Verwaltungsrecht: Diskriminierungsverbot für die Berliner Verwaltung bald ausdrücklich festgeschrieben
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In der Boulevardpresse heiß diskutiert und mit Mythen umrankt – das neue Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) tritt bald in Kraft und löst mal wieder eine Welle der polemischen Empörung über das Misstrauen in die „deutschen Behörden“ aus.
Aber was steckt wirklich dahinter?
I. Rechtslage bisher – Diskriminierungsschutz nur im Privatrechtsbereich
Bisher ist es in Deutschland grundsätzlich vor allem möglich, gegen Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr (z.B. im Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis) vorzugehen. Dieses wird vom Anwendungsbereich des bundesweit geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umfasst. Hierdurch entstehende Schutzlücken sollen nun bald durch Inkrafttreten eines Berliner Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) geschlossen werden.
Mit dem neuen Gesetz soll es zukünftig möglich sein, auch gegen Diskriminierungen durch öffentliche Stellen des Landes Berlin vorzugehen (insb. Bürgerämter, öffentliche Schulen und andere öffentlich-rechtliche Anstalten).
II. Neuerungen durch das LADG
Das viel umstrittene Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) wird nun einige Neuerungen hinsichtlich des berlinweiten Diskriminierungsschutzes mit sich bringen.
1. Weiterreichender Schutz vor Diskriminierung
Mit dem neuen Berliner LADG soll zum einen der weiterreichende Schutz vor Diskriminierungen erreicht werden. Zum anderen soll mit dem Gesetz ein Zeichen gesetzt werden, dass Vielfalt („Diversity“) als wichtiger Teil von Berlin auch zum Teil des Bewusstseins der Verwaltung werden soll.
Der Schutz vor Diskriminierung wird dadurch ausgeweitet, dass:
- ab Inkrafttreten des LADG auch öffentliche Stellen (sprich: die Berliner Verwaltung) ausdrücklich von einem Diskriminierungsverbot erfasst werden,
- durch das LADG noch mehr Diskriminierungsgründe identifiziert werden, als bisher durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
- und dass dem diskriminierten Bürger mit einer Vermutungsregel die Geltendmachung seines Anspruchs auf Schadensersatz und Entschädigung erleichtert wird.
a) Was ist eine Diskriminierung?
Diskriminierung im Sinne des LADG ist genauso wie auch im bereits bestehenden Antidiskriminierungsgesetz (AGG) bzw. dem im Grundgesetz enthaltenden Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG eine Ungleichbehandlung von Personen oder Personengruppen, wenn diese nicht aufgrund eines hinreichend sachlichen Grundes gerechtfertigt ist (§§ 4, 5 LADG).
Nicht jede Ungleichbehandlung stellt somit auch eine Diskriminierung dar. Vielmehr dürften die meisten Ungleichbehandlungen, die alltäglich stattfinden, gerechtfertigt sein – ein Diskriminierungsverbot soll lediglich dazu beitragen, die wenigen ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen aufzudecken und aus der Welt zu schaffen.
b) Was sind öffentliche Stellen?
Öffentliche Stellen im Sinne des LADG sind vor allem:
- die Berliner Verwaltung (z.B. Bürgerämter)
- Berliner Anstalten des öffentlichen Rechts (z.B. öffentliche Schulen)
- öffentlich-rechtlich Beliehene und Verwaltungshelfer, soweit sie innerhalb dieses Rahmens tätig werden (z.B. Abschleppunternehmen oder Sicherheitsdienste, die von der Berliner Verwaltung beauftragt werden)
Nicht erfasst werden jedoch Bundesbehörden, gemeinsame Einrichtungen von Bund und Ländern (z.B. die Jobcenter in Berlin) und jedwede Sachverhalte des Privatrechtsverkehrs und der Beschäftigung (hier findet weiterhin das AGG Anwendung).
c) Die weiteren Diskriminierungsgründe
Neben den bisher bekannten Diskriminierungsdimensionen der rassistischen Zuschreibung, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität sollen durch das LADG die zusätzlichen Diskriminierungsgründe der chronischen Erkrankung (wie z.B. AIDS/HIV), der Sprache, geschlechtlichen Identität und des sozialen Status festgeschrieben und von einem Verbot erfasst werden.
d) Beweiserleichterung durch Vermutungsregel – Erschweren der Arbeit der Berliner Polizei?
