Verwaltungsgericht Trier Urteil, 20. Jan. 2015 - 1 K 1591/14.TR

ECLI:ECLI:DE:VGTRIER:2015:0120.1K1591.14.TR.0A
bei uns veröffentlicht am20.01.2015

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt, die Stadtratswahl für die Stadt Trier vom 25. Mai 2014 für ungültig zu erklären.

2

Am 25. Mai 2014 fand die Wahl zum Stadtrat der Stadt Trier statt. Das amtliche Wahlergebnis wurde am 17. Juni 2014 im städtischen Amtsblatt "Rathauszeitung" öffentlich bekannt gemacht. Danach erhielt die SPD 26,18 % der abgegebenen Stimmen und damit 15 Sitze im Stadtrat, die CDU 34,27 % und entsprechend 20 Sitze, Bündnis 90 / Die Grünen 16,6 % und 9 Sitze, die FWG Trier e.V. 7,48 % und 4 Sitze, die FDP 2,79 % und 2 Sitze, Die Linke 5,53 % und 3 Sitze, die NPD 0,68 % und damit 0 Sitze, die AFD 3,93 % und 2 Sitze und die Piraten Partei Deutschland 2,53 % und folglich 1 Sitz.

3

Gegen die Gültigkeit der Wahl legte der Kläger beim Wahlleiter, Herrn Oberbürgermeister Klaus Jensen, per Fax am 10. Juni 2014 Einspruch mit dem Begehren ein, die Wahl zum Stadtrat der Stadt Trier für ungültig zu erklären. Diesen bekräftigte der Kläger erneut mit Einspruchseinlegung am 23. Juni 2014, nach der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses. Auch dieser Einspruch wurde per Fax eingelegt.

4

Zur Begründung führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass der Oberbürgermeister gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und er somit massiv in den laufenden Wahlkampf eingegriffen habe.

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Im Einzelnen führte er folgende Einwendungen an:

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I. Wahlbeeinflussung durch den Oberbürgermeister

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1. Verletzung der Neutralitätspflicht nach der Stimmabgabe

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Der Wahlleiter habe noch während der Stimmauszählung der Presse im Rathaus erklärt, "das wäre ein Traum, wenn die diesmal nicht wieder "reinkämen" ". Diese Worte des Wahlleiters könnten auch als entsprechende Aufforderung an die an der Stimmauszählung beteiligten Personen gewertet werden.

9

Am 28. Mai 2014 sei das Ergebnis der Stadtratswahl in der Rathauszeitung öffentlich bekannt gemacht worden. Auf der Titelseite werde Herr Jensen wie folgt zitiert: "OB Jensen zeigte sich erleichtert, dass rechtsextremistische Leugner des Holocaust und Vertreter menschenverachtenden Gedankenguts nicht mehr im Rat vertreten sind". Hier liege nicht nur eine amtliche Neutralitätsverletzung, sondern auch eine diffamierende Falschbehauptung vor.

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2. Verletzung der Neutralitätspflicht vor der Wahl.

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a) Bezeichnung der NPD als "Verrückte"

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Im Februar 2014 sei die Unterkunft für Asylbewerber in Trier-Euren offiziell eingeweiht worden. Bei diesem Anlass habe Herr Jensen gegenüber der anwesenden Presse erklärt: "Ich bin stolz auf Trier. Bis auf wenige Verrückte gab und gibt es in unserer Stadt keine Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern."

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Mit den "wenigen Verrückten" habe Herr Jensen die rechtsextreme NPD gemeint, die Anfang Februar gegen die neue Einrichtung demonstriert habe, so der TV. Mit dieser Äußerung im Vorfeld der Wahl habe der Oberbürgermeister in amtlicher Funktion die öffentliche Kritik der NPD am Asylbetrug und der Zuwanderung in das soziale Netz pathologisiert.

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b) Nichtakzeptanz gerichtlicher Entscheidungen

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Nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Verbot der Stadt Trier in Bezug auf eine NPD-Kundgebung am 27. Januar 2011 für rechtwidrig erklärt habe, habe der Oberbürgermeister in einer städtischen Presseerklärung am 26. Februar 2014, ebenfalls abgedruckt in der Rathauszeitung am 4. März 2014, erklärt, dass es ihm schwerfiele, die Entscheidung nachzuvollziehen. Nach seinem politischen Verständnis dürfte es an diesem Gedenktag für die Opfer des Holocaust keine Kundgebungen von rechtsextremistischen Gruppierungen geben. Damit widerspreche er in amtlicher Funktion öffentlich der juristischen Einschätzung des Gerichts und suggeriere, dass er über den Gerichten stehe und gerichtlichen Entscheidungen keine Relevanz beimesse. Die Meinungsäußerung suggeriere zudem, dass die NPD eine Partei sei, der man nicht alle Rechte gewähren solle.

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c) Einladung zu einer Anti-NPD-Demonstration und Appell gegen die NPD

17

Am 17. Mai 2014 habe die NPD eine Kundgebungstour mit dem Motto "Haben es die Systemparteien zu bunt getrieben, dann wähle Liste 7! NPD in den Stadtrat – für ein nationales und soziales Trier!" durch Trier geführt. Neben verschiedenen Mahnwachen sei auch eine Kundgebung vor der neuen Unterkunft für Asylbewerber in Trier-Euren angemeldet gewesen. In der Rathauszeitung am 20. Mai 2014 sei folgender Artikel erschienen:

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"Besuch bei Freunden

19

Trierer stellen sich NPD-Demo entgegen und zeigen Solidarität mit Asylsuchenden"

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In diesem Artikel werde beschrieben, dass sich rund 60 Bürgerinnen und Bürger einer Demonstration der NPD im Umfeld der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende entgegengestellt und damit ihre Solidarität bekundet hätten. Einer gemeinsamen Einladung von Oberbürgermeister Klaus Jensen, Caritas-Direktor ... und der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, vertreten durch die zuständige Referatsleiterin ..., seien der Eurener Ortsvorsteher sowie verschiedene Stadtrats- und Ortsbeiratsmitglieder gefolgt. Vor der Ankunft der neun NPD-Demonstranten seien Besucher und Asylsuchende ins Gespräch gekommen. In einer kurzen Ansprache habe Herr Jensen bedauert, dass es "in unserer Stadt einige wenige Menschen gibt, die nicht wollen, dass Ausländer zu uns kommen".

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Dieser Artikel im Amtsblatt richte sich direkt gegen die NPD. Der Oberbürgermeister habe in seiner amtlichen Funktion zu dieser öffentlichen Anti-NPD-Demo eine Woche vor der Stadtratswahl aufgerufen. Hier läge laut Artikel der Rathauszeitung eine explizite Einladung durch den Oberbürgermeister vor. Zudem habe er eine Ansprache gehalten, bei der er gegen die NPD polemisiert und zielgerichtet die gerade im Wahlkampf erforderliche Neutralitätspflicht verletzt habe. Der letzte Satz sei ein direkter Appell gegen die NPD. Im Gesamtkontext betrachtet signalisiere dieser Beitrag dem Leser, dass die Stadt Trier und wichtige Institutionen wie die Caritas, die ADD und der Ortsvorsteher gegen die NPD vorgingen und der Bürger die NPD nicht wählen solle. Die Rathauszeitung als offizielles Amtsblatt der Stadt Trier sei am 20. Mai und damit fünf Tage unmittelbar vor der Wahl erschienen. Es habe sich um die "Wahlausgabe" gehandelt. Der besagte Text sei auch als Pressemitteilung veröffentlicht worden. Der Appell des Oberbürgermeisters passe zudem zum Aufruf der Fraktionen auf der Seite 2: "Wer nicht wählt, wählt rechts!".

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d. Parteiische Öffentlichkeitsarbeit während des Wahlkampfes

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Als einzige Partei in Trier ginge die NPD von einer Immobilienblase in Trier aus. Am 29. April 2014 sei in der Rathauszeitung ein Artikel auf Seite 3 veröffentlicht worden unter der plakativen Überschrift: "Keine Immobilienblase in Sicht". In dem Beitrag gehe es um eine Analyse des Amtes für Stadtentwicklung und den Begriff der Immobilienblase. Allerdings seien wichtige, kritische Informationen unterschlagen worden, die eine parteiische Ausrichtung des Beitrages vermuten lasse. Der Artikel solle sich argumentativ gegen die NPD richten.

