Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 21. Okt. 2009 - 8 K 2123/09

bei uns veröffentlicht am21.10.2009

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der 1988 in ... geborene ledige Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wuchs als einziges Kind im elterlichen Haushalt auf. Der Vater ist ebenfalls türkischer Staatsangehöriger, die Mutter besitzt die kroatische Staatsangehörigkeit. Der Kläger besuchte zunächst die Grundschule und wechselte nach der 5. Klasse Hauptschule auf die Realschule. Dort wiederholte er die 6. Realschulklasse. Nachdem er das Klassenziel der 9. Realschulklasse nicht erreichte, wechselte er für ein Berufsvorbereitungsjahr erneut die Schule und erreichte dort 2006 den Hauptschulabschluss. Der Kläger bemühte sich anschließend nicht um einen Ausbildungsplatz oder um eine Arbeitsstelle, sondern lebte von finanziellen und materiellen Zuwendungen der Eltern.
Der Kläger ist seit dem 14.03.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
Ein Verfahren gegen den Kläger wegen Körperverletzung und Beleidigung eines Mitschülers wurde durch Verfügung der Staatsanwaltschaft S. vom 22.02.2005 gemäß § 45 Abs. 2 JGG eingestellt.
Am 16.08.2007 schlug er einen Passanten auf den Rücken, als dieser ihn auf seine überhöhte Geschwindigkeit und undisziplinierte Fahrweise ansprach und sich von ihm entfernen wollte, nachdem der Kläger in zunächst bedroht und schließlich noch beleidigt hatte. Dieses Verfahren wurde ebenfalls eingestellt.
Am 28.08.2007 wurde der Kläger wegen des dringenden Tatverdacht des Mordes vorläufig fest- und aufgrund eines am 29.08.2007 vom Amtsgericht S. erlassenen Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen. Durch Urteil des Landgerichts S. vom 05.03.2008 wurde der Kläger wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt. Das Landgericht ordnete gleichzeitig die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Kläger hatte am 21.08.2007 aus Eifersucht den 19-jährigen französischen Staatsangehörigen ... zusammen mit einem von ihm angestifteten Mittäter brutal ermordet. Bereits mit Schreiben vom 10.09.2007 gab das Regierungspräsidium S. dem Kläger Gelegenheit, sich zu einer beabsichtigten Ausweisung zu äußern.
Der Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... gab am 23.01.2009 einen Führungsbericht über den Kläger ab. Darin heißt es u.a., dass eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit der begangenen Straftat beim Kläger bislang nicht stattgefunden habe. Von einer Verantwortungsübernahme sei dieser noch weit entfernt.
Mit Schreiben v. 10.9.2007 u. 4.5.2009 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Da er sich innerhalb der gesetzten Frist bis zum 20.5.2009 nicht äußerte, wurde er mit Verfügung des Regierungspräsidiums S. vom 25.05.2009 (zugestellt am 26.05.2009) aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1) und ihm die Abschiebung in die Türkei auf seine Kosten ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und er darauf hingewiesen, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf und der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist (Ziffer 2). Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass seine Abschiebung - vorbehaltlich der Bestandskraft der Verfügung - im Zeitpunkt der Haftentlassung beabsichtigt sei. Die Abschiebung wurde dem Kläger hiermit für diesen Zeitpunkt angekündigt.
In der ausführlichen Begründung heißt es u.a.: Der Kläger besitze eine Rechtsposition und ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und genieße aufgrund dieser fortbestehenden Rechtsposition Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Danach gelten die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der Art. 6 und 7 ARB 1/80 nur vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Dabei seien die materiell-rechtlichen Grundsätze zu beachten, die für freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten. Die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers setze demnach insbesondere voraus, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstelle, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Eine strafrechtliche Verurteilung könne eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zudem setze die Ausweisung nach dem Urteil des EuGH vom 29.04.2004 einen sogenannten Extremfall voraus, also die konkrete und hohe Wiederholungsgefahr besonders schwerwiegender Straftaten.
Der Kläger sei vom Landgericht S. am 05.03.2008 wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Die vom Kläger begangene Straftat stelle im Bereich der Kapitalverbrechen ein persönliches Verhalten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar. Dieses gebe Anlass, den Kläger aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Daran ändere auch die vom Strafgericht aufgrund des psychiatrischen Gutachtens getroffene Feststellung einer krankhaft seelischen Störung und einer dadurch erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit und damit auch erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nichts. Die vom Kläger - auch im Zustand der verminderten Steuerungs- und Schuldfähigkeit - begangene Gewalttat des Mordes stelle zweifelsfrei einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Sie sei auch ein schwerwiegender Ausweisungsanlass. Die Ausweisung erfolge wegen der Schwere der abgeurteilten Straftat sowie der konkreten Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Verstöße gegen die geltende Rechtsordnung. Im Falle des Klägers bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr einer ähnlich gelagerten schweren Straftat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Kläger weiterhin krank und neige zudem zu Aggressionen und Autoaggressionen und die Wahrscheinlichkeit spreche nach Auffassung des Sachverständigen dafür, dass beim Kläger - etwa im Rahmen einer Zuspitzung der Situation - weiter mit erheblichen Gewalttaten zu rechnen sei. Die Neigung zu Aggressionshandlungen und Gewalttätigkeiten habe der Kläger in der Vergangenheit wiederholt gezeigt. So habe er sich bereits in der Schule viel geprügelt und Probleme mit den Lehrern gehabt. Nach Schilderung weiterer Gewalttätigkeiten des Klägers kommt das Regierungspräsidium zum Ergebnis, dass es beim Kläger ohne längerfristige Behandlung zu vergleichbaren Handlungen und Aggressionstaten kommen werde. So habe der Kläger auch lachend gegenüber einem Zelleninsassen geäußert, noch weitere sechs Exfreunde seiner damaligen Freundin umbringen zu wollen.
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Wegen der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat und der bestehenden hohen konkreten Wiederholungsgefahr weiterer schwerer Straftaten stehe einer Ausweisung Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entgegen. Mit ausführlicher Begründung wurde weiter dargelegt, dass einer Ausweisung auch europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere deren Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz aus Art. 28 Abs. 3 a, nicht entgegenstehe. Mit der Richtlinie 2004/38/EG sei die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man dies auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sogenannten dynamischen Verweisung zu. Eine Anwendung des Art. 28 Abs. 3 a RL 2004/38/EG auf türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen von Art. 7 ARB 1/80 erfüllen, scheide demnach aus. Damit seien die nationalen Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG anwendbar. Für freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wie auch für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 besitzen, sei eine Ausweisung ungeachtet des tatsächlich verwirklichten Ausweisungstatbestandes nur noch im Ermessenswege auf der Grundlage des § 55 AufenthG zulässig. Das Regierungspräsidium S. gehe davon aus, dass für den Kläger auch die nationalen Schutzvorschriften des § 56 AufenthG Anwendung finden. Danach könne der Kläger, der eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mehr als 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Ein solcher Fall liege beim Kläger vor. Da, wie dargelegt, eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr bestehe, sei die Rechtshürde des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überwunden. Ein nationales Ausweisungsverbot liege damit nicht vor und über die Ausweisung sei im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 nach Ermessen zu entscheiden. Mit den von ihm begangenen Kapitalverbrechen erfülle der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Danach könne eine Ausweisung erfolgen, wenn der betreffende Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe. Nach einer umfänglichen Würdigung der schutzwürdigen persönlichen wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Klägers kam das Regierungspräsidium zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung keine unverhältnismäßige Folge der schweren Gewalttat des Klägers darstelle auch wenn diese im Zustand der verminderten Steuerungs- und Schuldfähigkeit begangen worden sei. Die Ausweisung als Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr wurde unter Berücksichtigung der sehr hohen Wiederholungsgefahr nicht als unverhältnismäßig angesehen. Das Regierungspräsidium stellte ferner fest, dass die Ausweisung auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstoße. Bei einer Abwägung zwischen den Interessen der Eltern und den eigenen Interessen des Klägers mit dem öffentlichen Interesse an einem Schutz der Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern ergebe sich ein deutliches Übergewicht des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung als Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr. Weiter sei der Kläger auch nicht aufgrund einer Behinderung oder Erkrankung in besonderer Weise auf die Lebenshilfe seiner hier in Deutschland lebenden Familienangehörigen angewiesen.
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Einer Ausweisung stehe auch nicht das europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 entgegen. Der Kläger habe, wie oben dargelegt, gegen die öffentliche Ordnung verstoßen und damit könne der völkerrechtliche Ausweisungsschutz aus Art. 3 Nr. 3 des ENA ihn nicht vor einer Ausweisung schützen. Nach Art. 3 Nr. 3 des ENA dürften unter anderem türkische Staatsangehörige, die seit mehr als 10 Jahren ihren ordnungsmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Nr. 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend seien, ausgewiesen werden. Die vom Kläger begangene Straftat im Bereich der Kapitalverbrechen wiege besonders schwer. Zwischen den „schwerwiegenden Gründen“ i.S.d. § 48 Abs. 1 AuslG 1990 (heute § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und den „besonders schwerwiegenden Gründen“ des Art. 3 Nr. 3 ENA bestehe kein qualitativer Unterschied. Zudem sei der Schutz aus Art. 3 Nr. 3 ENA nicht höher als die Rechtsschranke aus Art. 14 ARB 1/80, die im Falle des Klägers ebenfalls überwunden sei.
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Nachdem der Aufenthaltstitel des Klägers - hier Niederlassungserlaubnis - aufgrund § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit wirksamer Bekanntgabe dieser Verfügung erloschen sei, besitze er ab diesem Zeitpunkt keinen Aufenthaltstitel mehr, obwohl er aufenthaltstitelpflichtig bleibe (§ 4 Abs. 1 AufenthG). Er sei deshalb nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Die Abschiebungsandrohung habe ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG. Da sich der Kläger in Haft bzw. im Maßregelvollzug befinde, bedürfe es in seinem Fall nach § 59 Abs. 5 AufenthG keiner Fristsetzung. Vielmehr werde ein Ausländer in diesen Fällen aus der Haft bzw. Unterbringung abgeschoben. Es sei davon auszugehen, dass bis dahin über eine ggf. erhobene Klage rechtskräftig entschieden und die Ausweisung damit unanfechtbar und die Ausreisepflicht vollziehbar sein werde. Der Abschiebungsandrohung in die Türkei stehe auch weder ein Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG noch ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 5, 7 AufenthG entgegen.
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Der Kläger hat dagegen am 02.06.2009 Anfechtungsklage erhoben.
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Zur Begründung lässt er durch seinen Prozessbevollmächtigten unter anderem vortragen: Der Kläger erfülle als türkischer Staatsangehöriger unstreitig die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ARB. Die Ausweisung erscheine als rechtswidrig. Zunächst sei Art. 28 Abs. 3 a RL 2004/38/EG im Rahmen des Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 ARB anzuwenden. Die Vorschrift führe nicht nur dazu, dass die Frist einer Mindeststrafe von 5 Jahren in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU anzuwenden sei, vielmehr werde dadurch auch der Begriff der öffentlichen Sicherheit eingeengt. Schutzgut des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG seien die Sicherheit des Staates und seiner Institutionen und das Überleben der Bevölkerung. Dieses sei vom Kläger niemals gefährdet worden. Weiter verstoße seine Ausweisung gegen Art. 8 EMRK. Der erzieherische Gedanke in dieser Bestimmung werde vom Beklagten vorliegend verleugnet. Weiter beherrsche der Kläger auch nicht die türkische Sprache. Der Vater habe sich mit der Mutter, einer kroatischen Staatsangehörigen, darauf verständigt nur in der deutschen Sprache miteinander zu kommunizieren. Der Kläger sei danach faktischer Inländer. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass keiner der Mittäter bei der schrecklichen Tat türkisch gesprochen habe. Weiter bestehe die Gefahr, dass der Kläger bei einer Abschiebung in die Türkei den bereits in der Haft unternommenen Suizidversuch vollenden würde.
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Der Kläger beantragt,
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die Verfügung des Regierungspräsidiums S. vom 25.05.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung und nochmals betont, dass durch das vom Kläger begangene Kapitalverbrechen eine tatsächliche oder hinreichend schwere Gefährdung vorliege und eine konkrete und hohe Wiederholungsgefahr neuerlicher gleichgelagerter oder ähnlicher Straftaten bestehe. Dem Vorbringen, dass der Kläger die türkische Sprache nicht einmal in den Grundzügen beherrsche, müsse entgegengehalten werden, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung auch hier im Bundesgebiet geborene türkische Staatsangehörige die türkische Sprache zumindest in rudimentären Teilen vermittelt bekommen und auch sprechen würden.
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Dem Gericht liegen die Ausländerakten des Beklagten einschließlich des darin enthaltenen Strafurteils des Landgerichts S. vom 05.03.2008 vor. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird hierauf und auf den Inhalt der im gerichtlichen Verfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Im Einverständnis der Beteiligten konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die angefochtene Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums S. vom 25.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Das Regierungspräsidium S. hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (§ 6 Abs. 1 AAZuVO vom 02.12.2008, GBl. 2008, 465 ff.) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Vor Durchführung des Klageverfahrens war auch nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG wurde durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben.
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Die Ausweisung ist auch materiell nicht zu beanstanden.
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Das Regierungspräsidium S. hat die Ausweisung des Klägers zutreffend auf §§ 55 Abs.1, 3 Nr.1; 56 Abs.1 Nr.1, Abs.2; 53 Nr.1 AufenthG iVm Art. 7 Abs.1; 14 ARB 1/80 gestützt und den Kläger ermessensfehlerfrei aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
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Das Regierungspräsidium ist in seiner Verfügung zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) zugute kommt. Er besitzt als in Deutschland geborener Familienangehöriger eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörender türkischen Arbeitnehmers (Vater) eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80. Beide Elternteile des Klägers verfügen über ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Obwohl der Kläger selbst über keine Berufsausbildung verfügt und auch zu keiner Zeit berufstätig gewesen ist, hat er die von seinem Vater abgeleiteten Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren. Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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- ungeachtet der Erfüllung eines sogenannten Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C.- 482/01 und C-439/01 - [Orfanopulos und Olivieri], DVBl. 2004, 876; BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - und 1 C 29/02 -, sowie Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und v. 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
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Entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters ist im Falle des Klägers Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG nicht zu berücksichtigen. Danach darf gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist und die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. v. 09.03.2007 - 6 K 2907/06- und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offengelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Vorabentscheidungsersuchen VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.07.2008 - 13 S 1917/07 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 -, Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -; VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -).
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Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch entscheidungserheblich. Mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Zwar ist der Bundesgesetzgeber der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG insoweit nachgekommen, als er durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I 2007, 1970, 1991 f.) in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit dahingehend definiert, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren oder eine bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung angeordnete Sicherungsverwahrung vorliegen muss. Diesen Strafrahmen erfüllt die 10-jährige Haftstrafe des Klägers wegen Mordes. Zu prüfen wäre jedoch weiter, ob aus der Straftat selbst zu schließen ist, dass der Betroffene in Zukunft eine Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, das heißt, ob aus der begangenen Straftat auf eine zukünftige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit geschlossen werden kann (vgl. HTK § 6 FreizügG/EU Anm. 3.3 m.w.N.).
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Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG bzw. deren Umsetzung in § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU auf nach dem ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familie dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würden. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Artikel 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt werde. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38 EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei, als Konkretisierung des Artikel 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistung etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urt. v. 30.09.2004 - C 275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetin Kaya]) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 02.06.2005 - C 163/03 - [Dörr und Ünal]) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 -). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden (so auch VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -).
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Die Gegner einer entsprechenden Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG und § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU betonen demgegenüber, dass die Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären, was in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen sei (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v . 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
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Das Gericht folgt der letztgenannten Auslegung.
34 
Die Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Bestimmung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beruht darauf, dass nach Auffassung des EuGH die fraglichen Vorschriften des ARB 1/80 eine weitere Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Geiste der Art. 48 bis 50 EG bilden (vgl. EuGH, Urt. v. 10.02.2000 - C-340/97 - „Nazli“, Slg. 2000 I - 957 Rn. 54). Übertragbar sind daher nur Regelungen mit einem spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Artikel 28 RL 2004/38/EG weist einen solchen Bezug aber nicht mehr auf. Das Regelungskonzept der RL 2004/38/EG besteht gerade darin, die „bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 4); als Anknüpfungspunkt für Freizügigkeitsrechte wird daher nicht auf die Ausübung einzelner Grundfreiheiten abgestellt, sondern auf die Unionsbürgerschaft, die „der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein sollte, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 3). Auch die abgestufte Ausweisungsschutzregelung des Art. 28 RL 2004/38/EG weist daher keinen spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auf, sondern gilt für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Recht auf Daueraufenthalt besitzen oder ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben. Die RL 2004/38/EG unterscheidet sich daher qualitativ von früheren gemeinschaftsrechtlichen Kodifikationen. Im Vordergrund steht nicht mehr die fortschreitende Ausgestaltung der Grundfreiheiten, sondern die Stärkung der Unionsbürgerschaft. Auch der Zweck des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2004/38/EG wird in den Erwägungsgründen ausschließlich aus Sicht der Unionsbürgerschaft definiert: „Daher sollte der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind. Gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, sollte nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.“ (Erwägungsgrund Nr. 24).
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Handelt es sich bei Art. 28 RL 2004/38/EG daher nicht mehr um eine Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern um eine Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft, kommt eine Übertragung auf die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht in Betracht (so im Ergebnis auch BayVGH, Urt. v. 20.03.2008 - 10 BV 07.1856 -, [Juris]; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -, InfAuslR 2005, 453; v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschl. v. 15.05.2007 - 18 B 2389/06 -, NVwZ 2007, 1445, VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263; VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -; Hailbronner, AuslR, Art. 14 ARB 1/80 Rn. 12 ff.).
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Dass der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 somit von dem durch Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG gewährten Schutz abweicht, ist daher eine Konsequenz des höheren Integrationsgrades, den die Europäische Union durch die Einführung der Unionsbürgerschaft und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erreicht hat. Die Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei besitzt diesen Charakter nicht. Das Assoziationsrecht kennt keine „Assoziationsbürgerschaft“ (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss v. 22.07.2008 a.a.O. RdNr. 39 m.w.N.).
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Diese Auffassung vertritt auch die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme vom 02.12.2008 - JURM (08) 12077 - an den EuGH zum Vorabentscheidungsersuchen des VGH Bad.-Württ. vom 22.07.2008 a.a.O.
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Nach umfänglicher Aufarbeitung und Darstellung der rechtlichen Problematik wird darin festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziationsabkommens (Assoziationsratsbeschluss 1/80 ARB) am 01.12.1964 die Richtlinie 64/221 EWG bereits veröffentlicht worden war und daher bei einer Auslegung des Art. 14 des Beschlusses 1/80 davon auszugehen war, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für „Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten“ verwirklicht wurde. Nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG kann dies auf die (bisherige) Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund des Abkommens erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben. Der Inhalt völkerrechtlicher Normen wie etwa des Beschlusses des Assoziationsrates, kann sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der internen Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts besteht gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können; heteronome Normsetzung kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Was zählt, ist nur der klar zum Ausdruck kommende Wille der Vertragspartner. Genau eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtliche Regelungen festgelegt ist, auswirken könnte. Dabei ist es ohne Belang, ob die Änderung der Rechtslage Verbesserungen oder Verschlechterungen mit sich bringt. Die Kommission sieht daher keinen Anlass zur Neuinterpretation des Art. 14 des Beschlusses 1/80, zumal der Inhalt dieser Bestimmung im Hinblick auf die dazu ergangene ausführliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hinlänglich klar ist. Bei Erlass der Richtlinie 2004/38/EG ist der Wille des Normsetzers eindeutig darauf ausgerichtet, bestimmten Unionsbürgern, nämlich jenen, die seit langer Zeit im Aufnahmemitgliedstaat wohnen, einen besonderen Ausweisungsschutz zu gewähren. Es gibt keine Hinweise darauf, dass dies auch Drittstaatsangehörigen zugute kommen soll. Auch Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bewirkt nicht, dass Art. 28 Abs. 3 Lit. a auch auf türkische Arbeitnehmer anwendbar wird, weil keine Bestimmung des Beschlusses 1/80 auf die Richtlinie 64/221 Bezug genommen hat. Diese Richtlinie wurde nur als Interpretationshilfe in Anspruch genommen, um den Begriff der Freizügigkeit im Gemeinschaftsrecht einheitlich auslegen zu können. Die gegenteilige Auffassung würde zu nicht vertretbaren Ergebnissen führen. Jede Verbesserung der Rechtsposition von Unionsbürgern würde automatisch auch zur Verbesserung der Rechtsposition von türkischen Arbeitnehmern als Drittstaatsangehörigen führen, selbst dann, wenn die Rechtsposition der genannten Drittstaatsangehörigen in völkerrechtlichen Rechtsakten geregelt ist. Ein juristisches Konstrukt mit solchen Rechtsfolgen sei sowohl der Rechtsordnung der Gemeinschaft als auch der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten fremd (so Europäische Kommission vom 02.12.2008 a.a.O. RdNr. 39). Schließlich würde eine Ausweitung der Wirkung des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf türkische Arbeitnehmer, die eine Rechtsposition aus Art. 7 des Beschlusses 1/80 erworben haben, auch zu einer nicht rechtfertigbaren Bevorzugung im Vergleich zu Familienangehörigen eines Unionsbürgers führen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen. Letztere genießen keinen in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG gewährleisteten Ausweisungsschutz. Die Kommission hat in ihrer Stellungnahme weiter dargelegt, dass dieses Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH steht (vgl. Urt. EuGH v. 06.06.1995 Rs C-434/93 [Bozkurt] Slg. 1995, S. I-1475, Rn. 41/42; Urt. v. 18.07.2007, Rs C-325/05 [Derin] Slg. 2007, S. I-6495 m.w.N.). Die Kommission kommt abschließend ebenfalls zum Ergebnis, dass ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nur unter den Kriterien des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden kann. Bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses 1/80 vorgesehenen Ausnahme der Öffentlichen Ordnung wird darauf abgestellt, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird. Im Rahmen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dieser Vertragsbestimmung setzt der Begriff der Öffentlichen Ordnung nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (so EuGH, Urt. v. 27.10.1977, Rs C-30/77 [Bouchereau] Slg., 1977, S. 1999, Rn. 35). Zwar kann nach der Rechtsprechung des EuGH ein Mitgliedstaat z. Bsp. die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefährdung der Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Doch ist die Ausnahme der Öffentlichen Ordnung wie alle Ausnahmen von einem Grundprinzip des Vertrages eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine Ausweisung rechtfertigen kann, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der Öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.01.1999, Rs. C-348/96, [Calfa] Slg. 1999, S. I 11, Rn. 22 bis 24). Daher können einem türkischen Staatsangehörigen, die ihm unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB zustehenden Rechte nur dann im Wege einer Ausweisung abgesprochen werden, wenn diese dadurch gerechtfertigt ist, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der Öffentlichen Ordnung hindeutet. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers (Assoziationsberechtigten) auch zu einer Gefährdung der Öffentlichen Sicherheit führt (so Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 02.12.2008 a.a.O. Rn. 43 f.)
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Das Regierungspräsidium S. hat daher im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger abgelehnt.
40 
Beim Kläger, als einem durch den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 begünstigten türkischen Staatsangehörigen, kommt eine Ausweisung lediglich aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, der sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ vgl. auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - [Torun], InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht. Der Kläger wurde vom Landgericht S. durch Urteil vom 05.03.2008 wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt, zudem wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Aus extremer Eifersucht auf einen 19-jährigen französischen Staatsangehörigen, einem ehemaligen Bekannten seiner Freundin, fasste er den Entschluss, diesen zu töten. Das spätere Opfer wurde von der Freundin des Klägers unter einem Vorwand zum Treffpunkt bestellt, wo es vom Kläger und einem von diesem angestifteten Mittäter mittels eines Baseball-Schlägers und Fußtritten gegen den Kopf brutal getötet wurde. Die Leiche wurde anschließend im Pkw abtransportiert und zerteilt. Kopf und Gliedmaßen wurden abgetrennt und in Blumenkübeln einbetoniert und anschließend im Neckar versenkt. Der Torso des Getöteten wurde vom Kläger in einem Waldstück versteckt. Der Kläger und sein Mittäter handelten heimtückisch, indem sie das Tatopfer, welches keinerlei Feindseligkeiten erwartete und welchem deshalb keinerlei Abwehr- oder Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung standen, brutal erschlugen. Das Motiv für die Tötung, die maßlos übersteigerte Eifersucht des Klägers, in der übersteigerter Geltungsdrang und hemmungslose Eigensucht zum Ausdruck kommt, wurde vom Strafgericht als ein niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 StGB erkannt. Eine Einstellung, bei welchem der Täter meint, nach Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert. Das Strafgericht hat dem Angeklagten ferner schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG attestiert. Bei ihm wurden erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel, die in seiner leichten Erregbarkeit und Aggressivität zum Ausdruck kommen und wegen deren es gegen ihn bereits einmal ein Strafverfahren gab, das nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt wurde, festgestellt.
41 
Die Gefahr, dass der Kläger ähnlich gelagerte schwerwiegende Straftaten wieder begehen könnte, ist nach Berücksichtigung aller Umstände nicht ausgeschlossen. Die Verwaltungsgerichte haben uneingeschränkt nachzuprüfen, ob die von der Behörde anlässlich einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung angenommene Wiederholungsgefahr tatsächlich besteht (GK-AufenthG, vor §§ 53 ff. RdNr. 1712 m.w.N.). Dabei sind geringere Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung zu stellen, wenn die Verurteilung - wie hier - wegen schwerwiegender Delikte erfolgte. Es ist allgemein anerkannt, dass je schwerer die zu besorgende Beeinträchtigung wiegt, desto geringer die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit neuer Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind. Dies ergibt sich aus den schwerwiegenden Folgen, die eine erneute Straftat derselben Art zur Folge hätte. Der Kläger hat hier einen Mord, also ein Verbrechen schwerster Kriminalität begangen. Bei einer solchen Verfehlung ist eine auch nur entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten ausreichend, um eine negative Prognose im Rahmen der Ausweisung zu stellen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist für den konkreten Fall zu prüfen, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Grundlage dafür ist eine umfassende Beurteilung der Person des Ausländers, seines Verhaltens, seiner Lebensverhältnisse, Art und Schwere der Tat, Umstände der Begehung, Art und Höhe der Strafe, sowie die weitere Entwicklung nach der Straftat. Das Regierungspräsidium S. hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung beim Kläger eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter schwerwiegender Straftaten festgestellt. Dabei hat es sich auf Sachverständigenausführungen gestützt, nach denen der Kläger weiterhin krank ist und zudem zu Aggressionen und Autoaggressionen neigt. Eine vorgeschlagene entsprechend höherpotente neuroleptische Behandlung hat der Kläger abgelehnt. Der Kläger ist schnell zur Gewaltanwendung bereit. Bereits im Jahre 2005 hat er Mitschülern Faustschläge ins Gesicht verpasst und 2007 einen Passanten, der ihn wegen seiner undisziplinierten Fahrweise mit dem Pkw angesprochen hatte, bedrängt und in den Rücken geschlagen. Der Kläger hat ferner auch seine Mutter geschlagen und ist seiner früheren Freundin gegenüber wiederholt gewalttätig geworden. In Verbindung mit der beim Kläger diagnostizierten krankhaften seelischen Störung kann dies durchaus zu weiteren Gewalttätigkeiten führen bzw. solche auslösen. Nach der fachärztlichen Stellungnahme des Dr. ..., Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich der Kläger bislang mit der von ihm begangenen Straftat nicht auseinandergesetzt und diese nicht aufgearbeitet. Von einer Verantwortungsübernahme ist er noch weit entfernt. Das Gericht verweist im Weiteren auf die ausführliche Begründung einer konkreten Wiederholungsgefahr im angefochtenen Bescheid, der es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
42 
Der Beklagte hat sein Ermessen nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG fehlerfrei ausgeübt.
43 
Danach sind bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen.
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In seiner Entscheidung hat der Beklagte zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und sich seit über 20 Jahren ununterbrochen rechtmäßig hier aufhält. Er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und verfügt damit über ein Daueraufenthaltsrecht. Das Regierungspräsidium hat ferner die Entwicklung der Lebensverhältnisse des Klägers während seines lang andauernden Aufenthalts berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass er eine Berufsausbildung und einen Arbeitsplatz zu keiner Zeit angestrebt hat. Der Kläger lebte in den Tag hinein und konsumierte im Freundes- und Bekanntenkreis Drogen, vor allem Alkohol, und nützte die Großzügigkeit seiner Eltern aus, die es ihm an nichts mangeln ließen und ihn stets finanziell großzügig unterstützten. Bemühungen, die darauf hindeuten, dass der Kläger sich integrieren und ein vollwertiges Mitglied der hiesigen Gesellschaft werden wollte, sind nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Das Regierungspräsidium hat ferner auch im Hinblick auf die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit dem Kläger in einer familiären Lebensgemeinschaft leben, wurden gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG hinreichend berücksichtigt. Zutreffend wurde erkannt, dass die Ausweisung mit der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG den Kläger künftig daran hindert, die Familieneinheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und damit ein Eingriff in Art. 6 GG vorliegt. Durch die gute Beziehung, insbesondere zum Vater, und der Tatsache, dass es sich beim Kläger um das einzige Kind handelt, trifft die Ausweisung die Eltern schwer. Allerdings verbietet Art. 6 GG auch einen für die Beteiligten schwerwiegenden Eingriff nicht schlechthin. Im vorliegenden Fall beruht die Ausweisung auf einem besonders schweren kriminellen Fehlverhalten des Klägers. Der staatliche Schutz der Gesellschaft vor etwaigen weiteren Beeinträchtigungen hat ebenfalls Verfassungsrang und muss in diesem Fall mit konkreter Wiederholungsgefahr Vorrang genießen. Der Kläger hat die zu einem Eingriff in Art. 6 GG führenden Gründe selbst geschaffen. Die Bindung insbesondere aber die finanzielle Abhängigkeit von seinen Eltern konnte ihn in der Vergangenheit nicht davon abhalten, Straftaten und schließlich einen Mord zu begehen. Die Bindung eines volljährigen erwachsenen Menschen zu seinen Eltern ist ferner durch eine immer größere Selbstständigkeit des Jugendlichen und eine damit verbundene immer weitere Abnabelung von den Eltern geprägt. Dem Kläger kann daher die Realisierung einer eigenverantwortlichen Lebensführung durchaus zugemutet werden.
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Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde gewahrt. Die Ausweisung ist zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlich und angemessen. Ein milderes Mittel zur Abwendung der Gefahr weiterer drohender Beeinträchtigungen durch den Kläger ist nicht ersichtlich. Die Rückkehr in seine Heimat ist dem Kläger auch zumutbar. Zwar ist der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen, trotzdem ist davon auszugehen, dass er als Sohn eines Türken und einer kroatischen Mutter ebenfalls die türkische Sprache beherrscht. Sollten noch gewisse Sprachdefizite vorhanden sein, ist es ihm zuzumuten, diese abzubauen. Dann wird ihm auch die Teilnahme am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben in der Türkei möglich sein. Sprachdefizite sind ferner Probleme, mit denen sich viele Menschen auseinandersetzen müssen, wenn sie in ein Land kommen, in dem sie noch nie oder lange nicht gelebt haben. So hat sich auch der Vater des Klägers in Deutschland zurechtgefunden.
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Die Ausweisung steht schließlich auch mit völker- und europarechtlichen Vorschriften im Einklang.
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Sie verstößt insbesondere auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Zwar stellt die Ausweisung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK dar, diese ist jedoch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Art. 8 EMRK schützt das Recht auf Privat- und Familienleben, weswegen im vorliegenden Fall ein Eingriff - ebenso wie oben festgestellt in Art. 6 GG - vorliegt. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur dann eingegriffen werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Grundordnung unter anderem für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist. Die erforderliche gesetzliche Regelung findet sich in § 55 AufenthG. Die Maßnahme ist auch
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- wie oben dargelegt - im hier zu entscheidenden konkreten Fall erforderlich, um künftig erhebliche Straftaten zu verhindern. Das Gericht verweist im Weiteren auf die umfänglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid, denen es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
49 
Einer Ausweisung des Klägers steht auch nicht das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 entgegen. Aus Art. 3 Abs. 3 ENA ergibt sich kein weiter gehender Ausweisungsschutz als nach § 56 Abs. 1 AufenthG oder Art. 14 ARB 1/80 (vgl. z. B. VG Stuttgart, Urt. v. 06.03.2008 - 1 K 3704/06 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.02.2006 in InfAuslR 2006, 263). Zwischen den „schwerwiegenden Gründen“ i.S.d. § 58 Abs. 1 AuslG 1990 (heute: § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und den „besonders schwerwiegenden Gründen“ des Art 3 Nr. 3 ENA besteht kein qualitativer Unterschied (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - in InfAuslR 1997, 8 ff.). Wie oben dargelegt, liegen im hier zu entscheidenden konkreten Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor und die Rechtshürde des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist damit überwunden. Danach kann der völkerrechtliche Ausweisungsschutz gemäß Art. 3 Abs. 3 ENA einer Ausweisung nicht entgegenstehen.
50 
Nachdem der Aufenthaltstitel des Klägers - hier Niederlassungserlaubnis - aufgrund § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit wirksamer Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung erloschen ist, besitzt der Kläger ab diesem Zeitpunkt keinen Aufenthaltstitel mehr, obwohl er aufenthaltstitelpflichtig bleibt (vgl. § 4 Abs. 1 AufenthG). Der Kläger ist daher nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG. Da der Kläger sich in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindet, bedurfte es in seinem Fall nach § 59 Abs. 5 AufenthG keiner Fristsetzung. Eine Abschiebung kann in diesen Fällen aus der Haft bzw. Unterbringung erfolgen. Der Beklagte geht davon aus, dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die Ausweisung unanfechtbar und die Ausreisepflicht damit i.S.v. § 58 Abs.2 AufenthG vollziehbar sein wird. Die Sollvorschrift des § 59 Abs. 2 AufenthG, wonach in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abzuschieben ist, wurde beachtet. Der Abschiebungsandrohung in die Türkei steht weder ein Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG noch ein Abschiebungshindernis i.S.v. § 60 Abs. 2 bis 5, 7 AufenthG entgegen. Es bestand daher keine Veranlassung, die Türkei nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Abschiebungsandrohung auszunehmen.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
52 
Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Gründe

