Hier hätte es eigener Ermittlungen der Beklagten bedurft, um entsprechend dieser Feststellungen in den Strafverfahren eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers auch im Hinblick auf die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu belegen. Dies ist unterblieben. Ebenso ist die für später nachgewiesene Gebietsaufteilung auch von der Beklagten in der Anlage zur Berufungsbegründungschrift schon für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum erkennbar vorhanden.

cc) Was die Berechnung der Nachforderung von Beiträgen bezüglich des Klägers in Höhe von 267.039,22 Euro, anbetrifft, ist diese auf der Grundlage des zulässigen Summenbescheides zutreffend erfolgt und die Berufung der Beklagten insoweit erfolgreich.

Die Beklagte durfte die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes und der Steuerbehörden ihrer Beitragsberechnung zugrunde legen (vgl etwa LSG NRW Beschluss vom 11.08.2016, L 8 R 1096/14 B ER). Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, enthalten die §§ 20, 21 SGB X entsprechende Regelungen für die Beweiserhebung im Verwaltungsverfahren, wonach sich eine Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts der Beweismittel bedienen darf, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Dabei ist der Gesichtspunkt der Amtshilfe durch andere Behörden sowie Unterrichtungspflichten der Behörden der Zollverwaltung nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchwarzArbG zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 SchwarzArbG konnte insoweit die Prüfung der Zollverwaltung mit der Prüfung der Beklagten zusammengeführt werden.

Die Beklagte hat im Bescheid für den streitgegenständlichen Zeitraum die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung nach den Feststellungen des Senats zutreffend ausgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte die von der Steuerfahndung festgestellten Arbeitslöhne zuzüglich der von der Steuerfahndung ermittelten Steuern als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge berücksichtigt, vgl. BSG Urteil vom 22.09.1988 - 12 RK 36/86. Die Beklagte berechnet dann in den Anlagen zum Bescheid die Beiträge nach Jahren und Gebietsuntergliederungen, wie sie dem Kläger von V vorgegeben waren, mit der Folge, dass im Ergebnis eine Aufteilung der Betragsnachforderungen der jetzigen Ehefrau des Klägers und den Gebietsnummern des Klägers erfolgte. Die jeweiligen Teilbeträge wurden dann zwar nicht weiter getrennt nach Versicherungszweigen einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet (vgl. dazu BSG Urteil vom 16.12.2015 -B 12 R 11/14 R). Dies war jedoch nach Feststellungen der Beklagten bis zum Abschluss des Vorverfahrens - und damit im Prozess nicht mehr angreifbar - auch nicht möglich. Gleiches gilt für die erst im Prozess von Klägerseite behauptete, angebliche geringfügige Beschäftigung einzelner Werber.

Die Höhe der Nachforderung ist nach den Feststellungen des Senats zutreffend berechnet; insoweit wird Bezug genommen auf die Anlage zum Bescheid vom 02.10.2008 und die dort enthaltenen Berechnungen sowie die Anlage zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 01.07.2015.

Die Nachforderung ist auch nicht verjährt, § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV; der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Aus den Umständen, unter denen die Werber eingesetzt wurden, musste ihm klar sein, dass diese keine selbständig Tätigen waren.

dd) Die Säumniszuschläge wurden zu Recht nach § 24 SGB IV in der von Beklagten errechneten Höhe erhoben. Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Aus den Umständen, unter denen die Werber eingesetzt wurden, musste ihm klar sein, dass diese keine selbständig Tätigen waren.

Im Ergebnis hat die Berufung Erfolg iHv 267.039,22 Euro im Hinblick auf die Werber, die nicht für die Ehefrau des Klägers, sondern für den Kläger entsprechend den Gebietsnummern tätig waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und folgt den Erwägungen, dass im die Beklagte im Berufungsverfahren, in dem 283.163,93 Euro streitig waren, mit einem Teilbetrag von 267.039,22 Euro obsiegt hat, also etwa zu neun Zehntel. Bei einer Gesamtnachforderung von ursprünglich 1.528.044,61 Euro und einem Obsiegen des Klägers letztlich iHv 1.261.005,40 Euro führt dies zu einer Kostenquotelung in erster Instanz von etwa vier Fünftel zu Lasten der Beklagten.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 GKG in Höhe des Betrags der im Berufungsverfahren noch streitigen Nachforderung festzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 12 R 11/14 R -, BSGE 120, 209-230, SozR 4-2400 § 28p Nr. 6, Rz. 77). Anders als der Kläger meint, ist der Streitwert nicht in Höhe des erstinstanzlichen Streitwertes anzusetzen. Die Berufung wurde von der Beklagten zulässigerweise auf einen Teilbetrag in Höhe von 283.163,93 EUR beschränkt, der damit auch die wirtschaftliche Bedeutung des Berufungsverfahrens widerspiegelt. Darauf, inwieweit rechtliche Überlegungen den gesamten erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffen und ggf auch für das Berufungsverfahren relevant sind, kommt es nicht an. Ohnehin hat die Beklagte in ihrem Bescheid nach Zeiträumen getrennt und damit auch abtrennbare Streitgegenstände geschaffen.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Mai 2017 - L 7 R 434/15 zitiert 26 §§.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 197a


(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskosten

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 14 Arbeitsentgelt


(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus de

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28p Prüfung bei den Arbeitgebern


(1) Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüf

Strafgesetzbuch - StGB | § 266a Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt


(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldst

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 20 Untersuchungsgrundsatz


(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. (2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch

Handelsgesetzbuch - HGB | § 84


(1) Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätig

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28a Meldepflicht


(1) Der Arbeitgeber oder ein anderer Meldepflichtiger hat der Einzugsstelle für jeden in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten1.bei Beginn der versicherungspflichtigen Beschäfti

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28h Einzugsstellen


(1) Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Die Einzugsstelle überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Beitragsansprüche, die nicht recht

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 24 Säumniszuschlag


(1) Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgeru

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 25 Verjährung


(1) Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 21 Beweismittel


(1) Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere 1. Auskünfte jeder Art, auch elektronisch und als elektronisches Dokument, einholen,2. Be

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28f Aufzeichnungspflicht, Nachweise der Beitragsabrechnung und der Beitragszahlung


(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet

Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG 2004 | § 2 Prüfungsaufgaben


(1) Die Behörden der Zollverwaltung prüfen, ob1.die sich aus den Dienst- oder Werkleistungen ergebenden Pflichten nach § 28a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt werden oder wurden,2.auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen oder der Vortäusch

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 12 Beteiligte


(1) Beteiligte sind 1. Antragsteller und Antragsgegner,2. diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat,3. diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat,

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 89 Ausführung des Auftrags


(1) Verwaltungsakte, die der Beauftragte zur Ausführung des Auftrags erlässt, ergehen im Namen des Auftraggebers. (2) Durch den Auftrag wird der Auftraggeber nicht von seiner Verantwortung gegenüber dem Betroffenen entbunden. (3) Der Beauftragte ha

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 93 Gesetzlicher Auftrag


Handelt ein Leistungsträger auf Grund gesetzlichen Auftrags für einen anderen, gelten § 89 Abs. 3 und 5 sowie § 91 Abs. 1 und 3 entsprechend.

Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG 2004 | § 6 Unterrichtung von und Zusammenarbeit mit Behörden im Inland und in der Europäischen Union sowie im Europäischen Wirtschaftsraum


(1) Die Behörden der Zollverwaltung und die sie gemäß § 2 Absatz 4 unterstützenden Stellen sind verpflichtet, einander die für deren Prüfungen oder für die Zusammenarbeit nach Absatz 6 erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Dat

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Mai 2017 - L 7 R 434/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Tatbestand 1 I. Die vorliegende Beschwerde betrifft das Hauptsacheverfahren zu dem Sachverhalt, in dem der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Beschluss vom 21. Juni

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(1) Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.

(2) Wer, ohne selbständig im Sinne des Absatzes 1 zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter.

(3) Der Unternehmer kann auch ein Handelsvertreter sein.

(4) Die Vorschriften dieses Abschnittes finden auch Anwendung, wenn das Unternehmen des Handelsvertreters nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.

(2) Wer, ohne selbständig im Sinne des Absatzes 1 zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter.

(3) Der Unternehmer kann auch ein Handelsvertreter sein.

(4) Die Vorschriften dieses Abschnittes finden auch Anwendung, wenn das Unternehmen des Handelsvertreters nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

(1) Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Eine jeweils gesonderte Abrundung rückständiger Beiträge und Beitragsvorschüsse unterschiedlicher Fälligkeit ohne vorherige Addition ist zulässig. Bei einem rückständigen Betrag unter 150 Euro ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert anzufordern wäre. Für die Erhebung von Säumniszuschlägen in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt § 169 des Siebten Buches.

(1a) (weggefallen)

(2) Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

(3) Hat der Zahlungspflichtige ein Lastschriftmandat zum Einzug der Beiträge erteilt, so sind Säumniszuschläge zu erheben, wenn der Beitragseinzug aus Gründen, die vom Zahlungspflichtigen zu vertreten sind, nicht ausgeführt werden kann oder zurückgerufen wird. Zusätzlich zum Säumniszuschlag soll der Gläubiger vom Zahlungspflichtigen den Ersatz der von einem Geldinstitut erhobenen Entgelte für Rücklastschriften verlangen; dieser Kostenersatz ist wie die Gebühren, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Beitragsansprüchen erhoben werden, zu behandeln.

(1) Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind.

(2) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung ist für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt; diese Hemmung der Verjährung bei einer Prüfung gilt auch gegenüber den auf Grund eines Werkvertrages für den Arbeitgeber tätigen Nachunternehmern und deren weiteren Nachunternehmern. Satz 2 gilt nicht, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die prüfende Stelle zu vertreten hat. Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung. Kommt es aus Gründen, die die prüfende Stelle nicht zu vertreten hat, zu einem späteren Beginn der Prüfung, beginnt die Hemmung mit dem in der Prüfungsankündigung ursprünglich bestimmten Tag. Die Sätze 2 bis 5 gelten für Prüfungen der Beitragszahlung bei sonstigen Versicherten, in Fällen der Nachversicherung und bei versicherungspflichtigen Selbständigen entsprechend. Die Sätze 1 bis 5 gelten auch für Prüfungen nach § 28q Absatz 1 und 1a sowie nach § 251 Absatz 5 und § 252 Absatz 5 des Fünften Buches.

(1) Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Eine jeweils gesonderte Abrundung rückständiger Beiträge und Beitragsvorschüsse unterschiedlicher Fälligkeit ohne vorherige Addition ist zulässig. Bei einem rückständigen Betrag unter 150 Euro ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert anzufordern wäre. Für die Erhebung von Säumniszuschlägen in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt § 169 des Siebten Buches.

(1a) (weggefallen)

(2) Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

(3) Hat der Zahlungspflichtige ein Lastschriftmandat zum Einzug der Beiträge erteilt, so sind Säumniszuschläge zu erheben, wenn der Beitragseinzug aus Gründen, die vom Zahlungspflichtigen zu vertreten sind, nicht ausgeführt werden kann oder zurückgerufen wird. Zusätzlich zum Säumniszuschlag soll der Gläubiger vom Zahlungspflichtigen den Ersatz der von einem Geldinstitut erhobenen Entgelte für Rücklastschriften verlangen; dieser Kostenersatz ist wie die Gebühren, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Beitragsansprüchen erhoben werden, zu behandeln.

(1) Beteiligte sind

1.
Antragsteller und Antragsgegner,
2.
diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat,
3.
diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat,
4.
diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind.

(2) Die Behörde kann von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.

(3) Wer anzuhören ist, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.

(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 75 364,13 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP).

2

Die Klägerin - eine GmbH - betreibt behördlich erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Auf die Arbeitsverträge der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wurden (jedenfalls seit Dezember 2005) die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der CGZP angewandt. Die hierin vorgesehene Vergütung war Bemessungsgrundlage der von der Klägerin für ihre Arbeitnehmer zur Sozialversicherung und an die Bundesagentur für Arbeit (BA) abgeführten Beiträge. Nach einer (ersten) Betriebsprüfung am 16. und 17.3.2009 hatte die Beklagte für den Prüfungszeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 von der Klägerin Beiträge in Höhe von 1889,19 Euro nachgefordert; zugleich waren überzahlte Beiträge in Höhe von 349,50 Euro erstattet worden (Bescheid vom 17.3.2009).

3

Das BAG bestätigte mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Verfassungsbeschwerde verworfen durch Beschluss des BVerfG vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496) die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP (Beschluss des ArbG Berlin vom 1.4.2009 - 35 BV 17008/08 - NZA 2009, 740 = ArbuR 2009, 276; auf mehrere Beschwerden hin bestätigt durch Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg vom 7.12.2009 - 23 TaBV 1016/09 - ArbuR 2010, 172 = BB 2010, 1927). Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2010 auf den Beschluss des BAG hin und führte ua aus, trotz noch fehlender schriftlicher Entscheidungsbegründung sehe sie sich, um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, ... verpflichtet "hiermit fristwahrend Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen".

4

Vom 5. bis 7.3.2012 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung (Prüfungszeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2011) durch. Daraufhin forderte sie die Entrichtung weiterer Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vor dem 31.12.2009 in Höhe von 75 364,13 Euro, da der bei der Klägerin angewandte Tarifvertrag unwirksam gewesen sei, woraus für den Prüfungszeitraum höhere Lohnansprüche der beschäftigten Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) resultierten(Bescheid vom 8.3.2012). Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.6.2012 zurück.

5

Die von der Klägerin hiergegen erhobene - vornehmlich auf Vertrauensschutzerwägungen gestützte - Klage hat das SG abgewiesen: Der Nachforderungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in den Regelungen des SGB IV über Betriebsprüfungen. Für die Höhe des Beitragsanspruchs komme es allein auf den bei den betroffenen Leiharbeitnehmern entstandenen (die tatsächlich gezahlten Entgelte übersteigenden) Entgeltanspruch an. Dieser Entgeltanspruch richte sich hier nach den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers geltenden Bedingungen. Da nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 feststehe, dass die CGZP nicht tariffähig gewesen sei, kämen abweichende Vergütungsregelungen in mit der CGZP geschlossenen Tarifverträgen (die an sich geeignet seien, geringere Entgeltansprüche zu bewirken), nicht zur Anwendung. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Tariffähigkeit der CGZP niemals arbeitsgerichtlich festgestellt worden sei. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin lasse sich nicht auf Regelungen gründen, die allein eine Abweichung von dem Gleichstellungsgebot des § 10 Abs 4 AÜG bezweckten. Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 zumindest eine Nacherhebung für möglich gehalten, weshalb dafür die 30-jährige Verjährungsfrist gelte. Entgegen der Rechtsprechung des Bayerischen LSG habe es einer Aufhebung des nach der vorhergehenden Betriebsprüfung ergangenen Nachforderungsbescheides vom 17.3.2009 nicht bedurft. Die Beklagte sei zur Schätzung der Arbeitsentgelte berechtigt gewesen, da die Klägerin Dokumentationspflichten nicht erfüllt habe. Sachgerecht habe die Beklagte die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgewertet und auf dieser Grundlage die Entgelte der Arbeitnehmer geschätzt, deren konkrete Vergütungsansprüche im Entleiherbetrieb in den Unterlagen nicht ausgewiesen gewesen seien (Urteil vom 25.6.2014).

6

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gemäß Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, zugleich eine Verletzung des nach der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gebotenen Vertrauensschutzes, ferner des Verbots der Rückwirkung nach Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, des § 25 SGB IV, der §§ 3, 9 AÜG sowie von § 28f Abs 1, Abs 2 S 1 und Abs 3 SGB IV: Das SG habe verkannt, dass die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge im Tarifregister eingetragen gewesen seien, und dass sogar die Bundesagentur für Arbeit als nach dem AÜG zuständige Behörde die Anwendung dieser Tarifverträge empfohlen habe. Zugleich hätten Entscheidungen des BAG und des BVerfG sowie Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen in Gesetzgebungsverfahren das Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Tarifverträge gestärkt. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe dagegen eine überraschende rückwirkende verschärfende Rechtsänderung bewirkt, die europarechtlichen Vorgaben sowie innerstaatlich anerkannten Rückwirkungsgrundsätzen widerspreche. Dem einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot verneinenden Beschluss des BVerfG vom 25.4.2015 (Kammerbeschluss - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757) könne nicht gefolgt werden, da er von falschen Annahmen ausgehe. Das SG habe § 25 SGB IV verletzt, weil sie (die Klägerin) weder aufgrund des ausdrücklich gegenwartsbezogenen Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 noch wegen des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 eine Nachzahlung von Beiträgen für zurückliegende Zeiträume habe für möglich halten müssen. Die Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 seien daher - entsprechend einer erhobenen Einrede - verjährt. Ohnedies sei die Beitragsforderung zu hoch bemessen, da die Beklagte zur Ermittlung des Vergleichslohns allein auf eine bestimmte berufliche Qualifikation der Leiharbeitnehmer abstelle, ohne deren individuelle Handicaps zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe die Beklagte ferner gewährte und verbeitragte Zulagen (zB für Verpflegungsaufwand und Fahrtkosten) nicht entgeltdifferenzmindernd berücksichtigt. Die Beklagte sei schließlich zur Entgeltschätzung nicht berechtigt gewesen, weil ihr (der Klägerin) eine Verletzung von Aufzeichnungspflichten nicht angelastet werden könne und es auch an der Kausalität der - vermeintlichen - Verletzung von Aufzeichnungspflichten für die unterbliebene Feststellung der konkreten Beitragshöhe fehle. Die Beklagte sei vielmehr verpflichtet gewesen, den jeweils zutreffenden Vergleichslohn durch Anfragen bei den Entleihern zu ermitteln, habe dies aber rechtswidrig unterlassen.

7

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufzuheben,

 hilfsweise,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bzw das Sozialgericht Hannover zurückzuverweisen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könne sich die Klägerin angesichts der allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesenen Kompetenz zur Feststellung fehlender Tariffähigkeit für einen Vertrauensschutz nicht auf Handlungen anderer Stellen - zB der Exekutive - berufen. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe zu keiner einen vergangenheitsbezogenen Vertrauensschutz begründenden Rechtsprechungsänderung geführt, wie das BAG selbst und das BVerfG zwischenzeitlich bestätigt hätten. Zuvor ergangene Rechtsprechung habe nämlich durchweg nicht die Tariffähigkeit der CGZP betroffen. Die für Beitragsnachforderungen bei vorsätzlicher Vorenthaltung geltende 30-jährige Verjährungsfrist sei jedenfalls ab Zugang des Schreibens vom 23.12.2010 wegen der schon darin enthaltenen Geltendmachung von Ansprüchen anwendbar. Der von der Klägerin zur Entgeltermittlung für jeden Leiharbeitnehmer geforderte, individuelle Umstände berücksichtigende Gesamtvergleich sei ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand nicht möglich gewesen, weshalb die vorgenommene Schätzung der Beitragshöhe rechtlich nicht zu beanstanden sei.

10

Die vom SG zum Rechtsstreit beigeladenen 25 Kranken- und Pflegekassen haben weder Anträge gestellt noch Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 SGG) der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen begründet.

12

Das Urteil des SG vom 25.6.2014 weist revisionsrechtlich bedeutsame Fehler auf, sodass es aufgehoben werden muss. Der Senat selbst kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang das SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2012 zu Recht vollständig abgewiesen hat sowie ob und ggf in welchem Umfang diese Bescheide rechtmäßig sind. Das führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG nach § 170 Abs 4 S 1 SGG. Die Zurückverweisung an das LSG (und nicht an das SG als Ausgangsgericht) dient der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und entspricht den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Vorstellungen von Klägerin und Beklagter.

13

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem Bescheid vom 8.3.2012 um einen sog Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV handele, weshalb neben der erfolgten notwendigen Beiladungen von Versicherungsträgern noch weitere notwendige Beiladungen hätten vorgenommen werden müssen; dies hat das SG verfahrensfehlerhaft versäumt (hierzu 1.). Demgegenüber hat das SG zutreffend entschieden, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht (hierzu 2.). Auf die in den Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen beruft sich die Beklagte auch nicht etwa schon deshalb zu Unrecht, weil die Feststellung des BAG zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP (zunächst) durch Beschluss vom 14.12.2010 nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte bzw der Umsetzung der hierdurch festgestellten Rechtslage durch die Beklagte ein über die allgemeinen Verjährungsregeln hinausgehender Vertrauensschutz entgegenstünde (hierzu 3.). Gleichwohl ist die Revision im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erfolgreich: Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend selbst darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen und ob sie bei Durchführung der Entgeltschätzung die hieran zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu 4.). Desgleichen vermag der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend darüber zu befinden, ob die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung bezüglich der Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 bereits verjährt war (hierzu 5.).

14

Vorwegzuschicken ist bei alledem, dass der Senat an die vom SG getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden ist (§ 163 SGG); im Rahmen der vorliegenden Sprungrevision sind die mit der Revisionsbegründung zum Teil sinngemäß geltend gemachten Tatsachenrügen ebenso unzulässig (§ 161 Abs 4 SGG) wie in der Begründung des Rechtsmittels teilweise enthaltener neuer Tatsachenvortrag (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 5).

15

1. Das SG hat - ausgehend von unzutreffenden materiell-rechtlichen Erwägungen - notwendige Beiladungen unterlassen. Insoweit handelt es sich um einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel (vgl zB BSG SozR 1500 § 75 Nr 10 S 11 und Nr 21 S 17; BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 22/90 - Die Beiträge 1991, 98, 99 mwN).

16

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und den Gegenstand des Rechtsstreits auch in der Revision bildenden Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV(Regelung idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) handelt. Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten; es ist nicht an die Auslegung eines Bescheides durch das SG gebunden (stRspr - vgl zB BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 - unter Hinweis auf BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 und BFHE 214, 18, 23 mwN; BSG Urteil vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - USK 2012-1, Juris RdNr 21).

17

Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 8.3.2012 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs 1 S 1 und S 5 SGB IV(ebenfalls idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, aaO). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht(S 5).

18

Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (hierzu und zum Folgenden vgl zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 ff mwN). Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs 2 S 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs 2 S 3 und S 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV vor.

19

Dies ist hier der Fall: Die Beklagte hat im Bescheid vom 8.3.2012 nicht nur die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung ausgewiesen, sondern in den Anlagen zum Bescheid die jeweiligen Teilbeträge getrennt nach Versicherungszweigen den einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet. Auf diese Anlagen hat die Beklagte auf Seite 3 des Bescheides unter der Überschrift "Berechnungsanlagen" ausdrücklich hingewiesen und zugleich die Zahlung der nachgeforderten Beiträge an die für den jeweiligen Beschäftigten zuständige Einzugsstelle verlangt.

20

Wegen der erfolgten personenbezogenen Beitragsfestsetzung war - anders als bei Summenbescheiden - die notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der betroffenen Beschäftigten geboten (vgl zB BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4; BSGE 64, 289, 293 = SozR 1300 § 44 Nr 36 S 102; BSG Beschluss vom 15.6.1993 - 12 BK 74/91 - Juris; zuvor bereits aus der Rspr des BSG: SozR 1500 § 75 Nr 15 S 13 mwN und Nr 72 S 87; Urteil vom 16.12.1976 - 12/3/12 RK 23/74 - Breith 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27.1.1977 - 12/3 RK 90/75 - USK 7733 und - 12 RK 8/76 - USK 7727; Urteile vom 23.2.1977 - 12/3 RK 30/75 - USK 7739 und - 12 RK 14/76 - USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28.4.1977 - 12 RK 30/76 - USK 7743 = SozSich 1977, 338; vgl auch zur Beteiligung betroffener Arbeitnehmer durch die Einzugsstelle bei Einleitung eines Verwaltungsverfahrens über das Bestehen von Versicherungspflicht BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1). Das hat das SG verfahrensfehlerhaft unterlassen.

21

Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats die von den Beitragsnachforderungen begünstigten, jeweils zuständigen (Fremd-)Sozialversicherungsträger und die BA zum Rechtsstreit notwendig beizuladen (vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10 mwN; BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 75 RdNr 10f mwN). Dem ist das SG nur teilweise nachgekommen, nämlich allein in Bezug auf Krankenkassen und offenbar nur mit Blick auf ihre Funktion als Einzugsstellen.

22

Die vorbeschriebenen Beiladungen, die im Revisionsverfahren (vgl § 168 S 2 SGG) wegen notwendiger Zurückverweisung auch aus weiteren Gründen (BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14; BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 17) sowie abgeschnittener Äußerungsmöglichkeiten der Betroffenen in der Tatsacheninstanz nicht sachdienlich war, wird nun das LSG vor der erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Dabei könnte es vorliegend (vor allem in Bezug auf die Beschäftigten) vom Verfahren nach § 75 Abs 2a SGG Gebrauch machen, da ausweislich der Anlagen zum angefochtenen Prüfbescheid mehr als 20 Personen beizuladen sind.

23

2. Zutreffend hat das SG angenommen, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die im März 2009 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht, auch soweit diese denselben Zeitraum betreffen. Zu solchen Fallgestaltungen hat der Senat bereits entschieden, dass der entgegenstehenden Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 18.1.2011 - L 5 R 752/08 - Juris = ASR 2011, 250) nicht gefolgt werden kann. Dabei hat er auch die Argumente gegen die einen "Bestandsschutz" aufgrund vorangegangener Betriebsprüfungen ablehnende ständige Rechtsprechung des erkennenden 12. Senats des BSG berücksichtigt, welche die Klägerin unter Hinweis auf Äußerungen in der Literatur (vgl zB Rittweger, DB 2011, 2147 ff; Brand, NZS 2013, 641, 644) noch mit der Klage vorgetragen, jedoch mit der Revision nicht wiederholt hat (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 23 ff; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch vorliegend fest.

24

3. Die mit den angefochtenen Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen sind auch - anders als die Klägerin meint - nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil die durch Beschluss des BAG vom 14.12.2010 rechtskräftig gewordene Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte. Die Beitragsschuld der Klägerin richtet sich nach dem entstandenen Entgeltanspruch (hierzu a). Dieser entsprach während des Zeitraums der vorliegend bestrittenen Nachberechnungen dem im Betrieb eines Entleihers während der Zeit der Überlassung für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers üblichen Arbeitsentgelt (hierzu b). Auf ein etwaiges Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP kann sich die Klägerin demgegenüber nicht berufen (hierzu c).

25

a) In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung liegt bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt zugrunde(§ 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI, § 162 Nr 1 SGB VI, § 342 SGB III, jeweils in den für die streitige Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2011 geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden(§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). Für die Bestimmung des Arbeitsentgelts gilt im Rahmen der Beitragsbemessung grundsätzlich das Entstehungsprinzip. Das für die Sozialversicherung zentrale Entstehungsprinzip hat zum Inhalt, dass Versicherungspflicht und Beitragshöhe bei dem Beschäftigten nach dem arbeitsrechtlich geschuldeten (etwa dem Betroffenen tariflich zustehenden) Arbeitsentgelt zu beurteilen sind - was sich etwa bei untertariflicher Bezahlung auswirkt - und nicht lediglich nach dem einkommensteuerrechtlich entscheidenden, dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossenen Entgelt (stRspr; vgl zuletzt BSGE 115, 265 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1, RdNr 30 mit zahlreichen Nachweisen). Zugleich ist es für die Beitragsbemessung unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch zB wegen tarifvertraglicher Verfallklauseln oder wegen Verjährung vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung nur entscheidend, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als ihm unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen zusteht, dh dann, wenn ihm also über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62 f). Für einen solchen Sachverhalt, der zur Anwendung des Zuflussprinzips führen würde, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.

26

b) Arbeitsrechtlich geschuldet im Sinne des Entstehungsprinzips und damit der Beitragsbemessung im Prüfzeitraum zugrunde zu legen ist das von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt (§ 10 Abs 4 AÜG idF durch Gesetz vom 23.12.2002, BGBl I 4607, bzw ab 30.4.2011 idF durch Gesetz vom 28.4.2011, BGBl I 642). Ein nach § 9 Nr 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigender Tarifvertrag besteht - soweit es den oder die von der Klägerin nach den Feststellungen des SG auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Leiharbeitnehmer angewandten Tarifvertrag bzw Tarifverträge zwischen der AMP und CGZP betrifft - nicht. Dem steht das mit Bindungswirkung auch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit festgestellte Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss dieser Tarifverträge entgegen, was die Unwirksamkeit der Tarifverträge von Anfang an (vgl BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 21 ff) zur Folge hat.

27

Unwirksam sind daher zumindest alle von der CGZP bis zum 14.12.2010 geschlossenen Tarifverträge, denn nach der Rechtsprechung der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit steht rechtskräftig fest, dass die CGZP vom Zeitpunkt ihrer Gründung am 11.12.2002 bis jedenfalls zum 14.12.2010 nicht tariffähig war (für die Zeit vor dem 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; für die Zeit ab 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496; BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; insgesamt vgl auch BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11, aaO, Juris RdNr 20).

28

An diese Feststellungen zur mangelnden Tariffähigkeit der CGZP ist der Senat - wie alle Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - gebunden. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs 2 iVm § 83 Abs 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) angehört worden sind, sondern die Entscheidung entfaltet Wirkung gegenüber jedermann. Insbesondere sind alle Gerichte an einen in einem Verfahren nach § 97 ArbGG ergangenen Ausspruch über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet(so bereits BAG Beschluss vom 23.5.2012, aaO, mwN; vgl nunmehr auch § 97 Abs 3 S 1 ArbGG, mit Wirkung ab 16.8.2014 eingefügt durch Art 2 Nr 4 Buchst d des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.2014, BGBl I 1348).

29

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Rechtskraftwirkung der das Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Entscheidungen des BAG durch die zum 30.4.2011 erfolgte Einfügung von § 3a AÜG durch Art 1 Nr 6 des Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011 (BGBl I 642) wieder entfallen ist (dafür etwa: Lützeler/Bissels, DB 2011, 1636; Lembke, NZA 2011, 1062). Zwar betreffen die streitbefangenen Bescheide der Beklagten einen Prüfzeitraum bis 31.12.2011. Zugleich hat es das SG versäumt im Einzelnen festzustellen, wann die bei der Klägerin im Prüfzeitraum zur Anwendung kommenden Tarifverträge der CGZP geschlossen wurden bzw für welche Zeiträume sie angewandt wurden. Jedoch lässt sich den angefochtenen Bescheiden und den darin in Bezug genommenen Anlagen entnehmen, dass Beitragsnachberechnungen nur für Zeiträume bis 31.12.2009 vorgenommen worden sind. Damit kann es auf die genannte Frage nicht ankommen, denn § 9 Nr 2, § 10 Abs 4 S 2 AÜG setzen einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraus(vgl nur BAG Urteil vom 13.3.2013, aaO, Juris RdNr 20 mwN), was auch auf Grundlage der genannten Rechtsauffassung, die ein Entfallen der Rechtskraft der die fehlende Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Beschlüsse des BAG zum 30.4.2011 vertritt, jedenfalls bis dahin nicht der Fall war.

30

c) Ein etwaiges Vertrauen der Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Personen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BAG (hierzu aa) und des BVerfG (hierzu bb) an. Die von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen (hierzu cc). Schließlich kann die Klägerin Vertrauensschutz gegenüber den streitigen Beitragsnachforderungen auch nicht aus der älteren Rechtsprechung des BSG herleiten (hierzu dd). Vermeintliche europarechtliche Bezüge rechtfertigen - jedenfalls gegenwärtig - keine Vorlage durch den Senat an den EuGH (hierzu ee).

31

aa) Das BAG hat einen Schutz des Vertrauens der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP verneint und hierzu Folgendes ausgeführt (BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 - BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 24 f; BAG Urteil vom 28.5.2014 - 5 AZR 422/12 - AP Nr 37 zu § 10 AÜG = NZA 2014, 1264, Juris RdNr 18 ff): Der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, zwar gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfGE 122, 248, 277 f; vgl dazu auch BAG Urteil vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - Juris RdNr 27 mwN; zur diesbezüglichen Rspr des BSG vgl zB BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr 13; BSGE 95, 141 RdNr 41 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 49). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren aber nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das BAG noch Instanzgerichte hatten in dem dafür nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren zuvor jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision - im Fall des BAG aber auch im vorliegend vom BSG zu entscheidenden Verfahren - herangezogenen Entscheidung (BAG Urteil vom 24.3.2004 - 5 AZR 303/03 - BAGE 110, 79, 87 f) hatte der - beim BAG zuständige - Senat bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das BAG werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch, SR 2012, 159, 161 mwN). Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der BA oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist - so das BAG weiter - nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (Hinweis auf Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl 2010, § 9 RdNr 107 ff mwN; Ulber, NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch, RdA 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbarte, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ging er ein Risiko ein, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisierte.

32

bb) Das BVerfG hat eine gegen die Erstreckung der Feststellung, dass die CGZP nicht tariffähig ist und damit keine wirksamen Tarifverträge abschließen kann, auf Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 gerichtete und im Hinblick auf einen vermeintlichen Vertrauensschutz - im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie die vorliegende Revision - begründete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie offensichtlich unbegründet war (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; die Beschwerde richtete sich gegen BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; BAG Beschluss vom 22.5.2012 - 1 ABN 27/12).

33

Hierzu hat das BVerfG (aaO) ua ausgeführt, dass die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Änderung der Rechtsprechung den im Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG verankerten Vertrauensschutz verletzen kann, in Bezug auf die Rechtsprechung zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht vorlagen. Es fehlte an einem ausreichenden Anknüpfungspunkt für das von den (dortigen) Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Vertrauen. Diese konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das BAG habe in dem Beschluss vom 14.12.2010 nämlich erstmals ausgeführt, dass Gewerkschaften einer Spitzenorganisation iS des § 2 Abs 2 und 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssen. Das entsprach nicht demjenigen, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten. Die bloße Erwartung aber, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet jedoch kein verfassungsrechtlich in Art 20 Abs 3 GG geschütztes Vertrauen. Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte, denn an deren Tariffähigkeit bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel (Hinweis auf Böhm, NZA 2003, 828, 829; Reipen, NZS 2005, 407, 408 f; Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl 2007, § 9 AÜG RdNr 115). Mit den angegriffenen Entscheidungen der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit realisierte sich das "erkennbare Risiko", dass später in einem Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte. Allein der Umstand, dass die genaue Begründung des BAG nicht ohne Weiteres vorhersehbar war, begründete - so das BVerfG weiter - keinen verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Vertrauensschutz. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerinnen in die Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge lässt sich nicht mit dem Verhalten der Sozialversicherungsträger und der BA sowie der Heranziehung dieser Tarifverträge durch das BAG bei der Ermittlung der branchenüblichen Vergütung begründen. Die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung obliegt nämlich allein den Gerichten für Arbeitssachen in dem in § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG geregelten Beschlussverfahren. Das Handeln anderer Stellen sowie die Bezugnahme auf diese Tarifverträge in einem gänzlich anders gelagerten Rechtsstreit waren auch vor dem Hintergrund der bereits damals umstrittenen Tariffähigkeit der CGZP nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 ff).

34

cc) Dieser Rechtsprechung des BAG und BVerfG schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an. Die zuletzt von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.

35

So möchte die Klägerin unterscheiden zwischen (einerseits) rechtsstaatlichem Vertrauensschutz, der durch eine rückwirkende arbeitsgerichtliche Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nach Auffassung der Klägerin verletzt sein könnte - nach den zitierten Entscheidungen des BAG und BVerfG jedoch nicht verletzt ist - und (andererseits) einem weiterreichenden, vom Beschluss des BVerfG vermeintlich nicht betroffenen Vertrauensschutz, den der Einzelne in das staatliche Handeln von Exekutive und Legislative sowie der Rechtsprechung setzen könne. Aber auch unter diesem Blickwinkel fehlt es bereits an einem Tatbestand, an den das geltend gemachte Vertrauen in schützenswerter Weise anknüpfen könnte. Dem steht, wenn es wie hier um Vertrauen in die Tariffähigkeit einer Vereinigung und die hieran geknüpften Rechtsfolgen geht, die bereits von BAG und BVerfG in den vorstehend zitierten Entscheidungen hervorgehobene ausschließliche Zuweisung der Entscheidung hierüber an die Gerichte für Arbeitssachen entgegen, die darüber in dem besonderen Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG zu befinden haben.

36

Andere - insbesondere nach Art 20 Abs 3 GG an das Gesetz gebundene staatliche - Stellen, denen gerade keine eigene Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung oder die Wirksamkeit eines Tarifvertrags zugewiesen ist, haben - jedenfalls soweit es hierauf rechtlich ankommt - bis zur Rechtskraft eines Beschlusses im genannten Verfahren von der Tariffähigkeit einer Vereinigung und der Wirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge auszugehen. Ein Vertrauen darauf, dass diese Stellen im Anschluss an einen auch sie bindenden, die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung feststellenden Beschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht die hiermit rechtlich zwingend verbundenen Folgen umsetzen, wäre daher von vornherein nicht gerechtfertigt und ist nicht schutzwürdig.

37

Zu einem anderen Ergebnis führt weder die Behauptung der Klägerin, die Annahme des BVerfG, die Beschwerdeführerinnen in dem zum Beschluss vom 25.4.2015 führenden Verfahren hätten Kenntnis von der Diskussion um Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gehabt, sei unzutreffend, noch die Behauptung, auch die Annahme des BVerfG, durch die Anwendung der Tarifverträge der CGZP seien die Unternehmen in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze gekommen, entspreche nicht den wahren Verhältnissen. Insoweit verkennt die Klägerin, dass beide Gesichtspunkte die Begründung des BVerfG für seine Ablehnung des geltend gemachten, aus Art 20 Abs 3 GG hergeleiteten Vertrauensschutzes in der Ausprägung eines Rückwirkungsverbots nur ergänzen. In erster Linie fehlt es bereits am notwendigen Anknüpfungspunkt für ein nach Art 20 Abs 3 GG zu schützendes Vertrauen, nämlich einer die Tariffähigkeit der CGZP bestätigenden ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 f; zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, insbesondere dem Erfordernis einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung vgl allgemein BVerfGE 131, 20, 42 mwN zur Rspr des BVerfG).

