Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 29. Juni 2006 - 11 S 2299/05

bei uns veröffentlicht am29.06.2006

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. 1991 heiratete er eine türkische Staatsangehörige, die seit 1975 in Deutschland lebt, 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erhalten hatte und als angestellte Friseurin beschäftigt war. Nach der Eheschließung reiste der Kläger mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu seiner in Köln lebenden Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Am 06.11.1992 erteilte ihm die Stadt Köln erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit verlängert wurde. Am 19.07.1993 wurde der gemeinsame Sohn der Eheleute geboren. Am 25.11.1997 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1998 lebt der Kläger von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist die Ehe geschieden.
Von Juli 1993 bis März 1995 arbeitete der Kläger bei der Firma .... Ab April 1995 bis Dezember 2002 war der Kläger bei der Firma A. G. ... als Metallputzer beschäftigt. Als die Gießerei Ende 2002 ihren Betrieb aufgab, wurde er arbeitslos.
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 - 14 K Ls 203 Js 79186/02 - wurde der Kläger wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Schaffung einer Einnahmequelle hatte der Kläger im Januar/Februar 2003 zusammen mit anderen Mittätern 500 g aus den Niederlanden eingeführtes Kokain an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft sowie darüber hinaus versucht, an diesen Ermittler weitere 5 kg Kokain (bzw. Kokainimitat) zu verkaufen. Das Strafgericht hat die Taten bei allen Tatbeteiligten als minder schweren Fall angesehen, weil von vornherein auf der Käuferseite bei beiden Geschäften verdeckte Ermittler eingeschaltet gewesen seien. Bei der Strafzumessung ist das Strafgericht beim Kläger von einem erheblichen Maß an krimineller Energie ausgegangen und hat berücksichtigt, dass der Kläger bei der zweiten Tat eine Waffe mit sich geführt sowie im wesentlichen den telefonischen Kontakt aus Deutschland zu den Lieferanten aus Holland gehalten habe.
Wegen der genannten Straftat wurde der Kläger am 09.02.2003 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt in Untersuchungshaft in die JVA Mannheim genommen. Als Anschrift des Klägers war in diesem Haftbefehl die K. ... in K. angegeben, von wo der Kläger allerdings nach den Daten des Ausländerzentralregisters am 29.05.2000 „nach unbekannt“ abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 28.02.2003 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger machte sinngemäß (nur) geltend, mit einer Ausweisung nicht einverstanden zu sein.
Mit Schreiben vom 06.03.2003 und 14.03.2003 teilte die Stadtverwaltung Köln dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe, von seiner Ehefrau getrennt lebe und die Wohnung K. ... leer stehe.
Am 23.06.2003 ging beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11.06.2003 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger von April 1999 bis zu seiner Inhaftierung bei seiner (seinerzeit noch anderweitig verheirateten) Lebensgefährtin L. B. in deren Wohnung in der O. Straße ... K. gewohnt habe, ohne dort gemeldet gewesen zu sein.
Im September 2004 wurde der Kläger in die JVA Köln verlegt.
Mit Verfügung vom 12.10.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger erfülle die Ist-Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG stehe dem Kläger nicht zu, da er zwar über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, aber nicht als Minderjähriger, sondern erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist sei. Er könne aber auch dann ausgewiesen werden, wenn er diesen Schutz genieße. Aufgrund der am 11.03.2004 abgeurteilten Straftat liege ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund vor. Vom Kläger gehe auch nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Bei schwerwiegenden Straftaten wie dem unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge dürfe im allgemeinen allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens eine hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen bejaht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger bis zu seiner Verurteilung vom 11.03.2004 nicht vorbestraft gewesen sei. Bei der begangenen schweren Betäubungsmittelstraftat habe der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie offenbart, die auch in Zukunft - zur eigenen Bereicherung - die Begehung schwerer Betäubungsmittelstraftaten erwarten lasse. Weder die Ehe noch die Geburt eines Kindes noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland bei verschiedenen Firmen erwerbstätig gewesen sei, habe ihn von der Begehung der schweren Betäubungsmittelstraftaten abhalten können. Angesichts des hohen Ranges der durch den Kläger gefährdeten Rechtsgüter seien geringere Anforderungen an den Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu stellen. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ausweisung des Klägers auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt wäre. Dies dürfe aber wohl der Fall sein, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass insbesondere schwere Betäubungsmittelstraftaten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen hätten.
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Eine Ausweisung aus rein generalpräventiven Gründen sei aber nur dann rechtlich zulässig, wenn der Kläger keine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 habe. Sollte der Kläger (noch) assoziationsrechtlich privilegiert sein, wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werde, könne er nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Die Ausweisung verstoße insbesondere nicht gegen Art. 6 GG, da der Kläger von Ehefrau und Sohn getrennt lebe. Es sei davon auszugehen, dass zu dem Sohn keine Lebens- und Beistandsgemeinschaft mehr, sondern nur noch eine bloße Begegnungsgemeinschaft bestanden habe. Selbst wenn der Kläger seinem Sohn bis zu seiner Inhaftierung Lebenshilfe im Sinne einer Beistandsgemeinschaft geleistet hätte, stünde in Anbetracht der schweren Betäubungsmittelstraftaten und der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr die Vater-Kind-Beziehung der Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers durch die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei nennenswerte Schäden davontragen werde, da er bei seiner Mutter lebe und von dieser ausreichend versorgt werde. Außerdem könnten die privaten Belange des Klägers und seines Sohnes auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AuslG angemessen berücksichtigt werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen supranationale Rechtsvorschriften. Da spezialpräventive Gründe vorlägen, die nach Art. 14 ARB 1/80 eine Ausweisung rechtfertigten, könne insbesondere der Assoziationsratsbeschluss 1/80 keine Ausweisungsbeschränkung darstellen. Auch Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei insbesondere in keiner Weise ersichtlich, dass der Kläger zu einem seinem Heimatland völlig entfremdeten „faktischen Inländer“ geworden sei, dem eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden könne.
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Im Zusammenhang mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung führte das Regierungspräsidium Folgendes aus: Es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger während eines Klageverfahrens, welches erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen könne, erneut strafbare Handlungen begehen werde. Die fortbestehende qualifizierte Wiederholungsgefahr bestehe nicht nur für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges; auch im Strafvollzug würden erwiesenermaßen viele Straftaten, insbesondere auch Betäubungsmittelstraftaten, begangen. Es liege daher im besonderen öffentlichen Interesse - auch allein aufgrund der bekanntermaßen völlig überfüllten Strafanstalten -, dass das gesetzliche Abschiebegebot nach § 49 AuslG zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen werde. Eine Freigabe zur Abschiebung sei bereits zum Halbstrafentermin möglich bzw. werde - wie andere Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern bzw. Strafvollstreckungsbehörden zeigten - im Ausnahmefall auch schon vor dem Halbstrafentermin erteilt. Darüber hinaus dürfe die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung auch aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine möglichst zeitnah zu der Anlasstat getroffene und vollzogene Sanktion besonders wirksam sei. Je dringender das Bedürfnis sei, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Tat und Schwere abzuhalten, um so eher bedürfe es einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Die durch die Ausweisung angestrebte Generalprävention verliere gerade dann erheblich an Wirkung, wenn der Ausgewiesene auch nach der Begehung schwerwiegender Straftaten wegen der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren unter Umständen noch mehrere Jahre im Bundesgebiet verbleibe.
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Gegen die Ausweisung hat der Kläger Klage erhoben und im Klageverfahren zur Begründung ausgeführt, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für den Erlass der Verfügung nicht zuständig gewesen. Örtlich zuständig sei die Behörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt habe oder zuletzt gehabt habe. Der Kläger sei seit September 2004 in Köln gemeldet und habe seinen Lebensmittelpunkt schon seit seiner Einreise in das Bundesgebiet in Köln gehabt. Durch die Verbüßung einer Untersuchungshaft werde typischerweise kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet. Außerdem habe der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung bereits nicht mehr in der JVA Mannheim, sondern in der JVA Köln eingesessen. Die Ausweisung verstoße außerdem gegen den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Der Kläger sei 1992 im Zuge der Familienzusammenführung zu seiner assoziationsberechtigten türkischen Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zu seiner Inhaftierung seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt. Danach sei er im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 assoziationsrechtlich privilegiert. Die für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern entwickelten Grundsätze müssten auf die Ausweisung von Assoziationsberechtigten übertragen werden. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Die für eine Ermessensentscheidung erforderlichen spezialpräventiven Gründe lägen nicht vor. Der Kläger habe einen Schlussstrich unter seine strafrechtliche Vergangenheit gezogen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht mehr gegeben. Auch liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend geltend gemacht, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für die Ausweisungsentscheidung zuständig gewesen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung schon seit längerem in der JVA Mannheim eingesessen sei. Eine spätere Verlegung nach Köln sei nicht bekannt gewesen und auch unerheblich.
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Mit Beschluss vom 02.12.2004, dem Regierungspräsidium Karlsruhe zugegangen am 20.12.2004, hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers ab dem 09.05.2005 (d.h. nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe) von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen.
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Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Köln mit Schriftsatz vom 02.09.2005 - auch rückwirkend - der Fortführung des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe zugestimmt.
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Mit Urteil vom 05.09.2005 (3 K 3786/04) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Ausweisungsverfahren örtlich zuständig gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, denn die Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 sei jedenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben, weil sie gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verstoße. Der Kläger habe, wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei, durch seine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und diesen Status auch nicht dadurch verloren, dass er zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine zeitliche Freiheitsstrafe verbüße. Es könne dahingestellt bleiben, ob die erworbene Rechtsstellung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 materiell-rechtlich beendet werden dürfe, denn für den Kläger fänden die für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe Anwendung, denen vorliegend nicht Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) seien im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die für EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe anzuwenden. Die Ausweisung des Klägers verstoße gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.02.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850; im Folgenden: RL 64/221/EWG). Nach dieser Vorschrift habe, sofern keine Rechtsmittel gegeben seien oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, außer in dringenden Fällen, erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes zu entscheiden, wobei diese Stelle eine andere sein müsse als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig sei. In Baden-Württemberg regele § 6a Abs. 1 AGVwGO in Fällen, in denen - wie beim Kläger - die Ausweisung vom Regierungspräsidium verfügt worden sei, den Wegfall des in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Vorverfahrens, das der Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes diene. Damit könne eine vom Regierungspräsidium verfügte Ausweisung nur noch unmittelbar mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden. In diesem Verfahren werde die Ausweisung jedoch im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG nur auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft. Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweise sich damit als rechtswidrig, weil es an der für diesen Fall von der Richtlinie geforderten gesonderten Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor Erlass der Verfügung fehle. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfülle nicht die Anforderungen an ein Rechtsmittelverfahren, welche nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfüllt sein müssten, damit vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf eine vorherige Stellungnahme durch eine gesonderte Stelle verzichtet werden könne, da in einem solchen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht stattfinde. Ohne das in § 68 VwGO geregelte Vorverfahren entspreche damit das deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches auf eine bloße Überprüfung der Grenzen einer fremden Ermessensentscheidung (§ 114 VwGO) beschränkt und zudem erst zeitlich nach dem Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stattfinde, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht.
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Im vorliegenden Fall sei auch nicht der Ausnahmefall des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gegeben, wonach „in dringenden Fällen“ die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ unterbleiben könne. Zwar habe das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt, weil die Besorgnis bestehe, der Kläger werde während eines erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen. Zudem bestehe die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges. Diese Bewertung halte das Gericht, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004, für nicht zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich sei. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ein Verzicht der Vollstreckungsbehörde gemäß § 456a StPO auf die Vollstreckung der Rest-Freiheitsstrafe unter der Bedingung einer Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch nicht erteilt worden und habe auch noch nicht im Raum gestanden. Angesichts dessen rechtfertige auch die von Seiten der Beklagten angeführte abstrakte Möglichkeit, dass der Kläger auch in der JVA weitere Straftaten begehen könne, keine andere Beurteilung. Darauf, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen eines besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht werden könne, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft am 02.12.2004 die Freigabe zur Abschiebung ab dem 09.05.2005 erklärt habe, komme es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG vorliege, nach Auffassung der Kammer nicht an. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei der Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung. Da Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetze, könne die Frage, ob ein dringender Fall vorliege und somit das in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise nicht vorauszugehen habe, nur nach der sich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung darstellenden Sachlage beurteilt werden.
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Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Berufung gegen dieses Urteil gemäß §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen, weil die Kammer bezüglich der Frage, ob Art. 9 RL 64/221/EWG verletzt sei, von den Urteilen des erkennenden Senats vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 (VBlBW 2004, 481 ff.) - und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 - abweiche. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2005 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 18.10.2005, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen am 09.11.2005, hat der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung eingelegt und die Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 05.03.1980, NJW 1980, 2630 ff.) allein Sache der Verwaltung. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe darüber hinaus die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Insofern liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 - ) ein dringender Fall i.S.d. RL 64/221/EWG vor. Die (andere) ex-post-Beurteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sei diesbezüglich unbeachtlich. Zudem bestehe im vorliegenden Fall auch angesichts der hohen Rückfallgefahr des Klägers am Vorliegen eines dringenden Falles im Sinne der genannten Bestimmung kein Zweifel. Es sei schlicht falsch, dass für das Regierungspräsidium Karlsruhe zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich gewesen sei, weil noch keine Freigabeentschließung der Staatsanwaltschaft erteilt worden sei. Denn dann könne nie ein dringender Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bejaht werden, weil die Strafvollstreckungsbehörde in Ausweisungsfällen die für den Vollzug der Ausweisung (Abschiebung) erforderliche Freigabe erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung bzw. frühestens dann erteile, wenn der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei, was erst mit Zustellung der vollziehbaren Ausweisungsverfügung der Fall sei. Die für die Abschiebung erforderliche Entschließung nach § 456a StPO werde von der Ausländerbehörde sinnvollerweise erst dann bei der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beantragt, wenn der Betroffene ausgewiesen worden bzw. vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die besondere Dringlichkeit habe sich im vorliegenden Fall bereits aus der Besorgnis ergeben, die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Das Regierungspräsidium habe von der Tatsache ausgehen müssen, dass die Freigabe zur Abschiebung von der Strafvollstreckungsbehörde bei vollziehbarer Ausreisepflicht in der Regel zum Halbstrafenzeitpunkt oder spätestens zwischen dem Halbstrafenzeitpunkt und dem Zweidrittel-Zeitpunkt erteilt werde. Aus der Sicht von Oktober 2004 sei deshalb bei realistischer Betrachtungsweise, ausgehend vom bekannten Beginn der Untersuchungshaft des Klägers und der ebenfalls bekannten Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten, eine Freigabe zur Abschiebung bereits innerhalb eines Zeitraumes von weit unter einem Jahr (Mai 2005) in Betracht gekommen, bzw. bei vorzeitiger Haftentlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe innerhalb eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren (Februar 2006). Die Freigabe sei tatsächlich erwartungsgemäß zum 09.05.2005 erteilt worden. Bei realistischer Betrachtungsweise habe daher im Oktober 2004 die begründete Besorgnis bestanden, dass sich die vom Kläger ausgehende Gefahr vor Rechtskraft einer abschließenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die von ihm erhobene Anfechtungsklage realisieren werde, so dass das Regierungspräsidium bei Erlass der Ausweisungsverfügung zu Recht vom Vorliegen eines dringenden Falles ausgegangen sei.
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Das Verwaltungsgericht gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass bei der Beurteilung, ob ein dringender Fall vorliege, der Zeitpunkt des Verwaltungshandelns - allein - maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224) sei für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach ARB 1/80 inne hätten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt sei die Freigabe bereits erteilt gewesen, so dass eine Dringlichkeit unzweifelhaft zu bejahen sei.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.09.2005 - 3 K 3786/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinen Urteilen vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - (InfAuslR 2006, 110 ff.) und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (InfAuslR 2006, 114 ff.) ausgeführt, dass nach Abschaffung des behördlichen Widerspruchsverfahrens bei Ausweisungen von Regierungspräsidien in Baden-Württemberg die in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) nicht mehr gewährleistet sei. Die Ausweisung des Klägers sei daher wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig, da für die Annahme eines dringenden Falls im Sinne der Richtlinie keine Anhaltspunkte vorlägen. Die angegriffene Verfügung berücksichtige zudem nicht in ausreichendem Maße das Verhältnis des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn und den durch Art. 6 GG garantierten Schutz durch den Staat. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts von 1997 sei das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden.
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Das Landgericht Köln hat während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2006 - StVK 2/06 3252 VRs 203 Js 79186/02 - nach Verbüßung von mehr als zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 verhängten Freiheitsstrafe die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Begründung heißt es, der vom Gericht beauftragte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort bestehe. Zwar bestehe bei Drogendelinquenz eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 50 %; letzteres müsse allerdings relativiert werden, da der Kläger selbst nicht drogenabhängig sei. Positiv für den Kläger spreche, dass es sich bei dem Delikt und der gezeigten Kriminalität um einen Ausdruck einer lebensphasischen Veränderung gehandelt habe und Kriminalität kein eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biographie des Klägers sei. Der Kläger sei auch von der Haft deutlich beeindruckt und habe Reue gezeigt. Das Verhalten des Klägers während der Haft sei weit überwiegend positiv gewesen; er werde als freundlicher, ruhiger und unauffälliger Gefangener geschildert. Für eine positive Prognose spreche schließlich, dass der Kläger über feste soziale Bindungen verfüge. Er sei seit 1999 mit seiner Freundin/Verlobten L. B. zusammen, in deren Wohnung er nach seiner Entlassung auch wohnen werde. Der Kontakt zu seinem Sohn aus der mittlerweile geschiedenen Ehe habe auch während der Haftzeit aufrecht erhalten werden können. Der Kläger verfüge schließlich über eine Arbeitsstelle für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach dem vom Verurteilten im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck könne erwartet werden, dass er unter dem Eindruck der Aussetzung der Reststrafe künftig keine Straftaten mehr begehen werde.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
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Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
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Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
28 
Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
29 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von d

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(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn 1. der Verwaltungsakt von einer ob

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Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn of

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(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefe

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2004 - 7 K 4136/02 - geändert. Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 7. Oktober 2002 wird aufgehoben.

Referenzen

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Februar 2004 - 6 K 817/03 - aufgehoben.