 
21 
Im Einverständnis der Beteiligten konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
22 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
23 
Die angefochtene Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums S. vom 25.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
24 
Das Regierungspräsidium S. hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (§ 6 Abs. 1 AAZuVO vom 02.12.2008, GBl. 2008, 465 ff.) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Vor Durchführung des Klageverfahrens war auch nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG wurde durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben.
25 
Die Ausweisung ist auch materiell nicht zu beanstanden.
26 
Das Regierungspräsidium S. hat die Ausweisung des Klägers zutreffend auf §§ 55 Abs.1, 3 Nr.1; 56 Abs.1 Nr.1, Abs.2; 53 Nr.1 AufenthG iVm Art. 7 Abs.1; 14 ARB 1/80 gestützt und den Kläger ermessensfehlerfrei aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
27 
Das Regierungspräsidium ist in seiner Verfügung zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) zugute kommt. Er besitzt als in Deutschland geborener Familienangehöriger eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörender türkischen Arbeitnehmers (Vater) eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80. Beide Elternteile des Klägers verfügen über ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Obwohl der Kläger selbst über keine Berufsausbildung verfügt und auch zu keiner Zeit berufstätig gewesen ist, hat er die von seinem Vater abgeleiteten Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren. Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
28 
- ungeachtet der Erfüllung eines sogenannten Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C.- 482/01 und C-439/01 - [Orfanopulos und Olivieri], DVBl. 2004, 876; BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - und 1 C 29/02 -, sowie Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und v. 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
29 
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters ist im Falle des Klägers Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG nicht zu berücksichtigen. Danach darf gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist und die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. v. 09.03.2007 - 6 K 2907/06- und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offengelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Vorabentscheidungsersuchen VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.07.2008 - 13 S 1917/07 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 -, Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -; VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -).
30 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch entscheidungserheblich. Mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Zwar ist der Bundesgesetzgeber der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG insoweit nachgekommen, als er durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I 2007, 1970, 1991 f.) in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit dahingehend definiert, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren oder eine bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung angeordnete Sicherungsverwahrung vorliegen muss. Diesen Strafrahmen erfüllt die 10-jährige Haftstrafe des Klägers wegen Mordes. Zu prüfen wäre jedoch weiter, ob aus der Straftat selbst zu schließen ist, dass der Betroffene in Zukunft eine Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, das heißt, ob aus der begangenen Straftat auf eine zukünftige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit geschlossen werden kann (vgl. HTK § 6 FreizügG/EU Anm. 3.3 m.w.N.).
31 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG bzw. deren Umsetzung in § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU auf nach dem ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familie dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würden. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Artikel 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt werde. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38 EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei, als Konkretisierung des Artikel 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistung etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urt. v. 30.09.2004 - C 275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 -[Cetin Kaya]) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 02.06.2005 - C 163/03 - [Dörr und Ünal]) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 -). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden (so auch VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -).
32 
Die Gegner einer entsprechenden Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG und § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU betonen demgegenüber, dass die Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären, was in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen sei (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v . 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
33 
Das Gericht folgt der letztgenannten Auslegung.
34 
Die Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Bestimmung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beruht darauf, dass nach Auffassung des EuGH die fraglichen Vorschriften des ARB 1/80 eine weitere Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Geiste der Art. 48 bis 50 EG bilden (vgl. EuGH, Urt. v. 10.02.2000 - C-340/97 - „Nazli“, Slg. 2000 I - 957 Rn. 54). Übertragbar sind daher nur Regelungen mit einem spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Artikel 28 RL 2004/38/EG weist einen solchen Bezug aber nicht mehr auf. Das Regelungskonzept der RL 2004/38/EG besteht gerade darin, die „bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 4); als Anknüpfungspunkt für Freizügigkeitsrechte wird daher nicht auf die Ausübung einzelner Grundfreiheiten abgestellt, sondern auf die Unionsbürgerschaft, die „der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein sollte, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 3). Auch die abgestufte Ausweisungsschutzregelung des Art. 28 RL 2004/38/EG weist daher keinen spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auf, sondern gilt für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Recht auf Daueraufenthalt besitzen oder ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben. Die RL 2004/38/EG unterscheidet sich daher qualitativ von früheren gemeinschaftsrechtlichen Kodifikationen. Im Vordergrund steht nicht mehr die fortschreitende Ausgestaltung der Grundfreiheiten, sondern die Stärkung der Unionsbürgerschaft. Auch der Zweck des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2004/38/EG wird in den Erwägungsgründen ausschließlich aus Sicht der Unionsbürgerschaft definiert: „Daher sollte der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind. Gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, sollte nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.“ (Erwägungsgrund Nr. 24).
35 
Handelt es sich bei Art. 28 RL 2004/38/EG daher nicht mehr um eine Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern um eine Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft, kommt eine Übertragung auf die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht in Betracht (so im Ergebnis auch BayVGH, Urt. v. 20.03.2008 - 10 BV 07.1856 -, [Juris]; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -, InfAuslR 2005, 453; v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschl. v. 15.05.2007 - 18 B 2389/06 -, NVwZ 2007, 1445, VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263; VG Stuttgart, Urt. v. 03.07.2007 - 6 K 2790/07 -; Hailbronner, AuslR, Art. 14 ARB 1/80 Rn. 12 ff.).
36 
Dass der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 somit von dem durch Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG gewährten Schutz abweicht, ist daher eine Konsequenz des höheren Integrationsgrades, den die Europäische Union durch die Einführung der Unionsbürgerschaft und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erreicht hat. Die Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei besitzt diesen Charakter nicht. Das Assoziationsrecht kennt keine „Assoziationsbürgerschaft“ (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss v. 22.07.2008 a.a.O. RdNr. 39 m.w.N.).
37 
Diese Auffassung vertritt auch die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme vom 02.12.2008 - JURM (08) 12077 - an den EuGH zum Vorabentscheidungsersuchen des VGH Bad.-Württ. vom 22.07.2008 a.a.O.
38 
Nach umfänglicher Aufarbeitung und Darstellung der rechtlichen Problematik wird darin festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziationsabkommens (Assoziationsratsbeschluss 1/80 ARB) am 01.12.1964 die Richtlinie 64/221 EWG bereits veröffentlicht worden war und daher bei einer Auslegung des Art. 14 des Beschlusses 1/80 davon auszugehen war, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für „Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten“ verwirklicht wurde. Nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG kann dies auf die (bisherige) Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund des Abkommens erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben. Der Inhalt völkerrechtlicher Normen wie etwa des Beschlusses des Assoziationsrates, kann sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der internen Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts besteht gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können; heteronome Normsetzung kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Was zählt, ist nur der klar zum Ausdruck kommende Wille der Vertragspartner. Genau eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtliche Regelungen festgelegt ist, auswirken könnte. Dabei ist es ohne Belang, ob die Änderung der Rechtslage Verbesserungen oder Verschlechterungen mit sich bringt. Die Kommission sieht daher keinen Anlass zur Neuinterpretation des Art. 14 des Beschlusses 1/80, zumal der Inhalt dieser Bestimmung im Hinblick auf die dazu ergangene ausführliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hinlänglich klar ist. Bei Erlass der Richtlinie 2004/38/EG ist der Wille des Normsetzers eindeutig darauf ausgerichtet, bestimmten Unionsbürgern, nämlich jenen, die seit langer Zeit im Aufnahmemitgliedstaat wohnen, einen besonderen Ausweisungsschutz zu gewähren. Es gibt keine Hinweise darauf, dass dies auch Drittstaatsangehörigen zugute kommen soll. Auch Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bewirkt nicht, dass Art. 28 Abs. 3 Lit. a auch auf türkische Arbeitnehmer anwendbar wird, weil keine Bestimmung des Beschlusses 1/80 auf die Richtlinie 64/221 Bezug genommen hat. Diese Richtlinie wurde nur als Interpretationshilfe in Anspruch genommen, um den Begriff der Freizügigkeit im Gemeinschaftsrecht einheitlich auslegen zu können. Die gegenteilige Auffassung würde zu nicht vertretbaren Ergebnissen führen. Jede Verbesserung der Rechtsposition von Unionsbürgern würde automatisch auch zur Verbesserung der Rechtsposition von türkischen Arbeitnehmern als Drittstaatsangehörigen führen, selbst dann, wenn die Rechtsposition der genannten Drittstaatsangehörigen in völkerrechtlichen Rechtsakten geregelt ist. Ein juristisches Konstrukt mit solchen Rechtsfolgen sei sowohl der Rechtsordnung der Gemeinschaft als auch der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten fremd (so Europäische Kommission vom 02.12.2008 a.a.O. RdNr. 39). Schließlich würde eine Ausweitung der Wirkung des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf türkische Arbeitnehmer, die eine Rechtsposition aus Art. 7 des Beschlusses 1/80 erworben haben, auch zu einer nicht rechtfertigbaren Bevorzugung im Vergleich zu Familienangehörigen eines Unionsbürgers führen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen. Letztere genießen keinen in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG gewährleisteten Ausweisungsschutz. Die Kommission hat in ihrer Stellungnahme weiter dargelegt, dass dieses Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH steht (vgl. Urt. EuGH v. 06.06.1995 Rs C-434/93 [Bozkurt] Slg. 1995, S. I-1475, Rn. 41/42; Urt. v. 18.07.2007, Rs C-325/05 [Derin] Slg. 2007, S. I-6495 m.w.N.). Die Kommission kommt abschließend ebenfalls zum Ergebnis, dass ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nur unter den Kriterien des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden kann. Bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses 1/80 vorgesehenen Ausnahme der Öffentlichen Ordnung wird darauf abgestellt, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird. Im Rahmen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dieser Vertragsbestimmung setzt der Begriff der Öffentlichen Ordnung nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (so EuGH, Urt. v. 27.10.1977, Rs C-30/77 [Bouchereau] Slg., 1977, S. 1999, Rn. 35). Zwar kann nach der Rechtsprechung des EuGH ein Mitgliedstaat z. Bsp. die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefährdung der Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Doch ist die Ausnahme der Öffentlichen Ordnung wie alle Ausnahmen von einem Grundprinzip des Vertrages eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine Ausweisung rechtfertigen kann, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der Öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.01.1999, Rs. C-348/96, [Calfa] Slg. 1999, S. I 11, Rn. 22 bis 24). Daher können einem türkischen Staatsangehörigen, die ihm unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB zustehenden Rechte nur dann im Wege einer Ausweisung abgesprochen werden, wenn diese dadurch gerechtfertigt ist, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der Öffentlichen Ordnung hindeutet. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers (Assoziationsberechtigten) auch zu einer Gefährdung der Öffentlichen Sicherheit führt (so Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 02.12.2008 a.a.O. Rn. 43 f.)
39 
Das Regierungspräsidium S. hat daher im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger abgelehnt.
40 
Beim Kläger, als einem durch den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 begünstigten türkischen Staatsangehörigen, kommt eine Ausweisung lediglich aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, der sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ vgl. auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - [Torun], InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht. Der Kläger wurde vom Landgericht S. durch Urteil vom 05.03.2008 wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt, zudem wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Aus extremer Eifersucht auf einen 19-jährigen französischen Staatsangehörigen, einem ehemaligen Bekannten seiner Freundin, fasste er den Entschluss, diesen zu töten. Das spätere Opfer wurde von der Freundin des Klägers unter einem Vorwand zum Treffpunkt bestellt, wo es vom Kläger und einem von diesem angestifteten Mittäter mittels eines Baseball-Schlägers und Fußtritten gegen den Kopf brutal getötet wurde. Die Leiche wurde anschließend im Pkw abtransportiert und zerteilt. Kopf und Gliedmaßen wurden abgetrennt und in Blumenkübeln einbetoniert und anschließend im Neckar versenkt. Der Torso des Getöteten wurde vom Kläger in einem Waldstück versteckt. Der Kläger und sein Mittäter handelten heimtückisch, indem sie das Tatopfer, welches keinerlei Feindseligkeiten erwartete und welchem deshalb keinerlei Abwehr- oder Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung standen, brutal erschlugen. Das Motiv für die Tötung, die maßlos übersteigerte Eifersucht des Klägers, in der übersteigerter Geltungsdrang und hemmungslose Eigensucht zum Ausdruck kommt, wurde vom Strafgericht als ein niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 StGB erkannt. Eine Einstellung, bei welchem der Täter meint, nach Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert. Das Strafgericht hat dem Angeklagten ferner schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG attestiert. Bei ihm wurden erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel, die in seiner leichten Erregbarkeit und Aggressivität zum Ausdruck kommen und wegen deren es gegen ihn bereits einmal ein Strafverfahren gab, das nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt wurde, festgestellt.
41 
Die Gefahr, dass der Kläger ähnlich gelagerte schwerwiegende Straftaten wieder begehen könnte, ist nach Berücksichtigung aller Umstände nicht ausgeschlossen. Die Verwaltungsgerichte haben uneingeschränkt nachzuprüfen, ob die von der Behörde anlässlich einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung angenommene Wiederholungsgefahr tatsächlich besteht (GK-AufenthG, vor §§ 53 ff. RdNr. 1712 m.w.N.). Dabei sind geringere Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung zu stellen, wenn die Verurteilung - wie hier - wegen schwerwiegender Delikte erfolgte. Es ist allgemein anerkannt, dass je schwerer die zu besorgende Beeinträchtigung wiegt, desto geringer die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit neuer Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind. Dies ergibt sich aus den schwerwiegenden Folgen, die eine erneute Straftat derselben Art zur Folge hätte. Der Kläger hat hier einen Mord, also ein Verbrechen schwerster Kriminalität begangen. Bei einer solchen Verfehlung ist eine auch nur entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten ausreichend, um eine negative Prognose im Rahmen der Ausweisung zu stellen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist für den konkreten Fall zu prüfen, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Grundlage dafür ist eine umfassende Beurteilung der Person des Ausländers, seines Verhaltens, seiner Lebensverhältnisse, Art und Schwere der Tat, Umstände der Begehung, Art und Höhe der Strafe, sowie die weitere Entwicklung nach der Straftat. Das Regierungspräsidium S. hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung beim Kläger eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter schwerwiegender Straftaten festgestellt. Dabei hat es sich auf Sachverständigenausführungen gestützt, nach denen der Kläger weiterhin krank ist und zudem zu Aggressionen und Autoaggressionen neigt. Eine vorgeschlagene entsprechend höherpotente neuroleptische Behandlung hat der Kläger abgelehnt. Der Kläger ist schnell zur Gewaltanwendung bereit. Bereits im Jahre 2005 hat er Mitschülern Faustschläge ins Gesicht verpasst und 2007 einen Passanten, der ihn wegen seiner undisziplinierten Fahrweise mit dem Pkw angesprochen hatte, bedrängt und in den Rücken geschlagen. Der Kläger hat ferner auch seine Mutter geschlagen und ist seiner früheren Freundin gegenüber wiederholt gewalttätig geworden. In Verbindung mit der beim Kläger diagnostizierten krankhaften seelischen Störung kann dies durchaus zu weiteren Gewalttätigkeiten führen bzw. solche auslösen. Nach der fachärztlichen Stellungnahme des Dr. ..., Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich der Kläger bislang mit der von ihm begangenen Straftat nicht auseinandergesetzt und diese nicht aufgearbeitet. Von einer Verantwortungsübernahme ist er noch weit entfernt. Das Gericht verweist im Weiteren auf die ausführliche Begründung einer konkreten Wiederholungsgefahr im angefochtenen Bescheid, der es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
42 
Der Beklagte hat sein Ermessen nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG fehlerfrei ausgeübt.
43 
Danach sind bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen.
44 
In seiner Entscheidung hat der Beklagte zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und sich seit über 20 Jahren ununterbrochen rechtmäßig hier aufhält. Er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und verfügt damit über ein Daueraufenthaltsrecht. Das Regierungspräsidium hat ferner die Entwicklung der Lebensverhältnisse des Klägers während seines lang andauernden Aufenthalts berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass er eine Berufsausbildung und einen Arbeitsplatz zu keiner Zeit angestrebt hat. Der Kläger lebte in den Tag hinein und konsumierte im Freundes- und Bekanntenkreis Drogen, vor allem Alkohol, und nützte die Großzügigkeit seiner Eltern aus, die es ihm an nichts mangeln ließen und ihn stets finanziell großzügig unterstützten. Bemühungen, die darauf hindeuten, dass der Kläger sich integrieren und ein vollwertiges Mitglied der hiesigen Gesellschaft werden wollte, sind nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Das Regierungspräsidium hat ferner auch im Hinblick auf die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit dem Kläger in einer familiären Lebensgemeinschaft leben, wurden gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG hinreichend berücksichtigt. Zutreffend wurde erkannt, dass die Ausweisung mit der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG den Kläger künftig daran hindert, die Familieneinheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und damit ein Eingriff in Art. 6 GG vorliegt. Durch die gute Beziehung, insbesondere zum Vater, und der Tatsache, dass es sich beim Kläger um das einzige Kind handelt, trifft die Ausweisung die Eltern schwer. Allerdings verbietet Art. 6 GG auch einen für die Beteiligten schwerwiegenden Eingriff nicht schlechthin. Im vorliegenden Fall beruht die Ausweisung auf einem besonders schweren kriminellen Fehlverhalten des Klägers. Der staatliche Schutz der Gesellschaft vor etwaigen weiteren Beeinträchtigungen hat ebenfalls Verfassungsrang und muss in diesem Fall mit konkreter Wiederholungsgefahr Vorrang genießen. Der Kläger hat die zu einem Eingriff in Art. 6 GG führenden Gründe selbst geschaffen. Die Bindung insbesondere aber die finanzielle Abhängigkeit von seinen Eltern konnte ihn in der Vergangenheit nicht davon abhalten, Straftaten und schließlich einen Mord zu begehen. Die Bindung eines volljährigen erwachsenen Menschen zu seinen Eltern ist ferner durch eine immer größere Selbstständigkeit des Jugendlichen und eine damit verbundene immer weitere Abnabelung von den Eltern geprägt. Dem Kläger kann daher die Realisierung einer eigenverantwortlichen Lebensführung durchaus zugemutet werden.
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Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde gewahrt. Die Ausweisung ist zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlich und angemessen. Ein milderes Mittel zur Abwendung der Gefahr weiterer drohender Beeinträchtigungen durch den Kläger ist nicht ersichtlich. Die Rückkehr in seine Heimat ist dem Kläger auch zumutbar. Zwar ist der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen, trotzdem ist davon auszugehen, dass er als Sohn eines Türken und einer kroatischen Mutter ebenfalls die türkische Sprache beherrscht. Sollten noch gewisse Sprachdefizite vorhanden sein, ist es ihm zuzumuten, diese abzubauen. Dann wird ihm auch die Teilnahme am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben in der Türkei möglich sein. Sprachdefizite sind ferner Probleme, mit denen sich viele Menschen auseinandersetzen müssen, wenn sie in ein Land kommen, in dem sie noch nie oder lange nicht gelebt haben. So hat sich auch der Vater des Klägers in Deutschland zurechtgefunden.
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Die Ausweisung steht schließlich auch mit völker- und europarechtlichen Vorschriften im Einklang.
47 
Sie verstößt insbesondere auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Zwar stellt die Ausweisung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK dar, diese ist jedoch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Art. 8 EMRK schützt das Recht auf Privat- und Familienleben, weswegen im vorliegenden Fall ein Eingriff - ebenso wie oben festgestellt in Art. 6 GG - vorliegt. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur dann eingegriffen werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Grundordnung unter anderem für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist. Die erforderliche gesetzliche Regelung findet sich in § 55 AufenthG. Die Maßnahme ist auch
48 
- wie oben dargelegt - im hier zu entscheidenden konkreten Fall erforderlich, um künftig erhebliche Straftaten zu verhindern. Das Gericht verweist im Weiteren auf die umfänglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid, denen es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
49 
Einer Ausweisung des Klägers steht auch nicht das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 entgegen. Aus Art. 3 Abs. 3 ENA ergibt sich kein weiter gehender Ausweisungsschutz als nach § 56 Abs. 1 AufenthG oder Art. 14 ARB 1/80 (vgl. z. B. VG Stuttgart, Urt. v. 06.03.2008 - 1 K 3704/06 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.02.2006 in InfAuslR 2006, 263). Zwischen den „schwerwiegenden Gründen“ i.S.d. § 58 Abs. 1 AuslG 1990 (heute: § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und den „besonders schwerwiegenden Gründen“ des Art 3 Nr. 3 ENA besteht kein qualitativer Unterschied (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - in InfAuslR 1997, 8 ff.). Wie oben dargelegt, liegen im hier zu entscheidenden konkreten Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor und die Rechtshürde des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist damit überwunden. Danach kann der völkerrechtliche Ausweisungsschutz gemäß Art. 3 Abs. 3 ENA einer Ausweisung nicht entgegenstehen.
50 
Nachdem der Aufenthaltstitel des Klägers - hier Niederlassungserlaubnis - aufgrund § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit wirksamer Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung erloschen ist, besitzt der Kläger ab diesem Zeitpunkt keinen Aufenthaltstitel mehr, obwohl er aufenthaltstitelpflichtig bleibt (vgl. § 4 Abs. 1 AufenthG). Der Kläger ist daher nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG. Da der Kläger sich in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindet, bedurfte es in seinem Fall nach § 59 Abs. 5 AufenthG keiner Fristsetzung. Eine Abschiebung kann in diesen Fällen aus der Haft bzw. Unterbringung erfolgen. Der Beklagte geht davon aus, dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die Ausweisung unanfechtbar und die Ausreisepflicht damit i.S.v. § 58 Abs.2 AufenthG vollziehbar sein wird. Die Sollvorschrift des § 59 Abs. 2 AufenthG, wonach in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abzuschieben ist, wurde beachtet. Der Abschiebungsandrohung in die Türkei steht weder ein Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG noch ein Abschiebungshindernis i.S.v. § 60 Abs. 2 bis 5, 7 AufenthG entgegen. Es bestand daher keine Veranlassung, die Türkei nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Abschiebungsandrohung auszunehmen.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
52 
Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 03. Juli 2007 - 6 K 2790/07