24

e. Störaktionen durch den Verein "Für ein buntes Trier – gemeinsam gegen Rechts e.V."

25

Der Oberbürgermeister Jensen sei erster Vorsitzender des Vereins "Für ein buntes Trier – gemeinsam gegen Rechts!". Dieser Verein habe zur Hauptaufgabe, NPD-Aktionen zu stören, dies ergebe sich aus der Internetpräsenz des Vereins. Jensen distanziere sich nicht von rechtswidrigen Blockaden von NPD-Demonstrationen. Als erster Vorsitzender müsse sich der Oberbürgermeister Jensen die Aktivitäten des Vereins, wie solche am 24. Mai 2014, zurechnen lassen.

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f. Ausschluss aus dem Stadtrat

27

In Bezug auf den Ausschluss des NPD-Ratsmitgliedes aus dem Stadtrat im September 2011 seien die Stellungnahme der Stadt und die Gerichtsurteile des VG Trier und OVG Koblenz ausgiebig thematisiert worden, dagegen verschweige das Amtsblatt bis heute, dass das Bundesverwaltungsgericht die Revision zugelassen habe und eine mündliche Verhandlung noch ausstehe.

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g. Druck auf die lokale Presse

29

Im April 2014 sei eine Studie der Landeszentrale für politische Bildung aus Mainz mit dem Titel "Die NPD in rheinland-pfälzischen Kommunalparlamenten. Aus- und Wechselwirkungen 2009 bis 2013: Analyse und Empfehlungen" erschienen. Darin heiße es in Bezug auf die Berichterstattung über die NPD: "In Trier wird von einem zunächst großen Medien-Echo berichtet. Dieses sei nach entsprechenden Hinweisen des Oberbürgermeisters abgeebbt. Diese Einschätzung wird durch die Anzahl der jeweiligen Jahre bestätigt. Während es von Januar bis Juni 2009 noch 35 Artikel waren, die sich mit der extremen Rechten vor Ort beschäftigten, sind es im gesamten Jahr 2013 nur noch neun." Gegen diese Behauptung sei weder der TV noch der Oberbürgermeister vorgegangen. Während alle anderen Spitzenkandidaten im Mai 2014 vom TV zu kommunalpolitischen Themen befragt worden seien, habe der TV wenige Tage vor der Wahl erklärt, mit der NPD keine Gespräche zu führen. Auch über öffentliche NPD-Aktionen berichte der TV nicht. Damit sei belegt, dass die lokale Tageszeitung den "Hinweisen des OB gehorche".

30

Dies stelle daher einen besonders schweren Eingriff in den Wahlkampf dar.

31

3. Mangelhafte Stimmenauszählung und Verstoß gegen das Wahlgeheimnis

32

Die NPD habe mit ihren 0,7 % der abgegebenen Stimmen knapp den Einzug verpasst, der mit etwa 0,87 % möglich gewesen sei. Der Trierische Volksfreund habe berichtet, dass zahlreiche Wahlhelfer über organisatorische Mängel, fehlende Schulung und Überlastung geklagt hätten. Zeugen und Presse dokumentierten, dass es in einem Wahllokal in Heiligkreuz zu Unstimmigkeiten gekommen sei. Wahlhelfer hätten am Sonntag bereits vor 18 Uhr Stimmzettel aus Briefwahlumschlägen entnommen und wegen überquellender Wahlurnen auf dem Tisch gestapelt. Dies stelle einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis nach § 34 Satz 2 KWG dar.

33

II. Äußerungen der Ministerpräsidentin

34

Einen Tag vor der Wahl habe Malu Dreyer öffentlich auf einer Veranstaltung in Trier erklärt: "Heute demonstriert die NPD wieder in Trier-West – das ist schlimm. Deswegen ist es doppelt wichtig, wählen zu gehen, um so den erneuten Einzug der NPD in den Stadtrat zu verhindern." Trier sei eine tolerante und weltoffene Stadt. Als die NPD den Einzug dann tatsächlich knapp verpasst habe, habe sie öffentlich die Stadt Trier gelobt. Dies könne man als richtige Einschätzung des tendenziösen Verwaltungshandelns interpretieren.

35

Aus diesen Gründen ergäbe sich, dass staatliche Eingriffe während des Wahlkampfes erfolgt seien. Der NPD hätten 0,2 % für einen Einzug in den Stadtrat gefehlt. Die zahlreichen staatlichen Eingriffe könnten dafür hinreichend verantwortlich sein, dass die NPD nicht in den Stadtrat eingezogen sei.

36

Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion wies den Einspruch am 10. Juli 2014 zurück.

37

Der Einspruch sei bereits unzulässig. Für das von § 67 Satz 1 Kommunalwahlordnung (KWO) geforderte Schriftformerfordernis sei eine Übersendung des Einspruchs per Fax nur ausreichend, sofern das gleiche Schreiben per Post nachgereicht werde. Damit solle die Identitäts- und Autentitätsfeststellung des Einspruchsführers gewährleistet werden. Eine solche Nachreichung des Originals sei nicht erfolgt.

38

Nachfolgend ging der Beklagte im Einzelnen auf die vorgetragenen Tatsachen des Klägers ein.

39

A. Wahlbeeinflussung durch den Oberbürgermeister

40

1. Verletzung der Neutralitätspflicht nach der Stimmabgabe

41

Es sei bereits fraglich, ob Herr Jensen diese Aussage als Privatperson oder als Amtsträger getroffen habe. Es spreche für den privaten Charakter, dass diese Aussage grundsätzlich nicht nur dem Amtsinhaber des Oberbürgermeisters zugestanden habe. Daher sei im Zweifel von einer privaten Äußerung auszugehen. Selbst wenn man von einer amtlichen Äußerung ausgehen würde, sei zu beachten, dass diese nach Schluss der Wahllokale getätigt worden sei. Der Wählerwille habe daher nicht mehr beeinflusst werden können. Der Einwand, dass diese Worte eine entsprechende Aufforderung an die auszählenden Personen darstellen könne, sei ein pauschaler Vorwurf, der dem Substantiierungsgebot nicht genüge.

42

Ob die Äußerung des Oberbürgermeisters während der öffentlichen Bekanntmachung einen Verstoß gegen die Wahlvorschriften darstelle, könne dahinstehen, da evident eine Auswirkung auf das Wahlergebnis nicht vorliegen könne.

43

3. Verletzung der Neutralitätspflicht vor der Wahl

44

a) Bezeichnung der NPD als "Verrückte"

45

Der Oberbürgermeister habe die NPD nicht explizit als "Verrückte" tituliert. Vielmehr habe der Redakteur, der den Artikel verfasst habe, dies angenommen. Selbst wenn der Oberbürgermeister diese Aussage getätigt habe, sei der Einspruch gleichwohl unbegründet, dies ergäbe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Äußerung "Spinner" des Bundespräsidenten über die NPD (2 BVE 4/13). Werturteile würden erst dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhten und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigten. Die Verwendung des Wortes "Verrückte" sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Bezeichnung "Verrückte" gelte lediglich als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden hätten und rechtsradikale Überzeugungen vertreten würden.

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b) Nichtakzeptanz gerichtlicher Entscheidungen

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Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Gemeindeordnung (GemO) vertrete der Oberbürgermeister die Gemeinde nach außen. Hiervon umfasst sei auch die Vertretung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Wäre die Stadt Trier und damit auch der Oberbürgermeister ebenfalls der Meinung des Bundesverwaltungsgerichts, so wäre es zu keinem Klageverfahren in der Rolle als Beklagter gekommen. Die getroffene Aussage bedeute zudem auch nicht, dass sich der Oberbürgermeister über die Entscheidung hinwegsetze.