38

dd) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihr in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG berufen.

39

Zwar hat das BSG entschieden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten anzuwenden ist, wenn dieser aufgrund der "neuen" Rechtsprechung nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebend gewesenen Rechtsprechung beitragsfrei waren (zu diesem Grundsatz: BSGE 51, 31, 36 ff und Leitsatz = SozR 2200 § 1399 Nr 13; wie die Klägerin: Giesen, SGb 2015, 544, 545 f mwN; Rieble, BB 2012, 2945, 2948 mwN). Für das Eingreifen dieses Grundsatzes fehlt es (wiederum) bereits an einer "bisherigen Rechtsprechung", auf die sich ein nach Art 20 Abs 3 GG oder - wie vom BSG damals angenommen - einfachrechtlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu schützendes Vertrauen der Klägerin gründen könnte.

40

Soweit es die Rechtsprechung des BSG betrifft, gibt es keine Entscheidungen, wonach die Nachforderung von Beiträgen für die Vergangenheit generell oder speziell von Beiträgen aus dem Differenzentgelt im Falle nachträglich festgestellter Unwirksamkeit von Tarifverträgen und dadurch bedingter höherer Entgeltansprüche der Arbeitnehmer unzulässig wäre.

41

In Bezug auf die Rechtsprechung des BAG ist der Klägerin (wiederum) entgegenzuhalten, dass dieses Gericht niemals zuvor im Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG positiv die Tariffähigkeit der CGZP und die Wirksamkeit der von dieser geschlossenen Tarifverträge während des Nacherhebungszeitraums festgestellt hatte. Vielmehr ist eine bis dahin ungeklärte Rechtsfrage erstmals durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 geklärt worden, wenn auch das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Klägerin entsprach. Dies gilt auch, soweit sich die Klägerin auf eine vermeintlich überraschende Verschärfung der Anforderungen an die Tariffähigkeit eines Spitzenverbandes durch die Rechtsprechung des BAG beruft (vgl zB auch Rieble, BB 2012, 2945; Giesen, SGb 2015, 544 f mwN). Auch insoweit fehlt es an einer vorangegangenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dann durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 aufgegeben worden wäre und durch die zuvor allein zu schützendes Vertrauen begründet worden sein könnte; weder war die Frage der Ableitung der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation von der Tariffähigkeit ihrer Mitgliedsverbände bis zu diesem Zeitpunkt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen (vgl LArbG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 9.1.2012 - 24 TaBV 1285/11 ua - BB 2012, 1733 = DB 2012, 693) noch gab es eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, derzufolge die vom BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 als entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte bis dahin für die Frage der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation ausdrücklich ohne Bedeutung gewesen wären. Deshalb - sowie mit Blick auf die allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesene Kompetenz zur Feststellung des Fehlens der Tariffähigkeit einer Vereinigung - liegt auch keine rückwirkende Korrektur einer bereits zuvor fragwürdigen Verwaltungspraxis vor, wie sie dem Urteil des BSG vom 27.9.1983 (BSGE 55, 297 = SozR 5375 § 2 Nr 1) zugrunde lag, auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft.

42

ee) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es vorliegend auch keiner Vorlage an den EuGH zur Klärung der Frage, ob die Beitragsnacherhebung wegen "equal pay"-Ansprüchen bei Unanwendbarkeit von der CGZP geschlossener Tarifverträge auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (aaO) vermittelt über die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gegen das Transparenzgebot bei der Richtlinienumsetzung und die Unternehmerfreiheit nach Art 16 Grundrechtecharta verstößt (vgl Rieble, BB 2012, 2945, 2949 ff).

43

Ein nationales letztinstanzliches Gericht - wie vorliegend das BSG - ist zur Vorlage an den EuGH (nur) verpflichtet, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (acte éclairé) und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair). Die Vorlagepflicht steht ua unter dem Vorbehalt, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.5.2012 - 1 BvR 3201/11 - NZA 2013, 164 mwN; EuGH Urteil vom 6.10.1982 - 283/81 - EuGHE 1982, 3415 RdNr 21 - CILFIT).

44

An der Entscheidungserheblichkeit einer - in der Revisionsbegründung allenfalls grob angedeuteten - europarechtlichen Frage fehlt es vorliegend bereits deshalb, weil der Senat unabhängig von deren Beantwortung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen des SG an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Auf diese - noch zu präzisierende - Frage könnte es erst dann ankommen, wenn das LSG (an welches die Sache vorliegend zurückverwiesen wird) nach Feststellung und auf Grundlage aller für eine abschließende Entscheidung nach dem nationalen Recht notwendigen Tatsachen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die angegriffenen Bescheide der Beklagten jedenfalls teilweise rechtmäßig sind. Zudem erscheint es zur Wahrung rechtlichen Gehörs aller Beteiligten geboten, zunächst die notwendigen Beiladungen der betroffenen Arbeitnehmer und der weiteren Versicherungsträger vorzunehmen, um diesen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gelegenheit zur Stellungnahme zu allen sich im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit stellenden entscheidungserheblichen Fragen zu geben.

45

4. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, in welcher Höhe die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden geltend gemachte Beitragsnachforderung rechtmäßig ist. Das SG hat bereits nicht festgestellt, in welcher Höhe die Beitragsforderung auf konkret nachgewiesenen Entgeltansprüchen und in welcher Höhe sie auf Schätzungen beruhte (hierzu a). Insbesondere kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen (hierzu b), und ob sie hierbei die an die Durchführung einer Entgeltschätzung zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu c). Die Feststellungen zu den vorgenannten Punkten muss das LSG nachholen (vgl § 170 Abs 5 SGG).

46

a) Anhand der Feststellungen des angegriffenen SG-Urteils ist für den Senat schon nicht nachvollziehbar, inwieweit die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung auf konkret festgestellten Entgelten oder auf Entgeltschätzungen beruht.

47

Wie dargelegt ist der Bemessung der von der Klägerin für den Prüfzeitraum abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge das von ihr ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt iS von § 10 Abs 4 AÜG zugrunde zu legen(vgl oben II.3.a und b). Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dem nicht entgegen (vgl oben II.3.c). Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des SG stellte die Klägerin anlässlich der Betriebsprüfung im März 2012 einen Aktenordner mit Auskünften der Entleiherunternehmen über Bezüge der Stammarbeitnehmer in den Betrieben zur Verfügung, in welchem - nach Auffassung der Beklagten - die überwiegende Anzahl der "Beschäftigungsverhältnisse" dokumentiert war. Diesen Ordner wertete die Beklagte aus und nahm Schätzungen nur für diejenigen Arbeitnehmer vor, "die in diesen Unterlagen nicht mit konkreten Vergütungsansprüchen im Entleiherbetrieb ausgewiesen waren".

48

Ausgehend davon dürfte ein wesentlicher Teil der Beitragsforderung der Höhe nach nicht zu beanstanden sein. Denn für die in diesem Ordner nachgewiesenen Arbeitnehmerüberlassungen nahm die Beklagte offenkundig keine Schätzung vor; dass die in den von ihr vorgelegten Unterlagen enthaltenen konkreten Vergütungsansprüche nicht zuträfen, hat die Klägerin bisher nicht geltend gemacht. Für eine derartige Unrichtigkeit bestehen auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Jedoch hat das SG diesen Teil der Beitragsforderung weder betragsmäßig festgestellt noch ist der Teil aufgrund der festgestellten Tatsachen bestimmbar; schon deshalb ist der Senat auch bezogen auf diesen Teil der Beitragsforderung an einer abschließenden Entscheidung gehindert.

49

Zudem kann der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen des SG auch nicht entscheiden, ob - wie im Revisionsverfahren gerügt - bestimmte von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern gewährte Zulagen bei der Ermittlung der Differenz zwischen dem von der Klägerin der Beitragsabführung zugrunde gelegten Entgelt und den in Höhe des Vergleichslohns entstandenen konkreten Vergütungsansprüchen differenzmindernd zu berücksichtigen sind. So richtet sich nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 294/12 - AP Nr 25 zu § 10 AÜG = NZA 2013, 1226, Juris RdNr 34 ff) die Berücksichtigung von Aufwendungsersatz beim Gesamtvergleich zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs 4 AÜG danach, ob damit - wenn auch in pauschalierter Form - ein dem Arbeitnehmer tatsächlich entstandener Aufwand, zB für Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, erstattet werden soll (echter Aufwendungsersatz) oder ob die Leistung Entgeltcharakter hat. Echter Aufwendungsersatz ist im Sinne des Arbeitsrechts kein Arbeitsentgelt (BAG, aaO, Juris RdNr 35). Ob solche Zulagen überhaupt gewährt wurden und ggf welchen rechtlichen Charakter sie hatten, hat das SG nicht festgestellt. Das ist vom LSG nachzuholen.

50

b) Ebenso lassen die vom SG getroffenen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht ausreichend erkennen, ob bzw inwieweit die Beklagte die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte schätzen durfte.

51

Die Beklagte war zwar grundsätzlich zur Schätzung der von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern während der jeweiligen Überlassung an einen Entleiherbetrieb geschuldeten Entgelte berechtigt, soweit die Klägerin keine Unterlagen über die konkreten Vergütungsansprüche vorlegen konnte (hierzu aa). Auf ein Verschulden der Klägerin bei der Verletzung ihrer Aufzeichnungspflichten kommt es dafür ebenso wenig an, wie auf deren Kenntnis vom konkreten Inhalt dieser Pflichten (hierzu bb). Jedoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkreten Vergütungsansprüche nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand zu ermitteln sind (hierzu cc). Auch hierzu bedarf es im Rahmen der Befassung der Sache durch das LSG weiterer Feststellungen.

52

aa) Grundsätzlich ist ein Rentenversicherungsträger - vorliegend mithin die Beklagte - im Rahmen der Betriebsprüfung auch zur Schätzung der Entgelte einzelner Beschäftigter berechtigt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 28f RdNr 67 f). Zwar sollte es diese Vorschrift den Gesetzesmaterialien zufolge in erster Linie ermöglichen, die Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheides iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV zu schätzen, wenn aufgrund unzureichender oder fehlender Buchhaltung nicht einmal diese ermittelt werden kann(Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - , BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Dann muss es aber erst recht zulässig sein, im Rahmen der Beitragsüberwachung das Entgelt einzelner Arbeitnehmer zu schätzen, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten zwar eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe.

53

Bestätigt wird diese Auslegung des § 28f Abs 2 S 4 SGB IV durch die spätere Übernahme der Schätzungsbefugnis in § 28h Abs 2 S 2 und 3 SGB IV durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs(vom 30.6.1995, BGBl I 890), durch die ausdrücklich nach dem Vorbild der bis dahin in der Praxis analog angewandten Vorschrift des § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst b) eine vom Erlass eines Summenbescheides unabhängige Schätzungsbefugnis der Einzugsstellen geschaffen wurde.

54

bb) Auch eine solche - mithin grundsätzlich zulässige - Entgeltschätzung bei personenbezogenen Beitragsfestsetzungen erfordert indessen eine "Verletzung der Aufzeichnungspflichten" des Arbeitgebers. Eine solche Verletzung kann hier nicht ohne Weiteres bejaht werden.

55

Dazu ist vielmehr in den Blick zu nehmen, dass es eines Verschuldens des Arbeitgebers insoweit ebenso wenig bedarf (BSGE 89, 158, 161 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 6) wie überhaupt einer Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten Inhalt der ihn treffenden sozialversicherungsrechtlichen Pflicht. Grund dafür ist, dass die ausnahmslose Aufzeichnungspflicht gerade dazu dient, Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend prüfen zu können (vgl Regierungsentwurf SGB IV, aaO, BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Diese Prüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24 mwN; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). Zur Gewährleistung einer vollständigen Beitragsentrichtung ist es aber erforderlich, die Erhebung der vom Arbeitgeber objektiv geschuldeten Beiträge auch dann zu ermöglichen, wenn die Feststellung der genauen Beitragshöhe oder - im hier nicht betroffenen Fall des Summenbescheides - die Zuordnung der Entgelte zu einzelnen Arbeitnehmern wegen - gleich aus welchem Grunde - fehlender oder unvollständiger Aufzeichnungen nicht möglich ist. Der erforderliche Ausgleich (einerseits) der Interessen der Versicherten und Versicherungsträger an einer vollständigen Beitragsfeststellung und -erhebung sowie (andererseits) dem Interesse der Arbeitgeber, nicht im Nachhinein mit unerwarteten Beitragsforderungen belastet zu werden, die sie mit Rücksicht auf § 28g S 3 SGB IV häufig auch hinsichtlich des Versichertenanteils im Ergebnis wirtschaftlich zu tragen haben, erfolgt nach der gesetzlichen Konzeption dabei vorrangig über die Verjährungsregelungen. Diese Regelungen schützen gutgläubige Arbeitgeber vor Nachforderungen von Beiträgen, die nicht innerhalb der vier zurückliegenden Kalenderjahre fällig geworden sind.

56

cc) Näher geprüft werden muss zudem, ob sich die für die Beitragsbemessung den Ausgangspunkt bildenden maßgebenden konkreten Vergütungsansprüche der Leiharbeitnehmer "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln" lassen.

57

Eine Schätzung von Entgelten ist jedoch nicht in jedem Fall fehlender oder fehlerhafter Arbeitgeberaufzeichnungen zulässig, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Eine Befugnis zur Schätzung von Entgelten besteht nur dann, wenn aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Aufzeichnungen des Arbeitgebers - soweit vorliegend relevant - die Beitragshöhe nicht konkret festgestellt werden kann. Die Feststellung der Beitragshöhe muss dabei nicht gänzlich objektiv unmöglich sein; ausdrücklich ordnet § 28f Abs 2 S 3 SGB IV eine Entgeltschätzung vielmehr bereits für den Fall an, dass der prüfende Träger Arbeitsentgelte "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand" ermitteln kann. Damit suspendiert § 28f Abs 2 SGB IV indessen weder die Amtsermittlungspflicht des prüfenden Trägers, noch die Mitwirkungspflichten des zu prüfenden Arbeitgebers (zB nach § 28f Abs 1 und 3, § 28p Abs 5 SGB IV). Dementsprechend haben sich die Träger im Rahmen ihrer Amtsermittlung nach Maßgabe der §§ 20 ff SGB X grundsätzlich sämtlicher in Betracht kommender Beweismittel zu bedienen; insbesondere können sie beim Versicherten selbst, beim Entleiherunternehmen oder bei anderen Stellen und Behörden Auskünfte über die beim Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Beschäftigungsbedingungen einholen. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens weiterer Feststellungen durch den Rentenversicherungsträger unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung, wofür auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 8).

58

Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung - wie sie Gegenstand dieses Rechtsstreits ist - vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers (zu den Anforderungen beim Verzicht auf personenbezogene Feststellungen vgl BSGE 89, 158, 161 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 7 f; vgl auch Werner in jurisPK-SGB IV, aaO, § 28f RdNr 59 f)an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Deshalb wird es wesentlich auch auf die zu erwartende Genauigkeit einer möglichen Schätzung ankommen: Je genauer die Schätzung, desto geringer sind die für den Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile und desto geringer der Ermittlungsaufwand, der noch als verhältnismäßig gelten kann (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75). Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet für sich genommen jedoch noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand; insoweit kann es keine Rolle spielen, ob ein bestimmter Verwaltungsaufwand mehrfach bei einem Arbeitgeber oder jeweils in wenigen Fällen bei mehreren Arbeitgebern anfällt.

59

c) Stellt sich ausgehend von Vorstehendem im Fall heraus, dass eine Schätzung grundsätzlich zulässig ist, so sind auch für deren Durchführung bestimmte rechtliche Anforderungen einzuhalten.

60

Die Schätzung ist so exakt vorzunehmen, wie dies unter Wahrung eines nach den genannten Maßstäben noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwands möglich ist. Sie ist nicht zu beanstanden und - bis zum Nachweis der tatsächlichen Höhe des Arbeitsentgelts (§ 28f Abs 2 S 5 SGB IV)- verbindlich, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (so zur Einkommensprognose nach dem BErzGG vgl BSG SozR 4-7833 § 6 Nr 4 mwN). Innerhalb dieses Rahmens sind die an eine Schätzung zu stellenden Anforderungen wiederum abhängig von einer Abwägung zwischen der Bedeutung einer größeren Genauigkeit der Schätzung für Versicherte und Arbeitgeber und dem mit einem bestimmten Vorgehen verbundenen Verwaltungsaufwand. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75).

61

Diese Notwendigkeit der Abwägung im Einzelfall schließt es aus, eine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die von der Klägerin im Revisionsverfahren aufgeworfene Frage zu geben, ob für die Ermittlung des Vergleichslohns allein auf die berufliche Qualifikation des Leiharbeitnehmers abgestellt werden darf, oder ob hierfür auch dessen "individuelle Handicaps" zu berücksichtigen sind (vgl hierzu etwa Thüsing/Stiebert, Equal Pay in der Arbeitnehmerüberlassung - unter Berücksichtigung des CGZP-Beschlusses in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, 2012, S 67 mwN). Sollte Letzteres - was der Senat hier nicht beantworten muss - arbeitsrechtlich geboten sein, so wären solche "Handicaps" nur dann im Rahmen der Entgeltschätzung zu berücksichtigen, wenn sich deren Vorliegen und deren Auswirkungen auf den Vergleichslohn im Einzelfall mit noch verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand abschätzen ließen.

62

Schließlich sind Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode vom Versicherungsträger in der Begründung seines Bescheides im Einzelnen darzulegen (so bereits BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 3 S 17). Das Fehlen dieser Angaben führt vorliegend allerdings nicht schon ohne Weiteres zur - auch nicht teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen einer fehlenden Begründung des Verwaltungsaktes (§ 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB X), sondern lediglich zur Aufhebung des SG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanzen, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des SG zu dem auf Schätzungen beruhenden Teil der Beitragsforderung (vgl oben II.4.a) auch insoweit an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das LSG - an das der Senat die Sache hier zurückverweist - auch § 41 Abs 2 SGB X zu beachten haben.

63

5. Schließlich kann der Senat wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des SG ebenfalls nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin hinsichtlich der Beiträge für den Zeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2006 erhobene Verjährungseinrede dem insoweit möglicherweise bestehenden Anspruch der Beklagten auf weitere Beiträge für diesen Zeitraum entgegensteht. Insoweit kommt es darauf an, ob Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind und ob Vorsatz aufgrund positiver Kenntnis von der Pflicht zur Beitragsentrichtung unterstellt werden kann (hierzu a). Eine solche Kenntnis wird jedoch weder durch den Inhalt des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 (hierzu b) noch durch den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 vermittelt (hierzu c), das auch keine Hemmung des Fristlaufs bewirkte (hierzu d). Daher sind ua weitere tatrichterliche Feststellungen zur Frage eines möglichen Vorsatzes auf Seiten der Klägerin erforderlich (hierzu e).

64

a) Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Hingegen verjähren solche Ansprüche erst in 30 Jahren (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Der Begriff "vorsätzlich" schließt den bedingten Vorsatz ein (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN). Hierfür ist ausreichend, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35). Die 30-jährige Verjährungsfrist ist auch anzuwenden, wenn ein anfänglich gutgläubiger Beitragsschuldner vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (BSG, aaO, S 34). Der subjektive Tatbestand ist dabei bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und den betreffenden Beitragsschuldner individuell zu ermitteln; die Feststellungslast für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (BSG, aaO, S 35 f). Ist - wie im Idealfall, von dem § 25 SGB IV ausgeht - eine natürliche Person Beitragsschuldner, wird im Regelfall die Feststellung ihrer Kenntnis von der Beitragspflicht und der Umstand, dass die Beiträge nicht (rechtzeitig) gezahlt wurden, genügen, um gleichermaßen feststellen zu können, dass dieser Beitragsschuldner die Beiträge (zumindest bedingt) vorsätzlich vorenthalten hat. Denn die Rechtspflicht zur Beitragszahlung hat zur Folge, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen ist. Aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, folgt aber in aller Regel auch das entsprechende Wollen (im Einzelnen vgl BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 29 ff).

65

"Kenntnis" im vorstehend beschriebenen Sinne ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung der Beiträge verpflichtet zu sein. Solche den Vorsatz indizierende Kenntnis von der Beitragspflicht kann nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (zB bei "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden; sie liegt auch noch nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Demgegenüber muss der Vorsatz bei wenig verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sind und inhaltlich nicht voll deckungsgleich sind, eingehend geprüft und festgestellt werden. Fehler bei der Beitragsentrichtung dürften in diesen Fällen nicht selten nur auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis beruhen. Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der "bewussten Fahrlässigkeit", bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch - im Gegensatz zum bedingt vorsätzlich Handelnden, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt - darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 33, 35 f; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R).

66

Im vorliegenden Fall, in dem es sich bei der Beitragsschuldnerin um eine juristische Person des Privatrechts handelt, kommt es zunächst auf die Kenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs der Klägerin von der Beitragspflicht an. Das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 109, 327, 331; BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 194, 195). Darüber hinaus kann jedoch auch die Kenntnis weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, nämlich dann, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 195 ff; BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 19).

67

b) Nach diesen Grundsätzen kann dem SG nicht gefolgt werden, soweit es einen Vorsatz der Klägerin bezüglich der unterlassenen Beitragsentrichtung schon deshalb bejaht hat, weil mit dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 die naheliegende Möglichkeit bestanden habe, dass auf die Differenz zwischen den gezahlten Arbeitsentgelten und den nach § 10 Abs 4 S 1 AÜG geschuldeten Arbeitsentgelten Beiträge nachzuzahlen waren. Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist allerdings die Aussage des SG, die Vorlage von Unterlagen über die Löhne in Entleiherbetrieben belege, dass die Klägerin zumindest die Nacherhebung von Beiträgen für möglich gehalten habe. Gleiches gilt auch für die damit verbundene, unausgesprochene Annahme, die Vorstellung von der Möglichkeit einer Beitragserhebung habe (wenn auch nicht unbedingt vor dem 1.1.2011) bei zumindest einer deren Zurechnung zur Klägerin ermöglichenden Person vorgelegen.

68

Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragserhebung steht jedoch dem vorsatzindizierenden sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge nicht gleich. Insbesondere kann selbst nach der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses vom 14.12.2010 zu Anfang des Jahres 2011 ein solches sichereres Wissen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, weil - umgangssprachlich ausgedrückt - jeder informierte Mensch nunmehr genau gewusst hätte, dass Beiträge auch für diese Jahre nachzuzahlen waren. Eine solche Unterstellung scheidet schon wegen der seinerzeit auch arbeitsrechtlich noch nicht abschließend geklärten Frage nach der zeitlichen Wirkung eines im Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4, § 97 Abs 1 ArbGG ergangenen Beschlusses aus. Das Bestehen einer unsicheren Rechtslage wird bereits durch die erhebliche Zahl von Aussetzungsbeschlüssen verschiedener ArbGe und LArbGe nach § 97 Abs 5 ArbGG zur Klärung der Frage der Tariffähigkeit der CGZP zu verschiedenen Zeitpunkten vor Ergehen des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 belegt, ebenso durch die hiermit zusammenhängende Diskussion (vgl zB LArbG Hamm Beschluss vom 28.9.2011 - 1 TA 500/11 - Juris RdNr 17 ff mit zahlreichen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum; nachgehend BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 und BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; vgl auch Berchtold, SozSich 2012, 70, 72).

69

Vor diesem Hintergrund kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung beruflich betreibende Personen allgemein die Möglichkeit einer Pflicht zur Beitragszahlung auch für zurückliegende Zeiträume erkannten. Es kann aber jedenfalls für die hier entscheidungserhebliche Zeit bis einschließlich 31.12.2010 nicht im Sinne eines vorsatzindizierenden Wissens schlechthin unterstellt werden, dass solche Personen nicht auf eine Klärung der Rechtslage zu ihren Gunsten vertrauten und deshalb mit der nicht nachgeholten Zahlung dieser Beiträge eine Verletzung ihrer Beitragsabführungspflichten billigend in Kauf nahmen.

70

c) Etwas anderes folgt zum Nachteil der Klägerin auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010.

71

In diesem - nach gleichem Muster bundesweit an zahlreiche Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung versandten - Schreiben erläuterte die Beklagte unter Hinweis auf eine beigefügte Presseerklärung des BAG, dass die CGZP nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 nicht tariffähig sei und deshalb keine Tarifverträge habe abschließen können, welche geeignet gewesen seien, in der Zeitarbeitsbranche vom "equal pay"-Prinzip abzuweichen. Weiter führte die Beklagte wörtlich aus:

        

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns deshalb verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen."

72

Soweit es die Frage eines die Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist auslösenden Bösgläubigkeit angeht, war dieses Schreiben der Beklagten lediglich geeignet, dem Empfänger das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragsabführungspflicht für "equal pay"-Ansprüche auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zu verschaffen. Die gewählten Formulierungen vermitteln selbst schon nicht einmal das eigene sichere Wissen der Beklagten um die rückwirkenden Folgen des BAG-Beschlusses, sondern die Äußerung einer - seriösem ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln auch entsprechenden - eher abwartenden und zurückhaltenden Tendenz, die den Gesichtspunkt der Wahrung eigener Rechte in den Vordergrund rückt. Schließlich wird in dem Schreiben auch des Weiteren nur auf die Pflicht der Adressaten zur "Prüfung" ihrer Beitrags- und Meldepflichten hingewiesen. Ein vorsatzindizierendes "sicheres" Wissen um die Verpflichtung, diese Beiträge abführen zu müssen, konnte damit bei verständiger Würdigung nicht vermittelt werden, was schon aus den in diesem Schreiben enthaltenen - zutreffenden - Hinweisen auf die fehlende Entscheidungsbegründung des BAG und - nicht nur deshalb - die fortbestehende Unsicherheit bezüglich dieser Frage folgt (hierüber hinausgehend - auch im Hinblick auf eine Pressemitteilung der Beklagten vom 21.12.2010 - Schlegel, NZA 2011, 380, 383). All dies schließt gleichwohl im Einzelfall die Annahme zumindest bedingten Vorsatzes aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellung anderer, ein individuelles Vertrauen der Klägerin auf einen aus ihrer Sicht "guten Ausgang" widerlegender Tatsachen nicht von vornherein aus.

73

d) Das Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010 war auch nicht geeignet, die drohende Verjährung von im Jahre 2006 fälligen Beitragsansprüchen mit Ablauf des 31.12.2010 zu hemmen. Hierzu hätte es nämlich des Erlasses eines Beitragsbescheides oder jedenfalls der tatsächlichen Vornahme einer Arbeitgeberprüfung (§ 25 Abs 2 S 2 SGB IV) bzw bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge der Einleitung eines Beitragsverfahrens (§ 198 SGB VI) bedurft. Letzteres erfordert die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass insbesondere eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (§ 8 SGB X). Das genannte Schreiben der Beklagten erfüllt keinen dieser Hemmungstatbestände. Insbesondere wurde hierdurch weder bereits ein Prüf- noch ein Beitragsverfahren eingeleitet. Vielmehr wurde lediglich erst die spätere Durchführung einer Arbeitgeberprüfung im Jahr 2011 angekündigt.

74

e) Ob der Klägerin in Bezug auf eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung das Verschulden von Personen zugerechnet werden kann, die in der Zeit vor dem 1.1.2011 nicht nur um die Möglichkeit einer (Nach-)Zahlungspflicht von weiteren Beiträgen für die Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 wussten, sondern eine Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf genommen hatten, hat das SG - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht festgestellt. Tatrichterlich sind insoweit die konkreten Umstände zur inneren (subjektiven) Seite beim Beitragsschuldner festzustellen und zu würdigen. Dies führt auch bezüglich des möglicherweise verjährten Teils der Beitragsforderung zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zwecks Ermittlung eines möglichen, eine 30-jährige Verjährungsfrist auslösenden Vorsatzes ( vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7; BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R ).

75

Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, dass die bis 31.12.2006 fälligen Beitragsansprüche verjährt sind, wird es weiter auch zu prüfen haben, ob dies die Beitragsansprüche für den Monat Dezember 2006 vollständig mitumfasst oder ob ein Teil dieser Ansprüche nach § 23 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB IV(idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) erst im Januar 2007 fällig wurde.

76

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

77

7. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

(1) Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Absatz 2 sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Absatz 5 des Zehnten Buches nicht. Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt abweichend von Satz 1 die Prüfung für die bei ihr versicherten mitarbeitenden Familienangehörigen vor.

(1a) Die Prüfung nach Absatz 1 umfasst die ordnungsgemäße Erfüllung der Meldepflichten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Künstlersozialabgabe durch die Arbeitgeber. Die Prüfung erfolgt

1.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, die als abgabepflichtige Unternehmer nach § 24 des Künstlersozialversicherungsgesetzes bei der Künstlersozialkasse erfasst wurden,
2.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern mit mehr als 19 Beschäftigten und
3.
bei mindestens 40 Prozent der im jeweiligen Kalenderjahr zur Prüfung nach Absatz 1 anstehenden Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten.
Hat ein Arbeitgeber mehrere Beschäftigungsbetriebe, wird er insgesamt geprüft. Das Prüfverfahren kann mit der Aufforderung zur Meldung eingeleitet werden. Die Träger der Deutschen Rentenversicherung erlassen die erforderlichen Verwaltungsakte zur Künstlersozialabgabepflicht, zur Höhe der Künstlersozialabgabe und zur Höhe der Vorauszahlungen nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz einschließlich der Widerspruchsbescheide. Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Künstlersozialkasse über Sachverhalte, welche die Melde- und Abgabepflichten der Arbeitgeber nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz betreffen. Für die Prüfung der Arbeitgeber durch die Künstlersozialkasse gilt § 35 des Künstlersozialversicherungsgesetzes.

(1b) Die Träger der Rentenversicherung legen im Benehmen mit der Künstlersozialkasse die Kriterien zur Auswahl der nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfenden Arbeitgeber fest. Die Auswahl dient dem Ziel, alle abgabepflichtigen Arbeitgeber zu erfassen. Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfen sind, werden durch die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 im Hinblick auf die Künstlersozialabgabe beraten. Dazu erhalten sie mit der Prüfankündigung Hinweise zur Künstlersozialabgabe. Im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 lässt sich der zuständige Träger der Rentenversicherung durch den Arbeitgeber schriftlich oder elektronisch bestätigen, dass der Arbeitgeber über die Künstlersozialabgabe unterrichtet wurde und abgabepflichtige Sachverhalte melden wird. Bestätigt der Arbeitgeber dies nicht, wird die Prüfung nach Absatz 1a Satz 1 unverzüglich durchgeführt. Erlangt ein Träger der Rentenversicherung im Rahmen einer Prüfung nach Absatz 1 bei Arbeitgebern mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 geprüft werden, Hinweise auf einen künstlersozialabgabepflichtigen Sachverhalt, muss er diesen nachgehen.

(1c) Die Träger der Rentenversicherung teilen den Trägern der Unfallversicherung die Feststellungen aus der Prüfung bei den Arbeitgebern nach § 166 Absatz 2 des Siebten Buches mit. Die Träger der Unfallversicherung erlassen die erforderlichen Bescheide.

(2) Im Bereich der Regionalträger richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Lohn- und Gehaltsabrechnungsstelle des Arbeitgebers. Die Träger der Rentenversicherung stimmen sich darüber ab, welche Arbeitgeber sie prüfen; ein Arbeitgeber ist jeweils nur von einem Träger der Rentenversicherung zu prüfen.

(3) Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Einzugsstellen über Sachverhalte, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen.

(4) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem die Träger der Rentenversicherung ihre elektronischen Akten führen, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 1, 1a und 1c stehen. Die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten dürfen nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern durch die jeweils zuständigen Träger der Rentenversicherung verarbeitet werden.

(5) Die Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Prüfhilfen zu leisten. Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden, sind in die Prüfung einzubeziehen.

(6) Zu prüfen sind auch steuerberatende Stellen, Rechenzentren und vergleichbare Einrichtungen, die im Auftrag des Arbeitgebers oder einer von ihm beauftragten Person Löhne und Gehälter abrechnen oder Meldungen erstatten. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich im Bereich der Regionalträger nach dem Sitz dieser Stellen. Absatz 5 gilt entsprechend.

(6a) Für die Prüfung nach Absatz 1 sind dem zuständigen Rentenversicherungsträger die notwendigen Daten elektronisch aus einem systemgeprüften Entgeltabrechnungsprogramm zu übermitteln; für Daten aus der Finanzbuchhaltung kann dies nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber erfolgen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund bestimmt in Grundsätzen bundeseinheitlich das Nähere zum Verfahren der Datenübermittlung und der dafür erforderlichen Datensätze und Datenbausteine. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das vorher die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anzuhören hat.

(7) Die Träger der Rentenversicherung haben eine Übersicht über die Ergebnisse ihrer Prüfungen zu führen und bis zum 31. März eines jeden Jahres für das abgelaufene Kalenderjahr den Aufsichtsbehörden vorzulegen. Das Nähere über Inhalt und Form der Übersicht bestimmen einvernehmlich die Aufsichtsbehörden der Träger der Rentenversicherung mit Wirkung für diese.

(8) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem der Name, die Anschrift, die Betriebsnummer, der für den Arbeitgeber zuständige Unfallversicherungsträger und weitere Identifikationsmerkmale eines jeden Arbeitgebers sowie die für die Planung der Prüfungen bei den Arbeitgebern und die für die Übersichten nach Absatz 7 erforderlichen Daten gespeichert sind; die Deutsche Rentenversicherung Bund darf die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern und zur Ermittlung der nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz abgabepflichtigen Unternehmer verarbeiten. In das Dateisystem ist eine Kennzeichnung aufzunehmen, wenn nach § 166 Absatz 2 Satz 2 des Siebten Buches die Prüfung der Arbeitgeber für die Unfallversicherung nicht von den Trägern der Rentenversicherung durchzuführen ist; die Träger der Unfallversicherung haben die erforderlichen Angaben zu übermitteln. Die Datenstelle der Rentenversicherung führt für die Prüfung bei den Arbeitgebern ein Dateisystem, in dem neben der Betriebsnummer eines jeden Arbeitgebers, die Betriebsnummer des für den Arbeitgeber zuständigen Unfallversicherungsträgers, die Unternehmernummer nach § 136a des Siebten Buches des Arbeitgebers, das in der Unfallversicherung beitragspflichtige Entgelt der bei ihm Beschäftigten in Euro, die anzuwendenden Gefahrtarifstellen der bei ihm Beschäftigten, die Versicherungsnummern der bei ihm Beschäftigten einschließlich des Beginns und des Endes von deren Beschäftigung, die Bezeichnung der für jeden Beschäftigten zuständigen Einzugsstelle sowie eine Kennzeichnung des Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung gespeichert sind. Sie darf die Daten der Stammsatzdatei nach § 150 Absatz 1 und 2 des Sechsten Buches sowie die Daten des Dateisystems nach § 150 Absatz 3 des Sechsten Buches und der Stammdatendatei nach § 101 für die Prüfung bei den Arbeitgebern speichern, verändern, nutzen, übermitteln oder in der Verarbeitung einschränken; dies gilt für die Daten der Stammsatzdatei auch für Prüfungen nach § 212a des Sechsten Buches. Sie ist verpflichtet, auf Anforderung des prüfenden Trägers der Rentenversicherung

1.
die in den Dateisystemen nach den Sätzen 1 und 3 gespeicherten Daten,
2.
die in den Versicherungskonten der Träger der Rentenversicherung gespeicherten, auf den Prüfungszeitraum entfallenden Daten der bei dem zu prüfenden Arbeitgeber Beschäftigten,
3.
die bei den für den Arbeitgeber zuständigen Einzugsstellen gespeicherten Daten aus den Beitragsnachweisen (§ 28f Absatz 3) für die Zeit nach dem Zeitpunkt, bis zu dem der Arbeitgeber zuletzt geprüft wurde,
4.
die bei der Künstlersozialkasse über den Arbeitgeber gespeicherten Daten zur Melde- und Abgabepflicht für den Zeitraum seit der letzten Prüfung sowie
5.
die bei den Trägern der Unfallversicherung gespeicherten Daten zur Melde- und Beitragspflicht sowie zur Gefahrtarifstelle für den Zeitraum seit der letzten Prüfung
zu verarbeiten, soweit dies für die Prüfung, ob die Arbeitgeber ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, sowie ihre Pflichten als zur Abgabe Verpflichtete nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und ihre Pflichten nach dem Siebten Buch zur Meldung und Beitragszahlung ordnungsgemäß erfüllen, erforderlich ist. Die dem prüfenden Träger der Rentenversicherung übermittelten Daten sind unverzüglich nach Abschluss der Prüfung bei der Datenstelle und beim prüfenden Träger der Rentenversicherung zu löschen. Die Träger der Rentenversicherung, die Einzugsstellen, die Künstlersozialkasse und die Bundesagentur für Arbeit sind verpflichtet, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Datenstelle die für die Prüfung bei den Arbeitgebern erforderlichen Daten zu übermitteln. Sind für die Prüfung bei den Arbeitgebern Daten zu übermitteln, so dürfen sie auch durch Abruf im automatisierten Verfahren übermittelt werden, ohne dass es einer Genehmigung nach § 79 Absatz 1 des Zehnten Buches bedarf. Soweit es für die Erfüllung der Aufgaben der gemeinsamen Einrichtung als Einzugsstelle nach § 356 des Dritten Buches erforderlich ist, wertet die Datenstelle der Rentenversicherung aus den Daten nach Satz 5 das Identifikationsmerkmal zur wirtschaftlichen Tätigkeit des geprüften Arbeitgebers sowie die Angaben über die Tätigkeit nach dem Schlüsselverzeichnis der Bundesagentur für Arbeit der Beschäftigten des geprüften Arbeitgebers aus und übermittelt das Ergebnis der gemeinsamen Einrichtung. Die übermittelten Daten dürfen von der gemeinsamen Einrichtung auch zum Zweck der Erfüllung der Aufgaben nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes genutzt werden. Die Kosten der Auswertung und der Übermittlung der Daten nach Satz 9 hat die gemeinsame Einrichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund zu erstatten. Die gemeinsame Einrichtung berichtet dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 1. Januar 2025 über die Wirksamkeit des Verfahrens nach Satz 9.