bei uns veröffentlicht am 03.07.2007

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand   1  Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am 18.12.1973 im Bundesgebiet geboren. Er wuchs mit me

Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 09. März 2007 - 6 K 2907/06

bei uns veröffentlicht am 09.03.2007

Tenor 1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wird wiederhergestellt, soweit der Antragsteller aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und angeordnet, sowei

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 09. Nov. 2006 - 2 K 1559/06

bei uns veröffentlicht am 09.11.2006

Tenor 1. Soweit die Beteiligten bezüglich Ziff. 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 29. Juni 2006 - 11 S 2299/05

bei uns veröffentlicht am 29.06.2006

Tenor Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen. Tatbestan
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 21. Okt. 2009 - 8 K 2123/09.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 16. Apr. 2012 - 11 S 4/12

bei uns veröffentlicht am 16.04.2012

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21.10.2009 - 8 K 2123/09 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.Die Revision wird zugelassen. Tatbestand  1 Der 1988 in Stuttga

Referenzen

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wird wiederhergestellt, soweit der Antragsteller aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und angeordnet, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs.5 VwGO mit dem wie folgt sachdienlich zu fassenden Antrag,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wiederherzustellen, soweit er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und anzuordnen, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist,
ist zulässig und begründet.
1. Das Gericht sieht sich veranlasst, dem Antragsteller, einem bislang nicht vorbestraften 30-jährigen türkischen Staatsangehörigen, welcher durch Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 19.01.2006 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist, vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs.5 VwGO gegen dessen für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung aus dem Bundesgebiet durch Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 (dort Ziffer 1) zu gewähren. Denn das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollstreckung dieser ausländerrechtlichen Maßnahme verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der verfügten Ausweisung. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage bestehen für das Gericht durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006. Es besteht daher Anlass dazu, der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsverfügung (VG Karlsruhe, Az.: 6 K 2822/06) - wie dies auch der gesetzlichen Grundregel des § 80 Abs.1 Satz 1 VwGO entspricht - aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.
Die durchgreifenden Zweifel des Gerichts an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Regierungspräsidiums vom 08.11.2006 knüpfen daran an, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Ausweisung des Antragstellers die Regelung des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.04.2004, L 158/ 77) unbeachtet gelassen hat. Es spricht aber viel dafür, dass sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner gerade auf eine entsprechende Anwendung der Ausweisungsschutzvorschrift des Art. 28 Abs.3 dieser Richtlinie berufen kann.
Unstreitig rechnet der Antragsteller, der in Deutschland geboren, aufgewachsen und ausgebildet worden ist, und der während seines ganzen Lebens im Bundesgebiet wohnhaft gewesen ist, zu dem durch die Regelungen des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei begünstigten Personenkreis. Die Zulässigkeit einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet bestimmt sich danach bei ihm in erster Linie nach der Reglung in Artikel 14 dieses Beschlusses, dessen Auslegung und Anwendung durch die langjährige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zwischenzeitlich auch durch das Bundesverwaltungsgericht nachvollzogen worden ist (vgl. insbesondere die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29/02 -, BVerwGE 121, 315 = NVwZ 2005, 224, vom 15.03.2005 - 1 C 2/04 -, NVwZ 2005, 274 und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -, juris). Hiernach ist insbesondere aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.2004 (Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 - Orfanopoulos und Oliveri -, DVBl. 2004, 876) auch bei türkischen Staatsangehörigen, die sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr.1/80 berufen können, von besonderen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine Ausweisung auszugehen. Gerade auch die materiell-rechtlichen Grundsätze, die bei einer Aufenthaltsbeendigung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger gelten, sind danach auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, welche ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen. Als Beispiel nennt das Bundesverwaltungsgericht etwa Art. 39 Abs.3 EG und den diese Norm konkretisierenden Artikel der - zwischenzeitlich aufgehobenen - Richtlinie 64/221/EWG, wonach jeder Anschein zu vermeiden ist, dass strafrechtliche Verurteilungen einer privilegierten Person keine andere Rechtsfolge zulassen als ihre Ausweisung oder jedenfalls eine gewisse „Vermutung“ zugunsten ihrer Ausweisung begründen, woraus folgt, dass eine Ausweisung allein aufgrund einer Ermessensentscheidung vorgenommen werden darf.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat mit der von dem Antragsteller angegriffenen Entscheidung vom 08.11.2006 zwar diese mittlerweile ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt und insbesondere eine Ermessensentscheidung getroffen, welche zu Lasten des Antragstellers auch lediglich auf spezialpräventive Gesichtspunkte abstellt. Unberücksichtigt gelassen hat das Regierungspräsidium indes, dass zwischenzeitlich die Unionsbürger betreffenden Regelungen nochmals geändert wurden und insbesondere die bisherige Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, welche mit Ablauf der Frist für die Umsetzung in nationales Recht am 30.04.2006 nunmehr unmittelbar Geltung beansprucht, aufgehoben und ersetzt worden ist. Es spricht nach der Einschätzung des Gerichts vieles dafür, dass nunmehr insbesondere die Ausweisungsvorschrift des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG auch auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechende Anwendung findet (so ausdrücklich bejahend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, juris, HessVGH, Beschl. v. 12.07.2006, AuAS 2006, 232, VG Karlsruhe, Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; offen gelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 01.12.2006 - 18 B 2219/06 -, juris, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -, juris und Niedersächs. OVG, Urt. v. 16.05.2006, InfAuslR 2006, 350; vgl. im Übrigen den auch die einschlägige Frage betreffenden Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof des VG Darmstadt vom 16.08.2006 - 8 E 1364/05 -, juris; zum Streitstand allgemein vgl. die Erläuterungen des HTK-AuslR unter 3.2 zu Artikel 14 ARB 1/80). Dabei dürfte es nach Auffassung des Gerichts - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - keine Rolle spielen, dass die Richtlinie 2004/38/EG ausdrücklich nur das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen betrifft und assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige nicht erwähnt. Denn dasselbe galt auch für die Vorgängerrichtlinie 64/221/EWG, und nach der Auffassung des Gerichts kann jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens und des Artikel 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 herleitet, dass die für Unionsbürger geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Staatsangehörigen, die die im Beschluss Nr.1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 10.02.2000 - Nazli -, NVwZ 2000, 1029), woraus der Gerichtshof folgert, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs.1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird, zumal die genannte Vorschrift nahezu denselben Wortlaut wie Art. 39 Abs.3 EG hat. Dass dabei etwaige im Rahmen einer Weiterentwicklung des Rechts zu Gunsten von Unionsbürgern erfolgte Änderungen nicht auch den assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zukommen sollen, wie dies offenbar der Antragsgegner meint, erscheint dem Gericht nicht schlüssig.
Bei einer Berücksichtigung von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG dürfte aber der Antragsteller, weil er seinen Aufenthalt in den letzten 10 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatte, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Regelung stellt im Rahmen der Stufenfolge des Art. 28 eine Begünstigung gegenüber Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dar, welche zwar das Recht zum Daueraufenthalt in einem Aufnahmemitgliedsstaat genießen, sich jedoch dort zuletzt noch nicht 10 Jahre lang aufgehalten haben. Jener Personenkreis darf gem. Art. 28 Abs. 2 aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgewiesen werden. Ersichtlich reicht daher der Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie weiter als derjenige, den das Regierungspräsidium Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 08.11.2006 hinsichtlich des Antragstellers bereits aus Art. 14 ARB 1/80, § 56 Abs. 1 S. 1 AufenthG sowie Art. 3 Abs.3 des Europäischen Niederlassungsabkommens zu Gunsten des Antragstellers abgeleitet hat. Dem entsprechend sieht auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bezüglich einer beabsichtigten Änderung von § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vor, dass eine Feststellung nach § 6 Abs.1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden darf. Entsprechend dem Gesetzentwurf können zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
Auch wenn das erwähnte Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bislang noch nicht verabschiedet und in Kraft getreten ist, dürfte jedenfalls in dem Fall des Antragstellers, der zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, von dem Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG nicht ausgegangen werden können, obgleich auch nicht der Auffassung der Antragstellerseite zu folgen sein dürfte, nach welcher diese Regelung eine Ausweisung nur noch aus Gründen der Sicherheit des Staates zulässt.
10 
Wegen der sonach bestehenden durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe hält das Gericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung für sachgerecht.
11 
2. In der Folge der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung ist auch die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die verfügte Androhung seiner Abschiebung in die Türkei (Ziff. 3 der Verfügung vom 08.11.2006) gemäß § 80 Abs.5 Satz 1 VwGO anzuordnen. Denn aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsentscheidung fehlt es an dem Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers (vgl. § 58 Abs.2 AufenthG), welche ihrerseits Voraussetzung für den Erlass einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung des verfügten Inhalts ist (vgl. §§ 58 Abs.1, 59 AufenthG).
12 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
13 
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 53 Abs.3 Nr.2, 52 Abs.1, 39 Abs.1 GKG.

Tenor

1. Soweit die Beteiligten bezüglich Ziff. 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

2. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 wird unter Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung) aufgehoben.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Mit der Klage wendet sich der Kläger zuletzt gegen seine Ausweisung.
Der am ... im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er besitzt einen im Berufsvorbereitungsjahr erworbenen Hauptschulabschluss und hat eine Lehre als Maler und Lackierer erfolgreich im Juli ... abgeschlossen. Der Kläger lebt nicht mehr bei seiner Familie, ist ledig und hat keine Kinder. Nach Abschluss seiner Lehre arbeitete er, mit kurzen Zeiten von Arbeitslosigkeit, allerdings nicht in seinem erlernten Beruf. Zuletzt war er bis zum Jahresende 2005 befristet im Gartenbau als Hilfsarbeiter beschäftigt. Seine Eltern leben im Bundesgebiet. Sein Vater, zwischenzeitlich Rentner, ist nach einem Schlaganfall behindert und sitzt im Rollstuhl.
Der Kläger ist im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 03.03.1998, Straftat: Gefährliche Körperverletzung, Strafmaß: Verwarnung.
2. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 29.04.1998, Straftaten: zwei Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls, ein Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls in einem erschwerten Fall, Strafmaß: 50 Stunden Arbeit nach Weisung des Jugendamtes.
3. Amtsgericht ..., Urteil vom 05.01.2000, Straftat: Körperverletzung; die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
4. Amtsgericht ..., Urteil vom 18.10.2000, Straftaten: unerlaubter Erwerb von Betäubungsmittel in 16 Fällen, vorsätzliche Körperverletzung, Strafmaß: 1 Jahr Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
5. Amtsgericht ..., - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 30.08.2001, Straftaten: Diebstahl, Computerbetrug, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Strafmaß: 1 Jahr und 6 Monate Einheitsjugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die nachfolgenden Straftaten wurden der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung zugrunde gelegt:
10 
1. Amtsgericht ..., Urteil vom 19.07.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 26 Fällen und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Strafmaß: 9 Monate Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
11 
Die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wurde durch Beschluss des Amtsgerichts ... vom 07.11.2005 widerrufen, nachdem der Kläger keinen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer aufgenommen, auf Anschreiben nicht reagiert und zur Drogenberatung keine Verbindung aufgenommen hatte sowie seiner Zahlungsauflage hinsichtlich der Drogenhilfe nicht nachgekommen war.
12 
2. Amtsgericht ..., Urteil vom 22.12.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Strafmaß 1 Jahr und 3 Monate Freiheitsstrafe.
13 
Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte wegen einer vom Strafgericht als schlecht erachteten Legal- und Kriminalprognose des Klägers nicht.
14 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, wies den Kläger mit Verfügung vom 03.05.2006 unter gleichzeitiger Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und unter Beifügung einer Abschiebungsandrohung bezüglich der Türkei aus der Bundesrepublik Deutschland aus.
15 
Die Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, der Kläger könne sich auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 berufen, weshalb seine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen nach Ermessen gem. § 55 AufenthG erfolgen könne. Der weitere Aufenthalt des Klägers stelle eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Denn bei Würdigung des Lebenslaufes des Klägers und seiner kriminellen Energie, die durch die Straftaten zum Ausdruck gekommen sei, bestehe die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger weiterhin, vor allem im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, Straftaten begehen werde. Die wirtschaftliche Situation des Klägers biete Anlass zur Sorge, nachdem er nicht in seinem erlernten Beruf gearbeitet habe, seit Dezember 2004 arbeitslos sei und im Jahr 2005 nur für drei Monate befristet in einem Gärtnereibetrieb Arbeit gefunden habe. Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten ihn nicht davon abhalten können, Straftaten zu begehen. Insbesondere sei herauszuheben, dass der Kläger bereits 10 Tage nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht ... am 19.07.2005 wiederum einschlägig in Erscheinung getreten sei. Auch der langjährige eigene Drogenkonsum des Klägers erhärte die negative Prognose. Der Ausweisung stehe weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK entgegen. Der Kläger sei im Bundesgebiet auf ein Zusammenleben mit den Eltern nicht angewiesen und habe darüber hinaus keine festen Bindungen. Der Kläger könne auch nicht als „faktischer Inländer“ angesehen werden. Es sei aufgrund der Erziehung durch seine Eltern davon auszugehen, dass er der türkischen Sprache mächtig sei und sich in die türkischen Lebensverhältnisse integrieren könne. Zwar könne sich der Kläger auf Art. 3 Abs. 3 ENA berufen, doch dürfe er nach dieser Bestimmung ausgewiesen werden, weil hierfür besonders schwerwiegende Gründe vorlägen.
16 
Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen gewesen, nachdem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden sei (§ 11 Abs. 1 AufenthG).
17 
Die ordnungsgemäße Zustellung der Ausweisungsverfügung lässt sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen.
18 
Am 20.06.2006 hat der Kläger Klage erhoben und zuletzt beantragt,
19 
die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziff. 1 und 3, aufzuheben.
20 
Die Klagebegründung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger bei Begehung der Straftaten suchtkrank gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger, der unter keinen Entzugserscheinungen leide, seine Sucht infolge seiner Inhaftierung in Griff bekommen habe und nunmehr „clean“ sei. Der Kläger verfüge über keine persönlichen Bindungen zur Türkei und spreche nahezu kein Türkisch.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Die Klageerwiderung stützt sich im Wesentlichen darauf, allein der Hinweis des Klägers, er leide nicht unter Entzugserscheinungen, rechtfertige nicht die Annahme, er sei zwischenzeitlich nicht mehr suchtkrank. In diesem Zusammenhang sei beachtlich, dass die Strafvollstreckungsbehörde die Strafvollstreckung zur Aufnahme einer Therapie gem. § 35 BtmG nicht zurückgestellt habe. Gegen eine günstige Zukunftsprognose des Klägers spreche auch seine desolate wirtschaftliche Lage. Außer Einkünften aus den Drogengeschäften habe er über kein ausreichendes legales Einkommen verfügt, so dass zwischenzeitlich Schulden aufgelaufen seien. Aufgrund dessen habe er seine Wohnung aufgeben müssen. Es bestehe daher die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger nach der Haftentlassung wiederum von illegalen Einkünften aus dem Drogenhandel lebe. Der Kläger sei volljährig, Malergeselle und besitze zumindest noch Grundkenntnisse des Türkischen. Es sei ihm zuzumuten, sich eingehendere Kenntnisse seiner Muttersprache anzueignen und sich zumindest eine gewisse Zeit ohne direkte persönliche Unterstützung durch seine Familie im Ausland aufzuhalten. Die Schaffung einer eigenen wirtschaftlichen Existenz in der Türkei könne dem Kläger bei entsprechender Anstrengung gelingen.
24 
In der mündlichen Verhandlung ist die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziff. 2 der Verfügung vom 03.05.2006) aufgehoben worden.
25 
Des Weiteren wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten (1 Heft Ausländerakte, 1 Heft des Beklagten), die Strafakten der Verfahren 8 Ds 91 Js 16570/04 und 2 Ls 91 Js 9926/05 sowie auf die Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vom 09.11.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Gründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. 1991 heiratete er eine türkische Staatsangehörige, die seit 1975 in Deutschland lebt, 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erhalten hatte und als angestellte Friseurin beschäftigt war. Nach der Eheschließung reiste der Kläger mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu seiner in Köln lebenden Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Am 06.11.1992 erteilte ihm die Stadt Köln erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit verlängert wurde. Am 19.07.1993 wurde der gemeinsame Sohn der Eheleute geboren. Am 25.11.1997 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1998 lebt der Kläger von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist die Ehe geschieden.
Von Juli 1993 bis März 1995 arbeitete der Kläger bei der Firma .... Ab April 1995 bis Dezember 2002 war der Kläger bei der Firma A. G. ... als Metallputzer beschäftigt. Als die Gießerei Ende 2002 ihren Betrieb aufgab, wurde er arbeitslos.
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 - 14 K Ls 203 Js 79186/02 - wurde der Kläger wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Schaffung einer Einnahmequelle hatte der Kläger im Januar/Februar 2003 zusammen mit anderen Mittätern 500 g aus den Niederlanden eingeführtes Kokain an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft sowie darüber hinaus versucht, an diesen Ermittler weitere 5 kg Kokain (bzw. Kokainimitat) zu verkaufen. Das Strafgericht hat die Taten bei allen Tatbeteiligten als minder schweren Fall angesehen, weil von vornherein auf der Käuferseite bei beiden Geschäften verdeckte Ermittler eingeschaltet gewesen seien. Bei der Strafzumessung ist das Strafgericht beim Kläger von einem erheblichen Maß an krimineller Energie ausgegangen und hat berücksichtigt, dass der Kläger bei der zweiten Tat eine Waffe mit sich geführt sowie im wesentlichen den telefonischen Kontakt aus Deutschland zu den Lieferanten aus Holland gehalten habe.
Wegen der genannten Straftat wurde der Kläger am 09.02.2003 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt in Untersuchungshaft in die JVA Mannheim genommen. Als Anschrift des Klägers war in diesem Haftbefehl die K. ... in K. angegeben, von wo der Kläger allerdings nach den Daten des Ausländerzentralregisters am 29.05.2000 „nach unbekannt“ abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 28.02.2003 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger machte sinngemäß (nur) geltend, mit einer Ausweisung nicht einverstanden zu sein.
Mit Schreiben vom 06.03.2003 und 14.03.2003 teilte die Stadtverwaltung Köln dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe, von seiner Ehefrau getrennt lebe und die Wohnung K. ... leer stehe.
Am 23.06.2003 ging beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11.06.2003 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger von April 1999 bis zu seiner Inhaftierung bei seiner (seinerzeit noch anderweitig verheirateten) Lebensgefährtin L. B. in deren Wohnung in der O. Straße ... K. gewohnt habe, ohne dort gemeldet gewesen zu sein.
Im September 2004 wurde der Kläger in die JVA Köln verlegt.
Mit Verfügung vom 12.10.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger erfülle die Ist-Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG stehe dem Kläger nicht zu, da er zwar über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, aber nicht als Minderjähriger, sondern erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist sei. Er könne aber auch dann ausgewiesen werden, wenn er diesen Schutz genieße. Aufgrund der am 11.03.2004 abgeurteilten Straftat liege ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund vor. Vom Kläger gehe auch nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Bei schwerwiegenden Straftaten wie dem unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge dürfe im allgemeinen allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens eine hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen bejaht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger bis zu seiner Verurteilung vom 11.03.2004 nicht vorbestraft gewesen sei. Bei der begangenen schweren Betäubungsmittelstraftat habe der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie offenbart, die auch in Zukunft - zur eigenen Bereicherung - die Begehung schwerer Betäubungsmittelstraftaten erwarten lasse. Weder die Ehe noch die Geburt eines Kindes noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland bei verschiedenen Firmen erwerbstätig gewesen sei, habe ihn von der Begehung der schweren Betäubungsmittelstraftaten abhalten können. Angesichts des hohen Ranges der durch den Kläger gefährdeten Rechtsgüter seien geringere Anforderungen an den Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu stellen. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ausweisung des Klägers auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt wäre. Dies dürfe aber wohl der Fall sein, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass insbesondere schwere Betäubungsmittelstraftaten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen hätten.
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Eine Ausweisung aus rein generalpräventiven Gründen sei aber nur dann rechtlich zulässig, wenn der Kläger keine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 habe. Sollte der Kläger (noch) assoziationsrechtlich privilegiert sein, wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werde, könne er nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Die Ausweisung verstoße insbesondere nicht gegen Art. 6 GG, da der Kläger von Ehefrau und Sohn getrennt lebe. Es sei davon auszugehen, dass zu dem Sohn keine Lebens- und Beistandsgemeinschaft mehr, sondern nur noch eine bloße Begegnungsgemeinschaft bestanden habe. Selbst wenn der Kläger seinem Sohn bis zu seiner Inhaftierung Lebenshilfe im Sinne einer Beistandsgemeinschaft geleistet hätte, stünde in Anbetracht der schweren Betäubungsmittelstraftaten und der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr die Vater-Kind-Beziehung der Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers durch die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei nennenswerte Schäden davontragen werde, da er bei seiner Mutter lebe und von dieser ausreichend versorgt werde. Außerdem könnten die privaten Belange des Klägers und seines Sohnes auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AuslG angemessen berücksichtigt werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen supranationale Rechtsvorschriften. Da spezialpräventive Gründe vorlägen, die nach Art. 14 ARB 1/80 eine Ausweisung rechtfertigten, könne insbesondere der Assoziationsratsbeschluss 1/80 keine Ausweisungsbeschränkung darstellen. Auch Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei insbesondere in keiner Weise ersichtlich, dass der Kläger zu einem seinem Heimatland völlig entfremdeten „faktischen Inländer“ geworden sei, dem eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden könne.
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Im Zusammenhang mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung führte das Regierungspräsidium Folgendes aus: Es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger während eines Klageverfahrens, welches erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen könne, erneut strafbare Handlungen begehen werde. Die fortbestehende qualifizierte Wiederholungsgefahr bestehe nicht nur für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges; auch im Strafvollzug würden erwiesenermaßen viele Straftaten, insbesondere auch Betäubungsmittelstraftaten, begangen. Es liege daher im besonderen öffentlichen Interesse - auch allein aufgrund der bekanntermaßen völlig überfüllten Strafanstalten -, dass das gesetzliche Abschiebegebot nach § 49 AuslG zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen werde. Eine Freigabe zur Abschiebung sei bereits zum Halbstrafentermin möglich bzw. werde - wie andere Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern bzw. Strafvollstreckungsbehörden zeigten - im Ausnahmefall auch schon vor dem Halbstrafentermin erteilt. Darüber hinaus dürfe die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung auch aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine möglichst zeitnah zu der Anlasstat getroffene und vollzogene Sanktion besonders wirksam sei. Je dringender das Bedürfnis sei, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Tat und Schwere abzuhalten, um so eher bedürfe es einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Die durch die Ausweisung angestrebte Generalprävention verliere gerade dann erheblich an Wirkung, wenn der Ausgewiesene auch nach der Begehung schwerwiegender Straftaten wegen der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren unter Umständen noch mehrere Jahre im Bundesgebiet verbleibe.
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Gegen die Ausweisung hat der Kläger Klage erhoben und im Klageverfahren zur Begründung ausgeführt, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für den Erlass der Verfügung nicht zuständig gewesen. Örtlich zuständig sei die Behörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt habe oder zuletzt gehabt habe. Der Kläger sei seit September 2004 in Köln gemeldet und habe seinen Lebensmittelpunkt schon seit seiner Einreise in das Bundesgebiet in Köln gehabt. Durch die Verbüßung einer Untersuchungshaft werde typischerweise kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet. Außerdem habe der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung bereits nicht mehr in der JVA Mannheim, sondern in der JVA Köln eingesessen. Die Ausweisung verstoße außerdem gegen den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Der Kläger sei 1992 im Zuge der Familienzusammenführung zu seiner assoziationsberechtigten türkischen Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zu seiner Inhaftierung seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt. Danach sei er im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 assoziationsrechtlich privilegiert. Die für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern entwickelten Grundsätze müssten auf die Ausweisung von Assoziationsberechtigten übertragen werden. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Die für eine Ermessensentscheidung erforderlichen spezialpräventiven Gründe lägen nicht vor. Der Kläger habe einen Schlussstrich unter seine strafrechtliche Vergangenheit gezogen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht mehr gegeben. Auch liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend geltend gemacht, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für die Ausweisungsentscheidung zuständig gewesen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung schon seit längerem in der JVA Mannheim eingesessen sei. Eine spätere Verlegung nach Köln sei nicht bekannt gewesen und auch unerheblich.
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Mit Beschluss vom 02.12.2004, dem Regierungspräsidium Karlsruhe zugegangen am 20.12.2004, hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers ab dem 09.05.2005 (d.h. nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe) von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen.
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Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Köln mit Schriftsatz vom 02.09.2005 - auch rückwirkend - der Fortführung des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe zugestimmt.
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Mit Urteil vom 05.09.2005 (3 K 3786/04) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Ausweisungsverfahren örtlich zuständig gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, denn die Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 sei jedenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben, weil sie gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verstoße. Der Kläger habe, wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei, durch seine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und diesen Status auch nicht dadurch verloren, dass er zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine zeitliche Freiheitsstrafe verbüße. Es könne dahingestellt bleiben, ob die erworbene Rechtsstellung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 materiell-rechtlich beendet werden dürfe, denn für den Kläger fänden die für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe Anwendung, denen vorliegend nicht Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) seien im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die für EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe anzuwenden. Die Ausweisung des Klägers verstoße gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.02.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850; im Folgenden: RL 64/221/EWG). Nach dieser Vorschrift habe, sofern keine Rechtsmittel gegeben seien oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, außer in dringenden Fällen, erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes zu entscheiden, wobei diese Stelle eine andere sein müsse als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig sei. In Baden-Württemberg regele § 6a Abs. 1 AGVwGO in Fällen, in denen - wie beim Kläger - die Ausweisung vom Regierungspräsidium verfügt worden sei, den Wegfall des in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Vorverfahrens, das der Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes diene. Damit könne eine vom Regierungspräsidium verfügte Ausweisung nur noch unmittelbar mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden. In diesem Verfahren werde die Ausweisung jedoch im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG nur auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft. Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweise sich damit als rechtswidrig, weil es an der für diesen Fall von der Richtlinie geforderten gesonderten Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor Erlass der Verfügung fehle. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfülle nicht die Anforderungen an ein Rechtsmittelverfahren, welche nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfüllt sein müssten, damit vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf eine vorherige Stellungnahme durch eine gesonderte Stelle verzichtet werden könne, da in einem solchen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht stattfinde. Ohne das in § 68 VwGO geregelte Vorverfahren entspreche damit das deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches auf eine bloße Überprüfung der Grenzen einer fremden Ermessensentscheidung (§ 114 VwGO) beschränkt und zudem erst zeitlich nach dem Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stattfinde, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht.
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Im vorliegenden Fall sei auch nicht der Ausnahmefall des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gegeben, wonach „in dringenden Fällen“ die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ unterbleiben könne. Zwar habe das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt, weil die Besorgnis bestehe, der Kläger werde während eines erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen. Zudem bestehe die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges. Diese Bewertung halte das Gericht, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004, für nicht zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich sei. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ein Verzicht der Vollstreckungsbehörde gemäß § 456a StPO auf die Vollstreckung der Rest-Freiheitsstrafe unter der Bedingung einer Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch nicht erteilt worden und habe auch noch nicht im Raum gestanden. Angesichts dessen rechtfertige auch die von Seiten der Beklagten angeführte abstrakte Möglichkeit, dass der Kläger auch in der JVA weitere Straftaten begehen könne, keine andere Beurteilung. Darauf, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen eines besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht werden könne, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft am 02.12.2004 die Freigabe zur Abschiebung ab dem 09.05.2005 erklärt habe, komme es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG vorliege, nach Auffassung der Kammer nicht an. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei der Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung. Da Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetze, könne die Frage, ob ein dringender Fall vorliege und somit das in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise nicht vorauszugehen habe, nur nach der sich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung darstellenden Sachlage beurteilt werden.
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Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Berufung gegen dieses Urteil gemäß §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen, weil die Kammer bezüglich der Frage, ob Art. 9 RL 64/221/EWG verletzt sei, von den Urteilen des erkennenden Senats vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 (VBlBW 2004, 481 ff.) - und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 - abweiche. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2005 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 18.10.2005, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen am 09.11.2005, hat der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung eingelegt und die Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 05.03.1980, NJW 1980, 2630 ff.) allein Sache der Verwaltung. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe darüber hinaus die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Insofern liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 - ) ein dringender Fall i.S.d. RL 64/221/EWG vor. Die (andere) ex-post-Beurteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sei diesbezüglich unbeachtlich. Zudem bestehe im vorliegenden Fall auch angesichts der hohen Rückfallgefahr des Klägers am Vorliegen eines dringenden Falles im Sinne der genannten Bestimmung kein Zweifel. Es sei schlicht falsch, dass für das Regierungspräsidium Karlsruhe zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich gewesen sei, weil noch keine Freigabeentschließung der Staatsanwaltschaft erteilt worden sei. Denn dann könne nie ein dringender Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bejaht werden, weil die Strafvollstreckungsbehörde in Ausweisungsfällen die für den Vollzug der Ausweisung (Abschiebung) erforderliche Freigabe erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung bzw. frühestens dann erteile, wenn der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei, was erst mit Zustellung der vollziehbaren Ausweisungsverfügung der Fall sei. Die für die Abschiebung erforderliche Entschließung nach § 456a StPO werde von der Ausländerbehörde sinnvollerweise erst dann bei der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beantragt, wenn der Betroffene ausgewiesen worden bzw. vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die besondere Dringlichkeit habe sich im vorliegenden Fall bereits aus der Besorgnis ergeben, die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Das Regierungspräsidium habe von der Tatsache ausgehen müssen, dass die Freigabe zur Abschiebung von der Strafvollstreckungsbehörde bei vollziehbarer Ausreisepflicht in der Regel zum Halbstrafenzeitpunkt oder spätestens zwischen dem Halbstrafenzeitpunkt und dem Zweidrittel-Zeitpunkt erteilt werde. Aus der Sicht von Oktober 2004 sei deshalb bei realistischer Betrachtungsweise, ausgehend vom bekannten Beginn der Untersuchungshaft des Klägers und der ebenfalls bekannten Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten, eine Freigabe zur Abschiebung bereits innerhalb eines Zeitraumes von weit unter einem Jahr (Mai 2005) in Betracht gekommen, bzw. bei vorzeitiger Haftentlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe innerhalb eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren (Februar 2006). Die Freigabe sei tatsächlich erwartungsgemäß zum 09.05.2005 erteilt worden. Bei realistischer Betrachtungsweise habe daher im Oktober 2004 die begründete Besorgnis bestanden, dass sich die vom Kläger ausgehende Gefahr vor Rechtskraft einer abschließenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die von ihm erhobene Anfechtungsklage realisieren werde, so dass das Regierungspräsidium bei Erlass der Ausweisungsverfügung zu Recht vom Vorliegen eines dringenden Falles ausgegangen sei.
20 
Das Verwaltungsgericht gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass bei der Beurteilung, ob ein dringender Fall vorliege, der Zeitpunkt des Verwaltungshandelns - allein - maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224) sei für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach ARB 1/80 inne hätten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt sei die Freigabe bereits erteilt gewesen, so dass eine Dringlichkeit unzweifelhaft zu bejahen sei.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.09.2005 - 3 K 3786/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinen Urteilen vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - (InfAuslR 2006, 110 ff.) und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (InfAuslR 2006, 114 ff.) ausgeführt, dass nach Abschaffung des behördlichen Widerspruchsverfahrens bei Ausweisungen von Regierungspräsidien in Baden-Württemberg die in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) nicht mehr gewährleistet sei. Die Ausweisung des Klägers sei daher wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig, da für die Annahme eines dringenden Falls im Sinne der Richtlinie keine Anhaltspunkte vorlägen. Die angegriffene Verfügung berücksichtige zudem nicht in ausreichendem Maße das Verhältnis des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn und den durch Art. 6 GG garantierten Schutz durch den Staat. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts von 1997 sei das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden.
26 
Das Landgericht Köln hat während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2006 - StVK 2/06 3252 VRs 203 Js 79186/02 - nach Verbüßung von mehr als zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 verhängten Freiheitsstrafe die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Begründung heißt es, der vom Gericht beauftragte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort bestehe. Zwar bestehe bei Drogendelinquenz eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 50 %; letzteres müsse allerdings relativiert werden, da der Kläger selbst nicht drogenabhängig sei. Positiv für den Kläger spreche, dass es sich bei dem Delikt und der gezeigten Kriminalität um einen Ausdruck einer lebensphasischen Veränderung gehandelt habe und Kriminalität kein eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biographie des Klägers sei. Der Kläger sei auch von der Haft deutlich beeindruckt und habe Reue gezeigt. Das Verhalten des Klägers während der Haft sei weit überwiegend positiv gewesen; er werde als freundlicher, ruhiger und unauffälliger Gefangener geschildert. Für eine positive Prognose spreche schließlich, dass der Kläger über feste soziale Bindungen verfüge. Er sei seit 1999 mit seiner Freundin/Verlobten L. B. zusammen, in deren Wohnung er nach seiner Entlassung auch wohnen werde. Der Kontakt zu seinem Sohn aus der mittlerweile geschiedenen Ehe habe auch während der Haftzeit aufrecht erhalten werden können. Der Kläger verfüge schließlich über eine Arbeitsstelle für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach dem vom Verurteilten im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck könne erwartet werden, dass er unter dem Eindruck der Aussetzung der Reststrafe künftig keine Straftaten mehr begehen werde.
27 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
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Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
28 
Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
29 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 234 Abs.1 und 2 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften zu folgender Frage eingeholt:

Richtet sich der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 besitzt und der seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren in dem Mitgliedstaat gehabt hat, dem gegenüber diese Rechtsposition gilt, nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG in ihrer Umsetzung durch den jeweiligen Mitgliedstaat, so dass eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, zulässig ist?

Gründe

 
I.  
Der rechtliche Rahmen
Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 2 - im Folgenden: ARB 1/80) bestimmt u.a.:
Art. 7
        
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
        
- haben vorbehaltlich des den Arbeitsnehmern aus dem Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahre ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
        
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
        
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedsstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
        
Art. 14
        
(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
        
(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweitseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen keine günstigere Regelung vorsehen.
Die Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWB, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG vom 29. April 2004 (ABl. L 158 S. 77; ber. ABl. L 229 S. 35 - im Folgenden: RL 2004/38/EG) enthält folgende Regelung:
        
Art. 28 Schutz vor Ausweisung.
        
(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.
        
(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.
        
(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie
        
a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im  Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder
        
b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - im Folgenden: AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970), enthält folgende Regelungen:
        
§ 53 Zwingende Ausweisung.
        
Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er
        
1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
        
2. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, wegen Landfriedensbruches unter den in § 125 a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß § 125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist oder
        
3. wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 oder § 97 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
        
§ 55 Ermessensausweisung.
        
(1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt des öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.
        
(2) …
        
§ 56 Besonderer Ausweisungsschutz.
        
(1) ¹Ein Ausländer, der
        
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
        
2. …
genießt besonderen Ausweisungsschutz. ²Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen. ³Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 vor. 4Liegen die Voraussetzungen des § 53 vor, so wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen. 5Liegen die Voraussetzungen des § 54 vor, so wird über seine Ausweisung nach Ermessen entschieden.
        
(2) …
Das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - im Folgenden: FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I, S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970) sieht u.a. vor:
        
§ 1 Anwendungsbereich
        
Dieses Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen.
        
§ 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt
        
(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 5 Abs. 5 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 39 Abs. 3, Artikel 46 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft) festgestellt und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht oder über den Daueraufenthalt eingezogen und die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte widerrufen werden. …
        
(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
        
(6) …
 
II.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 18.12.1973 in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Er wuchs bei seinen Eltern auf; sein Vater, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, hielt sich in der Bundesrepublik rechtmäßig als Arbeitnehmer auf. Einen Schulabschluss erzielte der Kläger nicht. Auch eine Lehre als Maler brach er ab. Er ging gelegentlichen Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafhaftverbüßung unterbrochen waren. Seit Juli 2000 geht er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach.
Der Vater des Klägers ist im Jahr 1991 verstorben. Seine Mutter ist mittlerweile in einem Pflegeheim untergebracht. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied zusammen; seine Geschwister führen selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit dem 28.1.1991 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1.1.2005 als unbefristete Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitlich gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt.
1991 begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen. Ab 1998 konsumierte er regelmäßig Heroin und Kokain. Ein im Jahr 2001 durchlaufendes Methadonprogramm und eine im Jahr 2003 absolvierte stationäre Drogentherapie blieben erfolglos.
10 
Der Kläger wurde seit 1993 mehrfach straffällig und wie folgt verurteilt:
        
1. Am 15.4.1993 wegen Bandendiebstahls in 24 Fällen zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe;
        
2. am 17.10.1994 wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils unter 1. zu zwei Jahren und sieben Monaten Jugendstrafe;
        
3. am 9.1.1997 wegen vorsätzlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über einen verbotenen Gegenstand zu einer Geldstrafe;
        
4. am 9.4.1998 wegen Diebstahls in drei Fällen zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe;
        
5. am 7.3.2002 wegen Geldfälschung, Diebstahls im besonders schweren Fall in vier Fällen und versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe;
        
6. am 28.7.2006 wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
11 
Zur Verbüßung der Freiheitsstrafen befand sich der Kläger von Januar 1993 bis Dezember 1994,  August 1997 bis Oktober 1998, Juli bis Oktober 2000, September 2001 bis Mai 2002 und seit November 2005 in Haft.
12 
Am 28.10.1996 wurde der Kläger wegen der von ihm zu diesem Zeitpunkt begangenen Straftaten von der Ausländerbehörde ausländerrechtlich verwarnt. Mit Bescheid vom 6.3.2007 verfügte das Regierungspräsidium Stuttgart die Ausweisung des Klägers und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zwischenzeitlich ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zu einer Entscheidung des EuGH in dem vorliegenden Verfahren ausgesetzt worden.
13 
Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung wie folgt begründet: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, da er im Bundesgebiet geboren und als Kind eines türkischen Arbeitnehmers in der Vergangenheit über fünf Jahre ordnungsgemäß im Haushalt seines Vaters gelebt habe. Da diese Rechtsposition nicht erloschen sei, genieße er Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Danach könne eine Ausweisung nur erfolgen, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Erforderlich sei das Vorliegen einer konkreten und hohen Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die häufigen und schwerwiegenden Straftaten im Bereich der Eigentumskriminalität stellten eine Störung der öffentlichen Ordnung dar, die auf der Persönlichkeit des Klägers beruhe. Eine konkrete Wiederholungsgefahr folge aus der Häufigkeit der Straftaten und der hohen Rückfallgeschwindigkeit. Die bisherigen Verurteilungen, die Hafterfahrung sowie die ausländerrechtlichen Verwarnungen hätten den Kläger nicht von weiteren Straftaten abgehalten. Die Straftaten des Klägers hätten sich außerdem durch eine hohe kriminelle Energie und eine professionelle Vorgehensweise ausgezeichnet. Zudem sei die Drogenproblematik des Klägers nicht gelöst. Der Kläger könne sich nicht auf den besonderen Ausweisungsschutz aus Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen. Diese Vorschrift gelte nur für Unionsbürger, nicht dagegen für Familienangehörige von Unionsbürgern, die nicht selbst Unionsbürger, sondern Drittstaatsangehörige sind. Als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 könne der Kläger nicht besser gestellt werden als Familienangehörige von Unionsbürgern. Da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, könne er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Derartige Gründe lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese Voraussetzungen seien hier durch die Verurteilung vom 28.7.2006 gegeben. Anhaltspunkte für ein Abweichen von der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG seien nicht ersichtlich. Insbesondere lasse das abgeurteilte kriminelle Fehlverhalten eine hohe Verwerflichkeit und Missachtung der hiesigen Rechtsordnung erkennen. Unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erfolge die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil der Ausweisungsanlass schwer wiege und eine konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten bestehe.
14 
Über die Ausweisung sei daher nach Art. 14 ARB 1/80 und § 55 Abs. 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG seien bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger sei im Bundesgebiet geboren worden und halte sich seitdem hier auf. Allerdings schütze auch eine lange Anwesenheit im Bundesgebiet nicht vor einer Ausweisung, wenn von dem straffällig gewordenen Ausländer eine hohe und konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Der Kläger habe häufig und ausgesprochen schwerwiegend gegen die bestehende Rechtsordnung im Bundesgebiet verstoßen. Trotz seines über 30jährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet habe das herausragende öffentliche Interesse an der Ausweisung als Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr nicht hinter dem privaten Interesse des Klägers, von der Ausweisung verschont zu bleiben, zurücktreten. Insbesondere gehe von dem Kläger auch zukünftig eine hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Der Kläger habe es nicht geschafft, sich eine eigene tragfähige Existenzgrundlage aufzubauen. Seine finanzielle Lage sei desolat. Angesichts der zu erwartenden Schadensersatzforderungen von durch die Straftaten Geschädigten werde sie sich weiter drastisch verschärfen. Die Ausweisung zerstöre daher keine im Bundesgebiet aufgebaute sichere wirtschaftliche Lebensbasis. Dabei werde nicht übersehen, dass er nach erfolgter Abschiebung in die Türkei zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen. Diese seien jedoch nicht unüberwindbar. Der Kläger sei 33 Jahre alt und könne damit ohne weiteres allein klarkommen. Auch sei davon auszugehen, dass er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Es spreche einiges dafür, bei Ausländern der zweiten Generation regelmäßig anzunehmen, dass diese die Muttersprache erlernt hätten und zumindest in den Grundszügen beherrschten. Außerdem habe er seine Straftaten häufig gemeinsam mit anderen türkischen Staatsangehörigen begangen, so dass bereits deshalb der Bezug zu Landsleuten offenkundig sei. Zudem seien ausweislich der in der Akte befindlichen Schreiben des Klägers seine Kenntnisse der deutschen Sprache als eher bescheiden zu bezeichnen. Daher könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Der Kläger könne auch nicht wegen seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet als faktischer Inländer betrachtet werden. Er habe im Bundesgebiet noch nicht einmal eine abgeschlossene Schulausbildung, geschweige denn eine berufliche Qualifikation erlangt. Auch sein beharrliches strafrechtlich relevantes Verhalten spreche gegen eine Integration. Zu einer Integration gehöre auch die Beachtung der Rechtsordnung. Dieser handle der Kläger mit erschreckender Beharrlichkeit zuwider. Schutzwürdige persönliche Bindungen lägen nicht vor. Eine familiäre Gemeinschaft mit der Mutter des Klägers und seinen Geschwistern bestünde nicht mehr. Es sei nichts dafür ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden, dass Familienangehörige des Klägers auf die persönliche Lebenshilfe durch ihn in unbedingter Weise angewiesen sein könnten. Dies gelte auch hinsichtlich der offenbar in einem Pflegeheim untergebrachten Mutter. Zudem habe der Kläger es bei der Begehung der Straftaten in Kauf genommen, zumindest während der Dauer seiner Inhaftierung von seinen Familienangehörigen getrennt zu sein. Der Kläger besitze ein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt und sei auch zeitweilig unselbständigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit habe er zumindest seit dem Jahr 2000 nicht mehr ausgeübt. Trotz der schutzwürdigen Rechtsposition eines freien Zugangsrechts zum Arbeitsmarkt sei aber die Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Dies gelte besonders wegen der dargelegten konkreten Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten. Schutzwürdige sonstige Bindungen im Bundesgebiet seien weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Dabei werde der normale Umstand, dass der Kläger Freunde und Bekannte habe, vorausgesetzt. Insgesamt stünden die mit der Ausweisung für den Kläger verbundenen Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg. Die Verhinderung weiterer schwerwiegender Straftaten durch den Kläger überwiege die Nachteile für den Kläger, die darin bestünden, aus dem Bundesgebiet ausreisen zu müssen und das Bundesgebiet nicht erneut betreten zu dürfen. Die Ausweisung sei geeignet, die von dem Kläger ausgehende erhebliche Gefahr wirksam zu beseitigen. Ein milderes Mittel als die Ausweisung sei nicht ersichtlich. Dem Kläger sei es zumutbar, in seinen Heimatstaat zurückzukehren. Daran ändere der Umstand nichts, dass in seinem Heimatstaat wirtschaftliche Probleme bestünden. Hiervon seien zahlreiche seiner Landsleute ebenfalls betroffen. Zudem existiere auch im Bundesgebiet eine hohe Arbeitslosigkeit. Auch die Drogenabhängigkeit des Klägers sei selbst bei einer unterstellten Therapiewilligkeit kein Grund,  von einer Ausweisung abzusehen. Er habe bereits eine stationäre Drogentherapie durchlaufen, die vollkommen erfolglos geblieben sei. Das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 stehe der Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger besitze zwar den Ausweisungsschutz nach Art. 3 Nr. 3 des ENA. Dieser sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber mit den vom Kläger erfüllten Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG identisch (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, Az.: 1 C 24.94, InfAuslR 1997, S. 8). Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Ausweisung stelle einen gesetzlich vorgesehenen Eingriff in dieses Recht dar, der in einer demokratischen Gesellschaft für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig sei.
15 
Die gegen die Ausweisung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 3.7.2007 - 6 K 2790/07 - abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere folgendes ausgeführt: Die Ausweisungsverfügung sei formell und materiell rechtmäßig. Zutreffend sei das Regierungspräsidium davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 genieße und daher nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden könne, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend sei (Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 29.4.2004, C-482/01 „Orfanopoulos“ u.a., Slg. 2004, I-5257). Im Fall des Klägers sei Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG dagegen nicht zu berücksichtigen. Diese Regelung gelte zunächst nur für Unionsbürger. Sie könne aber auf türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 besitzen, nicht angewendet werden. Mit der RL 2004/38/EG sei die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weitgehende Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien aber kaum zu vereinbaren. Das Regierungspräsidium sei von einem zutreffenden Maßstab für die Ausweisung ausgegangen, indem es aus Art. 3 Abs. 3 ENA, § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 14 ARB 1/80 das Erfordernis abgeleitet habe, dass ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohe und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut bestehe. Das Regierungspräsidium habe auch zutreffend bejaht, dass diese Voraussetzungen hier vorlägen. Der Kläger sei nicht nur einmal zu einer hohen Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen Diebstahls in acht Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen, und in einem besonders schweren Fall, verurteilt worden, sondern habe eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen vorzuweisen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung gestanden habe. Nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute gemacht und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als 100.000,-- EUR verursacht habe, sei auch die Einschätzung, dass die Straftaten besonders schwer wögen, kaum zu beanstanden. Zutreffend sei eine konkrete Wiederholungsgefahr mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet worden, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen noch von Hafterfahrungen oder von ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten habe abhalten lassen. Dabei sei auch gesehen worden, dass die Straftaten zwar durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst gewesen seien, allerdings die durchgeführten Therapien nur kurzzeitig Erfolg gehabt hätten. Selbst nach Abschluss seiner Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose habe der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen konsumiert und sei dann sogar zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig geworden. Dass das Regierungspräsidium die vom Kläger bekundete Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansehe, sei nicht zu beanstanden. Die Ermessensentscheidung des Regierungspräsidiums sei fehlerfrei. Bedenken im Hinblick auf Art. 8 EMRK bestünden nicht.
16 
Mit seiner Berufung erstrebt der Kläger die Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts und die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des beklagten Landes vom 6.3.2007. Er macht geltend, dass mit der RL 2004/38/EG die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden sei. Derartige Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen übertrage der EuGH in ständiger Rechtsprechung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Daher habe sich sein Ausweisungsschutz an Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG zu orientieren. Die danach maßgebliche Voraussetzung, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit die Ausweisung rechtfertigen, sei in seinem Fall nicht erfüllt.
17 
Das beklagte Land ist der Berufung entgegengetreten. Seiner Auffassung nach ist Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG auf türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, auch nicht entsprechend anwendbar. Der hier maßgebliche Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nenne gerade - anders als Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG - als Schranke nicht nur Gründe der öffentlichen Sicherheit, sondern auch solche der öffentlichen Ordnung und Gesundheit. Die Assoziationsregelungen bedeuteten gerade nicht eine völlige Gleichstellung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger mit Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft und Unionsbürgern, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung deren Freizügigkeit.
 