48

c) Einladung zu einer Anti-NPD-Demonstration und Appell gegen die NPD

49

Nach der Stellungnahme der Stadtverwaltung Trier vom 3. Juli 2014 habe es zu diesem Termin in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende keinerlei offizielle Einladung gegeben. Insbesondere sei kein Aufruf zur Teilnahme seitens des Oberbürgermeisters Jensen erfolgt. Zudem habe es sich auch nicht um eine städtische Veranstaltung gehandelt, da der Oberbürgermeister weder Hausherr, noch Betreiber, noch Verantwortlicher für die Aufnahmeeinrichtung sei. Es sei zwar korrekt, dass Anlass des Termins die für diesen Tag angekündigte Demonstration der NPD vor der Aufnahmeeinrichtung gewesen sei. Herr Jensen habe sich als Repräsentant der Stadt Trier in der Pflicht gesehen, den Flüchtlingen ein Willkommensgefühl zu vermitteln. Das Tagesgeschäft eines Oberbürgermeisters dürfe auch unmittelbar vor einer Wahl nicht stillstehen und er sich nicht komplett der Öffentlichkeit und der öffentlichen Wahrnehmung entziehen. Der Oberbürgermeister vertrete die Stadt nach außen und sei ihr Repräsentant. Zu diesen Aufgaben gehöre es auch, den Dialog mit den Bürgern und hier den Flüchtlingen zu suchen. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass der Oberbürgermeister in seiner amtlichen Funktion an der dargestellten Veranstaltung teilgenommen habe. Auch vermöge das in dem Artikel enthaltene Zitat des Oberbürgermeisters nicht den Einspruch zu begründen. Zum einen werde die NPD nicht explizit angesprochen und zum anderen beinhalte die Formulierung keine sachfremde Erwägung.

50

d) Parteiische Öffentlichkeitsarbeit während des Wahlkampfes

51

Hierbei sei in Bezug auf die Immobilienblase über die laufende Tätigkeit der Stadtverwaltung berichtet worden.

52

e) Störaktion durch den Verein "Für ein buntes Trier – gemeinsam gegen Rechts e. V."

53

In Bezug auf die NPD-Gegendemonstration am 24. Mai 2014 unterliege der Oberbürgermeister zwar der Neutralitätspflicht, jedoch stehe auch ihm das Recht zu, sich wie jeder andere Bürger mit Auftritten, Anzeigen oder Wahlaufrufen aktiv am Wahlkampf zu beteiligen. Vorliegend sei klar ersichtlich, dass der Oberbürgermeister als Privatperson das Amt des Vereinsvorsitzenden innehabe.

54

f) Ausschluss aus dem Stadtrat

55

In Bezug auf den Ausschluss aus dem Stadtrat bestehe keine Informationspflicht über die Mitteilung, dass Gerichtsurteile der unteren Instanz noch nicht rechtskräftig geworden seien.

56

g) Druck auf die lokale Presse

57

Der Vortrag des Klägers, dass die Berichterstattung über die NPD im TV aufgrund von Hinweisen des Oberbürgermeisters zurückgegangen sei, sei nicht hinreichend substantiiert. Der Kläger berufe sich auf unkonkrete "Hinweise". Selbst wenn es solche Hinweise gegeben hätte, seien sie nicht geeignet, einen ergebnisbeeinflussenden Fehler zu begründen.

58

3. Mangelhafte Stimmauszählung und Verstoß gegen das Wahlgeheimnis

59

Der Vortrag zu den formellen Mängeln der Wahl sei unsubstantiiert. Der Kläger berufe sich auf Gerüchte und Mutmaßungen. Er stütze sich auf das "Gefühl einer Wahlhelferin" ohne konkrete Fehler anzusprechen oder konkrete Tatsachen vorzubringen.

60

Zu den Vorgängen im Wahllokal in Heiligkreuz ergebe sich aus der Stellungnahme der Stadtverwaltung Trier vom 3. Juli 2014 bzw. der Wahlvorsteherin des betroffenen Stimmbezirks vom 11. Juni 2014, dass gegen 17.15 Uhr mit dem Öffnen der Briefumschläge begonnen worden sei. Eine Auszählung sei jedoch nicht vor 18.00 Uhr erfolgt. Nach dem Öffnen der Briefumschläge seien die Wahlscheine und die darin liegenden gelben Umschläge entnommen worden. Die gelben Briefumschläge seien in eine separate Kiste und von den Wahlscheinen getrennt aufbewahrt worden. Anschließend seien sowohl Umschläge als auch Wahlscheine nochmals nachgezählt worden, um eine Übereinstimmung der jeweiligen Anzahl festzustellen.

61

Danach seien die gelben Briefumschläge geöffnet und die drei enthaltenen Stimmzettel entnommen worden. Nachdem festgestellt worden sei, dass diese "Pakete" nicht mehr in die Wahlurnen hineinpassten, sei beschlossen worden, die Stimmzettel im gefalteten Zustand in drei verschiedenen Kartons farblich zu sortieren. Alles sei in gegenseitiger Kontrolle und öffentlich geschehen. Zudem seien 20 Stimmzettelumschläge zunächst ungeöffnet geblieben, um die Wahrung des Wahlgeheimnisses für den Fall, dass noch Briefwahlunterlagen nachgereicht würden und dann eine weitere Durchmischung der Unterlagen ermöglichen zu können, erfüllen zu können.

62

Nach der Sortierung sei mit dem Auseinanderfalten der Wahlzettel für die Stadtratswahl begonnen worden. Diese seien mit der Schrift nach unten auf einen Tisch gestapelt und anschließend von der Wahlvorsteherin beaufsichtigt worden. Nach Schließung des Wahllokals und Öffnung der Wahlurnen seien die umfangreiche Sortierung aller Stimmzettel und anschließend die Auszählung erfolgt. Im betroffenen Wahlbezirk hätten etwa 200 Briefwahlen vorgelegen.

63

Nach Beschreibung der Verfahrensweise für Wahlscheine stellte der Beklagte fest, dass von einem Verfahrensverstoß gegen wahlrechtlichen Vorschriften auszugehen sei. Im Fall des Wahlscheines, der für alle Wahlen gelte, hätte vor 18.00 Uhr eine Eröffnung des Stimmzettelumschlages nicht erfolgen dürfen. Vielmehr hätte der verschlossene Stimmzettelumschlag in eine Wahlurne gelegt werden müssen und erst nach 18.00 Uhr geöffnet werden dürfen.

64

Bei einem Wahlschein, der nicht für alle Wahlen gelte, habe eine Öffnung des Stimmzettelumschlages und eine Entnahme des einzelnen Stimmzettels erfolgen dürfen. Jedoch hätten die einzelnen Stimmzettel gefaltet in die jeweilige Wahlurne gelegt werden müssen. Insofern liege ein Verstoß gegen § 56 Abs. 4 in Verbindung mit § 57 KWO im Rahmen der Behandlung der Wahlbriefe vor.

65

Der Verstoß führe jedoch nicht dazu, dass das Wahlergebnis von diesem Fehler hätte beeinflusst werden können. Allein die Verletzung wahlrechtlicher Normen könne nicht zur Ungültigkeit der Wahl führen, wenn dadurch das Wahlergebnis und der dahinterstehende Wille der Wahlberechtigten nicht verfälscht werden. Trotz des fehlerhaften Verfahrens, seien Maßnahmen ergriffen worden, um das Wahlgeheimnis zu wahren. So habe nach der Trennung der Wahlscheine und der gelben Briefumschläge aufgrund der getrennten Aufbewahrung keine eindeutige Zuordnung von Stimmzetteln zu wahlberechtigten Personen mehr erfolgen können. Auch die Sortierung und Ausbreitung der Stimmzettel mit der Schrift nach unten habe diesem Zweck gedient. Auch seien die Stimmzettelumschläge zunächst verschlossen geblieben, um das Wahlgeheimnis bei evtl. nachgereichten Briefwahlunterlagen noch gewährleisten zu können. Es seien zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass aufgrund dieses Fehlers die Stimmen fehlerhaft ausgezählt worden seien. Das Ergebnis der Wahl wäre auch unter Beachtung der Wahlvorschriften nicht anders ausgefallen.