Gründe

 
Die Beschwerde ist statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO), da es sich bei der Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, nicht um eine der in § 146 Abs. 2 VwGO aufgeführten, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nicht anfechtbaren prozessleitenden Maßnahmen handelt (vgl. Kopp, VwGO, 13. Aufl., § 146 RdNr. 12). Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ermangelt es dem Beklagten nicht an der für jeden Rechtsbehelf erforderlichen Beschwer; denn der Beklagte hat die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO nicht beantragt, sondern in seinem Schreiben vom 19.1.2004 dem Verwaltungsgericht Stuttgart lediglich mitgeteilt, dass einer Vorgehensweise des Gerichts nach dieser Vorschrift der Vorzug gegeben werde. In dieser Erklärung kann auch kein Rechtsmittelverzicht gesehen werden. Denn der Hinweis des Beklagten in diesem Schreiben auf den Umstand, dass das Vorabentscheidungsersuchen zu der vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Rechtsfrage vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof gestellt worden ist, sowie die sich hieran anschließenden Ausführungen, mit denen er nochmals seinen Standpunkt bezüglich der Nichtanwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221 des Rats der EWG vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern bekräftigt, machen deutlich, dass er sich des Rechts auf Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht nicht begeben wollte. Überdies könnte ein solcher Rechtsmittelverzicht durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht wohl auch nur nach Erhalt der rechtsmittelfähigen Entscheidung, nicht jedoch schon zuvor wirksam erklärt werden (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. § 124 RdNr. 35).
Die Beschwerde ist auch begründet. Für eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Fragen Nr. 1 und 2 des Vorlagebeschlusses des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.3.2003 - Zlen.EU 2003/0001, 0002-1 (InfAuslR 2003, 217) bzw. über die Frage Nr. 2 des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.11.2001 - 6 K 1307/01 - (InfAuslR 2002, 66) - diese Verfahren waren wohl Anlass der hier angegriffenen Entscheidung - fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
Die Aussetzung eines Gerichtsverfahrens bis zur Erledigung eines in einem gleichgelagerten Fall beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV (bzw. Art. 177 EG-Vertrag) in entspr. Anw. des § 94 VwGO ist grundsätzlich zulässig. § 94 Abs. 1 VwGO ist allerdings nicht unmittelbar einschlägig. Denn diese Vorschrift regelt lediglich die Aussetzung mit Blick auf ein anderes Verfahren, in dem es um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis geht, während die Vorabentscheidungsverfahren bei  Europäischen Gerichtshof, um derentwillen hier ausgesetzt worden ist, die Klärung von abstrakten Rechtsfragen betrifft. Auf derartige Fälle kann § 94 Satz 1 VwGO jedoch entsprechend angewendet werden, da die Interessenlage vergleichbar ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.9.2001 - 9 S 1464/01 -, DÖV 2002, 35 und BVerwG, Beschluss vom 10.11.2000 - 3 C 3.00 -, BVerwGE 112, 166).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof bzw. vom Verwaltungsgericht Stuttgart dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen auch im vorliegenden Verfahren, das die unter Sofortvollzug verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hat, rechtserheblich und damit für die Entscheidung vorgreiflich sind.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit seinem Beschluss vom 20.11.2001 u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Vorabentscheidungsverfahren C-482/01-)
„Steht Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 einer nationalen Regelung entgegen, die ein Widerspruchsverfahren, in dem auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung stattfindet, gegenüber einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet nicht mehr vorsieht, wenn eine bestimmte, von der die Entscheidung treffenden Verwaltungsbehörde unabhängige Stelle nicht eingerichtet wird?“
Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof wirft in Ziff. 1 seines Vorabentscheidungsbeschlusses vom 18.3.2003 im Wesentlichen die gleiche Rechtsfrage auf; in Ziff. 2 seines Beschlusses legt er dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (Vorabentscheidungsverfahren C-136/03-).
Diese dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten, die Auslegung der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG betreffenden Fragen sind im vorliegenden Verfahren nicht rechtserheblich, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Klage des Klägers gegen seine Ausweisung nicht von ihrer Beantwortung abhängt. Art. 8 der Richtlinie 64/221/EWG bestimmt, dass ein Betroffener gegen die Verweigerung der Einreise, einer Aufenthaltsgenehmigung oder gegen die Entfernung aus dem Aufnahmeland die Rechtsbehelfe haben muss, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ergänzt den Art. 8. Durch ihn soll den Personen, die von einer dieser Maßnahmen betroffen sind, ein Minimum an verfahrensmäßigem Schutz gewährleistet werden, wenn einer der drei besonderen Fälle vorliegt, die Art. 9 Abs. 1 mit den Worten „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“ umschreibt. Im ersten Fall soll die Möglichkeit der Anrufung einer „zuständigen Stelle“, die eine andere als die für die Entscheidung zuständige Behörde sein muss, das Fehlen jeglichen gerichtlichen Rechtsbehelfs ausgleichen. Im zweiten Fall soll die Einschaltung der zuständigen Stelle eine umfassende Prüfung der Situation des Betroffenen, einschließlich der Zweckmäßigkeit der fraglichen Maßnahme, ermöglichen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Im dritten Fall soll dieses Verfahren es dem Betroffenen ermöglichen, zu beantragen und ggf. zu erwirken, dass die Vollziehung der geplanten Maßnahme ausgesetzt wird, und ihm so einen Ausgleich dafür bieten, dass es nicht möglich ist, die Vollziehung durch die Gerichte aussetzen zu lassen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG fordert dabei bei Vorliegen eines dieser drei besonderen Fälle die Einschaltung einer zuständigen Stelle vor Erlass der ausländerrechtlichen Maßnahme (vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995 - C 175/94 -, Sammlung 1995, I-4253, RdNr. 20). Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann jedoch „in dringenden Fällen“ unterbleiben; diese Ausnahme ist in Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG für alle drei Fallgestaltungen ausdrücklich vorgesehen.
Vom Vorliegen eines „dringenden Falles“ in diesem Sinne ist das Regierungspräsidium Stuttgart bei Erlass der gegen den Kläger ergangenen Ausweisungsverfügung vom 20.1.2003 jedoch ausgegangen; denn es hat die Ausweisung des Klägers wegen der von ihm ausgehenden schweren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung - auch - aus spezialpräventiven Gründen für erforderlich gehalten und hat die Ausweisungsverfügung in der Annahme für sofort vollziehbar erklärt, dass die begründete Besorgnis bestehe, dass sich die vom Kläger ausgehende, mit seiner Ausweisung bekämpfte Gefahr schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren werde. Lag im Fall des Klägers aber ein „dringender Fall“ vor, so folgt hieraus, dass das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ unabhängig davon, ob diese Vorschrift überhaupt auf den Kläger als türkischen Staatsangehörigen Anwendung finden kann, der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht vorauszugehen hatte und dass sein Unterbleiben mithin nicht gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien verstößt.
10 
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart auf den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 16.7.2203 - 6 K 1757/03 - die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.1.2003 wiederhergestellt bzw. angeordnet hat. Denn ungeachtet dessen, dass diese Entscheidung - wohl -auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zurückwirkt (vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 6.3.1992 - 12 Cs 91.3128 -, GewArch 1993, 349; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 80 RdNr. 86; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 362) bedeutet dies nicht, dass in Wirklichkeit kein „dringender Fall“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgelegen hat und folglich - zumindest bei Annahme der Anwendbarkeit der Richtlinie 64/221/EWG auch auf türkische Staatsangehörige - das in dieser Vorschrift vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren zu Unrecht unterblieben ist. Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit in begründeten Fällen ist nämlich, wie der Europäische Gerichtshof entschieden hat (vgl. sein Urteil vom 5.3.1980 - Rs 98/79 -, Sammlung 1980, 619 RdNrn. 19 und 20) Sache der Verwaltung: Durch das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme soll den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Für die Ausübung derartige Befugnisse durch die innerstaatlichen Gerichte gilt nach Auffassung des EuGH Art. 8 der Richtlinie. Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs machen deutlich, dass der Umstand, dass ein Gericht bei einer ex-post-Beurteilung zu einer anderen Auffassung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet kommt als die Ausländerbehörde, rechtlich nicht die Annahme rechtfertigt, das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ansonsten vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme sei zu Unrecht unterblieben.
11 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt.

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Hat ein Land eine abweichende Regelung nach Satz 2 getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Artikel 72 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.

(2) Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.

(3) Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen. Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden, mit deren Zustimmung und, falls diese Zustimmung versagt wird, mit Zustimmung des Bundesrates auch zu den nachgeordneten Behörden.

(4) Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen den Beschluß des Bundesrates kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.

(5) Der Bundesregierung kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Sie sind, außer wenn die Bundesregierung den Fall für dringlich erachtet, an die obersten Landesbehörden zu richten.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Februar 2004 - 6 K 817/03 - aufgehoben.

Gründe

 
Die Beschwerde ist statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO), da es sich bei der Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, nicht um eine der in § 146 Abs. 2 VwGO aufgeführten, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nicht anfechtbaren prozessleitenden Maßnahmen handelt (vgl. Kopp, VwGO, 13. Aufl., § 146 RdNr. 12). Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ermangelt es dem Beklagten nicht an der für jeden Rechtsbehelf erforderlichen Beschwer; denn der Beklagte hat die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO nicht beantragt, sondern in seinem Schreiben vom 19.1.2004 dem Verwaltungsgericht Stuttgart lediglich mitgeteilt, dass einer Vorgehensweise des Gerichts nach dieser Vorschrift der Vorzug gegeben werde. In dieser Erklärung kann auch kein Rechtsmittelverzicht gesehen werden. Denn der Hinweis des Beklagten in diesem Schreiben auf den Umstand, dass das Vorabentscheidungsersuchen zu der vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Rechtsfrage vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof gestellt worden ist, sowie die sich hieran anschließenden Ausführungen, mit denen er nochmals seinen Standpunkt bezüglich der Nichtanwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221 des Rats der EWG vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern bekräftigt, machen deutlich, dass er sich des Rechts auf Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht nicht begeben wollte. Überdies könnte ein solcher Rechtsmittelverzicht durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht wohl auch nur nach Erhalt der rechtsmittelfähigen Entscheidung, nicht jedoch schon zuvor wirksam erklärt werden (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. § 124 RdNr. 35).
Die Beschwerde ist auch begründet. Für eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Fragen Nr. 1 und 2 des Vorlagebeschlusses des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.3.2003 - Zlen.EU 2003/0001, 0002-1 (InfAuslR 2003, 217) bzw. über die Frage Nr. 2 des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.11.2001 - 6 K 1307/01 - (InfAuslR 2002, 66) - diese Verfahren waren wohl Anlass der hier angegriffenen Entscheidung - fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
Die Aussetzung eines Gerichtsverfahrens bis zur Erledigung eines in einem gleichgelagerten Fall beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV (bzw. Art. 177 EG-Vertrag) in entspr. Anw. des § 94 VwGO ist grundsätzlich zulässig. § 94 Abs. 1 VwGO ist allerdings nicht unmittelbar einschlägig. Denn diese Vorschrift regelt lediglich die Aussetzung mit Blick auf ein anderes Verfahren, in dem es um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis geht, während die Vorabentscheidungsverfahren bei  Europäischen Gerichtshof, um derentwillen hier ausgesetzt worden ist, die Klärung von abstrakten Rechtsfragen betrifft. Auf derartige Fälle kann § 94 Satz 1 VwGO jedoch entsprechend angewendet werden, da die Interessenlage vergleichbar ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.9.2001 - 9 S 1464/01 -, DÖV 2002, 35 und BVerwG, Beschluss vom 10.11.2000 - 3 C 3.00 -, BVerwGE 112, 166).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof bzw. vom Verwaltungsgericht Stuttgart dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen auch im vorliegenden Verfahren, das die unter Sofortvollzug verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hat, rechtserheblich und damit für die Entscheidung vorgreiflich sind.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit seinem Beschluss vom 20.11.2001 u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Vorabentscheidungsverfahren C-482/01-)
„Steht Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 einer nationalen Regelung entgegen, die ein Widerspruchsverfahren, in dem auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung stattfindet, gegenüber einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet nicht mehr vorsieht, wenn eine bestimmte, von der die Entscheidung treffenden Verwaltungsbehörde unabhängige Stelle nicht eingerichtet wird?“
Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof wirft in Ziff. 1 seines Vorabentscheidungsbeschlusses vom 18.3.2003 im Wesentlichen die gleiche Rechtsfrage auf; in Ziff. 2 seines Beschlusses legt er dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (Vorabentscheidungsverfahren C-136/03-).
Diese dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten, die Auslegung der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG betreffenden Fragen sind im vorliegenden Verfahren nicht rechtserheblich, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Klage des Klägers gegen seine Ausweisung nicht von ihrer Beantwortung abhängt. Art. 8 der Richtlinie 64/221/EWG bestimmt, dass ein Betroffener gegen die Verweigerung der Einreise, einer Aufenthaltsgenehmigung oder gegen die Entfernung aus dem Aufnahmeland die Rechtsbehelfe haben muss, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ergänzt den Art. 8. Durch ihn soll den Personen, die von einer dieser Maßnahmen betroffen sind, ein Minimum an verfahrensmäßigem Schutz gewährleistet werden, wenn einer der drei besonderen Fälle vorliegt, die Art. 9 Abs. 1 mit den Worten „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“ umschreibt. Im ersten Fall soll die Möglichkeit der Anrufung einer „zuständigen Stelle“, die eine andere als die für die Entscheidung zuständige Behörde sein muss, das Fehlen jeglichen gerichtlichen Rechtsbehelfs ausgleichen. Im zweiten Fall soll die Einschaltung der zuständigen Stelle eine umfassende Prüfung der Situation des Betroffenen, einschließlich der Zweckmäßigkeit der fraglichen Maßnahme, ermöglichen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Im dritten Fall soll dieses Verfahren es dem Betroffenen ermöglichen, zu beantragen und ggf. zu erwirken, dass die Vollziehung der geplanten Maßnahme ausgesetzt wird, und ihm so einen Ausgleich dafür bieten, dass es nicht möglich ist, die Vollziehung durch die Gerichte aussetzen zu lassen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG fordert dabei bei Vorliegen eines dieser drei besonderen Fälle die Einschaltung einer zuständigen Stelle vor Erlass der ausländerrechtlichen Maßnahme (vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995 - C 175/94 -, Sammlung 1995, I-4253, RdNr. 20). Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann jedoch „in dringenden Fällen“ unterbleiben; diese Ausnahme ist in Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG für alle drei Fallgestaltungen ausdrücklich vorgesehen.
Vom Vorliegen eines „dringenden Falles“ in diesem Sinne ist das Regierungspräsidium Stuttgart bei Erlass der gegen den Kläger ergangenen Ausweisungsverfügung vom 20.1.2003 jedoch ausgegangen; denn es hat die Ausweisung des Klägers wegen der von ihm ausgehenden schweren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung - auch - aus spezialpräventiven Gründen für erforderlich gehalten und hat die Ausweisungsverfügung in der Annahme für sofort vollziehbar erklärt, dass die begründete Besorgnis bestehe, dass sich die vom Kläger ausgehende, mit seiner Ausweisung bekämpfte Gefahr schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren werde. Lag im Fall des Klägers aber ein „dringender Fall“ vor, so folgt hieraus, dass das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ unabhängig davon, ob diese Vorschrift überhaupt auf den Kläger als türkischen Staatsangehörigen Anwendung finden kann, der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht vorauszugehen hatte und dass sein Unterbleiben mithin nicht gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien verstößt.
10 
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart auf den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 16.7.2203 - 6 K 1757/03 - die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.1.2003 wiederhergestellt bzw. angeordnet hat. Denn ungeachtet dessen, dass diese Entscheidung - wohl -auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zurückwirkt (vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 6.3.1992 - 12 Cs 91.3128 -, GewArch 1993, 349; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 80 RdNr. 86; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 362) bedeutet dies nicht, dass in Wirklichkeit kein „dringender Fall“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgelegen hat und folglich - zumindest bei Annahme der Anwendbarkeit der Richtlinie 64/221/EWG auch auf türkische Staatsangehörige - das in dieser Vorschrift vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren zu Unrecht unterblieben ist. Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit in begründeten Fällen ist nämlich, wie der Europäische Gerichtshof entschieden hat (vgl. sein Urteil vom 5.3.1980 - Rs 98/79 -, Sammlung 1980, 619 RdNrn. 19 und 20) Sache der Verwaltung: Durch das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme soll den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Für die Ausübung derartige Befugnisse durch die innerstaatlichen Gerichte gilt nach Auffassung des EuGH Art. 8 der Richtlinie. Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs machen deutlich, dass der Umstand, dass ein Gericht bei einer ex-post-Beurteilung zu einer anderen Auffassung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet kommt als die Ausländerbehörde, rechtlich nicht die Annahme rechtfertigt, das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ansonsten vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme sei zu Unrecht unterblieben.
11 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 19.11.2004 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am 25.10.1980 in Deutschland geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Das Landratsamt ... erteilte ihm am 10.06.1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Mutter des Klägers reiste am 06.06.1973 nach Deutschland ein; sie ist seit 04.02.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Im Geburtenbuch es Standesamtes ... ist unter dem 30.10.1980 als berufliche Tätigkeit der Mutter des Klägers „Hilfsarbeiterin“ verzeichnet.
Das Landgericht ... verurteilte den Kläger mit Urteil vom 17.09.2004 (Az.: 2 KLs 16 Js 8755/04) wegen Vergewaltigung, vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten; ferner ordnete das Landgericht die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Urteil ist seit 25.09.2004 rechtskräftig. Zu den Lebensverhältnissen des Klägers ist im Urteil des Landgerichts ausgeführt, dass die Ehe seiner Eltern 1982 oder 1983 geschieden worden sei, worauf der Vater des Klägers in die Türkei abgeschoben worden sei und dort in der Folgezeit eine neue Familie gegründet habe. Die Mutter des Klägers habe etwa im Jahre 1996 eine zweite Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen geschlossen; diese Ehe sei 1999 geschieden worden. Der Kläger habe bis zu seiner Verhaftung Ende März 2004 im Haushalt seiner Mutter in ... gelebt. Im Hinblick auf dieses Urteil stellte das Amtsgericht ... mit Beschluss vom 12.11.2004 (Az.: 3 Cs 61 Js 7751/04) das von der Staatsanwaltschaft ... (Az.: 61 Js 7751/04) gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Aufgrund des Urteils des Landgerichts ... vom 17.09.2004 wies das Regierungspräsidium ... den Kläger mit Bescheid vom 19.11.2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Das Regierungspräsidium wies den Kläger in dem Bescheid darauf hin, dass seine Abschiebung im Zeitpunkt der Haftentlassung oder der Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolge. Die zuständige Staatsanwaltschaft ... sei von der Ausweisung unterrichtet worden, damit diese eine Entscheidung nach § 456 a StPO treffen könne. Diese Entscheidung werde dem Kläger bekannt gegeben werden, so dass er den frühest möglichen Zeitpunkt einer Abschiebung erfahren werde. In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 19.11.2004 wurde auf die Möglichkeit einer beim Verwaltungsgericht Stuttgart zu erhebenden Klage hingewiesen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.11.2004 zugestellt. Seit 25.11.2004 befindet sich der Kläger in stationär-forensischer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie ....
Am 23.12.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 Klage erhoben. Zur Begründung macht der Kläger geltend, die Frage der Gefahr der Wiederholung von Straftaten sei vom Beklagten nicht umfassend bewertet, das Ausweisungsermessen fehlerhaft ausgeübt, Abschiebungshindernisse nicht beachtet sowie die Abschiebungsandrohung fehlerhaft verfügt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung der Klage in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23.12.2004, 16.02.2005 und 26.01.2006 verwiesen.
Am 17.02.2005 hat der Kläger einen Aussetzungsantrag im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids vom 19.11.2004 gestellt. Hierauf ist mit Beschluss des Berichterstatters vom 29.11.2005 (5 K 671/05) die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 bezüglich der Ausweisung wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet worden. Der Beschluss ist seit 28.12.2005 rechtskräftig. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, im Klageverfahren bedürfe es der näheren Prüfung, ob der angefochtene Bescheid mangels eines durchgeführten Widerspruchsverfahrens entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG) nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Europäischer Gerichtshof und Bundesverwaltungsgericht) sich als rechtswidrig erweist und daher aufzuheben ist.
Bereits mit Schreiben vom 09.12.2004 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde bis Juli 2005 zurückgestellt. Mit weiterem Schreiben vom 27.06.2005 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde voraussichtlich erst im April 2006 getroffen werden. Das Landgericht ... hat mit Beschluss vom 21.11.2005 (Az.: 8 StVK 217/05) die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Ergänzend hat das Regierungspräsidium ... mit Schreiben vom 17.01.2006 ausgeführt, zwar leide die Ausweisung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -) derzeit an einem formellen Fehler, da keine unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG eingeschaltet worden sei und ein dringender Fall nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Klägers gegen seine Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids nicht (mehr) vorliege. Allerdings gelte ab dem 30.04.2006 die Richtlinie 2004/38/EG; die Richtlinie 64/221/EWG trete dann außer Kraft. Nachdem die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei, wenn eine Ausweisung wie hier an Art. 14 ARB 1/80 zu messen sei, müsse die neue Richtlinie gewürdigt werden und der formelle Fehler könnte dann nicht mehr festgestellt werden. Die Verfahrensgarantie in Art. 31 RL 2004/38/EG sehe nämlich die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vor. Insofern mache es wenig Sinn, der Klage allein wegen Verstoßes gegen Art. 9 RL 64/221/EWG stattzugeben. Denn der Beklagte könnte dann Rechtsmittel einlegen und wegen des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wäre das Rechtsmittel erfolgversprechend. Die ab 30.04.2006 geltende Richtlinie 2004/38/EG verstoße auch nicht gegen ein Verschlechterungsverbot; die Europäische Union habe das Recht, ihre Richtlinien aufzuheben oder zu ändern.
12 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
13 
Die einschlägigen ausländerrechtlichen Akten liegen vor. Die gerichtlichen Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (5 K 671/05) sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Gründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 19.11.2004 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am 25.10.1980 in Deutschland geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Das Landratsamt ... erteilte ihm am 10.06.1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Mutter des Klägers reiste am 06.06.1973 nach Deutschland ein; sie ist seit 04.02.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Im Geburtenbuch es Standesamtes ... ist unter dem 30.10.1980 als berufliche Tätigkeit der Mutter des Klägers „Hilfsarbeiterin“ verzeichnet.
Das Landgericht ... verurteilte den Kläger mit Urteil vom 17.09.2004 (Az.: 2 KLs 16 Js 8755/04) wegen Vergewaltigung, vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten; ferner ordnete das Landgericht die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Urteil ist seit 25.09.2004 rechtskräftig. Zu den Lebensverhältnissen des Klägers ist im Urteil des Landgerichts ausgeführt, dass die Ehe seiner Eltern 1982 oder 1983 geschieden worden sei, worauf der Vater des Klägers in die Türkei abgeschoben worden sei und dort in der Folgezeit eine neue Familie gegründet habe. Die Mutter des Klägers habe etwa im Jahre 1996 eine zweite Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen geschlossen; diese Ehe sei 1999 geschieden worden. Der Kläger habe bis zu seiner Verhaftung Ende März 2004 im Haushalt seiner Mutter in ... gelebt. Im Hinblick auf dieses Urteil stellte das Amtsgericht ... mit Beschluss vom 12.11.2004 (Az.: 3 Cs 61 Js 7751/04) das von der Staatsanwaltschaft ... (Az.: 61 Js 7751/04) gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Aufgrund des Urteils des Landgerichts ... vom 17.09.2004 wies das Regierungspräsidium ... den Kläger mit Bescheid vom 19.11.2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Das Regierungspräsidium wies den Kläger in dem Bescheid darauf hin, dass seine Abschiebung im Zeitpunkt der Haftentlassung oder der Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolge. Die zuständige Staatsanwaltschaft ... sei von der Ausweisung unterrichtet worden, damit diese eine Entscheidung nach § 456 a StPO treffen könne. Diese Entscheidung werde dem Kläger bekannt gegeben werden, so dass er den frühest möglichen Zeitpunkt einer Abschiebung erfahren werde. In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 19.11.2004 wurde auf die Möglichkeit einer beim Verwaltungsgericht Stuttgart zu erhebenden Klage hingewiesen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.11.2004 zugestellt. Seit 25.11.2004 befindet sich der Kläger in stationär-forensischer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie ....
Am 23.12.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 Klage erhoben. Zur Begründung macht der Kläger geltend, die Frage der Gefahr der Wiederholung von Straftaten sei vom Beklagten nicht umfassend bewertet, das Ausweisungsermessen fehlerhaft ausgeübt, Abschiebungshindernisse nicht beachtet sowie die Abschiebungsandrohung fehlerhaft verfügt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung der Klage in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23.12.2004, 16.02.2005 und 26.01.2006 verwiesen.
Am 17.02.2005 hat der Kläger einen Aussetzungsantrag im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids vom 19.11.2004 gestellt. Hierauf ist mit Beschluss des Berichterstatters vom 29.11.2005 (5 K 671/05) die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 bezüglich der Ausweisung wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet worden. Der Beschluss ist seit 28.12.2005 rechtskräftig. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, im Klageverfahren bedürfe es der näheren Prüfung, ob der angefochtene Bescheid mangels eines durchgeführten Widerspruchsverfahrens entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG) nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Europäischer Gerichtshof und Bundesverwaltungsgericht) sich als rechtswidrig erweist und daher aufzuheben ist.
Bereits mit Schreiben vom 09.12.2004 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde bis Juli 2005 zurückgestellt. Mit weiterem Schreiben vom 27.06.2005 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde voraussichtlich erst im April 2006 getroffen werden. Das Landgericht ... hat mit Beschluss vom 21.11.2005 (Az.: 8 StVK 217/05) die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Ergänzend hat das Regierungspräsidium ... mit Schreiben vom 17.01.2006 ausgeführt, zwar leide die Ausweisung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -) derzeit an einem formellen Fehler, da keine unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG eingeschaltet worden sei und ein dringender Fall nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Klägers gegen seine Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids nicht (mehr) vorliege. Allerdings gelte ab dem 30.04.2006 die Richtlinie 2004/38/EG; die Richtlinie 64/221/EWG trete dann außer Kraft. Nachdem die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei, wenn eine Ausweisung wie hier an Art. 14 ARB 1/80 zu messen sei, müsse die neue Richtlinie gewürdigt werden und der formelle Fehler könnte dann nicht mehr festgestellt werden. Die Verfahrensgarantie in Art. 31 RL 2004/38/EG sehe nämlich die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vor. Insofern mache es wenig Sinn, der Klage allein wegen Verstoßes gegen Art. 9 RL 64/221/EWG stattzugeben. Denn der Beklagte könnte dann Rechtsmittel einlegen und wegen des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wäre das Rechtsmittel erfolgversprechend. Die ab 30.04.2006 geltende Richtlinie 2004/38/EG verstoße auch nicht gegen ein Verschlechterungsverbot; die Europäische Union habe das Recht, ihre Richtlinien aufzuheben oder zu ändern.
12 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
13 
Die einschlägigen ausländerrechtlichen Akten liegen vor. Die gerichtlichen Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (5 K 671/05) sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Gründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Tenor