III.
Entscheidungsgründe
18 
Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften zur Auslegung des Art. 14 ARB 1/80 einzuholen (Art. 234 Abs. 1 EG). Die vorgelegte Frage zur Auslegung des Assoziationsratsbeschlusses ist entscheidungserheblich (1.) und bedarf einer Klärung durch den Gerichtshof (2.).
19 
1. Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich, weil nach Auffassung des Senats die Ausweisung des Klägers rechtswidrig ist, wenn sich der Kläger aufgrund seiner Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf den Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen kann (a), während gegen die Rechtmäßigkeit der Ausweisung aus Sicht des Senats keine Bedenken bestehen, wenn sich der Ausweisungsschutz nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in seiner bisherigen Auslegung durch den EuGH richtet (b).
20 
a) Bei einer entsprechenden Anwendung des Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist die gegen den Kläger verfügte Ausweisung rechtswidrig.
21 
aa) Der Kläger besitzt als in Deutschland geborener Familienangehöriger eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers (sein Vater) nach über fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (zu den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 siehe Hailbronner, Ausländerrecht, D 5.2, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 3, 7, 9). Hieraus folgt, dass seine Ausweisung aus Deutschland nur nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig ist (EuGH, Urteil vom 11.11.2004, Rs. C-467/02 „Cetinkaya“, Slg. 2004, I-10895, Rn. 38).
22 
bb) Wenn von einer entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen der Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgegangen wird, ist der Kläger einem Unionsbürger gleichzustellen und nicht - wie im vorliegenden Verfahren von dem beklagten Land geltend gemacht - einem Familienangehörigen, der einem Drittstaat angehört. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 und Art. 28 RL 2004/38/EG gelten sowohl für Familienangehörige mit derselben Staatsangehörigkeit wie der originär freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer als auch für Familienangehörige mit Drittstaatsangehörigkeit (zu Art. 7 ARB 1/80 siehe insoweit Gutmann, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, ARB Nr. 1/80 Art. 7 Rn. 57). Soll Art. 28 RL 2004/38/EG für Familienangehörige nach Art. 7 ARB 1/80 entsprechend gelten, sind daher konsequenterweise die Vorschriften des Art. 28 RL 2004/38/EG für Familienangehörige mit Unionsbürgerschaft auf die Familienangehörigen nach Art. 7 ARB 1/80 mit türkischer Staatsangehörigkeit anzuwenden.
23 
cc) Richtet sich der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 inhaltlich nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Art. 28 RL 2004/38, kann daher der Kläger nur entsprechend den Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG ausgewiesen werden, da er wie ein Unionsbürger zu behandeln ist, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt in Deutschland gehabt hat. Die Ausweisung darf also nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, verfügt werden.
24 
dd) Die Ausweisung des Klägers beruht aber nicht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG.
25 
(1) Bei dem Begriff der öffentlichen Sicherheit in Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbegriff, der nicht einseitig durch einen einzelnen Mitgliedstaat bestimmt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 4.12.1974, 41/74 „van Duyn“, Slg. 1974, 1337, Rn. 19; Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Auflage 2007, Art. 39 EG Rn. 93). Zwar besitzen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Schutzumfangs einen Beurteilungsspielraum, der in Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG auch ausdrücklich normiert worden ist; dieser Beurteilungsspielraum bezieht sich aber nur auf die nähere Konkretisierung einzelner Schutzgüter und rechtfertigt keine grundsätzliche Abweichung von dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff (vgl. EuGH, Urteil vom 4.6.2002, C-483/99 „Kommission/Frankreich“, Slg. 2002, I-4781, Rn. 48).
26 
Nach der Rechtsprechung des EuGH schützt die öffentliche Sicherheit sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit des Staates. Die innere Sicherheit umfasst den Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und wichtiger öffentlicher Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung. Zur äußeren Sicherheit gehören die auswärtigen Beziehungen, die Freiheit von militärischen Bedrohungen und das friedliche Zusammenleben der Völker (vgl. EuGH, Urteil vom 10.7.1984, 72/83 „Campus Oil“, Slg. 1984, 2727, Rn. 34; Urteil vom 4.10.1991, C-367/89 „Richardt und Les Accessoires Scientifiques“, Slg. 1991, I-4621, Rn. 22; Urteil vom 17.10.1995, C-70/94 „Werner“, Slg. 1995,    I-3189, Rn. 27; Urteil vom 17.10.1995, C-83/94 „Leifer“, Slg. 1995, I-3231; Urteil vom 26.10.1999, C-273/97 „Sirdar“, Slg. 1999, I-7403, Rn. 17, Urteil vom 11.3.2003, C-186/01 „Dory“, Slg. 2003, I-I-2479, Rn. 32; Streinz, EUV/EGV, Art. 39 EG Rn. 138). Unter die innere Sicherheit fallen „begrenzte außergewöhnliche Tatbestände“, die sich nicht für eine extensive Auslegung eignen (EuGH, Urteil vom 15.5.1986, 222/84 „Johnston“, Slg. 1986, 1651 Rn. 26; Urteil vom 16.9.1999, C-414/97 „Kommission/Spanien“, Slg. 1999, I-5585, Rn. 21). Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist damit enger als der Begriff der öffentlichen Ordnung, der auch die innerstaatliche (Straf-)Rechtsordnung umfasst (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4.5.2006 - 24 K 6197/04 -InfAuslR 2006, 356; Streinz, EUV/EGV, Art. 39 Rn. 134ff).
27 
Für das in dieser Weise verstandene Schutzgut der öffentlichen Sicherheit geht von dem Kläger keine Bedrohung aus. Der Kläger stellt zwar eine erhebliche Gefahr für hochrangige private Rechtsgüter, jedoch nicht für den Bestand des Staates und seiner Institutionen oder das Überleben der Bevölkerung dar.
28 
(2) Selbst wenn der Begriff der öffentlichen Sicherheit weiter verstanden und darunter auch der Schutz von Individualgütern vor einer strafbaren Beeinträchtigung gefasst wird, liegen hier jedenfalls keine „zwingenden Gründe“ der öffentlichen Sicherheit vor. Insoweit räumt Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, näher zu bestimmen, wann zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Diese mitgliedstaatliche Konkretisierung ist bei einer entsprechenden Anwendung des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ebenfalls heranzuziehen. In Deutschland gilt insoweit § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU. Danach können zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht. Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger nicht zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist. Zwar ist der Kläger zu mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als fünf Jahren verurteilt worden; dies reicht nach dem klaren Gesetzeswortlaut jedoch nicht aus.
29 
b) Wenn sich die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nach Art. 28 RL 2004/38/EG richtet, ist die Ausweisung des Kläger rechtmäßig.
30 
aa) Rechtsgrundlage für die Ausweisung sind die §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4, 53 Nr. 1 AufenthG. Danach kann ein Ausländer, der (wie der Kläger) eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Unter anderem liegen solche schwerwiegenden Gründe in der Regel in den Fällen des § 53 Nr. 1 AufenthG vor, also wenn der Ausländer (wie der Kläger) wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Liegen die Voraussetzungen des § 53 AufenthG vor, wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen.
31 
Der nationale Maßstab für die Zulässigkeit einer Ausweisung wird jedoch durch den vorrangig geltenden assoziationsrechtlichen Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verschärft. Aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 folgt nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, dass eine Ausweisung nur zulässig ist, wenn außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97 „Nazli“, Slg. 2000, I-957, Rn. 57). Die Ausweisung darf nicht aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt werden, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss daher auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeuten (EuGH, a.a.O., Rn. 59 ff). Dies bedeutet nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung, dass eine Ausweisung nicht regelhaft, sondern nur auf Grundlage einer umfassenden Ermessensausübung erfolgen darf (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Art. 14 ARB 1/80, Rn. 19 m.w.N.). Im Rahmen der Ermessensausübung muss auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26.11.2002, Rs. C-100/01 „Olazabal“, Slg. 2002, I-10981). Schließlich muss die Ausweisung in Übereinstimmung mit den Grundrechten der Gemeinschaftsrechtsordnung stehen; insoweit ergibt sich das maßgebliche Schutzniveau aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR. Danach müssen bei der Prüfung, ob eine Ausweisung verhältnismäßig ist, insbesondere folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden: Die Art und Schwere der begangenen Straftat, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, aus dem die Ausweisung erfolgen soll, die seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und das Verhalten in dieser Zeit, die familiäre Situation des Betroffenen, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland (EGMR, Urteil vom 18.10.2006, Nr. 46410/99 „Üner“, NVwZ 2007, 1279; vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 -, InfAuslR 2007, 275).
32 
bb) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig, insbesondere ermessensfehlerfrei und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, verfügt worden.
33 
Der Kläger ist seit 1993 kontinuierlich und schwerwiegend straffällig geworden. Die Straftaten, überwiegend Vermögensdelikte, waren mit erheblichen Schäden verbunden und in ihnen ist eine hohe kriminelle Energie zum Ausdruck gekommen. Da die persönliche Situation des Klägers sich seit der letzten Verurteilung nicht verändert hat, er insbesondere weiterhin mit finanziellen Schwierigkeiten rechnen muss, und die bisherigen, zahlreichen Strafen ihm gegenüber keine abschreckende Wirkung erzielt haben, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er nach seiner Entlassung aus der Strafhaft sehr bald wieder vergleichbare Straftaten begehen wird. Diesem erheblichen öffentlichen Interesse an einer spezialpräventiven Ausweisung steht vor allem entgegen, dass der Kläger sich seit seiner Geburt in Deutschland rechtmäßig aufhält und daher hier über vielfältige persönliche, familiäre und kulturelle Bindungen verfügt. Dieses Gewicht der privaten Belange ist im Fall des Klägers jedoch niedriger als bei anderen Ausländern der zweiten Generation anzusetzen: Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind nicht besonders intensiv, da der Kläger weder verheiratet ist oder Kinder hat, noch mit sonstigen Familienangehörigen eine enge Gemeinschaft besteht. Eine wirtschaftliche Integration ist nicht erfolgt; vielmehr hat der Kläger keinen Schulabschluss erreicht und keine Berufsausbildung absolviert, so dass er bislang auch überwiegend nicht erwerbstätig war. Es ist auch nicht zu befürchten, dass der Kläger wegen seiner geringeren Bindungen zu seinem Herkunftsland dort auf ernsthafte Schwierigkeiten stoßen wird. Der plausiblen Einschätzung des Regierungspräsidiums und des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger Türkisch spricht und vielfältige Verbindungen zur türkischen Gesellschaft und Kultur hat, ist der Kläger im Klageverfahren nicht entgegen getreten. Zudem lebt auch der Bruder des Klägers in der Türkei. Der 34 Jahre alte Kläger hat auch noch kein Alter erreicht, in dem der Aufbau einer neuen Existenz in seinem Herkunftsland unzumutbar wäre. Diese  Umstände hat das Regierungspräsidium in seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt und ist dabei zu der nicht zu beanstandenden Entscheidung gekommen, dass die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig ist.
34 
2. Die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unter Berücksichtigung des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2004/38/EWG auszulegen ist, bedarf einer Entscheidung des EuGH. Der EuGH hat sich hierzu bislang nicht geäußert. Zwar wurde ihm eine entsprechende Frage vom VG Darmstadt vorgelegt; jedoch hielt der Gerichtshof sie nicht für entscheidungserheblich (EuGH, Urteil vom 4.10.2007, Rs. C-349/06, „Polat“, NVwZ 2008, 59, Rn. 23 ff).
35 
a) Der EuGH legt in ständiger Rechtsprechung die Beschränkungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entsprechend den im Rahmen der Art. 48 bis 50 EG für die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit geltenden Grundsätze aus (vgl. EuGH, „Nazli“, a.a.O., m.w.N.). So hat der EuGH sogar die verfahrensrechtlichen Schutzvorschriften der inzwischen außer Kraft getretenen RL 64/221 auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 übertragen (EuGH, Urteil vom 2.6.2005, C-136/03, „Dörr“, NVwZ 2006, 72). Dies spricht zunächst dafür, auf Grundlage eines dynamischen Verständnisses des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die Ausweisungsschutzregelungen in Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entsprechend anzuwenden (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5.12.2006 - 7 A 10924/06 -, InfAuslR 2007, 148; Hessischer VGH, Urteil vom 25.6.2007 - 11 UE 52/07 -, juris; Beschluss vom 4.12.2006 - 12 TG 2190/06 -, InfAuslR 2007, 98; VG Karlsruhe, Urteil vom 9.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; Gutmann, a.a.O. Art. 14 ARB 1/80 Rn. 27.1 ff).
36 
b) Die Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Bestimmung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beruht jedoch darauf, dass nach Auffassung des EuGH die fraglichen Vorschriften des ARB 1/80 eine weitere Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Geiste der Art. 48 bis 50 EG bilden (EuGH, „Nazli“, a.a.O., Rn. 54). Übertragbar sind daher nur Regelungen mit einem spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Art. 28 RL 2004/38/EG weist einen solchen Bezug aber nicht mehr auf. Das Regelungskonzept der RL 2004/38/EG besteht gerade darin, die „bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 4); als Anknüpfungspunkt für Freizügigkeitsrechte wird daher nicht auf die Ausübung einzelner Grundfreiheiten abgestellt, sondern auf die Unionsbürgerschaft, die „der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein [sollte], wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 3). Auch die abgestufte Ausweisungsschutzregelung des Art. 28 RL 2004/38/EG weist daher keinen spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auf, sondern gilt für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Recht auf Daueraufenthalt besitzen oder ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben. Das Recht auf Daueraufenthalt in Kapitel IV der Richtlinie knüpft explizit nicht an ein durch Grundfreiheiten vermitteltes Aufenthaltsrecht an, wozu Kapitel III der Richtlinie besondere Vorschriften enthält, sondern ausschließlich an die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG).
37 
Die RL 2004/38/EG unterscheidet sich daher qualitativ von früheren gemeinschaftsrechtlichen Kodifikationen: Im Vordergrund steht nicht mehr die fortschreitende Ausgestaltung der Grundfreiheiten, sondern die Stärkung der  Unionsbürgerschaft. So nennt auch der siebte Erwägungsgrund als Ziel des Rechts auf Daueraufenthalt, dass dieser das „Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt - einem grundlegenden Ziel der Union - beitragen“ soll. Auch der Zweck des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2008/38/EG wird in den Erwägungsgründen ausschließlich aus Sicht der Unionsbürgerschaft definiert: „Daher sollte der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind. Gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, sollte nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.“ (Erwägungsgrund Nr. 24)
38 
Handelt es sich bei Art. 28 RL 2004/38/EG daher nicht mehr um eine Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern um eine Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft, kommt eine Übertragung auf die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht in Betracht (so im Ergebnis auch Bayerischer VGH, Urteil vom 20.3.2008 - 10 BV 07.1856 -, juris; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 5.10.2005 - 11 ME 247/05 -, InfAuslR 2005, 453; vom 6.6.2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.5.2007 - 18 B 2389/06 -, NVwZ 2007, 1445; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.2.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263; Hailbronner, a.a.O. Art. 14 ARB 1/80 Rn. 12 ff).
39 
Dass der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 somit von dem durch Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG gewährten Schutz abweicht (zu dem nach der früheren Rechtslage gebotenen Gleichlauf siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 21.10.2004, Rs. C-136/03 „Dörr“, Slg. 2005, I-4759, Rn. 59), ist daher eine Konsequenz des höheren Integrationsgrads, den die Europäische Union durch die Einführung der Unionsbürgerschaft und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erreicht hat. „Der Bürgerstatus symbolisiert den Charakter einer Gemeinschaft als Solidargemeinschaft und politische Schicksalsgemeinschaft“ (Kluth, in: Calliess/Ruffert, a.a.O. Art. 17 EGV Rn. 3). Die Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei besitzt diesen Charakter nicht (vgl. die beschränkten Ziele in Art. 2 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Amtsblatt Nr. 217 vom 29/12/1964 S. 3687). Das Assoziationsrecht kennt keine „Assoziationsbürgerschaft“.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am 18.12.1973 im Bundesgebiet geboren. Er wuchs mit mehreren Geschwistern bei seinen Eltern auf, besuchte zunächst die Grundschule und dann die Hauptschule, ohne einen Abschluss zu erzielen. Eine begonnene Lehre als Maler wurde abgebrochen, anschließend ging er gelegentlich Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafverbüßungen unterbrochen waren. Seit 2000 geht er nach Aktenlage keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der Kläger ist seit dem 28.01.1991 in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 01.01.2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitig gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt. Als sein Vater 1991 verstarb, begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen, nach Erkrankung seiner Mutter, die mittlerweile in einem Pflegeheim in Crailsheim untergebracht ist, begann er ab 1998 regelmäßig Heroin und Kokain zu konsumieren. Nach einem in der Zeit von Juli 2001 bis September 2001 durchlaufenen Methadonprogramm sowie einer absolvierten stationären Drogentherapie bei Four Steps, die am 14.07.2003 mit günstiger Prognose abgeschlossen wurde, wurde der Kläger erneut rückfällig und setzte den Konsum von Heroin und Kokain bis zu seiner letzten Inhaftierung im November 2005 fort. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied mehr zusammen. Seine Geschwister führen jeweils selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder, mit dem er 1993 wegen Bandendiebstahls verurteilt worden war, wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit 1993 wurde der Kläger mehrfach straffällig und insgesamt - ohne die zuletzt genannte Verurteilung - fünf mal u.a. wegen Badendiebstahls, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls bzw. Diebstahls in besonders schwerem Fall zu Jugend- und später zu Freiheitsstrafen von teilweise über 2 Jahren verurteilt. Der Kläger verbüßte einen Teil dieser Freiheitsstrafen, ein Teil der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt und wegen Bewährungsbruch später widerrufen. Ausländerrechtlich wurde er am 28.10.1996 wegen der zu diesem Zeitpunkt begangenen zwei Straftaten von der Ausländerbehörde verwarnt. Zuletzt wurde der Kläger am 28.07.2006 vom Landgericht Ellwangen wegen Diebstahls in 8 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Seit dem 28.11.2005 ist der Kläger inhaftiert und verbüßt die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe sowie die restliche Freiheitsstrafe aus einer vorangegangenen Verurteilung.
Nach Anhörung verfügte das Regierungspräsidium ... mit Bescheid vom 06.03.2007 die Ausweisung des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und drohte dem Kläger ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen zu seiner Rückübernahme bereiten Staat an.
Dagegen hat der Kläger am 26.03.2007 Klage erhoben, ohne diese näher zu begründen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Regierungspräsidiums ... vom 06.03.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sein Vertreter auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
10 
Dem Gericht lagen die Ausweisungsakte des Beklagten sowie die Behördenakten der unteren Ausländerbehörde vor. Auf die in diesen sowie auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
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Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
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Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am 18.12.1973 im Bundesgebiet geboren. Er wuchs mit mehreren Geschwistern bei seinen Eltern auf, besuchte zunächst die Grundschule und dann die Hauptschule, ohne einen Abschluss zu erzielen. Eine begonnene Lehre als Maler wurde abgebrochen, anschließend ging er gelegentlich Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafverbüßungen unterbrochen waren. Seit 2000 geht er nach Aktenlage keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der Kläger ist seit dem 28.01.1991 in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 01.01.2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitig gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt. Als sein Vater 1991 verstarb, begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen, nach Erkrankung seiner Mutter, die mittlerweile in einem Pflegeheim in Crailsheim untergebracht ist, begann er ab 1998 regelmäßig Heroin und Kokain zu konsumieren. Nach einem in der Zeit von Juli 2001 bis September 2001 durchlaufenen Methadonprogramm sowie einer absolvierten stationären Drogentherapie bei Four Steps, die am 14.07.2003 mit günstiger Prognose abgeschlossen wurde, wurde der Kläger erneut rückfällig und setzte den Konsum von Heroin und Kokain bis zu seiner letzten Inhaftierung im November 2005 fort. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied mehr zusammen. Seine Geschwister führen jeweils selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder, mit dem er 1993 wegen Bandendiebstahls verurteilt worden war, wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit 1993 wurde der Kläger mehrfach straffällig und insgesamt - ohne die zuletzt genannte Verurteilung - fünf mal u.a. wegen Badendiebstahls, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls bzw. Diebstahls in besonders schwerem Fall zu Jugend- und später zu Freiheitsstrafen von teilweise über 2 Jahren verurteilt. Der Kläger verbüßte einen Teil dieser Freiheitsstrafen, ein Teil der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt und wegen Bewährungsbruch später widerrufen. Ausländerrechtlich wurde er am 28.10.1996 wegen der zu diesem Zeitpunkt begangenen zwei Straftaten von der Ausländerbehörde verwarnt. Zuletzt wurde der Kläger am 28.07.2006 vom Landgericht Ellwangen wegen Diebstahls in 8 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Seit dem 28.11.2005 ist der Kläger inhaftiert und verbüßt die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe sowie die restliche Freiheitsstrafe aus einer vorangegangenen Verurteilung.
Nach Anhörung verfügte das Regierungspräsidium ... mit Bescheid vom 06.03.2007 die Ausweisung des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und drohte dem Kläger ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen zu seiner Rückübernahme bereiten Staat an.
Dagegen hat der Kläger am 26.03.2007 Klage erhoben, ohne diese näher zu begründen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Regierungspräsidiums ... vom 06.03.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sein Vertreter auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
10 
Dem Gericht lagen die Ausweisungsakte des Beklagten sowie die Behördenakten der unteren Ausländerbehörde vor. Auf die in diesen sowie auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wird wiederhergestellt, soweit der Antragsteller aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und angeordnet, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs.5 VwGO mit dem wie folgt sachdienlich zu fassenden Antrag,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wiederherzustellen, soweit er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und anzuordnen, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist,
ist zulässig und begründet.
1. Das Gericht sieht sich veranlasst, dem Antragsteller, einem bislang nicht vorbestraften 30-jährigen türkischen Staatsangehörigen, welcher durch Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 19.01.2006 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist, vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs.5 VwGO gegen dessen für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung aus dem Bundesgebiet durch Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 (dort Ziffer 1) zu gewähren. Denn das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollstreckung dieser ausländerrechtlichen Maßnahme verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der verfügten Ausweisung. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage bestehen für das Gericht durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006. Es besteht daher Anlass dazu, der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsverfügung (VG Karlsruhe, Az.: 6 K 2822/06) - wie dies auch der gesetzlichen Grundregel des § 80 Abs.1 Satz 1 VwGO entspricht - aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.
Die durchgreifenden Zweifel des Gerichts an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Regierungspräsidiums vom 08.11.2006 knüpfen daran an, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Ausweisung des Antragstellers die Regelung des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.04.2004, L 158/ 77) unbeachtet gelassen hat. Es spricht aber viel dafür, dass sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner gerade auf eine entsprechende Anwendung der Ausweisungsschutzvorschrift des Art. 28 Abs.3 dieser Richtlinie berufen kann.
Unstreitig rechnet der Antragsteller, der in Deutschland geboren, aufgewachsen und ausgebildet worden ist, und der während seines ganzen Lebens im Bundesgebiet wohnhaft gewesen ist, zu dem durch die Regelungen des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei begünstigten Personenkreis. Die Zulässigkeit einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet bestimmt sich danach bei ihm in erster Linie nach der Reglung in Artikel 14 dieses Beschlusses, dessen Auslegung und Anwendung durch die langjährige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zwischenzeitlich auch durch das Bundesverwaltungsgericht nachvollzogen worden ist (vgl. insbesondere die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29/02 -, BVerwGE 121, 315 = NVwZ 2005, 224, vom 15.03.2005 - 1 C 2/04 -, NVwZ 2005, 274 und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -, juris). Hiernach ist insbesondere aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.2004 (Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 - Orfanopoulos und Oliveri -, DVBl. 2004, 876) auch bei türkischen Staatsangehörigen, die sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr.1/80 berufen können, von besonderen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine Ausweisung auszugehen. Gerade auch die materiell-rechtlichen Grundsätze, die bei einer Aufenthaltsbeendigung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger gelten, sind danach auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, welche ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen. Als Beispiel nennt das Bundesverwaltungsgericht etwa Art. 39 Abs.3 EG und den diese Norm konkretisierenden Artikel der - zwischenzeitlich aufgehobenen - Richtlinie 64/221/EWG, wonach jeder Anschein zu vermeiden ist, dass strafrechtliche Verurteilungen einer privilegierten Person keine andere Rechtsfolge zulassen als ihre Ausweisung oder jedenfalls eine gewisse „Vermutung“ zugunsten ihrer Ausweisung begründen, woraus folgt, dass eine Ausweisung allein aufgrund einer Ermessensentscheidung vorgenommen werden darf.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat mit der von dem Antragsteller angegriffenen Entscheidung vom 08.11.2006 zwar diese mittlerweile ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt und insbesondere eine Ermessensentscheidung getroffen, welche zu Lasten des Antragstellers auch lediglich auf spezialpräventive Gesichtspunkte abstellt. Unberücksichtigt gelassen hat das Regierungspräsidium indes, dass zwischenzeitlich die Unionsbürger betreffenden Regelungen nochmals geändert wurden und insbesondere die bisherige Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, welche mit Ablauf der Frist für die Umsetzung in nationales Recht am 30.04.2006 nunmehr unmittelbar Geltung beansprucht, aufgehoben und ersetzt worden ist. Es spricht nach der Einschätzung des Gerichts vieles dafür, dass nunmehr insbesondere die Ausweisungsvorschrift des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG auch auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechende Anwendung findet (so ausdrücklich bejahend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, juris, HessVGH, Beschl. v. 12.07.2006, AuAS 2006, 232, VG Karlsruhe, Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; offen gelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 01.12.2006 - 18 B 2219/06 -, juris, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -, juris und Niedersächs. OVG, Urt. v. 16.05.2006, InfAuslR 2006, 350; vgl. im Übrigen den auch die einschlägige Frage betreffenden Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof des VG Darmstadt vom 16.08.2006 - 8 E 1364/05 -, juris; zum Streitstand allgemein vgl. die Erläuterungen des HTK-AuslR unter 3.2 zu Artikel 14 ARB 1/80). Dabei dürfte es nach Auffassung des Gerichts - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - keine Rolle spielen, dass die Richtlinie 2004/38/EG ausdrücklich nur das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen betrifft und assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige nicht erwähnt. Denn dasselbe galt auch für die Vorgängerrichtlinie 64/221/EWG, und nach der Auffassung des Gerichts kann jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens und des Artikel 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 herleitet, dass die für Unionsbürger geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Staatsangehörigen, die die im Beschluss Nr.1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 10.02.2000 - Nazli -, NVwZ 2000, 1029), woraus der Gerichtshof folgert, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs.1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird, zumal die genannte Vorschrift nahezu denselben Wortlaut wie Art. 39 Abs.3 EG hat. Dass dabei etwaige im Rahmen einer Weiterentwicklung des Rechts zu Gunsten von Unionsbürgern erfolgte Änderungen nicht auch den assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zukommen sollen, wie dies offenbar der Antragsgegner meint, erscheint dem Gericht nicht schlüssig.
Bei einer Berücksichtigung von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG dürfte aber der Antragsteller, weil er seinen Aufenthalt in den letzten 10 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatte, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Regelung stellt im Rahmen der Stufenfolge des Art. 28 eine Begünstigung gegenüber Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dar, welche zwar das Recht zum Daueraufenthalt in einem Aufnahmemitgliedsstaat genießen, sich jedoch dort zuletzt noch nicht 10 Jahre lang aufgehalten haben. Jener Personenkreis darf gem. Art. 28 Abs. 2 aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgewiesen werden. Ersichtlich reicht daher der Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie weiter als derjenige, den das Regierungspräsidium Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 08.11.2006 hinsichtlich des Antragstellers bereits aus Art. 14 ARB 1/80, § 56 Abs. 1 S. 1 AufenthG sowie Art. 3 Abs.3 des Europäischen Niederlassungsabkommens zu Gunsten des Antragstellers abgeleitet hat. Dem entsprechend sieht auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bezüglich einer beabsichtigten Änderung von § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vor, dass eine Feststellung nach § 6 Abs.1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden darf. Entsprechend dem Gesetzentwurf können zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
Auch wenn das erwähnte Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bislang noch nicht verabschiedet und in Kraft getreten ist, dürfte jedenfalls in dem Fall des Antragstellers, der zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, von dem Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG nicht ausgegangen werden können, obgleich auch nicht der Auffassung der Antragstellerseite zu folgen sein dürfte, nach welcher diese Regelung eine Ausweisung nur noch aus Gründen der Sicherheit des Staates zulässt.
10 
Wegen der sonach bestehenden durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe hält das Gericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung für sachgerecht.
11 
2. In der Folge der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung ist auch die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die verfügte Androhung seiner Abschiebung in die Türkei (Ziff. 3 der Verfügung vom 08.11.2006) gemäß § 80 Abs.5 Satz 1 VwGO anzuordnen. Denn aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsentscheidung fehlt es an dem Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers (vgl. § 58 Abs.2 AufenthG), welche ihrerseits Voraussetzung für den Erlass einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung des verfügten Inhalts ist (vgl. §§ 58 Abs.1, 59 AufenthG).
12 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
13 
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 53 Abs.3 Nr.2, 52 Abs.1, 39 Abs.1 GKG.