66

B. Äußerung der Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz

67

Auch der Ministerpräsidentin stehe das Recht zu, sich wie jeder andere Bürger aktiv am Wahlkampf zu beteiligen. Zulässig seien auch Äußerungen, die die betreffende Person als politisch engagierter Bürger tätigte, welcher zugleich ein öffentliches Amt innehabe, das er nicht zu verleugnen brauche. Es sei klar ersichtlich, dass die Ministerpräsidentin als Privatperson an einer Wahlkampfveranstaltung teilgenommen habe, so dass ihr die dort getätigte Aussage nicht vorgeworfen werden könne.

68

Nach einem vergeblichen Zustellungsversuch am 12. Juli 2014 wurde der Bescheid dem Kläger am 29. Juli 2014 zugestellt.

69

Mit Schreiben vom 25. Juli 2014 ergänzte der Kläger seine Wahlanfechtung in argumentativer Hinsicht.

70

I. Kostenlose Wahlwerbung für ausgesuchte Parteien in der Rathauszeitung.

71

Die Rathauszeitung als Amtsblatt der Stadt Trier habe die erforderliche Neutralitätspflicht mehrfach verletzt. Seit Jahren erscheine auf Seite 2 der Rathauszeitung die "Meinung der Fraktionen". Auf dieser Seite veröffentlichten die im Stadtrat vertretenen Fraktionen ihre Meinungen zu Themen ihrer Wahl. Die Kommentare seien mit dem Parteilogo und im Regelfall mit Foto und Namen des Autors veröffentlicht. Die Rathauszeitung habe eine wöchentliche Auflage von 57.500 Exemplaren. Soweit bekannt, müssten die Fraktionen für diese Unterstützung kein Geld an die Stadt zahlen.

72

Am 20. Mai 2014 sei sogar ein gemeinsamer Wahlaufruf der sechs Parteien bzw. Wählervereinigungen abgedruckt gewesen: "Wer nicht wählt, wählt rechts! Am 25. Mai demokratisch wählen!". Dieser Aufruf sei von den Parteilogos umrahmt gewesen und impliziere, dass Parteien, die nicht auf dieser Seite des Amtsblattes vertreten seien, keine demokratischen Parteien seien und nicht gewählt werden sollten. Mit diesem zielgerichteten Vorgehen der Stadtverwaltung sei massiv in den Wahlkampf eingegriffen worden. Staatliche Stellen hätten jedoch ca. drei Monate vor der Wahl strikte Neutralität zu wahren. Während die NPD, aber auch die AfD und die Piraten, keine kommunalen Standpunkte auf Kosten der Stadt im Amtsblatt veröffentlichen konnten, hätten direkt vor der Wahl die Meinungen von sechs politischen Gruppierungen jede Woche Unterstützung gefunden. So hätten die sechs bevorzugten Gruppierungen über 92 % der Wählerstimmen erhalten. Ein anderes Wahlergebnis sei ohne diese Beeinflussung nicht auszuschließen. Die letzte Ratssitzung habe am 3. April 2014 vor der Wahl stattgefunden, so dass eine sachbezogene Stellungnahme der Fraktionen in der Rathauszeitung vom 8. April 2014 ausreichend gewesen wäre. Am 10. April habe der Wahlausschuss offiziell über die Zulassung der Wahlvorschläge entschieden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte die Rathauszeitung den kostenlosen Abdruck der Parteimeinungen unterlassen müssen.

73

Die Parteinahme der Rathauszeitung verstoße auch gegen Landesrecht. § 9 der Landesverordnung zur Durchführung der Gemeindeordnung (GemODVO) zu § 27 GemO bestimme, dass das Amtsblatt neben öffentlichen Bekanntmachungen und sonstigen amtlichen Mitteilungen auch kurze Nachrichten aus dem Gemeindeleben und Hinweise auf Veranstaltungen enthalten könne. Dabei sei der Grundsatz der Gleichbehandlung und Neutralität zu beachten. Gegen diese Vorschrift habe die Rathauszeitung verstoßen, insbesondere durch den Anti-NPD-Artikel vom 20. Mai 2014. Nach der Verwaltungsvorschrift 7.2.1 zu § 27 GemO sollten nur kurze Nachrichten aus dem Gemeindeleben und sachliche Berichte enthalten sein. Kommentare oder Meinungsäußerungen und Veranstaltungsberichte gehörten nicht in das Amtsblatt.

74

Auch die Platzierung der Fraktionsmeinungen auf Seite 2 sei fehlerhaft. Nach § 9 Abs. 5 GemODVO müsse der amtliche Teil dem nichtamtlichen Teil vorangestellt werden. Fraktionsmeinungen gehörten nicht zu den sonstigen amtlichen Mitteilungen im amtlichen Teil.

75

II. Unzulässige SPD-Werbeanzeigen

76

Am 13. Mai 2014 sei in der Rathauszeitung auf Seite 8 eine SPD-Werbeanzeige für ... abgedruckt gewesen. Auf den nachfolgenden Seiten seien noch amtliche Bekanntmachungen vom Wahlamt veröffentlicht worden. Am 20. Mai 2014 sei in der Rathauszeitung auf Seite 10 eine SPD-Werbeanzeige für ... erschienen, obwohl auf der nachfolgenden Seite amtliche Bekanntmachungen abgedruckt worden seien. Die SPD-Werbeanzeigen seien also nicht korrekt platziert, was eine richtige Trennung von amtlichen Stellungnahmen und von Parteiwerbung unmöglich mache und damit auch in unzulässiger Weise auf den Wählerwillen einwirke.

77

Der Kläger hat am 29. August 2014 Klage erhoben. Zur Zulässigkeit des Einspruchs trägt er vor, dass die in der heutigen Rechtspraxis übliche Einreichung des Einspruchs per Fax nach gängiger Rechtsprechung kein Zulässigkeitsproblem darstelle. Ein Fax mit Unterschrift genüge nach höchstrichterlicher Entscheidung der Schriftform, da damit die Identität des Urhebers zweifelsfrei feststehe und die gewollte prozessuale Erklärung erkennbar sei. Vorliegend habe das versendete Fax klar erkennbar die persönliche Unterschrift des Klägers getragen.

78

Zur Begründetheit greift er vertiefend sein Vorbringen aus der Einspruchsschrift vom 10. Juni 2014 sowie die argumentative Ergänzung vom 25. Juli 2014 auf.

79

In der mündlichen Verhandlung stützte er seinen Einspruch im Wesentlichen auf drei Punkte.

80

Er bekräftigt, dass der Oberbürgermeister zu einer Gegendemonstration vor der Asylbewerberunterkunft eingeladen habe. Selbst wenn man nicht von einer Einladung ausgehe, so suggeriere der Artikel in der Rathauszeitung, dem offiziellen Amtsblatt, dass eine solche Einladung durch den Oberbürgermeister vorgelegen habe. Diese Aussage des Artikels sei bis heute nicht korrigiert worden. Zudem richte sich der Artikel mit dem Untertitel "Trierer stellen sich NPD-Demo entgegen…" klar gegen die NPD und sei daher parteiisch. Dagegen gestand er zu, dass der Zusammenhang zwischen der Äußerung "Verrückte" und der NPD durch den Redakteur des TV hergestellt worden sei, und dem Oberbürgermeister daher nicht nachweisbar zugerechnet werden könne.

81

In Bezug auf den gerügten Stadtratsausschluss trägt er ergänzend vor, dass am 14. April 2014 ein Bericht in der Rathauszeitung erschienen sei, der den Eindruck vermittele, dass der Ausschluss rechtskräftig feststehe. Die vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision werde verschwiegen und damit parteiisch berichtet.

82

Des Weiteren bekräftigt er seinen Vortrag zu der Verletzung der Neutralitätspflicht der Rathauszeitung durch die "Meinungen der Fraktionen". Diese hätte er schon im Vorfeld gerügt und sei zudem nach § 49 Abs. 2 KWG von Amts wegen zu prüfen gewesen. Er habe innerhalb der dortigen Dreimonatsfrist ergänzend vorgetragen.

83

Der Kläger beantragt,

84

unter Aufhebung des Einspruchsbescheids des Beklagten vom 10. Juli 2014 die Wahl des Stadtrates der Stadt Trier vom 25. Mai 2014 für ungültig zu erklären.