Die Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - vom 24. März 2003 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger setzt sich gegen seine Ausweisung und Abschiebung zur Wehr.
Der am ... in K. in der Türkei geborene, ledige Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wuchs bis zu seinem 12. Lebensjahr mit einer älteren Schwester und zwei jüngeren Brüdern in der Türkei bei seiner Mutter auf. Sein seit ca. 28 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland berufstätiger Vater B. D. holte im Jahr 1992 zunächst den Kläger und seine Schwester nach Deutschland. Im Jahr 1993 folgte die Mutter Z. D. mit den beiden Brüdern. Die Familie wohnte bis 1.4.1999 in einer Obdachlosenunterkunft in M., wo der Kläger zunächst zwei Jahre eine Vorbereitungsklasse besuchte, um die deutsche Sprache zu lernen. Anschließend ging er in die reguläre Hauptschule, wobei er, bedingt durch Sprachprobleme, erhebliche Schwierigkeiten hatte. 1996 wurde er nach Beendigung der siebten Hauptschulklasse entlassen. Danach nahm er vom 23.9.1997 bis 28.8.1998 beim ...-haus in S. erfolgreich an einem Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen teil. Die beabsichtigte Ausbildung als Maurer und Dachdecker konnte er danach aber nicht verwirklichen. Stattdessen arbeitete er ab 27.10.1998 bis Sommer 1999 bei einer Gebäudereinigungsfirma in O. Anschließend war er bis August 2000 bei der Fa. M. ... in E.-M.beschäftigt. Danach war er einige Monate arbeitslos. Von April bis Juni 2001 arbeitete er beim Autohaus G. in M. Eine geplante Ausbildung im Autohaus kam ebenfalls nicht zustande. Von September 2001 bis zur Inhaftierung am 22.2.2002 arbeitete er beim Baugeschäft H. in E.-D. Nach seiner Haftentlassung war er vom Januar bis Mai 2004 als Bauhelfer bei der Fa. ... tätig. Danach war er arbeitslos. Seit dem 1.4.2005 ist er bei der ... auf 165-EUR-Basis beschäftigt. Dem Kläger wurde am 17.11.1999 vom Landratsamt ... eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Strafrechtlich ist der Kläger wie folgt in Erscheinung getreten:
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. vom 24.8.2000, rechtskräftig seit dem 19.9.2000 - ... - wurde gegen ihn wegen des Besitzes eines nach dem Waffenrecht verbotenen Gegenstands (Metall-Nunchaku) eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 30 DM verhängt.
- Mit Urteil des Amtsgerichts E. - ... - vom 5.12.2000 wurde er wegen sechs Vergehen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, eines Vergehens der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr sowie eines Vergehens des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe von 7 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Verurteilung bezog sich auf folgende Taten: 1. An einem nicht näher bestimmbaren Wochenende um den 25.8.2000 herum kaufte er in W. in der Diskothek „...“ ca. 2,5 g Kokain für 400 DM, das er in den folgenden Tagen schnupfte. 2. In der Nacht vom 1. zum 2.9.2000 kaufte er in der gleichen Diskothek gut ein Gramm Kokain für 170 DM, das er noch am gleichen Wochenende verbrauchte. 3. Am 3.9.2000 kaufte er in U. vor dem Cafe´ ... ca. sieben Gramm Kokain für 980 DM, das er im Lauf der nächsten Tage schnupfte. 4. In der Nacht vom 9. zum 10.9.2000 kaufte er in R. in der Diskothek „...“ ein Gramm Kokain für 140 DM, das er sofort verbrauchte. 5. Am 12.9.2000 fuhr er mit seinem PKW nach U. und kaufte dort ca. 1 Gramm Heroin. 6. Am selben Tag nahm er gegen 16:30 Uhr die Hälfte des Heroins zu sich. Nachdem er die Wirkung deutlich spürte, fuhr er mit seinem PKW nach M. zurück, dort für längere Zeit umher und schließlich über E. wieder Richtung U. Gegen 20:30 Uhr fiel er wegen seiner Fahrweise einer Polizeistreife auf, die die Fahrt beendete. 7. Obwohl sein Führerschein in Gewahrsam genommen und beschlagnahmt worden war, fuhr der Kläger am 14.9.2000 mit seinem PKW. Zur Strafzumessung ist im Urteil ausgeführt: „ ... Der Angeklagte steht an einem gefährlichen Scheideweg, das Gericht hatte bei diesem Sachverhalt von schädlichen Neigungen im Sinne von § 17 JGG, die bei dem Angeklagten vorliegen, auszugehen... Die Vollstreckung konnte noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Es besteht nach der Hauptverhandlung Anlass zur Hoffnung, dass der Angeklagte sich jetzt besinnen und künftig straffrei führen wird und insbesondere ein Reifeprozess durchläuft, der zu einer sozialen Eingliederung führen wird.
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. vom 9.5.2001, rechtskräftig sei dem 13.7.2001, - ... - wurde gegen den Kläger, weil er am 24.11.2000 Betäubungsmittel (0,2 g Kokain) in seinem Besitz gehabt hatte, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 DM verhängt.
- Mit Urteil des Amtsgerichts U. vom 29.5.2002, rechtskräftig seit dem 29.5.2002, - ... - wurde der Kläger unter Einbeziehung der Verurteilung vom 5.12.2000 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 11 Fällen, dabei einmal in Tateinheit mit vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Verurteilung bezog sich auf folgende Taten: 1. Von Mitte 1999 bis März 2000 veräußerte der Kläger in mindestens fünf Fällen unter anderem aus seiner Wohnung in M. Ecstasy. Dabei veräußerte er in zwei Fällen jeweils 400 Stück, in zwei weiteren Fällen jeweils 300 Stück und in einem Fall 100 Tabletten. Die für 9 DM pro Stück erworbenen Tabletten veräußerte der Kläger zur Finanzierung der eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit zum Stückpreis von 10 / 11 DM weiter. 2. Anfang Mai 2000 kaufte der Kläger in Rotterdam 700 Ecstasy - Tabletten zum Stückpreis von 1 - 1,50 DM und führte die Tabletten anschließend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sie unter anderem in der Diskothek ... in R. zum Stückpreis von 20 DM verkaufte, um den Gewinn zur Finanzierung seiner eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit zu verwenden. 3. Im Mai und Juni 2000 veräußerte der Kläger in M. in seiner Wohnung in vier Fällen Haschisch, in zwei Fällen für jeweils 50 DM, in zwei weiteren Fällen für jeweils 100 DM und in einem Fall 65 g für 700 DM. Zur Strafzumessung ist im Urteil ausgeführt: „ ... Der zur Tatzeit 19/20 Jahre alte Angeklagte war Heranwachsender, Retardierungen aus seiner Persönlichkeitsentwicklung führen jedoch vorliegend zur Anwendung von Jugendstrafrecht ... Bei der Bemessung ... war zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er über einen sehr langen Zeitraum von fast einem Jahr mit insgesamt 2200 Ecstasy-Tabletten Handel betrieben hat ... Seit der Hauptverhandlung im Dezember 2000 beim Amtsgericht - Jugendgericht - E. ist der Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht mehr auffällig geworden, woraus sich ergibt, dass er die Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung ernst genommen hat. ... Zu berücksichtigen war auch der persönliche Werdegang, die anfangs bestehenden Sprachprobleme, nachdem er als Jugendlicher in ein für ihn völlig neues Umfeld wechseln musste und die damit verbundenen anfänglichen Integrationsprobleme. Dennoch hat er sich im Laufe der Zeit hier integriert, war in der Jugendarbeit im alternativen Jugendhaus in M. tätig und will sich auch weiterhin in die hiesige Gesellschaft integrieren. Er ist bereit, eine stationäre Langzeittherapie aufzunehmen ... Angesichts dieser Gesamtumstände waren vorliegend schädliche Neigungen im Sinne des § 17 JGG mit Sicherheit festzustellen, diese liegen auch noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor. ...“
Der Kläger befand sich vom 22.2.2002 bis zum 23.8.2003 in Strafhaft. Mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 wurde seine Restjugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Für die Bewährungszeit von zwei Jahren wurde der Kläger der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. In dem Beschluss wurde ausgeführt, der Kläger sei Erstverbüßer. Er habe sich bezüglich seiner Drogenabhängigkeit selbstkritisch gezeigt und habe von Anfang an die Absicht gehabt, eine Drogenlangzeittherapie zu machen. Alle in der Haftzeit durchgeführten Urinkontrollen hätten mit einem negativen Ergebnis geendet. Er habe im ständigen Kontakt mit der Drogenberatung in der Justizvollzugsanstalt R. gestanden.
Mit Schreiben des Regierungspräsidiums T. - Bezirksstelle für Asyl - vom 1.3.2002 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Er brachte dazu vor, die am 29.5.2002 abgeurteilten Straftaten lägen zeitlich alle vor seiner Verurteilung vom 5.12.2000. Die Ergebnisse laufender Drogen-Screenings belegten, dass er keine Drogen mehr konsumiere. Außerdem wolle er sich einer Drogentherapie unterziehen, was bisher nur wegen fehlender Kostenzusage nicht geschehen sei. Die Kostenzusage erhalte er nicht, weil nicht geklärt sei, ob er weiter in der Bundesrepublik Deutschland bleiben könne. Für die Zeit nach seiner Entlassung stehe ihm ein Arbeitsplatz zur Verfügung.
10 
Mit Verfügung vom 24.3.2003 wurde der Kläger vom Regierungspräsidium T. - Bezirksstelle für Asyl - aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme wurde angeordnet. Dem Kläger wurde die Abschiebung direkt aus der Strafhaft angedroht. Für den Fall, dass die Abschiebung nicht zum Haftende erfolgen könne und dass der Kläger nicht freiwillig ausreise, wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Wegen des vom Kläger zu beanspruchenden besonderen Ausweisungsschutzes sei die Ist-Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft. Deren Voraussetzungen seien gegeben, nachdem bei ihm schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in spezialpräventiver Hinsicht vorlägen. Beim Kläger müsse wegen seiner bisherigen Straftaten konkret von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden und es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erneut straffällig werde. Deswegen sei die Ausweisung auch in Ansehung des Ausweisungsschutzes, den der Kläger nach Art. 14 ARB 1/80 beanspruchen könne, zwingend geboten. Das Verhalten des Klägers deute auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hin.
11 
Am 25.4.2003 hat der Kläger gegen die Ausweisung Klage erhoben. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger genieße als Abkömmling eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80. Die Frage, ob er ausgewiesen werden könne, beantworte sich daher bei ihm nicht nach den Vorschriften des aktuellen Ausländergesetzes, die entgegen der Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verschärft worden seien, sondern nach den Vorschriften der Ausländergesetze von 1965 oder 1990. Insofern fehle bislang eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung, die auch den langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtige. Außerdem lägen die Voraussetzungen nach Art. 14 ARB 1/80 für eine Ausweisung des Klägers nicht vor. Bei ihm bestehe nach dem Bericht des Leiters der Vollzugsanstalt R. vom 6.8.2003, nach den Ausführungen im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 und nach dem Bericht des Bewährungshelfers vom 3.2.2005 keine konkrete Wiederholungsgefahr. Der Bericht des Bewährungshelfers belege, dass sich der Kläger nach der Haftentlassung weiterhin positiv entwickelt habe. Er sei mittlerweile sozial integriert und in der Jugendarbeit auf kommunaler Ebene engagiert. Die damit erfolgte, völlige Abkehr des Klägers von seinem früheren Verhalten, würde durch die schriftlichen Aussagen des Bürgermeisters von M. und die Angaben von Polizeihauptkommissar K., der den örtlichen Polizeiposten in M. leite, bestätigt. Der Kläger arbeite seit seiner Haftentlassung mit der Gemeinde und mit dem örtlichen Polizeiposten bei der Betreuung und Integration von vorwiegend türkischstämmigen Jugendlichen zusammen. Insofern engagiere er sich auch mit Erfolg im örtlichen Alternativen Jugendzentrum, dessen Vorstand er angehöre. Der positive Bericht von Polizeihauptkommissar K. sei auch deswegen beachtlich, weil der Polizist den Kläger auch aus der Zeit kenne, als er die abgeurteilten Straftaten beging und insofern seine Fortschritte beurteilen könne. Schließlich könne der Kläger seine seit Februar 2002 bestehende Drogenabstinenz durch diverse Drogenscreenings und eine Haaranalyse nahezu lückenlos belegen. Seine letzte Straftat sei von ihm im November 2000 begangen worden und liege daher nunmehr 4,5 Jahre zurück. Er sei in seine Großfamilie integriert und arbeite nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes im Moment auf 165-EUR-Basis bei einer Reinigungsfirma. Zugleich bemühe er sich um eine Lehrstelle als Metallfacharbeiter oder Autolackierer. Sein Vater helfe ihm finanziell. Zur endgültigen Verarbeitung seiner Suchterfahrung halte er Kontakt zur Psychosozialen Beratungsstelle der Drogenhilfe U. e.V.. Von dort werde weiter versucht, eine Kostenzusage für eine Therapie, die der Kläger seit 2002 machen wolle, zu erwirken.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Verfügung vom 24. März 2003 aufzuheben.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Klage abzuweisen.
16 
Zur Begründung wird zunächst ausgeführt, die Regelungen des Ausländergesetzes zur Ausweisung seien in Bezug auf den Fall des Klägers nicht schärfer als die in früheren Ausländergesetzen. Nach früherem Ausländerrecht von 1965 habe eine Ausweisung bei illegalem Rauschgifthandel regelmäßig ohne Ermessensfehler erfolgen können. Mit Telefaxschreiben an das Gericht vom 1.4.2005 und 8.6.2005 wird ausgeführt, die Ausweisungsentscheidung sei nunmehr nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Ermessensausweisung) zu stützen. Wegen der mit dem Handeln mit harten Drogen verbundenen erheblichen kriminellen Energie sei bereits bei einmaliger Bestrafung wegen unerlaubten Handeltreiben mit Drogen von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Außerdem hätten die Straftaten des Klägers alle im Zusammenhang mit seiner Drogenabhängigkeit, zuletzt Heroinabhängigkeit gestanden. Dass diese Suchtproblematik nicht bewältigt sei, ergebe sich auch aus dem vom Kläger vorgelegten Fahreignungsgutachten vom 8.11.2004, welches von einer Suchtproblematik ausgehe und von grundlegenden Persönlichkeits- und Einstellungsmängeln spreche. Aufgrund der danach bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr überwiege das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers. Mit weiterem Telefaxschreiben an das Gericht vom 4.7.2005 wird vorgetragen, das Ermessen werde weiter aktualisiert. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 8.6.2005 stellten die Ausweisungsverfügung ergänzende Ermessenserwägungen dar. Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung sei der Beklagte weiterhin der Ansicht, dass beim Kläger wegen der Drogenvorgeschichte eine Wiederholungsgefahr bestehe, weil er eine Therapie benötige und weil bisher keine Therapie durchgeführt worden sei. Daran ändere sich durch die Haaranalyse, mit der der Kläger seine Drogenabstinenz während der letzten 5 bis 6 Monate nachweisen könne, nichts. Auch die positiven Stellungnahmen des Bürgermeisters der Stadt M. und des Polizeihauptkommissars K. zur positiven Entwicklung des Klägers und zu seinem sozialen Einsatz bei der Integration von vorwiegend türkischstämmigen Jugendlichen änderten an der Bewertung nichts. Bei ehemaligen Heroinabhängigen sei mit einer sehr hohen Rückfallquote, selbst bei Therapierten, auszugehen. Der Kläger habe noch nicht einmal eine Therapie begonnen.
17 
Im Eilverfahren hat die Kammer dem Aussetzungsantrag des Klägers mit Beschluss vom 5.11.2003, rechtskräftig seit dem 3.12.2003, stattgegeben; zur Begründung wurde ausgeführt, ein besonderes Vollzugsinteresse liege nicht vor. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache weitere erhebliche Straftaten begehen werde.
18 
In der mündlichen Verhandlung vom 14.6.2005 wurde Polizeihauptmeister K. vom örtlichen Polizeiposten in M. zur Entwicklung des Klägers angehört. Er gab an, er habe den Kläger auch schon vor seiner Haft gekannt. Nach Verbüßung seiner Jugendstrafe habe der Kläger erfolgreich mit dem örtlichen Polizeiposten bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher zusammengearbeitet. Seit dem Jahr 2004 sei der Kläger außerdem in der Vorstandschaft des Alternativen Jugendzentrums in M. tätig. Er habe sich als freundlicher und jederzeit verlässlicher Gesprächspartner bewährt. Seit seiner Haftentlassung seien keinerlei negative Erkenntnisse über den Kläger bekannt geworden. Seine Entwicklung sei sehr positiv.
19 
Die Beteiligten schlossen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Entwicklung des Klägers den aus der Gerichtsaktenseite 110 ersichtlichen Vergleich, der vom Beklagten am 21.6.2005 widerrufen wurde. Die Beteiligten haben auf Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
20 
Dem Gericht haben die einschlägigen Ausländerakten des Landratsamts ... (1 Band) und des Regierungspräsidiums T. - Bezirksstelle für Asyl - (2 Bände) sowie die Strafakte des Amtsgerichts U. im Verfahren - ... -vorgelegen. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der vom Kläger vorgelegten Unterlagen sowie auf die Ausführungen der Beteiligten in ihren Schriftsätzen verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Das Gericht kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
22 
Die Klage ist zulässig und begründet.
23 
Die im Bescheid vom 24.3.2003 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24 
I. Die gegenwärtige Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya).
25 
Die Behörde hat bei der Ausweisung des Klägers die sich für ihn aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 vom 19.9.1980 in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergebenden Schutzwirkungen zu beachten. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kann sich auf ein gesetzliches Aufenthaltsrecht nach dem Art. 7 ARB 1/80 berufen, mit dem ihm ein besonderer Ausweisungsschutz zukommt. Gemäß Art. 7 S. 1, 2. Gedankenstrich ARB 1/80 hat der Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz bei diesem ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat erworben. Daraus folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem ARB 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Art. 7 ARB 1/80 gewährt dem Familienangehörigen somit ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition des jeweiligen Mitgliedstaates weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht. Dieses Recht kann der Kläger - hiervon gehen auch die Beteiligten aus - von seinem Vater ableiten, der seit den siebziger Jahren in der BRD arbeitet. Der Kläger hat dieses Recht weder durch Erlangung der Volljährigkeit noch durch Arbeitslosigkeit oder Inhaftierung verloren (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya).
26 
1. Bei Beachtung der assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers erweist sich die Ausweisungsverfügung vom 24.3.2003 als bereits formell rechtswidrig.
27 
Nach der Rechtsprechung des EUGH gelten die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auch für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. EUGH, Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -Dörr/Ünal). Dem gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie vorgebrachten Einwand des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, dass die Bestimmung wegen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 überholt und daher nicht anzuwenden sei, vermag das Gericht wegen der anders lautenden Übergangsregelungen in Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu folgen. Nach diesen Regelungen wird die Richtlinie 64/221/EWG erst zum 30.4.2006 und nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.
28 
Nach Art. 9 der danach im vorliegenden Fall anzuwendenden Richtlinie 64/221/EWG trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.
29 
Die - vorherige - Einschaltung einer zuständigen Stelle war hier erforderlich. Das hier nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel der Anfechtungsklage betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“ (a.) Ein „dringender Fall“ im Sinne der Richtlinie lag beim Kläger nicht vor (b.). Der danach gegebene Verfahrensfehler wurde auch nicht nachträglich geheilt (c.).
30 
a.) Das nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“, so dass die - vorherige - Einschaltung einer unabhängigen Stelle erforderlich ist. Auszulegen war der von der Richtlinie 64/221/EWG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung. Hierfür war zu ermitteln, welchen Inhalt die von der Richtlinie vorgesehene Überprüfung durch die unabhängige Stelle haben soll. Der EUGH hat dazu im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal ausgeführt:
31 
„... Es ist daran zu erinnern, dass das Eingreifen einer solchen Stelle dem Betroffenen ermöglichen muss, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme zu erwirken, ehe die Entscheidung endgültig getroffen wird (Urteile vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 131/79, Santillo, Slg. 1980, 1585, Randnr. 12, sowie vom 18. Mai 1982 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 15).“
32 
Nach diesen eindeutigen Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass die gerichtliche Entscheidung über den Rechtsbehelf immer dann „nur die Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung betrifft, wenn sie in materieller Hinsicht hinter dem vom EUGH in diesem Zusammenhang geforderten umfassenden Prüfprogramm zurückbleibt. Dies ist bei den nationalen deutschen Regelungen der Fall (vgl. EUGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri, Absätze 109 ff.). Gegen die Ausweisung durch das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - kann der Betroffene nach § 42 Abs. 1 VwGO nur eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Verfügung erheben. Ein Vorverfahren ist nach § 6a AGVwGO Bad.-Württ. ausgeschlossen. Der vom Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO anzulegende Prüfungsmaßstab ergibt sich bei einer - hier allein möglichen - Ermessensentscheidung (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya) aus den §§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO. Danach unterliegt die Ausweisungsverfügung nur dann der Aufhebung, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn die tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht gegeben sind, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder wenn von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Dieses auf die Überprüfung der Voraussetzungen des gesetzlichen Ausweisungstatbestands, der gesetzlichen Ermessensgrenzen und der Einhaltung des gesetzlichen Zwecks der Ermächtigung beschränkte Prüfprogramm bleibt ganz erheblich hinter dem vom EUGH im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal geforderten umfassenden Prüfprogramm zurück. Dieses Ergebnis bestätigt im übrigen der Umstand, dass nach nationalem Recht die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht nicht überprüft werden kann. Die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger mit einer Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 darf nur aus spezialpräventiven Gründen und nur im Ermessensweg erfolgen (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya). Daher ist es für die Frage, ob der Prüfungsumfang umfassend ist, von zentraler Bedeutung, ob die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht überprüft werden darf oder nicht. Also ob das Gericht seiner Prüfung auch zugrunde legen darf, ob die Ausweisungsentscheidung nach seiner Einschätzung unter Beachtung aller integrations- und sicherheitspolitischen sowie persönlichen Belange im Einzelfall zweckmäßig erscheint oder ob sie untunlich ist. Eine solchermaßen weite Zweckmäßigkeitsüberprüfung nach nationalem Recht der Exekutive vorbehalten. Eine Kontrolle ist durch das Gericht nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO nicht vorgesehen. Danach ist bei dem nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebenen Rechtsmittel im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG die Überprüfung auf die „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung beschränkt.
33 
b.) Von der danach erforderlichen - vorherigen - Einschaltung einer zuständigen Stelle konnte im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann nur „in dringenden Fällen“ unterbleiben (vgl. Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG). Ein dringender Fall lag beim Kläger zum insofern maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am 24.3.2003 nicht vor. Zur Begründung kann auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Eilbeschluss vom 5.11.2003 im Verfahren - 4 K 744/03 - verwiesen werden, wonach ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger nicht festgestellt werden konnte. Wegen des gleichen Prüfungsmaßstabs rechtfertigt die Annahme des Fehlens eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung grundsätzlich die gleichzeitige Annahme des Fehlens eines „dringenden Falls“ (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 14.6.2005 - 4 K 17/05 -). Das Fehlen eines besonderen Vollzugsinteresses zum Zeitpunkt des Erlasses des Eilbeschlusses am 5.11.2003 indiziert zusammen mit der Entwicklung des Klägers und mit der Dauer des bereits am 1.3.2002 eingeleiteten Ausweisungsverfahrens, dass im Fall des Klägers auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung kein „dringender Fall“ vorlag. Danach war die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ erforderlich und das Absehen von der - vorherigen - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ stellt demnach einen Verfahrensfehler dar.
34 
c.) Der Verfahrensfehler ist auch beachtlich und führt daher zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung. Eine nachträgliche Heilung kommt nicht in Betracht (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG Bad.-Württ.). Weder wurde die fehlende Beteiligung der unabhängigen Stelle durch eine behördliche Entscheidung nachgeholt noch kann das gegen die Ausweisungsentscheidung durchgeführte Klagverfahren eine Heilung bewirken.
35 
Das Unterlassen der - vorherigen - Einschaltung einer unabhängigen Stelle führt damit zu einem Verstoß gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien und damit zur formellen Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung.
36 
2. Die Ausweisungsentscheidung ist aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig.
37 
Dabei sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, nachdem durch die Straftaten nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung vorliegen. Das Ausweisungsermessen ist danach eröffnet.
38 
Der Kläger kann sich - wie oben ausgeführt - als türkischer Staatsangehöriger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen. Dies hat zur Folge, dass zu seinen Gunsten von veränderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri) an eine Ausweisung auszugehen ist. Zwar bezieht sich diese Entscheidung des EuGH auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, sie ist jedoch hinsichtlich ihrer materiellen Grundsätze auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 beruht auf dem „Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei“ aus dem Jahr 1963, das der EuGH als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung ansieht. Die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Angehörigen ergibt sich zum einen aus dem Zweck des ARB 1/80 sowie aus der Tatsache, dass der Vorbehalt in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Regelung in Art. 39 Abs. 3 EG entspricht. Daher ist abzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 39 ff EG geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97, Nazli, und Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya). Aus dieser Gleichstellung kombiniert mit der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2004 (Orfanopoulos/Oliveri) ergeben sich für türkische Staatsangehörige, die die Rechte aus dem ARB 1/80 besitzen, mehrere rechtliche Folgerungen (vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 - und - BVerwG 1 C 29.02 -):
39 