(9) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über

1.
den Umfang der Pflichten des Arbeitgebers, der Beschäftigten und der in Absatz 6 genannten Stellen bei Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden,
2.
die Durchführung der Prüfung sowie die Behebung von Mängeln, die bei der Prüfung festgestellt worden sind, und
3.
den Inhalt des Dateisystems nach Absatz 8 Satz 1 hinsichtlich der für die Planung der Prüfungen bei Arbeitgebern und der für die Prüfung bei Einzugsstellen erforderlichen Daten, über den Aufbau und die Aktualisierung dieses Dateisystems sowie über den Umfang der Daten aus diesem Dateisystem, die von den Einzugsstellen und der Bundesagentur für Arbeit nach § 28q Absatz 5 abgerufen werden können.

(10) Arbeitgeber werden wegen der Beschäftigten in privaten Haushalten nicht geprüft.

(11) Sind beim Übergang der Prüfung der Arbeitgeber von Krankenkassen auf die Träger der Rentenversicherung Angestellte übernommen worden, die am 1. Januar 1995 ganz oder überwiegend mit der Prüfung der Arbeitgeber beschäftigt waren, sind die bis zum Zeitpunkt der Übernahme gültigen Tarifverträge oder sonstigen kollektiven Vereinbarungen für die übernommenen Arbeitnehmer bis zum Inkrafttreten neuer Tarifverträge oder sonstiger kollektiver Vereinbarungen maßgebend. Soweit es sich bei einem gemäß Satz 1 übernommenen Beschäftigten um einen Dienstordnungs-Angestellten handelt, tragen der aufnehmende Träger der Rentenversicherung und die abgebende Krankenkasse bei Eintritt des Versorgungsfalles die Versorgungsbezüge anteilig, sofern der Angestellte im Zeitpunkt der Übernahme das 45. Lebensjahr bereits vollendet hatte. § 107b Absatz 2 bis 5 des Beamtenversorgungsgesetzes gilt sinngemäß.

(1) Der Arbeitgeber oder ein anderer Meldepflichtiger hat der Einzugsstelle für jeden in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten

1.
bei Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung,
2.
bei Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung,
3.
bei Eintritt eines Insolvenzereignisses,
4.
(weggefallen)
5.
bei Änderungen in der Beitragspflicht,
6.
bei Wechsel der Einzugsstelle,
7.
bei Anträgen auf Altersrenten oder Auskunftsersuchen des Familiengerichts in Versorgungsausgleichsverfahren,
8.
bei Unterbrechung der Entgeltzahlung,
9.
bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses,
10.
auf Anforderung der Einzugsstelle nach § 26 Absatz 4 Satz 2,
11.
bei Antrag des geringfügig Beschäftigten nach § 6 Absatz 1b des Sechsten Buches auf Befreiung von der Versicherungspflicht,
12.
bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt,
13.
bei Beginn der Berufsausbildung,
14.
bei Ende der Berufsausbildung,
15.
bei Wechsel im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2024 von einem Beschäftigungsbetrieb im Beitrittsgebiet zu einem Beschäftigungsbetrieb im übrigen Bundesgebiet oder umgekehrt,
16.
bei Beginn der Altersteilzeitarbeit,
17.
bei Ende der Altersteilzeitarbeit,
18.
bei Änderung des Arbeitsentgelts, wenn die Geringfügigkeitsgrenze über- oder unterschritten wird,
19.
bei nach § 23b Absatz 2 bis 3 gezahltem Arbeitsentgelt oder
20.
bei Wechsel im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2024 von einem Wertguthaben, das im Beitrittsgebiet und einem Wertguthaben, das im übrigen Bundesgebiet erzielt wurde,
eine Meldung zu erstatten. Jede Meldung sowie die darin enthaltenen Datensätze sind mit einem eindeutigen Kennzeichen zur Identifizierung zu versehen.

(1a) (weggefallen)

(2) Der Arbeitgeber hat jeden am 31. Dezember des Vorjahres Beschäftigten nach Absatz 1 zu melden (Jahresmeldung).

(2a) Der Arbeitgeber hat für jeden in einem Kalenderjahr Beschäftigten, der in der Unfallversicherung versichert ist, zum 16. Februar des Folgejahres eine besondere Jahresmeldung zur Unfallversicherung zu erstatten. Diese Meldung enthält über die Angaben nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 3, 6 und 9 hinaus folgende Angaben:

1.
die Unternehmernummer nach § 136a des Siebten Buches;
2.
die Betriebsnummer des zuständigen Unfallversicherungsträgers;
3.
das in der Unfallversicherung beitragspflichtige Arbeitsentgelt in Euro und seine Zuordnung zur jeweilig anzuwendenden Gefahrtarifstelle.
Arbeitgeber, die Mitglied der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sind und für deren Beitragsberechnung der Arbeitswert keine Anwendung findet, haben Meldungen nach Satz 2 Nummer 1 bis 3 nicht zu erstatten. Abweichend von Satz 1 ist die Meldung bei Eintritt eines Insolvenzereignisses, bei einer endgültigen Einstellung des Unternehmens oder bei der Beendigung aller Beschäftigungsverhältnisse mit der nächsten Entgeltabrechnung, spätestens innerhalb von sechs Wochen, abzugeben.

(3) Die Meldungen enthalten für jeden Versicherten insbesondere

1.
seine Versicherungsnummer, soweit bekannt,
2.
seinen Familien- und Vornamen,
3.
sein Geburtsdatum,
4.
seine Staatsangehörigkeit,
5.
Angaben über seine Tätigkeit nach dem Schlüsselverzeichnis der Bundesagentur für Arbeit,
6.
die Betriebsnummer seines Beschäftigungsbetriebes,
7.
die Beitragsgruppen,
7a.
(weggefallen)
8.
die zuständige Einzugsstelle und
9.
den Arbeitgeber.
Zusätzlich sind anzugeben
1.
bei der Anmeldung
a)
die Anschrift,
b)
der Beginn der Beschäftigung,
c)
sonstige für die Vergabe der Versicherungsnummer erforderliche Angaben,
d)
nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 die Angabe, ob zum Arbeitgeber eine Beziehung als Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling besteht,
e)
nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 die Angabe, ob es sich um eine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt,
f)
die Angabe der Staatsangehörigkeit,
2.
bei allen Entgeltmeldungen
a)
eine Namens-, Anschriften- oder Staatsangehörigkeitsänderung, soweit diese Änderung nicht schon anderweitig gemeldet ist,
b)
das in der Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung beitragspflichtige Arbeitsentgelt in Euro, in den Fällen, in denen kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in der Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung vorliegt, das beitragspflichtige Arbeitsentgelt in der Krankenversicherung,
c)
in Fällen, in denen die beitragspflichtige Einnahme in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 20 Absatz 2a oder § 134 bemessen wird, das Arbeitsentgelt, das ohne Anwendung dieser Regelung zu berücksichtigen wäre,
d)
der Zeitraum, in dem das angegebene Arbeitsentgelt erzielt wurde,
e)
Wertguthaben, die auf die Zeit nach Eintritt der Erwerbsminderung entfallen,
f)
für geringfügig Beschäftigte zusätzlich die Steuernummer des Arbeitgebers, die Identifikationsnummer nach § 139b der Abgabenordnung des Beschäftigten und die Art der Besteuerung.
g)
(weggefallen)
h)
(weggefallen)
3.
(weggefallen)
4.
bei der Meldung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 19
a)
das Arbeitsentgelt in Euro, für das Beiträge gezahlt worden sind,
b)
im Falle des § 23b Absatz 2 der Kalendermonat und das Jahr der nicht zweckentsprechenden Verwendung des Arbeitsentgelts, im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers jedoch der Kalendermonat und das Jahr der Beitragszahlung.

(3a) Der Arbeitgeber oder eine Zahlstelle nach § 202 Absatz 2 des Fünften Buches hat in den Fällen, in denen für eine Meldung keine Versicherungsnummer des Beschäftigten oder Versorgungsempfängers vorliegt, im Verfahren nach Absatz 1 eine Meldung zur Abfrage der Versicherungsnummer an die Datenstelle der Rentenversicherung zu übermitteln; die weiteren Meldepflichten bleiben davon unberührt. Die Datenstelle der Rentenversicherung übermittelt dem Arbeitgeber oder der Zahlstelle unverzüglich durch Datenübertragung die Versicherungsnummer oder den Hinweis, dass die Vergabe der Versicherungsnummer mit der Anmeldung erfolgt.

(3b) Der Arbeitgeber hat auf elektronische Anforderung der Einzugsstelle mit der nächsten Entgeltabrechnung die notwendigen Angaben zur Einrichtung eines Arbeitgeberkontos elektronisch zu übermitteln. Das Nähere über die Angaben, die Datensätze und das Verfahren regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

(4) Arbeitgeber haben den Tag des Beginns eines Beschäftigungsverhältnisses spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Rentenversicherung nach Satz 2 zu melden, sofern sie Personen in folgenden Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigen:

1.
im Baugewerbe,
2.
im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
3.
im Personenbeförderungsgewerbe,
4.
im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe,
5.
im Schaustellergewerbe,
6.
bei Unternehmen der Forstwirtschaft,
7.
im Gebäudereinigungsgewerbe,
8.
bei Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen,
9.
in der Fleischwirtschaft,
10.
im Prostitutionsgewerbe,
11.
im Wach- und Sicherheitsgewerbe.
Die Meldung enthält folgende Angaben über den Beschäftigten:
1.
den Familien- und die Vornamen,
2.
die Versicherungsnummer, soweit bekannt, ansonsten die zur Vergabe einer Versicherungsnummer notwendigen Angaben (Tag und Ort der Geburt, Anschrift),
3.
die Betriebsnummer des Arbeitgebers und
4.
den Tag der Beschäftigungsaufnahme.
Die Meldung wird in der Stammsatzdatei nach § 150 Absatz 1 und 2 des Sechsten Buches gespeichert. Die Meldung gilt nicht als Meldung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1.

(4a) Der Meldepflichtige erstattet die Meldungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 10 an die zuständige Einzugsstelle. In der Meldung sind insbesondere anzugeben:

1.
die Versicherungsnummer des Beschäftigten,
2.
die Betriebsnummer des Beschäftigungsbetriebes,
3.
das monatliche laufende und einmalig gezahlte Arbeitsentgelt, von dem Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung für das der Ermittlung nach § 26 Absatz 4 zugrunde liegende Kalenderjahr berechnet wurden.

(5) Der Meldepflichtige hat der zu meldenden Person den Inhalt der Meldung in Textform mitzuteilen; dies gilt nicht, wenn die Meldung ausschließlich auf Grund einer Veränderung der Daten für die gesetzliche Unfallversicherung erfolgt.

(6) Soweit der Arbeitgeber eines Hausgewerbetreibenden Arbeitgeberpflichten erfüllt, gilt der Hausgewerbetreibende als Beschäftigter.

(6a) Beschäftigt ein Arbeitgeber, der

1.
im privaten Bereich nichtgewerbliche Zwecke oder
2.
mildtätige, kirchliche, religiöse, wissenschaftliche oder gemeinnützige Zwecke im Sinne des § 10b des Einkommensteuergesetzes
verfolgt, Personen geringfügig nach § 8, kann er auf Antrag abweichend von Absatz 1 Meldungen auf Vordrucken erstatten, wenn er glaubhaft macht, dass ihm eine Meldung auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung nicht möglich ist.

(7) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle für einen im privaten Haushalt Beschäftigten anstelle einer Meldung nach Absatz 1 unverzüglich eine vereinfachte Meldung (Haushaltsscheck) mit den Angaben nach Absatz 8 Satz 1 zu erstatten, wenn das Arbeitsentgelt nach § 14 Absatz 3 aus dieser Beschäftigung regelmäßig die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt. Der Arbeitgeber kann die Meldung nach Satz 1 auch durch Datenübertragung aus systemgeprüften Programmen oder mit maschinell erstellten Ausfüllhilfen übermitteln. Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle gesondert ein Lastschriftmandat zum Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu erteilen. Die Absätze 2 bis 5 gelten nicht.

(8) Der Haushaltsscheck enthält

1.
den Familiennamen, Vornamen, die Anschrift und die Betriebsnummer des Arbeitgebers,
2.
den Familiennamen, Vornamen, die Anschrift und die Versicherungsnummer des Beschäftigten; kann die Versicherungsnummer nicht angegeben werden, ist das Geburtsdatum des Beschäftigten einzutragen,
3.
die Angabe, ob der Beschäftigte im Zeitraum der Beschäftigung bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist, und
4.
a)
bei einer Meldung bei jeder Lohn- oder Gehaltszahlung den Zeitraum der Beschäftigung, das Arbeitsentgelt nach § 14 Absatz 3 für diesen Zeitraum sowie am Ende der Beschäftigung den Zeitpunkt der Beendigung,
b)
bei einer Meldung zu Beginn der Beschäftigung deren Beginn und das monatliche Arbeitsentgelt nach § 14 Absatz 3, die Steuernummer des Arbeitgebers, die Identifikationsnummer nach § 139b der Abgabenordnung des Beschäftigten und die Art der Besteuerung,
c)
bei einer Meldung wegen Änderung des Arbeitsentgelts nach § 14 Absatz 3 den neuen Betrag und den Zeitpunkt der Änderung,
d)
bei einer Meldung am Ende der Beschäftigung den Zeitpunkt der Beendigung,
e)
bei Erklärung des Verzichts auf Versicherungsfreiheit nach § 230 Absatz 8 Satz 2 des Sechsten Buches den Zeitpunkt des Verzichts,
f)
bei Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Absatz 1b des Sechsten Buches den Tag des Zugangs des Antrags beim Arbeitgeber.
Bei sich anschließenden Meldungen kann von der Angabe der Anschrift des Arbeitgebers und des Beschäftigten abgesehen werden.

(9) Soweit nicht anders geregelt, gelten für versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreite geringfügig Beschäftigte die Absätze 1 bis 6 entsprechend. Eine Jahresmeldung nach Absatz 2 ist für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Absatz 1 Nummer 2 nicht zu erstatten.

(9a) Für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Absatz 1 Nummer 2 hat der Arbeitgeber bei der Meldung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 zusätzlich anzugeben, wie diese für die Dauer der Beschäftigung krankenversichert sind. Die Evaluierung der Regelung erfolgt im Rahmen eines Berichts der Bundesregierung über die Wirkung der Maßnahme bis Ende des Jahres 2026.

(10) Der Arbeitgeber hat für Beschäftigte, die nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Sechsten Buches von der Versicherungspflicht befreit und Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, die Meldungen nach den Absätzen 1, 2 und 9 zusätzlich an die Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen zu erstatten; dies gilt nicht für Meldungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 10. Die Datenübermittlung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung aus systemgeprüften Programmen oder mittels systemgeprüfter maschinell erstellter Ausfüllhilfen zu erfolgen. Zusätzlich zu den Angaben nach Absatz 3 enthalten die Meldungen die Mitgliedsnummer des Beschäftigten bei der Versorgungseinrichtung. Die Absätze 5 bis 6a gelten entsprechend.

(11) Der Arbeitgeber hat für Beschäftigte, die nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Sechsten Buches von der Versicherungspflicht befreit und Mitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, der Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen monatliche Meldungen zur Beitragserhebung zu erstatten. Absatz 10 Satz 2 gilt entsprechend. Diese Meldungen enthalten für den Beschäftigten

1.
die Mitgliedsnummer bei der Versorgungseinrichtung oder, wenn die Mitgliedsnummer nicht bekannt ist, die Personalnummer beim Arbeitgeber, den Familien- und Vornamen, das Geschlecht und das Geburtsdatum,
2.
den Zeitraum, für den das Arbeitsentgelt gezahlt wird,
3.
das beitragspflichtige ungekürzte laufende Arbeitsentgelt für den Zahlungszeitraum,
4.
das beitragspflichtige ungekürzte einmalig gezahlte Arbeitsentgelt im Monat der Abrechnung,
5.
die Anzahl der Sozialversicherungstage im Zahlungszeitraum,
6.
den Beitrag, der bei Firmenzahlern für das Arbeitsentgelt nach Nummer 3 und 4 anfällt,
7.
die Betriebsnummer der Versorgungseinrichtung,
8.
die Betriebsnummer des Beschäftigungsbetriebes,
9.
den Arbeitgeber,
10.
den Ort des Beschäftigungsbetriebes,
11.
den Monat der Abrechnung.
Soweit nicht aus der Entgeltbescheinigung des Beschäftigten zu entnehmen ist, dass die Meldung erfolgt ist und welchen Inhalt sie hatte, gilt Absatz 5.

(12) Der Arbeitgeber hat auch für ausschließlich nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 des Siebten Buches versicherte Beschäftigte mit beitragspflichtigem Entgelt Meldungen nach den Absätzen 1 und 3 Satz 2 Nummer 2 abzugeben.

(13) (weggefallen)

(1) Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Die Einzugsstelle überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, hat die Einzugsstelle geltend zu machen.

(2) Die Einzugsstelle entscheidet über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung auf Verlangen des Arbeitgebers durch einen schriftlichen oder elektronischen Bescheid; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid. Soweit die Einzugsstelle die Höhe des Arbeitsentgelts nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat sie dieses zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt des Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mit zu berücksichtigen. Die nach § 28i Satz 5 zuständige Einzugsstelle prüft die Einhaltung der Arbeitsentgeltgrenze bei geringfügiger Beschäftigung nach den §§ 8 und 8a und entscheidet bei deren Überschreiten über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid.

(2a) (weggefallen)

(3) Bei Verwendung eines Haushaltsschecks vergibt die Einzugsstelle im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit die Betriebsnummer des Arbeitgebers, berechnet den Gesamtsozialversicherungsbeitrag und die Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz und zieht diese vom Arbeitgeber im Wege des Lastschriftverfahrens ein. Die Einzugsstelle meldet bei Beginn und Ende der Beschäftigung und zum Jahresende der Datenstelle der Rentenversicherung die für die Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit erforderlichen Daten eines jeden Beschäftigten. Die Einzugsstelle teilt dem Beschäftigten den Inhalt der abgegebenen Meldung schriftlich oder durch gesicherte Datenübertragung mit.

(4) Bei Verwendung eines Haushaltsschecks bescheinigt die Einzugsstelle dem Arbeitgeber zum Jahresende

1.
den Zeitraum, für den Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt wurden, und
2.
die Höhe des Arbeitsentgelts (§ 14 Absatz 3), des von ihm getragenen Gesamtsozialversicherungsbeitrags und der Umlagen.

Handelt ein Leistungsträger auf Grund gesetzlichen Auftrags für einen anderen, gelten § 89 Abs. 3 und 5 sowie § 91 Abs. 1 und 3 entsprechend.

(1) Verwaltungsakte, die der Beauftragte zur Ausführung des Auftrags erlässt, ergehen im Namen des Auftraggebers.

(2) Durch den Auftrag wird der Auftraggeber nicht von seiner Verantwortung gegenüber dem Betroffenen entbunden.

(3) Der Beauftragte hat dem Auftraggeber die erforderlichen Mitteilungen zu machen, auf Verlangen über die Ausführung des Auftrags Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.

(4) Der Auftraggeber ist berechtigt, die Ausführung des Auftrags jederzeit zu prüfen.

(5) Der Auftraggeber ist berechtigt, den Beauftragten an seine Auffassung zu binden.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist eine Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 % des Regelbedarfs.

2

Der 1961 geborene, alleinstehende Kläger bezog seit 2005 vom beklagten Jobcenter Alg II. Aufgrund von zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden ist er dem Beklagten zur Erstattung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 8352,03 Euro verpflichtet, die ihm zwischen Januar 2005 und September 2007 zu Unrecht erbracht worden waren (Bescheide vom 21.8.2007 und 10.12.2007). Anlass hierfür war der Bezug von Einkommen, den der Kläger dem Beklagten vorsätzlich nicht mitgeteilt hatte, weshalb er vom Amtsgericht (AG) Osnabrück rechtskräftig wegen Betruges verurteilt worden ist. Nach erfolglosem Klageverfahren gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind diese bestandskräftig geworden (Entscheidungen des SG Osnabrück vom 10.4.2012).

3

Im Juli 2012 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufrechnung mit seinem Erstattungsanspruch gegen dessen Anspruch auf Alg II an. Nachdem der Kläger sich hierauf nicht geäußert hatte, erklärte der Beklagte die Aufrechnung gegenüber dem dem Kläger zustehenden Regelbedarf ab 1.12.2012 in monatlichen Raten in Höhe von 112,20 Euro zur Beitreibung der Erstattungsforderung (Bescheid vom 20.11.2012): Da keine Umstände ersichtlich seien, welche sich im Rahmen der Ermessensentscheidung günstig für den Kläger hätten auswirken können, sei von einer Aufrechnung auch nicht nur teilweise abzusehen. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger ua geltend, es sei unberücksichtigt geblieben, dass er laufend Alg II beziehe. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.12.2012): Im Rahmen des Entschließungsermessens sei allein der Leistungsbezug kein ausreichender Grund, auf eine Aufrechnung zu verzichten, da für diese Fälle die Möglichkeit der Aufrechnung geschaffen worden sei. In der Person des Klägers bestehende besondere Gründe seien von diesem nicht geltend gemacht worden. Sie seien auch vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das AG Osnabrück nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung werde in § 43 SGB II kein Ermessen eingeräumt. Aus dem hier auf § 45 Abs 2 SGB X beruhenden Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X folge eine Aufrechnungshöhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, mithin von derzeit 112,20 Euro monatlich. Durch Änderungsbescheid vom 3.1.2013 passte der Beklagte ab 1.2.2013 die Aufrechnungshöhe an die geänderte Höhe des Regelbedarfs an; es ergebe sich eine Aufrechnung in Höhe von 114,60 Euro monatlich.

4

Klage und Berufung gegen die Aufrechnung blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 19.8.2013; Urteil des LSG vom 3.7.2014). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass ihre gesetzlichen Voraussetzungen nach § 43 SGB II vorlägen, die Aufrechnungserklärung des Beklagten Ermessensfehler nicht erkennen lasse und die gesetzliche Ermächtigung zur Aufrechnung mit dem Grundrecht des Klägers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums(Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) vereinbar sei.

5

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger die Verfassungswidrigkeit von § 43 SGB II geltend.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Juli 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. August 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 und den Änderungsbescheid vom 3. Januar 2013 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Aufrechnung rechtmäßig ist.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG und das die Berufung zurückweisende Urteil des LSG sowie der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 und der nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber vor Klageerhebung erlassene Änderungsbescheid vom 3.1.2013 (zur Anwendbarkeit von § 96 SGG in dieser Konstellation vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 2), durch die der Beklagte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung erklärt hat.

10

2. Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 17.2.2015 - B 14 AS 1/14 R - juris RdNr 11). Der Kläger begehrt die Aufhebung der Aufrechnung, die vom Beklagten ihm gegenüber durch Verwaltungsakt erklärt worden ist (§ 43 Abs 4 Satz 1 SGB II).

11

Angefochten ist neben dem Ausgangsbescheid vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 auch der Änderungsbescheid vom 3.1.2013. Dieser ist ein weiterer anfechtbarer Verwaltungsakt, denn er ersetzt iS des § 96 Abs 1 SGG mit Wirkung vom 1.2.2013 einen der beiden Verfügungssätze des Ausgangsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, den dieser bei Auslegung der Bescheide enthält (zur Bescheidauslegung, die auch dem Revisionsgericht obliegt, vgl BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). Durch diese Bescheide ist zum einen im Sinne eines Grundlagenverwaltungsakts die monatliche Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs unter Bezugnahme auf § 43 SGB II erklärt worden, zum anderen ist im Sinne eines Ausführungsverwaltungsakts die Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 112,20 Euro monatlich (Berechnungsgrundlage: 30 % von 374 Euro Regelbedarf) erklärt worden. Nur diesen zweiten Verfügungssatz ersetzt der Bescheid vom 3.1.2013, denn durch diesen ist die Aufrechnung ab 1.2.2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich (Berechnungsgrundlage: 30 % von 382 Euro Regelbedarf) erklärt worden.

12

3. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht vorliegen und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen erhoben wurden. Insbesondere liegt kein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel darin, dass das LSG in der Besetzung durch den sog kleinen Senat nach § 153 Abs 5 SGG (Berichterstatter, zwei ehrenamtliche Richter) über die Berufung entschieden, der erkennende Senat aber auf die Beschwerde des Klägers die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Denn selbst wenn das LSG durch den kleinen Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hätte, würde hierin kein absoluter Revisionsgrund liegen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 25b; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 153 RdNr 45).

13

Aufgrund von § 153 Abs 5 SGG kann das LSG nach seinem Ermessen in den Fällen einer Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid durch Beschluss der berufsrichterlichen Mitglieder des Senats die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Nähere inhaltliche Anforderungen hierfür formuliert das Gesetz nicht. Vielmehr überantwortet es die Entscheidung über die Übertragung dem Senat als berufsrichterliches Kollegium, ohne die Möglichkeit einer Rückübertragung auf den Senat zu regeln (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 25a; eine Rückübertragung dennoch erwägend Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 153 RdNr 47). Dies zeigt, dass die Verantwortung für die Übertragung vom Senat getragen wird und eine Übertragung zur Entscheidung durch den Berichterstatter unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter auch in Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (anders - regelmäßig ein absoluter Revisionsgrund - bei Entscheidungen "am Senat vorbei" durch den Einzelrichter nach § 155 Abs 3 und 4 SGG unter Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11 ff). Entsprechend hält sich eine Entscheidung des kleinen Senats, durch die wie vorliegend die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen wird, im Rahmen des § 153 Abs 5 SGG und begründet keinen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG.

14

4. Rechtsgrundlage der streitbefangenen Aufrechnung ist § 43 SGB II(in der Fassung der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850).

15

a) § 43 SGB II findet in der seit 1.4.2011 geltenden und nicht in der früheren, am 31.3.2011 außer Kraft getretenen Fassung Anwendung, obwohl der Erstattungsanspruch des Beklagten vor dem 1.4.2011 entstanden war. Denn für die erstmals durch Bescheid vom 20.11.2012 erklärte Aufrechnung ist auf das zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung geltende Recht abzustellen. Der Beklagte bedarf für seine Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt einer Ermächtigung, die grundsätzlich nur im geltenden Recht bestehen kann. Eine Übergangsregelung, die für vor dem 1.4.2011 entstandene Erstattungsansprüche ausnahmsweise die weitere Anwendung des früheren Rechts anordnet, enthält der insoweit einschlägige § 77 SGB II nicht. Auch § 43 SGB II selbst in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung ist nicht zu entnehmen, dass diese Regelung Geltung nur für nach dem 31.3.2011 neu entstandene Erstattungsansprüche beansprucht (vgl Boerner in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 10; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 24, Stand: Januar 2015). Dies unterscheidet die Aufrechnung nach § 43 SGB II von der nach § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II für Darlehen, denn bei dieser stellt das seit dem 1.4.2011 geltende Gesetz auf eine Aufrechnung "ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt", ab und beansprucht damit Geltung nur für "neue" Darlehen (so BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 28/14 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 42a Nr 1 RdNr 17 ff). Einziger zeitlicher Bezugspunkt in § 43 SGB II ist demgegenüber nach Abs 4 Satz 2 der Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung über den Erstattungsanspruch - hier aufgrund der Entscheidungen des SG vom 10.4.2012 -, der den Beginnzeitpunkt für die längstmögliche Dauer einer - nicht notwendig schon erklärten - Aufrechnung bezeichnet und damit das Ende einer Aufrechnung regelt.

16

b) Durch § 43 SGB II wird den Leistungsträgern nach dem SGB II die erleichterte Durchsetzung von Erstattungs- und Ersatzansprüchen ermöglicht. Leistungsberechtigte nach dem SGB II sind hierdurch vor der Durchsetzung dieser Ansprüche weniger geschützt, als dies nach §§ 51 und 54 SGB I sonst im Sozialrecht und nach § 394 BGB iVm §§ 850 ff ZPO im Zivilrecht der Fall ist. Aufgrund dieser Sonderregelung iS des § 37 Satz 1 Halbsatz 1 SGB I greift - ungeachtet zunächst der Frage nach ihrer Verfassungsmäßigkeit - der Einwand des Klägers nicht, als Bezieher von Alg II sei er zivilrechtlich vor einer Pfändung geschützt und es müsse dieser Schutz auch gegenüber der streitbefangenen Aufrechnung greifen(zur Pfändbarkeit von Alg II vgl BGH Beschluss vom 25.10.2012 - VII ZB 31/12 - juris; BGH Beschluss vom 25.11.2010 - VII ZB 111/09 - juris; vgl auch BSG Urteil vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R - BSGE 112, 85 = SozR 4-4200 § 11 Nr 55).

17

c) Nach § 43 Abs 1 SGB II können die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 42 Abs 2 Satz 2, § 43 Abs 2 Satz 1 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 50 SGB X(Nr 1) oder Ersatzansprüchen nach den §§ 34 oder 34a SGB II(Nr 2). Nach § 43 Abs 2 SGB II beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die auf den §§ 42 und 43 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 10 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, in den übrigen Fällen 30 %(Satz 1). Die Höhe der monatlichen Aufrechnung ist auf insgesamt 30 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt (Satz 2). Soweit die Erklärung einer späteren Aufrechnung zu einem höheren monatlichen Aufrechnungsbetrag als 30 % führen würde, erledigen sich die vorherigen Aufrechnungserklärungen (Satz 3).

18

§ 43 Abs 3 SGB II regelt das Verhältnis mehrerer Aufrechnungen nach dem SGB II zueinander. § 43 Abs 4 SGB II enthält Verfahrensregeln: Die Aufrechnung ist gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären(Satz 1). Sie endet spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs 1 SGB II genannten Entscheidungen folgt(Satz 2). Zeiten, in denen die Aufrechnung nicht vollziehbar ist, verlängern den Aufrechnungszeitraum entsprechend (Satz 3).

19

5. Die angefochtenen Bescheide erfüllen die formellen und materiellen gesetzlichen Voraussetzungen.

20

a) Der Kläger ist vor Erlass des Aufrechnungsbescheides vom 20.11.2012, der in dessen Recht auf Auszahlung der bewilligten Leistungen an ihn (§ 41 Abs 1 Satz 4, § 42 Satz 1 SGB II) eingreift, angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Die Aufrechnung ist ihm gegenüber als leistungsberechtigter Person schriftlich durch diesen Aufrechnungsverwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides erklärt worden (§ 43 Abs 4 Satz 1 SGB II).

21

Einer erneuten Anhörung vor Erlass des Änderungsbescheides vom 3.1.2013 bedurfte es nicht, weil hierdurch weder erstmals in Rechte des Klägers eingegriffen noch ein weiterer eigenständiger Eingriff vorgenommen worden ist, der eine erneute Anhörungspflicht auslöste. Der Bescheid vom 3.1.2013 knüpft an die fortbestehende Aufrechnungserklärung an und passt lediglich die Höhe der monatlichen Aufrechnung von bislang 112,20 Euro auf 114,60 Euro ab 1.2.2013 an, ohne durch diese mit der geänderten Regelbedarfshöhe begründete Anpassung der bereits erklärten Aufrechnung einen neuen Eingriff iS des § 24 Abs 1 SGB X hinzuzufügen(eine erneute Anhörung vor Anpassungsbescheiden erwägend vgl aber Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 150, Stand: Februar 2013).

22

b) Die Aufrechnungserklärung ist inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X). Sie nimmt auf die Erstattungsbescheide vom 21.8.2007 und 10.12.2007 Bezug. Der die Aufrechnungserklärung enthaltende Verfügungssatz des Ausgangsbescheides vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 erklärt eine Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs und bleibt insoweit durch den Änderungsbescheid vom 3.1.2013 unverändert. Der weitere Verfügungssatz des Ausgangsbescheides erklärt eine Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 112,20 Euro monatlich und wird durch den Verfügungssatz des Änderungsbescheides ersetzt, der eine Aufrechnung ab 1.2.2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich erklärt. Jeweils ist hierdurch klar und unzweideutig zu erkennen, mit welcher Forderung aufgerechnet wird, ab wann und in welcher Höhe die Aufrechnung greift.

23

c) Die angefochtenen Bescheide halten die materiellen Vorgaben des § 43 SGB II ein.

24

aa) Der Beklagte konnte als SGB II-Leistungsträger gegen Ansprüche des Klägers auf Alg II aufrechnen und hat vorliegend gegen den Alg II-Anspruch des Klägers in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs aufgerechnet. Ihm standen nach den Feststellungen des LSG iS des § 43 Abs 1 Nr 1, Abs 4 Satz 2 SGB II bestandskräftige Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X gegen den Kläger zu, weshalb die erforderliche Aufrechnungslage iS des § 43 SGB II gegeben war. Dieser steht weder entgegen, dass die Ansprüche des Beklagten vor Inkrafttreten der Neufassung des § 43 SGB II am 1.4.2011 entstanden waren (s dazu unter 4. a), noch, dass der Anspruch des Klägers auf Alg II für künftige Monate noch nicht fällig war, denn es genügt, dass diese Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, lediglich erfüllbar ist (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 72, Stand: Februar 2013).

25

bb) Die Erklärung einer Aufrechnung steht im Ermessen der Leistungsträger (vgl Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 43 RdNr 39). § 43 Abs 1 SGB II bringt mit der Formulierung "können … aufrechnen" nicht nur ein rechtliches Dürfen zum Ausdruck (sog Kompetenz-Kann), sondern stellt das Ob einer Aufrechnung in das Ermessen der Leistungsträger (sog Ermessens-Kann). Das dem Beklagten hierdurch eingeräumte Entschließungsermessen, ob er aufrechnet, hat er erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob er sein Ermessen überhaupt ausgeübt, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

26

Dass der Beklagte sein Ermessen erkannt hat, ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden. Aus den entsprechenden Begründungen ergibt sich zudem, dass der Beklagte die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers berücksichtigt und mit dem Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler, bestehende Forderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln beizutreiben, abgewogen hat. Im Ausgangsbescheid konnten diese Berücksichtigung und Abwägung auf die Aktenlage Bezug nehmen, nachdem der Kläger auf die Anhörung nicht reagiert hatte und sich dem Beklagten offensichtliche Umstände, die bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen waren, nicht aufdrängten. Im Widerspruchsbescheid hat sich der Beklagte mit den vom Kläger vorgetragenen Gründen gegen die Aufrechnung auseinandergesetzt. Dessen Vorbringen, er beziehe laufend Alg II, hat der Beklagte für keinen ausreichenden Grund gehalten, auf eine Aufrechnung zu verzichten, da für eben diese Situation die Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen worden sei. Gründe, von einer Aufrechnung auch nur teilweise abzusehen, hat der Beklagte nicht erkennen können. Sie sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Der Beklagte hat zudem ohne Ermessensfehler bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass der Kläger wegen seiner Veranlassung der zu Unrecht erbrachten Leistungen rechtskräftig wegen Betruges verurteilt worden ist.

27

cc) Die Höhe der vom Beklagten im Grundlagenverwaltungsakt erklärten monatlichen Aufrechnung in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs entspricht der ein Ermessen ausschließenden Vorgabe in § 43 Abs 2 Satz 1 SGB II. Danach beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die nicht auf §§ 42 und 43 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs. Aufgrund dieser Regelung ziehen alle anderen Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X, die nicht einer Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X folgen, eine Aufrechnung in Höhe von 30 % nach sich(BT-Drucks 17/4095 S 35).

28

Vorliegend beruhten die Erstattungsansprüche des Beklagten gegen den Kläger auf keiner dieser abschließend benannten rechtlichen Grundlagen, sondern nach den Feststellungen des LSG auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden wegen vorsätzlich nicht mitgeteilten Einkommens und damit nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3, sondern auf § 45 Abs 1, Abs 2 Satz 3 Nr 2 iVm § 50 SGB X. Die Höhe einer Aufrechnung ist danach mit 30 % des für den Kläger maßgebenden Regelbedarfs gesetzlich bindend vorgegeben und knüpft daran an, dass die der Aufrechnung zugrunde liegende Aufhebungsentscheidung auf einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten beruht (BT-Drucks 17/3404 S 116).