85

Der Beklagte beantragt,

86

die Klage abzuweisen.

87

Im Gegensatz zum allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wo auch die Einreichung per Fax ausreichend sei, seien die formellen Erfordernisse zur Schriftlichkeit im Wahleinspruchsverfahren strenger. Der geltend gemachte Wahlfehler werde dahingehend untersucht, ob er objektiv zur Ungültigkeit der Wahl als Ganzes führe. Dieser Wille müsse uneingeschränkt zum Ausdruck kommen. Da der Rechtsbehelf nicht nur Inter-partes-Wirkung, sondern darüber hinaus auch allgemeine Gültigkeit entfalte, sei es gerechtfertigt, strengere Anforderungen an die Form zu stellen.

88

Darüber hinaus sei der Einspruch auch unbegründet. Auf das Vorbringen des Klägers bezüglich der "Meinung der Fraktionen" und "unzulässige SPD-Werbeanzeige" werde nicht weiter eingegangen, da der Kläger Gründe nachschiebe, die nicht bereits in seinem Schreiben vom 23. Juni 2014 angeführt worden seien. Ein solches Nachschieben zusätzlicher Gründe für die Ungültigkeit der Wahl sei jedoch im Einspruch als auch im Klageverfahren nicht statthaft.

89

Zu den anderen Aspekten verweist der Beklagte auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, dass allein eine Presseerklärung der Caritas und entsprechende Fotos nicht den amtlichen Charakter der Veranstaltung in Euren begründen könnten.

90

Auch das Vorbringen bezüglich des Trierischen Volksfreundes führe nicht zum Erfolg, da es sich dabei um eine privatrechtlich organisierte Einrichtung handele.

91

Dieser stehe es frei, mit kommunalpolitischen Vertretern Gespräche zu führen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie daraus ein Wahlrechtsverstoß folgen solle.

92

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

93

Sie ist der Ansicht, dass in Bezug auf das Vorbringen betreffend die angebliche Einladung zur Gegendemonstration, zwischen der Veranstaltung in der Einrichtung und der Gegendemonstration durch die Bürger unterschieden werden müsse. Sein Vorbringen vom 25. Juli 2014 sei präkludiert, da sein bisheriger Vortrag zur Rathauszeitung sich auf die entsprechende Berichterstattung über die Veranstaltung des Oberbürgermeisters bezog, nicht jedoch auf eine unzulässige Parteiwerbung.

94

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten sowie der Verwaltungsakte des Beklagten. Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

95

Die zulässige Klage ist unbegründet. Gründe, die angefochtene Wahl für ungültig zu erklären, liegen nicht vor. Das Ergebnis der Wahl zum Stadtrat wurde nicht durch eine gegen das Gesetz verstoßende Handlung beeinflusst.

96

Die in den §§ 48, 51 des Landesgesetzes über die Wahlen zu den kommunalen Vertretungsorganen (Kommunalwahlgesetz – KWG – in der Fassung vom 31. Januar 1994 - GVBl. S. 137 - zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Mai 2013 - GVBl. S. 139 -) geregelte, mit den auf die Herbeiführung der Rechtsfolgen des § 50 Abs. 1 und Abs. 2 KWG gerichteten Leistungsbegehren verbundene Anfechtungsklage ist als Gestaltungsklage eigener Art statthaft (OVG RP, Urteil vom 4. Juni 1991 – 7 A 12657/90.OVG -; Urteil vom 3. Dezember 1991 - 7 A 10305/91.OVG -, Rn. 31, juris). Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs wie auch die Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens ergeben sich aus § 51 KWG.

97

Der Klageantrag auf Feststellung der Ungültigkeit der Wahl unter Aufhebung der kommunalaufsichtlichen Entscheidung vom 10. Juli 2014 ist jedoch unbegründet, die Zurückweisung des Einspruchs ist rechtmäßig.

98

Nach § 50 Abs. 3 KWG i.V.m. § 68 Abs. 1 der Kommunalwahlordnung – KWO - in der Fassung vom 11. Oktober 1983 (GVBl S. 247) hat die Aufsichtsbehörde auf den fristgemäßen Einspruch eines Wahlberechtigten hin die Wahl für ungültig zu erklären, wenn festgestellt wird, dass erhebliche Verstöße gegen die Wahlvorschriften vorgekommen sind, und wenn der Verstoß, auf den sich der Einspruch bezieht, geeignet ist, die Sitzverteilung zu beeinflussen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann das Gericht die Zurückweisung eines Einspruchs aufheben und selbst die Ungültigkeit der Wahl feststellen (vgl. OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 1985 - 7 A 32/85; ständige Rechtsprechung).

99

I.  Die formellen Einspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat frist- und formgemäß Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl erhoben, der sich auf einen erheblichen Verstoß gegen die Wahlvorschriften bezieht.

100

1.  Der Einspruch wurde fristgerecht erhoben.

101

Der Einspruch muss innerhalb der in § 48 Satz 1 KWG bestimmten Einspruchsfrist, innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses, durch Angabe von Tatsachen begründet werden, die einen erheblichen Verstoß gegen die Wahlvorschriften schlüssig erkennen lassen. Denn nach Ablauf der gesetzlichen Einspruchsfrist können weitere den Einspruch begründende Tatsachen weder im Einspruchsverfahren noch in einem anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren geltend gemacht werden, soweit es sich nicht nur um ein die bisherigen Einspruchsgründe lediglich ergänzendes und erläuterndes Vorbringen handelt (vgl. OVG RP, Urteil vom 15. Januar 1991 – 7 A 12059/90 –, Rn. 18, juris).

102

Zwar hat der Kläger seinen Einspruch am 10. Juni 2014 vor der amtlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses am 17. Juni 2014 erhoben, und damit bevor die Einspruchsfrist begonnen hat. Mit der Bekanntmachung wurde jedoch der zu diesem Zeitpunkt noch aufrechterhaltene Einspruch ohne Weiteres zulässig. Das der Normierung der Einspruchsfrist zugrunde liegende öffentliche Interesse, über die Frage der Gültigkeit der Wahl beschleunigt Klarheit zu schaffen, rechtfertigt es gerade nicht, verfrühte Einsprüche von der Sachbehandlung auszuschließen, die – wie hier - im Zeitraum unmittelbar nach der Wahl bis zur öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses erhoben und nach dieser Bekanntmachung aufrechterhalten wurden (OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 1985 – 7 A 32/85-, Urteil vom 15. Januar 1991 – 7 A 12059/90.OVG-; VG Trier, Urteil vom 3. November 2009 – 1 K 438/09.TR). Zudem hat der Kläger am 25. Juni 2014 erneut Einspruch erhoben, und damit die Aufrechterhaltung des Einspruchs bestätigt.

103

2.  Auch das Erfordernis der schriftlichen Einlegung ist - entgegen der Ansicht des Beklagten – erfüllt. Auch die Einlegung des Einspruchs per Fax, welches den Kläger als Aussteller erkennen lässt und dessen Original handschriftlich unterzeichnet ist, genügt dem Schriftformerfordernis nach § 48 KWG i.V.m. § 67 Satz 1 KWO.