a.) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nicht - wie bisher - grundsätzlich der Erlass des Widerspruchbescheids. Vielmehr sind für türkische Staatsangehörige, die durch das Assoziationsrecht privilegiert sind, tatsächliche und rechtliche Änderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht zu berücksichtigen, da nach den europarechtlichen Vorgaben über die Ausweisung anhand einer aktuellen Gefahrenprognose entschieden werden muss (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya; BVerwG, Urteil vom 3.8.2004, - BVerwG 1 C 29.02 -). In allen bis zum 31.1.2005 anhängig gewordenen Verwaltungsstreitverfahren von nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die - wie hier - im Wege einer Ist- oder Regelausweisung ausgewiesen worden sind, ist der Ausländerbehörde mit Rücksicht auf die Rechtsprechungsänderung auch Gelegenheit zu geben, eine danach erforderliche Ermessensentscheidung nachzuholen oder die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen in gemeinschaftskonformer Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO zu aktualisieren.
40 
b.) Privilegierte türkische Staatsangehörige dürfen nur nach einer individuellen Entscheidung der zuständigen Behörde ausgewiesen werden, was zur Folge hat, dass die Tatbestände der zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden und der durch den ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige nach den einschlägigen gemeinschaftlichen Grundsätzen nur aufgrund einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden kann.
41 
c.) Erforderlich für eine solche Ausweisung ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose hat sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte zu beschränken und darf sich nicht allein an einer strafgerichtlichen Verurteilung orientieren. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der im Sinne des Art. 39 Abs. 3 EG auszulegen ist, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt hierbei besondere Bedeutung zu.
42 
Damit setzt die Ausweisung eines assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraus. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nur erfüllt, wenn eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der Betroffene durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya, Absätze 36 ff.). Dies ist dann der Fall, wenn beim Betroffenen weitere schwere Straftaten zu erwarten sind, die im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Mitgliedstaates am Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht mehr hinnehmbar sind und die auch bei Berücksichtigung der persönlichen Belange des Betroffenen seine Entfernung aus dem Mitgliedstaat rechtfertigen.
43 
Die gerichtliche Gefahrenprognose ergibt, dass beim Kläger gegenwärtig keine qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht. Die von der Behörde erkannte, vom Kläger weiterhin ausgehende theoretische Gefahr, reicht hierfür nicht aus. Sie beschränkt sich auf die allgemeine Rückfallgefahr, die bei jedem ehemals Drogensüchtigen besteht und die auch durch Entgiftung und Entwöhnung nicht völlig beseitigt wird. Dabei stellt die Möglichkeit eines Rückfalls in den Drogenkonsum lediglich einen Teilaspekt der notwendigen Gesamtwürdigung dar und reicht für sich genommen zur Begründung der erforderlichen qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht aus. Insofern misst der Beklagte dem Ergebnis der fahrerlaubnisrechtlich veranlassten Untersuchung des Klägers durch eine medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle zu Unrecht eine entscheidende Bedeutung bei. Ausschlaggebend für die ausländerpolizeirechtliche Gefahrenprognose ist nicht dieser einzelne Aspekt, sondern der Gesamteindruck, bei dem nicht nur die begangenen Straftaten sondern auch die persönliche Entwicklung, das Verhalten nach Bestrafungen und die Einschätzung anderer befasster Stellen zu beachten und zu bewerten sind.
44 
Wird auf den maßgeblichen Gesamteindruck abgestellt, hält die Gefahrenprognose des Beklagten der gerichtlichen Überprüfung nicht Stand. Bei der Gesamtwürdigung sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
45 
Die Straftaten wurden im Zeitraum Mitte 1999 bis November 2000 begangen. Sie liegen 4,5 Jahre zurück und wurden wegen Retardierungen der Persönlichkeitsentwicklung nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Alle abgeurteilte Taten liegen vor der ersten Verurteilung am 5.12.2000. Der Kläger lebt seit Februar 2002 drogenabstinent. Dies ist durch die Ergebnisse mehrfacher unangekündigter Urinkontrollen, die in der Haftzeit, durch den Bewährungshelfer und durch das medizinisch-psychologische Institut beim TÜV erfolgten, sowie durch das Ergebnis der bei ihm durchgeführten Haaranalyse nachgewiesen. Der Kläger hat damit seit 3,5 Jahren keine illegalen Drogen mehr konsumiert. Eine glaubhafte Änderung der Einstellungen des Klägers ist mehrfach dokumentiert. Nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt R. vom 6.8.2003 war beim Kläger von Beginn an die Absicht erkennbar, sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Dazu nahm er Kontakt zur Drogenberatung auf, nahm an einer Motivationsgruppe teil und hielt Kontakt zu einer Therapieeinrichtung. Sämtliche Urinkontrollen in der Haftzeit sind negativ gewesen. Eine günstige Sozialprognose wurde dem Kläger auch im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 gestellt. Dabei wurde dem Kläger seine ordentliches Verhalten im Vollzug zugute gehalten und der Umstand, dass sämtliche Urinkontrollen negativ gewesen sind. Die von Anfang an vorhandene Absicht, an einer Drogenlangzeittherapie teilzunehmen, sei nur an der fehlenden Kostenzusage gescheitert, was der Kläger nicht zu vertreten habe. Die Bemühungen des Klägers um eine Drogentherapie sind auch durch die Bescheinigung der Psychosozialen Beratungsstelle der Caritas ... vom 14.8.2003 belegt. Dass der Kläger seine Abkehr vom früheren negativen Verhalten nach der Haftzeit beibehalten hat, bestätigen die von ihm vorgelegten Bescheinigungen über seine Versuche eine Lehrstelle zu finden und - bezüglich seines sozialen Engagements bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher - das Bestätigungsschreiben des Bürgermeisters von M. vom 8.6.2005 und die Angaben von Polizeihauptmeister K. in der mündlichen Verhandlung am 14.6.2005. Der Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, war positiv. Auch aufgrund dieses Eindrucks nimmt das Gericht dem Kläger ab, dass er seine Fehler eingesehen und ernsthaft bereut hat und dass er weiter entschlossen und in der Lage ist, in Zukunft ein straf- und drogenfreies Leben zu führen. Der Kläger ist nach dem Eindruck des Gerichts auch in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefertigt und durchaus selbstkritisch. Ihm ist klar, dass er zur endgültigen Bereinigung seiner Drogenproblematik auf eine Langzeitdrogentherapie angewiesen ist. Die Absicht, diese Therapie durchzuführen, ist bei ihm vorhanden.
46 
Danach gibt es beim Kläger eine insgesamt positive Entwicklung. Wird sie gesehen und in die Prognoseentscheidung eingestellt, erscheint die allein auf eine allgemeine Rückfallgefahr und auf die nach Jugendstrafrecht abgeurteilten und 4,5 Jahre zurückliegenden Betäubungsmittelstraftaten gestützte Gefahrenprognose der Behörde in der Wahrnehmung lückenhaft und im Ergebnis verfehlt. Eine gegenwärtige konkrete Gefahr, dass der Kläger in absehbarer Zeit schwere Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erheblich stören wird, ist für das Gericht gegenwärtig auch nicht im Ansatz erkennbar. Eine qualifizierte Wiederholungsgefahr im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 besteht daher beim Kläger, der weiß, dass er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen darf, nicht.
47 
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung des assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürgers gegenwärtig nicht vor. Die Ausweisungsentscheidung ist daher rechtswidrig, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die Bezirksstelle die Ausweisung in wirksamer Weise auf eine Ermessensentscheidung gestützt und das Ermessen dabei auch bezüglich der Gefahrenprognose fehlerfrei ausgeübt hat. Die Ausweisungsentscheidung war in der Folge aufzuheben.
48 
II. Die Abschiebungsandrohung unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Sie ist rechtswidrig weil nach der Aufhebung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht. Eine Abschiebungsandrohung durfte daher nicht ergehen (vgl. § 59 AufenthG50 AuslG).
49 
Der Klage war danach insgesamt stattzugeben.
50 
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
21 
Das Gericht kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
22 
Die Klage ist zulässig und begründet.
23 
Die im Bescheid vom 24.3.2003 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24 
I. Die gegenwärtige Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya).
25 
Die Behörde hat bei der Ausweisung des Klägers die sich für ihn aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 vom 19.9.1980 in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergebenden Schutzwirkungen zu beachten. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kann sich auf ein gesetzliches Aufenthaltsrecht nach dem Art. 7 ARB 1/80 berufen, mit dem ihm ein besonderer Ausweisungsschutz zukommt. Gemäß Art. 7 S. 1, 2. Gedankenstrich ARB 1/80 hat der Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz bei diesem ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat erworben. Daraus folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem ARB 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Art. 7 ARB 1/80 gewährt dem Familienangehörigen somit ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition des jeweiligen Mitgliedstaates weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht. Dieses Recht kann der Kläger - hiervon gehen auch die Beteiligten aus - von seinem Vater ableiten, der seit den siebziger Jahren in der BRD arbeitet. Der Kläger hat dieses Recht weder durch Erlangung der Volljährigkeit noch durch Arbeitslosigkeit oder Inhaftierung verloren (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya).
26 
1. Bei Beachtung der assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers erweist sich die Ausweisungsverfügung vom 24.3.2003 als bereits formell rechtswidrig.
27 
Nach der Rechtsprechung des EUGH gelten die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auch für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. EUGH, Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -Dörr/Ünal). Dem gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie vorgebrachten Einwand des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, dass die Bestimmung wegen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 überholt und daher nicht anzuwenden sei, vermag das Gericht wegen der anders lautenden Übergangsregelungen in Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu folgen. Nach diesen Regelungen wird die Richtlinie 64/221/EWG erst zum 30.4.2006 und nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.
28 
Nach Art. 9 der danach im vorliegenden Fall anzuwendenden Richtlinie 64/221/EWG trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.
29 
Die - vorherige - Einschaltung einer zuständigen Stelle war hier erforderlich. Das hier nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel der Anfechtungsklage betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“ (a.) Ein „dringender Fall“ im Sinne der Richtlinie lag beim Kläger nicht vor (b.). Der danach gegebene Verfahrensfehler wurde auch nicht nachträglich geheilt (c.).
30 
a.) Das nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“, so dass die - vorherige - Einschaltung einer unabhängigen Stelle erforderlich ist. Auszulegen war der von der Richtlinie 64/221/EWG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung. Hierfür war zu ermitteln, welchen Inhalt die von der Richtlinie vorgesehene Überprüfung durch die unabhängige Stelle haben soll. Der EUGH hat dazu im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal ausgeführt:
31 
„... Es ist daran zu erinnern, dass das Eingreifen einer solchen Stelle dem Betroffenen ermöglichen muss, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme zu erwirken, ehe die Entscheidung endgültig getroffen wird (Urteile vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 131/79, Santillo, Slg. 1980, 1585, Randnr. 12, sowie vom 18. Mai 1982 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 15).“
32 
Nach diesen eindeutigen Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass die gerichtliche Entscheidung über den Rechtsbehelf immer dann „nur die Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung betrifft, wenn sie in materieller Hinsicht hinter dem vom EUGH in diesem Zusammenhang geforderten umfassenden Prüfprogramm zurückbleibt. Dies ist bei den nationalen deutschen Regelungen der Fall (vgl. EUGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri, Absätze 109 ff.). Gegen die Ausweisung durch das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - kann der Betroffene nach § 42 Abs. 1 VwGO nur eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Verfügung erheben. Ein Vorverfahren ist nach § 6a AGVwGO Bad.-Württ. ausgeschlossen. Der vom Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO anzulegende Prüfungsmaßstab ergibt sich bei einer - hier allein möglichen - Ermessensentscheidung (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya) aus den §§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO. Danach unterliegt die Ausweisungsverfügung nur dann der Aufhebung, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn die tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht gegeben sind, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder wenn von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Dieses auf die Überprüfung der Voraussetzungen des gesetzlichen Ausweisungstatbestands, der gesetzlichen Ermessensgrenzen und der Einhaltung des gesetzlichen Zwecks der Ermächtigung beschränkte Prüfprogramm bleibt ganz erheblich hinter dem vom EUGH im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal geforderten umfassenden Prüfprogramm zurück. Dieses Ergebnis bestätigt im übrigen der Umstand, dass nach nationalem Recht die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht nicht überprüft werden kann. Die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger mit einer Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 darf nur aus spezialpräventiven Gründen und nur im Ermessensweg erfolgen (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya). Daher ist es für die Frage, ob der Prüfungsumfang umfassend ist, von zentraler Bedeutung, ob die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht überprüft werden darf oder nicht. Also ob das Gericht seiner Prüfung auch zugrunde legen darf, ob die Ausweisungsentscheidung nach seiner Einschätzung unter Beachtung aller integrations- und sicherheitspolitischen sowie persönlichen Belange im Einzelfall zweckmäßig erscheint oder ob sie untunlich ist. Eine solchermaßen weite Zweckmäßigkeitsüberprüfung nach nationalem Recht der Exekutive vorbehalten. Eine Kontrolle ist durch das Gericht nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO nicht vorgesehen. Danach ist bei dem nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebenen Rechtsmittel im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG die Überprüfung auf die „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung beschränkt.
33 
b.) Von der danach erforderlichen - vorherigen - Einschaltung einer zuständigen Stelle konnte im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann nur „in dringenden Fällen“ unterbleiben (vgl. Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG). Ein dringender Fall lag beim Kläger zum insofern maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am 24.3.2003 nicht vor. Zur Begründung kann auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Eilbeschluss vom 5.11.2003 im Verfahren - 4 K 744/03 - verwiesen werden, wonach ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger nicht festgestellt werden konnte. Wegen des gleichen Prüfungsmaßstabs rechtfertigt die Annahme des Fehlens eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung grundsätzlich die gleichzeitige Annahme des Fehlens eines „dringenden Falls“ (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 14.6.2005 - 4 K 17/05 -). Das Fehlen eines besonderen Vollzugsinteresses zum Zeitpunkt des Erlasses des Eilbeschlusses am 5.11.2003 indiziert zusammen mit der Entwicklung des Klägers und mit der Dauer des bereits am 1.3.2002 eingeleiteten Ausweisungsverfahrens, dass im Fall des Klägers auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung kein „dringender Fall“ vorlag. Danach war die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ erforderlich und das Absehen von der - vorherigen - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ stellt demnach einen Verfahrensfehler dar.
34 
c.) Der Verfahrensfehler ist auch beachtlich und führt daher zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung. Eine nachträgliche Heilung kommt nicht in Betracht (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG Bad.-Württ.). Weder wurde die fehlende Beteiligung der unabhängigen Stelle durch eine behördliche Entscheidung nachgeholt noch kann das gegen die Ausweisungsentscheidung durchgeführte Klagverfahren eine Heilung bewirken.
35 
Das Unterlassen der - vorherigen - Einschaltung einer unabhängigen Stelle führt damit zu einem Verstoß gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien und damit zur formellen Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung.
36 
2. Die Ausweisungsentscheidung ist aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig.
37 
Dabei sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, nachdem durch die Straftaten nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung vorliegen. Das Ausweisungsermessen ist danach eröffnet.
38 
Der Kläger kann sich - wie oben ausgeführt - als türkischer Staatsangehöriger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen. Dies hat zur Folge, dass zu seinen Gunsten von veränderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri) an eine Ausweisung auszugehen ist. Zwar bezieht sich diese Entscheidung des EuGH auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, sie ist jedoch hinsichtlich ihrer materiellen Grundsätze auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 beruht auf dem „Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei“ aus dem Jahr 1963, das der EuGH als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung ansieht. Die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Angehörigen ergibt sich zum einen aus dem Zweck des ARB 1/80 sowie aus der Tatsache, dass der Vorbehalt in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Regelung in Art. 39 Abs. 3 EG entspricht. Daher ist abzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 39 ff EG geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97, Nazli, und Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya). Aus dieser Gleichstellung kombiniert mit der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2004 (Orfanopoulos/Oliveri) ergeben sich für türkische Staatsangehörige, die die Rechte aus dem ARB 1/80 besitzen, mehrere rechtliche Folgerungen (vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 - und - BVerwG 1 C 29.02 -):
39 
a.) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nicht - wie bisher - grundsätzlich der Erlass des Widerspruchbescheids. Vielmehr sind für türkische Staatsangehörige, die durch das Assoziationsrecht privilegiert sind, tatsächliche und rechtliche Änderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht zu berücksichtigen, da nach den europarechtlichen Vorgaben über die Ausweisung anhand einer aktuellen Gefahrenprognose entschieden werden muss (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya; BVerwG, Urteil vom 3.8.2004, - BVerwG 1 C 29.02 -). In allen bis zum 31.1.2005 anhängig gewordenen Verwaltungsstreitverfahren von nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die - wie hier - im Wege einer Ist- oder Regelausweisung ausgewiesen worden sind, ist der Ausländerbehörde mit Rücksicht auf die Rechtsprechungsänderung auch Gelegenheit zu geben, eine danach erforderliche Ermessensentscheidung nachzuholen oder die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen in gemeinschaftskonformer Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO zu aktualisieren.
40 
b.) Privilegierte türkische Staatsangehörige dürfen nur nach einer individuellen Entscheidung der zuständigen Behörde ausgewiesen werden, was zur Folge hat, dass die Tatbestände der zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden und der durch den ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige nach den einschlägigen gemeinschaftlichen Grundsätzen nur aufgrund einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden kann.
41 
c.) Erforderlich für eine solche Ausweisung ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose hat sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte zu beschränken und darf sich nicht allein an einer strafgerichtlichen Verurteilung orientieren. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der im Sinne des Art. 39 Abs. 3 EG auszulegen ist, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt hierbei besondere Bedeutung zu.
42 
Damit setzt die Ausweisung eines assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraus. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nur erfüllt, wenn eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der Betroffene durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya, Absätze 36 ff.). Dies ist dann der Fall, wenn beim Betroffenen weitere schwere Straftaten zu erwarten sind, die im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Mitgliedstaates am Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht mehr hinnehmbar sind und die auch bei Berücksichtigung der persönlichen Belange des Betroffenen seine Entfernung aus dem Mitgliedstaat rechtfertigen.
43 
Die gerichtliche Gefahrenprognose ergibt, dass beim Kläger gegenwärtig keine qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht. Die von der Behörde erkannte, vom Kläger weiterhin ausgehende theoretische Gefahr, reicht hierfür nicht aus. Sie beschränkt sich auf die allgemeine Rückfallgefahr, die bei jedem ehemals Drogensüchtigen besteht und die auch durch Entgiftung und Entwöhnung nicht völlig beseitigt wird. Dabei stellt die Möglichkeit eines Rückfalls in den Drogenkonsum lediglich einen Teilaspekt der notwendigen Gesamtwürdigung dar und reicht für sich genommen zur Begründung der erforderlichen qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht aus. Insofern misst der Beklagte dem Ergebnis der fahrerlaubnisrechtlich veranlassten Untersuchung des Klägers durch eine medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle zu Unrecht eine entscheidende Bedeutung bei. Ausschlaggebend für die ausländerpolizeirechtliche Gefahrenprognose ist nicht dieser einzelne Aspekt, sondern der Gesamteindruck, bei dem nicht nur die begangenen Straftaten sondern auch die persönliche Entwicklung, das Verhalten nach Bestrafungen und die Einschätzung anderer befasster Stellen zu beachten und zu bewerten sind.
44 
Wird auf den maßgeblichen Gesamteindruck abgestellt, hält die Gefahrenprognose des Beklagten der gerichtlichen Überprüfung nicht Stand. Bei der Gesamtwürdigung sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
45 
Die Straftaten wurden im Zeitraum Mitte 1999 bis November 2000 begangen. Sie liegen 4,5 Jahre zurück und wurden wegen Retardierungen der Persönlichkeitsentwicklung nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Alle abgeurteilte Taten liegen vor der ersten Verurteilung am 5.12.2000. Der Kläger lebt seit Februar 2002 drogenabstinent. Dies ist durch die Ergebnisse mehrfacher unangekündigter Urinkontrollen, die in der Haftzeit, durch den Bewährungshelfer und durch das medizinisch-psychologische Institut beim TÜV erfolgten, sowie durch das Ergebnis der bei ihm durchgeführten Haaranalyse nachgewiesen. Der Kläger hat damit seit 3,5 Jahren keine illegalen Drogen mehr konsumiert. Eine glaubhafte Änderung der Einstellungen des Klägers ist mehrfach dokumentiert. Nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt R. vom 6.8.2003 war beim Kläger von Beginn an die Absicht erkennbar, sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Dazu nahm er Kontakt zur Drogenberatung auf, nahm an einer Motivationsgruppe teil und hielt Kontakt zu einer Therapieeinrichtung. Sämtliche Urinkontrollen in der Haftzeit sind negativ gewesen. Eine günstige Sozialprognose wurde dem Kläger auch im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 gestellt. Dabei wurde dem Kläger seine ordentliches Verhalten im Vollzug zugute gehalten und der Umstand, dass sämtliche Urinkontrollen negativ gewesen sind. Die von Anfang an vorhandene Absicht, an einer Drogenlangzeittherapie teilzunehmen, sei nur an der fehlenden Kostenzusage gescheitert, was der Kläger nicht zu vertreten habe. Die Bemühungen des Klägers um eine Drogentherapie sind auch durch die Bescheinigung der Psychosozialen Beratungsstelle der Caritas ... vom 14.8.2003 belegt. Dass der Kläger seine Abkehr vom früheren negativen Verhalten nach der Haftzeit beibehalten hat, bestätigen die von ihm vorgelegten Bescheinigungen über seine Versuche eine Lehrstelle zu finden und - bezüglich seines sozialen Engagements bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher - das Bestätigungsschreiben des Bürgermeisters von M. vom 8.6.2005 und die Angaben von Polizeihauptmeister K. in der mündlichen Verhandlung am 14.6.2005. Der Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, war positiv. Auch aufgrund dieses Eindrucks nimmt das Gericht dem Kläger ab, dass er seine Fehler eingesehen und ernsthaft bereut hat und dass er weiter entschlossen und in der Lage ist, in Zukunft ein straf- und drogenfreies Leben zu führen. Der Kläger ist nach dem Eindruck des Gerichts auch in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefertigt und durchaus selbstkritisch. Ihm ist klar, dass er zur endgültigen Bereinigung seiner Drogenproblematik auf eine Langzeitdrogentherapie angewiesen ist. Die Absicht, diese Therapie durchzuführen, ist bei ihm vorhanden.
46 
Danach gibt es beim Kläger eine insgesamt positive Entwicklung. Wird sie gesehen und in die Prognoseentscheidung eingestellt, erscheint die allein auf eine allgemeine Rückfallgefahr und auf die nach Jugendstrafrecht abgeurteilten und 4,5 Jahre zurückliegenden Betäubungsmittelstraftaten gestützte Gefahrenprognose der Behörde in der Wahrnehmung lückenhaft und im Ergebnis verfehlt. Eine gegenwärtige konkrete Gefahr, dass der Kläger in absehbarer Zeit schwere Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erheblich stören wird, ist für das Gericht gegenwärtig auch nicht im Ansatz erkennbar. Eine qualifizierte Wiederholungsgefahr im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 besteht daher beim Kläger, der weiß, dass er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen darf, nicht.
47 
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung des assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürgers gegenwärtig nicht vor. Die Ausweisungsentscheidung ist daher rechtswidrig, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die Bezirksstelle die Ausweisung in wirksamer Weise auf eine Ermessensentscheidung gestützt und das Ermessen dabei auch bezüglich der Gefahrenprognose fehlerfrei ausgeübt hat. Die Ausweisungsentscheidung war in der Folge aufzuheben.
48 
II. Die Abschiebungsandrohung unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Sie ist rechtswidrig weil nach der Aufhebung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht. Eine Abschiebungsandrohung durfte daher nicht ergehen (vgl. § 59 AufenthG50 AuslG).
49 
Der Klage war danach insgesamt stattzugeben.
50 
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt.