Tenor

1. Soweit die Beteiligten bezüglich Ziff. 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

2. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 wird unter Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung) aufgehoben.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Mit der Klage wendet sich der Kläger zuletzt gegen seine Ausweisung.
Der am ... im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er besitzt einen im Berufsvorbereitungsjahr erworbenen Hauptschulabschluss und hat eine Lehre als Maler und Lackierer erfolgreich im Juli ... abgeschlossen. Der Kläger lebt nicht mehr bei seiner Familie, ist ledig und hat keine Kinder. Nach Abschluss seiner Lehre arbeitete er, mit kurzen Zeiten von Arbeitslosigkeit, allerdings nicht in seinem erlernten Beruf. Zuletzt war er bis zum Jahresende 2005 befristet im Gartenbau als Hilfsarbeiter beschäftigt. Seine Eltern leben im Bundesgebiet. Sein Vater, zwischenzeitlich Rentner, ist nach einem Schlaganfall behindert und sitzt im Rollstuhl.
Der Kläger ist im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 03.03.1998, Straftat: Gefährliche Körperverletzung, Strafmaß: Verwarnung.
2. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 29.04.1998, Straftaten: zwei Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls, ein Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls in einem erschwerten Fall, Strafmaß: 50 Stunden Arbeit nach Weisung des Jugendamtes.
3. Amtsgericht ..., Urteil vom 05.01.2000, Straftat: Körperverletzung; die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
4. Amtsgericht ..., Urteil vom 18.10.2000, Straftaten: unerlaubter Erwerb von Betäubungsmittel in 16 Fällen, vorsätzliche Körperverletzung, Strafmaß: 1 Jahr Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
5. Amtsgericht ..., - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 30.08.2001, Straftaten: Diebstahl, Computerbetrug, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Strafmaß: 1 Jahr und 6 Monate Einheitsjugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die nachfolgenden Straftaten wurden der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung zugrunde gelegt:
10 
1. Amtsgericht ..., Urteil vom 19.07.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 26 Fällen und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Strafmaß: 9 Monate Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
11 
Die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wurde durch Beschluss des Amtsgerichts ... vom 07.11.2005 widerrufen, nachdem der Kläger keinen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer aufgenommen, auf Anschreiben nicht reagiert und zur Drogenberatung keine Verbindung aufgenommen hatte sowie seiner Zahlungsauflage hinsichtlich der Drogenhilfe nicht nachgekommen war.
12 
2. Amtsgericht ..., Urteil vom 22.12.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Strafmaß 1 Jahr und 3 Monate Freiheitsstrafe.
13 
Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte wegen einer vom Strafgericht als schlecht erachteten Legal- und Kriminalprognose des Klägers nicht.
14 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, wies den Kläger mit Verfügung vom 03.05.2006 unter gleichzeitiger Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und unter Beifügung einer Abschiebungsandrohung bezüglich der Türkei aus der Bundesrepublik Deutschland aus.
15 
Die Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, der Kläger könne sich auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 berufen, weshalb seine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen nach Ermessen gem. § 55 AufenthG erfolgen könne. Der weitere Aufenthalt des Klägers stelle eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Denn bei Würdigung des Lebenslaufes des Klägers und seiner kriminellen Energie, die durch die Straftaten zum Ausdruck gekommen sei, bestehe die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger weiterhin, vor allem im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, Straftaten begehen werde. Die wirtschaftliche Situation des Klägers biete Anlass zur Sorge, nachdem er nicht in seinem erlernten Beruf gearbeitet habe, seit Dezember 2004 arbeitslos sei und im Jahr 2005 nur für drei Monate befristet in einem Gärtnereibetrieb Arbeit gefunden habe. Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten ihn nicht davon abhalten können, Straftaten zu begehen. Insbesondere sei herauszuheben, dass der Kläger bereits 10 Tage nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht ... am 19.07.2005 wiederum einschlägig in Erscheinung getreten sei. Auch der langjährige eigene Drogenkonsum des Klägers erhärte die negative Prognose. Der Ausweisung stehe weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK entgegen. Der Kläger sei im Bundesgebiet auf ein Zusammenleben mit den Eltern nicht angewiesen und habe darüber hinaus keine festen Bindungen. Der Kläger könne auch nicht als „faktischer Inländer“ angesehen werden. Es sei aufgrund der Erziehung durch seine Eltern davon auszugehen, dass er der türkischen Sprache mächtig sei und sich in die türkischen Lebensverhältnisse integrieren könne. Zwar könne sich der Kläger auf Art. 3 Abs. 3 ENA berufen, doch dürfe er nach dieser Bestimmung ausgewiesen werden, weil hierfür besonders schwerwiegende Gründe vorlägen.
16 
Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen gewesen, nachdem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden sei (§ 11 Abs. 1 AufenthG).
17 
Die ordnungsgemäße Zustellung der Ausweisungsverfügung lässt sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen.
18 
Am 20.06.2006 hat der Kläger Klage erhoben und zuletzt beantragt,
19 
die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziff. 1 und 3, aufzuheben.
20 
Die Klagebegründung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger bei Begehung der Straftaten suchtkrank gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger, der unter keinen Entzugserscheinungen leide, seine Sucht infolge seiner Inhaftierung in Griff bekommen habe und nunmehr „clean“ sei. Der Kläger verfüge über keine persönlichen Bindungen zur Türkei und spreche nahezu kein Türkisch.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Die Klageerwiderung stützt sich im Wesentlichen darauf, allein der Hinweis des Klägers, er leide nicht unter Entzugserscheinungen, rechtfertige nicht die Annahme, er sei zwischenzeitlich nicht mehr suchtkrank. In diesem Zusammenhang sei beachtlich, dass die Strafvollstreckungsbehörde die Strafvollstreckung zur Aufnahme einer Therapie gem. § 35 BtmG nicht zurückgestellt habe. Gegen eine günstige Zukunftsprognose des Klägers spreche auch seine desolate wirtschaftliche Lage. Außer Einkünften aus den Drogengeschäften habe er über kein ausreichendes legales Einkommen verfügt, so dass zwischenzeitlich Schulden aufgelaufen seien. Aufgrund dessen habe er seine Wohnung aufgeben müssen. Es bestehe daher die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger nach der Haftentlassung wiederum von illegalen Einkünften aus dem Drogenhandel lebe. Der Kläger sei volljährig, Malergeselle und besitze zumindest noch Grundkenntnisse des Türkischen. Es sei ihm zuzumuten, sich eingehendere Kenntnisse seiner Muttersprache anzueignen und sich zumindest eine gewisse Zeit ohne direkte persönliche Unterstützung durch seine Familie im Ausland aufzuhalten. Die Schaffung einer eigenen wirtschaftlichen Existenz in der Türkei könne dem Kläger bei entsprechender Anstrengung gelingen.
24 
In der mündlichen Verhandlung ist die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziff. 2 der Verfügung vom 03.05.2006) aufgehoben worden.
25 
Des Weiteren wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten (1 Heft Ausländerakte, 1 Heft des Beklagten), die Strafakten der Verfahren 8 Ds 91 Js 16570/04 und 2 Ls 91 Js 9926/05 sowie auf die Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vom 09.11.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Gründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. 1991 heiratete er eine türkische Staatsangehörige, die seit 1975 in Deutschland lebt, 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erhalten hatte und als angestellte Friseurin beschäftigt war. Nach der Eheschließung reiste der Kläger mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu seiner in Köln lebenden Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Am 06.11.1992 erteilte ihm die Stadt Köln erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit verlängert wurde. Am 19.07.1993 wurde der gemeinsame Sohn der Eheleute geboren. Am 25.11.1997 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1998 lebt der Kläger von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist die Ehe geschieden.
Von Juli 1993 bis März 1995 arbeitete der Kläger bei der Firma .... Ab April 1995 bis Dezember 2002 war der Kläger bei der Firma A. G. ... als Metallputzer beschäftigt. Als die Gießerei Ende 2002 ihren Betrieb aufgab, wurde er arbeitslos.
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 - 14 K Ls 203 Js 79186/02 - wurde der Kläger wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Schaffung einer Einnahmequelle hatte der Kläger im Januar/Februar 2003 zusammen mit anderen Mittätern 500 g aus den Niederlanden eingeführtes Kokain an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft sowie darüber hinaus versucht, an diesen Ermittler weitere 5 kg Kokain (bzw. Kokainimitat) zu verkaufen. Das Strafgericht hat die Taten bei allen Tatbeteiligten als minder schweren Fall angesehen, weil von vornherein auf der Käuferseite bei beiden Geschäften verdeckte Ermittler eingeschaltet gewesen seien. Bei der Strafzumessung ist das Strafgericht beim Kläger von einem erheblichen Maß an krimineller Energie ausgegangen und hat berücksichtigt, dass der Kläger bei der zweiten Tat eine Waffe mit sich geführt sowie im wesentlichen den telefonischen Kontakt aus Deutschland zu den Lieferanten aus Holland gehalten habe.
Wegen der genannten Straftat wurde der Kläger am 09.02.2003 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt in Untersuchungshaft in die JVA Mannheim genommen. Als Anschrift des Klägers war in diesem Haftbefehl die K. ... in K. angegeben, von wo der Kläger allerdings nach den Daten des Ausländerzentralregisters am 29.05.2000 „nach unbekannt“ abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 28.02.2003 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger machte sinngemäß (nur) geltend, mit einer Ausweisung nicht einverstanden zu sein.
Mit Schreiben vom 06.03.2003 und 14.03.2003 teilte die Stadtverwaltung Köln dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe, von seiner Ehefrau getrennt lebe und die Wohnung K. ... leer stehe.
Am 23.06.2003 ging beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11.06.2003 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger von April 1999 bis zu seiner Inhaftierung bei seiner (seinerzeit noch anderweitig verheirateten) Lebensgefährtin L. B. in deren Wohnung in der O. Straße ... K. gewohnt habe, ohne dort gemeldet gewesen zu sein.
Im September 2004 wurde der Kläger in die JVA Köln verlegt.
Mit Verfügung vom 12.10.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger erfülle die Ist-Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG stehe dem Kläger nicht zu, da er zwar über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, aber nicht als Minderjähriger, sondern erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist sei. Er könne aber auch dann ausgewiesen werden, wenn er diesen Schutz genieße. Aufgrund der am 11.03.2004 abgeurteilten Straftat liege ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund vor. Vom Kläger gehe auch nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Bei schwerwiegenden Straftaten wie dem unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge dürfe im allgemeinen allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens eine hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen bejaht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger bis zu seiner Verurteilung vom 11.03.2004 nicht vorbestraft gewesen sei. Bei der begangenen schweren Betäubungsmittelstraftat habe der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie offenbart, die auch in Zukunft - zur eigenen Bereicherung - die Begehung schwerer Betäubungsmittelstraftaten erwarten lasse. Weder die Ehe noch die Geburt eines Kindes noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland bei verschiedenen Firmen erwerbstätig gewesen sei, habe ihn von der Begehung der schweren Betäubungsmittelstraftaten abhalten können. Angesichts des hohen Ranges der durch den Kläger gefährdeten Rechtsgüter seien geringere Anforderungen an den Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu stellen. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ausweisung des Klägers auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt wäre. Dies dürfe aber wohl der Fall sein, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass insbesondere schwere Betäubungsmittelstraftaten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen hätten.
10 
Eine Ausweisung aus rein generalpräventiven Gründen sei aber nur dann rechtlich zulässig, wenn der Kläger keine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 habe. Sollte der Kläger (noch) assoziationsrechtlich privilegiert sein, wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werde, könne er nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Die Ausweisung verstoße insbesondere nicht gegen Art. 6 GG, da der Kläger von Ehefrau und Sohn getrennt lebe. Es sei davon auszugehen, dass zu dem Sohn keine Lebens- und Beistandsgemeinschaft mehr, sondern nur noch eine bloße Begegnungsgemeinschaft bestanden habe. Selbst wenn der Kläger seinem Sohn bis zu seiner Inhaftierung Lebenshilfe im Sinne einer Beistandsgemeinschaft geleistet hätte, stünde in Anbetracht der schweren Betäubungsmittelstraftaten und der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr die Vater-Kind-Beziehung der Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers durch die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei nennenswerte Schäden davontragen werde, da er bei seiner Mutter lebe und von dieser ausreichend versorgt werde. Außerdem könnten die privaten Belange des Klägers und seines Sohnes auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AuslG angemessen berücksichtigt werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen supranationale Rechtsvorschriften. Da spezialpräventive Gründe vorlägen, die nach Art. 14 ARB 1/80 eine Ausweisung rechtfertigten, könne insbesondere der Assoziationsratsbeschluss 1/80 keine Ausweisungsbeschränkung darstellen. Auch Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei insbesondere in keiner Weise ersichtlich, dass der Kläger zu einem seinem Heimatland völlig entfremdeten „faktischen Inländer“ geworden sei, dem eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden könne.
11 
Im Zusammenhang mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung führte das Regierungspräsidium Folgendes aus: Es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger während eines Klageverfahrens, welches erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen könne, erneut strafbare Handlungen begehen werde. Die fortbestehende qualifizierte Wiederholungsgefahr bestehe nicht nur für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges; auch im Strafvollzug würden erwiesenermaßen viele Straftaten, insbesondere auch Betäubungsmittelstraftaten, begangen. Es liege daher im besonderen öffentlichen Interesse - auch allein aufgrund der bekanntermaßen völlig überfüllten Strafanstalten -, dass das gesetzliche Abschiebegebot nach § 49 AuslG zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen werde. Eine Freigabe zur Abschiebung sei bereits zum Halbstrafentermin möglich bzw. werde - wie andere Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern bzw. Strafvollstreckungsbehörden zeigten - im Ausnahmefall auch schon vor dem Halbstrafentermin erteilt. Darüber hinaus dürfe die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung auch aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine möglichst zeitnah zu der Anlasstat getroffene und vollzogene Sanktion besonders wirksam sei. Je dringender das Bedürfnis sei, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Tat und Schwere abzuhalten, um so eher bedürfe es einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Die durch die Ausweisung angestrebte Generalprävention verliere gerade dann erheblich an Wirkung, wenn der Ausgewiesene auch nach der Begehung schwerwiegender Straftaten wegen der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren unter Umständen noch mehrere Jahre im Bundesgebiet verbleibe.
12 
Gegen die Ausweisung hat der Kläger Klage erhoben und im Klageverfahren zur Begründung ausgeführt, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für den Erlass der Verfügung nicht zuständig gewesen. Örtlich zuständig sei die Behörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt habe oder zuletzt gehabt habe. Der Kläger sei seit September 2004 in Köln gemeldet und habe seinen Lebensmittelpunkt schon seit seiner Einreise in das Bundesgebiet in Köln gehabt. Durch die Verbüßung einer Untersuchungshaft werde typischerweise kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet. Außerdem habe der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung bereits nicht mehr in der JVA Mannheim, sondern in der JVA Köln eingesessen. Die Ausweisung verstoße außerdem gegen den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Der Kläger sei 1992 im Zuge der Familienzusammenführung zu seiner assoziationsberechtigten türkischen Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zu seiner Inhaftierung seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt. Danach sei er im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 assoziationsrechtlich privilegiert. Die für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern entwickelten Grundsätze müssten auf die Ausweisung von Assoziationsberechtigten übertragen werden. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Die für eine Ermessensentscheidung erforderlichen spezialpräventiven Gründe lägen nicht vor. Der Kläger habe einen Schlussstrich unter seine strafrechtliche Vergangenheit gezogen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht mehr gegeben. Auch liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
13 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend geltend gemacht, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für die Ausweisungsentscheidung zuständig gewesen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung schon seit längerem in der JVA Mannheim eingesessen sei. Eine spätere Verlegung nach Köln sei nicht bekannt gewesen und auch unerheblich.
14 
Mit Beschluss vom 02.12.2004, dem Regierungspräsidium Karlsruhe zugegangen am 20.12.2004, hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers ab dem 09.05.2005 (d.h. nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe) von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen.
15 
Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Köln mit Schriftsatz vom 02.09.2005 - auch rückwirkend - der Fortführung des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe zugestimmt.
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Mit Urteil vom 05.09.2005 (3 K 3786/04) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Ausweisungsverfahren örtlich zuständig gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, denn die Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 sei jedenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben, weil sie gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verstoße. Der Kläger habe, wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei, durch seine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und diesen Status auch nicht dadurch verloren, dass er zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine zeitliche Freiheitsstrafe verbüße. Es könne dahingestellt bleiben, ob die erworbene Rechtsstellung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 materiell-rechtlich beendet werden dürfe, denn für den Kläger fänden die für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe Anwendung, denen vorliegend nicht Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) seien im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die für EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe anzuwenden. Die Ausweisung des Klägers verstoße gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.02.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850; im Folgenden: RL 64/221/EWG). Nach dieser Vorschrift habe, sofern keine Rechtsmittel gegeben seien oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, außer in dringenden Fällen, erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes zu entscheiden, wobei diese Stelle eine andere sein müsse als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig sei. In Baden-Württemberg regele § 6a Abs. 1 AGVwGO in Fällen, in denen - wie beim Kläger - die Ausweisung vom Regierungspräsidium verfügt worden sei, den Wegfall des in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Vorverfahrens, das der Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes diene. Damit könne eine vom Regierungspräsidium verfügte Ausweisung nur noch unmittelbar mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden. In diesem Verfahren werde die Ausweisung jedoch im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG nur auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft. Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweise sich damit als rechtswidrig, weil es an der für diesen Fall von der Richtlinie geforderten gesonderten Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor Erlass der Verfügung fehle. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfülle nicht die Anforderungen an ein Rechtsmittelverfahren, welche nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfüllt sein müssten, damit vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf eine vorherige Stellungnahme durch eine gesonderte Stelle verzichtet werden könne, da in einem solchen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht stattfinde. Ohne das in § 68 VwGO geregelte Vorverfahren entspreche damit das deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches auf eine bloße Überprüfung der Grenzen einer fremden Ermessensentscheidung (§ 114 VwGO) beschränkt und zudem erst zeitlich nach dem Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stattfinde, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht.
17 
Im vorliegenden Fall sei auch nicht der Ausnahmefall des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gegeben, wonach „in dringenden Fällen“ die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ unterbleiben könne. Zwar habe das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt, weil die Besorgnis bestehe, der Kläger werde während eines erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen. Zudem bestehe die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges. Diese Bewertung halte das Gericht, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004, für nicht zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich sei. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ein Verzicht der Vollstreckungsbehörde gemäß § 456a StPO auf die Vollstreckung der Rest-Freiheitsstrafe unter der Bedingung einer Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch nicht erteilt worden und habe auch noch nicht im Raum gestanden. Angesichts dessen rechtfertige auch die von Seiten der Beklagten angeführte abstrakte Möglichkeit, dass der Kläger auch in der JVA weitere Straftaten begehen könne, keine andere Beurteilung. Darauf, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen eines besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht werden könne, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft am 02.12.2004 die Freigabe zur Abschiebung ab dem 09.05.2005 erklärt habe, komme es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG vorliege, nach Auffassung der Kammer nicht an. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei der Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung. Da Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetze, könne die Frage, ob ein dringender Fall vorliege und somit das in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise nicht vorauszugehen habe, nur nach der sich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung darstellenden Sachlage beurteilt werden.
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Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Berufung gegen dieses Urteil gemäß §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen, weil die Kammer bezüglich der Frage, ob Art. 9 RL 64/221/EWG verletzt sei, von den Urteilen des erkennenden Senats vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 (VBlBW 2004, 481 ff.) - und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 - abweiche. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2005 zugestellt.
19 
Mit Schriftsatz vom 18.10.2005, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen am 09.11.2005, hat der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung eingelegt und die Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 05.03.1980, NJW 1980, 2630 ff.) allein Sache der Verwaltung. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe darüber hinaus die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Insofern liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 - ) ein dringender Fall i.S.d. RL 64/221/EWG vor. Die (andere) ex-post-Beurteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sei diesbezüglich unbeachtlich. Zudem bestehe im vorliegenden Fall auch angesichts der hohen Rückfallgefahr des Klägers am Vorliegen eines dringenden Falles im Sinne der genannten Bestimmung kein Zweifel. Es sei schlicht falsch, dass für das Regierungspräsidium Karlsruhe zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich gewesen sei, weil noch keine Freigabeentschließung der Staatsanwaltschaft erteilt worden sei. Denn dann könne nie ein dringender Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bejaht werden, weil die Strafvollstreckungsbehörde in Ausweisungsfällen die für den Vollzug der Ausweisung (Abschiebung) erforderliche Freigabe erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung bzw. frühestens dann erteile, wenn der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei, was erst mit Zustellung der vollziehbaren Ausweisungsverfügung der Fall sei. Die für die Abschiebung erforderliche Entschließung nach § 456a StPO werde von der Ausländerbehörde sinnvollerweise erst dann bei der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beantragt, wenn der Betroffene ausgewiesen worden bzw. vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die besondere Dringlichkeit habe sich im vorliegenden Fall bereits aus der Besorgnis ergeben, die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Das Regierungspräsidium habe von der Tatsache ausgehen müssen, dass die Freigabe zur Abschiebung von der Strafvollstreckungsbehörde bei vollziehbarer Ausreisepflicht in der Regel zum Halbstrafenzeitpunkt oder spätestens zwischen dem Halbstrafenzeitpunkt und dem Zweidrittel-Zeitpunkt erteilt werde. Aus der Sicht von Oktober 2004 sei deshalb bei realistischer Betrachtungsweise, ausgehend vom bekannten Beginn der Untersuchungshaft des Klägers und der ebenfalls bekannten Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten, eine Freigabe zur Abschiebung bereits innerhalb eines Zeitraumes von weit unter einem Jahr (Mai 2005) in Betracht gekommen, bzw. bei vorzeitiger Haftentlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe innerhalb eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren (Februar 2006). Die Freigabe sei tatsächlich erwartungsgemäß zum 09.05.2005 erteilt worden. Bei realistischer Betrachtungsweise habe daher im Oktober 2004 die begründete Besorgnis bestanden, dass sich die vom Kläger ausgehende Gefahr vor Rechtskraft einer abschließenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die von ihm erhobene Anfechtungsklage realisieren werde, so dass das Regierungspräsidium bei Erlass der Ausweisungsverfügung zu Recht vom Vorliegen eines dringenden Falles ausgegangen sei.
20 
Das Verwaltungsgericht gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass bei der Beurteilung, ob ein dringender Fall vorliege, der Zeitpunkt des Verwaltungshandelns - allein - maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224) sei für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach ARB 1/80 inne hätten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt sei die Freigabe bereits erteilt gewesen, so dass eine Dringlichkeit unzweifelhaft zu bejahen sei.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.09.2005 - 3 K 3786/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinen Urteilen vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - (InfAuslR 2006, 110 ff.) und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (InfAuslR 2006, 114 ff.) ausgeführt, dass nach Abschaffung des behördlichen Widerspruchsverfahrens bei Ausweisungen von Regierungspräsidien in Baden-Württemberg die in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) nicht mehr gewährleistet sei. Die Ausweisung des Klägers sei daher wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig, da für die Annahme eines dringenden Falls im Sinne der Richtlinie keine Anhaltspunkte vorlägen. Die angegriffene Verfügung berücksichtige zudem nicht in ausreichendem Maße das Verhältnis des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn und den durch Art. 6 GG garantierten Schutz durch den Staat. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts von 1997 sei das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden.
26 
Das Landgericht Köln hat während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2006 - StVK 2/06 3252 VRs 203 Js 79186/02 - nach Verbüßung von mehr als zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 verhängten Freiheitsstrafe die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Begründung heißt es, der vom Gericht beauftragte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort bestehe. Zwar bestehe bei Drogendelinquenz eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 50 %; letzteres müsse allerdings relativiert werden, da der Kläger selbst nicht drogenabhängig sei. Positiv für den Kläger spreche, dass es sich bei dem Delikt und der gezeigten Kriminalität um einen Ausdruck einer lebensphasischen Veränderung gehandelt habe und Kriminalität kein eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biographie des Klägers sei. Der Kläger sei auch von der Haft deutlich beeindruckt und habe Reue gezeigt. Das Verhalten des Klägers während der Haft sei weit überwiegend positiv gewesen; er werde als freundlicher, ruhiger und unauffälliger Gefangener geschildert. Für eine positive Prognose spreche schließlich, dass der Kläger über feste soziale Bindungen verfüge. Er sei seit 1999 mit seiner Freundin/Verlobten L. B. zusammen, in deren Wohnung er nach seiner Entlassung auch wohnen werde. Der Kontakt zu seinem Sohn aus der mittlerweile geschiedenen Ehe habe auch während der Haftzeit aufrecht erhalten werden können. Der Kläger verfüge schließlich über eine Arbeitsstelle für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach dem vom Verurteilten im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck könne erwartet werden, dass er unter dem Eindruck der Aussetzung der Reststrafe künftig keine Straftaten mehr begehen werde.
27 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
28 
Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
29 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
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1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
28 
Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
29 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
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Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
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2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
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Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
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3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
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Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
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c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
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Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
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Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
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Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
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d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
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Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
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Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
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Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
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Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 234 Abs.1 und 2 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften zu folgender Frage eingeholt:

Richtet sich der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 besitzt und der seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren in dem Mitgliedstaat gehabt hat, dem gegenüber diese Rechtsposition gilt, nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG in ihrer Umsetzung durch den jeweiligen Mitgliedstaat, so dass eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, zulässig ist?