29

Bezug genommen ist für die Höhe der Aufrechnung auf den jeweils maßgebenden Regelbedarf (§ 20 SGB II). Zwar stimmt die Höhe der Aufrechnung in den Ausführungsverwaltungsakten des Beklagten weder durchgehend mit der gesetzlichen Vorgabe noch mit der Aufrechnungserklärung im Grundlagenverwaltungsakt überein. Denn obwohl sich die Höhe des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs während der streitbefangenen Aufrechnung zum 1.1. eines jeden neuen Jahres erhöhte, erklärte der Beklagte für Dezember 2012 und Januar 2013 eine Aufrechnung in Höhe von 112,20 Euro monatlich (was für Dezember 2012, nicht aber für Januar 2013 30 % des Regelbedarfs entsprach) und ab Februar 2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich (was in 2013, nicht aber ab 1.1.2014 30 % des Regelbedarfs entsprach). Doch führt dies auf die Anfechtungsklage des Klägers nicht zur teilweisen Aufhebung der Aufrechnungsentscheidungen. Denn der Kläger ist nicht dadurch beschwert, dass die Höhe der Aufrechnung in den Ausführungsverwaltungsakten zeitweise die im Grundlagenverwaltungsakt zutreffend umgesetzte gesetzliche Vorgabe unterschritt.

30

dd) Da vom LSG keine weiteren Aufrechnungen festgestellt worden sind, sind § 43 Abs 2 Satz 2 und 3 sowie Abs 3 SGB II vorliegend nicht als Maßstäbe für die Überprüfung der streitbefangenen Aufrechnung heranzuziehen.

31

ee) Dass die Aufrechnungsentscheidungen des Beklagten keinen Endzeitpunkt der erklärten Aufrechnung bestimmen, wahrt die Vorgaben des § 43 SGB II. Nach § 43 Abs 4 Satz 2 SGB II endet die Aufrechnung spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in Abs 1 genannten Entscheidungen folgt; Bezug genommen ist damit auf Entscheidungen der Leistungsträger über ihre Ansprüche iS des § 43 Abs 1 SGB II. Dieser Vorgabe ist nicht zu entnehmen, dass das Ende der Aufrechnung im Verwaltungsakt iS des § 43 Abs 4 Satz 1 SGB II zu regeln ist. Dagegen spricht vielmehr, dass nach § 43 Abs 4 Satz 3 SGB II Zeiten, in denen die Aufrechnung nicht vollziehbar ist, den Aufrechnungszeitraum entsprechend verlängern. Das Eintreten solcher Zeiten, etwa aufgrund von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufrechnung, lässt sich indes im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung nicht bereits absehen (zu den Verlängerungstatbeständen vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 164, Stand: Februar 2013). Der Regelungssystematik des § 43 Abs 4 SGB II ist daher zu entnehmen, dass das Ende der Aufrechnung nicht zwingend im Verwaltungsakt zu regeln ist, durch den die Aufrechnung erklärt wird. Der Endzeitpunkt ergibt sich vielmehr aus dem Gesetz ("spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft" der Entscheidung über den Anspruch "folgt"; Zeiten fehlender Vollziehbarkeit "verlängern den Aufrechnungszeitraum"), es sei denn, im Rahmen des Auswahlermessens ("endet spätestens") wird vom Leistungsträger von vornherein eine vom Gesetz abweichende kürzere Dauer der Aufrechnung erklärt; § 43 Abs 4 Satz 2 SGB II zwingt nicht zu einer Ausschöpfung der längstmöglichen Aufrechnungsdauer(vgl BT-Drucks 17/3404 S 117: Aufrechnung kann "längstens bis zum Ablauf von drei Jahren erklärt und vollzogen werden"; vgl auch Burkiczak in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 43 RdNr 43, 45; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 106, 111, 161, Stand: Februar 2013; Hölzer in Estelmann, SGB II, § 43 RdNr 60, Stand: Mai 2015; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 43 SGB II RdNr 17, Stand: Dezember 2012; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 41, 66, Stand: Januar 2015).

32

Wird - wie hier - eine kürzere Dauer nicht erklärt, ist der gesetzliche Endzeitpunkt der laufenden Aufrechnung vom Leistungsträger unter Kontrolle zu halten. Dass der Beklagte sich vorliegend dieser zeitlichen Begrenzung bewusst war und er sich nicht für eine von vornherein verkürzte Aufrechnung entschieden hat, ergibt sich aus den Begründungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid; in diesen wird auf die gesetzliche Regelung und "die maximal mögliche Aufrechnungsdauer von drei Jahren" Bezug genommen. Gründe, weshalb vorliegend die gesetzlich zulässige Aufrechnungsdauer von längstens drei Jahren ermessensfehlerhaft sein könnte, drängen sich dem Senat nicht auf.

33

6. Die gemessen an den gesetzlichen Voraussetzungen rechtmäßige streitbefangene Aufrechnung verletzt den Kläger auch nicht in seinen Grundrechten.

34

a) Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen steht mit Verfassungsrecht in Einklang.

35

aa) Sie ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG) vereinbar, das durch das BVerfG näher konturiert worden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2; BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34).

36

(1) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist als Gewährleistungsrecht von vornherein auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angelegt (vgl näher Aubel, Das Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, in Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 2011, 273; Mayen, Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Gewährleistungsrecht als leistungsrechtliche Grundrechtsdimension, in Sachs/Siekmann, FS Klaus Stern, 2012, 1451). Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen gesetzlichen Leistungsanspruch eingelöst werden, der indes der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber bedarf. Das Gewährleistungsrecht bedingt nicht, dass existenzsichernde Leistungen voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten, und es fordert nicht, die gesetzliche Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zu entwickeln. Bei der Ausgestaltung des Grundrechts steht dem Gesetzgeber vielmehr ein Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen er die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (vgl bereits BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 51, 53 mwN).

37

Gegenstand der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Gewährleistungsrecht durch den Gesetzgeber sind nicht nur die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und das Verfahren ihrer Bemessung und Anpassung. Gegenstand können vielmehr auch Leistungsvoraussetzungen und -ausschlüsse (vgl § 7 SGB II), Leistungsminderungen (vgl §§ 31 ff SGB II) und Leistungsmodalitäten (vgl §§ 37, 41 und 42 SGB II) sein. Bei der Aufrechnung nach § 43 SGB II handelt es sich um eine Leistungsmodalität in diesem Sinne. Unmittelbarer Maßstab für ihre verfassungsrechtliche Prüfung ist nicht, ob die Leistungen evident unzureichend sind und ob sie, sind sie nicht evident unzureichend, durch den Gesetzgeber verfahrensgerecht bemessen worden sind (zur Beantwortung dieser Fragen vgl bereits BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17; BSG Urteil vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 18; BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34). Vielmehr bedarf verfassungsrechtlicher Prüfung, ob gegen bewilligte existenzsichernde Leistungen in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre aufgerechnet werden kann mit bestandskräftigen Erstattungsansprüchen wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen, die auf einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten beruhen. Insoweit ist dem Grundrecht als Gewährleistungsrecht zu entnehmen, dass dem Gesetzgeber das Knüpfen negativer Konsequenzen an vorwerfbares Verhalten von Leistungsberechtigten jedenfalls solange nicht verwehrt ist, wie sichergestellt ist, dass den Betroffenen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (vgl bereits BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 54).

38

(2) Die Aufrechnung nach § 43 SGB II, die die Höhe der Leistungsbewilligung unberührt lässt, aber die bewilligten Leistungen nicht ungekürzt dem Leistungsberechtigten zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung stellt, ist eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts(anderer Auffassung: Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 43 RdNr 23). Sie ist vereinbar sowohl mit der aus diesem Recht folgenden Verpflichtung des Staates dafür Sorge zu tragen, dass den wegen Fehlens der notwendigen materiellen Mittel Hilfebedürftigen diejenigen Mittel zur Verfügung stehen, die für ihre physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind, als auch mit der durch dieses Recht geforderten Befriedigung des elementaren Lebensbedarfs eines Menschen in dem Augenblick, in dem er besteht (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 134, 140 sowie Leitsatz 1 dieses Urteils; BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 98).

39

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass bei der Regelung einer Aufrechnung der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers größer ist, wenn - wie vorliegend - für die Aufrechnung an einen Erstattungsanspruch des Leistungsträgers nach § 45 Abs 2 iVm § 50 SGB X angeknüpft wird. Denn anders als bei einem Erstattungsanspruch nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X wird insoweit nicht nur an einen bloßen Zahlungszufluss beim Leistungsberechtigten angeknüpft, sondern an einen Aufhebungssachverhalt, der von einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten mitgeprägt ist(BT-Drucks 17/3404 S 116; vgl auch Siebel-Huffmann in Groth/Luik/Siebel-Huffmann, Das neue Grundsicherungsrecht, 2011, RdNr 483: Unterscheidung bei der Höhe der Aufrechnung "zwischen sozialwidrigen Fällen und schlichten Überzahlungen"). Zwar dient die Aufrechnung weder der Ahndung dieses Verhaltens noch der Erziehung des Leistungsberechtigten, doch bezieht sie sich auf eine vorwerfbare Veranlassung der Erstattungsforderung durch den Leistungsberechtigten. § 43 SGB II knüpft damit an seine Eigenverantwortung als Mensch, der sein Handeln in Freiheit selbst bestimmt, an. Auch diese Eigenverantwortlichkeit ist Teil der Art 1 Abs 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen (vgl dazu zuletzt BVerfG Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvR 2735/14 - juris RdNr 53 f mwN). Mit Blick hierauf steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch einer Minderung des Alg II-Anspruchs um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs für drei Monate bei Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II oder Meldeversäumnissen nach § 32 SGB II nicht entgegen(BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 50 ff; die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden: BVerfG 1. Senat 3. Kammer Beschluss vom 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15).

40

Im Einzelnen hält sich die Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs in dem durch das Gewährleistungsrecht vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen, weil ihre Ausgestaltung durch den Gesetzgeber in § 43 SGB II selbst als auch durch weitere anwendbare gesetzliche Vorschriften Regelungen aufweist, die die Berücksichtigung persönlicher Umstände des Leistungsberechtigten vor Erklärung und während einer Aufrechnung ermöglichen, und die hinreichend sicherstellen, dass den Betroffenen trotz Einbehaltung von bewilligten Leistungen zur Rückführung vorwerfbar veranlasster Erstattungsforderungen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen:

41

Zum einen steht die Entschließung zur Aufrechnung im Ermessen der Jobcenter und es kann von diesen von einer Aufrechnung ua bei in der Person des Leistungsberechtigten liegenden Gründen abgesehen werden; diese Gründe können so gewichtig sein, dass die allein ermessensfehlerfreie Entscheidung das Absehen von einer Aufrechnung ist (Ermessensreduzierung auf null). Entsprechend hat der Leistungsberechtigte die Möglichkeit, vor der Ermessensentscheidung des Jobcenters Gründe geltend zu machen, die für ein Absehen von der Aufrechnung streiten können und die im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind. Neben einem Absehen von der Aufrechnung kommt als Ermessensbetätigung auch die Erklärung nur einer zeitlich verkürzten Aufrechnung in Betracht. Bei den Ermessenserwägungen zu berücksichtigende Umstände können zB sein das Ausmaß der Vorwerfbarkeit für die Veranlassung der Erstattungsforderung und die Höhe der Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen, die Bereitschaft zu freiwilligen Teilzahlungen oder Ratenzahlungen zur Rückführung der Erstattungsforderung sowie entsprechende Zahlungsbemühungen, die Durchführung von Aufrechnungen bereits in der Vergangenheit oder noch laufende Aufrechnungen, die sich durch eine neue Aufrechnung erledigen würden, das Zusammentreffen von Aufrechnung und Minderung nach §§ 31 ff SGB II und das Zusammenleben mit minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft.

42

Zum anderen kann die erklärte Aufrechnung vor Ablauf ihrer längstmöglichen Dauer iS des § 43 Abs 4 Satz 2 und 3 SGB II vorzeitig beendet werden. Denn sie ist ein Dauerverwaltungsakt und unterliegt als solcher den Vorgaben des § 48 SGB X, insbesondere des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X, § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III, weshalb bei einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen zugunsten des Betroffenen (hier: Eintritt von gegen die Fortdauer der Aufrechnung sprechenden Umständen) die Aufrechnung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist.

43

Zudem sehen § 43 Abs 2 Satz 2 und 3 sowie Abs 3 SGB II Regelungen vor, die zu jedem Zeitpunkt ein Aufsummieren von Aufrechnungen auf über 30 % des maßgebenden Regelbedarfs vermeiden und so eine gesetzliche Höchstgrenze einziehen.

44

Schließlich enthält das SGB II Regelungen, auf deren Grundlage sonst nicht gedeckte, aber aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich zu deckende existenznotwendige Bedarfe während der Aufrechnung durch ergänzende Leistungen gedeckt werden können. Für einmalige Bedarfsspitzen vom Regelbedarf umfasster Bedarfe sieht insoweit § 24 Abs 1 SGB II zur Vermeidung von Deckungslücken eine darlehensweise Leistung vor; nach § 44 SGB II kann der Rückzahlungsanspruch des Jobcenters dem Leistungsberechtigten erlassen werden, wenn dessen Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre; eine Aufrechnung nach § 42a Abs 2 SGB II ist neben einer Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs nach § 43 SGB II ohnehin ausgeschlossen(§ 43 Abs 3 Satz 2 SGB II). Für Härtefallmehrbedarfe sieht § 21 Abs 6 SGB II einen zusätzlichen Leistungsanspruch zum Regelbedarf vor, der als Zuschuss geleistet wird. Mit diesen gesetzlichen Kompensationsmöglichkeiten bei besonderen Bedarfslagen kann verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Härten im Einzelfall begegnet werden.

45

Berücksichtigung verdient letztlich auch, dass im Existenzsicherungsrecht mit § 43 SGB II als § 51 SGB I verdrängender Sonderregelung kein Neuland betreten worden ist(vgl Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 43 RdNr 4 f). Vielmehr steht diese Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts in einer Regelungstradition. Mit § 43 SGB II sollte in Anlehnung an § 25a BSHG die gegenüber § 51 SGB I verschärfte Haftung "bis auf das Unerlässliche" geregelt werden(so zur ersten Entwurfsfassung BT-Drucks 15/1516 S 63), wenn es sich um Ansprüche des Leistungsträgers auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Mit § 25a war dem BSHG ab 27.6.1993 eine Aufrechnungsregelung hinzugefügt worden (FKPG vom 23.6.1993, BGBl I 944). Erfasst werden sollte der typische Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 iVm § 50 SGB X(BT-Drucks 12/4401 S 82). An § 25a BSHG knüpft zudem nicht nur § 43 SGB II, sondern seit 1.1.2005 auch die Aufrechnung nach § 26 SGB XII an. Deren Anwendungsbereich ist gegenüber der Vorgängerregelung im BSHG noch erweitert worden (BT-Drucks 15/1514 S 58).

46

bb) Soweit in der Aufrechnung gegen den Willen des Leistungsberechtigten ein eigenständiger Eingriff in dessen Dispositionsfreiheit als Ausdruck seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs 1 GG liegt, weil ihm die bewilligten Leistungen nicht in voller Höhe zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung gestellt werden, ist dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Denn er wahrt die Vorgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Aufrechnung nach dem SGB II dient mit der Privilegierung der Leistungsträger als Gläubiger einer Erstattungsforderung gegen einen Leistungsberechtigten, der durch vorwerfbares Handeln zu Unrecht existenzsichernde Leistungen erhalten hat, zum einen einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Zum anderen ist die Aufrechnung gegen einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen mit einem Erstattungsanspruch geeignet, diesen Zweck zu erreichen, ohne dass ein gleich geeignetes, aber den Betroffenen weniger belastendes Mittel zur Rückführung einer Erstattungsforderung gegen einen Leistungsberechtigten zur Verfügung steht. Seine Heranziehung zur Erstattung ihm zu Unrecht erbrachter Leistungen gegen seinen Willen wahrt zudem die Grenzen der Angemessenheit. Denn auch im Rahmen der hier vorzunehmenden verfassungsrechtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits des Leistungsträgers und derjenigen, die zu Unrecht erbrachte Leistungen mit ihren Steuern finanzieren, und andererseits der Leistungsberechtigten ist zu beachten, dass die gesetzlichen Regelungen für eine Aufrechnung eine Ermessensausübung und die Möglichkeit ergänzender Leistungen während einer Aufrechnung vorsehen. Den Interessen des Leistungsberechtigten kann durch diese Korrekturoptionen im Einzelfall hinreichend Rechnung getragen werden.

47

cc) Von vornherein scheidet ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG aus. Das Gleichheitsrecht vermag für die gesetzliche Ausgestaltung des Existenzminimums keine weiteren Maßstäbe zu setzen (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 145).

48

Soweit mit der Revision die Privilegierung der Leistungsträger durch die Sonderregelung in § 43 SGB II als gleichheitswidrig im Vergleich zur Aufrechnung gegen andere Sozialleistungen sowie zur Zwangsvollstreckung zwischen Gläubigern und Schuldnern im Zivilrecht gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Gleichheitsrecht nicht schlechterdings vor der unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Situationen in unterschiedlichen Rechtsregimen schützt. Die Aufrechnung im Sozialrecht und die zivilrechtliche Zwangsvollstreckung kennen Schutzregelungen für SGB II-Leistungsberechtigte, denen die Aufrechnung im SGB II zwischen Leistungsträgern und Leistungsberechtigten eben deshalb nicht entspricht, weil ohne diese Sonderregelung Erstattungsforderungen des Leistungsträgers wegen zu Unrecht erbrachter existenzsichernder Leistungen bei laufendem Bezug dieser Leistungen nie gegen den Leistungsberechtigten durchgesetzt werden könnten. Dieser Sachgrund rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung im SGB II; ihre gesetzliche Ausgestaltung ist nicht an Art 3 Abs 1 GG zu messen, sondern - wie geschehen - am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

49

dd) Alles in allem kann sich der Senat nicht die notwendige Überzeugung verschaffen, dass die gesetzliche Ermächtigung des § 43 SGB II zur Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen verfassungswidrig ist(wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.9.2013 - L 19 AS 662/13 - juris RdNr 28 ff; Burkiczak in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 43 RdNr 37; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 43 SGB II RdNr 6, Stand: April 2013; Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 43 RdNr 23; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 122, Stand: Februar 2013; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 64 ff, Stand: Januar 2015; Merten in BeckOK-SGB II, § 43 RdNr 21, Stand: September 2015; anderer Auffassung: Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 43 RdNr 23; zweifelnd: Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 43 SGB II RdNr 3 ff, Stand: Dezember 2012; für eine restriktive Auslegung: Hölzer in Estelmann, SGB II, § 43 RdNr 63 ff, Stand: Mai 2015). Eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG kommt deshalb nicht in Betracht.

50

b) Eine Grundrechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem und für den hier zu entscheidenden Fall.

51

Der Kläger hat sich im Anhörungsverfahren nicht geäußert und im Widerspruchsverfahren keine Gründe gegen die Aufrechnung geltend gemacht, die für ein Absehen von der Aufrechnung oder für eine nur zeitlich verkürzte Aufrechnung streiten könnten. Weder den Feststellungen des LSG noch dem Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Klägers eingetreten ist, die für eine Aufhebung der laufenden Aufrechnung sprechen könnte. Auch ist weder erkennbar noch vom Kläger im Rahmen einer Rüge vorgetragen, dass während der Aufrechnung Bedarfslagen eingetreten und vom Kläger geltend gemacht worden sind, die Ansprüche nach § 24 Abs 1 oder § 21 Abs 6 SGB II auslösten und denen vom Beklagten nicht entsprochen worden ist. Es fehlen damit Anhaltspunkte dafür, dass die zur Überzeugung des Senats verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage des § 43 SGB II im konkreten Fall in einer Weise angewandt worden sein könnte, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang steht.

52

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

(1) Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Absatz 2 sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Absatz 5 des Zehnten Buches nicht. Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt abweichend von Satz 1 die Prüfung für die bei ihr versicherten mitarbeitenden Familienangehörigen vor.

(1a) Die Prüfung nach Absatz 1 umfasst die ordnungsgemäße Erfüllung der Meldepflichten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Künstlersozialabgabe durch die Arbeitgeber. Die Prüfung erfolgt

1.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, die als abgabepflichtige Unternehmer nach § 24 des Künstlersozialversicherungsgesetzes bei der Künstlersozialkasse erfasst wurden,
2.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern mit mehr als 19 Beschäftigten und
3.
bei mindestens 40 Prozent der im jeweiligen Kalenderjahr zur Prüfung nach Absatz 1 anstehenden Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten.
Hat ein Arbeitgeber mehrere Beschäftigungsbetriebe, wird er insgesamt geprüft. Das Prüfverfahren kann mit der Aufforderung zur Meldung eingeleitet werden. Die Träger der Deutschen Rentenversicherung erlassen die erforderlichen Verwaltungsakte zur Künstlersozialabgabepflicht, zur Höhe der Künstlersozialabgabe und zur Höhe der Vorauszahlungen nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz einschließlich der Widerspruchsbescheide. Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Künstlersozialkasse über Sachverhalte, welche die Melde- und Abgabepflichten der Arbeitgeber nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz betreffen. Für die Prüfung der Arbeitgeber durch die Künstlersozialkasse gilt § 35 des Künstlersozialversicherungsgesetzes.

(1b) Die Träger der Rentenversicherung legen im Benehmen mit der Künstlersozialkasse die Kriterien zur Auswahl der nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfenden Arbeitgeber fest. Die Auswahl dient dem Ziel, alle abgabepflichtigen Arbeitgeber zu erfassen. Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfen sind, werden durch die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 im Hinblick auf die Künstlersozialabgabe beraten. Dazu erhalten sie mit der Prüfankündigung Hinweise zur Künstlersozialabgabe. Im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 lässt sich der zuständige Träger der Rentenversicherung durch den Arbeitgeber schriftlich oder elektronisch bestätigen, dass der Arbeitgeber über die Künstlersozialabgabe unterrichtet wurde und abgabepflichtige Sachverhalte melden wird. Bestätigt der Arbeitgeber dies nicht, wird die Prüfung nach Absatz 1a Satz 1 unverzüglich durchgeführt. Erlangt ein Träger der Rentenversicherung im Rahmen einer Prüfung nach Absatz 1 bei Arbeitgebern mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 geprüft werden, Hinweise auf einen künstlersozialabgabepflichtigen Sachverhalt, muss er diesen nachgehen.

(1c) Die Träger der Rentenversicherung teilen den Trägern der Unfallversicherung die Feststellungen aus der Prüfung bei den Arbeitgebern nach § 166 Absatz 2 des Siebten Buches mit. Die Träger der Unfallversicherung erlassen die erforderlichen Bescheide.

(2) Im Bereich der Regionalträger richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Lohn- und Gehaltsabrechnungsstelle des Arbeitgebers. Die Träger der Rentenversicherung stimmen sich darüber ab, welche Arbeitgeber sie prüfen; ein Arbeitgeber ist jeweils nur von einem Träger der Rentenversicherung zu prüfen.

(3) Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Einzugsstellen über Sachverhalte, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen.

(4) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem die Träger der Rentenversicherung ihre elektronischen Akten führen, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 1, 1a und 1c stehen. Die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten dürfen nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern durch die jeweils zuständigen Träger der Rentenversicherung verarbeitet werden.

(5) Die Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Prüfhilfen zu leisten. Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden, sind in die Prüfung einzubeziehen.

(6) Zu prüfen sind auch steuerberatende Stellen, Rechenzentren und vergleichbare Einrichtungen, die im Auftrag des Arbeitgebers oder einer von ihm beauftragten Person Löhne und Gehälter abrechnen oder Meldungen erstatten. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich im Bereich der Regionalträger nach dem Sitz dieser Stellen. Absatz 5 gilt entsprechend.

(6a) Für die Prüfung nach Absatz 1 sind dem zuständigen Rentenversicherungsträger die notwendigen Daten elektronisch aus einem systemgeprüften Entgeltabrechnungsprogramm zu übermitteln; für Daten aus der Finanzbuchhaltung kann dies nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber erfolgen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund bestimmt in Grundsätzen bundeseinheitlich das Nähere zum Verfahren der Datenübermittlung und der dafür erforderlichen Datensätze und Datenbausteine. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das vorher die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anzuhören hat.

(7) Die Träger der Rentenversicherung haben eine Übersicht über die Ergebnisse ihrer Prüfungen zu führen und bis zum 31. März eines jeden Jahres für das abgelaufene Kalenderjahr den Aufsichtsbehörden vorzulegen. Das Nähere über Inhalt und Form der Übersicht bestimmen einvernehmlich die Aufsichtsbehörden der Träger der Rentenversicherung mit Wirkung für diese.

(8) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem der Name, die Anschrift, die Betriebsnummer, der für den Arbeitgeber zuständige Unfallversicherungsträger und weitere Identifikationsmerkmale eines jeden Arbeitgebers sowie die für die Planung der Prüfungen bei den Arbeitgebern und die für die Übersichten nach Absatz 7 erforderlichen Daten gespeichert sind; die Deutsche Rentenversicherung Bund darf die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern und zur Ermittlung der nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz abgabepflichtigen Unternehmer verarbeiten. In das Dateisystem ist eine Kennzeichnung aufzunehmen, wenn nach § 166 Absatz 2 Satz 2 des Siebten Buches die Prüfung der Arbeitgeber für die Unfallversicherung nicht von den Trägern der Rentenversicherung durchzuführen ist; die Träger der Unfallversicherung haben die erforderlichen Angaben zu übermitteln. Die Datenstelle der Rentenversicherung führt für die Prüfung bei den Arbeitgebern ein Dateisystem, in dem neben der Betriebsnummer eines jeden Arbeitgebers, die Betriebsnummer des für den Arbeitgeber zuständigen Unfallversicherungsträgers, die Unternehmernummer nach § 136a des Siebten Buches des Arbeitgebers, das in der Unfallversicherung beitragspflichtige Entgelt der bei ihm Beschäftigten in Euro, die anzuwendenden Gefahrtarifstellen der bei ihm Beschäftigten, die Versicherungsnummern der bei ihm Beschäftigten einschließlich des Beginns und des Endes von deren Beschäftigung, die Bezeichnung der für jeden Beschäftigten zuständigen Einzugsstelle sowie eine Kennzeichnung des Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung gespeichert sind. Sie darf die Daten der Stammsatzdatei nach § 150 Absatz 1 und 2 des Sechsten Buches sowie die Daten des Dateisystems nach § 150 Absatz 3 des Sechsten Buches und der Stammdatendatei nach § 101 für die Prüfung bei den Arbeitgebern speichern, verändern, nutzen, übermitteln oder in der Verarbeitung einschränken; dies gilt für die Daten der Stammsatzdatei auch für Prüfungen nach § 212a des Sechsten Buches. Sie ist verpflichtet, auf Anforderung des prüfenden Trägers der Rentenversicherung

1.
die in den Dateisystemen nach den Sätzen 1 und 3 gespeicherten Daten,
2.
die in den Versicherungskonten der Träger der Rentenversicherung gespeicherten, auf den Prüfungszeitraum entfallenden Daten der bei dem zu prüfenden Arbeitgeber Beschäftigten,
3.
die bei den für den Arbeitgeber zuständigen Einzugsstellen gespeicherten Daten aus den Beitragsnachweisen (§ 28f Absatz 3) für die Zeit nach dem Zeitpunkt, bis zu dem der Arbeitgeber zuletzt geprüft wurde,
4.
die bei der Künstlersozialkasse über den Arbeitgeber gespeicherten Daten zur Melde- und Abgabepflicht für den Zeitraum seit der letzten Prüfung sowie
5.
die bei den Trägern der Unfallversicherung gespeicherten Daten zur Melde- und Beitragspflicht sowie zur Gefahrtarifstelle für den Zeitraum seit der letzten Prüfung
zu verarbeiten, soweit dies für die Prüfung, ob die Arbeitgeber ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, sowie ihre Pflichten als zur Abgabe Verpflichtete nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und ihre Pflichten nach dem Siebten Buch zur Meldung und Beitragszahlung ordnungsgemäß erfüllen, erforderlich ist. Die dem prüfenden Träger der Rentenversicherung übermittelten Daten sind unverzüglich nach Abschluss der Prüfung bei der Datenstelle und beim prüfenden Träger der Rentenversicherung zu löschen. Die Träger der Rentenversicherung, die Einzugsstellen, die Künstlersozialkasse und die Bundesagentur für Arbeit sind verpflichtet, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Datenstelle die für die Prüfung bei den Arbeitgebern erforderlichen Daten zu übermitteln. Sind für die Prüfung bei den Arbeitgebern Daten zu übermitteln, so dürfen sie auch durch Abruf im automatisierten Verfahren übermittelt werden, ohne dass es einer Genehmigung nach § 79 Absatz 1 des Zehnten Buches bedarf. Soweit es für die Erfüllung der Aufgaben der gemeinsamen Einrichtung als Einzugsstelle nach § 356 des Dritten Buches erforderlich ist, wertet die Datenstelle der Rentenversicherung aus den Daten nach Satz 5 das Identifikationsmerkmal zur wirtschaftlichen Tätigkeit des geprüften Arbeitgebers sowie die Angaben über die Tätigkeit nach dem Schlüsselverzeichnis der Bundesagentur für Arbeit der Beschäftigten des geprüften Arbeitgebers aus und übermittelt das Ergebnis der gemeinsamen Einrichtung. Die übermittelten Daten dürfen von der gemeinsamen Einrichtung auch zum Zweck der Erfüllung der Aufgaben nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes genutzt werden. Die Kosten der Auswertung und der Übermittlung der Daten nach Satz 9 hat die gemeinsame Einrichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund zu erstatten. Die gemeinsame Einrichtung berichtet dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 1. Januar 2025 über die Wirksamkeit des Verfahrens nach Satz 9.

(9) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über

1.
den Umfang der Pflichten des Arbeitgebers, der Beschäftigten und der in Absatz 6 genannten Stellen bei Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden,
2.
die Durchführung der Prüfung sowie die Behebung von Mängeln, die bei der Prüfung festgestellt worden sind, und
3.
den Inhalt des Dateisystems nach Absatz 8 Satz 1 hinsichtlich der für die Planung der Prüfungen bei Arbeitgebern und der für die Prüfung bei Einzugsstellen erforderlichen Daten, über den Aufbau und die Aktualisierung dieses Dateisystems sowie über den Umfang der Daten aus diesem Dateisystem, die von den Einzugsstellen und der Bundesagentur für Arbeit nach § 28q Absatz 5 abgerufen werden können.

(10) Arbeitgeber werden wegen der Beschäftigten in privaten Haushalten nicht geprüft.

(11) Sind beim Übergang der Prüfung der Arbeitgeber von Krankenkassen auf die Träger der Rentenversicherung Angestellte übernommen worden, die am 1. Januar 1995 ganz oder überwiegend mit der Prüfung der Arbeitgeber beschäftigt waren, sind die bis zum Zeitpunkt der Übernahme gültigen Tarifverträge oder sonstigen kollektiven Vereinbarungen für die übernommenen Arbeitnehmer bis zum Inkrafttreten neuer Tarifverträge oder sonstiger kollektiver Vereinbarungen maßgebend. Soweit es sich bei einem gemäß Satz 1 übernommenen Beschäftigten um einen Dienstordnungs-Angestellten handelt, tragen der aufnehmende Träger der Rentenversicherung und die abgebende Krankenkasse bei Eintritt des Versorgungsfalles die Versorgungsbezüge anteilig, sofern der Angestellte im Zeitpunkt der Übernahme das 45. Lebensjahr bereits vollendet hatte. § 107b Absatz 2 bis 5 des Beamtenversorgungsgesetzes gilt sinngemäß.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

Tatbestand

1

I. Die vorliegende Beschwerde betrifft das Hauptsacheverfahren zu dem Sachverhalt, in dem der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Beschluss vom 21. Juni 2001 I B 141/00 (BFHE 195, 398) Aussetzung der Vollziehung gewährt hat.

2

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist französischer Staatsbürger und stammt aus dem Übersee-Département Guadeloupe, hatte in den Streitjahren 1992 bis 1996 aber einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Hier betrieb er ein Einzelunternehmen, dessen Gegenstand der Export neuer und gebrauchter Autoreifen war. Ferner war der Kläger alleiniger oder beherrschender Gesellschafter von sechs --strukturell der deutschen GmbH vergleichbaren-- Kapitalgesellschaften französischen Rechts, von denen drei im französischen Mutterland und drei in den Übersee-Départements Guadeloupe und Martinique ihren Sitz hatten. Gegenstand dieser Kapitalgesellschaften war jeweils der Verkauf und die Montage neuer und gebrauchter Reifen.

3

Der Kläger erwarb im Rahmen seines Einzelunternehmens Reifen bei inländischen Händlern und Entsorgungsbetrieben und verkaufte sie "überwiegend" --so die Formulierung in Tz. 5 des Steuerfahndungsberichts vom 31. August 1999-- an die von ihm beherrschten sechs ausländischen Kapitalgesellschaften. In Tz. 9 des Berichts über eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 24. März 1998 ist demgegenüber ausgeführt, der Kläger habe die Reifen "im Wesentlichen" nach Guadeloupe und Martinique und "in geringerem Umfang" in das französische Mutterland exportiert.

4

Er ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. In seine Gewinnermittlungen für die Jahre 1993 und 1994 nahm der Kläger sowohl beim Wareneinkauf als auch bei den Erlösen Lieferungen eines deutschen Reifenherstellers (R) auf, die für die Kapitalgesellschaften auf Martinique bestimmt und von R unmittelbar dorthin ausgeführt worden waren. Im Rahmen einer für die Jahre 1994 bis 1996 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam der Prüfer zu der Auffassung, dass der Kläger insoweit nicht Leistungsempfänger, sondern lediglich in die Abwicklung der Zahlung eingeschaltet gewesen sei. Daher minderte der Prüfer die Erlöse des Jahres 1994 um 395.723 DM. Der Kläger reichte im Anschluss an die Prüfung eine entsprechend geänderte Gewinnermittlung für 1994 ein und berücksichtigte derartige Lieferungen der R in seinen Gewinnermittlungen für 1995 und 1996 von vornherein nicht.

5

Im Januar 1998 führten die französischen Steuerbehörden Durchsuchungsmaßnahmen bei den sechs vom Kläger beherrschten französischen Kapitalgesellschaften wegen des Verdachts auf Steuerverkürzungen durch. Weil dabei umfangreiche Zahlungen nach Deutschland festgestellt wurden, übersandten die französischen Behörden entsprechende Unterlagen an die deutsche Finanzverwaltung. Diese führte im Jahr 1999 eine Steuerfahndungsprüfung beim Kläger durch, in deren Verlauf die beim Kläger vorhandenen Unterlagen (insbesondere Rechnungs- und Frachtbelege) beschlagnahmt wurden.

6

Der Fahndungsprüfer vertrat die Auffassung, die Lieferungen der R seien im Reihengeschäft ausgeführt worden, so dass sie beim Kläger zu erfassen seien. Ferner hätten sich bei Auswertung der beschlagnahmten Rechnungs- und Frachtbelege Erlösdifferenzen ergeben; anhand der Rechnungsnummern sei erkennbar, dass Rechnungen fehlten. Der Prüfer nahm auf der Grundlage des § 1 des Außensteuergesetzes (AStG) eine Hinzurechnung vor, weil er meinte, der Kläger habe bei den Lieferungen an die ihm nahestehenden Auslands-Kapitalgesellschaften Rohgewinnaufschlagsätze angesetzt, die nicht fremdüblich seien. Den nach seiner Auffassung fremdüblichen Rohgewinnaufschlagsatz für Gebrauchtreifen ermittelte der Fahndungsprüfer wie folgt:

7

-       

Angebot eines deutschen Unternehmens an den Kläger vom 22. Juni 1994 über den Verkauf von Reifen mit einer Breite von 135 - 155 mm und einer Profiltiefe von 1 - 3 mm (3 DM pro Reifen) bzw. einer Profiltiefe von 4 - 6 mm (10 DM pro Reifen);

-       

Angebot des Klägers an ein brasilianisches Unternehmen vom 24. September 1994 über den Verkauf von Reifen mit einer Breite von 175 - 205 mm und einer Profiltiefe von mindestens 3 mm (8 DM pro Reifen);

-       

daraus ergebe sich ein Einkaufspreis von 3 DM und ein Verkaufspreis von 8 DM, also ein Aufschlagsatz von 166,67 %;

-       

"zur Abgeltung etwaiger Unsicherheiten" sei der Aufschlagsatz für Gebrauchtreifen auf 80 % zu mindern; bei Vornahme einer Mischkalkulation unter Einbeziehung des geringeren Aufschlagsatzes für Neureifen ergebe sich ein Durchschnittswert von 45 %.

8

Diesen Satz von 45 % legte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheiden vom 28. September 1999 (Streitjahre 1993 bis 1996) bzw. 5. Oktober 1999 (Streitjahr 1992) zugrunde, die zu erheblich höheren Steuerfestsetzungen führten. Ein gegen den Kläger eingeleitetes Steuerstrafverfahren wurde eingestellt.

9

Im anschließenden Einspruchsverfahren stimmte der Kläger zwar der erneuten Erfassung der Lieferungen der R zu, wandte sich aber gegen die Ermittlung des Aufschlagsatzes durch den Prüfer und machte geltend, die Vorschrift des § 1 AStG verstoße gegen Europarecht. Auf Antrag des Klägers setzte der BFH die Vollziehung der angefochtenen Bescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Vereinbarkeit des § 1 AStG mit Europarecht aus (Beschluss in BFHE 195, 398). Das FA wies den Einspruch im Jahr 2009 zurück.

10

Während des Klageverfahrens stellte sich heraus, dass die Steuerfahndung sämtliche Akten, die zu diesem Verfahren bei ihr vorhanden gewesen waren, bereits vernichtet hatte.