Durch die Vermutungsregel des § 7 LADG soll es den Betroffenen deutlich erleichtert werden, ihre Rechte im Wege einer Schadensersatz- und/ oder Entschädigungsklage geltend zu machen.
Der von der Diskriminierung Betroffene muss vor Gericht lediglich die Tatsachen glaubhaft machen, die den Vorfall einer Diskriminierung wahrscheinlicher machen als ihr Nicht-Vorliegen. Gelingt dem Kläger diese Glaubhaftmachung, obliegt es im nächsten Schritt der jeweiligen öffentlichen Stelle darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat.
Insbesondere diese „Beweislastumkehr“ hat die Diskussion um das neue Landesantidiskriminierungsgesetz angeheizt. Befürchtet wird insbesondere, dass die Arbeit der Berliner Polizei erheblich erschwert wird und die Beamten/innen in ihrer Entscheidungsfreiheit insbesondere bei der Auswahl der Störer im Rahmen von präventiven oder strafverfolgenden Maßnahmen eingeschränkt werden, weil sie sonst in eine Rechtfertigungsnot für ihr „Bauchgefühl“ gedrängt werden.
Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass es den Polizeibeamten/innen auch nach dem LADG nicht obliegt, zu beweisen, dass keine Ungleichbehandlung der sich diskriminiert fühlenden Person stattgefunden hat. Vielmehr müssen sie im Zweifel beispielsweise durch eigene und/oder Aussagen ihrer Kollegen/innen darlegen bzw. beweisen, dass ein hinreichend sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung des Betroffenen vorgelegen hat.
Was den „Drogendealer am Görli“ angeht, bedeutet dies somit lediglich, dass dessen Kontrolle – beispielsweise eine polizeiliche Maßnahme zur Identitätsfeststellung (§ 21 ASOG) oder Durchsuchung der Person (§ 34 ASOG) – gegenüber der fehlenden Kontrolle des Spaziergängers nicht allein auf eine vorurteilsbehaftete oder gar rassistische Zuschreibung des Dealer-Daseins aufgrund seiner Hautfarbe oder Sprache zu stützen ist, sondern anderweitig (beispielsweise) auf auffälliges Verhalten gegenüber Mitmenschen und insbesondere den Beamten selbst.
2. Kostenlose Beratung – Die Ombudsstelle
Bei einer neu eingerichteten Stelle wird es zukünftig die Möglichkeit geben, sich kostenlos zu informieren und beraten zu lassen. Sollten Sie also Opfer einer Diskriminierung durch eine öffentliche Stelle Berlins geworden sein, können Sie sich dort zu ihrem weiteren Vorgehen beraten lassen und ggf. mit dieser Stelle die ersten Schritte hin zu einer gütlichen Streitbeilegung oder zu einem Gerichtsverfahren tätigen.
3. Weniger Aufwand für Betroffene – Verbandsklagemöglichkeit spart Zeit und Geld
Das neue Gesetz will außerdem dafür sorgen, dass Betroffene nicht aufgrund fehlender Mittel (von zeitlicher wie auch von finanzieller Natur) davon abgehalten werden, ihre Rechte geltend zu machen.
Die Verbandsklageoption soll nun dazu beitragen, dass die tatsächliche Rechtsdurchsetzbarkeit verstärkt wird und Personen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten gegen Diskriminierung vorgehen können.
Zur Erhebung einer Klage durch einen Verband, kann der/ die Betroffene sich an einen durch die Senatsverwaltung anerkannten Antidiskriminierungsverband wenden und über diesen einen Schadensersatz- und/ oder Entschädigungsanspruch geltend machen. Des Weiteren können die Verbände im Verwaltungsverfahren auch eine Diskriminierung (ganz ohne Betroffenen) feststellen lassen.