Gründe

 
I.  
Der rechtliche Rahmen
Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 2 - im Folgenden: ARB 1/80) bestimmt u.a.:
Art. 7
        
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
        
- haben vorbehaltlich des den Arbeitsnehmern aus dem Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahre ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
        
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
        
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedsstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
        
Art. 14
        
(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
        
(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweitseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen keine günstigere Regelung vorsehen.
Die Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWB, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG vom 29. April 2004 (ABl. L 158 S. 77; ber. ABl. L 229 S. 35 - im Folgenden: RL 2004/38/EG) enthält folgende Regelung:
        
Art. 28 Schutz vor Ausweisung.
        
(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.
        
(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.
        
(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie
        
a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im  Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder
        
b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - im Folgenden: AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970), enthält folgende Regelungen:
        
§ 53 Zwingende Ausweisung.
        
Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er
        
1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
        
2. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, wegen Landfriedensbruches unter den in § 125 a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß § 125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist oder
        
3. wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 oder § 97 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
        
§ 55 Ermessensausweisung.
        
(1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt des öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.
        
(2) …
        
§ 56 Besonderer Ausweisungsschutz.
        
(1) ¹Ein Ausländer, der
        
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
        
2. …
genießt besonderen Ausweisungsschutz. ²Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen. ³Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 vor. 4Liegen die Voraussetzungen des § 53 vor, so wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen. 5Liegen die Voraussetzungen des § 54 vor, so wird über seine Ausweisung nach Ermessen entschieden.
        
(2) …
Das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - im Folgenden: FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I, S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970) sieht u.a. vor:
        
§ 1 Anwendungsbereich
        
Dieses Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen.
        
§ 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt
        
(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 5 Abs. 5 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 39 Abs. 3, Artikel 46 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft) festgestellt und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht oder über den Daueraufenthalt eingezogen und die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte widerrufen werden. …
        
(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
        
(6) …
 
II.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 18.12.1973 in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Er wuchs bei seinen Eltern auf; sein Vater, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, hielt sich in der Bundesrepublik rechtmäßig als Arbeitnehmer auf. Einen Schulabschluss erzielte der Kläger nicht. Auch eine Lehre als Maler brach er ab. Er ging gelegentlichen Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafhaftverbüßung unterbrochen waren. Seit Juli 2000 geht er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach.
Der Vater des Klägers ist im Jahr 1991 verstorben. Seine Mutter ist mittlerweile in einem Pflegeheim untergebracht. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied zusammen; seine Geschwister führen selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit dem 28.1.1991 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1.1.2005 als unbefristete Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitlich gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt.
1991 begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen. Ab 1998 konsumierte er regelmäßig Heroin und Kokain. Ein im Jahr 2001 durchlaufendes Methadonprogramm und eine im Jahr 2003 absolvierte stationäre Drogentherapie blieben erfolglos.
10 
Der Kläger wurde seit 1993 mehrfach straffällig und wie folgt verurteilt:
        
1. Am 15.4.1993 wegen Bandendiebstahls in 24 Fällen zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe;
        
2. am 17.10.1994 wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils unter 1. zu zwei Jahren und sieben Monaten Jugendstrafe;
        
3. am 9.1.1997 wegen vorsätzlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über einen verbotenen Gegenstand zu einer Geldstrafe;
        
4. am 9.4.1998 wegen Diebstahls in drei Fällen zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe;
        
5. am 7.3.2002 wegen Geldfälschung, Diebstahls im besonders schweren Fall in vier Fällen und versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe;
        
6. am 28.7.2006 wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
11 
Zur Verbüßung der Freiheitsstrafen befand sich der Kläger von Januar 1993 bis Dezember 1994,  August 1997 bis Oktober 1998, Juli bis Oktober 2000, September 2001 bis Mai 2002 und seit November 2005 in Haft.
12 
Am 28.10.1996 wurde der Kläger wegen der von ihm zu diesem Zeitpunkt begangenen Straftaten von der Ausländerbehörde ausländerrechtlich verwarnt. Mit Bescheid vom 6.3.2007 verfügte das Regierungspräsidium Stuttgart die Ausweisung des Klägers und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zwischenzeitlich ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zu einer Entscheidung des EuGH in dem vorliegenden Verfahren ausgesetzt worden.
13 
Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung wie folgt begründet: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, da er im Bundesgebiet geboren und als Kind eines türkischen Arbeitnehmers in der Vergangenheit über fünf Jahre ordnungsgemäß im Haushalt seines Vaters gelebt habe. Da diese Rechtsposition nicht erloschen sei, genieße er Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Danach könne eine Ausweisung nur erfolgen, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Erforderlich sei das Vorliegen einer konkreten und hohen Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die häufigen und schwerwiegenden Straftaten im Bereich der Eigentumskriminalität stellten eine Störung der öffentlichen Ordnung dar, die auf der Persönlichkeit des Klägers beruhe. Eine konkrete Wiederholungsgefahr folge aus der Häufigkeit der Straftaten und der hohen Rückfallgeschwindigkeit. Die bisherigen Verurteilungen, die Hafterfahrung sowie die ausländerrechtlichen Verwarnungen hätten den Kläger nicht von weiteren Straftaten abgehalten. Die Straftaten des Klägers hätten sich außerdem durch eine hohe kriminelle Energie und eine professionelle Vorgehensweise ausgezeichnet. Zudem sei die Drogenproblematik des Klägers nicht gelöst. Der Kläger könne sich nicht auf den besonderen Ausweisungsschutz aus Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen. Diese Vorschrift gelte nur für Unionsbürger, nicht dagegen für Familienangehörige von Unionsbürgern, die nicht selbst Unionsbürger, sondern Drittstaatsangehörige sind. Als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 könne der Kläger nicht besser gestellt werden als Familienangehörige von Unionsbürgern. Da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, könne er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Derartige Gründe lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese Voraussetzungen seien hier durch die Verurteilung vom 28.7.2006 gegeben. Anhaltspunkte für ein Abweichen von der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG seien nicht ersichtlich. Insbesondere lasse das abgeurteilte kriminelle Fehlverhalten eine hohe Verwerflichkeit und Missachtung der hiesigen Rechtsordnung erkennen. Unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erfolge die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil der Ausweisungsanlass schwer wiege und eine konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten bestehe.
14 
Über die Ausweisung sei daher nach Art. 14 ARB 1/80 und § 55 Abs. 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG seien bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger sei im Bundesgebiet geboren worden und halte sich seitdem hier auf. Allerdings schütze auch eine lange Anwesenheit im Bundesgebiet nicht vor einer Ausweisung, wenn von dem straffällig gewordenen Ausländer eine hohe und konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Der Kläger habe häufig und ausgesprochen schwerwiegend gegen die bestehende Rechtsordnung im Bundesgebiet verstoßen. Trotz seines über 30jährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet habe das herausragende öffentliche Interesse an der Ausweisung als Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr nicht hinter dem privaten Interesse des Klägers, von der Ausweisung verschont zu bleiben, zurücktreten. Insbesondere gehe von dem Kläger auch zukünftig eine hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Der Kläger habe es nicht geschafft, sich eine eigene tragfähige Existenzgrundlage aufzubauen. Seine finanzielle Lage sei desolat. Angesichts der zu erwartenden Schadensersatzforderungen von durch die Straftaten Geschädigten werde sie sich weiter drastisch verschärfen. Die Ausweisung zerstöre daher keine im Bundesgebiet aufgebaute sichere wirtschaftliche Lebensbasis. Dabei werde nicht übersehen, dass er nach erfolgter Abschiebung in die Türkei zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen. Diese seien jedoch nicht unüberwindbar. Der Kläger sei 33 Jahre alt und könne damit ohne weiteres allein klarkommen. Auch sei davon auszugehen, dass er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Es spreche einiges dafür, bei Ausländern der zweiten Generation regelmäßig anzunehmen, dass diese die Muttersprache erlernt hätten und zumindest in den Grundszügen beherrschten. Außerdem habe er seine Straftaten häufig gemeinsam mit anderen türkischen Staatsangehörigen begangen, so dass bereits deshalb der Bezug zu Landsleuten offenkundig sei. Zudem seien ausweislich der in der Akte befindlichen Schreiben des Klägers seine Kenntnisse der deutschen Sprache als eher bescheiden zu bezeichnen. Daher könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Der Kläger könne auch nicht wegen seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet als faktischer Inländer betrachtet werden. Er habe im Bundesgebiet noch nicht einmal eine abgeschlossene Schulausbildung, geschweige denn eine berufliche Qualifikation erlangt. Auch sein beharrliches strafrechtlich relevantes Verhalten spreche gegen eine Integration. Zu einer Integration gehöre auch die Beachtung der Rechtsordnung. Dieser handle der Kläger mit erschreckender Beharrlichkeit zuwider. Schutzwürdige persönliche Bindungen lägen nicht vor. Eine familiäre Gemeinschaft mit der Mutter des Klägers und seinen Geschwistern bestünde nicht mehr. Es sei nichts dafür ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden, dass Familienangehörige des Klägers auf die persönliche Lebenshilfe durch ihn in unbedingter Weise angewiesen sein könnten. Dies gelte auch hinsichtlich der offenbar in einem Pflegeheim untergebrachten Mutter. Zudem habe der Kläger es bei der Begehung der Straftaten in Kauf genommen, zumindest während der Dauer seiner Inhaftierung von seinen Familienangehörigen getrennt zu sein. Der Kläger besitze ein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt und sei auch zeitweilig unselbständigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit habe er zumindest seit dem Jahr 2000 nicht mehr ausgeübt. Trotz der schutzwürdigen Rechtsposition eines freien Zugangsrechts zum Arbeitsmarkt sei aber die Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Dies gelte besonders wegen der dargelegten konkreten Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten. Schutzwürdige sonstige Bindungen im Bundesgebiet seien weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Dabei werde der normale Umstand, dass der Kläger Freunde und Bekannte habe, vorausgesetzt. Insgesamt stünden die mit der Ausweisung für den Kläger verbundenen Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg. Die Verhinderung weiterer schwerwiegender Straftaten durch den Kläger überwiege die Nachteile für den Kläger, die darin bestünden, aus dem Bundesgebiet ausreisen zu müssen und das Bundesgebiet nicht erneut betreten zu dürfen. Die Ausweisung sei geeignet, die von dem Kläger ausgehende erhebliche Gefahr wirksam zu beseitigen. Ein milderes Mittel als die Ausweisung sei nicht ersichtlich. Dem Kläger sei es zumutbar, in seinen Heimatstaat zurückzukehren. Daran ändere der Umstand nichts, dass in seinem Heimatstaat wirtschaftliche Probleme bestünden. Hiervon seien zahlreiche seiner Landsleute ebenfalls betroffen. Zudem existiere auch im Bundesgebiet eine hohe Arbeitslosigkeit. Auch die Drogenabhängigkeit des Klägers sei selbst bei einer unterstellten Therapiewilligkeit kein Grund,  von einer Ausweisung abzusehen. Er habe bereits eine stationäre Drogentherapie durchlaufen, die vollkommen erfolglos geblieben sei. Das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 stehe der Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger besitze zwar den Ausweisungsschutz nach Art. 3 Nr. 3 des ENA. Dieser sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber mit den vom Kläger erfüllten Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG identisch (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, Az.: 1 C 24.94, InfAuslR 1997, S. 8). Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Ausweisung stelle einen gesetzlich vorgesehenen Eingriff in dieses Recht dar, der in einer demokratischen Gesellschaft für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig sei.
15 
Die gegen die Ausweisung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 3.7.2007 - 6 K 2790/07 - abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere folgendes ausgeführt: Die Ausweisungsverfügung sei formell und materiell rechtmäßig. Zutreffend sei das Regierungspräsidium davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 genieße und daher nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden könne, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend sei (Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 29.4.2004, C-482/01 „Orfanopoulos“ u.a., Slg. 2004, I-5257). Im Fall des Klägers sei Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG dagegen nicht zu berücksichtigen. Diese Regelung gelte zunächst nur für Unionsbürger. Sie könne aber auf türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80 besitzen, nicht angewendet werden. Mit der RL 2004/38/EG sei die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weitgehende Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien aber kaum zu vereinbaren. Das Regierungspräsidium sei von einem zutreffenden Maßstab für die Ausweisung ausgegangen, indem es aus Art. 3 Abs. 3 ENA, § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 14 ARB 1/80 das Erfordernis abgeleitet habe, dass ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohe und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut bestehe. Das Regierungspräsidium habe auch zutreffend bejaht, dass diese Voraussetzungen hier vorlägen. Der Kläger sei nicht nur einmal zu einer hohen Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen Diebstahls in acht Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen, und in einem besonders schweren Fall, verurteilt worden, sondern habe eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen vorzuweisen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung gestanden habe. Nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute gemacht und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als 100.000,-- EUR verursacht habe, sei auch die Einschätzung, dass die Straftaten besonders schwer wögen, kaum zu beanstanden. Zutreffend sei eine konkrete Wiederholungsgefahr mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet worden, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen noch von Hafterfahrungen oder von ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten habe abhalten lassen. Dabei sei auch gesehen worden, dass die Straftaten zwar durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst gewesen seien, allerdings die durchgeführten Therapien nur kurzzeitig Erfolg gehabt hätten. Selbst nach Abschluss seiner Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose habe der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen konsumiert und sei dann sogar zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig geworden. Dass das Regierungspräsidium die vom Kläger bekundete Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansehe, sei nicht zu beanstanden. Die Ermessensentscheidung des Regierungspräsidiums sei fehlerfrei. Bedenken im Hinblick auf Art. 8 EMRK bestünden nicht.
16 
Mit seiner Berufung erstrebt der Kläger die Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts und die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des beklagten Landes vom 6.3.2007. Er macht geltend, dass mit der RL 2004/38/EG die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden sei. Derartige Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen übertrage der EuGH in ständiger Rechtsprechung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Daher habe sich sein Ausweisungsschutz an Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG zu orientieren. Die danach maßgebliche Voraussetzung, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit die Ausweisung rechtfertigen, sei in seinem Fall nicht erfüllt.
17 
Das beklagte Land ist der Berufung entgegengetreten. Seiner Auffassung nach ist Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG auf türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, auch nicht entsprechend anwendbar. Der hier maßgebliche Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nenne gerade - anders als Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG - als Schranke nicht nur Gründe der öffentlichen Sicherheit, sondern auch solche der öffentlichen Ordnung und Gesundheit. Die Assoziationsregelungen bedeuteten gerade nicht eine völlige Gleichstellung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger mit Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft und Unionsbürgern, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung deren Freizügigkeit.
 