11

Die beim Finanzgericht (FG) zuständige Berichterstatterin äußerte gegenüber den Beteiligten erhebliche Zweifel an der Eignung der vom Fahndungsprüfer vorgenommenen Schätzung des Aufschlagsatzes. So hätten sich die beiden für die Schätzung herangezogenen Angebote auf unterschiedliche Reifenqualitäten bezogen und seien daher nicht miteinander vergleichbar; auch dürfte das Verhältnis zwischen Neu- und Gebrauchtreifen in den Jahren 1992 bis 1995 ein anderes gewesen sein als im Jahr 1996, was sich zugunsten des Klägers auswirken würde. In rechtlicher Hinsicht vertrat sie die Auffassung, die europarechtliche Problematik des § 1 AStG sei im Streitfall nicht entscheidungserheblich, weil eine Hinzuschätzung auf § 162 der Abgabenordnung (AO) gestützt werden könne. So seien den Ausführungen in Tz. 7 des Fahndungsberichts erhebliche Anhaltspunkte für eine unvollständige Erklärung der Betriebseinnahmen durch den Kläger zu entnehmen. Wegen des Fehlens jeglicher Unterlagen schlug sie den Beteiligten eine tatsächliche Verständigung unter Zugrundelegung eines Aufschlagsatzes von 25 % auf den im Fahndungsbericht ermittelten Wareneinkauf vor.

12

Der Kläger, der im Verlauf des Klageverfahrens nicht mehr durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde und auch nicht mehr in Deutschland wohnte, lehnte diesen Vorschlag ab. Er erklärte, nicht mehr über Unterlagen zu verfügen, da er sämtliche Dokumente dem FA bzw. der Steuerfahndung ausgehändigt habe. Die Aktenvernichtung durch die Finanzverwaltung nehme ihm die Verteidigungsmöglichkeiten. Der vorgeschlagene Aufschlagsatz von 25 % werde nicht durch Unterlagen gestützt.

13

Auf entsprechendes Befragen durch das FG erklärte der Kläger, es sei möglich, dass sein früherer Prozessbevollmächtigter (P) noch über Handakten verfüge. Dieser verweigere aber wegen nicht bezahlter Honorarrechnungen die Herausgabe. Er entband P auf Verlangen des FG schriftlich von der Verschwiegenheitspflicht.

14

Auf die Bitte des FG, die Handakten zu übersenden, erklärte P telefonisch, wegen der mit der Herausgabe anwaltlicher Handakten verbundenen Risiken benötige er eine ausdrückliche Einverständniserklärung des Klägers. Die vorliegende Entbindung von der Schweigepflicht genüge nicht. Daraufhin fand beim FG eine Beratung zwischen der Berichterstatterin und dem Senatsvorsitzenden statt, die zu dem --in Vermerkform schriftlich niedergelegten-- Ergebnis führte, die Auffassung des P sei "nachvollziehbar"; es sei Sache des Klägers, dem Gericht die seiner Sphäre zuzurechnenden entscheidungserheblichen Tatsachen mitzuteilen. Die Berichterstatterin ordnete gegenüber der Geschäftsstelle an, den Beteiligten die Vermerke über das Telefongespräch mit P sowie über die Beratung "zur Kenntnis" zu übersenden. In den finanzgerichtlichen Akten findet sich lediglich die Kopie eines Übersendungsschreibens an das FA, nicht aber an den Kläger.

15

In der mündlichen Verhandlung, deren Protokoll keinen Hinweis darauf enthält, dass die Frage der fehlenden Unterlagen und der anwaltlichen Handakten nochmals angesprochen worden wäre, stimmte das FA dem Verständigungsvorschlag zu. Der Kläger erklärte, er habe in Deutschland im Grunde nur für seine ausländischen Kapitalgesellschaften Waren eingekauft.

16

Das FG nahm im angefochtenen Urteil eine eigene Hinzuschätzung auf der Grundlage des § 162 AO unter Ansatz eines Aufschlagsatzes von 25 % vor. Dies führte für alle Streitjahre zu einer Herabsetzung der Steuerfestsetzungen; für das Jahr 1992 betrug die Einkommensteuer danach 0 DM.

17

Zur Begründung für die Schätzung führte das FG aus, der Kläger sei als Inhaber eines Handelsgewerbes gemäß § 140 AO von Anfang an buchführungspflichtig gewesen, habe seinen Gewinn aber pflichtwidrig lediglich durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt. Eine weitere Sachaufklärung sei nicht möglich, weil die während der Fahndungsprüfung angelegten "Handakten" vernichtet worden seien und der Kläger ebenfalls keine Unterlagen habe vorlegen können. Allerdings enthalte der Fahndungsbericht "konkrete Feststellungen", die für die Schätzung herangezogen werden könnten. So habe der Prüfer ausgeführt, aus der Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen hätten sich Erlösdifferenzen ergeben (84.852 DM für 1994 und 176.184 DM für 1996). Fehlende Ausgangsrechnungen würden den Schluss nahelegen, dass Rechnungsbeträge nicht gebucht worden seien. Teile der Einnahmen seien nicht laufend, sondern erst nachträglich gebucht worden. Der Kläger habe diese Prüfungsfeststellungen nicht bestritten. Auch der frühere Steuerberater des Klägers habe die Auffassung vertreten, dass die "Buchführung" Mängel aufweise und eine Zuschätzung dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Das FG habe daher keinen Anlass, an der Richtigkeit der Prüfungsfeststellungen zu zweifeln. Der angewendete Aufschlagsatz von 25 % ergebe sich, wenn man die für 1994 und 1996 im Fahndungsbericht erwähnten Erlösdifferenzen, die zu einer Erhöhung des Aufschlagsatzes um 15 % bzw. 20 % führen würden, in Anbetracht der weiteren festgestellten Mängel um einen Sicherheitszuschlag erhöhe. Eine griffweise Schätzung sei hier zulässig, da ein Steuerpflichtiger, der keine Bücher führe, keinen Vorteil daraus ziehen solle, dass das Ausmaß seiner Unterlassung nicht genau feststellbar sei.

18

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

19

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.

20

Während des Beschwerdeverfahrens hat das FA am 30. Juli 2013 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erlassen, mit denen es das finanzgerichtliche Urteil umgesetzt hat.

Entscheidungsgründe

21

II. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die Einkommensteuer 1992 betrifft. Insoweit fehlt es dem Kläger an der für die Einlegung eines Rechtsmittels erforderlichen formellen Beschwer (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 15. Mai 2013 X R 27/11, BFH/NV 2013, 1583), weil bereits das FG die Einkommensteuer auf 0 DM herabgesetzt hat.

22

Die vom Kläger begehrte weitere Herabsetzung der Einkünfte könnte zwar Auswirkungen auf den in das Jahr 1991 vorgenommenen Verlustrücktrag haben. Insoweit hätte der Kläger aber den für das Jahr 1991 ergangenen Einkommensteuerbescheid anfechten müssen, der eine eigene Beschwer entfaltet.

III.

23

Soweit die Beschwerde die Einkommensteuer der Jahre 1993 bis 1996 betrifft, ist sie zulässig und begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

24

1. Zu Recht rügt der Kläger, das FG habe seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt.

25

a) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet in ständiger Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes den Anspruch auf ein faires Verfahren als "allgemeines Prozessgrundrecht" ab (vgl., auch zum Folgenden, BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1998  1 BvR 2194/97, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1998, 2044, und vom 18. Juli 2013  1 BvR 1623/11, NJW 2014, 205). Danach muss der Richter das Verfahren so gestalten, wie die Parteien bzw. Beteiligten es von ihm erwarten dürfen. Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten, insbesondere aber darf er aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Dem Bürger darf das Versagen organisatorischer Vorkehrungen, auf die er keinen Einfluss hat, nicht zur Last gelegt werden. Das Gericht hat bei seiner Überzeugungsbildung, sofern die Erklärung des Beteiligten nicht von vornherein unglaubhaft ist, den Umstand in Rechnung zu stellen, dass es dem Beteiligten aus Gründen, die in der Sphäre einer Behörde liegen, auf deren Tätigkeit er keinen Einfluss hat, unmöglich ist, eine Tatsache glaubhaft zu machen, die ohne das behördliche Versagen unschwer aufzuklären wäre.

26

Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG es beispielsweise beanstandet, dass ein Gericht ein Rechtsmittel mit der Begründung verworfen hat, der Rechtsmittelführer habe den ihm obliegenden Nachweis der Rechtzeitigkeit der Rechtsmitteleinlegung nicht geführt, obwohl die Rechtsmittelschrift unstreitig beim Gericht eingegangen und dort zunächst auch bearbeitet worden war, später aber im Bereich des Gerichts verloren gegangen ist (BVerfG-Beschluss in NJW 1998, 2044).

27

b) Vorliegend hat das FG nicht berücksichtigt, dass in der während des laufenden Verfahrens vorgenommenen Aktenvernichtung eine Verletzung der dem FA obliegenden Mitwirkungspflichten (§ 76 Abs. 1 Satz 2, 3 FGO) zu sehen ist (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 28. November 2007 X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335), und es dem Kläger wegen dieser Aktenvernichtung unmöglich geworden ist, substantiierte inhaltliche Einwendungen gegen die Ausführungen in Tz. 7 des Steuerfahndungsberichts zu erheben, die das FG zur alleinigen Grundlage seiner eigenen Schätzung gemacht hat.

28

aa) Zwar ist weder vom FG festgestellt noch lässt sich den Akten entnehmen, welches Ausmaß die dem FA zuzurechnende Verletzung der Mitwirkungspflicht hat. Teilweise ist davon die Rede, die Steuerfahndung habe "die Akten" vernichtet --worunter auch die beim Kläger beschlagnahmten Unterlagen fallen dürften--, teilweise räumt das FA lediglich ein, "die Handakten" seien vernichtet worden, die wohl nur aus eigenen Aufzeichnungen der Steuerfahndung, nicht aber aus beschlagnahmten Unterlagen bestehen dürften.

29

Der Kläger hatte erklärt, aufgrund der Beschlagnahme selbst nicht mehr über Unterlagen zu verfügen, was vom FG ersichtlich nicht in Zweifel gezogen worden ist. Für Zwecke dieses Beschwerdeverfahrens hat der Senat daher mangels gegenteiliger Erkenntnisse das Vorbringen des Klägers zugrunde zu legen, "die Akten" einschließlich seiner beschlagnahmten Originalunterlagen seien vernichtet worden.

30

bb) Nach der vorstehend unter a) zitierten Rechtsprechung des BVerfG wird der Kernbereich des Rechts auf ein faires Verfahren dadurch gekennzeichnet, dass der Richter "aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern" keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten darf. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht, da das pflichtwidrige Verhalten der Steuerfahndung dem FG nicht zuzurechnen ist.

31

Darüber hinaus hat das BVerfG aber --allgemeiner-- ausgeführt, dem Bürger dürfe auch das Versagen organisatorischer Vorkehrungen, auf das er keinen Einfluss habe, nicht zur Last gelegt werden. Bei der gerichtlichen Überzeugungsbildung sei der Umstand in Rechnung zu stellen, dass es dem Beteiligten aus Gründen, die in der Sphäre "einer Behörde" liegen, unmöglich sei, eine Tatsache glaubhaft zu machen, die ohne das behördliche Versagen unschwer aufzuklären wäre. Eine solche Konstellation ist im Streitfall --auf der Grundlage der im Beschwerdeverfahren nach den Ausführungen unter aa) vorzunehmenden Sachverhaltsunterstellung-- gegeben.

32

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die rechtlichen Maßgaben und Anforderungen, die für die Überzeugungsbildung des Tatrichters gelten, revisionsrechtlich grundsätzlich dem Bereich des materiellen Rechts zuzurechnen sind und Fehler, die der Tatsacheninstanz in diesem Bereich unterlaufen, daher regelmäßig nicht mit der Verfahrensrüge angreifbar sind. Gleichwohl erkennt das BVerfG in seiner vorstehend zitierten Rechtsprechung zu Recht an, dass ein Fehler bei der Überzeugungsbildung, der gerade darin liegt, dass das Gericht behördliches Organisationsversagen, das dem Bürger seine Rechtsverfolgung erheblich erschwert, bei seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt, als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren --und damit nicht allein als materiell-rechtlicher Fehler, sondern zugleich als Verfahrensmangel-- anzusehen ist (vgl. auch die Ausführungen im BVerfG-Beschluss vom 7. September 2011  1 BvR 1460/10, Der Betrieb 2011, 2594, unter III.2.b, wo es das Gericht zumindest für möglich hält, dass bestimmte Kernfragen der Darlegungs- und Beweislast in den Schutzbereich des Justizgewährungsanspruchs fallen). So liegt es auch hier.

33

cc) Das FG hat regelmäßig vorrangig den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären. Wenn dies nicht gelingt, hat es eine Modifizierung des Regelbeweismaßes unter Berücksichtigung von Verletzungen der den Beteiligten obliegenden Mitwirkungspflichten zu erwägen (Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884). Vorliegend hat das FG im ersten Schritt das noch vorhandene Aktenmaterial in umfassender und sehr sorgfältiger Weise ausgewertet und seine --nur noch sehr geringen-- Ermittlungsmöglichkeiten vollständig ausgeschöpft. Es ist zu Recht davon ausgegangen, angesichts der Aktenvernichtung keine Möglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung mehr zu haben. Im zweiten Schritt hätte es aber erwägen müssen, das Regelbeweismaß zu modifizieren. Da das FA die Akten, die sich unstreitig in seinem Machtbereich befunden hatten, wegen vorzeitiger Vernichtung nicht mehr vorlegen konnte, hätte es nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen nahegelegen, die Anforderungen an die Bildung der richterlichen Überzeugung über den Umfang des steuerlichen Fehlverhaltens des Klägers im Vergleich zum Regelbeweismaß zu erhöhen, ebenso wie bei den --in der Praxis häufigeren-- Fällen einer Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen das Beweismaß für die richterliche Überzeugungsbildung im Vergleich zum Regelbeweismaß abzusenken sein wird.

34

Anders als das FA in der Beschwerdeerwiderung meint, kann im Verhalten des Klägers während des Klageverfahrens jedenfalls unter den besonderen Umständen des Streitfalls und beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens keine Verletzung eigener Mitwirkungspflichten gesehen werden. Der Kläger, der erklärt hatte, aufgrund der Beschlagnahme selbst nicht mehr über Unterlagen zu verfügen, hatte P auf das entsprechende Verlangen des FG umgehend und vorbehaltlos von dessen Schweigepflicht entbunden. Zwar reichte dem P diese Erklärung für eine Herausgabe der Handakten nicht aus. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht kann aber nicht darin gesehen werden, dass der --nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene, im Ausland ansässige und daher in erhöhtem Maße der gerichtlichen Fürsorge bedürftige-- Kläger auf die kommentarlose Übersendung des Telefon- und Beratungsvermerks durch das FG nicht reagierte, zumal das FG nur eine Übersendung "zur Kenntnis" verfügt hatte und sich in den Akten weder ein Nachweis der Absendung dieses Schreibens an den Kläger noch ein Hinweis darauf befindet, dass diese Frage in der mündlichen Verhandlung nochmals angesprochen worden sein könnte.

35

Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, welche für den Kläger bestehenden konkreten Handlungsmöglichkeiten das FG vor Augen hatte, als es im Rahmen der Niederlegung des Ergebnisses seiner Zwischenberatung formulierte, es sei Sache des Klägers, dem Gericht die seiner Sphäre zuzurechnenden entscheidungserheblichen Tatsachen mitzuteilen. Dass der Kläger nach Durchführung der Beschlagnahme und Aktenvernichtung durch die Steuerfahndung zu einer solchen Mitteilung überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, hat das FG gerade nicht festgestellt.

36

c) Bei einem solchermaßen im Vergleich zum Regelbeweismaß erhöhten Beweismaß und angesichts der fehlenden Verteidigungsmöglichkeiten des Klägers bieten die Ausführungen in Tz. 7 des Fahndungsberichts keine geeignete Grundlage, um die vom FG vorgenommene Schätzung eines Aufschlagsatzes von 25 % begründen zu können.

37

Gerade der Umstand, dass die Ermittlung des Fremdvergleichspreises durch den Prüfer --wie auch das FG zutreffend erkannt hatte-- grob fehlerhaft war und gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze verstieß, hätte dem FG nahelegen müssen, die weiteren Ausführungen des Fahndungsberichts ebenfalls nicht unkritisch und ungeprüft zu übernehmen.

38

Anders als das FG meint, enthält Tz. 7 des Fahndungsberichts keine "konkreten Feststellungen", die auch ohne Vorlage ergänzender Unterlagen eine Schätzung in der vom FG vorgenommenen Höhe tragen könnten. Zwar ist dort die Rede davon, die "Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen" habe für die Jahre 1994 und 1996 Erlösdifferenzen in betragsmäßig bestimmter Höhe ergeben. In welcher Weise diese Beträge ermittelt worden sind, welche Belege hierfür herangezogen worden sind und wie der Prüfer sichergestellt haben will, nur solche Rechnungen zusätzlich erfasst zu haben, die der Kläger nicht schon selbst der Besteuerung unterworfen hatte, wird aus dem Fahndungsbericht jedoch nicht einmal andeutungsweise erkennbar. Eine auch nur grobe und stichprobenweise eigene Überprüfung der im Fahndungsbericht enthaltenen Ausführungen war dem FG infolge der --dem FA zuzurechnenden-- Aktenvernichtung nicht möglich.

39

Auch die weiteren Angaben im Fahndungsbericht sind zu wenig konkret, um darauf eine Hinzuschätzung in der vom FG für zutreffend erachteten Größenordnung stützen zu können. Der Prüfer führt zwar "fehlende Rechnungsbelege" und "nicht gebuchte Rechnungen" an, äußert sich aber in keiner Weise zum Umfang und Gewicht dieser Mängel. Insbesondere gibt er nicht an, welche Rechnungsnummern nach seiner Auffassung fehlten und in welchem Verhältnis die Anzahl der fehlenden Rechnungen zur Anzahl der vom Kläger insgesamt gestellten Rechnungen stand.

40

Das FG hat sich entscheidend auch deshalb von der Richtigkeit der "Prüfungsfeststellungen" überzeugt gezeigt, weil es die Auffassung vertreten hat, der Kläger habe diese "Feststellungen" nicht bestritten. Dies ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Der Kläger hatte sich lediglich hinsichtlich der (Rechts-)Frage, wer als Erstempfänger der Lieferungen der R anzusehen sei, der Auffassung der Steuerfahndung angeschlossen, die er ursprünglich auch selbst vertreten und seinen Gewinnermittlungen zugrunde gelegt hatte, aber aufgrund der abweichenden durch die Umsatzsteuer-Sonderprüfung geäußerten Rechtsauffassung zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Im Übrigen war er dem Prüfungsbericht --und dabei insbesondere der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach § 1 AStG-- entgegen getreten. Da die vom Fahndungsprüfer vorgenommene Gewinnerhöhung --abgesehen von der unstreitigen erneuten Erfassung der Lieferungen der R-- ausschließlich auf einer Hinzurechnung nach § 1 AStG beruhte, deren betragsmäßige Höhe der Prüfer nach Fremdvergleichsgrundsätzen zu ermitteln versucht hatte, bestand für den Kläger wenig Anlass, näher auf die kaum substantiierten Ausführungen in Tz. 7 des Fahndungsberichts einzugehen, auf die auch der Prüfer selbst das von ihm ermittelte Mehrergebnis nicht gestützt hatte.

41

d) Das FG hat sich für seine Vorgehensweise auf den im BFH-Beschluss vom 3. Februar 2011 V B 132/09 (BFH/NV 2011, 760) enthaltenen Rechtssatz berufen, wonach der Steuerpflichtige keinen Vorteil daraus ziehen solle, dass das Ausmaß seiner Unterlassung nicht feststellbar sei. Diese Aussage bezieht sich indes auf einen Fall, in dem allein der Steuerpflichtige zu vertreten hatte, dass das Ausmaß der Unterlassung nicht mehr feststellbar war. Vorliegend hatte aber --nach Maßgabe der Feststellungen des FG-- das FA zu vertreten, dass keine Unterlagen mehr vorhanden waren, die eine Überprüfung der im Fahndungsbericht enthaltenen --sehr pauschalen-- Ausführungen durch ein unabhängiges Gericht ermöglicht hätten. Diese sehr verschiedenartigen Sachverhalte können nicht nach denselben Grundsätzen beurteilt werden, was das FG verkannt hat.

42

Der Rechtsstaat muss es aushalten können, wenn in einem Einzelfall eine möglicherweise entstandene Steuerschuld nicht mehr festgesetzt werden kann, weil die Beweismittel aufgrund von Organisationsmängeln im Bereich der Finanzverwaltung vernichtet worden sind und sich die vom Steuerpflichtigen angerufenen Gerichte daher kein eigenes Bild vom Sachverhalt mehr machen können. Der Rechtsstaat wäre hingegen in seinem Kern betroffen, wenn eine möglicherweise nicht entstandene Steuerschuld festgesetzt und nur deshalb gerichtlich bestätigt wird, weil das Gericht wegen der unberechtigten Aktenvernichtung durch die Behörde zu einer eigenen und unabhängigen Prüfung des Sachverhalts nicht mehr in der Lage ist.

43

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

44

Für das weitere Verfahren weist der Senat --ohne die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO-- auf die folgenden Punkte hin:

45

a) Da vorliegend keine Ansätze erkennbar sind, die zu einer weiteren Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts und damit zu einer Präzisierung der Schätzungsgrundlagen führen könnten, ist allenfalls eine griffweise Schätzung denkbar. Bei vollständiger Unsicherheit über den Sachverhalt wird die Höhe einer solchen Schätzung wesentlich auch durch das Ausmaß der einem Beteiligten zuzurechnenden Verletzung der Mitwirkungspflichten bestimmt. Von diesen Grundsätzen hat letztlich auch das FG ausgehen wollen.

46

Vor diesem Hintergrund wird vorrangig aufzuklären sein, welches Ausmaß die dem FA zuzurechnende Verletzung der Mitwirkungspflicht tatsächlich hat (siehe oben 1.b aa). Von entscheidender Bedeutung dürfte insoweit sein, ob die zunächst beschlagnahmten Unterlagen dem Kläger vor der Vernichtung der Akten zurückgegeben worden sind; dem stünde es gleich, wenn die Steuerfahndung dem Kläger die Rückgabe der beschlagnahmten Unterlagen angeboten, der Kläger von diesem Angebot aber keinen Gebrauch gemacht hätte. Sollte dies der Fall gewesen sein --was zwar einem häufig praktizierten Ablauf entsprechen würde, wofür aber kein Erfahrungssatz spricht, so dass dieser Ablauf beweisbedürftig bleibt--, wäre nicht nur das Maß der dem FA zuzurechnenden Mitwirkungspflichtverletzung als geringer zu bewerten, sondern zugleich eine eigene Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers gegeben. Denn dieser hätte ihm zurückgegebene Unterlagen in gleicher Weise bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aufbewahren müssen wie das FA.

47

Daher bietet es sich an --sofern das FG entsprechende Ermittlungsansätze sieht--, der Frage nachzugehen, ob beschlagnahmte Unterlagen an den Kläger zurückgegeben worden sind.

48

b) Der Senat hält es --entsprechend der ursprünglichen Auffassung des Fahndungsprüfers, aber entgegen der Auffassung des FG-- durchaus für denkbar, den Sachverhalt am Maßstab des § 1 AStG zu prüfen.

49

Bisher ist nicht erkennbar, ob die Preise (Aufschlagsätze) für die Lieferungen des Klägers an die ihm nahestehenden ausländischen Kapitalgesellschaften einem Fremdvergleich standhalten. Zwar können die fremdüblichen Aufschlagsätze nicht nach der vom Prüfer gewählten Methode ermittelt werden. Möglicherweise sind diese Aufschlagsätze durch Heranziehung branchenbezogener Vergleichsdaten aus dem Streitzeitraum --die in den Akten ansatzweise zu finden sind-- aber immer noch leichter zu ermitteln als die konkreten Ausmaße der in den Gewinnermittlungen des Klägers enthaltenen Unrichtigkeiten.

50

Zu den europarechtlichen Streitfragen weist der Senat darauf hin, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwischenzeitlich zu einer --mit § 1 AStG vergleichbaren-- Norm des belgischen Steuerrechts entschieden hat, es sei denkbar, dass die Berührung der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls (Sicherung der Steuerhoheit) gerechtfertigt sei (EuGH-Urteil vom 21. Januar 2010 C-311/08 --SGI--, Slg. 2010, I-487). Das nationale Gericht müsse sich davon überzeugen, dass die Regelung nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele in ihrer Gesamtheit erforderlich sei. Dabei sei entscheidend, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werde, wirtschaftliche Gründe für die Bedingungen des Geschäfts darzulegen, und sich die steuerliche Berichtigung auf dasjenige beschränke, was ohne das Näheverhältnis vereinbart worden wäre. Es spricht Einiges dafür, dass die Regelung des § 1 AStG diese Voraussetzungen erfüllt (mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen im BFH-Urteil vom 23. Juni 2010 I R 37/09, BFHE 230, 156, BStBl II 2010, 895, unter II.6.a).

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

(1) Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere

1.
Auskünfte jeder Art, auch elektronisch und als elektronisches Dokument, einholen,
2.
Beteiligte anhören, Zeugen und Sachverständige vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten, Sachverständigen und Zeugen einholen,
3.
Urkunden und Akten beiziehen,
4.
den Augenschein einnehmen.
Urkunden und Akten können auch in elektronischer Form beigezogen werden, es sei denn, durch Rechtsvorschrift ist etwas anderes bestimmt.

(2) Die Beteiligten sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken. Sie sollen insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben. Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere eine Pflicht zum persönlichen Erscheinen oder zur Aussage, besteht nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist.

(3) Für Zeugen und Sachverständige besteht eine Pflicht zur Aussage oder zur Erstattung von Gutachten, wenn sie durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist. Eine solche Pflicht besteht auch dann, wenn die Aussage oder die Erstattung von Gutachten im Rahmen von § 407 der Zivilprozessordnung zur Entscheidung über die Entstehung, Erbringung, Fortsetzung, das Ruhen, die Entziehung oder den Wegfall einer Sozialleistung sowie deren Höhe unabweisbar ist. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Recht, ein Zeugnis oder ein Gutachten zu verweigern, über die Ablehnung von Sachverständigen sowie über die Vernehmung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Zeugen oder Sachverständige gelten entsprechend. Falls die Behörde Zeugen, Sachverständige und Dritte herangezogen hat, erhalten sie auf Antrag in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes eine Entschädigung oder Vergütung; mit Sachverständigen kann die Behörde eine Vergütung vereinbaren.

(4) Die Finanzbehörden haben, soweit es im Verfahren nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist, Auskunft über die ihnen bekannten Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Antragstellers, Leistungsempfängers, Erstattungspflichtigen, Unterhaltsverpflichteten, Unterhaltsberechtigten oder der zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder zu erteilen.

(1) Die Behörden der Zollverwaltung und die sie gemäß § 2 Absatz 4 unterstützenden Stellen sind verpflichtet, einander die für deren Prüfungen oder für die Zusammenarbeit nach Absatz 6 erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten und die Ergebnisse der Prüfungen zu übermitteln, soweit deren Kenntnis für die Erfüllung der Aufgaben der Behörden oder Stellen erforderlich ist. Die Behörden der Zollverwaltung einerseits und die Strafverfolgungsbehörden und die Polizeivollzugsbehörden andererseits sind verpflichtet, einander die erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die in Zusammenhang mit einem der in § 2 Abs. 1 genannten Prüfgegenstände stehen, zu übermitteln. An Strafverfolgungsbehörden und Polizeivollzugsbehörden sind darüber hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten zu übermitteln, sofern tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Informationen für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, die nicht in Zusammenhang mit einem der in § 2 Abs. 1 genannten Prüfgegenstände stehen, erforderlich sind.

(2) Die Behörden der Zollverwaltung dürfen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 2 Abs. 1 sowie zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten die Dateisysteme der Bundesagentur für Arbeit über erteilte Arbeitsgenehmigungen-EU und Zustimmungen zur Beschäftigung, über im Rahmen von Werkvertragskontingenten beschäftigte ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie über Leistungsempfänger nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch automatisiert abrufen; die Strafverfolgungsbehörden sind zum automatisierten Abruf nur berechtigt, soweit dies zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erforderlich ist. § 79 Abs. 2 bis 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend. Die Behörden der Zollverwaltung dürfen, soweit dies zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erforderlich ist, Daten aus den Datenbeständen der Träger der Rentenversicherung automatisiert abrufen; § 150 Absatz 5 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt. Die Behörden der Zollverwaltung dürfen, soweit dies zur Vorbereitung und Durchführung von Prüfungen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3 und zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die mit dieser Prüfungsaufgabe zusammenhängen, erforderlich ist, Daten aus folgenden Datenbeständen automatisiert abrufen:

1.
die Datenbestände der gemeinsamen Einrichtungen und der zugelassenen kommunalen Träger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und
2.
die Datenbestände der Bundesagentur für Arbeit als verantwortliche Stelle für die zentral verwalteten IT-Verfahren nach § 50 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch über Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Voraussetzungen für das Abrufverfahren nach Satz 4 sowie die Durchführung des Abrufverfahrens festzulegen.

(3) Die Behörden der Zollverwaltung dürfen die beim Bundeszentralamt für Steuern nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 des Finanzverwaltungsgesetzes vorgehaltenen Daten abrufen, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Prüfungsaufgaben nach § 2 Absatz 1 oder für die damit unmittelbar zusammenhängenden Bußgeld- und Strafverfahren erforderlich ist. Für den Abruf der nach § 30 der Abgabenordnung dem Steuergeheimnis unterliegenden Daten ist ein automatisiertes Verfahren auf Abruf einzurichten. Die Verantwortung für die Zulässigkeit des einzelnen Abrufs trägt die Behörde der Zollverwaltung, die die Daten abruft. Die abrufende Stelle darf die Daten nach Satz 1 zu dem Zweck verarbeiten, zu dem sie die Daten abgerufen hat. Ist zu befürchten, dass ein Datenabruf nach Satz 1 den Untersuchungszweck eines Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe b der Abgabenordnung gefährdet, so kann die für dieses Verfahren zuständige Finanzbehörde oder die zuständige Staatsanwaltschaft anordnen, dass kein Datenabruf erfolgen darf. § 478 Absatz 1 Satz 1 und 2 der Strafprozessordnung findet Anwendung, wenn die Daten Verfahren betreffen, die zu einem Strafverfahren geführt haben. Weitere Einzelheiten insbesondere zum automatischen Verfahren auf Abruf einschließlich der Protokollierung sowie zum Nachweis der aus den Artikeln 24, 25 und 32 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72; L 127 vom 23.5.2018, S. 2) oder § 64 des Bundesdatenschutzgesetzes erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen regelt eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(4) Die Behörden der Zollverwaltung unterrichten die jeweils zuständigen Stellen, wenn sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz Anhaltspunkte ergeben für Verstöße gegen

1.
dieses Gesetz,
2.
das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
3.
Bestimmungen des Vierten und Siebten Buches Sozialgesetzbuch zur Zahlung von Beiträgen,
4.
die Steuergesetze,
5.
das Aufenthaltsgesetz,
6.
die Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder die Meldepflicht nach § 8a des Asylbewerberleistungsgesetzes,
7.
das Bundeskindergeldgesetz,
8.
die Handwerks- oder Gewerbeordnung,
9.
das Güterkraftverkehrsgesetz,
10.
das Personenbeförderungsgesetz,
11.
sonstige Strafgesetze,
12.
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz,
13.
das Mindestlohngesetz,
14.
die Arbeitsschutzgesetze oder
15.
die Vergabe- und Tariftreuegesetze der Länder.
Nach § 5 Absatz 3 Satz 1 in Verwahrung genommene Urkunden sind der Ausländerbehörde unverzüglich zu übermitteln.

(5) Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine nach § 5 Absatz 3 Satz 1 in Verwahrung genommene Urkunde unecht oder verfälscht ist, ist sie an die zuständige Polizeivollzugsbehörde zu übermitteln.

(6) Auf die Zusammenarbeit der Behörden der Zollverwaltung mit Behörden anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und mit Behörden anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum gemäß § 20 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 18 Absatz 2 des Mindestlohngesetzes und § 18 Absatz 6 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes finden die §§ 8a bis 8e des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Verbindung mit den Artikeln 6, 7, 14 bis 18 und 21 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) (ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11),auch in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 11 Unterabsatz 1 Buchstabe c und Unterabsatz 2 und 3 der Richtlinie (EU) 2020/1057 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2020 zur Festlegung besonderer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor und zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (ABl. L 249 vom 31.7.2020, S. 49) Anwendung.

(1) Die Behörden der Zollverwaltung prüfen, ob

1.
die sich aus den Dienst- oder Werkleistungen ergebenden Pflichten nach § 28a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt werden oder wurden,
2.
auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen oder der Vortäuschung von Dienst- oder Werkleistungen Sozialleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch zu Unrecht bezogen werden oder wurden,
3.
die Angaben des Arbeitgebers, die für die Sozialleistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch erheblich sind, zutreffend bescheinigt wurden,
4.
Ausländer und Ausländerinnen
a)
entgegen § 4a Absatz 4 und 5 Satz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes beschäftigt oder beauftragt werden oder wurden oder
b)
entgegen § 284 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beschäftigt werden oder wurden,
5.
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
a)
ohne erforderliche Erlaubnis nach § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ver- oder entliehen werden oder wurden,
b)
entgegen den Bestimmungen nach § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6, § 1a oder § 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ver- oder entliehen werden oder wurden oder
c)
entgegen § 6a Absatz 2 in Verbindung mit § 6a Absatz 3 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft ver- oder entliehen werden oder wurden,
6.
die Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des § 8 Absatz 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eingehalten werden oder wurden,
7.
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden oder wurden,
8.
die Arbeitskraft im öffentlichen Raum entgegen § 5a angeboten oder nachgefragt wird oder wurde und
9.
entgegen § 6a oder § 7 Absatz 1 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft
a)
ein Betrieb oder eine übergreifende Organisation, in dem oder in der geschlachtet wird, Schlachtkörper zerlegt werden oder Fleisch verarbeitet wird, nicht durch einen alleinigen Inhaber geführt wird oder wurde,
b)
die Nutzung eines Betriebes oder einer übergreifenden Organisation, in dem oder in der geschlachtet wird, Schlachtkörper zerlegt werden oder Fleisch verarbeitet wird, ganz oder teilweise einem anderen gestattet wird oder wurde, oder
c)
Personen im Bereich der Schlachtung einschließlich der Zerlegung von Schlachtkörpern sowie im Bereich der Fleischverarbeitung tätig werden oder wurden.
Zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 6 Absatz 4 Nummer 4 prüfen die Behörden der Zollverwaltung im Rahmen ihrer Prüfungen nach Satz 1 auch, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Steuerpflichtige den sich aus den Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 nicht nachgekommen sind. Zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 6 Absatz 4 Nummer 4 und 7 prüfen die Behörden der Zollverwaltung im Rahmen ihrer Prüfungen nach Satz 1 auch, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kindergeldempfänger ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sind.

(2) Die Prüfung der Erfüllung steuerlicher Pflichten nach § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 obliegt den zuständigen Landesfinanzbehörden und die Prüfung der Erfüllung kindergeldrechtlicher Mitwirkungspflichten den zuständigen Familienkassen. Die Behörden der Zollverwaltung sind zur Mitwirkung an Prüfungen der Landesfinanzbehörden und der Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit berechtigt. Grundsätze der Zusammenarbeit der Behörden der Zollverwaltung mit den Landesfinanzbehörden werden von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder im gegenseitigen Einvernehmen geregelt. Grundsätze der Zusammenarbeit der Behörden der Zollverwaltung mit den Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit werden von den Behörden der Zollverwaltung und den Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit im Einvernehmen mit den Fachaufsichtsbehörden geregelt.

(3) Die nach Landesrecht für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach diesem Gesetz zuständigen Behörden prüfen, ob

1.
der Verpflichtung zur Anzeige vom Beginn des selbstständigen Betriebes eines stehenden Gewerbes (§ 14 der Gewerbeordnung) nachgekommen oder die erforderliche Reisegewerbekarte (§ 55 der Gewerbeordnung) erworben wurde,
2.
ein zulassungspflichtiges Handwerk als stehendes Gewerbe selbstständig betrieben wird und die Eintragung in die Handwerksrolle vorliegt.