104

Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses liegt darin, die Identität des Absenders festzustellen und gleichzeitig klarzustellen, dass es sich nicht um einen Entwurf, sondern um eine gewollte prozessuale Erklärung handelt (Urheberschaft und Verkehrswille). Eine eigenhändige Unterschrift, wie § 126 Abs.1 BGB sie fordert, bedarf es daher nicht zwingend, wenn Urheberschaft und Verkehrswille sich aus dem Dokument ergibt (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2001 – 3 B 33/01 –, juris; zum Funkfax BVerwG, Beschluss vom 30. März 2006 – 8 B 8/06-, juris; Formgerechtigkeit trotz fehlender Unterschrift BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1988 – 9 C 40/87; Kopp/Schenke, VwGO, § 70 Rn. 2). Für das Schriftformerfordernis der Einspruchsschrift im Falle einer Wahlanfechtung gilt daher, wie allgemein beim Bestehen prozessrechtlicher Schriftformerfordernisse, dass Klagen und Rechtsmittel auch per Telefax eingelegt werden können (so auch zum Wahleinspruch auf Bundesebene BT-Drs. 14/1560, S. 21; zum hessischen KWG Bennemann/Schmidt, Praxis der Kommunalverwaltung, 4.1, 23d). Ein Fax ist mittlerweile eine im Rechts- und Geschäftsverkehr gängige und anerkannte Übermittlungsform, die der Schriftform im ursprünglichen Sinne gleichgesetzt werden kann. Es ist nicht erkennbar, warum im Rahmen des Einspruchsverfahrens andere und strengere Anforderungen an die Schriftform zu stellen sind, als in anderen Verwaltungsverfahren. Die Rechtsnatur der Wahlanfechtung, die gegebenenfalls zur Erklärung der Ungültigkeit der Wahl kommt, ohne eine subjektive Rechtsverletzung des jeweiligen Einspruchführers zu verlangen, und damit eine inter omnes Wirkung entfaltet, verlangt keine strengere Auslegung des Schriftformerfordernisses. Auch in einem handschriftlich unterschriebenen Fax kommt der ernsthafte Wille zur Anfechtung hinreichend zum Ausdruck. Auch mittels Fax ist, im Interesse über die Gültigkeit der Wahl schnell Klarheit zu erhalten, die Urheberschaft schnell und zweifelsfrei feststellbar, und erkennbar, ob der Einspruch willentlich in den Rechtsverkehr gelangte. Gerade der Beantwortung dieser Fragen dient das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift des Originals, das hier unstreitig vorliegt (a.A. ohne weitere Begründung Danzer/Höhlein/Stubenrauch, Wahlrecht RLP, Stand Feb. 2014 § 48 Rn. 7).

105

II.  Der Vortrag des Klägers ist jedoch nicht geeignet einen erheblichen Verstoß gegen Wahlvorschriften schlüssig darzulegen, eine Verletzung der Neutralitätspflicht des Oberbürgermeister ist in keinem der genannten Fälle anzunehmen (2.), bzw. es mangelt bereits offensichtlich an einer Mandatsrelevanz des geltend gemachten Wahlrechtsverstoßes (1.). Auch die Äußerung der Ministerpräsidentin kann einen Wahlfehler nicht begründen (3.). Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers als verspätet und damit nicht berücksichtigungsfähig zu werten.

106

Zu den einzelnen Rügen des Klägers ist folgendes auszuführen:

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1.  Der Vortrag des Klägers betreffend die Äußerungen des Oberbürgermeisters im Rahmen der Stimmauszählung bzw. der öffentlichen Bekanntmachung, wie auch der gerügte Verstoß gegen das Wahlgeheimnis, die gerügte Berichterstattung über seinen Ausschluss aus dem Stadtrat und die angebliche Nichtakzeptanz gerichtlicher Entscheidungen durch den Oberbürgermeister verfangen nicht, da es an der erforderlichen Mandatsrelevanz fehlt.

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Das Erfordernis der Mandatsrelevanz ergibt sich aus § 50 Abs. 3 Satz 1 KWG. Die Verletzung der wahlrechtlichen Normen an sich kann danach nicht zur Ungültigkeit der Wahl führen, wenn dadurch das Wahlergebnis und der dahinter stehende mehrheitliche Wille der Wahlberechtigten nicht verfälscht wurde. Der Wahlfehler muss geeignet gewesen sein, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen (Danzer/Höhlein/Stubenrauch, Wahlrecht Rheinland-Pfalz, Stand Februar 2014, § 50 Rn. 9). Ein Wahlfehler kann die Ungültigkeit der Wahl nur dann nach sich ziehen, wenn nach den gegebenen Umständen des einzelnen Falles eine nach der Lebenserfahrung konkrete und in greifbare Nähe gerückte Möglichkeit besteht, dass die Unregelmäßigkeit auf das Wahlergebnis und damit auf die Sitzverteilung wesentlich Einfluss genommen hat; der Wahlfehler muss nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, das Wahlergebnis zu beeinflussen (OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 1985 – 7 A 45/85 –, juris; OVG NWR, Urteil vom 22. Februar 1991 – 15 A 1518/90 –, Rn. 22 ff., juris).

109

a.  Die Einspruchsgründe des Klägers, die sich auf Äußerungen beziehen, die der Oberbürgermeister während der Stimmauszählung und im Rahmen der öffentlichen Bekanntmachung tätigte, waren, auch bei einem unterstellten Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, nicht in der Lage, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen. Eine Auswirkung auf die Freiheit der Wahl kann ausgeschlossen werden, da die kritisierte Äußerung nach der Stimmabgabe erfolgte und der Wählerwille zu diesem Zeitpunkt schon gebildet war.

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b.  Eine Mandatsrelevanz ist auch in Bezug auf die Fehler bei der Stimmauszählung, dem Verstoß gegen §§ 56, 57 KWO und damit gegen den Grundsatz der geheimen Wahl, auszuschließen.

111

Bei dem von dem Beklagten eingeräumten Verstoß gegen §§ 56 Abs. 4, 57 KWO handelt es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Wahlvorschriften und den sie verkörpernden Grundsatz der geheimen Wahl. Bezüglich der Ausführungen zum Verstoß, kann hier auf die Einlassung des Beklagten verwiesen werden.

112

Der Grundsatz der geheimen Wahl verlangt, dass die Stimmabgabe weder offen noch öffentlich erfolgen darf, vielmehr nur unter Sicherung der Geheimhaltung. Dieses Gebot ist die wichtigste institutionelle Sicherung der Wahlfreiheit. Dementsprechend muss zum einen sichergestellt werden, dass jeder Wähler unbeobachtet seine Stimme abgeben kann und dies auch tatsächlich macht, zum anderen darf das Wahlverhalten des einzelnen Wählers nach der Wahl nicht rekonstruiert werden können (BeckOK GG/Butzer in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 38 Rn. 76-78). Dem Schutz dieses Wahlrechtsgrundsatzes dienen die §§ 56, 57 KWO und § 34 KWG. Ein Verstoß gegen solche Wahlvorschriften, die der Konkretisierung der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Wahlrechtsgrundsätze dienen, ist stets als erheblich zu qualifizieren (OVG RP, Urteil vom 21. Januar 1986 – 7 A 62/85).

113

In den Vorgängen des Wahllokals in Heiligkreuz liegen verschiedene Verstöße gegen die genannten Vorschriften. Zunächst wurde gegen §§ 56 Abs. 4 KWO, es lagen mehr als 50 Wahlbriefe vor, i.V.m. § 57 KWO verstoßen, indem die Stimmzettel den Stimmzettelumschlägen vor 18 Uhr entnommen wurden. Des Weiteren wurde gegen § 57 KWO und § 34 KWG verstoßen, indem die Stimmzettel nicht in gefaltetem Zustand in die Wahlurne eingelegt wurden, sondern aufgefaltet gestapelt wurden. Eine Durchmischung der Stimmzettel durch Einlegung in die Wahlurne erfolgte ebenfalls nicht. Das Einlegen des gefalteten Stimmzettels in die Urne wie auch das Geschlossen-Halten des Stimmzettelumschlags bis zur Schließung des Wahllokals dient dem Schutz des Wahlgeheimnisses.

114

Dieser Fehler hatte jedoch keine wesentliche Auswirkung auf das Wahlergebnis. Das Gesetz verlangt zwar nicht einen tatsächlichen, sondern einen möglichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Wahlfehler und Wahlergebnis, jedoch muss zumindest nicht allein die theoretische sondern die konkrete Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses bestehen, woran es hier fehlt.