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Hat ein Land eine abweichende Regelung nach Satz 2 getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Artikel 72 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.

(2) Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.

(3) Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen. Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden, mit deren Zustimmung und, falls diese Zustimmung versagt wird, mit Zustimmung des Bundesrates auch zu den nachgeordneten Behörden.

(4) Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen den Beschluß des Bundesrates kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.

(5) Der Bundesregierung kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Sie sind, außer wenn die Bundesregierung den Fall für dringlich erachtet, an die obersten Landesbehörden zu richten.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
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2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Februar 2004 - 6 K 817/03 - aufgehoben.

Gründe

 
Die Beschwerde ist statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO), da es sich bei der Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, nicht um eine der in § 146 Abs. 2 VwGO aufgeführten, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nicht anfechtbaren prozessleitenden Maßnahmen handelt (vgl. Kopp, VwGO, 13. Aufl., § 146 RdNr. 12). Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ermangelt es dem Beklagten nicht an der für jeden Rechtsbehelf erforderlichen Beschwer; denn der Beklagte hat die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO nicht beantragt, sondern in seinem Schreiben vom 19.1.2004 dem Verwaltungsgericht Stuttgart lediglich mitgeteilt, dass einer Vorgehensweise des Gerichts nach dieser Vorschrift der Vorzug gegeben werde. In dieser Erklärung kann auch kein Rechtsmittelverzicht gesehen werden. Denn der Hinweis des Beklagten in diesem Schreiben auf den Umstand, dass das Vorabentscheidungsersuchen zu der vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Rechtsfrage vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof gestellt worden ist, sowie die sich hieran anschließenden Ausführungen, mit denen er nochmals seinen Standpunkt bezüglich der Nichtanwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221 des Rats der EWG vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern bekräftigt, machen deutlich, dass er sich des Rechts auf Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht nicht begeben wollte. Überdies könnte ein solcher Rechtsmittelverzicht durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht wohl auch nur nach Erhalt der rechtsmittelfähigen Entscheidung, nicht jedoch schon zuvor wirksam erklärt werden (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. § 124 RdNr. 35).
Die Beschwerde ist auch begründet. Für eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Fragen Nr. 1 und 2 des Vorlagebeschlusses des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.3.2003 - Zlen.EU 2003/0001, 0002-1 (InfAuslR 2003, 217) bzw. über die Frage Nr. 2 des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.11.2001 - 6 K 1307/01 - (InfAuslR 2002, 66) - diese Verfahren waren wohl Anlass der hier angegriffenen Entscheidung - fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
Die Aussetzung eines Gerichtsverfahrens bis zur Erledigung eines in einem gleichgelagerten Fall beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV (bzw. Art. 177 EG-Vertrag) in entspr. Anw. des § 94 VwGO ist grundsätzlich zulässig. § 94 Abs. 1 VwGO ist allerdings nicht unmittelbar einschlägig. Denn diese Vorschrift regelt lediglich die Aussetzung mit Blick auf ein anderes Verfahren, in dem es um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis geht, während die Vorabentscheidungsverfahren bei  Europäischen Gerichtshof, um derentwillen hier ausgesetzt worden ist, die Klärung von abstrakten Rechtsfragen betrifft. Auf derartige Fälle kann § 94 Satz 1 VwGO jedoch entsprechend angewendet werden, da die Interessenlage vergleichbar ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.9.2001 - 9 S 1464/01 -, DÖV 2002, 35 und BVerwG, Beschluss vom 10.11.2000 - 3 C 3.00 -, BVerwGE 112, 166).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof bzw. vom Verwaltungsgericht Stuttgart dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen auch im vorliegenden Verfahren, das die unter Sofortvollzug verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hat, rechtserheblich und damit für die Entscheidung vorgreiflich sind.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit seinem Beschluss vom 20.11.2001 u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Vorabentscheidungsverfahren C-482/01-)
„Steht Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 einer nationalen Regelung entgegen, die ein Widerspruchsverfahren, in dem auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung stattfindet, gegenüber einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet nicht mehr vorsieht, wenn eine bestimmte, von der die Entscheidung treffenden Verwaltungsbehörde unabhängige Stelle nicht eingerichtet wird?“
Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof wirft in Ziff. 1 seines Vorabentscheidungsbeschlusses vom 18.3.2003 im Wesentlichen die gleiche Rechtsfrage auf; in Ziff. 2 seines Beschlusses legt er dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (Vorabentscheidungsverfahren C-136/03-).
Diese dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten, die Auslegung der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG betreffenden Fragen sind im vorliegenden Verfahren nicht rechtserheblich, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Klage des Klägers gegen seine Ausweisung nicht von ihrer Beantwortung abhängt. Art. 8 der Richtlinie 64/221/EWG bestimmt, dass ein Betroffener gegen die Verweigerung der Einreise, einer Aufenthaltsgenehmigung oder gegen die Entfernung aus dem Aufnahmeland die Rechtsbehelfe haben muss, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ergänzt den Art. 8. Durch ihn soll den Personen, die von einer dieser Maßnahmen betroffen sind, ein Minimum an verfahrensmäßigem Schutz gewährleistet werden, wenn einer der drei besonderen Fälle vorliegt, die Art. 9 Abs. 1 mit den Worten „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“ umschreibt. Im ersten Fall soll die Möglichkeit der Anrufung einer „zuständigen Stelle“, die eine andere als die für die Entscheidung zuständige Behörde sein muss, das Fehlen jeglichen gerichtlichen Rechtsbehelfs ausgleichen. Im zweiten Fall soll die Einschaltung der zuständigen Stelle eine umfassende Prüfung der Situation des Betroffenen, einschließlich der Zweckmäßigkeit der fraglichen Maßnahme, ermöglichen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Im dritten Fall soll dieses Verfahren es dem Betroffenen ermöglichen, zu beantragen und ggf. zu erwirken, dass die Vollziehung der geplanten Maßnahme ausgesetzt wird, und ihm so einen Ausgleich dafür bieten, dass es nicht möglich ist, die Vollziehung durch die Gerichte aussetzen zu lassen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG fordert dabei bei Vorliegen eines dieser drei besonderen Fälle die Einschaltung einer zuständigen Stelle vor Erlass der ausländerrechtlichen Maßnahme (vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995 - C 175/94 -, Sammlung 1995, I-4253, RdNr. 20). Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann jedoch „in dringenden Fällen“ unterbleiben; diese Ausnahme ist in Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG für alle drei Fallgestaltungen ausdrücklich vorgesehen.
Vom Vorliegen eines „dringenden Falles“ in diesem Sinne ist das Regierungspräsidium Stuttgart bei Erlass der gegen den Kläger ergangenen Ausweisungsverfügung vom 20.1.2003 jedoch ausgegangen; denn es hat die Ausweisung des Klägers wegen der von ihm ausgehenden schweren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung - auch - aus spezialpräventiven Gründen für erforderlich gehalten und hat die Ausweisungsverfügung in der Annahme für sofort vollziehbar erklärt, dass die begründete Besorgnis bestehe, dass sich die vom Kläger ausgehende, mit seiner Ausweisung bekämpfte Gefahr schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren werde. Lag im Fall des Klägers aber ein „dringender Fall“ vor, so folgt hieraus, dass das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ unabhängig davon, ob diese Vorschrift überhaupt auf den Kläger als türkischen Staatsangehörigen Anwendung finden kann, der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht vorauszugehen hatte und dass sein Unterbleiben mithin nicht gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien verstößt.
10 
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart auf den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 16.7.2203 - 6 K 1757/03 - die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.1.2003 wiederhergestellt bzw. angeordnet hat. Denn ungeachtet dessen, dass diese Entscheidung - wohl -auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zurückwirkt (vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 6.3.1992 - 12 Cs 91.3128 -, GewArch 1993, 349; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 80 RdNr. 86; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 362) bedeutet dies nicht, dass in Wirklichkeit kein „dringender Fall“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgelegen hat und folglich - zumindest bei Annahme der Anwendbarkeit der Richtlinie 64/221/EWG auch auf türkische Staatsangehörige - das in dieser Vorschrift vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren zu Unrecht unterblieben ist. Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit in begründeten Fällen ist nämlich, wie der Europäische Gerichtshof entschieden hat (vgl. sein Urteil vom 5.3.1980 - Rs 98/79 -, Sammlung 1980, 619 RdNrn. 19 und 20) Sache der Verwaltung: Durch das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme soll den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Für die Ausübung derartige Befugnisse durch die innerstaatlichen Gerichte gilt nach Auffassung des EuGH Art. 8 der Richtlinie. Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs machen deutlich, dass der Umstand, dass ein Gericht bei einer ex-post-Beurteilung zu einer anderen Auffassung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet kommt als die Ausländerbehörde, rechtlich nicht die Annahme rechtfertigt, das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ansonsten vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme sei zu Unrecht unterblieben.
11 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 19.11.2004 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am 25.10.1980 in Deutschland geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Das Landratsamt ... erteilte ihm am 10.06.1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Mutter des Klägers reiste am 06.06.1973 nach Deutschland ein; sie ist seit 04.02.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Im Geburtenbuch es Standesamtes ... ist unter dem 30.10.1980 als berufliche Tätigkeit der Mutter des Klägers „Hilfsarbeiterin“ verzeichnet.
Das Landgericht ... verurteilte den Kläger mit Urteil vom 17.09.2004 (Az.: 2 KLs 16 Js 8755/04) wegen Vergewaltigung, vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten; ferner ordnete das Landgericht die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Urteil ist seit 25.09.2004 rechtskräftig. Zu den Lebensverhältnissen des Klägers ist im Urteil des Landgerichts ausgeführt, dass die Ehe seiner Eltern 1982 oder 1983 geschieden worden sei, worauf der Vater des Klägers in die Türkei abgeschoben worden sei und dort in der Folgezeit eine neue Familie gegründet habe. Die Mutter des Klägers habe etwa im Jahre 1996 eine zweite Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen geschlossen; diese Ehe sei 1999 geschieden worden. Der Kläger habe bis zu seiner Verhaftung Ende März 2004 im Haushalt seiner Mutter in ... gelebt. Im Hinblick auf dieses Urteil stellte das Amtsgericht ... mit Beschluss vom 12.11.2004 (Az.: 3 Cs 61 Js 7751/04) das von der Staatsanwaltschaft ... (Az.: 61 Js 7751/04) gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Aufgrund des Urteils des Landgerichts ... vom 17.09.2004 wies das Regierungspräsidium ... den Kläger mit Bescheid vom 19.11.2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Das Regierungspräsidium wies den Kläger in dem Bescheid darauf hin, dass seine Abschiebung im Zeitpunkt der Haftentlassung oder der Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolge. Die zuständige Staatsanwaltschaft ... sei von der Ausweisung unterrichtet worden, damit diese eine Entscheidung nach § 456 a StPO treffen könne. Diese Entscheidung werde dem Kläger bekannt gegeben werden, so dass er den frühest möglichen Zeitpunkt einer Abschiebung erfahren werde. In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 19.11.2004 wurde auf die Möglichkeit einer beim Verwaltungsgericht Stuttgart zu erhebenden Klage hingewiesen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.11.2004 zugestellt. Seit 25.11.2004 befindet sich der Kläger in stationär-forensischer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie ....
Am 23.12.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 Klage erhoben. Zur Begründung macht der Kläger geltend, die Frage der Gefahr der Wiederholung von Straftaten sei vom Beklagten nicht umfassend bewertet, das Ausweisungsermessen fehlerhaft ausgeübt, Abschiebungshindernisse nicht beachtet sowie die Abschiebungsandrohung fehlerhaft verfügt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung der Klage in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23.12.2004, 16.02.2005 und 26.01.2006 verwiesen.
Am 17.02.2005 hat der Kläger einen Aussetzungsantrag im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids vom 19.11.2004 gestellt. Hierauf ist mit Beschluss des Berichterstatters vom 29.11.2005 (5 K 671/05) die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 bezüglich der Ausweisung wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet worden. Der Beschluss ist seit 28.12.2005 rechtskräftig. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, im Klageverfahren bedürfe es der näheren Prüfung, ob der angefochtene Bescheid mangels eines durchgeführten Widerspruchsverfahrens entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG) nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Europäischer Gerichtshof und Bundesverwaltungsgericht) sich als rechtswidrig erweist und daher aufzuheben ist.
Bereits mit Schreiben vom 09.12.2004 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde bis Juli 2005 zurückgestellt. Mit weiterem Schreiben vom 27.06.2005 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde voraussichtlich erst im April 2006 getroffen werden. Das Landgericht ... hat mit Beschluss vom 21.11.2005 (Az.: 8 StVK 217/05) die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Ergänzend hat das Regierungspräsidium ... mit Schreiben vom 17.01.2006 ausgeführt, zwar leide die Ausweisung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -) derzeit an einem formellen Fehler, da keine unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG eingeschaltet worden sei und ein dringender Fall nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Klägers gegen seine Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids nicht (mehr) vorliege. Allerdings gelte ab dem 30.04.2006 die Richtlinie 2004/38/EG; die Richtlinie 64/221/EWG trete dann außer Kraft. Nachdem die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei, wenn eine Ausweisung wie hier an Art. 14 ARB 1/80 zu messen sei, müsse die neue Richtlinie gewürdigt werden und der formelle Fehler könnte dann nicht mehr festgestellt werden. Die Verfahrensgarantie in Art. 31 RL 2004/38/EG sehe nämlich die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vor. Insofern mache es wenig Sinn, der Klage allein wegen Verstoßes gegen Art. 9 RL 64/221/EWG stattzugeben. Denn der Beklagte könnte dann Rechtsmittel einlegen und wegen des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wäre das Rechtsmittel erfolgversprechend. Die ab 30.04.2006 geltende Richtlinie 2004/38/EG verstoße auch nicht gegen ein Verschlechterungsverbot; die Europäische Union habe das Recht, ihre Richtlinien aufzuheben oder zu ändern.
12 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
13 
Die einschlägigen ausländerrechtlichen Akten liegen vor. Die gerichtlichen Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (5 K 671/05) sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Gründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 19.11.2004 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am 25.10.1980 in Deutschland geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Das Landratsamt ... erteilte ihm am 10.06.1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Mutter des Klägers reiste am 06.06.1973 nach Deutschland ein; sie ist seit 04.02.1991 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Im Geburtenbuch es Standesamtes ... ist unter dem 30.10.1980 als berufliche Tätigkeit der Mutter des Klägers „Hilfsarbeiterin“ verzeichnet.
Das Landgericht ... verurteilte den Kläger mit Urteil vom 17.09.2004 (Az.: 2 KLs 16 Js 8755/04) wegen Vergewaltigung, vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten; ferner ordnete das Landgericht die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Urteil ist seit 25.09.2004 rechtskräftig. Zu den Lebensverhältnissen des Klägers ist im Urteil des Landgerichts ausgeführt, dass die Ehe seiner Eltern 1982 oder 1983 geschieden worden sei, worauf der Vater des Klägers in die Türkei abgeschoben worden sei und dort in der Folgezeit eine neue Familie gegründet habe. Die Mutter des Klägers habe etwa im Jahre 1996 eine zweite Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen geschlossen; diese Ehe sei 1999 geschieden worden. Der Kläger habe bis zu seiner Verhaftung Ende März 2004 im Haushalt seiner Mutter in ... gelebt. Im Hinblick auf dieses Urteil stellte das Amtsgericht ... mit Beschluss vom 12.11.2004 (Az.: 3 Cs 61 Js 7751/04) das von der Staatsanwaltschaft ... (Az.: 61 Js 7751/04) gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Aufgrund des Urteils des Landgerichts ... vom 17.09.2004 wies das Regierungspräsidium ... den Kläger mit Bescheid vom 19.11.2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Das Regierungspräsidium wies den Kläger in dem Bescheid darauf hin, dass seine Abschiebung im Zeitpunkt der Haftentlassung oder der Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolge. Die zuständige Staatsanwaltschaft ... sei von der Ausweisung unterrichtet worden, damit diese eine Entscheidung nach § 456 a StPO treffen könne. Diese Entscheidung werde dem Kläger bekannt gegeben werden, so dass er den frühest möglichen Zeitpunkt einer Abschiebung erfahren werde. In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 19.11.2004 wurde auf die Möglichkeit einer beim Verwaltungsgericht Stuttgart zu erhebenden Klage hingewiesen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.11.2004 zugestellt. Seit 25.11.2004 befindet sich der Kläger in stationär-forensischer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie ....
Am 23.12.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 Klage erhoben. Zur Begründung macht der Kläger geltend, die Frage der Gefahr der Wiederholung von Straftaten sei vom Beklagten nicht umfassend bewertet, das Ausweisungsermessen fehlerhaft ausgeübt, Abschiebungshindernisse nicht beachtet sowie die Abschiebungsandrohung fehlerhaft verfügt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung der Klage in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23.12.2004, 16.02.2005 und 26.01.2006 verwiesen.
Am 17.02.2005 hat der Kläger einen Aussetzungsantrag im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids vom 19.11.2004 gestellt. Hierauf ist mit Beschluss des Berichterstatters vom 29.11.2005 (5 K 671/05) die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 bezüglich der Ausweisung wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet worden. Der Beschluss ist seit 28.12.2005 rechtskräftig. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, im Klageverfahren bedürfe es der näheren Prüfung, ob der angefochtene Bescheid mangels eines durchgeführten Widerspruchsverfahrens entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG) nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Europäischer Gerichtshof und Bundesverwaltungsgericht) sich als rechtswidrig erweist und daher aufzuheben ist.
Bereits mit Schreiben vom 09.12.2004 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde bis Juli 2005 zurückgestellt. Mit weiterem Schreiben vom 27.06.2005 hat die Staatsanwaltschaft ... dem Regierungspräsidium ... mitgeteilt, eine Entscheidung nach § 456 a StPO werde voraussichtlich erst im April 2006 getroffen werden. Das Landgericht ... hat mit Beschluss vom 21.11.2005 (Az.: 8 StVK 217/05) die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums ... vom 19.11.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Ergänzend hat das Regierungspräsidium ... mit Schreiben vom 17.01.2006 ausgeführt, zwar leide die Ausweisung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -) derzeit an einem formellen Fehler, da keine unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG eingeschaltet worden sei und ein dringender Fall nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Klägers gegen seine Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids nicht (mehr) vorliege. Allerdings gelte ab dem 30.04.2006 die Richtlinie 2004/38/EG; die Richtlinie 64/221/EWG trete dann außer Kraft. Nachdem die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei, wenn eine Ausweisung wie hier an Art. 14 ARB 1/80 zu messen sei, müsse die neue Richtlinie gewürdigt werden und der formelle Fehler könnte dann nicht mehr festgestellt werden. Die Verfahrensgarantie in Art. 31 RL 2004/38/EG sehe nämlich die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vor. Insofern mache es wenig Sinn, der Klage allein wegen Verstoßes gegen Art. 9 RL 64/221/EWG stattzugeben. Denn der Beklagte könnte dann Rechtsmittel einlegen und wegen des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wäre das Rechtsmittel erfolgversprechend. Die ab 30.04.2006 geltende Richtlinie 2004/38/EG verstoße auch nicht gegen ein Verschlechterungsverbot; die Europäische Union habe das Recht, ihre Richtlinien aufzuheben oder zu ändern.
12 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
13 
Die einschlägigen ausländerrechtlichen Akten liegen vor. Die gerichtlichen Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (5 K 671/05) sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
20 
Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Gründe