(4) Die Behörden der Zollverwaltung werden bei den Prüfungen nach Absatz 1 unterstützt von

1.
den Finanzbehörden,
2.
der Bundesagentur für Arbeit, auch in ihrer Funktion als Familienkasse,
3.
der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen,
4.
den Einzugsstellen (§ 28i des Vierten Buches Sozialgesetzbuch),
5.
den Trägern der Rentenversicherung,
6.
den Trägern der Unfallversicherung,
7.
den gemeinsamen Einrichtungen und den zugelassenen kommunalen Trägern nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sowie der Bundesagentur für Arbeit als Verantwortliche für die zentral verwalteten IT-Verfahren nach § 50 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
8.
den nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständigen Behörden,
9.
den in § 71 Abs. 1 bis 3 des Aufenthaltsgesetzes genannten Behörden,
10.
dem Bundesamt für Logistik und Mobilität,
11.
den nach Landesrecht für die Genehmigung und Überwachung des Gelegenheitsverkehrs mit Kraftfahrzeugen nach § 46 des Personenbeförderungsgesetzes zuständigen Behörden,
12.
den nach Landesrecht für die Genehmigung und Überwachung des gewerblichen Güterkraftverkehrs zuständigen Behörden,
13.
den für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden,
14.
den Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder auf Ersuchen im Einzelfall,
15.
den nach Landesrecht für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach diesem Gesetz zuständigen Behörden,
16.
den nach § 14 der Gewerbeordnung für die Entgegennahme der Gewerbeanzeigen zuständigen Stellen,
17.
den nach Landesrecht für die Überprüfung der Einhaltung der Vergabe- und Tariftreuegesetze der Länder zuständigen Prüfungs- oder Kontrollstellen,
18.
den nach Landesrecht für die Entgegennahme der Anmeldung von Prostituierten nach § 3 des Prostituiertenschutzgesetzes und für die Erlaubniserteilung an Prostitutionsgewerbetreibende nach § 12 des Prostituiertenschutzgesetzes zuständigen Behörden,
19.
den nach Landesrecht für die Erlaubniserteilung nach § 34a der Gewerbeordnung zuständigen Behörden und
20.
den gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien im Sinne des § 4 Absatz 2 des Tarifvertragsgesetzes.
Die Aufgaben dieser Stellen nach anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt. Die Prüfungen können mit anderen Prüfungen der in diesem Absatz genannten Stellen verbunden werden; die Vorschriften über die Unterrichtung und Zusammenarbeit bleiben hiervon unberührt. Verwaltungskosten der unterstützenden Stellen werden nicht erstattet.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 75 364,13 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP).

2

Die Klägerin - eine GmbH - betreibt behördlich erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Auf die Arbeitsverträge der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wurden (jedenfalls seit Dezember 2005) die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der CGZP angewandt. Die hierin vorgesehene Vergütung war Bemessungsgrundlage der von der Klägerin für ihre Arbeitnehmer zur Sozialversicherung und an die Bundesagentur für Arbeit (BA) abgeführten Beiträge. Nach einer (ersten) Betriebsprüfung am 16. und 17.3.2009 hatte die Beklagte für den Prüfungszeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 von der Klägerin Beiträge in Höhe von 1889,19 Euro nachgefordert; zugleich waren überzahlte Beiträge in Höhe von 349,50 Euro erstattet worden (Bescheid vom 17.3.2009).

3

Das BAG bestätigte mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Verfassungsbeschwerde verworfen durch Beschluss des BVerfG vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496) die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP (Beschluss des ArbG Berlin vom 1.4.2009 - 35 BV 17008/08 - NZA 2009, 740 = ArbuR 2009, 276; auf mehrere Beschwerden hin bestätigt durch Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg vom 7.12.2009 - 23 TaBV 1016/09 - ArbuR 2010, 172 = BB 2010, 1927). Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2010 auf den Beschluss des BAG hin und führte ua aus, trotz noch fehlender schriftlicher Entscheidungsbegründung sehe sie sich, um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, ... verpflichtet "hiermit fristwahrend Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen".

4

Vom 5. bis 7.3.2012 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung (Prüfungszeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2011) durch. Daraufhin forderte sie die Entrichtung weiterer Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vor dem 31.12.2009 in Höhe von 75 364,13 Euro, da der bei der Klägerin angewandte Tarifvertrag unwirksam gewesen sei, woraus für den Prüfungszeitraum höhere Lohnansprüche der beschäftigten Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) resultierten(Bescheid vom 8.3.2012). Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.6.2012 zurück.

5

Die von der Klägerin hiergegen erhobene - vornehmlich auf Vertrauensschutzerwägungen gestützte - Klage hat das SG abgewiesen: Der Nachforderungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in den Regelungen des SGB IV über Betriebsprüfungen. Für die Höhe des Beitragsanspruchs komme es allein auf den bei den betroffenen Leiharbeitnehmern entstandenen (die tatsächlich gezahlten Entgelte übersteigenden) Entgeltanspruch an. Dieser Entgeltanspruch richte sich hier nach den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers geltenden Bedingungen. Da nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 feststehe, dass die CGZP nicht tariffähig gewesen sei, kämen abweichende Vergütungsregelungen in mit der CGZP geschlossenen Tarifverträgen (die an sich geeignet seien, geringere Entgeltansprüche zu bewirken), nicht zur Anwendung. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Tariffähigkeit der CGZP niemals arbeitsgerichtlich festgestellt worden sei. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin lasse sich nicht auf Regelungen gründen, die allein eine Abweichung von dem Gleichstellungsgebot des § 10 Abs 4 AÜG bezweckten. Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 zumindest eine Nacherhebung für möglich gehalten, weshalb dafür die 30-jährige Verjährungsfrist gelte. Entgegen der Rechtsprechung des Bayerischen LSG habe es einer Aufhebung des nach der vorhergehenden Betriebsprüfung ergangenen Nachforderungsbescheides vom 17.3.2009 nicht bedurft. Die Beklagte sei zur Schätzung der Arbeitsentgelte berechtigt gewesen, da die Klägerin Dokumentationspflichten nicht erfüllt habe. Sachgerecht habe die Beklagte die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgewertet und auf dieser Grundlage die Entgelte der Arbeitnehmer geschätzt, deren konkrete Vergütungsansprüche im Entleiherbetrieb in den Unterlagen nicht ausgewiesen gewesen seien (Urteil vom 25.6.2014).

6

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gemäß Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, zugleich eine Verletzung des nach der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gebotenen Vertrauensschutzes, ferner des Verbots der Rückwirkung nach Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, des § 25 SGB IV, der §§ 3, 9 AÜG sowie von § 28f Abs 1, Abs 2 S 1 und Abs 3 SGB IV: Das SG habe verkannt, dass die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge im Tarifregister eingetragen gewesen seien, und dass sogar die Bundesagentur für Arbeit als nach dem AÜG zuständige Behörde die Anwendung dieser Tarifverträge empfohlen habe. Zugleich hätten Entscheidungen des BAG und des BVerfG sowie Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen in Gesetzgebungsverfahren das Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Tarifverträge gestärkt. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe dagegen eine überraschende rückwirkende verschärfende Rechtsänderung bewirkt, die europarechtlichen Vorgaben sowie innerstaatlich anerkannten Rückwirkungsgrundsätzen widerspreche. Dem einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot verneinenden Beschluss des BVerfG vom 25.4.2015 (Kammerbeschluss - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757) könne nicht gefolgt werden, da er von falschen Annahmen ausgehe. Das SG habe § 25 SGB IV verletzt, weil sie (die Klägerin) weder aufgrund des ausdrücklich gegenwartsbezogenen Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 noch wegen des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 eine Nachzahlung von Beiträgen für zurückliegende Zeiträume habe für möglich halten müssen. Die Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 seien daher - entsprechend einer erhobenen Einrede - verjährt. Ohnedies sei die Beitragsforderung zu hoch bemessen, da die Beklagte zur Ermittlung des Vergleichslohns allein auf eine bestimmte berufliche Qualifikation der Leiharbeitnehmer abstelle, ohne deren individuelle Handicaps zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe die Beklagte ferner gewährte und verbeitragte Zulagen (zB für Verpflegungsaufwand und Fahrtkosten) nicht entgeltdifferenzmindernd berücksichtigt. Die Beklagte sei schließlich zur Entgeltschätzung nicht berechtigt gewesen, weil ihr (der Klägerin) eine Verletzung von Aufzeichnungspflichten nicht angelastet werden könne und es auch an der Kausalität der - vermeintlichen - Verletzung von Aufzeichnungspflichten für die unterbliebene Feststellung der konkreten Beitragshöhe fehle. Die Beklagte sei vielmehr verpflichtet gewesen, den jeweils zutreffenden Vergleichslohn durch Anfragen bei den Entleihern zu ermitteln, habe dies aber rechtswidrig unterlassen.

7

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufzuheben,

 hilfsweise,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bzw das Sozialgericht Hannover zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könne sich die Klägerin angesichts der allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesenen Kompetenz zur Feststellung fehlender Tariffähigkeit für einen Vertrauensschutz nicht auf Handlungen anderer Stellen - zB der Exekutive - berufen. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe zu keiner einen vergangenheitsbezogenen Vertrauensschutz begründenden Rechtsprechungsänderung geführt, wie das BAG selbst und das BVerfG zwischenzeitlich bestätigt hätten. Zuvor ergangene Rechtsprechung habe nämlich durchweg nicht die Tariffähigkeit der CGZP betroffen. Die für Beitragsnachforderungen bei vorsätzlicher Vorenthaltung geltende 30-jährige Verjährungsfrist sei jedenfalls ab Zugang des Schreibens vom 23.12.2010 wegen der schon darin enthaltenen Geltendmachung von Ansprüchen anwendbar. Der von der Klägerin zur Entgeltermittlung für jeden Leiharbeitnehmer geforderte, individuelle Umstände berücksichtigende Gesamtvergleich sei ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand nicht möglich gewesen, weshalb die vorgenommene Schätzung der Beitragshöhe rechtlich nicht zu beanstanden sei.

10

Die vom SG zum Rechtsstreit beigeladenen 25 Kranken- und Pflegekassen haben weder Anträge gestellt noch Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 SGG) der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen begründet.

12

Das Urteil des SG vom 25.6.2014 weist revisionsrechtlich bedeutsame Fehler auf, sodass es aufgehoben werden muss. Der Senat selbst kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang das SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2012 zu Recht vollständig abgewiesen hat sowie ob und ggf in welchem Umfang diese Bescheide rechtmäßig sind. Das führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG nach § 170 Abs 4 S 1 SGG. Die Zurückverweisung an das LSG (und nicht an das SG als Ausgangsgericht) dient der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und entspricht den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Vorstellungen von Klägerin und Beklagter.

13

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem Bescheid vom 8.3.2012 um einen sog Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV handele, weshalb neben der erfolgten notwendigen Beiladungen von Versicherungsträgern noch weitere notwendige Beiladungen hätten vorgenommen werden müssen; dies hat das SG verfahrensfehlerhaft versäumt (hierzu 1.). Demgegenüber hat das SG zutreffend entschieden, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht (hierzu 2.). Auf die in den Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen beruft sich die Beklagte auch nicht etwa schon deshalb zu Unrecht, weil die Feststellung des BAG zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP (zunächst) durch Beschluss vom 14.12.2010 nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte bzw der Umsetzung der hierdurch festgestellten Rechtslage durch die Beklagte ein über die allgemeinen Verjährungsregeln hinausgehender Vertrauensschutz entgegenstünde (hierzu 3.). Gleichwohl ist die Revision im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erfolgreich: Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend selbst darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen und ob sie bei Durchführung der Entgeltschätzung die hieran zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu 4.). Desgleichen vermag der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend darüber zu befinden, ob die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung bezüglich der Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 bereits verjährt war (hierzu 5.).

14

Vorwegzuschicken ist bei alledem, dass der Senat an die vom SG getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden ist (§ 163 SGG); im Rahmen der vorliegenden Sprungrevision sind die mit der Revisionsbegründung zum Teil sinngemäß geltend gemachten Tatsachenrügen ebenso unzulässig (§ 161 Abs 4 SGG) wie in der Begründung des Rechtsmittels teilweise enthaltener neuer Tatsachenvortrag (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 5).

15

1. Das SG hat - ausgehend von unzutreffenden materiell-rechtlichen Erwägungen - notwendige Beiladungen unterlassen. Insoweit handelt es sich um einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel (vgl zB BSG SozR 1500 § 75 Nr 10 S 11 und Nr 21 S 17; BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 22/90 - Die Beiträge 1991, 98, 99 mwN).

16

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und den Gegenstand des Rechtsstreits auch in der Revision bildenden Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV(Regelung idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) handelt. Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten; es ist nicht an die Auslegung eines Bescheides durch das SG gebunden (stRspr - vgl zB BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 - unter Hinweis auf BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 und BFHE 214, 18, 23 mwN; BSG Urteil vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - USK 2012-1, Juris RdNr 21).

17

Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 8.3.2012 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs 1 S 1 und S 5 SGB IV(ebenfalls idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, aaO). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht(S 5).

18

Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (hierzu und zum Folgenden vgl zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 ff mwN). Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs 2 S 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs 2 S 3 und S 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV vor.

19

Dies ist hier der Fall: Die Beklagte hat im Bescheid vom 8.3.2012 nicht nur die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung ausgewiesen, sondern in den Anlagen zum Bescheid die jeweiligen Teilbeträge getrennt nach Versicherungszweigen den einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet. Auf diese Anlagen hat die Beklagte auf Seite 3 des Bescheides unter der Überschrift "Berechnungsanlagen" ausdrücklich hingewiesen und zugleich die Zahlung der nachgeforderten Beiträge an die für den jeweiligen Beschäftigten zuständige Einzugsstelle verlangt.

20

Wegen der erfolgten personenbezogenen Beitragsfestsetzung war - anders als bei Summenbescheiden - die notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der betroffenen Beschäftigten geboten (vgl zB BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4; BSGE 64, 289, 293 = SozR 1300 § 44 Nr 36 S 102; BSG Beschluss vom 15.6.1993 - 12 BK 74/91 - Juris; zuvor bereits aus der Rspr des BSG: SozR 1500 § 75 Nr 15 S 13 mwN und Nr 72 S 87; Urteil vom 16.12.1976 - 12/3/12 RK 23/74 - Breith 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27.1.1977 - 12/3 RK 90/75 - USK 7733 und - 12 RK 8/76 - USK 7727; Urteile vom 23.2.1977 - 12/3 RK 30/75 - USK 7739 und - 12 RK 14/76 - USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28.4.1977 - 12 RK 30/76 - USK 7743 = SozSich 1977, 338; vgl auch zur Beteiligung betroffener Arbeitnehmer durch die Einzugsstelle bei Einleitung eines Verwaltungsverfahrens über das Bestehen von Versicherungspflicht BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1). Das hat das SG verfahrensfehlerhaft unterlassen.

21

Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats die von den Beitragsnachforderungen begünstigten, jeweils zuständigen (Fremd-)Sozialversicherungsträger und die BA zum Rechtsstreit notwendig beizuladen (vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10 mwN; BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 75 RdNr 10f mwN). Dem ist das SG nur teilweise nachgekommen, nämlich allein in Bezug auf Krankenkassen und offenbar nur mit Blick auf ihre Funktion als Einzugsstellen.

22

Die vorbeschriebenen Beiladungen, die im Revisionsverfahren (vgl § 168 S 2 SGG) wegen notwendiger Zurückverweisung auch aus weiteren Gründen (BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14; BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 17) sowie abgeschnittener Äußerungsmöglichkeiten der Betroffenen in der Tatsacheninstanz nicht sachdienlich war, wird nun das LSG vor der erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Dabei könnte es vorliegend (vor allem in Bezug auf die Beschäftigten) vom Verfahren nach § 75 Abs 2a SGG Gebrauch machen, da ausweislich der Anlagen zum angefochtenen Prüfbescheid mehr als 20 Personen beizuladen sind.

23

2. Zutreffend hat das SG angenommen, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die im März 2009 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht, auch soweit diese denselben Zeitraum betreffen. Zu solchen Fallgestaltungen hat der Senat bereits entschieden, dass der entgegenstehenden Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 18.1.2011 - L 5 R 752/08 - Juris = ASR 2011, 250) nicht gefolgt werden kann. Dabei hat er auch die Argumente gegen die einen "Bestandsschutz" aufgrund vorangegangener Betriebsprüfungen ablehnende ständige Rechtsprechung des erkennenden 12. Senats des BSG berücksichtigt, welche die Klägerin unter Hinweis auf Äußerungen in der Literatur (vgl zB Rittweger, DB 2011, 2147 ff; Brand, NZS 2013, 641, 644) noch mit der Klage vorgetragen, jedoch mit der Revision nicht wiederholt hat (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 23 ff; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch vorliegend fest.

24

3. Die mit den angefochtenen Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen sind auch - anders als die Klägerin meint - nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil die durch Beschluss des BAG vom 14.12.2010 rechtskräftig gewordene Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte. Die Beitragsschuld der Klägerin richtet sich nach dem entstandenen Entgeltanspruch (hierzu a). Dieser entsprach während des Zeitraums der vorliegend bestrittenen Nachberechnungen dem im Betrieb eines Entleihers während der Zeit der Überlassung für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers üblichen Arbeitsentgelt (hierzu b). Auf ein etwaiges Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP kann sich die Klägerin demgegenüber nicht berufen (hierzu c).

25

a) In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung liegt bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt zugrunde(§ 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI, § 162 Nr 1 SGB VI, § 342 SGB III, jeweils in den für die streitige Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2011 geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden(§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). Für die Bestimmung des Arbeitsentgelts gilt im Rahmen der Beitragsbemessung grundsätzlich das Entstehungsprinzip. Das für die Sozialversicherung zentrale Entstehungsprinzip hat zum Inhalt, dass Versicherungspflicht und Beitragshöhe bei dem Beschäftigten nach dem arbeitsrechtlich geschuldeten (etwa dem Betroffenen tariflich zustehenden) Arbeitsentgelt zu beurteilen sind - was sich etwa bei untertariflicher Bezahlung auswirkt - und nicht lediglich nach dem einkommensteuerrechtlich entscheidenden, dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossenen Entgelt (stRspr; vgl zuletzt BSGE 115, 265 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1, RdNr 30 mit zahlreichen Nachweisen). Zugleich ist es für die Beitragsbemessung unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch zB wegen tarifvertraglicher Verfallklauseln oder wegen Verjährung vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung nur entscheidend, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als ihm unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen zusteht, dh dann, wenn ihm also über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62 f). Für einen solchen Sachverhalt, der zur Anwendung des Zuflussprinzips führen würde, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.

26

b) Arbeitsrechtlich geschuldet im Sinne des Entstehungsprinzips und damit der Beitragsbemessung im Prüfzeitraum zugrunde zu legen ist das von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt (§ 10 Abs 4 AÜG idF durch Gesetz vom 23.12.2002, BGBl I 4607, bzw ab 30.4.2011 idF durch Gesetz vom 28.4.2011, BGBl I 642). Ein nach § 9 Nr 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigender Tarifvertrag besteht - soweit es den oder die von der Klägerin nach den Feststellungen des SG auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Leiharbeitnehmer angewandten Tarifvertrag bzw Tarifverträge zwischen der AMP und CGZP betrifft - nicht. Dem steht das mit Bindungswirkung auch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit festgestellte Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss dieser Tarifverträge entgegen, was die Unwirksamkeit der Tarifverträge von Anfang an (vgl BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 21 ff) zur Folge hat.

27

Unwirksam sind daher zumindest alle von der CGZP bis zum 14.12.2010 geschlossenen Tarifverträge, denn nach der Rechtsprechung der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit steht rechtskräftig fest, dass die CGZP vom Zeitpunkt ihrer Gründung am 11.12.2002 bis jedenfalls zum 14.12.2010 nicht tariffähig war (für die Zeit vor dem 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; für die Zeit ab 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496; BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; insgesamt vgl auch BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11, aaO, Juris RdNr 20).

28

An diese Feststellungen zur mangelnden Tariffähigkeit der CGZP ist der Senat - wie alle Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - gebunden. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs 2 iVm § 83 Abs 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) angehört worden sind, sondern die Entscheidung entfaltet Wirkung gegenüber jedermann. Insbesondere sind alle Gerichte an einen in einem Verfahren nach § 97 ArbGG ergangenen Ausspruch über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet(so bereits BAG Beschluss vom 23.5.2012, aaO, mwN; vgl nunmehr auch § 97 Abs 3 S 1 ArbGG, mit Wirkung ab 16.8.2014 eingefügt durch Art 2 Nr 4 Buchst d des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.2014, BGBl I 1348).

29

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Rechtskraftwirkung der das Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Entscheidungen des BAG durch die zum 30.4.2011 erfolgte Einfügung von § 3a AÜG durch Art 1 Nr 6 des Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011 (BGBl I 642) wieder entfallen ist (dafür etwa: Lützeler/Bissels, DB 2011, 1636; Lembke, NZA 2011, 1062). Zwar betreffen die streitbefangenen Bescheide der Beklagten einen Prüfzeitraum bis 31.12.2011. Zugleich hat es das SG versäumt im Einzelnen festzustellen, wann die bei der Klägerin im Prüfzeitraum zur Anwendung kommenden Tarifverträge der CGZP geschlossen wurden bzw für welche Zeiträume sie angewandt wurden. Jedoch lässt sich den angefochtenen Bescheiden und den darin in Bezug genommenen Anlagen entnehmen, dass Beitragsnachberechnungen nur für Zeiträume bis 31.12.2009 vorgenommen worden sind. Damit kann es auf die genannte Frage nicht ankommen, denn § 9 Nr 2, § 10 Abs 4 S 2 AÜG setzen einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraus(vgl nur BAG Urteil vom 13.3.2013, aaO, Juris RdNr 20 mwN), was auch auf Grundlage der genannten Rechtsauffassung, die ein Entfallen der Rechtskraft der die fehlende Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Beschlüsse des BAG zum 30.4.2011 vertritt, jedenfalls bis dahin nicht der Fall war.

30

c) Ein etwaiges Vertrauen der Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Personen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BAG (hierzu aa) und des BVerfG (hierzu bb) an. Die von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen (hierzu cc). Schließlich kann die Klägerin Vertrauensschutz gegenüber den streitigen Beitragsnachforderungen auch nicht aus der älteren Rechtsprechung des BSG herleiten (hierzu dd). Vermeintliche europarechtliche Bezüge rechtfertigen - jedenfalls gegenwärtig - keine Vorlage durch den Senat an den EuGH (hierzu ee).

31

aa) Das BAG hat einen Schutz des Vertrauens der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP verneint und hierzu Folgendes ausgeführt (BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 - BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 24 f; BAG Urteil vom 28.5.2014 - 5 AZR 422/12 - AP Nr 37 zu § 10 AÜG = NZA 2014, 1264, Juris RdNr 18 ff): Der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, zwar gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfGE 122, 248, 277 f; vgl dazu auch BAG Urteil vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - Juris RdNr 27 mwN; zur diesbezüglichen Rspr des BSG vgl zB BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr 13; BSGE 95, 141 RdNr 41 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 49). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren aber nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das BAG noch Instanzgerichte hatten in dem dafür nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren zuvor jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision - im Fall des BAG aber auch im vorliegend vom BSG zu entscheidenden Verfahren - herangezogenen Entscheidung (BAG Urteil vom 24.3.2004 - 5 AZR 303/03 - BAGE 110, 79, 87 f) hatte der - beim BAG zuständige - Senat bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das BAG werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch, SR 2012, 159, 161 mwN). Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der BA oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist - so das BAG weiter - nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (Hinweis auf Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl 2010, § 9 RdNr 107 ff mwN; Ulber, NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch, RdA 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbarte, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ging er ein Risiko ein, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisierte.

32

bb) Das BVerfG hat eine gegen die Erstreckung der Feststellung, dass die CGZP nicht tariffähig ist und damit keine wirksamen Tarifverträge abschließen kann, auf Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 gerichtete und im Hinblick auf einen vermeintlichen Vertrauensschutz - im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie die vorliegende Revision - begründete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie offensichtlich unbegründet war (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; die Beschwerde richtete sich gegen BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; BAG Beschluss vom 22.5.2012 - 1 ABN 27/12).

33

Hierzu hat das BVerfG (aaO) ua ausgeführt, dass die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Änderung der Rechtsprechung den im Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG verankerten Vertrauensschutz verletzen kann, in Bezug auf die Rechtsprechung zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht vorlagen. Es fehlte an einem ausreichenden Anknüpfungspunkt für das von den (dortigen) Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Vertrauen. Diese konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das BAG habe in dem Beschluss vom 14.12.2010 nämlich erstmals ausgeführt, dass Gewerkschaften einer Spitzenorganisation iS des § 2 Abs 2 und 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssen. Das entsprach nicht demjenigen, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten. Die bloße Erwartung aber, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet jedoch kein verfassungsrechtlich in Art 20 Abs 3 GG geschütztes Vertrauen. Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte, denn an deren Tariffähigkeit bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel (Hinweis auf Böhm, NZA 2003, 828, 829; Reipen, NZS 2005, 407, 408 f; Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl 2007, § 9 AÜG RdNr 115). Mit den angegriffenen Entscheidungen der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit realisierte sich das "erkennbare Risiko", dass später in einem Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte. Allein der Umstand, dass die genaue Begründung des BAG nicht ohne Weiteres vorhersehbar war, begründete - so das BVerfG weiter - keinen verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Vertrauensschutz. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerinnen in die Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge lässt sich nicht mit dem Verhalten der Sozialversicherungsträger und der BA sowie der Heranziehung dieser Tarifverträge durch das BAG bei der Ermittlung der branchenüblichen Vergütung begründen. Die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung obliegt nämlich allein den Gerichten für Arbeitssachen in dem in § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG geregelten Beschlussverfahren. Das Handeln anderer Stellen sowie die Bezugnahme auf diese Tarifverträge in einem gänzlich anders gelagerten Rechtsstreit waren auch vor dem Hintergrund der bereits damals umstrittenen Tariffähigkeit der CGZP nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 ff).

34

cc) Dieser Rechtsprechung des BAG und BVerfG schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an. Die zuletzt von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.

35

So möchte die Klägerin unterscheiden zwischen (einerseits) rechtsstaatlichem Vertrauensschutz, der durch eine rückwirkende arbeitsgerichtliche Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nach Auffassung der Klägerin verletzt sein könnte - nach den zitierten Entscheidungen des BAG und BVerfG jedoch nicht verletzt ist - und (andererseits) einem weiterreichenden, vom Beschluss des BVerfG vermeintlich nicht betroffenen Vertrauensschutz, den der Einzelne in das staatliche Handeln von Exekutive und Legislative sowie der Rechtsprechung setzen könne. Aber auch unter diesem Blickwinkel fehlt es bereits an einem Tatbestand, an den das geltend gemachte Vertrauen in schützenswerter Weise anknüpfen könnte. Dem steht, wenn es wie hier um Vertrauen in die Tariffähigkeit einer Vereinigung und die hieran geknüpften Rechtsfolgen geht, die bereits von BAG und BVerfG in den vorstehend zitierten Entscheidungen hervorgehobene ausschließliche Zuweisung der Entscheidung hierüber an die Gerichte für Arbeitssachen entgegen, die darüber in dem besonderen Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG zu befinden haben.

36

Andere - insbesondere nach Art 20 Abs 3 GG an das Gesetz gebundene staatliche - Stellen, denen gerade keine eigene Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung oder die Wirksamkeit eines Tarifvertrags zugewiesen ist, haben - jedenfalls soweit es hierauf rechtlich ankommt - bis zur Rechtskraft eines Beschlusses im genannten Verfahren von der Tariffähigkeit einer Vereinigung und der Wirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge auszugehen. Ein Vertrauen darauf, dass diese Stellen im Anschluss an einen auch sie bindenden, die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung feststellenden Beschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht die hiermit rechtlich zwingend verbundenen Folgen umsetzen, wäre daher von vornherein nicht gerechtfertigt und ist nicht schutzwürdig.

37

Zu einem anderen Ergebnis führt weder die Behauptung der Klägerin, die Annahme des BVerfG, die Beschwerdeführerinnen in dem zum Beschluss vom 25.4.2015 führenden Verfahren hätten Kenntnis von der Diskussion um Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gehabt, sei unzutreffend, noch die Behauptung, auch die Annahme des BVerfG, durch die Anwendung der Tarifverträge der CGZP seien die Unternehmen in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze gekommen, entspreche nicht den wahren Verhältnissen. Insoweit verkennt die Klägerin, dass beide Gesichtspunkte die Begründung des BVerfG für seine Ablehnung des geltend gemachten, aus Art 20 Abs 3 GG hergeleiteten Vertrauensschutzes in der Ausprägung eines Rückwirkungsverbots nur ergänzen. In erster Linie fehlt es bereits am notwendigen Anknüpfungspunkt für ein nach Art 20 Abs 3 GG zu schützendes Vertrauen, nämlich einer die Tariffähigkeit der CGZP bestätigenden ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 f; zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, insbesondere dem Erfordernis einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung vgl allgemein BVerfGE 131, 20, 42 mwN zur Rspr des BVerfG).

38

dd) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihr in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG berufen.

39

Zwar hat das BSG entschieden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten anzuwenden ist, wenn dieser aufgrund der "neuen" Rechtsprechung nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebend gewesenen Rechtsprechung beitragsfrei waren (zu diesem Grundsatz: BSGE 51, 31, 36 ff und Leitsatz = SozR 2200 § 1399 Nr 13; wie die Klägerin: Giesen, SGb 2015, 544, 545 f mwN; Rieble, BB 2012, 2945, 2948 mwN). Für das Eingreifen dieses Grundsatzes fehlt es (wiederum) bereits an einer "bisherigen Rechtsprechung", auf die sich ein nach Art 20 Abs 3 GG oder - wie vom BSG damals angenommen - einfachrechtlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu schützendes Vertrauen der Klägerin gründen könnte.

40

Soweit es die Rechtsprechung des BSG betrifft, gibt es keine Entscheidungen, wonach die Nachforderung von Beiträgen für die Vergangenheit generell oder speziell von Beiträgen aus dem Differenzentgelt im Falle nachträglich festgestellter Unwirksamkeit von Tarifverträgen und dadurch bedingter höherer Entgeltansprüche der Arbeitnehmer unzulässig wäre.

41

In Bezug auf die Rechtsprechung des BAG ist der Klägerin (wiederum) entgegenzuhalten, dass dieses Gericht niemals zuvor im Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG positiv die Tariffähigkeit der CGZP und die Wirksamkeit der von dieser geschlossenen Tarifverträge während des Nacherhebungszeitraums festgestellt hatte. Vielmehr ist eine bis dahin ungeklärte Rechtsfrage erstmals durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 geklärt worden, wenn auch das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Klägerin entsprach. Dies gilt auch, soweit sich die Klägerin auf eine vermeintlich überraschende Verschärfung der Anforderungen an die Tariffähigkeit eines Spitzenverbandes durch die Rechtsprechung des BAG beruft (vgl zB auch Rieble, BB 2012, 2945; Giesen, SGb 2015, 544 f mwN). Auch insoweit fehlt es an einer vorangegangenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dann durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 aufgegeben worden wäre und durch die zuvor allein zu schützendes Vertrauen begründet worden sein könnte; weder war die Frage der Ableitung der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation von der Tariffähigkeit ihrer Mitgliedsverbände bis zu diesem Zeitpunkt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen (vgl LArbG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 9.1.2012 - 24 TaBV 1285/11 ua - BB 2012, 1733 = DB 2012, 693) noch gab es eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, derzufolge die vom BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 als entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte bis dahin für die Frage der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation ausdrücklich ohne Bedeutung gewesen wären. Deshalb - sowie mit Blick auf die allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesene Kompetenz zur Feststellung des Fehlens der Tariffähigkeit einer Vereinigung - liegt auch keine rückwirkende Korrektur einer bereits zuvor fragwürdigen Verwaltungspraxis vor, wie sie dem Urteil des BSG vom 27.9.1983 (BSGE 55, 297 = SozR 5375 § 2 Nr 1) zugrunde lag, auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft.

42

ee) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es vorliegend auch keiner Vorlage an den EuGH zur Klärung der Frage, ob die Beitragsnacherhebung wegen "equal pay"-Ansprüchen bei Unanwendbarkeit von der CGZP geschlossener Tarifverträge auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (aaO) vermittelt über die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gegen das Transparenzgebot bei der Richtlinienumsetzung und die Unternehmerfreiheit nach Art 16 Grundrechtecharta verstößt (vgl Rieble, BB 2012, 2945, 2949 ff).

43

Ein nationales letztinstanzliches Gericht - wie vorliegend das BSG - ist zur Vorlage an den EuGH (nur) verpflichtet, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (acte éclairé) und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair). Die Vorlagepflicht steht ua unter dem Vorbehalt, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.5.2012 - 1 BvR 3201/11 - NZA 2013, 164 mwN; EuGH Urteil vom 6.10.1982 - 283/81 - EuGHE 1982, 3415 RdNr 21 - CILFIT).

44

An der Entscheidungserheblichkeit einer - in der Revisionsbegründung allenfalls grob angedeuteten - europarechtlichen Frage fehlt es vorliegend bereits deshalb, weil der Senat unabhängig von deren Beantwortung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen des SG an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Auf diese - noch zu präzisierende - Frage könnte es erst dann ankommen, wenn das LSG (an welches die Sache vorliegend zurückverwiesen wird) nach Feststellung und auf Grundlage aller für eine abschließende Entscheidung nach dem nationalen Recht notwendigen Tatsachen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die angegriffenen Bescheide der Beklagten jedenfalls teilweise rechtmäßig sind. Zudem erscheint es zur Wahrung rechtlichen Gehörs aller Beteiligten geboten, zunächst die notwendigen Beiladungen der betroffenen Arbeitnehmer und der weiteren Versicherungsträger vorzunehmen, um diesen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gelegenheit zur Stellungnahme zu allen sich im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit stellenden entscheidungserheblichen Fragen zu geben.

45

4. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, in welcher Höhe die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden geltend gemachte Beitragsnachforderung rechtmäßig ist. Das SG hat bereits nicht festgestellt, in welcher Höhe die Beitragsforderung auf konkret nachgewiesenen Entgeltansprüchen und in welcher Höhe sie auf Schätzungen beruhte (hierzu a). Insbesondere kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen (hierzu b), und ob sie hierbei die an die Durchführung einer Entgeltschätzung zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu c). Die Feststellungen zu den vorgenannten Punkten muss das LSG nachholen (vgl § 170 Abs 5 SGG).

46

a) Anhand der Feststellungen des angegriffenen SG-Urteils ist für den Senat schon nicht nachvollziehbar, inwieweit die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung auf konkret festgestellten Entgelten oder auf Entgeltschätzungen beruht.

47

Wie dargelegt ist der Bemessung der von der Klägerin für den Prüfzeitraum abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge das von ihr ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt iS von § 10 Abs 4 AÜG zugrunde zu legen(vgl oben II.3.a und b). Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dem nicht entgegen (vgl oben II.3.c). Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des SG stellte die Klägerin anlässlich der Betriebsprüfung im März 2012 einen Aktenordner mit Auskünften der Entleiherunternehmen über Bezüge der Stammarbeitnehmer in den Betrieben zur Verfügung, in welchem - nach Auffassung der Beklagten - die überwiegende Anzahl der "Beschäftigungsverhältnisse" dokumentiert war. Diesen Ordner wertete die Beklagte aus und nahm Schätzungen nur für diejenigen Arbeitnehmer vor, "die in diesen Unterlagen nicht mit konkreten Vergütungsansprüchen im Entleiherbetrieb ausgewiesen waren".

48

Ausgehend davon dürfte ein wesentlicher Teil der Beitragsforderung der Höhe nach nicht zu beanstanden sein. Denn für die in diesem Ordner nachgewiesenen Arbeitnehmerüberlassungen nahm die Beklagte offenkundig keine Schätzung vor; dass die in den von ihr vorgelegten Unterlagen enthaltenen konkreten Vergütungsansprüche nicht zuträfen, hat die Klägerin bisher nicht geltend gemacht. Für eine derartige Unrichtigkeit bestehen auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Jedoch hat das SG diesen Teil der Beitragsforderung weder betragsmäßig festgestellt noch ist der Teil aufgrund der festgestellten Tatsachen bestimmbar; schon deshalb ist der Senat auch bezogen auf diesen Teil der Beitragsforderung an einer abschließenden Entscheidung gehindert.

49

Zudem kann der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen des SG auch nicht entscheiden, ob - wie im Revisionsverfahren gerügt - bestimmte von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern gewährte Zulagen bei der Ermittlung der Differenz zwischen dem von der Klägerin der Beitragsabführung zugrunde gelegten Entgelt und den in Höhe des Vergleichslohns entstandenen konkreten Vergütungsansprüchen differenzmindernd zu berücksichtigen sind. So richtet sich nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 294/12 - AP Nr 25 zu § 10 AÜG = NZA 2013, 1226, Juris RdNr 34 ff) die Berücksichtigung von Aufwendungsersatz beim Gesamtvergleich zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs 4 AÜG danach, ob damit - wenn auch in pauschalierter Form - ein dem Arbeitnehmer tatsächlich entstandener Aufwand, zB für Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, erstattet werden soll (echter Aufwendungsersatz) oder ob die Leistung Entgeltcharakter hat. Echter Aufwendungsersatz ist im Sinne des Arbeitsrechts kein Arbeitsentgelt (BAG, aaO, Juris RdNr 35). Ob solche Zulagen überhaupt gewährt wurden und ggf welchen rechtlichen Charakter sie hatten, hat das SG nicht festgestellt. Das ist vom LSG nachzuholen.

50

b) Ebenso lassen die vom SG getroffenen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht ausreichend erkennen, ob bzw inwieweit die Beklagte die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte schätzen durfte.

51

Die Beklagte war zwar grundsätzlich zur Schätzung der von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern während der jeweiligen Überlassung an einen Entleiherbetrieb geschuldeten Entgelte berechtigt, soweit die Klägerin keine Unterlagen über die konkreten Vergütungsansprüche vorlegen konnte (hierzu aa). Auf ein Verschulden der Klägerin bei der Verletzung ihrer Aufzeichnungspflichten kommt es dafür ebenso wenig an, wie auf deren Kenntnis vom konkreten Inhalt dieser Pflichten (hierzu bb). Jedoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkreten Vergütungsansprüche nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand zu ermitteln sind (hierzu cc). Auch hierzu bedarf es im Rahmen der Befassung der Sache durch das LSG weiterer Feststellungen.