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Zwar besteht aufgrund der Öffnung des Stimmzettelumschlags die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Stimmabgabe durch unbefugte Dritte und damit des Publikmachens von Teilen des Wahlergebnisses, jedoch hat der Beklagte ausführlich dargestellt, welche Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Fehler, dass die Stimmzettelumschläge nicht in die Wahlurne gelegt wurden, und dass die Öffnung der Stimmzettelumschläge vor 18 Uhr erfolgte, auszugleichen. Eine Zurückweisung dieser Stimmen als ungültig sieht § 39 Abs. 1 KWG nicht vor.  Zunächst ergibt sich aus § 56 Abs. 1 KWO, wonach eine Öffnung des Stimmzettelumschlags in den dort beschriebenen Fällen erfolgen darf, dass allein aus dem Öffnen der Umschläge vor 18 Uhr nicht zwingend auf eine Verletzung des Wahlgeheimnisses gefolgert werden kann. Bei einer Anzahl von unter 50 Wahlbriefen wäre dieses Vorgehen zulässig. Ein Verstoß folgt jedoch hier zumindest dadurch, dass die Stimmzettel nicht, wie § 56 Abs. 1 KWO im Weiteren vorsieht, gefaltet in die Urne gelegt wurden. Allerdings wurden die Stimmzettel durch die nach der KWO zuständige Person geöffnet. Wahlschein und Stimmzettel wurden nicht zusammen aufbewahrt, so dass eine Stimmenzuordnung nicht möglich war. Des Weiteren wurden die Stimmzettel zwar aufgefaltet, jedoch mit der Schriftseite nach unten gestapelt und beaufsichtigt. Diese Maßnahmen beseitigen den Verstoß gegen die KWO zwar nicht, jedoch war nach diesen – unbestrittenen – Maßnahmen eine Zuordnung der Stimme zu bestimmten Wählern nicht mehr möglich. Des Weiteren wurde nicht dargelegt, dass durch die frühzeitige Öffnung und Sortierung das Ergebnis der Briefwahl verfälscht worden sei, oder dass gar anwesende Wähler durch diesen Umstand in ihrer Stimmabgabe beeinflusst worden seien. Auch bei unterstellter fehlerfreier Durchführung der Wahl, wäre das Ergebnis der Wahl im Wahllokal Heiligkreuz und damit die Stadtratswahl daher nicht anders ausgefallen.

116

c.  Betreffend das Informationsverhalten der Rathauszeitung über den  Ausschluss aus dem Stadtrat fehlt ebenfalls die Möglichkeit der Auswirkung auf das Wahlergebnis aufgrund des fehlenden Wahlbezugs. Der Ausschluss erfolgte am 22. September 2011, die Entscheidung des VG Trier zu der Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses erfolgte am 8. Mai 2012, des OVG Rheinland-Pfalz am 15. März 2013. Es ist davon auszugehen, dass eine entsprechende Berichterstattung, die der Kläger in seiner Einspruchsschrift zeitlich nicht näher eingegrenzt hat, im zeitlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Entscheidungen und damit zeitlich über ein Jahr vor der Stadtratswahl erfolgte. Ein Wahlbezug ist nicht erkennbar. Eine Pflicht über die Zulassung der Berufung zu berichten, besteht nicht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass eine Berichterstattung vom 14. April 2014 die Rechtskraft des Stadtratsausschlusses suggeriere, so stellt dies einen neuen Sachvortrag dar, der zum einen nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr berücksichtigt werden darf, und zum anderen nicht weiter substantiiert wurde.

117

d. Auch die gerügte Nichtakzeptanz gerichtlicher Entscheidungen enthält, bei objektiver verständiger Auslegung, keine Geringschätzung der Gerichte, sondern vertritt in legitimer Weise den Standpunkt, als unterlegene Partei die Ansicht des Gerichts nicht zu teilen. Damit gibt er als Unterlegener noch nicht zu erkennen, die Entscheidung des Gerichts nicht respektieren zu wollen. Zudem ist die Äußerung nicht geeignet gewesen das Wahlergebnis zu beeinflussen, da keinerlei Bezug zur Wahl oder einer Wahlempfehlung ausgesprochen wurde.

118

2.  Der Oberbürgermeister ist grundsätzlich in seiner Amtsführung zur Neutralität verpflichtet (a). Indem der Oberbürgermeister äußerte "Bis auf wenige Verrückte gab und gibt es in der Stadt keine Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern", hat dieser jedoch nicht gegen die ihm obliegende Neutralitätspflicht verstoßen (b.). Gleiches gilt für die Äußerung im Rahmen eines Empfangs in der genannten Einrichtung anlässlich einer NPD Demonstration im Umfeld der Einrichtung. Dass der Oberbürgermeister darüber hinaus in amtlicher Funktion zu einer Gegendemonstration aufgerufen hat, ist nicht erkennbar (c.). Auch die weiteren Äußerungen oder Verhaltensweisen des Oberbürgermeisters verletzen nicht das Neutralitätsgebot (d.). Im Übrigen ist das Vorbringen als verspätet im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung nicht zu berücksichtigen (e.).

119

a.  (1) Die landesverfassungsrechtlichen Grenzen regierungsamtlicher Äußerungen im Wahlkampf leiten sich unmittelbar aus dem Demokratieprinzip des Art. 74 Abs. 1 der Landesverfassung des Landes Rheinland-Pfalz – LV - ab (vgl. dazu bereits in Bezug auf Bundestagswahlen VerfGH RP, Urteil vom 23. Oktober 2006 – VGH O 17/05 –, AS 33, 367 [381]) sowie, – im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Kommunalwahlen – aus den dieses näher ausgestaltenden Wahlrechtsgrundsätzen der Wahlfreiheit und der Wahlgleichheit (Art. 50 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 LV) sowie dem den politischen Parteien zuerkannten verfassungsrechtlichen Status und ihrem daraus folgenden Recht auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 17 Abs. 1 LV) (VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 – VGH A 39/14 –, juris; Beschluss vom 4. April 2014 – VGH A 15/14, VGH A 17/14A 17/14 –, juris, Rn. 48 ff.).) her.

120

Für Kommunalwahlen ordnet in Übereinstimmung mit Art. 28 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz - GG - und Art. 50 Abs.1, 76 Abs. 1 LV, § 29 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz - GemO - an, dass der Gemeinderat von den Bürgern der Gemeinde in allgemeiner, gleicher, geheimer, unmittelbarer und freier Wahl gewählt wird. Nach dem Grundsatz der freien Wahl muss der Wähler in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite zu seiner Wahlentscheidung finden können. Nach dem sich hieraus ergebenden Neutralitätsgebot ist es staatlichen und gemeindlichen Organen untersagt, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 5.96 - mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; VG Trier, Urteil vom 22. September 1997 – 1 K 981/97.TR - ). Zum Wesen eines demokratischen Staates gehört es, dass die Staatsorgane in diesem Meinungskampf nicht Partei ergreifen und nicht Position beziehen, sondern dies den politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen überlassen (BayVGH, Beschluss vom 13. Februar 1991 – 4 CE 91.404 -  Rn. 43, juris). Hieraus folgt, dass Gemeinden und ihren Organen, der Bürgermeister ist gemäß § 28 Abs. 1 GemO das zweite Gemeindeorgan, eine umfassende Neutralitätspflicht hinsichtlich aller Arten von Wahlen und Abstimmungen obliegt.

121

(2) Allgemein gilt für staatliche Äußerungen, dass die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften als inhaltliche Einwirkungen auf die politische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips aus Art. 74 Abs. 1 LV grundsätzlich unbedenklich sind (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 4. April 2014 – VGH A 15/14, VGH A 17/14A 17/14 –, juris, Rn. 52). Allerdings sind amtliche Äußerungen dem Gebot parteipolitischer Neutralität verpflichtet und können in Vorwahlzeiten noch weitergehender Zurückhaltung unterliegen (VerfGH RP, Urteil vom 23. Oktober 2006 – VGH O 17/05 –, AS 33, 376 [381]). Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ist stets erforderlich, dass es sich innerhalb des dem jeweiligen Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches hält (vgl. BVerfG, Urteil vom 02. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125, Rn. 68, juris). Die besondere staatliche Neutralitätspflicht in der Vorwahlzeit und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit gelten auch für kommunale Organe (zur Neutralitätspflicht des Bürgermeisters BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323, Rn. 17, juris; BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 19. März 2014 – 2 BvQ 9/14 –, Rn. 11 f, juris).