 
14 
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ist der Berichterstatter befugt, anstelle der Kammer zu entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
16 
Der angefochtene und über den 31.12.2004 hinaus wirksam gebliebene (§ 102 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Bescheid verstößt gegen hier anwendbares gemeinschaftsrechtliches Verfahrensrecht. Vorliegend kommt die Richtlinie Nr. 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221/EWG) vom 25.02.1964 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. S. 850) zur Anwendung. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, DVBl. 2005, 119 = NVwZ 2005, 224 = InfAuslR 2005, 26) können in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C 493/01 -, DVBl. 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268) zur Ausweisung von Unionsbürgern türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (im Folgenden: ARB 1/80) besitzen, nur nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Der Kläger ist nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Hiernach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Für den Fall eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit mindestens 5 Jahren haben die genannten Familienangehörigen ferner freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Art. 7 S. 1 ARB 1/80 findet auch auf - wie hier - in Deutschland geborene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers Anwendung (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - Rs. C-467/02 -, DVBl. 2005, 103 = InfAuslR 2005, 13). Der Kläger hat seine Rechte aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auch nicht durch die Verurteilung mit Urteil des Landgerichts... vom 17.09.2004 zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verloren (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004, a.a.O.). Art. 7 ARB 1/80 ist die speziellere Vorschrift im Verhältnis zu Art. 6 ARB 1/80; dessen Regelungen können weder hinsichtlich des Erwerbs noch hinsichtlich des Verlusts der Rechtsstellung auf Art. 7 ARB 1/80 übertragen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - Rs. C-373/03 -, DVBl. 2005 1256 = InfAuslR 2005, 352; vgl. auch Dörig, DVBl. 2005, 1221). Hiernach war/ist der Kläger sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung assoziationsberechtigt.
17 
Die europarechtlichen Verfahrensgarantien aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005 - Rs. C-136/03 -, DVBl. 2005, 1437 = InfAuslR 2005, 289; BVerwG, Urte. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 - u.v. 06.10.2005 - 1 C 5.04 -). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG lautet:
18 
„Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.“
19 
Dass diese Richtlinie mit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158/77) am 30.04.2006 außer Kraft tritt (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) und nach Art. 31 RL 2004/38/EG die Beteiligung einer unabhängigen Stelle nicht mehr vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass bereits jetzt - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aufgrund einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/38/EG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auszugehen ist. Dem steht der eindeutige Wortlaut des Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG entgegen. Unabhängig hiervon ist ohnehin im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist (hier: 30.04.2006, vgl. Art. 40 Abs. 1 RL 2004/38/EG) bzw. - wenn zuvor erfolgt - Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 163 = InfAuslR 2005, 296 = VBlBW 2005, 303; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.07.2005 - 1 LA 68/05 -, AuAS 2005, 262; jew. zur sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, ABl. L 304/12).
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Findet die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderte Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung durch eine zweite unabhängige Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) nicht statt, ist die Ausweisung wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es liegt ein „dringender Fall“ vor. Ein solcher Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG setzt ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, das gerichtliche Hauptverfahren nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer weiteren, unmittelbar drohenden und unzumutbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Eine Nachprüfung der angefochtenen Ausweisungsverfügung ist hier vor Erhebung der Klage nicht erfolgt. Ein Vorverfahren nach nationalem Verwaltungsprozessrecht (§ 68 VwGO) fand wegen des Ausschlusses im baden-württembergischen Landesrecht (§ 6 a S. 1 AGVwGO: kein Vorverfahren, wenn das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat; ein Ausnahmefall nach Satz 2 - Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens kraft Bundesrechts oder Bewertung einer Leistung einer berufsbezogenen Prüfung - scheidet vorliegend offensichtlich aus) nicht statt. Eine behördliche Nachprüfung der Ausweisung ist nach den Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht während des Klageverfahrens erfolgt. Die Vertreterin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei in gerichtlichen Verfahren anhängigen Ausweisungen von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, erfolge keine Nachprüfung auf der Grundlage des seit 22.10.2005 geltenden § 10 Abs. 7 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - (vgl. Verordnung v. 04.10.2005, GBl. S. 678). Hiernach sind die Regierungspräsidien in den Fällen der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen, die dem ARB 1/80 unterfallen, zuständige Stellen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Zuständige Stelle für das vorliegend für die getroffene Ausweisung sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium ... ist das Regierungspräsidium ... (§ 10 Abs. 7 S. 2 AAZuVO). Mangels einer nachgeholten Nachprüfung kann daher offen bleiben, ob sie überhaupt in wirksamer Weise hätte nachgeholt werden können (vgl. zum indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wie hier u. a.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNrn. 185 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., Einf. RdNrn. 58 ff. u. § 45 RdNrn. 5 a ff.; Schoch, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 312 f.).
21 
Von der geforderten Nachprüfung der verfügten Ausweisung konnte mangels eines „dringenden Falles“ nicht abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im genannten Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) nicht ausdrücklich entschieden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgebend ist, ob ein „dringender Fall“ vorliegt. Auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 19.01.2006 - 13 S 1207/05 -) lässt sich dies nicht entnehmen. Die Zeitform der Gegenwart im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG („... trifft die Verwaltungsbehörde ...“) spricht dafür, dass der Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Hiervon dürfte auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) ausgegangen sein. Es führt aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO)“ (vgl. den ersten Satz in RdNr. 13 des amtlichen Urteilsabdrucks, die Ausführungen in dieser Randnummer enden im letzten Satz mit der Feststellung eines unheilbar rechtswidrigen Verfahrensfehlers; das Wort „unheilbar“ findet dagegen im amtlichen Leitsatz 2 des Urteils keinen Niederschlag: „... wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig ...“). Die weiteren Ausführungen an anderer Stelle im genannten Urteil (RdNr. 18) lassen aber auch die Deutung zu, für die Frage des Vorliegens eines „dringenden Falles“ dürften auch noch Umstände herangezogen werden, die nach Erlass der (letzten) Behördenentscheidung eingetreten sind. Denn das Bundesverwaltungsgericht führt im ersten Satz der RdNr. 18 aus, ein „dringender Fall“ sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt wird. Für eine Deutung in diesem Sinne sprechen auch die weiteren Ausführungen in RdNr. 19 (letzter Satz) des Urteils. Hiernach scheidet die Annahme eines „dringenden Falles“ dann aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibt und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordnet oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch macht. Das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht mit dieser Erwägung die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (sei sie zugleich mit der Ausweisung erfolgt oder erst später angeordnet worden) unter Einbeziehung gerichtlicher Erkenntnisse („gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung“, letzter Satz in RdNr. 19). Eine derartige zeitliche Reichweite zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dringender Fall“ und damit der Frage, ob ein weiteres „behördliches Augenpaar“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG die getroffene behördliche Ausgangsentscheidung zu kontrollieren hat, erscheint im Hinblick auf eine wünschenswerte klare Abgrenzung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens bedenklich. Wird das „Vier-Augen-Prinzip“ im Sprachgebrauch des nationalen Verwaltungsprozessrechts als „behördliches Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO“ (RdNr. 13 des Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.) verstanden, müsste an sich eine Klage ohne Durchführung eines solchen Vorverfahrens unzulässig sein, es sei denn, man hielte sie nach den Kriterien des § 75 VwGO als Untätigkeitsklage für zulässig, was dann aber den Ausgangsbescheid nicht wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig machen könnte. So betrachtet müsste die vom Bundesverwaltungsgericht gewonnene Erkenntnis vom unheilbaren Verfahrensfehler (im Urt. v. 06.10.2005, a.a.O., ist in RdNr. 16 von einem unheilbaren Mangel des Verwaltungsverfahrens die Rede) rechtssystematisch der (nationalen) Lehre von der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 45 LVwVfG) zugewiesen werden. Diese lässt bei Fehlen bestimmter Verfahrenshandlungen (§ 45 Abs. 1 LVwVfG) eine Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).
22 
Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage, ob ein „dringender Fall“ vorliegt, abzustellen ist. Ein solcher Fall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn von dem Ausländer wegen seiner Inhaftierung keine (schwere) Gefahr ausgeht. Im Falle der Inhaftierung kommt ein „dringender Fall“ nur dann in Frage, wenn der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005, a.a.O.). Dies war hier aber weder im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.11.2004 noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall. Der Kläger wurde wegen der Taten, die seiner Verurteilung mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.09.2004 zugrunde lagen, bereits am 28.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Und nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 17.09.2004 am 25.09.2004 befand sich der Kläger zunächst im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ..., dann wurde er am 19.11.2004 in das Justizvollzugskrankenhaus ... verlegt und anschließend ab 25.11.2004 im Zentrum für Psychiatrie ... untergebracht, wo er sich bis heute befindet. Die Staatsanwaltschaft ... hat bisher keine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO getroffen (Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung, wozu auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehört, vgl. § 61 StGB), sondern eine solche Entscheidung nach ihrem Schreiben vom 27.06.2005 an das Regierungspräsidium ... bis voraussichtlich April 2006 zurückgestellt. Daher liegt hier wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL 64/221/EWG ein beachtlicher Verfahrensfehler vor, der zur objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt und den Kläger in subjektiven Rechten (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
23 
§ 46 LVwVfG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren unbeachtlich ist, findet auf den hier vorliegenden Fehler des formellen Gemeinschaftsrechts keine Anwendung (das BVerwG hat diese Frage in den Urte. v. 13.09.2005 u. 06.10.2005, a.a.O., nicht aufgeworfen, desgleichen nicht der VGH Bad.-Württ. im Beschl. v. 19.01.2006, a.a.O.). Diese Vorschrift erfasst nicht sogenannte absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Wolff/Decker, VwGO/VwVfG - Studienkommentar -, 2005, § 46 VwVfG RdNr. 9). Ein absolutes Verfahrensrecht liegt vor, wenn die verfahrensrechtliche Bestimmung nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325, 331 f. = NJW 1982, 1546; Wolff/Decker, a.a.O., § 42 VwGO RdNr. 107). Absolute Verfahrensvorschriften wollen dem Berechtigten die Möglichkeit geben, die Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen der Verletzung der Verfahrensvorschrift zu verlangen. Die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf vorrangigem Gemeinschaftsrecht beruhen, werden nach ganz herrschender Meinung wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt. Das Erfordernis einer effektiven einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (sog. „effet utile“, vgl. Bergmann, Recht und Politik der Europäischen Union, 2001, RdNrn. 184 u. 440 ff.; Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76; Kenntner, VBlBW 2000, 297, 301; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Einf. RdNr. 57) schließt eine Anwendung des § 46 LVwVfG aus (vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 425; Kahl, VerwArch. 2004, 1, 22 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 RdNr. 20; Sachs, a.a.O., § 45 RdNr. 187; Wolff/Decker, a.a.O., § 46 VwVfG RdNr. 10). Die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sind untrennbar mit dem (materiellen) Recht der Arbeitnehmer - Unionsbürger und türkische Staatsangehörige, denen Rechte nach dem ARB 1/80 zustehen - auf Freizügigkeit sowie Beschäftigung und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden (vgl. EuGH, Urt. v. 02.06.2005, a.a.O., RdNr. 67 unter Hinweis auf Nr. 59 des Schlussantrags des Generalanwalts Maduro, InfAuslR 2005, 17) und daher wie absolute Verfahrensvorschriften des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts zu behandeln.
24 
Nach alledem ist nicht entscheidungserheblich, ob der festgestellte formelle gemeinschaftsrechtliche Verstoß ab 30.04.2006 unbeachtlich wird, wovon der Beklagte im Schriftsatz des Regierungspräsidiums ... vom 17.01.2006 ausgeht. Offen bleiben kann auch, ob mangels des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft ... (§ 64 Abs. 3 S. 1 AuslG/§ 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG) im Hinblick auf das mit Beschluss des Amtsgerichts... vom 12.11.2004 lediglich vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sich der angefochtene Bescheid gleichfalls als objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend erweist (bejahend VG Stuttgart, Urt. v. 24.09.1993 - 5 K 2284/91 -).
25 
Ist daher die Ausweisung rechtswidrig, kann auch die Abschiebungsandrohung (§§ 49 und 50 AuslG) keinen Bestand haben.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27 
Es besteht keine Veranlassung, die Berufung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO).