III.
Entscheidungsgründe
18 
Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften zur Auslegung des Art. 14 ARB 1/80 einzuholen (Art. 234 Abs. 1 EG). Die vorgelegte Frage zur Auslegung des Assoziationsratsbeschlusses ist entscheidungserheblich (1.) und bedarf einer Klärung durch den Gerichtshof (2.).
19 
1. Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich, weil nach Auffassung des Senats die Ausweisung des Klägers rechtswidrig ist, wenn sich der Kläger aufgrund seiner Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf den Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen kann (a), während gegen die Rechtmäßigkeit der Ausweisung aus Sicht des Senats keine Bedenken bestehen, wenn sich der Ausweisungsschutz nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in seiner bisherigen Auslegung durch den EuGH richtet (b).
20 
a) Bei einer entsprechenden Anwendung des Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist die gegen den Kläger verfügte Ausweisung rechtswidrig.
21 
aa) Der Kläger besitzt als in Deutschland geborener Familienangehöriger eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers (sein Vater) nach über fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (zu den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 siehe Hailbronner, Ausländerrecht, D 5.2, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 3, 7, 9). Hieraus folgt, dass seine Ausweisung aus Deutschland nur nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig ist (EuGH, Urteil vom 11.11.2004, Rs. C-467/02 „Cetinkaya“, Slg. 2004, I-10895, Rn. 38).
22 
bb) Wenn von einer entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen der Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgegangen wird, ist der Kläger einem Unionsbürger gleichzustellen und nicht - wie im vorliegenden Verfahren von dem beklagten Land geltend gemacht - einem Familienangehörigen, der einem Drittstaat angehört. Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 und Art. 28 RL 2004/38/EG gelten sowohl für Familienangehörige mit derselben Staatsangehörigkeit wie der originär freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer als auch für Familienangehörige mit Drittstaatsangehörigkeit (zu Art. 7 ARB 1/80 siehe insoweit Gutmann, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, ARB Nr. 1/80 Art. 7 Rn. 57). Soll Art. 28 RL 2004/38/EG für Familienangehörige nach Art. 7 ARB 1/80 entsprechend gelten, sind daher konsequenterweise die Vorschriften des Art. 28 RL 2004/38/EG für Familienangehörige mit Unionsbürgerschaft auf die Familienangehörigen nach Art. 7 ARB 1/80 mit türkischer Staatsangehörigkeit anzuwenden.
23 
cc) Richtet sich der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 inhaltlich nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Art. 28 RL 2004/38, kann daher der Kläger nur entsprechend den Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG ausgewiesen werden, da er wie ein Unionsbürger zu behandeln ist, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt in Deutschland gehabt hat. Die Ausweisung darf also nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, verfügt werden.
24 
dd) Die Ausweisung des Klägers beruht aber nicht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG.
25 
(1) Bei dem Begriff der öffentlichen Sicherheit in Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbegriff, der nicht einseitig durch einen einzelnen Mitgliedstaat bestimmt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 4.12.1974, 41/74 „van Duyn“, Slg. 1974, 1337, Rn. 19; Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Auflage 2007, Art. 39 EG Rn. 93). Zwar besitzen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Schutzumfangs einen Beurteilungsspielraum, der in Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG auch ausdrücklich normiert worden ist; dieser Beurteilungsspielraum bezieht sich aber nur auf die nähere Konkretisierung einzelner Schutzgüter und rechtfertigt keine grundsätzliche Abweichung von dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff (vgl. EuGH, Urteil vom 4.6.2002, C-483/99 „Kommission/Frankreich“, Slg. 2002, I-4781, Rn. 48).
26 
Nach der Rechtsprechung des EuGH schützt die öffentliche Sicherheit sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit des Staates. Die innere Sicherheit umfasst den Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und wichtiger öffentlicher Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung. Zur äußeren Sicherheit gehören die auswärtigen Beziehungen, die Freiheit von militärischen Bedrohungen und das friedliche Zusammenleben der Völker (vgl. EuGH, Urteil vom 10.7.1984, 72/83 „Campus Oil“, Slg. 1984, 2727, Rn. 34; Urteil vom 4.10.1991, C-367/89 „Richardt und Les Accessoires Scientifiques“, Slg. 1991, I-4621, Rn. 22; Urteil vom 17.10.1995, C-70/94 „Werner“, Slg. 1995,    I-3189, Rn. 27; Urteil vom 17.10.1995, C-83/94 „Leifer“, Slg. 1995, I-3231; Urteil vom 26.10.1999, C-273/97 „Sirdar“, Slg. 1999, I-7403, Rn. 17, Urteil vom 11.3.2003, C-186/01 „Dory“, Slg. 2003, I-I-2479, Rn. 32; Streinz, EUV/EGV, Art. 39 EG Rn. 138). Unter die innere Sicherheit fallen „begrenzte außergewöhnliche Tatbestände“, die sich nicht für eine extensive Auslegung eignen (EuGH, Urteil vom 15.5.1986, 222/84 „Johnston“, Slg. 1986, 1651 Rn. 26; Urteil vom 16.9.1999, C-414/97 „Kommission/Spanien“, Slg. 1999, I-5585, Rn. 21). Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist damit enger als der Begriff der öffentlichen Ordnung, der auch die innerstaatliche (Straf-)Rechtsordnung umfasst (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4.5.2006 - 24 K 6197/04 -InfAuslR 2006, 356; Streinz, EUV/EGV, Art. 39 Rn. 134ff).
27 
Für das in dieser Weise verstandene Schutzgut der öffentlichen Sicherheit geht von dem Kläger keine Bedrohung aus. Der Kläger stellt zwar eine erhebliche Gefahr für hochrangige private Rechtsgüter, jedoch nicht für den Bestand des Staates und seiner Institutionen oder das Überleben der Bevölkerung dar.
28 
(2) Selbst wenn der Begriff der öffentlichen Sicherheit weiter verstanden und darunter auch der Schutz von Individualgütern vor einer strafbaren Beeinträchtigung gefasst wird, liegen hier jedenfalls keine „zwingenden Gründe“ der öffentlichen Sicherheit vor. Insoweit räumt Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, näher zu bestimmen, wann zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Diese mitgliedstaatliche Konkretisierung ist bei einer entsprechenden Anwendung des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ebenfalls heranzuziehen. In Deutschland gilt insoweit § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU. Danach können zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht. Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger nicht zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist. Zwar ist der Kläger zu mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als fünf Jahren verurteilt worden; dies reicht nach dem klaren Gesetzeswortlaut jedoch nicht aus.
29 
b) Wenn sich die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nach Art. 28 RL 2004/38/EG richtet, ist die Ausweisung des Kläger rechtmäßig.
30 
aa) Rechtsgrundlage für die Ausweisung sind die §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4, 53 Nr. 1 AufenthG. Danach kann ein Ausländer, der (wie der Kläger) eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Unter anderem liegen solche schwerwiegenden Gründe in der Regel in den Fällen des § 53 Nr. 1 AufenthG vor, also wenn der Ausländer (wie der Kläger) wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Liegen die Voraussetzungen des § 53 AufenthG vor, wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen.
31 
Der nationale Maßstab für die Zulässigkeit einer Ausweisung wird jedoch durch den vorrangig geltenden assoziationsrechtlichen Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verschärft. Aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 folgt nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, dass eine Ausweisung nur zulässig ist, wenn außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 10.2.2000, C-340/97 „Nazli“, Slg. 2000, I-957, Rn. 57). Die Ausweisung darf nicht aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt werden, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss daher auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeuten (EuGH, a.a.O., Rn. 59 ff). Dies bedeutet nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung, dass eine Ausweisung nicht regelhaft, sondern nur auf Grundlage einer umfassenden Ermessensausübung erfolgen darf (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Art. 14 ARB 1/80, Rn. 19 m.w.N.). Im Rahmen der Ermessensausübung muss auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26.11.2002, Rs. C-100/01 „Olazabal“, Slg. 2002, I-10981). Schließlich muss die Ausweisung in Übereinstimmung mit den Grundrechten der Gemeinschaftsrechtsordnung stehen; insoweit ergibt sich das maßgebliche Schutzniveau aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR. Danach müssen bei der Prüfung, ob eine Ausweisung verhältnismäßig ist, insbesondere folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden: Die Art und Schwere der begangenen Straftat, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, aus dem die Ausweisung erfolgen soll, die seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und das Verhalten in dieser Zeit, die familiäre Situation des Betroffenen, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland (EGMR, Urteil vom 18.10.2006, Nr. 46410/99 „Üner“, NVwZ 2007, 1279; vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 -, InfAuslR 2007, 275).
32 
bb) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig, insbesondere ermessensfehlerfrei und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, verfügt worden.
33 
Der Kläger ist seit 1993 kontinuierlich und schwerwiegend straffällig geworden. Die Straftaten, überwiegend Vermögensdelikte, waren mit erheblichen Schäden verbunden und in ihnen ist eine hohe kriminelle Energie zum Ausdruck gekommen. Da die persönliche Situation des Klägers sich seit der letzten Verurteilung nicht verändert hat, er insbesondere weiterhin mit finanziellen Schwierigkeiten rechnen muss, und die bisherigen, zahlreichen Strafen ihm gegenüber keine abschreckende Wirkung erzielt haben, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er nach seiner Entlassung aus der Strafhaft sehr bald wieder vergleichbare Straftaten begehen wird. Diesem erheblichen öffentlichen Interesse an einer spezialpräventiven Ausweisung steht vor allem entgegen, dass der Kläger sich seit seiner Geburt in Deutschland rechtmäßig aufhält und daher hier über vielfältige persönliche, familiäre und kulturelle Bindungen verfügt. Dieses Gewicht der privaten Belange ist im Fall des Klägers jedoch niedriger als bei anderen Ausländern der zweiten Generation anzusetzen: Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind nicht besonders intensiv, da der Kläger weder verheiratet ist oder Kinder hat, noch mit sonstigen Familienangehörigen eine enge Gemeinschaft besteht. Eine wirtschaftliche Integration ist nicht erfolgt; vielmehr hat der Kläger keinen Schulabschluss erreicht und keine Berufsausbildung absolviert, so dass er bislang auch überwiegend nicht erwerbstätig war. Es ist auch nicht zu befürchten, dass der Kläger wegen seiner geringeren Bindungen zu seinem Herkunftsland dort auf ernsthafte Schwierigkeiten stoßen wird. Der plausiblen Einschätzung des Regierungspräsidiums und des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger Türkisch spricht und vielfältige Verbindungen zur türkischen Gesellschaft und Kultur hat, ist der Kläger im Klageverfahren nicht entgegen getreten. Zudem lebt auch der Bruder des Klägers in der Türkei. Der 34 Jahre alte Kläger hat auch noch kein Alter erreicht, in dem der Aufbau einer neuen Existenz in seinem Herkunftsland unzumutbar wäre. Diese  Umstände hat das Regierungspräsidium in seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt und ist dabei zu der nicht zu beanstandenden Entscheidung gekommen, dass die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig ist.
34 
2. Die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unter Berücksichtigung des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2004/38/EWG auszulegen ist, bedarf einer Entscheidung des EuGH. Der EuGH hat sich hierzu bislang nicht geäußert. Zwar wurde ihm eine entsprechende Frage vom VG Darmstadt vorgelegt; jedoch hielt der Gerichtshof sie nicht für entscheidungserheblich (EuGH, Urteil vom 4.10.2007, Rs. C-349/06, „Polat“, NVwZ 2008, 59, Rn. 23 ff).
35 
a) Der EuGH legt in ständiger Rechtsprechung die Beschränkungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entsprechend den im Rahmen der Art. 48 bis 50 EG für die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit geltenden Grundsätze aus (vgl. EuGH, „Nazli“, a.a.O., m.w.N.). So hat der EuGH sogar die verfahrensrechtlichen Schutzvorschriften der inzwischen außer Kraft getretenen RL 64/221 auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 übertragen (EuGH, Urteil vom 2.6.2005, C-136/03, „Dörr“, NVwZ 2006, 72). Dies spricht zunächst dafür, auf Grundlage eines dynamischen Verständnisses des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die Ausweisungsschutzregelungen in Art. 28 RL 2004/38/EG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entsprechend anzuwenden (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5.12.2006 - 7 A 10924/06 -, InfAuslR 2007, 148; Hessischer VGH, Urteil vom 25.6.2007 - 11 UE 52/07 -, juris; Beschluss vom 4.12.2006 - 12 TG 2190/06 -, InfAuslR 2007, 98; VG Karlsruhe, Urteil vom 9.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; Gutmann, a.a.O. Art. 14 ARB 1/80 Rn. 27.1 ff).
36 
b) Die Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Bestimmung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beruht jedoch darauf, dass nach Auffassung des EuGH die fraglichen Vorschriften des ARB 1/80 eine weitere Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Geiste der Art. 48 bis 50 EG bilden (EuGH, „Nazli“, a.a.O., Rn. 54). Übertragbar sind daher nur Regelungen mit einem spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Art. 28 RL 2004/38/EG weist einen solchen Bezug aber nicht mehr auf. Das Regelungskonzept der RL 2004/38/EG besteht gerade darin, die „bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 4); als Anknüpfungspunkt für Freizügigkeitsrechte wird daher nicht auf die Ausübung einzelner Grundfreiheiten abgestellt, sondern auf die Unionsbürgerschaft, die „der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein [sollte], wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen“ (RL 2004/38/EG, Erwägungsgrund Nr. 3). Auch die abgestufte Ausweisungsschutzregelung des Art. 28 RL 2004/38/EG weist daher keinen spezifischen Bezug zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auf, sondern gilt für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Recht auf Daueraufenthalt besitzen oder ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben. Das Recht auf Daueraufenthalt in Kapitel IV der Richtlinie knüpft explizit nicht an ein durch Grundfreiheiten vermitteltes Aufenthaltsrecht an, wozu Kapitel III der Richtlinie besondere Vorschriften enthält, sondern ausschließlich an die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG).
37 
Die RL 2004/38/EG unterscheidet sich daher qualitativ von früheren gemeinschaftsrechtlichen Kodifikationen: Im Vordergrund steht nicht mehr die fortschreitende Ausgestaltung der Grundfreiheiten, sondern die Stärkung der  Unionsbürgerschaft. So nennt auch der siebte Erwägungsgrund als Ziel des Rechts auf Daueraufenthalt, dass dieser das „Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt - einem grundlegenden Ziel der Union - beitragen“ soll. Auch der Zweck des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 RL 2008/38/EG wird in den Erwägungsgründen ausschließlich aus Sicht der Unionsbürgerschaft definiert: „Daher sollte der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind. Gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, sollte nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.“ (Erwägungsgrund Nr. 24)
38 
Handelt es sich bei Art. 28 RL 2004/38/EG daher nicht mehr um eine Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern um eine Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft, kommt eine Übertragung auf die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht in Betracht (so im Ergebnis auch Bayerischer VGH, Urteil vom 20.3.2008 - 10 BV 07.1856 -, juris; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 5.10.2005 - 11 ME 247/05 -, InfAuslR 2005, 453; vom 6.6.2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.5.2007 - 18 B 2389/06 -, NVwZ 2007, 1445; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.2.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263; Hailbronner, a.a.O. Art. 14 ARB 1/80 Rn. 12 ff).
39 
Dass der Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 somit von dem durch Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG gewährten Schutz abweicht (zu dem nach der früheren Rechtslage gebotenen Gleichlauf siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 21.10.2004, Rs. C-136/03 „Dörr“, Slg. 2005, I-4759, Rn. 59), ist daher eine Konsequenz des höheren Integrationsgrads, den die Europäische Union durch die Einführung der Unionsbürgerschaft und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG erreicht hat. „Der Bürgerstatus symbolisiert den Charakter einer Gemeinschaft als Solidargemeinschaft und politische Schicksalsgemeinschaft“ (Kluth, in: Calliess/Ruffert, a.a.O. Art. 17 EGV Rn. 3). Die Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei besitzt diesen Charakter nicht (vgl. die beschränkten Ziele in Art. 2 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Amtsblatt Nr. 217 vom 29/12/1964 S. 3687). Das Assoziationsrecht kennt keine „Assoziationsbürgerschaft“.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am 18.12.1973 im Bundesgebiet geboren. Er wuchs mit mehreren Geschwistern bei seinen Eltern auf, besuchte zunächst die Grundschule und dann die Hauptschule, ohne einen Abschluss zu erzielen. Eine begonnene Lehre als Maler wurde abgebrochen, anschließend ging er gelegentlich Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafverbüßungen unterbrochen waren. Seit 2000 geht er nach Aktenlage keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der Kläger ist seit dem 28.01.1991 in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 01.01.2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitig gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt. Als sein Vater 1991 verstarb, begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen, nach Erkrankung seiner Mutter, die mittlerweile in einem Pflegeheim in Crailsheim untergebracht ist, begann er ab 1998 regelmäßig Heroin und Kokain zu konsumieren. Nach einem in der Zeit von Juli 2001 bis September 2001 durchlaufenen Methadonprogramm sowie einer absolvierten stationären Drogentherapie bei Four Steps, die am 14.07.2003 mit günstiger Prognose abgeschlossen wurde, wurde der Kläger erneut rückfällig und setzte den Konsum von Heroin und Kokain bis zu seiner letzten Inhaftierung im November 2005 fort. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied mehr zusammen. Seine Geschwister führen jeweils selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder, mit dem er 1993 wegen Bandendiebstahls verurteilt worden war, wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit 1993 wurde der Kläger mehrfach straffällig und insgesamt - ohne die zuletzt genannte Verurteilung - fünf mal u.a. wegen Badendiebstahls, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls bzw. Diebstahls in besonders schwerem Fall zu Jugend- und später zu Freiheitsstrafen von teilweise über 2 Jahren verurteilt. Der Kläger verbüßte einen Teil dieser Freiheitsstrafen, ein Teil der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt und wegen Bewährungsbruch später widerrufen. Ausländerrechtlich wurde er am 28.10.1996 wegen der zu diesem Zeitpunkt begangenen zwei Straftaten von der Ausländerbehörde verwarnt. Zuletzt wurde der Kläger am 28.07.2006 vom Landgericht Ellwangen wegen Diebstahls in 8 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Seit dem 28.11.2005 ist der Kläger inhaftiert und verbüßt die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe sowie die restliche Freiheitsstrafe aus einer vorangegangenen Verurteilung.
Nach Anhörung verfügte das Regierungspräsidium ... mit Bescheid vom 06.03.2007 die Ausweisung des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und drohte dem Kläger ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen zu seiner Rückübernahme bereiten Staat an.
Dagegen hat der Kläger am 26.03.2007 Klage erhoben, ohne diese näher zu begründen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Regierungspräsidiums ... vom 06.03.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sein Vertreter auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
10 
Dem Gericht lagen die Ausweisungsakte des Beklagten sowie die Behördenakten der unteren Ausländerbehörde vor. Auf die in diesen sowie auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am 18.12.1973 im Bundesgebiet geboren. Er wuchs mit mehreren Geschwistern bei seinen Eltern auf, besuchte zunächst die Grundschule und dann die Hauptschule, ohne einen Abschluss zu erzielen. Eine begonnene Lehre als Maler wurde abgebrochen, anschließend ging er gelegentlich Aushilfstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit und durch Strafverbüßungen unterbrochen waren. Seit 2000 geht er nach Aktenlage keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der Kläger ist seit dem 28.01.1991 in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 01.01.2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Ein zwischenzeitig gestellter Einbürgerungsantrag wurde wegen der von ihm begangenen Straftaten abgelehnt. Als sein Vater 1991 verstarb, begann der Kläger erstmals Marihuana zu rauchen, nach Erkrankung seiner Mutter, die mittlerweile in einem Pflegeheim in Crailsheim untergebracht ist, begann er ab 1998 regelmäßig Heroin und Kokain zu konsumieren. Nach einem in der Zeit von Juli 2001 bis September 2001 durchlaufenen Methadonprogramm sowie einer absolvierten stationären Drogentherapie bei Four Steps, die am 14.07.2003 mit günstiger Prognose abgeschlossen wurde, wurde der Kläger erneut rückfällig und setzte den Konsum von Heroin und Kokain bis zu seiner letzten Inhaftierung im November 2005 fort. Der Kläger lebte zuletzt mit keinem Familienmitglied mehr zusammen. Seine Geschwister führen jeweils selbständige Haushalte. Ein älterer Bruder, mit dem er 1993 wegen Bandendiebstahls verurteilt worden war, wurde im August 2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben.
Seit 1993 wurde der Kläger mehrfach straffällig und insgesamt - ohne die zuletzt genannte Verurteilung - fünf mal u.a. wegen Badendiebstahls, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls bzw. Diebstahls in besonders schwerem Fall zu Jugend- und später zu Freiheitsstrafen von teilweise über 2 Jahren verurteilt. Der Kläger verbüßte einen Teil dieser Freiheitsstrafen, ein Teil der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt und wegen Bewährungsbruch später widerrufen. Ausländerrechtlich wurde er am 28.10.1996 wegen der zu diesem Zeitpunkt begangenen zwei Straftaten von der Ausländerbehörde verwarnt. Zuletzt wurde der Kläger am 28.07.2006 vom Landgericht Ellwangen wegen Diebstahls in 8 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Seit dem 28.11.2005 ist der Kläger inhaftiert und verbüßt die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe sowie die restliche Freiheitsstrafe aus einer vorangegangenen Verurteilung.
Nach Anhörung verfügte das Regierungspräsidium ... mit Bescheid vom 06.03.2007 die Ausweisung des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und drohte dem Kläger ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen zu seiner Rückübernahme bereiten Staat an.
Dagegen hat der Kläger am 26.03.2007 Klage erhoben, ohne diese näher zu begründen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Regierungspräsidiums ... vom 06.03.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sein Vertreter auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
10 
Dem Gericht lagen die Ausweisungsakte des Beklagten sowie die Behördenakten der unteren Ausländerbehörde vor. Auf die in diesen sowie auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
15 
Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Ausweisungsverfügung, denn diese ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
13 
Das Regierungspräsidium ... hat als sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde (vgl. §§ 10 Abs. 1 AAZuVO vom 11.01.2005 (GBl. Seite 93)) für den inhaftierten Kläger die Ausweisung verfügt. Das Verfahren wurde ordnungsgemäß geführt. Insbesondere ist vor Durchführung des Klageverfahrens nicht mehr die Einschaltung einer „unabhängigen Stelle“ erforderlich (so Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Denn die RL 64/221/EWG ist durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung zum 30.04.2006 aufgehoben worden. Die an die Stelle der RL 64/221/EWG getretene RL 2004/38/EG verlangt aber nicht mehr die Einschaltung einer sog. „unabhängigen Stelle“.
14 
Zutreffend ist das Regierungspräsidium in seiner Verfügung auch davon ausgegangen, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - i.F. : ARB 1/80 - zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm ziehen“ in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und hier stets gelebt hat; auch durch die verhängten und zwischenzeitig verbüßten Freiheitsstrafen sind dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren gegangen (dazu EuGH, Urt. v 11.11.2004 - C 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Aufgrund dieser Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ungeachtet der Erfüllung eines sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestands nach nationalem Recht - im Übrigen nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. EuGH, Urteile vom 29.04.2004 - Rs. C - 482/01 und C - 493/01 - (Orfanopoulos und Oliveri), DVBl 2004, 876; BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 und 1 C 29/02 - sowie Urteile vom 06.10.2005 - 1 C 5/04 - und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -).
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Nicht zu berücksichtigen ist im Falle des Klägers hingegen Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG, wonach gegenüber Unionsbürgern eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie a) ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
16 
Diese Regelung gilt zunächst nur für Unionsbürger. Allerdings wird die Übertragung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, diskutiert und teilweise auch bejaht (so u.a.: VG Karlsruhe, Beschl. 09.03.2007 - 6 K 2907/06 - und Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -; offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, verneinend: OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -). Soweit das Regierungspräsidium meint, diese Frage hier deshalb offen lassen zu können, weil für Familienangehörige, die aus Drittstaaten stammen, Art. 28 Abs. 2 der RL 2004/38/EG lediglich die Beschränkung enthält, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, der Kläger aber einem Familienangehörigen vergleichbar sei, weil er seine Rechtsposition ebenfalls nur aus seiner Angehörigenstellung zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen ableiten kann (Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80), folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Denn im Unterschied zu einem Familienangehörigen, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, begründet Art. 7 ARB 1/80 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unmittelbar und ohne zeitliche Grenze eine eigene Rechtsposition des türkischen Staatsangehörigen. Dieser ist insoweit eher einem Familienangehörigen vergleichbar, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser aber unterfällt ebenfalls der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG.
17 
Die Frage, ob Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auch auf türkische Staatsangehörige, welche ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, anzuwenden ist, ist im Falle des Klägers auch durchaus entscheidungserheblich. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.04.2006 gilt diese Richtlinie unmittelbar. Der Bundesgesetzgeber ist der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG zwar derzeit noch nicht nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Nach dem Referentenentwurf der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetz/EU sollen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -). Diesen Rahmen bzw. diese Anforderungen erfüllen die Haftstrafen des Klägers aber nicht.
18 
Begründet wird die entsprechende Anwendbarkeit dabei im Wesentlichen damit, dass auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie Art. 6 und 7 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren würde. Der Europäische Gerichtshof - EuGH - habe dazu aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssten, die eine Rechtsstellung aus dem ARB 1/80 besitzen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem Art. 39 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stelle der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkungen von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Dementsprechend hätten der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der RL 64/221/EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung). Der EuGH habe auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil vom 30.09.2004 - C 275/02 - (Ayaz ) ) oder in Art. 3 der RL 64/221/EWG (Urt. v. 11.11.2004 - C 467/02 - (Cetinkaya ) ) oder in Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG (Urteil vom 02.06.2005 - C 163/03 (Dörr und Ünal ) ) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen; das Bundesverwaltungsgericht habe sich dem angeschlossen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 a.a.O.). Mit der RL 2004/38/EG sei aber die Einschränkbarkeit der Freizügigkeitsrechte durch Ausweisungen auf gemeinschaftlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet und konkretisiert worden.
19 
Demgegenüber betonen die Gegner der Anwendbarkeit, dass die genannte Gerichte nicht verlangen würden, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln seien. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden keineswegs die vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen beinhalten, sondern dienten lediglich der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit. Dem nationalen Gesetzgeber bleibe es unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären und das sei in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG geschehen (dazu OVG Nordr. Westf., Beschl. v. 16.03.2005 - 18 B 1751/04 und Nieders. OVG, Beschl. v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05 -).
20 
Das Gericht folgt dabei der zuletzt genannten Auslegung. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung des Art. 14 ARB 1/80 eine eigenständige Beschränkung der Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen geschaffen. Dass man bisher die Auslegung der dort geregelten Beschränkungen an die Beschränkungen der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern angelehnt hat, wurde u.a. mit der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und von Art. 39 EG und mit dem Ziel der Assoziationsvereinbarung begründet. Mit der RL 2004/38/EG ist die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger aber weiter ausgestaltet und konkretisiert worden. Würde man auch dies auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger übertragen, dann käme der Bestimmung des Art. 14 ARB 1/80 die Wirkung einer sog. dynamischen Verweisung zu. Mit dem Wortlaut des Art. 14 ARB 1/80 (Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) und der Intention der Vertragsparteien wäre eine so weite Einschränkung der Rechte der Vertragsparteien (zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit) aber kaum zu vereinbaren. Deshalb hat das Regierungspräsidium im Ergebnis zu Recht eine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 der RL 2004/38/EG auf den Kläger verneint.
21 
Zutreffend wurde auf den Kläger aber Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 13.12.1955 angewendet, der nach einem mehr als zehnjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates vorsieht, dass der Ausländer nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe - der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit - besonders schwerwiegend sind ausgewiesen werden darf. Ferner ist für den Kläger auch die nationale Vorschrift des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG einschlägig, so dass er auch danach nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zwischen den besonders schwerwiegenden Gründen von Art. 3 Abs. 3 ENA und den schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des § 56 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG besteht aber kein qualitativer Unterschied (zum Verhältnis von ENA zum früheren § 48 AuslG BVerwG; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -).
22 
So kommt auch bei einem türkischen Staatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zusteht, eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das aber ist der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht besteht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut besteht (zu den Anforderungen der Ausweisung von sog. „ARB-Türken“ siehe auch EGMR, Urt. v. 16.01.2006 - Rs. C-502/04 - (Torun), InfAuslR 2006, 209). Diese Voraussetzungen wurden vom Regierungspräsidium zutreffend bejaht, nachdem der Kläger nicht nur einmal und zu einer hohen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Diebstahls in 8 Fällen, jeweils gemeinschaftlich begangen und in einem besonders schweren Fall, durch das Landgericht Ellwangen verurteilt worden ist, sondern eine Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen, größtenteils auch zu Zeiten, als er noch unter Bewährung stand, vorzuweisen hat. Auch ist die Einschätzung, dass die vorsätzlich begangenen und von den Strafgerichten abgeurteilten Straftaten besonders schwer wiegen, nachdem der Kläger durch Automatenaufbrüche erhebliche Beute machte und - allein bei den zuletzt abgeurteilten Straftaten - einen Sachschaden von mehr als EUR 100.000,--verursacht hat, kaum zu beanstanden. Eine konkrete Wiederholungsgefahr wurde mit der außerordentlich hohen Rückfallgeschwindigkeit begründet, nachdem sich der Kläger weder von Vorverurteilungen, noch Hafterfahrungen oder ausländerrechtlichen Verwarnungen von weiteren einschlägigen Straftaten hat abhalten lassen. Dabei wurde auch gesehen, dass die Straftaten teilweise auch durch den jahrelangen Drogenkonsum und die Drogenabhängigkeit des Klägers beeinflusst waren. Allerdings hatten die durchgeführten Therapien nur kurzeitig Erfolg. Selbst nach Abschluss einer Therapie im Juli 2003 mit günstiger Prognose konsumierte der Kläger bereits kurze Zeit später erneut Drogen und wurde dann ca. zwei Jahre später erneut, in erheblichem Umfang und über einen längeren Zeitraum, straffällig. Dass das Regierungspräsidium insoweit seine, im Verwaltungsverfahren bekundete, erneute Therapiewilligkeit nicht als Garant für eine dauerhafte Verhaltensänderung ansieht, nachdem er bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Bereitschaft vor dem Hintergrund der Strafverbüßung und der drohenden ausländerrechtlichen Maßnahmen zu sehen ist und daher wohl ebenfalls nur geringen dauerhaften Erfolg haben wird, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr ist dabei auch angesichts der bereits jetzt schon desolaten finanziellen Lage des Klägers, den nach seiner Haftentlassung noch zu erwartenden hohen Schadensersatzforderungen der durch die Straftaten Geschädigten und der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive kaum zu widerlegen.
23 
Demgegenüber hat der Kläger keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, die in seinem Fall die Annahme rechtfertigen könnten, bei ihm liege ausnahmsweise eine günstigere Sozialprognose vor oder eine solche günstigere Sozialprognose würde sich zumindest durch neue Entwicklungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auftun.
24 
Zutreffend geht das Regierungspräsidium weiter davon aus, dass - unabhängig von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, weil zum einen der Ausweisungsanlass schwer wiegt und zum anderen eine konkrete Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten besteht. Nachdem beim Kläger damit auch die Hürden des nationalen Rechts aber auch des besonderen Ausweisungsschutzes gem. Art. 3 Abs. 3 ENA genommen sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden hat. Die vom Regierungspräsidium unter Einbeziehung sämtlicher, in die Entscheidung einzubeziehender, Abwägungskriterien getroffene Entscheidung ist fehlerfrei erfolgt. Gründe, welche in der Entscheidung nicht oder nicht richtig gewürdigt worden sind, wurden weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Insoweit wird auf die ausführliche Darlegung in der angefochtenen Verfügung Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
25 
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - verhältnismäßig. Zwar kann unterstellt werden, dass die Ausweisung in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens eingreift. Allerdings sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit vor, dass in dieses Recht eingegriffen werden darf, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff gesetzlich vorgesehen (§ 55 AufenthG). Sie dient auch einem berechtigten Ziel, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein. Das aber ist hier der Fall. Wie ausgeführt besteht bei einem Verbleib des Klägers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die ernsthafte Gefahr neuer Verfehlungen des Klägers. Andererseits hat der Kläger durchaus ein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, hält er sich doch hier bereits seit seiner Geburt auf und wird insoweit auch durch die Lebensbedingungen im Bundesgebiet geprägt sein. Er verfügt auch über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings lebt er mit keinem seiner Verwandten mehr zusammen. Seine Geschwister führen einen eigenen Haushalt, seine Mutter soll in einem Pflegeheim untergebracht sein, sein Vater ist 1991 verstorben. Der Kläger ist mittlerweile auch 34 Jahre alt und damit auf die Lebenshilfe durch einen seiner Angehörigen nicht mehr angewiesen. Auch kann von einer echten Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet angesichts seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung kaum gesprochen werden. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet spricht einiges dafür, dass er über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügen wird, ist doch bei Ausländern der zweiten Generation - oftmals wegen der geringen deutschen Sprachkenntnisse der Eltern - davon auszugehen, dass in der Familie auch türkisch gesprochen wurde. Der Kläger befindet sich auch in einem Alter, in welchem ihm der Aufbau einer Existenz in seinem Heimatland noch möglich sein müsste, zumal bereits sein älterer Bruder im August 2002 in die Türkei abgeschoben wurde, ihm insoweit als Stütze bzw. Ansprechpartner für den Aufbau eines Lebens in der Türkei zur Verfügung stehen könnte.
26 
Soweit hingegen in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht - EGMR (u.a. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147, Urt. v. 22.04.2004 - 42703/98 - (Radovanovic), InfAuslR 2004, 374; Urt. v. 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles), InfAuslR 2006, 3 und Urt. v. 31.01.2006 - 50252/99 -, (Sezen), InfAuslR 2006, 2355) Ausweisungen als unverhältnismäßig beurteilt wurden, die keine Befristungsentscheidung enthielten, wurde dort aber auch festgestellt, dass eine unbefristete Ausweisung nicht per se gegen Art. 8 EMRK verstößt, sondern vielmehr einer Würdigung der Gesamtumstände bedarf. Auch unter diesem Aspekt ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nicht ersichtlich. Im Unterschied zu einigen vom EGMR entschiedenen Fällen handelt es sich bei den seinerzeit zur Ausweisung des Klägers führenden Straftaten um solche aus dem Bereich der Schwerstkriminalität. Die Ausländerbehörde hat darüber hinaus in zutreffender Weise eine Prognose über die besondere Rückfallgefahr des Klägers aufgestellt. Bei der persönlichen und familiären Situation wurden der lange Aufenthalt des Klägers und die damit verbundene und soziale Integration beachtet; aufgrund der Schwere der letzten von ihm begangenen Straftaten wurde allerdings nicht von einer echten Integration im Bundesgebiet ausgegangen. Angesichts der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Schwere der begangenen Straftaten, der unbedingten Verurteilung (anders z.B. im Fall Radovanovic) und des Umstandes, dass die Taten auch nicht mit der Jugend des Ausländers „entschuldigt“ werden können (so z.B. in den Fällen Yilmaz und Radovanovic) und angesichts dessen, dass im deutschen Recht dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (dazu auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -), ist eine Verletzung von Art. 8 EMRK auch durch die unbedingte Ausweisung nicht festzustellen.
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 
Die Berufung war gem. § 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.