52

aa) Grundsätzlich ist ein Rentenversicherungsträger - vorliegend mithin die Beklagte - im Rahmen der Betriebsprüfung auch zur Schätzung der Entgelte einzelner Beschäftigter berechtigt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 28f RdNr 67 f). Zwar sollte es diese Vorschrift den Gesetzesmaterialien zufolge in erster Linie ermöglichen, die Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheides iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV zu schätzen, wenn aufgrund unzureichender oder fehlender Buchhaltung nicht einmal diese ermittelt werden kann(Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - , BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Dann muss es aber erst recht zulässig sein, im Rahmen der Beitragsüberwachung das Entgelt einzelner Arbeitnehmer zu schätzen, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten zwar eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe.

53

Bestätigt wird diese Auslegung des § 28f Abs 2 S 4 SGB IV durch die spätere Übernahme der Schätzungsbefugnis in § 28h Abs 2 S 2 und 3 SGB IV durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs(vom 30.6.1995, BGBl I 890), durch die ausdrücklich nach dem Vorbild der bis dahin in der Praxis analog angewandten Vorschrift des § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst b) eine vom Erlass eines Summenbescheides unabhängige Schätzungsbefugnis der Einzugsstellen geschaffen wurde.

54

bb) Auch eine solche - mithin grundsätzlich zulässige - Entgeltschätzung bei personenbezogenen Beitragsfestsetzungen erfordert indessen eine "Verletzung der Aufzeichnungspflichten" des Arbeitgebers. Eine solche Verletzung kann hier nicht ohne Weiteres bejaht werden.

55

Dazu ist vielmehr in den Blick zu nehmen, dass es eines Verschuldens des Arbeitgebers insoweit ebenso wenig bedarf (BSGE 89, 158, 161 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 6) wie überhaupt einer Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten Inhalt der ihn treffenden sozialversicherungsrechtlichen Pflicht. Grund dafür ist, dass die ausnahmslose Aufzeichnungspflicht gerade dazu dient, Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend prüfen zu können (vgl Regierungsentwurf SGB IV, aaO, BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Diese Prüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24 mwN; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). Zur Gewährleistung einer vollständigen Beitragsentrichtung ist es aber erforderlich, die Erhebung der vom Arbeitgeber objektiv geschuldeten Beiträge auch dann zu ermöglichen, wenn die Feststellung der genauen Beitragshöhe oder - im hier nicht betroffenen Fall des Summenbescheides - die Zuordnung der Entgelte zu einzelnen Arbeitnehmern wegen - gleich aus welchem Grunde - fehlender oder unvollständiger Aufzeichnungen nicht möglich ist. Der erforderliche Ausgleich (einerseits) der Interessen der Versicherten und Versicherungsträger an einer vollständigen Beitragsfeststellung und -erhebung sowie (andererseits) dem Interesse der Arbeitgeber, nicht im Nachhinein mit unerwarteten Beitragsforderungen belastet zu werden, die sie mit Rücksicht auf § 28g S 3 SGB IV häufig auch hinsichtlich des Versichertenanteils im Ergebnis wirtschaftlich zu tragen haben, erfolgt nach der gesetzlichen Konzeption dabei vorrangig über die Verjährungsregelungen. Diese Regelungen schützen gutgläubige Arbeitgeber vor Nachforderungen von Beiträgen, die nicht innerhalb der vier zurückliegenden Kalenderjahre fällig geworden sind.

56

cc) Näher geprüft werden muss zudem, ob sich die für die Beitragsbemessung den Ausgangspunkt bildenden maßgebenden konkreten Vergütungsansprüche der Leiharbeitnehmer "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln" lassen.

57

Eine Schätzung von Entgelten ist jedoch nicht in jedem Fall fehlender oder fehlerhafter Arbeitgeberaufzeichnungen zulässig, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Eine Befugnis zur Schätzung von Entgelten besteht nur dann, wenn aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Aufzeichnungen des Arbeitgebers - soweit vorliegend relevant - die Beitragshöhe nicht konkret festgestellt werden kann. Die Feststellung der Beitragshöhe muss dabei nicht gänzlich objektiv unmöglich sein; ausdrücklich ordnet § 28f Abs 2 S 3 SGB IV eine Entgeltschätzung vielmehr bereits für den Fall an, dass der prüfende Träger Arbeitsentgelte "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand" ermitteln kann. Damit suspendiert § 28f Abs 2 SGB IV indessen weder die Amtsermittlungspflicht des prüfenden Trägers, noch die Mitwirkungspflichten des zu prüfenden Arbeitgebers (zB nach § 28f Abs 1 und 3, § 28p Abs 5 SGB IV). Dementsprechend haben sich die Träger im Rahmen ihrer Amtsermittlung nach Maßgabe der §§ 20 ff SGB X grundsätzlich sämtlicher in Betracht kommender Beweismittel zu bedienen; insbesondere können sie beim Versicherten selbst, beim Entleiherunternehmen oder bei anderen Stellen und Behörden Auskünfte über die beim Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Beschäftigungsbedingungen einholen. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens weiterer Feststellungen durch den Rentenversicherungsträger unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung, wofür auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 8).

58

Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung - wie sie Gegenstand dieses Rechtsstreits ist - vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers (zu den Anforderungen beim Verzicht auf personenbezogene Feststellungen vgl BSGE 89, 158, 161 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 7 f; vgl auch Werner in jurisPK-SGB IV, aaO, § 28f RdNr 59 f)an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Deshalb wird es wesentlich auch auf die zu erwartende Genauigkeit einer möglichen Schätzung ankommen: Je genauer die Schätzung, desto geringer sind die für den Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile und desto geringer der Ermittlungsaufwand, der noch als verhältnismäßig gelten kann (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75). Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet für sich genommen jedoch noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand; insoweit kann es keine Rolle spielen, ob ein bestimmter Verwaltungsaufwand mehrfach bei einem Arbeitgeber oder jeweils in wenigen Fällen bei mehreren Arbeitgebern anfällt.

59

c) Stellt sich ausgehend von Vorstehendem im Fall heraus, dass eine Schätzung grundsätzlich zulässig ist, so sind auch für deren Durchführung bestimmte rechtliche Anforderungen einzuhalten.

60

Die Schätzung ist so exakt vorzunehmen, wie dies unter Wahrung eines nach den genannten Maßstäben noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwands möglich ist. Sie ist nicht zu beanstanden und - bis zum Nachweis der tatsächlichen Höhe des Arbeitsentgelts (§ 28f Abs 2 S 5 SGB IV)- verbindlich, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (so zur Einkommensprognose nach dem BErzGG vgl BSG SozR 4-7833 § 6 Nr 4 mwN). Innerhalb dieses Rahmens sind die an eine Schätzung zu stellenden Anforderungen wiederum abhängig von einer Abwägung zwischen der Bedeutung einer größeren Genauigkeit der Schätzung für Versicherte und Arbeitgeber und dem mit einem bestimmten Vorgehen verbundenen Verwaltungsaufwand. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75).

61

Diese Notwendigkeit der Abwägung im Einzelfall schließt es aus, eine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die von der Klägerin im Revisionsverfahren aufgeworfene Frage zu geben, ob für die Ermittlung des Vergleichslohns allein auf die berufliche Qualifikation des Leiharbeitnehmers abgestellt werden darf, oder ob hierfür auch dessen "individuelle Handicaps" zu berücksichtigen sind (vgl hierzu etwa Thüsing/Stiebert, Equal Pay in der Arbeitnehmerüberlassung - unter Berücksichtigung des CGZP-Beschlusses in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, 2012, S 67 mwN). Sollte Letzteres - was der Senat hier nicht beantworten muss - arbeitsrechtlich geboten sein, so wären solche "Handicaps" nur dann im Rahmen der Entgeltschätzung zu berücksichtigen, wenn sich deren Vorliegen und deren Auswirkungen auf den Vergleichslohn im Einzelfall mit noch verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand abschätzen ließen.

62

Schließlich sind Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode vom Versicherungsträger in der Begründung seines Bescheides im Einzelnen darzulegen (so bereits BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 3 S 17). Das Fehlen dieser Angaben führt vorliegend allerdings nicht schon ohne Weiteres zur - auch nicht teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen einer fehlenden Begründung des Verwaltungsaktes (§ 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB X), sondern lediglich zur Aufhebung des SG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanzen, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des SG zu dem auf Schätzungen beruhenden Teil der Beitragsforderung (vgl oben II.4.a) auch insoweit an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das LSG - an das der Senat die Sache hier zurückverweist - auch § 41 Abs 2 SGB X zu beachten haben.

63

5. Schließlich kann der Senat wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des SG ebenfalls nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin hinsichtlich der Beiträge für den Zeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2006 erhobene Verjährungseinrede dem insoweit möglicherweise bestehenden Anspruch der Beklagten auf weitere Beiträge für diesen Zeitraum entgegensteht. Insoweit kommt es darauf an, ob Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind und ob Vorsatz aufgrund positiver Kenntnis von der Pflicht zur Beitragsentrichtung unterstellt werden kann (hierzu a). Eine solche Kenntnis wird jedoch weder durch den Inhalt des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 (hierzu b) noch durch den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 vermittelt (hierzu c), das auch keine Hemmung des Fristlaufs bewirkte (hierzu d). Daher sind ua weitere tatrichterliche Feststellungen zur Frage eines möglichen Vorsatzes auf Seiten der Klägerin erforderlich (hierzu e).

64

a) Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Hingegen verjähren solche Ansprüche erst in 30 Jahren (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Der Begriff "vorsätzlich" schließt den bedingten Vorsatz ein (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN). Hierfür ist ausreichend, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35). Die 30-jährige Verjährungsfrist ist auch anzuwenden, wenn ein anfänglich gutgläubiger Beitragsschuldner vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (BSG, aaO, S 34). Der subjektive Tatbestand ist dabei bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und den betreffenden Beitragsschuldner individuell zu ermitteln; die Feststellungslast für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (BSG, aaO, S 35 f). Ist - wie im Idealfall, von dem § 25 SGB IV ausgeht - eine natürliche Person Beitragsschuldner, wird im Regelfall die Feststellung ihrer Kenntnis von der Beitragspflicht und der Umstand, dass die Beiträge nicht (rechtzeitig) gezahlt wurden, genügen, um gleichermaßen feststellen zu können, dass dieser Beitragsschuldner die Beiträge (zumindest bedingt) vorsätzlich vorenthalten hat. Denn die Rechtspflicht zur Beitragszahlung hat zur Folge, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen ist. Aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, folgt aber in aller Regel auch das entsprechende Wollen (im Einzelnen vgl BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 29 ff).

65

"Kenntnis" im vorstehend beschriebenen Sinne ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung der Beiträge verpflichtet zu sein. Solche den Vorsatz indizierende Kenntnis von der Beitragspflicht kann nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (zB bei "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden; sie liegt auch noch nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Demgegenüber muss der Vorsatz bei wenig verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sind und inhaltlich nicht voll deckungsgleich sind, eingehend geprüft und festgestellt werden. Fehler bei der Beitragsentrichtung dürften in diesen Fällen nicht selten nur auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis beruhen. Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der "bewussten Fahrlässigkeit", bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch - im Gegensatz zum bedingt vorsätzlich Handelnden, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt - darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 33, 35 f; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R).

66

Im vorliegenden Fall, in dem es sich bei der Beitragsschuldnerin um eine juristische Person des Privatrechts handelt, kommt es zunächst auf die Kenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs der Klägerin von der Beitragspflicht an. Das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 109, 327, 331; BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 194, 195). Darüber hinaus kann jedoch auch die Kenntnis weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, nämlich dann, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 195 ff; BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 19).

67

b) Nach diesen Grundsätzen kann dem SG nicht gefolgt werden, soweit es einen Vorsatz der Klägerin bezüglich der unterlassenen Beitragsentrichtung schon deshalb bejaht hat, weil mit dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 die naheliegende Möglichkeit bestanden habe, dass auf die Differenz zwischen den gezahlten Arbeitsentgelten und den nach § 10 Abs 4 S 1 AÜG geschuldeten Arbeitsentgelten Beiträge nachzuzahlen waren. Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist allerdings die Aussage des SG, die Vorlage von Unterlagen über die Löhne in Entleiherbetrieben belege, dass die Klägerin zumindest die Nacherhebung von Beiträgen für möglich gehalten habe. Gleiches gilt auch für die damit verbundene, unausgesprochene Annahme, die Vorstellung von der Möglichkeit einer Beitragserhebung habe (wenn auch nicht unbedingt vor dem 1.1.2011) bei zumindest einer deren Zurechnung zur Klägerin ermöglichenden Person vorgelegen.

68

Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragserhebung steht jedoch dem vorsatzindizierenden sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge nicht gleich. Insbesondere kann selbst nach der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses vom 14.12.2010 zu Anfang des Jahres 2011 ein solches sichereres Wissen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, weil - umgangssprachlich ausgedrückt - jeder informierte Mensch nunmehr genau gewusst hätte, dass Beiträge auch für diese Jahre nachzuzahlen waren. Eine solche Unterstellung scheidet schon wegen der seinerzeit auch arbeitsrechtlich noch nicht abschließend geklärten Frage nach der zeitlichen Wirkung eines im Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4, § 97 Abs 1 ArbGG ergangenen Beschlusses aus. Das Bestehen einer unsicheren Rechtslage wird bereits durch die erhebliche Zahl von Aussetzungsbeschlüssen verschiedener ArbGe und LArbGe nach § 97 Abs 5 ArbGG zur Klärung der Frage der Tariffähigkeit der CGZP zu verschiedenen Zeitpunkten vor Ergehen des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 belegt, ebenso durch die hiermit zusammenhängende Diskussion (vgl zB LArbG Hamm Beschluss vom 28.9.2011 - 1 TA 500/11 - Juris RdNr 17 ff mit zahlreichen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum; nachgehend BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 und BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; vgl auch Berchtold, SozSich 2012, 70, 72).

69

Vor diesem Hintergrund kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung beruflich betreibende Personen allgemein die Möglichkeit einer Pflicht zur Beitragszahlung auch für zurückliegende Zeiträume erkannten. Es kann aber jedenfalls für die hier entscheidungserhebliche Zeit bis einschließlich 31.12.2010 nicht im Sinne eines vorsatzindizierenden Wissens schlechthin unterstellt werden, dass solche Personen nicht auf eine Klärung der Rechtslage zu ihren Gunsten vertrauten und deshalb mit der nicht nachgeholten Zahlung dieser Beiträge eine Verletzung ihrer Beitragsabführungspflichten billigend in Kauf nahmen.

70

c) Etwas anderes folgt zum Nachteil der Klägerin auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010.

71

In diesem - nach gleichem Muster bundesweit an zahlreiche Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung versandten - Schreiben erläuterte die Beklagte unter Hinweis auf eine beigefügte Presseerklärung des BAG, dass die CGZP nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 nicht tariffähig sei und deshalb keine Tarifverträge habe abschließen können, welche geeignet gewesen seien, in der Zeitarbeitsbranche vom "equal pay"-Prinzip abzuweichen. Weiter führte die Beklagte wörtlich aus:

        

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns deshalb verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen."

72

Soweit es die Frage eines die Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist auslösenden Bösgläubigkeit angeht, war dieses Schreiben der Beklagten lediglich geeignet, dem Empfänger das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragsabführungspflicht für "equal pay"-Ansprüche auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zu verschaffen. Die gewählten Formulierungen vermitteln selbst schon nicht einmal das eigene sichere Wissen der Beklagten um die rückwirkenden Folgen des BAG-Beschlusses, sondern die Äußerung einer - seriösem ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln auch entsprechenden - eher abwartenden und zurückhaltenden Tendenz, die den Gesichtspunkt der Wahrung eigener Rechte in den Vordergrund rückt. Schließlich wird in dem Schreiben auch des Weiteren nur auf die Pflicht der Adressaten zur "Prüfung" ihrer Beitrags- und Meldepflichten hingewiesen. Ein vorsatzindizierendes "sicheres" Wissen um die Verpflichtung, diese Beiträge abführen zu müssen, konnte damit bei verständiger Würdigung nicht vermittelt werden, was schon aus den in diesem Schreiben enthaltenen - zutreffenden - Hinweisen auf die fehlende Entscheidungsbegründung des BAG und - nicht nur deshalb - die fortbestehende Unsicherheit bezüglich dieser Frage folgt (hierüber hinausgehend - auch im Hinblick auf eine Pressemitteilung der Beklagten vom 21.12.2010 - Schlegel, NZA 2011, 380, 383). All dies schließt gleichwohl im Einzelfall die Annahme zumindest bedingten Vorsatzes aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellung anderer, ein individuelles Vertrauen der Klägerin auf einen aus ihrer Sicht "guten Ausgang" widerlegender Tatsachen nicht von vornherein aus.

73

d) Das Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010 war auch nicht geeignet, die drohende Verjährung von im Jahre 2006 fälligen Beitragsansprüchen mit Ablauf des 31.12.2010 zu hemmen. Hierzu hätte es nämlich des Erlasses eines Beitragsbescheides oder jedenfalls der tatsächlichen Vornahme einer Arbeitgeberprüfung (§ 25 Abs 2 S 2 SGB IV) bzw bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge der Einleitung eines Beitragsverfahrens (§ 198 SGB VI) bedurft. Letzteres erfordert die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass insbesondere eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (§ 8 SGB X). Das genannte Schreiben der Beklagten erfüllt keinen dieser Hemmungstatbestände. Insbesondere wurde hierdurch weder bereits ein Prüf- noch ein Beitragsverfahren eingeleitet. Vielmehr wurde lediglich erst die spätere Durchführung einer Arbeitgeberprüfung im Jahr 2011 angekündigt.

74

e) Ob der Klägerin in Bezug auf eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung das Verschulden von Personen zugerechnet werden kann, die in der Zeit vor dem 1.1.2011 nicht nur um die Möglichkeit einer (Nach-)Zahlungspflicht von weiteren Beiträgen für die Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 wussten, sondern eine Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf genommen hatten, hat das SG - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht festgestellt. Tatrichterlich sind insoweit die konkreten Umstände zur inneren (subjektiven) Seite beim Beitragsschuldner festzustellen und zu würdigen. Dies führt auch bezüglich des möglicherweise verjährten Teils der Beitragsforderung zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zwecks Ermittlung eines möglichen, eine 30-jährige Verjährungsfrist auslösenden Vorsatzes ( vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7; BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R ).

75

Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, dass die bis 31.12.2006 fälligen Beitragsansprüche verjährt sind, wird es weiter auch zu prüfen haben, ob dies die Beitragsansprüche für den Monat Dezember 2006 vollständig mitumfasst oder ob ein Teil dieser Ansprüche nach § 23 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB IV(idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) erst im Januar 2007 fällig wurde.

76

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

77

7. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.

(1) Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind.

(2) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung ist für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt; diese Hemmung der Verjährung bei einer Prüfung gilt auch gegenüber den auf Grund eines Werkvertrages für den Arbeitgeber tätigen Nachunternehmern und deren weiteren Nachunternehmern. Satz 2 gilt nicht, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die prüfende Stelle zu vertreten hat. Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung. Kommt es aus Gründen, die die prüfende Stelle nicht zu vertreten hat, zu einem späteren Beginn der Prüfung, beginnt die Hemmung mit dem in der Prüfungsankündigung ursprünglich bestimmten Tag. Die Sätze 2 bis 5 gelten für Prüfungen der Beitragszahlung bei sonstigen Versicherten, in Fällen der Nachversicherung und bei versicherungspflichtigen Selbständigen entsprechend. Die Sätze 1 bis 5 gelten auch für Prüfungen nach § 28q Absatz 1 und 1a sowie nach § 251 Absatz 5 und § 252 Absatz 5 des Fünften Buches.

(1) Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Eine jeweils gesonderte Abrundung rückständiger Beiträge und Beitragsvorschüsse unterschiedlicher Fälligkeit ohne vorherige Addition ist zulässig. Bei einem rückständigen Betrag unter 150 Euro ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert anzufordern wäre. Für die Erhebung von Säumniszuschlägen in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt § 169 des Siebten Buches.

(1a) (weggefallen)

(2) Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

(3) Hat der Zahlungspflichtige ein Lastschriftmandat zum Einzug der Beiträge erteilt, so sind Säumniszuschläge zu erheben, wenn der Beitragseinzug aus Gründen, die vom Zahlungspflichtigen zu vertreten sind, nicht ausgeführt werden kann oder zurückgerufen wird. Zusätzlich zum Säumniszuschlag soll der Gläubiger vom Zahlungspflichtigen den Ersatz der von einem Geldinstitut erhobenen Entgelte für Rücklastschriften verlangen; dieser Kostenersatz ist wie die Gebühren, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Beitragsansprüchen erhoben werden, zu behandeln.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 75 364,13 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP).

2

Die Klägerin - eine GmbH - betreibt behördlich erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Auf die Arbeitsverträge der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wurden (jedenfalls seit Dezember 2005) die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der CGZP angewandt. Die hierin vorgesehene Vergütung war Bemessungsgrundlage der von der Klägerin für ihre Arbeitnehmer zur Sozialversicherung und an die Bundesagentur für Arbeit (BA) abgeführten Beiträge. Nach einer (ersten) Betriebsprüfung am 16. und 17.3.2009 hatte die Beklagte für den Prüfungszeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 von der Klägerin Beiträge in Höhe von 1889,19 Euro nachgefordert; zugleich waren überzahlte Beiträge in Höhe von 349,50 Euro erstattet worden (Bescheid vom 17.3.2009).

3

Das BAG bestätigte mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Verfassungsbeschwerde verworfen durch Beschluss des BVerfG vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496) die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP (Beschluss des ArbG Berlin vom 1.4.2009 - 35 BV 17008/08 - NZA 2009, 740 = ArbuR 2009, 276; auf mehrere Beschwerden hin bestätigt durch Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg vom 7.12.2009 - 23 TaBV 1016/09 - ArbuR 2010, 172 = BB 2010, 1927). Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2010 auf den Beschluss des BAG hin und führte ua aus, trotz noch fehlender schriftlicher Entscheidungsbegründung sehe sie sich, um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, ... verpflichtet "hiermit fristwahrend Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen".

4

Vom 5. bis 7.3.2012 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung (Prüfungszeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2011) durch. Daraufhin forderte sie die Entrichtung weiterer Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vor dem 31.12.2009 in Höhe von 75 364,13 Euro, da der bei der Klägerin angewandte Tarifvertrag unwirksam gewesen sei, woraus für den Prüfungszeitraum höhere Lohnansprüche der beschäftigten Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) resultierten(Bescheid vom 8.3.2012). Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.6.2012 zurück.

5

Die von der Klägerin hiergegen erhobene - vornehmlich auf Vertrauensschutzerwägungen gestützte - Klage hat das SG abgewiesen: Der Nachforderungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in den Regelungen des SGB IV über Betriebsprüfungen. Für die Höhe des Beitragsanspruchs komme es allein auf den bei den betroffenen Leiharbeitnehmern entstandenen (die tatsächlich gezahlten Entgelte übersteigenden) Entgeltanspruch an. Dieser Entgeltanspruch richte sich hier nach den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers geltenden Bedingungen. Da nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 feststehe, dass die CGZP nicht tariffähig gewesen sei, kämen abweichende Vergütungsregelungen in mit der CGZP geschlossenen Tarifverträgen (die an sich geeignet seien, geringere Entgeltansprüche zu bewirken), nicht zur Anwendung. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Tariffähigkeit der CGZP niemals arbeitsgerichtlich festgestellt worden sei. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin lasse sich nicht auf Regelungen gründen, die allein eine Abweichung von dem Gleichstellungsgebot des § 10 Abs 4 AÜG bezweckten. Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 zumindest eine Nacherhebung für möglich gehalten, weshalb dafür die 30-jährige Verjährungsfrist gelte. Entgegen der Rechtsprechung des Bayerischen LSG habe es einer Aufhebung des nach der vorhergehenden Betriebsprüfung ergangenen Nachforderungsbescheides vom 17.3.2009 nicht bedurft. Die Beklagte sei zur Schätzung der Arbeitsentgelte berechtigt gewesen, da die Klägerin Dokumentationspflichten nicht erfüllt habe. Sachgerecht habe die Beklagte die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgewertet und auf dieser Grundlage die Entgelte der Arbeitnehmer geschätzt, deren konkrete Vergütungsansprüche im Entleiherbetrieb in den Unterlagen nicht ausgewiesen gewesen seien (Urteil vom 25.6.2014).

6

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gemäß Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, zugleich eine Verletzung des nach der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gebotenen Vertrauensschutzes, ferner des Verbots der Rückwirkung nach Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, des § 25 SGB IV, der §§ 3, 9 AÜG sowie von § 28f Abs 1, Abs 2 S 1 und Abs 3 SGB IV: Das SG habe verkannt, dass die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge im Tarifregister eingetragen gewesen seien, und dass sogar die Bundesagentur für Arbeit als nach dem AÜG zuständige Behörde die Anwendung dieser Tarifverträge empfohlen habe. Zugleich hätten Entscheidungen des BAG und des BVerfG sowie Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen in Gesetzgebungsverfahren das Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Tarifverträge gestärkt. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe dagegen eine überraschende rückwirkende verschärfende Rechtsänderung bewirkt, die europarechtlichen Vorgaben sowie innerstaatlich anerkannten Rückwirkungsgrundsätzen widerspreche. Dem einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot verneinenden Beschluss des BVerfG vom 25.4.2015 (Kammerbeschluss - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757) könne nicht gefolgt werden, da er von falschen Annahmen ausgehe. Das SG habe § 25 SGB IV verletzt, weil sie (die Klägerin) weder aufgrund des ausdrücklich gegenwartsbezogenen Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 noch wegen des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 eine Nachzahlung von Beiträgen für zurückliegende Zeiträume habe für möglich halten müssen. Die Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 seien daher - entsprechend einer erhobenen Einrede - verjährt. Ohnedies sei die Beitragsforderung zu hoch bemessen, da die Beklagte zur Ermittlung des Vergleichslohns allein auf eine bestimmte berufliche Qualifikation der Leiharbeitnehmer abstelle, ohne deren individuelle Handicaps zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe die Beklagte ferner gewährte und verbeitragte Zulagen (zB für Verpflegungsaufwand und Fahrtkosten) nicht entgeltdifferenzmindernd berücksichtigt. Die Beklagte sei schließlich zur Entgeltschätzung nicht berechtigt gewesen, weil ihr (der Klägerin) eine Verletzung von Aufzeichnungspflichten nicht angelastet werden könne und es auch an der Kausalität der - vermeintlichen - Verletzung von Aufzeichnungspflichten für die unterbliebene Feststellung der konkreten Beitragshöhe fehle. Die Beklagte sei vielmehr verpflichtet gewesen, den jeweils zutreffenden Vergleichslohn durch Anfragen bei den Entleihern zu ermitteln, habe dies aber rechtswidrig unterlassen.

7

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufzuheben,

 hilfsweise,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bzw das Sozialgericht Hannover zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könne sich die Klägerin angesichts der allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesenen Kompetenz zur Feststellung fehlender Tariffähigkeit für einen Vertrauensschutz nicht auf Handlungen anderer Stellen - zB der Exekutive - berufen. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe zu keiner einen vergangenheitsbezogenen Vertrauensschutz begründenden Rechtsprechungsänderung geführt, wie das BAG selbst und das BVerfG zwischenzeitlich bestätigt hätten. Zuvor ergangene Rechtsprechung habe nämlich durchweg nicht die Tariffähigkeit der CGZP betroffen. Die für Beitragsnachforderungen bei vorsätzlicher Vorenthaltung geltende 30-jährige Verjährungsfrist sei jedenfalls ab Zugang des Schreibens vom 23.12.2010 wegen der schon darin enthaltenen Geltendmachung von Ansprüchen anwendbar. Der von der Klägerin zur Entgeltermittlung für jeden Leiharbeitnehmer geforderte, individuelle Umstände berücksichtigende Gesamtvergleich sei ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand nicht möglich gewesen, weshalb die vorgenommene Schätzung der Beitragshöhe rechtlich nicht zu beanstanden sei.

10

Die vom SG zum Rechtsstreit beigeladenen 25 Kranken- und Pflegekassen haben weder Anträge gestellt noch Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 SGG) der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen begründet.

12

Das Urteil des SG vom 25.6.2014 weist revisionsrechtlich bedeutsame Fehler auf, sodass es aufgehoben werden muss. Der Senat selbst kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang das SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2012 zu Recht vollständig abgewiesen hat sowie ob und ggf in welchem Umfang diese Bescheide rechtmäßig sind. Das führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG nach § 170 Abs 4 S 1 SGG. Die Zurückverweisung an das LSG (und nicht an das SG als Ausgangsgericht) dient der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und entspricht den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Vorstellungen von Klägerin und Beklagter.

13

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem Bescheid vom 8.3.2012 um einen sog Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV handele, weshalb neben der erfolgten notwendigen Beiladungen von Versicherungsträgern noch weitere notwendige Beiladungen hätten vorgenommen werden müssen; dies hat das SG verfahrensfehlerhaft versäumt (hierzu 1.). Demgegenüber hat das SG zutreffend entschieden, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht (hierzu 2.). Auf die in den Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen beruft sich die Beklagte auch nicht etwa schon deshalb zu Unrecht, weil die Feststellung des BAG zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP (zunächst) durch Beschluss vom 14.12.2010 nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte bzw der Umsetzung der hierdurch festgestellten Rechtslage durch die Beklagte ein über die allgemeinen Verjährungsregeln hinausgehender Vertrauensschutz entgegenstünde (hierzu 3.). Gleichwohl ist die Revision im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erfolgreich: Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend selbst darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen und ob sie bei Durchführung der Entgeltschätzung die hieran zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu 4.). Desgleichen vermag der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend darüber zu befinden, ob die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung bezüglich der Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 bereits verjährt war (hierzu 5.).

14

Vorwegzuschicken ist bei alledem, dass der Senat an die vom SG getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden ist (§ 163 SGG); im Rahmen der vorliegenden Sprungrevision sind die mit der Revisionsbegründung zum Teil sinngemäß geltend gemachten Tatsachenrügen ebenso unzulässig (§ 161 Abs 4 SGG) wie in der Begründung des Rechtsmittels teilweise enthaltener neuer Tatsachenvortrag (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 5).

15

1. Das SG hat - ausgehend von unzutreffenden materiell-rechtlichen Erwägungen - notwendige Beiladungen unterlassen. Insoweit handelt es sich um einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel (vgl zB BSG SozR 1500 § 75 Nr 10 S 11 und Nr 21 S 17; BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 22/90 - Die Beiträge 1991, 98, 99 mwN).

16

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und den Gegenstand des Rechtsstreits auch in der Revision bildenden Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV(Regelung idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) handelt. Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten; es ist nicht an die Auslegung eines Bescheides durch das SG gebunden (stRspr - vgl zB BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 - unter Hinweis auf BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 und BFHE 214, 18, 23 mwN; BSG Urteil vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - USK 2012-1, Juris RdNr 21).

17

Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 8.3.2012 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs 1 S 1 und S 5 SGB IV(ebenfalls idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, aaO). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht(S 5).

18

Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (hierzu und zum Folgenden vgl zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 ff mwN). Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs 2 S 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs 2 S 3 und S 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV vor.

19

Dies ist hier der Fall: Die Beklagte hat im Bescheid vom 8.3.2012 nicht nur die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung ausgewiesen, sondern in den Anlagen zum Bescheid die jeweiligen Teilbeträge getrennt nach Versicherungszweigen den einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet. Auf diese Anlagen hat die Beklagte auf Seite 3 des Bescheides unter der Überschrift "Berechnungsanlagen" ausdrücklich hingewiesen und zugleich die Zahlung der nachgeforderten Beiträge an die für den jeweiligen Beschäftigten zuständige Einzugsstelle verlangt.

20

Wegen der erfolgten personenbezogenen Beitragsfestsetzung war - anders als bei Summenbescheiden - die notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der betroffenen Beschäftigten geboten (vgl zB BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4; BSGE 64, 289, 293 = SozR 1300 § 44 Nr 36 S 102; BSG Beschluss vom 15.6.1993 - 12 BK 74/91 - Juris; zuvor bereits aus der Rspr des BSG: SozR 1500 § 75 Nr 15 S 13 mwN und Nr 72 S 87; Urteil vom 16.12.1976 - 12/3/12 RK 23/74 - Breith 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27.1.1977 - 12/3 RK 90/75 - USK 7733 und - 12 RK 8/76 - USK 7727; Urteile vom 23.2.1977 - 12/3 RK 30/75 - USK 7739 und - 12 RK 14/76 - USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28.4.1977 - 12 RK 30/76 - USK 7743 = SozSich 1977, 338; vgl auch zur Beteiligung betroffener Arbeitnehmer durch die Einzugsstelle bei Einleitung eines Verwaltungsverfahrens über das Bestehen von Versicherungspflicht BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1). Das hat das SG verfahrensfehlerhaft unterlassen.

21

Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats die von den Beitragsnachforderungen begünstigten, jeweils zuständigen (Fremd-)Sozialversicherungsträger und die BA zum Rechtsstreit notwendig beizuladen (vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10 mwN; BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 75 RdNr 10f mwN). Dem ist das SG nur teilweise nachgekommen, nämlich allein in Bezug auf Krankenkassen und offenbar nur mit Blick auf ihre Funktion als Einzugsstellen.

22

Die vorbeschriebenen Beiladungen, die im Revisionsverfahren (vgl § 168 S 2 SGG) wegen notwendiger Zurückverweisung auch aus weiteren Gründen (BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14; BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 17) sowie abgeschnittener Äußerungsmöglichkeiten der Betroffenen in der Tatsacheninstanz nicht sachdienlich war, wird nun das LSG vor der erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Dabei könnte es vorliegend (vor allem in Bezug auf die Beschäftigten) vom Verfahren nach § 75 Abs 2a SGG Gebrauch machen, da ausweislich der Anlagen zum angefochtenen Prüfbescheid mehr als 20 Personen beizuladen sind.

23

2. Zutreffend hat das SG angenommen, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die im März 2009 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht, auch soweit diese denselben Zeitraum betreffen. Zu solchen Fallgestaltungen hat der Senat bereits entschieden, dass der entgegenstehenden Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 18.1.2011 - L 5 R 752/08 - Juris = ASR 2011, 250) nicht gefolgt werden kann. Dabei hat er auch die Argumente gegen die einen "Bestandsschutz" aufgrund vorangegangener Betriebsprüfungen ablehnende ständige Rechtsprechung des erkennenden 12. Senats des BSG berücksichtigt, welche die Klägerin unter Hinweis auf Äußerungen in der Literatur (vgl zB Rittweger, DB 2011, 2147 ff; Brand, NZS 2013, 641, 644) noch mit der Klage vorgetragen, jedoch mit der Revision nicht wiederholt hat (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 23 ff; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch vorliegend fest.

24

3. Die mit den angefochtenen Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen sind auch - anders als die Klägerin meint - nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil die durch Beschluss des BAG vom 14.12.2010 rechtskräftig gewordene Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte. Die Beitragsschuld der Klägerin richtet sich nach dem entstandenen Entgeltanspruch (hierzu a). Dieser entsprach während des Zeitraums der vorliegend bestrittenen Nachberechnungen dem im Betrieb eines Entleihers während der Zeit der Überlassung für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers üblichen Arbeitsentgelt (hierzu b). Auf ein etwaiges Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP kann sich die Klägerin demgegenüber nicht berufen (hierzu c).

25

a) In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung liegt bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt zugrunde(§ 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI, § 162 Nr 1 SGB VI, § 342 SGB III, jeweils in den für die streitige Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2011 geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden(§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). Für die Bestimmung des Arbeitsentgelts gilt im Rahmen der Beitragsbemessung grundsätzlich das Entstehungsprinzip. Das für die Sozialversicherung zentrale Entstehungsprinzip hat zum Inhalt, dass Versicherungspflicht und Beitragshöhe bei dem Beschäftigten nach dem arbeitsrechtlich geschuldeten (etwa dem Betroffenen tariflich zustehenden) Arbeitsentgelt zu beurteilen sind - was sich etwa bei untertariflicher Bezahlung auswirkt - und nicht lediglich nach dem einkommensteuerrechtlich entscheidenden, dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossenen Entgelt (stRspr; vgl zuletzt BSGE 115, 265 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1, RdNr 30 mit zahlreichen Nachweisen). Zugleich ist es für die Beitragsbemessung unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch zB wegen tarifvertraglicher Verfallklauseln oder wegen Verjährung vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung nur entscheidend, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als ihm unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen zusteht, dh dann, wenn ihm also über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62 f). Für einen solchen Sachverhalt, der zur Anwendung des Zuflussprinzips führen würde, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.

26

b) Arbeitsrechtlich geschuldet im Sinne des Entstehungsprinzips und damit der Beitragsbemessung im Prüfzeitraum zugrunde zu legen ist das von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt (§ 10 Abs 4 AÜG idF durch Gesetz vom 23.12.2002, BGBl I 4607, bzw ab 30.4.2011 idF durch Gesetz vom 28.4.2011, BGBl I 642). Ein nach § 9 Nr 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigender Tarifvertrag besteht - soweit es den oder die von der Klägerin nach den Feststellungen des SG auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Leiharbeitnehmer angewandten Tarifvertrag bzw Tarifverträge zwischen der AMP und CGZP betrifft - nicht. Dem steht das mit Bindungswirkung auch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit festgestellte Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss dieser Tarifverträge entgegen, was die Unwirksamkeit der Tarifverträge von Anfang an (vgl BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 21 ff) zur Folge hat.

27

Unwirksam sind daher zumindest alle von der CGZP bis zum 14.12.2010 geschlossenen Tarifverträge, denn nach der Rechtsprechung der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit steht rechtskräftig fest, dass die CGZP vom Zeitpunkt ihrer Gründung am 11.12.2002 bis jedenfalls zum 14.12.2010 nicht tariffähig war (für die Zeit vor dem 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; für die Zeit ab 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496; BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; insgesamt vgl auch BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11, aaO, Juris RdNr 20).