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Tenor

Die Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - vom 24. März 2003 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger setzt sich gegen seine Ausweisung und Abschiebung zur Wehr.
Der am ... in K. in der Türkei geborene, ledige Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wuchs bis zu seinem 12. Lebensjahr mit einer älteren Schwester und zwei jüngeren Brüdern in der Türkei bei seiner Mutter auf. Sein seit ca. 28 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland berufstätiger Vater B. D. holte im Jahr 1992 zunächst den Kläger und seine Schwester nach Deutschland. Im Jahr 1993 folgte die Mutter Z. D. mit den beiden Brüdern. Die Familie wohnte bis 1.4.1999 in einer Obdachlosenunterkunft in M., wo der Kläger zunächst zwei Jahre eine Vorbereitungsklasse besuchte, um die deutsche Sprache zu lernen. Anschließend ging er in die reguläre Hauptschule, wobei er, bedingt durch Sprachprobleme, erhebliche Schwierigkeiten hatte. 1996 wurde er nach Beendigung der siebten Hauptschulklasse entlassen. Danach nahm er vom 23.9.1997 bis 28.8.1998 beim ...-haus in S. erfolgreich an einem Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen teil. Die beabsichtigte Ausbildung als Maurer und Dachdecker konnte er danach aber nicht verwirklichen. Stattdessen arbeitete er ab 27.10.1998 bis Sommer 1999 bei einer Gebäudereinigungsfirma in O. Anschließend war er bis August 2000 bei der Fa. M. ... in E.-M.beschäftigt. Danach war er einige Monate arbeitslos. Von April bis Juni 2001 arbeitete er beim Autohaus G. in M. Eine geplante Ausbildung im Autohaus kam ebenfalls nicht zustande. Von September 2001 bis zur Inhaftierung am 22.2.2002 arbeitete er beim Baugeschäft H. in E.-D. Nach seiner Haftentlassung war er vom Januar bis Mai 2004 als Bauhelfer bei der Fa. ... tätig. Danach war er arbeitslos. Seit dem 1.4.2005 ist er bei der ... auf 165-EUR-Basis beschäftigt. Dem Kläger wurde am 17.11.1999 vom Landratsamt ... eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Strafrechtlich ist der Kläger wie folgt in Erscheinung getreten:
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. vom 24.8.2000, rechtskräftig seit dem 19.9.2000 - ... - wurde gegen ihn wegen des Besitzes eines nach dem Waffenrecht verbotenen Gegenstands (Metall-Nunchaku) eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 30 DM verhängt.
- Mit Urteil des Amtsgerichts E. - ... - vom 5.12.2000 wurde er wegen sechs Vergehen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, eines Vergehens der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr sowie eines Vergehens des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe von 7 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Verurteilung bezog sich auf folgende Taten: 1. An einem nicht näher bestimmbaren Wochenende um den 25.8.2000 herum kaufte er in W. in der Diskothek „...“ ca. 2,5 g Kokain für 400 DM, das er in den folgenden Tagen schnupfte. 2. In der Nacht vom 1. zum 2.9.2000 kaufte er in der gleichen Diskothek gut ein Gramm Kokain für 170 DM, das er noch am gleichen Wochenende verbrauchte. 3. Am 3.9.2000 kaufte er in U. vor dem Cafe´ ... ca. sieben Gramm Kokain für 980 DM, das er im Lauf der nächsten Tage schnupfte. 4. In der Nacht vom 9. zum 10.9.2000 kaufte er in R. in der Diskothek „...“ ein Gramm Kokain für 140 DM, das er sofort verbrauchte. 5. Am 12.9.2000 fuhr er mit seinem PKW nach U. und kaufte dort ca. 1 Gramm Heroin. 6. Am selben Tag nahm er gegen 16:30 Uhr die Hälfte des Heroins zu sich. Nachdem er die Wirkung deutlich spürte, fuhr er mit seinem PKW nach M. zurück, dort für längere Zeit umher und schließlich über E. wieder Richtung U. Gegen 20:30 Uhr fiel er wegen seiner Fahrweise einer Polizeistreife auf, die die Fahrt beendete. 7. Obwohl sein Führerschein in Gewahrsam genommen und beschlagnahmt worden war, fuhr der Kläger am 14.9.2000 mit seinem PKW. Zur Strafzumessung ist im Urteil ausgeführt: „ ... Der Angeklagte steht an einem gefährlichen Scheideweg, das Gericht hatte bei diesem Sachverhalt von schädlichen Neigungen im Sinne von § 17 JGG, die bei dem Angeklagten vorliegen, auszugehen... Die Vollstreckung konnte noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Es besteht nach der Hauptverhandlung Anlass zur Hoffnung, dass der Angeklagte sich jetzt besinnen und künftig straffrei führen wird und insbesondere ein Reifeprozess durchläuft, der zu einer sozialen Eingliederung führen wird.
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. vom 9.5.2001, rechtskräftig sei dem 13.7.2001, - ... - wurde gegen den Kläger, weil er am 24.11.2000 Betäubungsmittel (0,2 g Kokain) in seinem Besitz gehabt hatte, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 DM verhängt.
- Mit Urteil des Amtsgerichts U. vom 29.5.2002, rechtskräftig seit dem 29.5.2002, - ... - wurde der Kläger unter Einbeziehung der Verurteilung vom 5.12.2000 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 11 Fällen, dabei einmal in Tateinheit mit vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Verurteilung bezog sich auf folgende Taten: 1. Von Mitte 1999 bis März 2000 veräußerte der Kläger in mindestens fünf Fällen unter anderem aus seiner Wohnung in M. Ecstasy. Dabei veräußerte er in zwei Fällen jeweils 400 Stück, in zwei weiteren Fällen jeweils 300 Stück und in einem Fall 100 Tabletten. Die für 9 DM pro Stück erworbenen Tabletten veräußerte der Kläger zur Finanzierung der eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit zum Stückpreis von 10 / 11 DM weiter. 2. Anfang Mai 2000 kaufte der Kläger in Rotterdam 700 Ecstasy - Tabletten zum Stückpreis von 1 - 1,50 DM und führte die Tabletten anschließend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sie unter anderem in der Diskothek ... in R. zum Stückpreis von 20 DM verkaufte, um den Gewinn zur Finanzierung seiner eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit zu verwenden. 3. Im Mai und Juni 2000 veräußerte der Kläger in M. in seiner Wohnung in vier Fällen Haschisch, in zwei Fällen für jeweils 50 DM, in zwei weiteren Fällen für jeweils 100 DM und in einem Fall 65 g für 700 DM. Zur Strafzumessung ist im Urteil ausgeführt: „ ... Der zur Tatzeit 19/20 Jahre alte Angeklagte war Heranwachsender, Retardierungen aus seiner Persönlichkeitsentwicklung führen jedoch vorliegend zur Anwendung von Jugendstrafrecht ... Bei der Bemessung ... war zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er über einen sehr langen Zeitraum von fast einem Jahr mit insgesamt 2200 Ecstasy-Tabletten Handel betrieben hat ... Seit der Hauptverhandlung im Dezember 2000 beim Amtsgericht - Jugendgericht - E. ist der Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht mehr auffällig geworden, woraus sich ergibt, dass er die Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung ernst genommen hat. ... Zu berücksichtigen war auch der persönliche Werdegang, die anfangs bestehenden Sprachprobleme, nachdem er als Jugendlicher in ein für ihn völlig neues Umfeld wechseln musste und die damit verbundenen anfänglichen Integrationsprobleme. Dennoch hat er sich im Laufe der Zeit hier integriert, war in der Jugendarbeit im alternativen Jugendhaus in M. tätig und will sich auch weiterhin in die hiesige Gesellschaft integrieren. Er ist bereit, eine stationäre Langzeittherapie aufzunehmen ... Angesichts dieser Gesamtumstände waren vorliegend schädliche Neigungen im Sinne des § 17 JGG mit Sicherheit festzustellen, diese liegen auch noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor. ...“
Der Kläger befand sich vom 22.2.2002 bis zum 23.8.2003 in Strafhaft. Mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 wurde seine Restjugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Für die Bewährungszeit von zwei Jahren wurde der Kläger der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. In dem Beschluss wurde ausgeführt, der Kläger sei Erstverbüßer. Er habe sich bezüglich seiner Drogenabhängigkeit selbstkritisch gezeigt und habe von Anfang an die Absicht gehabt, eine Drogenlangzeittherapie zu machen. Alle in der Haftzeit durchgeführten Urinkontrollen hätten mit einem negativen Ergebnis geendet. Er habe im ständigen Kontakt mit der Drogenberatung in der Justizvollzugsanstalt R. gestanden.
Mit Schreiben des Regierungspräsidiums T. - Bezirksstelle für Asyl - vom 1.3.2002 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Er brachte dazu vor, die am 29.5.2002 abgeurteilten Straftaten lägen zeitlich alle vor seiner Verurteilung vom 5.12.2000. Die Ergebnisse laufender Drogen-Screenings belegten, dass er keine Drogen mehr konsumiere. Außerdem wolle er sich einer Drogentherapie unterziehen, was bisher nur wegen fehlender Kostenzusage nicht geschehen sei. Die Kostenzusage erhalte er nicht, weil nicht geklärt sei, ob er weiter in der Bundesrepublik Deutschland bleiben könne. Für die Zeit nach seiner Entlassung stehe ihm ein Arbeitsplatz zur Verfügung.
10 
Mit Verfügung vom 24.3.2003 wurde der Kläger vom Regierungspräsidium T. - Bezirksstelle für Asyl - aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme wurde angeordnet. Dem Kläger wurde die Abschiebung direkt aus der Strafhaft angedroht. Für den Fall, dass die Abschiebung nicht zum Haftende erfolgen könne und dass der Kläger nicht freiwillig ausreise, wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Wegen des vom Kläger zu beanspruchenden besonderen Ausweisungsschutzes sei die Ist-Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft. Deren Voraussetzungen seien gegeben, nachdem bei ihm schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in spezialpräventiver Hinsicht vorlägen. Beim Kläger müsse wegen seiner bisherigen Straftaten konkret von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden und es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erneut straffällig werde. Deswegen sei die Ausweisung auch in Ansehung des Ausweisungsschutzes, den der Kläger nach Art. 14 ARB 1/80 beanspruchen könne, zwingend geboten. Das Verhalten des Klägers deute auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hin.
11 
Am 25.4.2003 hat der Kläger gegen die Ausweisung Klage erhoben. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger genieße als Abkömmling eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80. Die Frage, ob er ausgewiesen werden könne, beantworte sich daher bei ihm nicht nach den Vorschriften des aktuellen Ausländergesetzes, die entgegen der Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verschärft worden seien, sondern nach den Vorschriften der Ausländergesetze von 1965 oder 1990. Insofern fehle bislang eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung, die auch den langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtige. Außerdem lägen die Voraussetzungen nach Art. 14 ARB 1/80 für eine Ausweisung des Klägers nicht vor. Bei ihm bestehe nach dem Bericht des Leiters der Vollzugsanstalt R. vom 6.8.2003, nach den Ausführungen im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 und nach dem Bericht des Bewährungshelfers vom 3.2.2005 keine konkrete Wiederholungsgefahr. Der Bericht des Bewährungshelfers belege, dass sich der Kläger nach der Haftentlassung weiterhin positiv entwickelt habe. Er sei mittlerweile sozial integriert und in der Jugendarbeit auf kommunaler Ebene engagiert. Die damit erfolgte, völlige Abkehr des Klägers von seinem früheren Verhalten, würde durch die schriftlichen Aussagen des Bürgermeisters von M. und die Angaben von Polizeihauptkommissar K., der den örtlichen Polizeiposten in M. leite, bestätigt. Der Kläger arbeite seit seiner Haftentlassung mit der Gemeinde und mit dem örtlichen Polizeiposten bei der Betreuung und Integration von vorwiegend türkischstämmigen Jugendlichen zusammen. Insofern engagiere er sich auch mit Erfolg im örtlichen Alternativen Jugendzentrum, dessen Vorstand er angehöre. Der positive Bericht von Polizeihauptkommissar K. sei auch deswegen beachtlich, weil der Polizist den Kläger auch aus der Zeit kenne, als er die abgeurteilten Straftaten beging und insofern seine Fortschritte beurteilen könne. Schließlich könne der Kläger seine seit Februar 2002 bestehende Drogenabstinenz durch diverse Drogenscreenings und eine Haaranalyse nahezu lückenlos belegen. Seine letzte Straftat sei von ihm im November 2000 begangen worden und liege daher nunmehr 4,5 Jahre zurück. Er sei in seine Großfamilie integriert und arbeite nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes im Moment auf 165-EUR-Basis bei einer Reinigungsfirma. Zugleich bemühe er sich um eine Lehrstelle als Metallfacharbeiter oder Autolackierer. Sein Vater helfe ihm finanziell. Zur endgültigen Verarbeitung seiner Suchterfahrung halte er Kontakt zur Psychosozialen Beratungsstelle der Drogenhilfe U. e.V.. Von dort werde weiter versucht, eine Kostenzusage für eine Therapie, die der Kläger seit 2002 machen wolle, zu erwirken.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Verfügung vom 24. März 2003 aufzuheben.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Klage abzuweisen.
16 
Zur Begründung wird zunächst ausgeführt, die Regelungen des Ausländergesetzes zur Ausweisung seien in Bezug auf den Fall des Klägers nicht schärfer als die in früheren Ausländergesetzen. Nach früherem Ausländerrecht von 1965 habe eine Ausweisung bei illegalem Rauschgifthandel regelmäßig ohne Ermessensfehler erfolgen können. Mit Telefaxschreiben an das Gericht vom 1.4.2005 und 8.6.2005 wird ausgeführt, die Ausweisungsentscheidung sei nunmehr nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Ermessensausweisung) zu stützen. Wegen der mit dem Handeln mit harten Drogen verbundenen erheblichen kriminellen Energie sei bereits bei einmaliger Bestrafung wegen unerlaubten Handeltreiben mit Drogen von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Außerdem hätten die Straftaten des Klägers alle im Zusammenhang mit seiner Drogenabhängigkeit, zuletzt Heroinabhängigkeit gestanden. Dass diese Suchtproblematik nicht bewältigt sei, ergebe sich auch aus dem vom Kläger vorgelegten Fahreignungsgutachten vom 8.11.2004, welches von einer Suchtproblematik ausgehe und von grundlegenden Persönlichkeits- und Einstellungsmängeln spreche. Aufgrund der danach bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr überwiege das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers. Mit weiterem Telefaxschreiben an das Gericht vom 4.7.2005 wird vorgetragen, das Ermessen werde weiter aktualisiert. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 8.6.2005 stellten die Ausweisungsverfügung ergänzende Ermessenserwägungen dar. Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung sei der Beklagte weiterhin der Ansicht, dass beim Kläger wegen der Drogenvorgeschichte eine Wiederholungsgefahr bestehe, weil er eine Therapie benötige und weil bisher keine Therapie durchgeführt worden sei. Daran ändere sich durch die Haaranalyse, mit der der Kläger seine Drogenabstinenz während der letzten 5 bis 6 Monate nachweisen könne, nichts. Auch die positiven Stellungnahmen des Bürgermeisters der Stadt M. und des Polizeihauptkommissars K. zur positiven Entwicklung des Klägers und zu seinem sozialen Einsatz bei der Integration von vorwiegend türkischstämmigen Jugendlichen änderten an der Bewertung nichts. Bei ehemaligen Heroinabhängigen sei mit einer sehr hohen Rückfallquote, selbst bei Therapierten, auszugehen. Der Kläger habe noch nicht einmal eine Therapie begonnen.
17 
Im Eilverfahren hat die Kammer dem Aussetzungsantrag des Klägers mit Beschluss vom 5.11.2003, rechtskräftig seit dem 3.12.2003, stattgegeben; zur Begründung wurde ausgeführt, ein besonderes Vollzugsinteresse liege nicht vor. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache weitere erhebliche Straftaten begehen werde.
18 
In der mündlichen Verhandlung vom 14.6.2005 wurde Polizeihauptmeister K. vom örtlichen Polizeiposten in M. zur Entwicklung des Klägers angehört. Er gab an, er habe den Kläger auch schon vor seiner Haft gekannt. Nach Verbüßung seiner Jugendstrafe habe der Kläger erfolgreich mit dem örtlichen Polizeiposten bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher zusammengearbeitet. Seit dem Jahr 2004 sei der Kläger außerdem in der Vorstandschaft des Alternativen Jugendzentrums in M. tätig. Er habe sich als freundlicher und jederzeit verlässlicher Gesprächspartner bewährt. Seit seiner Haftentlassung seien keinerlei negative Erkenntnisse über den Kläger bekannt geworden. Seine Entwicklung sei sehr positiv.
19 
Die Beteiligten schlossen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Entwicklung des Klägers den aus der Gerichtsaktenseite 110 ersichtlichen Vergleich, der vom Beklagten am 21.6.2005 widerrufen wurde. Die Beteiligten haben auf Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
20 
Dem Gericht haben die einschlägigen Ausländerakten des Landratsamts ... (1 Band) und des Regierungspräsidiums T. - Bezirksstelle für Asyl - (2 Bände) sowie die Strafakte des Amtsgerichts U. im Verfahren - ... -vorgelegen. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der vom Kläger vorgelegten Unterlagen sowie auf die Ausführungen der Beteiligten in ihren Schriftsätzen verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Das Gericht kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
22 
Die Klage ist zulässig und begründet.
23 
Die im Bescheid vom 24.3.2003 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24 
I. Die gegenwärtige Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya).
25 
Die Behörde hat bei der Ausweisung des Klägers die sich für ihn aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 vom 19.9.1980 in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergebenden Schutzwirkungen zu beachten. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kann sich auf ein gesetzliches Aufenthaltsrecht nach dem Art. 7 ARB 1/80 berufen, mit dem ihm ein besonderer Ausweisungsschutz zukommt. Gemäß Art. 7 S. 1, 2. Gedankenstrich ARB 1/80 hat der Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz bei diesem ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat erworben. Daraus folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem ARB 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Art. 7 ARB 1/80 gewährt dem Familienangehörigen somit ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition des jeweiligen Mitgliedstaates weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht. Dieses Recht kann der Kläger - hiervon gehen auch die Beteiligten aus - von seinem Vater ableiten, der seit den siebziger Jahren in der BRD arbeitet. Der Kläger hat dieses Recht weder durch Erlangung der Volljährigkeit noch durch Arbeitslosigkeit oder Inhaftierung verloren (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya).
26 
1. Bei Beachtung der assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers erweist sich die Ausweisungsverfügung vom 24.3.2003 als bereits formell rechtswidrig.
27 
Nach der Rechtsprechung des EUGH gelten die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auch für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. EUGH, Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -Dörr/Ünal). Dem gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie vorgebrachten Einwand des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, dass die Bestimmung wegen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 überholt und daher nicht anzuwenden sei, vermag das Gericht wegen der anders lautenden Übergangsregelungen in Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu folgen. Nach diesen Regelungen wird die Richtlinie 64/221/EWG erst zum 30.4.2006 und nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.
28 
Nach Art. 9 der danach im vorliegenden Fall anzuwendenden Richtlinie 64/221/EWG trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.
29 
Die - vorherige - Einschaltung einer zuständigen Stelle war hier erforderlich. Das hier nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel der Anfechtungsklage betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“ (a.) Ein „dringender Fall“ im Sinne der Richtlinie lag beim Kläger nicht vor (b.). Der danach gegebene Verfahrensfehler wurde auch nicht nachträglich geheilt (c.).
30 
a.) Das nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“, so dass die - vorherige - Einschaltung einer unabhängigen Stelle erforderlich ist. Auszulegen war der von der Richtlinie 64/221/EWG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung. Hierfür war zu ermitteln, welchen Inhalt die von der Richtlinie vorgesehene Überprüfung durch die unabhängige Stelle haben soll. Der EUGH hat dazu im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal ausgeführt:
31 
„... Es ist daran zu erinnern, dass das Eingreifen einer solchen Stelle dem Betroffenen ermöglichen muss, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme zu erwirken, ehe die Entscheidung endgültig getroffen wird (Urteile vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 131/79, Santillo, Slg. 1980, 1585, Randnr. 12, sowie vom 18. Mai 1982 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 15).“
32 
Nach diesen eindeutigen Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass die gerichtliche Entscheidung über den Rechtsbehelf immer dann „nur die Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung betrifft, wenn sie in materieller Hinsicht hinter dem vom EUGH in diesem Zusammenhang geforderten umfassenden Prüfprogramm zurückbleibt. Dies ist bei den nationalen deutschen Regelungen der Fall (vgl. EUGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri, Absätze 109 ff.). Gegen die Ausweisung durch das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - kann der Betroffene nach § 42 Abs. 1 VwGO nur eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Verfügung erheben. Ein Vorverfahren ist nach § 6a AGVwGO Bad.-Württ. ausgeschlossen. Der vom Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO anzulegende Prüfungsmaßstab ergibt sich bei einer - hier allein möglichen - Ermessensentscheidung (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya) aus den §§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO. Danach unterliegt die Ausweisungsverfügung nur dann der Aufhebung, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn die tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht gegeben sind, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder wenn von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Dieses auf die Überprüfung der Voraussetzungen des gesetzlichen Ausweisungstatbestands, der gesetzlichen Ermessensgrenzen und der Einhaltung des gesetzlichen Zwecks der Ermächtigung beschränkte Prüfprogramm bleibt ganz erheblich hinter dem vom EUGH im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal geforderten umfassenden Prüfprogramm zurück. Dieses Ergebnis bestätigt im übrigen der Umstand, dass nach nationalem Recht die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht nicht überprüft werden kann. Die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger mit einer Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 darf nur aus spezialpräventiven Gründen und nur im Ermessensweg erfolgen (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya). Daher ist es für die Frage, ob der Prüfungsumfang umfassend ist, von zentraler Bedeutung, ob die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht überprüft werden darf oder nicht. Also ob das Gericht seiner Prüfung auch zugrunde legen darf, ob die Ausweisungsentscheidung nach seiner Einschätzung unter Beachtung aller integrations- und sicherheitspolitischen sowie persönlichen Belange im Einzelfall zweckmäßig erscheint oder ob sie untunlich ist. Eine solchermaßen weite Zweckmäßigkeitsüberprüfung nach nationalem Recht der Exekutive vorbehalten. Eine Kontrolle ist durch das Gericht nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO nicht vorgesehen. Danach ist bei dem nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebenen Rechtsmittel im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG die Überprüfung auf die „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung beschränkt.
33 
b.) Von der danach erforderlichen - vorherigen - Einschaltung einer zuständigen Stelle konnte im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann nur „in dringenden Fällen“ unterbleiben (vgl. Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG). Ein dringender Fall lag beim Kläger zum insofern maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am 24.3.2003 nicht vor. Zur Begründung kann auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Eilbeschluss vom 5.11.2003 im Verfahren - 4 K 744/03 - verwiesen werden, wonach ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger nicht festgestellt werden konnte. Wegen des gleichen Prüfungsmaßstabs rechtfertigt die Annahme des Fehlens eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung grundsätzlich die gleichzeitige Annahme des Fehlens eines „dringenden Falls“ (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 14.6.2005 - 4 K 17/05 -). Das Fehlen eines besonderen Vollzugsinteresses zum Zeitpunkt des Erlasses des Eilbeschlusses am 5.11.2003 indiziert zusammen mit der Entwicklung des Klägers und mit der Dauer des bereits am 1.3.2002 eingeleiteten Ausweisungsverfahrens, dass im Fall des Klägers auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung kein „dringender Fall“ vorlag. Danach war die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ erforderlich und das Absehen von der - vorherigen - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ stellt demnach einen Verfahrensfehler dar.
34 
c.) Der Verfahrensfehler ist auch beachtlich und führt daher zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung. Eine nachträgliche Heilung kommt nicht in Betracht (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG Bad.-Württ.). Weder wurde die fehlende Beteiligung der unabhängigen Stelle durch eine behördliche Entscheidung nachgeholt noch kann das gegen die Ausweisungsentscheidung durchgeführte Klagverfahren eine Heilung bewirken.
35 
Das Unterlassen der - vorherigen - Einschaltung einer unabhängigen Stelle führt damit zu einem Verstoß gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien und damit zur formellen Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung.
36 
2. Die Ausweisungsentscheidung ist aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig.
37 
Dabei sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, nachdem durch die Straftaten nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung vorliegen. Das Ausweisungsermessen ist danach eröffnet.
38 
Der Kläger kann sich - wie oben ausgeführt - als türkischer Staatsangehöriger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen. Dies hat zur Folge, dass zu seinen Gunsten von veränderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri) an eine Ausweisung auszugehen ist. Zwar bezieht sich diese Entscheidung des EuGH auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, sie ist jedoch hinsichtlich ihrer materiellen Grundsätze auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 beruht auf dem „Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei“ aus dem Jahr 1963, das der EuGH als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung ansieht. Die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Angehörigen ergibt sich zum einen aus dem Zweck des ARB 1/80 sowie aus der Tatsache, dass der Vorbehalt in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Regelung in Art. 39 Abs. 3 EG entspricht. Daher ist abzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 39 ff EG geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97, Nazli, und Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya). Aus dieser Gleichstellung kombiniert mit der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2004 (Orfanopoulos/Oliveri) ergeben sich für türkische Staatsangehörige, die die Rechte aus dem ARB 1/80 besitzen, mehrere rechtliche Folgerungen (vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 - und - BVerwG 1 C 29.02 -):
39 