III. Stand der Gesetzgebung
Das LADG wurde am 15. August 2019 zur ersten Lesung in das Abgeordnetenhaus von Berlin eingebracht. Nach langer Diskussion in Abgeordnetenhaus und Öffentlichkeit wurde dieses nun am 13. Mai 2020 im Rechtsausschuss beschlossen und tritt demnächst in Kraft.
IV. Stellungnahme zur Diskussion
Das neue Gesetz sei „ungerecht“ und erschwere die ohnehin schon schwierige Arbeit der Berliner Behörden „ganz enorm“ – insbesondere der Polizei (vgl. Schupelius, in der B.Z. am 17. Mai 2020). Es herrsche ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Dienst; man würde diesem unterstellen, diskriminierend vorzugehen – heißt es mehrfach von Seiten der FDP und AfD. „Polizisten könnten vor Gericht zu Freiwild werden“ (Badendick von der Personalvertretung Unabhängige in der Polizei).
Schlagfertige Begriffe polarisieren gegen eine Stärkung des Diskriminierungsschutzes und für ein kompromissloses Vertrauen in die natürlich völlig diskriminierungsfrei handelnden deutschen Behörden. Es ist schon interessant, wie die Angst ertappt zu werden, manche Menschen in die Defensive rücken lässt.
Ein großes Problem an Diskriminierung ist aber gerade das fehlende Bewusstsein für ihr Auftreten in der Gesellschaft. Eingefahrene Stigmata werden weitergefahren, von Generation zu Generation weitergereicht und bleiben unhinterfragt – sich wehrenden Personen begegnet man mit einem müden Lächeln.
Sicherlich lässt sich diskutieren, ob die Festschreibung weiterer Diskriminierungsmerkmale nicht wiederum eine Stigmatisierung als "Benachteiligte der Gesellschaft" zur Folge haben könnte – aber sollte es jedenfalls keine Frage der Angst vor einer etwaigen „Klagewelle“ sein, die das deutsche Rechtssystem davor zurückschrecken lässt, den Versuch eines Schrittes in die richtige Richtung zu machen – wozu leben wir doch gleich in einem Rechtsstaat?
Einer Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf den öffentlichen Dienst liegt nicht mehr und nicht weniger „Misstrauen“ zugrunde als jeder anderen privatrechtlichen und vom Anwendungsbereich des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) erfassten Institution auch. Was unterscheidet den Personalleiter in einem privatrechtlichen Unternehmen vom Behördenmitarbeiter in Berlin? Sollte dem Beamten durch seinen Status allein zuerkannt werden, in jeder Hinsicht diskriminierungsfrei zu agieren?
Kein Mensch handelt vorurteilsfrei – das ist auch nicht der Anspruch dieses Gesetzes. Vorurteile erleichtern uns das Leben. Aber gerade die den Staat bzw. das Land Berlin Repräsentierenden trifft dahingehend eine besondere Verantwortung. Das „Misstrauen gegenüber den deutschen Beamten“ könnte also genauso auch als „Vertrauen“ in die Fähigkeit ebendieser, der Herausforderung des Durchbrechens der eigenen Stigmata und Erkennens des eigenen vorurteilsbehafteten Verhaltens zu begegnen, verstanden werden.
„Racial Profiling“ ist schon seit längerem ein viel diskutiertes Thema – gerade hinsichtlich diskriminierender Polizeiarbeit. Der Umgang mit dieser Problematik in der Rechtswissenschaft erscheint bisher eher schwammig. Das LADG sollte als ein Versuch des Berliner Gesetzgebers gewertet werden, festgefahrene Muster zu durchbrechen und den von diesen teilweise schwerwiegenden Diskriminierungen Betroffenen eine Möglichkeit zu geben, sich auf rechtlichem Wege zur Wehr zu setzen.
Haben Sie Fragen zum Thema Verwaltungsrecht? Nehmen Sie Kontakt zu den Rechtsanwälten bei Streifler & Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
[T.S.]
Rechtsanwalt
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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.