28

An diese Feststellungen zur mangelnden Tariffähigkeit der CGZP ist der Senat - wie alle Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - gebunden. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs 2 iVm § 83 Abs 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) angehört worden sind, sondern die Entscheidung entfaltet Wirkung gegenüber jedermann. Insbesondere sind alle Gerichte an einen in einem Verfahren nach § 97 ArbGG ergangenen Ausspruch über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet(so bereits BAG Beschluss vom 23.5.2012, aaO, mwN; vgl nunmehr auch § 97 Abs 3 S 1 ArbGG, mit Wirkung ab 16.8.2014 eingefügt durch Art 2 Nr 4 Buchst d des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.2014, BGBl I 1348).

29

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Rechtskraftwirkung der das Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Entscheidungen des BAG durch die zum 30.4.2011 erfolgte Einfügung von § 3a AÜG durch Art 1 Nr 6 des Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011 (BGBl I 642) wieder entfallen ist (dafür etwa: Lützeler/Bissels, DB 2011, 1636; Lembke, NZA 2011, 1062). Zwar betreffen die streitbefangenen Bescheide der Beklagten einen Prüfzeitraum bis 31.12.2011. Zugleich hat es das SG versäumt im Einzelnen festzustellen, wann die bei der Klägerin im Prüfzeitraum zur Anwendung kommenden Tarifverträge der CGZP geschlossen wurden bzw für welche Zeiträume sie angewandt wurden. Jedoch lässt sich den angefochtenen Bescheiden und den darin in Bezug genommenen Anlagen entnehmen, dass Beitragsnachberechnungen nur für Zeiträume bis 31.12.2009 vorgenommen worden sind. Damit kann es auf die genannte Frage nicht ankommen, denn § 9 Nr 2, § 10 Abs 4 S 2 AÜG setzen einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraus(vgl nur BAG Urteil vom 13.3.2013, aaO, Juris RdNr 20 mwN), was auch auf Grundlage der genannten Rechtsauffassung, die ein Entfallen der Rechtskraft der die fehlende Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Beschlüsse des BAG zum 30.4.2011 vertritt, jedenfalls bis dahin nicht der Fall war.

30

c) Ein etwaiges Vertrauen der Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Personen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BAG (hierzu aa) und des BVerfG (hierzu bb) an. Die von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen (hierzu cc). Schließlich kann die Klägerin Vertrauensschutz gegenüber den streitigen Beitragsnachforderungen auch nicht aus der älteren Rechtsprechung des BSG herleiten (hierzu dd). Vermeintliche europarechtliche Bezüge rechtfertigen - jedenfalls gegenwärtig - keine Vorlage durch den Senat an den EuGH (hierzu ee).

31

aa) Das BAG hat einen Schutz des Vertrauens der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP verneint und hierzu Folgendes ausgeführt (BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 - BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 24 f; BAG Urteil vom 28.5.2014 - 5 AZR 422/12 - AP Nr 37 zu § 10 AÜG = NZA 2014, 1264, Juris RdNr 18 ff): Der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, zwar gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfGE 122, 248, 277 f; vgl dazu auch BAG Urteil vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - Juris RdNr 27 mwN; zur diesbezüglichen Rspr des BSG vgl zB BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr 13; BSGE 95, 141 RdNr 41 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 49). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren aber nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das BAG noch Instanzgerichte hatten in dem dafür nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren zuvor jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision - im Fall des BAG aber auch im vorliegend vom BSG zu entscheidenden Verfahren - herangezogenen Entscheidung (BAG Urteil vom 24.3.2004 - 5 AZR 303/03 - BAGE 110, 79, 87 f) hatte der - beim BAG zuständige - Senat bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das BAG werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch, SR 2012, 159, 161 mwN). Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der BA oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist - so das BAG weiter - nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (Hinweis auf Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl 2010, § 9 RdNr 107 ff mwN; Ulber, NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch, RdA 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbarte, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ging er ein Risiko ein, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisierte.

32

bb) Das BVerfG hat eine gegen die Erstreckung der Feststellung, dass die CGZP nicht tariffähig ist und damit keine wirksamen Tarifverträge abschließen kann, auf Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 gerichtete und im Hinblick auf einen vermeintlichen Vertrauensschutz - im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie die vorliegende Revision - begründete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie offensichtlich unbegründet war (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; die Beschwerde richtete sich gegen BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; BAG Beschluss vom 22.5.2012 - 1 ABN 27/12).

33

Hierzu hat das BVerfG (aaO) ua ausgeführt, dass die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Änderung der Rechtsprechung den im Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG verankerten Vertrauensschutz verletzen kann, in Bezug auf die Rechtsprechung zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht vorlagen. Es fehlte an einem ausreichenden Anknüpfungspunkt für das von den (dortigen) Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Vertrauen. Diese konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das BAG habe in dem Beschluss vom 14.12.2010 nämlich erstmals ausgeführt, dass Gewerkschaften einer Spitzenorganisation iS des § 2 Abs 2 und 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssen. Das entsprach nicht demjenigen, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten. Die bloße Erwartung aber, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet jedoch kein verfassungsrechtlich in Art 20 Abs 3 GG geschütztes Vertrauen. Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte, denn an deren Tariffähigkeit bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel (Hinweis auf Böhm, NZA 2003, 828, 829; Reipen, NZS 2005, 407, 408 f; Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl 2007, § 9 AÜG RdNr 115). Mit den angegriffenen Entscheidungen der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit realisierte sich das "erkennbare Risiko", dass später in einem Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte. Allein der Umstand, dass die genaue Begründung des BAG nicht ohne Weiteres vorhersehbar war, begründete - so das BVerfG weiter - keinen verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Vertrauensschutz. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerinnen in die Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge lässt sich nicht mit dem Verhalten der Sozialversicherungsträger und der BA sowie der Heranziehung dieser Tarifverträge durch das BAG bei der Ermittlung der branchenüblichen Vergütung begründen. Die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung obliegt nämlich allein den Gerichten für Arbeitssachen in dem in § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG geregelten Beschlussverfahren. Das Handeln anderer Stellen sowie die Bezugnahme auf diese Tarifverträge in einem gänzlich anders gelagerten Rechtsstreit waren auch vor dem Hintergrund der bereits damals umstrittenen Tariffähigkeit der CGZP nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 ff).

34

cc) Dieser Rechtsprechung des BAG und BVerfG schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an. Die zuletzt von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.

35

So möchte die Klägerin unterscheiden zwischen (einerseits) rechtsstaatlichem Vertrauensschutz, der durch eine rückwirkende arbeitsgerichtliche Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nach Auffassung der Klägerin verletzt sein könnte - nach den zitierten Entscheidungen des BAG und BVerfG jedoch nicht verletzt ist - und (andererseits) einem weiterreichenden, vom Beschluss des BVerfG vermeintlich nicht betroffenen Vertrauensschutz, den der Einzelne in das staatliche Handeln von Exekutive und Legislative sowie der Rechtsprechung setzen könne. Aber auch unter diesem Blickwinkel fehlt es bereits an einem Tatbestand, an den das geltend gemachte Vertrauen in schützenswerter Weise anknüpfen könnte. Dem steht, wenn es wie hier um Vertrauen in die Tariffähigkeit einer Vereinigung und die hieran geknüpften Rechtsfolgen geht, die bereits von BAG und BVerfG in den vorstehend zitierten Entscheidungen hervorgehobene ausschließliche Zuweisung der Entscheidung hierüber an die Gerichte für Arbeitssachen entgegen, die darüber in dem besonderen Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG zu befinden haben.

36

Andere - insbesondere nach Art 20 Abs 3 GG an das Gesetz gebundene staatliche - Stellen, denen gerade keine eigene Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung oder die Wirksamkeit eines Tarifvertrags zugewiesen ist, haben - jedenfalls soweit es hierauf rechtlich ankommt - bis zur Rechtskraft eines Beschlusses im genannten Verfahren von der Tariffähigkeit einer Vereinigung und der Wirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge auszugehen. Ein Vertrauen darauf, dass diese Stellen im Anschluss an einen auch sie bindenden, die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung feststellenden Beschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht die hiermit rechtlich zwingend verbundenen Folgen umsetzen, wäre daher von vornherein nicht gerechtfertigt und ist nicht schutzwürdig.

37

Zu einem anderen Ergebnis führt weder die Behauptung der Klägerin, die Annahme des BVerfG, die Beschwerdeführerinnen in dem zum Beschluss vom 25.4.2015 führenden Verfahren hätten Kenntnis von der Diskussion um Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gehabt, sei unzutreffend, noch die Behauptung, auch die Annahme des BVerfG, durch die Anwendung der Tarifverträge der CGZP seien die Unternehmen in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze gekommen, entspreche nicht den wahren Verhältnissen. Insoweit verkennt die Klägerin, dass beide Gesichtspunkte die Begründung des BVerfG für seine Ablehnung des geltend gemachten, aus Art 20 Abs 3 GG hergeleiteten Vertrauensschutzes in der Ausprägung eines Rückwirkungsverbots nur ergänzen. In erster Linie fehlt es bereits am notwendigen Anknüpfungspunkt für ein nach Art 20 Abs 3 GG zu schützendes Vertrauen, nämlich einer die Tariffähigkeit der CGZP bestätigenden ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 f; zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, insbesondere dem Erfordernis einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung vgl allgemein BVerfGE 131, 20, 42 mwN zur Rspr des BVerfG).

38

dd) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihr in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG berufen.

39

Zwar hat das BSG entschieden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten anzuwenden ist, wenn dieser aufgrund der "neuen" Rechtsprechung nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebend gewesenen Rechtsprechung beitragsfrei waren (zu diesem Grundsatz: BSGE 51, 31, 36 ff und Leitsatz = SozR 2200 § 1399 Nr 13; wie die Klägerin: Giesen, SGb 2015, 544, 545 f mwN; Rieble, BB 2012, 2945, 2948 mwN). Für das Eingreifen dieses Grundsatzes fehlt es (wiederum) bereits an einer "bisherigen Rechtsprechung", auf die sich ein nach Art 20 Abs 3 GG oder - wie vom BSG damals angenommen - einfachrechtlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu schützendes Vertrauen der Klägerin gründen könnte.

40

Soweit es die Rechtsprechung des BSG betrifft, gibt es keine Entscheidungen, wonach die Nachforderung von Beiträgen für die Vergangenheit generell oder speziell von Beiträgen aus dem Differenzentgelt im Falle nachträglich festgestellter Unwirksamkeit von Tarifverträgen und dadurch bedingter höherer Entgeltansprüche der Arbeitnehmer unzulässig wäre.

41

In Bezug auf die Rechtsprechung des BAG ist der Klägerin (wiederum) entgegenzuhalten, dass dieses Gericht niemals zuvor im Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG positiv die Tariffähigkeit der CGZP und die Wirksamkeit der von dieser geschlossenen Tarifverträge während des Nacherhebungszeitraums festgestellt hatte. Vielmehr ist eine bis dahin ungeklärte Rechtsfrage erstmals durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 geklärt worden, wenn auch das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Klägerin entsprach. Dies gilt auch, soweit sich die Klägerin auf eine vermeintlich überraschende Verschärfung der Anforderungen an die Tariffähigkeit eines Spitzenverbandes durch die Rechtsprechung des BAG beruft (vgl zB auch Rieble, BB 2012, 2945; Giesen, SGb 2015, 544 f mwN). Auch insoweit fehlt es an einer vorangegangenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dann durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 aufgegeben worden wäre und durch die zuvor allein zu schützendes Vertrauen begründet worden sein könnte; weder war die Frage der Ableitung der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation von der Tariffähigkeit ihrer Mitgliedsverbände bis zu diesem Zeitpunkt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen (vgl LArbG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 9.1.2012 - 24 TaBV 1285/11 ua - BB 2012, 1733 = DB 2012, 693) noch gab es eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, derzufolge die vom BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 als entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte bis dahin für die Frage der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation ausdrücklich ohne Bedeutung gewesen wären. Deshalb - sowie mit Blick auf die allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesene Kompetenz zur Feststellung des Fehlens der Tariffähigkeit einer Vereinigung - liegt auch keine rückwirkende Korrektur einer bereits zuvor fragwürdigen Verwaltungspraxis vor, wie sie dem Urteil des BSG vom 27.9.1983 (BSGE 55, 297 = SozR 5375 § 2 Nr 1) zugrunde lag, auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft.

42

ee) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es vorliegend auch keiner Vorlage an den EuGH zur Klärung der Frage, ob die Beitragsnacherhebung wegen "equal pay"-Ansprüchen bei Unanwendbarkeit von der CGZP geschlossener Tarifverträge auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (aaO) vermittelt über die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gegen das Transparenzgebot bei der Richtlinienumsetzung und die Unternehmerfreiheit nach Art 16 Grundrechtecharta verstößt (vgl Rieble, BB 2012, 2945, 2949 ff).

43

Ein nationales letztinstanzliches Gericht - wie vorliegend das BSG - ist zur Vorlage an den EuGH (nur) verpflichtet, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (acte éclairé) und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair). Die Vorlagepflicht steht ua unter dem Vorbehalt, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.5.2012 - 1 BvR 3201/11 - NZA 2013, 164 mwN; EuGH Urteil vom 6.10.1982 - 283/81 - EuGHE 1982, 3415 RdNr 21 - CILFIT).

44

An der Entscheidungserheblichkeit einer - in der Revisionsbegründung allenfalls grob angedeuteten - europarechtlichen Frage fehlt es vorliegend bereits deshalb, weil der Senat unabhängig von deren Beantwortung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen des SG an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Auf diese - noch zu präzisierende - Frage könnte es erst dann ankommen, wenn das LSG (an welches die Sache vorliegend zurückverwiesen wird) nach Feststellung und auf Grundlage aller für eine abschließende Entscheidung nach dem nationalen Recht notwendigen Tatsachen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die angegriffenen Bescheide der Beklagten jedenfalls teilweise rechtmäßig sind. Zudem erscheint es zur Wahrung rechtlichen Gehörs aller Beteiligten geboten, zunächst die notwendigen Beiladungen der betroffenen Arbeitnehmer und der weiteren Versicherungsträger vorzunehmen, um diesen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gelegenheit zur Stellungnahme zu allen sich im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit stellenden entscheidungserheblichen Fragen zu geben.

45

4. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, in welcher Höhe die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden geltend gemachte Beitragsnachforderung rechtmäßig ist. Das SG hat bereits nicht festgestellt, in welcher Höhe die Beitragsforderung auf konkret nachgewiesenen Entgeltansprüchen und in welcher Höhe sie auf Schätzungen beruhte (hierzu a). Insbesondere kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen (hierzu b), und ob sie hierbei die an die Durchführung einer Entgeltschätzung zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu c). Die Feststellungen zu den vorgenannten Punkten muss das LSG nachholen (vgl § 170 Abs 5 SGG).

46

a) Anhand der Feststellungen des angegriffenen SG-Urteils ist für den Senat schon nicht nachvollziehbar, inwieweit die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung auf konkret festgestellten Entgelten oder auf Entgeltschätzungen beruht.

47

Wie dargelegt ist der Bemessung der von der Klägerin für den Prüfzeitraum abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge das von ihr ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt iS von § 10 Abs 4 AÜG zugrunde zu legen(vgl oben II.3.a und b). Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dem nicht entgegen (vgl oben II.3.c). Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des SG stellte die Klägerin anlässlich der Betriebsprüfung im März 2012 einen Aktenordner mit Auskünften der Entleiherunternehmen über Bezüge der Stammarbeitnehmer in den Betrieben zur Verfügung, in welchem - nach Auffassung der Beklagten - die überwiegende Anzahl der "Beschäftigungsverhältnisse" dokumentiert war. Diesen Ordner wertete die Beklagte aus und nahm Schätzungen nur für diejenigen Arbeitnehmer vor, "die in diesen Unterlagen nicht mit konkreten Vergütungsansprüchen im Entleiherbetrieb ausgewiesen waren".

48

Ausgehend davon dürfte ein wesentlicher Teil der Beitragsforderung der Höhe nach nicht zu beanstanden sein. Denn für die in diesem Ordner nachgewiesenen Arbeitnehmerüberlassungen nahm die Beklagte offenkundig keine Schätzung vor; dass die in den von ihr vorgelegten Unterlagen enthaltenen konkreten Vergütungsansprüche nicht zuträfen, hat die Klägerin bisher nicht geltend gemacht. Für eine derartige Unrichtigkeit bestehen auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Jedoch hat das SG diesen Teil der Beitragsforderung weder betragsmäßig festgestellt noch ist der Teil aufgrund der festgestellten Tatsachen bestimmbar; schon deshalb ist der Senat auch bezogen auf diesen Teil der Beitragsforderung an einer abschließenden Entscheidung gehindert.

49

Zudem kann der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen des SG auch nicht entscheiden, ob - wie im Revisionsverfahren gerügt - bestimmte von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern gewährte Zulagen bei der Ermittlung der Differenz zwischen dem von der Klägerin der Beitragsabführung zugrunde gelegten Entgelt und den in Höhe des Vergleichslohns entstandenen konkreten Vergütungsansprüchen differenzmindernd zu berücksichtigen sind. So richtet sich nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 294/12 - AP Nr 25 zu § 10 AÜG = NZA 2013, 1226, Juris RdNr 34 ff) die Berücksichtigung von Aufwendungsersatz beim Gesamtvergleich zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs 4 AÜG danach, ob damit - wenn auch in pauschalierter Form - ein dem Arbeitnehmer tatsächlich entstandener Aufwand, zB für Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, erstattet werden soll (echter Aufwendungsersatz) oder ob die Leistung Entgeltcharakter hat. Echter Aufwendungsersatz ist im Sinne des Arbeitsrechts kein Arbeitsentgelt (BAG, aaO, Juris RdNr 35). Ob solche Zulagen überhaupt gewährt wurden und ggf welchen rechtlichen Charakter sie hatten, hat das SG nicht festgestellt. Das ist vom LSG nachzuholen.

50

b) Ebenso lassen die vom SG getroffenen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht ausreichend erkennen, ob bzw inwieweit die Beklagte die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte schätzen durfte.

51

Die Beklagte war zwar grundsätzlich zur Schätzung der von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern während der jeweiligen Überlassung an einen Entleiherbetrieb geschuldeten Entgelte berechtigt, soweit die Klägerin keine Unterlagen über die konkreten Vergütungsansprüche vorlegen konnte (hierzu aa). Auf ein Verschulden der Klägerin bei der Verletzung ihrer Aufzeichnungspflichten kommt es dafür ebenso wenig an, wie auf deren Kenntnis vom konkreten Inhalt dieser Pflichten (hierzu bb). Jedoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkreten Vergütungsansprüche nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand zu ermitteln sind (hierzu cc). Auch hierzu bedarf es im Rahmen der Befassung der Sache durch das LSG weiterer Feststellungen.

52

aa) Grundsätzlich ist ein Rentenversicherungsträger - vorliegend mithin die Beklagte - im Rahmen der Betriebsprüfung auch zur Schätzung der Entgelte einzelner Beschäftigter berechtigt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 28f RdNr 67 f). Zwar sollte es diese Vorschrift den Gesetzesmaterialien zufolge in erster Linie ermöglichen, die Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheides iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV zu schätzen, wenn aufgrund unzureichender oder fehlender Buchhaltung nicht einmal diese ermittelt werden kann(Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - , BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Dann muss es aber erst recht zulässig sein, im Rahmen der Beitragsüberwachung das Entgelt einzelner Arbeitnehmer zu schätzen, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten zwar eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe.

53

Bestätigt wird diese Auslegung des § 28f Abs 2 S 4 SGB IV durch die spätere Übernahme der Schätzungsbefugnis in § 28h Abs 2 S 2 und 3 SGB IV durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs(vom 30.6.1995, BGBl I 890), durch die ausdrücklich nach dem Vorbild der bis dahin in der Praxis analog angewandten Vorschrift des § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst b) eine vom Erlass eines Summenbescheides unabhängige Schätzungsbefugnis der Einzugsstellen geschaffen wurde.

54

bb) Auch eine solche - mithin grundsätzlich zulässige - Entgeltschätzung bei personenbezogenen Beitragsfestsetzungen erfordert indessen eine "Verletzung der Aufzeichnungspflichten" des Arbeitgebers. Eine solche Verletzung kann hier nicht ohne Weiteres bejaht werden.

55

Dazu ist vielmehr in den Blick zu nehmen, dass es eines Verschuldens des Arbeitgebers insoweit ebenso wenig bedarf (BSGE 89, 158, 161 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 6) wie überhaupt einer Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten Inhalt der ihn treffenden sozialversicherungsrechtlichen Pflicht. Grund dafür ist, dass die ausnahmslose Aufzeichnungspflicht gerade dazu dient, Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend prüfen zu können (vgl Regierungsentwurf SGB IV, aaO, BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Diese Prüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24 mwN; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). Zur Gewährleistung einer vollständigen Beitragsentrichtung ist es aber erforderlich, die Erhebung der vom Arbeitgeber objektiv geschuldeten Beiträge auch dann zu ermöglichen, wenn die Feststellung der genauen Beitragshöhe oder - im hier nicht betroffenen Fall des Summenbescheides - die Zuordnung der Entgelte zu einzelnen Arbeitnehmern wegen - gleich aus welchem Grunde - fehlender oder unvollständiger Aufzeichnungen nicht möglich ist. Der erforderliche Ausgleich (einerseits) der Interessen der Versicherten und Versicherungsträger an einer vollständigen Beitragsfeststellung und -erhebung sowie (andererseits) dem Interesse der Arbeitgeber, nicht im Nachhinein mit unerwarteten Beitragsforderungen belastet zu werden, die sie mit Rücksicht auf § 28g S 3 SGB IV häufig auch hinsichtlich des Versichertenanteils im Ergebnis wirtschaftlich zu tragen haben, erfolgt nach der gesetzlichen Konzeption dabei vorrangig über die Verjährungsregelungen. Diese Regelungen schützen gutgläubige Arbeitgeber vor Nachforderungen von Beiträgen, die nicht innerhalb der vier zurückliegenden Kalenderjahre fällig geworden sind.

56

cc) Näher geprüft werden muss zudem, ob sich die für die Beitragsbemessung den Ausgangspunkt bildenden maßgebenden konkreten Vergütungsansprüche der Leiharbeitnehmer "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln" lassen.

57

Eine Schätzung von Entgelten ist jedoch nicht in jedem Fall fehlender oder fehlerhafter Arbeitgeberaufzeichnungen zulässig, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Eine Befugnis zur Schätzung von Entgelten besteht nur dann, wenn aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Aufzeichnungen des Arbeitgebers - soweit vorliegend relevant - die Beitragshöhe nicht konkret festgestellt werden kann. Die Feststellung der Beitragshöhe muss dabei nicht gänzlich objektiv unmöglich sein; ausdrücklich ordnet § 28f Abs 2 S 3 SGB IV eine Entgeltschätzung vielmehr bereits für den Fall an, dass der prüfende Träger Arbeitsentgelte "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand" ermitteln kann. Damit suspendiert § 28f Abs 2 SGB IV indessen weder die Amtsermittlungspflicht des prüfenden Trägers, noch die Mitwirkungspflichten des zu prüfenden Arbeitgebers (zB nach § 28f Abs 1 und 3, § 28p Abs 5 SGB IV). Dementsprechend haben sich die Träger im Rahmen ihrer Amtsermittlung nach Maßgabe der §§ 20 ff SGB X grundsätzlich sämtlicher in Betracht kommender Beweismittel zu bedienen; insbesondere können sie beim Versicherten selbst, beim Entleiherunternehmen oder bei anderen Stellen und Behörden Auskünfte über die beim Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Beschäftigungsbedingungen einholen. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens weiterer Feststellungen durch den Rentenversicherungsträger unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung, wofür auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 8).

58

Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung - wie sie Gegenstand dieses Rechtsstreits ist - vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers (zu den Anforderungen beim Verzicht auf personenbezogene Feststellungen vgl BSGE 89, 158, 161 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 7 f; vgl auch Werner in jurisPK-SGB IV, aaO, § 28f RdNr 59 f)an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Deshalb wird es wesentlich auch auf die zu erwartende Genauigkeit einer möglichen Schätzung ankommen: Je genauer die Schätzung, desto geringer sind die für den Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile und desto geringer der Ermittlungsaufwand, der noch als verhältnismäßig gelten kann (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75). Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet für sich genommen jedoch noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand; insoweit kann es keine Rolle spielen, ob ein bestimmter Verwaltungsaufwand mehrfach bei einem Arbeitgeber oder jeweils in wenigen Fällen bei mehreren Arbeitgebern anfällt.

59

c) Stellt sich ausgehend von Vorstehendem im Fall heraus, dass eine Schätzung grundsätzlich zulässig ist, so sind auch für deren Durchführung bestimmte rechtliche Anforderungen einzuhalten.

60

Die Schätzung ist so exakt vorzunehmen, wie dies unter Wahrung eines nach den genannten Maßstäben noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwands möglich ist. Sie ist nicht zu beanstanden und - bis zum Nachweis der tatsächlichen Höhe des Arbeitsentgelts (§ 28f Abs 2 S 5 SGB IV)- verbindlich, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (so zur Einkommensprognose nach dem BErzGG vgl BSG SozR 4-7833 § 6 Nr 4 mwN). Innerhalb dieses Rahmens sind die an eine Schätzung zu stellenden Anforderungen wiederum abhängig von einer Abwägung zwischen der Bedeutung einer größeren Genauigkeit der Schätzung für Versicherte und Arbeitgeber und dem mit einem bestimmten Vorgehen verbundenen Verwaltungsaufwand. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75).

61

Diese Notwendigkeit der Abwägung im Einzelfall schließt es aus, eine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die von der Klägerin im Revisionsverfahren aufgeworfene Frage zu geben, ob für die Ermittlung des Vergleichslohns allein auf die berufliche Qualifikation des Leiharbeitnehmers abgestellt werden darf, oder ob hierfür auch dessen "individuelle Handicaps" zu berücksichtigen sind (vgl hierzu etwa Thüsing/Stiebert, Equal Pay in der Arbeitnehmerüberlassung - unter Berücksichtigung des CGZP-Beschlusses in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, 2012, S 67 mwN). Sollte Letzteres - was der Senat hier nicht beantworten muss - arbeitsrechtlich geboten sein, so wären solche "Handicaps" nur dann im Rahmen der Entgeltschätzung zu berücksichtigen, wenn sich deren Vorliegen und deren Auswirkungen auf den Vergleichslohn im Einzelfall mit noch verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand abschätzen ließen.

62

Schließlich sind Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode vom Versicherungsträger in der Begründung seines Bescheides im Einzelnen darzulegen (so bereits BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 3 S 17). Das Fehlen dieser Angaben führt vorliegend allerdings nicht schon ohne Weiteres zur - auch nicht teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen einer fehlenden Begründung des Verwaltungsaktes (§ 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB X), sondern lediglich zur Aufhebung des SG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanzen, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des SG zu dem auf Schätzungen beruhenden Teil der Beitragsforderung (vgl oben II.4.a) auch insoweit an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das LSG - an das der Senat die Sache hier zurückverweist - auch § 41 Abs 2 SGB X zu beachten haben.

63

5. Schließlich kann der Senat wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des SG ebenfalls nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin hinsichtlich der Beiträge für den Zeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2006 erhobene Verjährungseinrede dem insoweit möglicherweise bestehenden Anspruch der Beklagten auf weitere Beiträge für diesen Zeitraum entgegensteht. Insoweit kommt es darauf an, ob Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind und ob Vorsatz aufgrund positiver Kenntnis von der Pflicht zur Beitragsentrichtung unterstellt werden kann (hierzu a). Eine solche Kenntnis wird jedoch weder durch den Inhalt des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 (hierzu b) noch durch den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 vermittelt (hierzu c), das auch keine Hemmung des Fristlaufs bewirkte (hierzu d). Daher sind ua weitere tatrichterliche Feststellungen zur Frage eines möglichen Vorsatzes auf Seiten der Klägerin erforderlich (hierzu e).

64

a) Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Hingegen verjähren solche Ansprüche erst in 30 Jahren (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Der Begriff "vorsätzlich" schließt den bedingten Vorsatz ein (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN). Hierfür ist ausreichend, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35). Die 30-jährige Verjährungsfrist ist auch anzuwenden, wenn ein anfänglich gutgläubiger Beitragsschuldner vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (BSG, aaO, S 34). Der subjektive Tatbestand ist dabei bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und den betreffenden Beitragsschuldner individuell zu ermitteln; die Feststellungslast für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (BSG, aaO, S 35 f). Ist - wie im Idealfall, von dem § 25 SGB IV ausgeht - eine natürliche Person Beitragsschuldner, wird im Regelfall die Feststellung ihrer Kenntnis von der Beitragspflicht und der Umstand, dass die Beiträge nicht (rechtzeitig) gezahlt wurden, genügen, um gleichermaßen feststellen zu können, dass dieser Beitragsschuldner die Beiträge (zumindest bedingt) vorsätzlich vorenthalten hat. Denn die Rechtspflicht zur Beitragszahlung hat zur Folge, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen ist. Aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, folgt aber in aller Regel auch das entsprechende Wollen (im Einzelnen vgl BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 29 ff).

65

"Kenntnis" im vorstehend beschriebenen Sinne ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung der Beiträge verpflichtet zu sein. Solche den Vorsatz indizierende Kenntnis von der Beitragspflicht kann nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (zB bei "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden; sie liegt auch noch nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Demgegenüber muss der Vorsatz bei wenig verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sind und inhaltlich nicht voll deckungsgleich sind, eingehend geprüft und festgestellt werden. Fehler bei der Beitragsentrichtung dürften in diesen Fällen nicht selten nur auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis beruhen. Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der "bewussten Fahrlässigkeit", bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch - im Gegensatz zum bedingt vorsätzlich Handelnden, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt - darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 33, 35 f; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R).

66

Im vorliegenden Fall, in dem es sich bei der Beitragsschuldnerin um eine juristische Person des Privatrechts handelt, kommt es zunächst auf die Kenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs der Klägerin von der Beitragspflicht an. Das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 109, 327, 331; BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 194, 195). Darüber hinaus kann jedoch auch die Kenntnis weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, nämlich dann, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 195 ff; BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 19).

67

b) Nach diesen Grundsätzen kann dem SG nicht gefolgt werden, soweit es einen Vorsatz der Klägerin bezüglich der unterlassenen Beitragsentrichtung schon deshalb bejaht hat, weil mit dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 die naheliegende Möglichkeit bestanden habe, dass auf die Differenz zwischen den gezahlten Arbeitsentgelten und den nach § 10 Abs 4 S 1 AÜG geschuldeten Arbeitsentgelten Beiträge nachzuzahlen waren. Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist allerdings die Aussage des SG, die Vorlage von Unterlagen über die Löhne in Entleiherbetrieben belege, dass die Klägerin zumindest die Nacherhebung von Beiträgen für möglich gehalten habe. Gleiches gilt auch für die damit verbundene, unausgesprochene Annahme, die Vorstellung von der Möglichkeit einer Beitragserhebung habe (wenn auch nicht unbedingt vor dem 1.1.2011) bei zumindest einer deren Zurechnung zur Klägerin ermöglichenden Person vorgelegen.

68

Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragserhebung steht jedoch dem vorsatzindizierenden sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge nicht gleich. Insbesondere kann selbst nach der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses vom 14.12.2010 zu Anfang des Jahres 2011 ein solches sichereres Wissen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, weil - umgangssprachlich ausgedrückt - jeder informierte Mensch nunmehr genau gewusst hätte, dass Beiträge auch für diese Jahre nachzuzahlen waren. Eine solche Unterstellung scheidet schon wegen der seinerzeit auch arbeitsrechtlich noch nicht abschließend geklärten Frage nach der zeitlichen Wirkung eines im Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4, § 97 Abs 1 ArbGG ergangenen Beschlusses aus. Das Bestehen einer unsicheren Rechtslage wird bereits durch die erhebliche Zahl von Aussetzungsbeschlüssen verschiedener ArbGe und LArbGe nach § 97 Abs 5 ArbGG zur Klärung der Frage der Tariffähigkeit der CGZP zu verschiedenen Zeitpunkten vor Ergehen des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 belegt, ebenso durch die hiermit zusammenhängende Diskussion (vgl zB LArbG Hamm Beschluss vom 28.9.2011 - 1 TA 500/11 - Juris RdNr 17 ff mit zahlreichen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum; nachgehend BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 und BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; vgl auch Berchtold, SozSich 2012, 70, 72).

69

Vor diesem Hintergrund kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung beruflich betreibende Personen allgemein die Möglichkeit einer Pflicht zur Beitragszahlung auch für zurückliegende Zeiträume erkannten. Es kann aber jedenfalls für die hier entscheidungserhebliche Zeit bis einschließlich 31.12.2010 nicht im Sinne eines vorsatzindizierenden Wissens schlechthin unterstellt werden, dass solche Personen nicht auf eine Klärung der Rechtslage zu ihren Gunsten vertrauten und deshalb mit der nicht nachgeholten Zahlung dieser Beiträge eine Verletzung ihrer Beitragsabführungspflichten billigend in Kauf nahmen.

70

c) Etwas anderes folgt zum Nachteil der Klägerin auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010.

71

In diesem - nach gleichem Muster bundesweit an zahlreiche Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung versandten - Schreiben erläuterte die Beklagte unter Hinweis auf eine beigefügte Presseerklärung des BAG, dass die CGZP nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 nicht tariffähig sei und deshalb keine Tarifverträge habe abschließen können, welche geeignet gewesen seien, in der Zeitarbeitsbranche vom "equal pay"-Prinzip abzuweichen. Weiter führte die Beklagte wörtlich aus:

        

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns deshalb verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen."

72

Soweit es die Frage eines die Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist auslösenden Bösgläubigkeit angeht, war dieses Schreiben der Beklagten lediglich geeignet, dem Empfänger das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragsabführungspflicht für "equal pay"-Ansprüche auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zu verschaffen. Die gewählten Formulierungen vermitteln selbst schon nicht einmal das eigene sichere Wissen der Beklagten um die rückwirkenden Folgen des BAG-Beschlusses, sondern die Äußerung einer - seriösem ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln auch entsprechenden - eher abwartenden und zurückhaltenden Tendenz, die den Gesichtspunkt der Wahrung eigener Rechte in den Vordergrund rückt. Schließlich wird in dem Schreiben auch des Weiteren nur auf die Pflicht der Adressaten zur "Prüfung" ihrer Beitrags- und Meldepflichten hingewiesen. Ein vorsatzindizierendes "sicheres" Wissen um die Verpflichtung, diese Beiträge abführen zu müssen, konnte damit bei verständiger Würdigung nicht vermittelt werden, was schon aus den in diesem Schreiben enthaltenen - zutreffenden - Hinweisen auf die fehlende Entscheidungsbegründung des BAG und - nicht nur deshalb - die fortbestehende Unsicherheit bezüglich dieser Frage folgt (hierüber hinausgehend - auch im Hinblick auf eine Pressemitteilung der Beklagten vom 21.12.2010 - Schlegel, NZA 2011, 380, 383). All dies schließt gleichwohl im Einzelfall die Annahme zumindest bedingten Vorsatzes aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellung anderer, ein individuelles Vertrauen der Klägerin auf einen aus ihrer Sicht "guten Ausgang" widerlegender Tatsachen nicht von vornherein aus.

73

d) Das Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010 war auch nicht geeignet, die drohende Verjährung von im Jahre 2006 fälligen Beitragsansprüchen mit Ablauf des 31.12.2010 zu hemmen. Hierzu hätte es nämlich des Erlasses eines Beitragsbescheides oder jedenfalls der tatsächlichen Vornahme einer Arbeitgeberprüfung (§ 25 Abs 2 S 2 SGB IV) bzw bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge der Einleitung eines Beitragsverfahrens (§ 198 SGB VI) bedurft. Letzteres erfordert die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass insbesondere eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (§ 8 SGB X). Das genannte Schreiben der Beklagten erfüllt keinen dieser Hemmungstatbestände. Insbesondere wurde hierdurch weder bereits ein Prüf- noch ein Beitragsverfahren eingeleitet. Vielmehr wurde lediglich erst die spätere Durchführung einer Arbeitgeberprüfung im Jahr 2011 angekündigt.

74

e) Ob der Klägerin in Bezug auf eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung das Verschulden von Personen zugerechnet werden kann, die in der Zeit vor dem 1.1.2011 nicht nur um die Möglichkeit einer (Nach-)Zahlungspflicht von weiteren Beiträgen für die Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 wussten, sondern eine Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf genommen hatten, hat das SG - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht festgestellt. Tatrichterlich sind insoweit die konkreten Umstände zur inneren (subjektiven) Seite beim Beitragsschuldner festzustellen und zu würdigen. Dies führt auch bezüglich des möglicherweise verjährten Teils der Beitragsforderung zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zwecks Ermittlung eines möglichen, eine 30-jährige Verjährungsfrist auslösenden Vorsatzes ( vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7; BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R ).

75

Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, dass die bis 31.12.2006 fälligen Beitragsansprüche verjährt sind, wird es weiter auch zu prüfen haben, ob dies die Beitragsansprüche für den Monat Dezember 2006 vollständig mitumfasst oder ob ein Teil dieser Ansprüche nach § 23 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB IV(idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) erst im Januar 2007 fällig wurde.

76

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

77

7. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.