a.) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nicht - wie bisher - grundsätzlich der Erlass des Widerspruchbescheids. Vielmehr sind für türkische Staatsangehörige, die durch das Assoziationsrecht privilegiert sind, tatsächliche und rechtliche Änderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht zu berücksichtigen, da nach den europarechtlichen Vorgaben über die Ausweisung anhand einer aktuellen Gefahrenprognose entschieden werden muss (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya; BVerwG, Urteil vom 3.8.2004, - BVerwG 1 C 29.02 -). In allen bis zum 31.1.2005 anhängig gewordenen Verwaltungsstreitverfahren von nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die - wie hier - im Wege einer Ist- oder Regelausweisung ausgewiesen worden sind, ist der Ausländerbehörde mit Rücksicht auf die Rechtsprechungsänderung auch Gelegenheit zu geben, eine danach erforderliche Ermessensentscheidung nachzuholen oder die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen in gemeinschaftskonformer Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO zu aktualisieren.
40 
b.) Privilegierte türkische Staatsangehörige dürfen nur nach einer individuellen Entscheidung der zuständigen Behörde ausgewiesen werden, was zur Folge hat, dass die Tatbestände der zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden und der durch den ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige nach den einschlägigen gemeinschaftlichen Grundsätzen nur aufgrund einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden kann.
41 
c.) Erforderlich für eine solche Ausweisung ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose hat sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte zu beschränken und darf sich nicht allein an einer strafgerichtlichen Verurteilung orientieren. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der im Sinne des Art. 39 Abs. 3 EG auszulegen ist, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt hierbei besondere Bedeutung zu.
42 
Damit setzt die Ausweisung eines assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraus. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nur erfüllt, wenn eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der Betroffene durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya, Absätze 36 ff.). Dies ist dann der Fall, wenn beim Betroffenen weitere schwere Straftaten zu erwarten sind, die im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Mitgliedstaates am Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht mehr hinnehmbar sind und die auch bei Berücksichtigung der persönlichen Belange des Betroffenen seine Entfernung aus dem Mitgliedstaat rechtfertigen.
43 
Die gerichtliche Gefahrenprognose ergibt, dass beim Kläger gegenwärtig keine qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht. Die von der Behörde erkannte, vom Kläger weiterhin ausgehende theoretische Gefahr, reicht hierfür nicht aus. Sie beschränkt sich auf die allgemeine Rückfallgefahr, die bei jedem ehemals Drogensüchtigen besteht und die auch durch Entgiftung und Entwöhnung nicht völlig beseitigt wird. Dabei stellt die Möglichkeit eines Rückfalls in den Drogenkonsum lediglich einen Teilaspekt der notwendigen Gesamtwürdigung dar und reicht für sich genommen zur Begründung der erforderlichen qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht aus. Insofern misst der Beklagte dem Ergebnis der fahrerlaubnisrechtlich veranlassten Untersuchung des Klägers durch eine medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle zu Unrecht eine entscheidende Bedeutung bei. Ausschlaggebend für die ausländerpolizeirechtliche Gefahrenprognose ist nicht dieser einzelne Aspekt, sondern der Gesamteindruck, bei dem nicht nur die begangenen Straftaten sondern auch die persönliche Entwicklung, das Verhalten nach Bestrafungen und die Einschätzung anderer befasster Stellen zu beachten und zu bewerten sind.
44 
Wird auf den maßgeblichen Gesamteindruck abgestellt, hält die Gefahrenprognose des Beklagten der gerichtlichen Überprüfung nicht Stand. Bei der Gesamtwürdigung sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
45 
Die Straftaten wurden im Zeitraum Mitte 1999 bis November 2000 begangen. Sie liegen 4,5 Jahre zurück und wurden wegen Retardierungen der Persönlichkeitsentwicklung nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Alle abgeurteilte Taten liegen vor der ersten Verurteilung am 5.12.2000. Der Kläger lebt seit Februar 2002 drogenabstinent. Dies ist durch die Ergebnisse mehrfacher unangekündigter Urinkontrollen, die in der Haftzeit, durch den Bewährungshelfer und durch das medizinisch-psychologische Institut beim TÜV erfolgten, sowie durch das Ergebnis der bei ihm durchgeführten Haaranalyse nachgewiesen. Der Kläger hat damit seit 3,5 Jahren keine illegalen Drogen mehr konsumiert. Eine glaubhafte Änderung der Einstellungen des Klägers ist mehrfach dokumentiert. Nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt R. vom 6.8.2003 war beim Kläger von Beginn an die Absicht erkennbar, sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Dazu nahm er Kontakt zur Drogenberatung auf, nahm an einer Motivationsgruppe teil und hielt Kontakt zu einer Therapieeinrichtung. Sämtliche Urinkontrollen in der Haftzeit sind negativ gewesen. Eine günstige Sozialprognose wurde dem Kläger auch im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 gestellt. Dabei wurde dem Kläger seine ordentliches Verhalten im Vollzug zugute gehalten und der Umstand, dass sämtliche Urinkontrollen negativ gewesen sind. Die von Anfang an vorhandene Absicht, an einer Drogenlangzeittherapie teilzunehmen, sei nur an der fehlenden Kostenzusage gescheitert, was der Kläger nicht zu vertreten habe. Die Bemühungen des Klägers um eine Drogentherapie sind auch durch die Bescheinigung der Psychosozialen Beratungsstelle der Caritas ... vom 14.8.2003 belegt. Dass der Kläger seine Abkehr vom früheren negativen Verhalten nach der Haftzeit beibehalten hat, bestätigen die von ihm vorgelegten Bescheinigungen über seine Versuche eine Lehrstelle zu finden und - bezüglich seines sozialen Engagements bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher - das Bestätigungsschreiben des Bürgermeisters von M. vom 8.6.2005 und die Angaben von Polizeihauptmeister K. in der mündlichen Verhandlung am 14.6.2005. Der Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, war positiv. Auch aufgrund dieses Eindrucks nimmt das Gericht dem Kläger ab, dass er seine Fehler eingesehen und ernsthaft bereut hat und dass er weiter entschlossen und in der Lage ist, in Zukunft ein straf- und drogenfreies Leben zu führen. Der Kläger ist nach dem Eindruck des Gerichts auch in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefertigt und durchaus selbstkritisch. Ihm ist klar, dass er zur endgültigen Bereinigung seiner Drogenproblematik auf eine Langzeitdrogentherapie angewiesen ist. Die Absicht, diese Therapie durchzuführen, ist bei ihm vorhanden.
46 
Danach gibt es beim Kläger eine insgesamt positive Entwicklung. Wird sie gesehen und in die Prognoseentscheidung eingestellt, erscheint die allein auf eine allgemeine Rückfallgefahr und auf die nach Jugendstrafrecht abgeurteilten und 4,5 Jahre zurückliegenden Betäubungsmittelstraftaten gestützte Gefahrenprognose der Behörde in der Wahrnehmung lückenhaft und im Ergebnis verfehlt. Eine gegenwärtige konkrete Gefahr, dass der Kläger in absehbarer Zeit schwere Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erheblich stören wird, ist für das Gericht gegenwärtig auch nicht im Ansatz erkennbar. Eine qualifizierte Wiederholungsgefahr im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 besteht daher beim Kläger, der weiß, dass er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen darf, nicht.
47 
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung des assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürgers gegenwärtig nicht vor. Die Ausweisungsentscheidung ist daher rechtswidrig, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die Bezirksstelle die Ausweisung in wirksamer Weise auf eine Ermessensentscheidung gestützt und das Ermessen dabei auch bezüglich der Gefahrenprognose fehlerfrei ausgeübt hat. Die Ausweisungsentscheidung war in der Folge aufzuheben.
48 
II. Die Abschiebungsandrohung unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Sie ist rechtswidrig weil nach der Aufhebung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht. Eine Abschiebungsandrohung durfte daher nicht ergehen (vgl. § 59 AufenthG50 AuslG).
49 
Der Klage war danach insgesamt stattzugeben.
50 
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
21 
Das Gericht kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
22 
Die Klage ist zulässig und begründet.
23 
Die im Bescheid vom 24.3.2003 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24 
I. Die gegenwärtige Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya).
25 
Die Behörde hat bei der Ausweisung des Klägers die sich für ihn aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 vom 19.9.1980 in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergebenden Schutzwirkungen zu beachten. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kann sich auf ein gesetzliches Aufenthaltsrecht nach dem Art. 7 ARB 1/80 berufen, mit dem ihm ein besonderer Ausweisungsschutz zukommt. Gemäß Art. 7 S. 1, 2. Gedankenstrich ARB 1/80 hat der Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz bei diesem ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat erworben. Daraus folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem ARB 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Art. 7 ARB 1/80 gewährt dem Familienangehörigen somit ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition des jeweiligen Mitgliedstaates weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht. Dieses Recht kann der Kläger - hiervon gehen auch die Beteiligten aus - von seinem Vater ableiten, der seit den siebziger Jahren in der BRD arbeitet. Der Kläger hat dieses Recht weder durch Erlangung der Volljährigkeit noch durch Arbeitslosigkeit oder Inhaftierung verloren (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya).
26 
1. Bei Beachtung der assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers erweist sich die Ausweisungsverfügung vom 24.3.2003 als bereits formell rechtswidrig.
27 
Nach der Rechtsprechung des EUGH gelten die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auch für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. EUGH, Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 -Dörr/Ünal). Dem gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie vorgebrachten Einwand des Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl -, dass die Bestimmung wegen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 überholt und daher nicht anzuwenden sei, vermag das Gericht wegen der anders lautenden Übergangsregelungen in Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu folgen. Nach diesen Regelungen wird die Richtlinie 64/221/EWG erst zum 30.4.2006 und nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.
28 
Nach Art. 9 der danach im vorliegenden Fall anzuwendenden Richtlinie 64/221/EWG trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.
29 
Die - vorherige - Einschaltung einer zuständigen Stelle war hier erforderlich. Das hier nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel der Anfechtungsklage betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“ (a.) Ein „dringender Fall“ im Sinne der Richtlinie lag beim Kläger nicht vor (b.). Der danach gegebene Verfahrensfehler wurde auch nicht nachträglich geheilt (c.).
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a.) Das nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebene Rechtsmittel betrifft nach §§ 42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung“, so dass die - vorherige - Einschaltung einer unabhängigen Stelle erforderlich ist. Auszulegen war der von der Richtlinie 64/221/EWG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung. Hierfür war zu ermitteln, welchen Inhalt die von der Richtlinie vorgesehene Überprüfung durch die unabhängige Stelle haben soll. Der EUGH hat dazu im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal ausgeführt:
31 
„... Es ist daran zu erinnern, dass das Eingreifen einer solchen Stelle dem Betroffenen ermöglichen muss, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme zu erwirken, ehe die Entscheidung endgültig getroffen wird (Urteile vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 131/79, Santillo, Slg. 1980, 1585, Randnr. 12, sowie vom 18. Mai 1982 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 15).“
32 
Nach diesen eindeutigen Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass die gerichtliche Entscheidung über den Rechtsbehelf immer dann „nur die Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung betrifft, wenn sie in materieller Hinsicht hinter dem vom EUGH in diesem Zusammenhang geforderten umfassenden Prüfprogramm zurückbleibt. Dies ist bei den nationalen deutschen Regelungen der Fall (vgl. EUGH, Urteil vom 29.4.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri, Absätze 109 ff.). Gegen die Ausweisung durch das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - kann der Betroffene nach § 42 Abs. 1 VwGO nur eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Verfügung erheben. Ein Vorverfahren ist nach § 6a AGVwGO Bad.-Württ. ausgeschlossen. Der vom Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO anzulegende Prüfungsmaßstab ergibt sich bei einer - hier allein möglichen - Ermessensentscheidung (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya) aus den §§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO. Danach unterliegt die Ausweisungsverfügung nur dann der Aufhebung, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn die tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht gegeben sind, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder wenn von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Dieses auf die Überprüfung der Voraussetzungen des gesetzlichen Ausweisungstatbestands, der gesetzlichen Ermessensgrenzen und der Einhaltung des gesetzlichen Zwecks der Ermächtigung beschränkte Prüfprogramm bleibt ganz erheblich hinter dem vom EUGH im Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03 - Dörr/Ünal geforderten umfassenden Prüfprogramm zurück. Dieses Ergebnis bestätigt im übrigen der Umstand, dass nach nationalem Recht die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht nicht überprüft werden kann. Die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger mit einer Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 darf nur aus spezialpräventiven Gründen und nur im Ermessensweg erfolgen (vgl. EUGH, Urteil vom 11.11.2004 - C 467/02 - Cetinkaya). Daher ist es für die Frage, ob der Prüfungsumfang umfassend ist, von zentraler Bedeutung, ob die vorgelagerte Ausübung des Entschließungsermessens vom Gericht überprüft werden darf oder nicht. Also ob das Gericht seiner Prüfung auch zugrunde legen darf, ob die Ausweisungsentscheidung nach seiner Einschätzung unter Beachtung aller integrations- und sicherheitspolitischen sowie persönlichen Belange im Einzelfall zweckmäßig erscheint oder ob sie untunlich ist. Eine solchermaßen weite Zweckmäßigkeitsüberprüfung nach nationalem Recht der Exekutive vorbehalten. Eine Kontrolle ist durch das Gericht nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO nicht vorgesehen. Danach ist bei dem nach nationalem Recht gegen die Ausweisungsverfügung gegebenen Rechtsmittel im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG die Überprüfung auf die „Gesetzmäßigkeit“ der Entscheidung beschränkt.
33 
b.) Von der danach erforderlichen - vorherigen - Einschaltung einer zuständigen Stelle konnte im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann nur „in dringenden Fällen“ unterbleiben (vgl. Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG). Ein dringender Fall lag beim Kläger zum insofern maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am 24.3.2003 nicht vor. Zur Begründung kann auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Eilbeschluss vom 5.11.2003 im Verfahren - 4 K 744/03 - verwiesen werden, wonach ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger nicht festgestellt werden konnte. Wegen des gleichen Prüfungsmaßstabs rechtfertigt die Annahme des Fehlens eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung grundsätzlich die gleichzeitige Annahme des Fehlens eines „dringenden Falls“ (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 14.6.2005 - 4 K 17/05 -). Das Fehlen eines besonderen Vollzugsinteresses zum Zeitpunkt des Erlasses des Eilbeschlusses am 5.11.2003 indiziert zusammen mit der Entwicklung des Klägers und mit der Dauer des bereits am 1.3.2002 eingeleiteten Ausweisungsverfahrens, dass im Fall des Klägers auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung kein „dringender Fall“ vorlag. Danach war die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ erforderlich und das Absehen von der - vorherigen - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ stellt demnach einen Verfahrensfehler dar.
34 
c.) Der Verfahrensfehler ist auch beachtlich und führt daher zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung. Eine nachträgliche Heilung kommt nicht in Betracht (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG Bad.-Württ.). Weder wurde die fehlende Beteiligung der unabhängigen Stelle durch eine behördliche Entscheidung nachgeholt noch kann das gegen die Ausweisungsentscheidung durchgeführte Klagverfahren eine Heilung bewirken.
35 
Das Unterlassen der - vorherigen - Einschaltung einer unabhängigen Stelle führt damit zu einem Verstoß gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien und damit zur formellen Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung.
36 
2. Die Ausweisungsentscheidung ist aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig.
37 
Dabei sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, nachdem durch die Straftaten nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung vorliegen. Das Ausweisungsermessen ist danach eröffnet.
38 
Der Kläger kann sich - wie oben ausgeführt - als türkischer Staatsangehöriger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen. Dies hat zur Folge, dass zu seinen Gunsten von veränderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - C-482/01 - Orfanopoulos/Oliveri) an eine Ausweisung auszugehen ist. Zwar bezieht sich diese Entscheidung des EuGH auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, sie ist jedoch hinsichtlich ihrer materiellen Grundsätze auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 beruht auf dem „Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei“ aus dem Jahr 1963, das der EuGH als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung ansieht. Die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Angehörigen ergibt sich zum einen aus dem Zweck des ARB 1/80 sowie aus der Tatsache, dass der Vorbehalt in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Regelung in Art. 39 Abs. 3 EG entspricht. Daher ist abzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 39 ff EG geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97, Nazli, und Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya). Aus dieser Gleichstellung kombiniert mit der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2004 (Orfanopoulos/Oliveri) ergeben sich für türkische Staatsangehörige, die die Rechte aus dem ARB 1/80 besitzen, mehrere rechtliche Folgerungen (vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 - und - BVerwG 1 C 29.02 -):
39 
a.) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nicht - wie bisher - grundsätzlich der Erlass des Widerspruchbescheids. Vielmehr sind für türkische Staatsangehörige, die durch das Assoziationsrecht privilegiert sind, tatsächliche und rechtliche Änderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht zu berücksichtigen, da nach den europarechtlichen Vorgaben über die Ausweisung anhand einer aktuellen Gefahrenprognose entschieden werden muss (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya; BVerwG, Urteil vom 3.8.2004, - BVerwG 1 C 29.02 -). In allen bis zum 31.1.2005 anhängig gewordenen Verwaltungsstreitverfahren von nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die - wie hier - im Wege einer Ist- oder Regelausweisung ausgewiesen worden sind, ist der Ausländerbehörde mit Rücksicht auf die Rechtsprechungsänderung auch Gelegenheit zu geben, eine danach erforderliche Ermessensentscheidung nachzuholen oder die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen in gemeinschaftskonformer Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO zu aktualisieren.
40 
b.) Privilegierte türkische Staatsangehörige dürfen nur nach einer individuellen Entscheidung der zuständigen Behörde ausgewiesen werden, was zur Folge hat, dass die Tatbestände der zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden und der durch den ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige nach den einschlägigen gemeinschaftlichen Grundsätzen nur aufgrund einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden kann.
41 
c.) Erforderlich für eine solche Ausweisung ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose hat sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte zu beschränken und darf sich nicht allein an einer strafgerichtlichen Verurteilung orientieren. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der im Sinne des Art. 39 Abs. 3 EG auszulegen ist, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt hierbei besondere Bedeutung zu.
42 
Damit setzt die Ausweisung eines assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraus. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nur erfüllt, wenn eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der Betroffene durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 - Cetinkaya, Absätze 36 ff.). Dies ist dann der Fall, wenn beim Betroffenen weitere schwere Straftaten zu erwarten sind, die im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Mitgliedstaates am Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht mehr hinnehmbar sind und die auch bei Berücksichtigung der persönlichen Belange des Betroffenen seine Entfernung aus dem Mitgliedstaat rechtfertigen.
43 
Die gerichtliche Gefahrenprognose ergibt, dass beim Kläger gegenwärtig keine qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht. Die von der Behörde erkannte, vom Kläger weiterhin ausgehende theoretische Gefahr, reicht hierfür nicht aus. Sie beschränkt sich auf die allgemeine Rückfallgefahr, die bei jedem ehemals Drogensüchtigen besteht und die auch durch Entgiftung und Entwöhnung nicht völlig beseitigt wird. Dabei stellt die Möglichkeit eines Rückfalls in den Drogenkonsum lediglich einen Teilaspekt der notwendigen Gesamtwürdigung dar und reicht für sich genommen zur Begründung der erforderlichen qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht aus. Insofern misst der Beklagte dem Ergebnis der fahrerlaubnisrechtlich veranlassten Untersuchung des Klägers durch eine medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle zu Unrecht eine entscheidende Bedeutung bei. Ausschlaggebend für die ausländerpolizeirechtliche Gefahrenprognose ist nicht dieser einzelne Aspekt, sondern der Gesamteindruck, bei dem nicht nur die begangenen Straftaten sondern auch die persönliche Entwicklung, das Verhalten nach Bestrafungen und die Einschätzung anderer befasster Stellen zu beachten und zu bewerten sind.
44 
Wird auf den maßgeblichen Gesamteindruck abgestellt, hält die Gefahrenprognose des Beklagten der gerichtlichen Überprüfung nicht Stand. Bei der Gesamtwürdigung sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
45 
Die Straftaten wurden im Zeitraum Mitte 1999 bis November 2000 begangen. Sie liegen 4,5 Jahre zurück und wurden wegen Retardierungen der Persönlichkeitsentwicklung nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Alle abgeurteilte Taten liegen vor der ersten Verurteilung am 5.12.2000. Der Kläger lebt seit Februar 2002 drogenabstinent. Dies ist durch die Ergebnisse mehrfacher unangekündigter Urinkontrollen, die in der Haftzeit, durch den Bewährungshelfer und durch das medizinisch-psychologische Institut beim TÜV erfolgten, sowie durch das Ergebnis der bei ihm durchgeführten Haaranalyse nachgewiesen. Der Kläger hat damit seit 3,5 Jahren keine illegalen Drogen mehr konsumiert. Eine glaubhafte Änderung der Einstellungen des Klägers ist mehrfach dokumentiert. Nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt R. vom 6.8.2003 war beim Kläger von Beginn an die Absicht erkennbar, sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Dazu nahm er Kontakt zur Drogenberatung auf, nahm an einer Motivationsgruppe teil und hielt Kontakt zu einer Therapieeinrichtung. Sämtliche Urinkontrollen in der Haftzeit sind negativ gewesen. Eine günstige Sozialprognose wurde dem Kläger auch im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts R. vom 20.8.2003 gestellt. Dabei wurde dem Kläger seine ordentliches Verhalten im Vollzug zugute gehalten und der Umstand, dass sämtliche Urinkontrollen negativ gewesen sind. Die von Anfang an vorhandene Absicht, an einer Drogenlangzeittherapie teilzunehmen, sei nur an der fehlenden Kostenzusage gescheitert, was der Kläger nicht zu vertreten habe. Die Bemühungen des Klägers um eine Drogentherapie sind auch durch die Bescheinigung der Psychosozialen Beratungsstelle der Caritas ... vom 14.8.2003 belegt. Dass der Kläger seine Abkehr vom früheren negativen Verhalten nach der Haftzeit beibehalten hat, bestätigen die von ihm vorgelegten Bescheinigungen über seine Versuche eine Lehrstelle zu finden und - bezüglich seines sozialen Engagements bei der Integration vorwiegend türkischstämmiger Jugendlicher - das Bestätigungsschreiben des Bürgermeisters von M. vom 8.6.2005 und die Angaben von Polizeihauptmeister K. in der mündlichen Verhandlung am 14.6.2005. Der Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, war positiv. Auch aufgrund dieses Eindrucks nimmt das Gericht dem Kläger ab, dass er seine Fehler eingesehen und ernsthaft bereut hat und dass er weiter entschlossen und in der Lage ist, in Zukunft ein straf- und drogenfreies Leben zu führen. Der Kläger ist nach dem Eindruck des Gerichts auch in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefertigt und durchaus selbstkritisch. Ihm ist klar, dass er zur endgültigen Bereinigung seiner Drogenproblematik auf eine Langzeitdrogentherapie angewiesen ist. Die Absicht, diese Therapie durchzuführen, ist bei ihm vorhanden.
46 
Danach gibt es beim Kläger eine insgesamt positive Entwicklung. Wird sie gesehen und in die Prognoseentscheidung eingestellt, erscheint die allein auf eine allgemeine Rückfallgefahr und auf die nach Jugendstrafrecht abgeurteilten und 4,5 Jahre zurückliegenden Betäubungsmittelstraftaten gestützte Gefahrenprognose der Behörde in der Wahrnehmung lückenhaft und im Ergebnis verfehlt. Eine gegenwärtige konkrete Gefahr, dass der Kläger in absehbarer Zeit schwere Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erheblich stören wird, ist für das Gericht gegenwärtig auch nicht im Ansatz erkennbar. Eine qualifizierte Wiederholungsgefahr im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 besteht daher beim Kläger, der weiß, dass er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen darf, nicht.
47 
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung des assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürgers gegenwärtig nicht vor. Die Ausweisungsentscheidung ist daher rechtswidrig, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die Bezirksstelle die Ausweisung in wirksamer Weise auf eine Ermessensentscheidung gestützt und das Ermessen dabei auch bezüglich der Gefahrenprognose fehlerfrei ausgeübt hat. Die Ausweisungsentscheidung war in der Folge aufzuheben.
48 
II. Die Abschiebungsandrohung unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Sie ist rechtswidrig weil nach der Aufhebung der Ausweisungsentscheidung beim Kläger keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht. Eine Abschiebungsandrohung durfte daher nicht ergehen (vgl. § 59 AufenthG50 AuslG).
49 
Der Klage war danach insgesamt stattzugeben.
50 
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.