122

(3) Der genaue Verlauf der Grenzen zwischen gerechtfertigten und unzulässigen staatlichen Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes richtet sich dabei jeweils im Einzelfall nach dem formalen oder inhaltlichen Charakter der Einwirkung, nach ihrer Intensität sowie der zeitlichen und räumlichen Nähe zum eigentlichen Wahlakt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 4. April 2014 – VGH A 15/14, VGH A 17/14A 17/14 –, juris, Rn. 51).

123

Den staatlichen Organen ist eine im Verhältnis zur zeitlichen Nähe des Wahltermins graduell ansteigende Zurückhaltungspflicht auferlegt. In Vorwahlzeiten unterliegen staatliche Einwirkungen auf die Willensbildung des Volkes dem Gebot äußerster Zurückhaltung (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 23. Oktober 2006 – VGH O 17/05 –, AS 33, 376 [383]; BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125 [151 ff.]). Eine ihren Anspruch auf die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann deshalb für eine Partei von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 4/13 –, juris, Rn. 8). Die Inhaber entsprechender staatlicher Ämter dürfen deshalb in amtlicher Eigenschaft keine Wahlempfehlung aussprechen (VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [213]), und zwar grundsätzlich weder positiver noch negativer Art.

124

(4) Einschränkend gilt das Neutralitätsgebot jedoch nur für amtliche Äußerungen. Die Inhaber staatlicher aber auch kommunaler Ämter dürfen sich als Bürger wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger aktiv am Wahlkampf beteiligen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207, 213; vgl. in Bezug auf Bundestagswahlen VerfGH RP, Urteil vom 23. Oktober 2006 – VGH O 17/05 –; in Bezug auf eine Äußerung der Ministerpräsidentin im Rahmen der Kommunalwahl VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 – VGH A 39/14 –, juris). Insoweit dürfen sie nicht nur als Wähler an der Wahl teilnehmen, sondern im Wahlkampf als Bürger von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 Abs. 1 LV Gebrauch machen (vgl. entspr. in Bezug auf Bürgermeister bereits VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [213]). Wie jeder andere Bürger dürfen sie sich insbesondere mit Auftritten, Anzeigen oder Wahlaufrufen aktiv am Wahlkampf beteiligen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323 [326]; Beschluss vom 30. März 1992 – 7 B 29/92 –; Beschluss vom 19. April 2001 – 8 B 33/01 –). Zwischen einem Staatsorgan und der dieses – vorübergehend – verkörpernden Person, die auch Grundrechtsträger ist, ist zu unterscheiden.

125

Ihr persönliches, individuelles Recht zur aktiven Teilnahme am Wahlkampf umfasst daher auch und gerade das Recht, für die Wahl der "eigenen" oder gegen die Wahl einer konkurrierenden Partei einzutreten. Zulässig sind daher solche Äußerungen eines Amtsinhabers, die dieser als politisch engagierter Bürger tätigt, welcher zugleich ein öffentliches Amt innehat, das er aber nicht zu verleugnen braucht (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1973 – VII B 27.73 –, juris, Rn. 3).

126

Die Abgrenzung ist anhand einer Würdigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Maßgeblich sind dabei zunächst die äußeren Umstände. Insoweit ist auf formale Kriterien abzustellen. Danach ist eine Äußerung amtlich, wenn sie ausdrücklich in amtlicher Eigenschaft erfolgt, etwa im Falle eines an "unsere Bevölkerung" gerichteten Wahlaufrufs, der z.B. mit den Worten "Wir Bürgermeister" beginnt (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323). Des Weiteren spricht es für den amtlichen Charakter einer Äußerung eines Amtsträgers, wenn sie unter Ausnutzung von Möglichkeiten erfolgt, die ausschließlich dem Amtsinhaber zur Verfügung stehen. Das gilt insbesondere für Verlautbarungen unter Einsatz öffentlicher Sach- oder Finanzmittel (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125). Für eine amtliche Äußerung kann zudem der äußere, organisatorische Rahmen sprechen. Insbesondere deutet es auf eine offizielle Verlautbarung hin, wenn diese in amtlichen Publikationen erfolgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1973 – VII B 27.73 –, Wahlempfehlung in "Amtlichen Mitteilungen"). Bei einer Wahlanzeige im nichtamtlichen Teil eines Amtsblatts wird dem Neutralitätsgebot nur genüge getan, wenn die Anzeige hinreichend erkennen lässt, dass sie nicht von der das Amtsblatt herausgebenden Gemeindeverwaltung stammt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [214]).

127

Die Grenze zulässiger Meinungsäußerung wird dann überschritten, wenn der Inhaber eines entsprechenden Amtes, das ihm aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit zufallende Gewicht, und die ihm kraft seines Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten, in einer Weise nutzt, die mit seiner der Allgemeinheit verpflichteten Aufgabe unvereinbar ist (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [213]; BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323 [326 f.]). Kann eine Äußerung unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe aus der Perspektive eines mündigen, verständigen Wählers (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 4. April 2014 – VGH A 15/14, VGH A 17/14A 17/14 –, juris, Rn. 69 m.w.N.) hingegen nicht eindeutig als amtlich identifiziert werden, so ist – aufgrund der Bedeutung der Meinungsfreiheit aus Art. 10 LV – im Zweifel davon auszugehen, dass es sich um eine private Äußerung gehandelt hat (vgl. zu diesen Grundsätzen VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 – VGH A 39/14 –, Rn. 20 ff., juris)

128

(5) Die sich aus dem Neutralitätsgebot ergebenden Auswirkungen sind für das Handeln von Staatsorganen – und wie hier kommunalen Verwaltungsorganen wie dem Oberbürgermeister – unter Berücksichtigung seiner Stellung gesondert zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, juris). Die Maßstäbe die für Äußerungen des Bundespräsidenten oder Mitglieder der Bundesregierung gelten sind daher nicht übertragbar.

129

(a) Zur Stellung des Bundespräsidenten hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der Bundespräsident Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen repräsentiert und die Einheit des Staates verkörpern soll (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 91 ff.). Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 27). Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 29), und er damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. insgesamt BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, Rn. 35 ff., juris; BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 – 2 BvE 4/13, juris).

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(b) Die Bundesregierung nimmt dagegen staatsleitende Funktionen wahr, die auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit beinhalten. Ihr ist es dabei von Verfassungs wegen versagt, parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einzuwirken. Auch der einzelne Bundesminister hat bei der Ausübung seines Amtes entsprechend seiner Bindung an Gesetz und Recht das Neutralitätsgebot zu beachten. Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Daher ist sie zur Beachtung des Neutralitätsgebotes verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 02. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125). Nimmt der jeweilige Bundesminister hingegen keine amtlichen Funktionen wahr, ist er an der Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht gehindert (BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, Rn. 38 ff., juris). Im Parteienstaat des Grundgesetzes entspricht es der Ratio von Art. 21 GG, dass die Inhaber eines Regierungsamtes einer Partei angehören und in dieser auch Führungsverantwortung wahrnehmen. Die bloße Übernahme des Regierungsamtes soll insoweit gerade nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22 f.).

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(c) Diese Grundsätze sind auf den Bürgermeister nicht ohne weiteres übertragbar, sondern der Maßstab ist anhand seiner Aufgaben und politischen Stellung zu bemessen. Der Bürgermeister ist gemäß § 28 Abs. 1 GemO neben dem Gemeinderat das zweite Gemeindeorgan, leitet gemäß § 47 Abs. 1 GemO die Gemeindeverwaltung und vertritt die Gemeinde nach außen. Ihm kommt über die Regelungen der Gemeindeordnung hinaus auch eine Repräsentationsfunktion zu (Lange, Kommunalrecht, S. 544 f.). Des Weiteren ist er nach § 36 Abs. 1 GemO der Vorsitzende des Gemeinderates. Dem Bürgermeister kommt jedoch dabei kein allgemein politisches Mandat zu. Den Gemeinden sind alle Angelegenheiten zur Regelung zugewiesen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln und auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und Wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83, 1626/83 -; BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 - 4 C 18.91 -, BVerwGE 92, 56). Nur in diesem Rahmen darf sich folglich auch die Tätigkeit und Äußerungskompetenz des Bürgermeisters bewegen.

132

Auch wenn danach dem Bürgermeister keine staatsleitende, verfassungsrechtliche Stellung zukommt, sondern ihm nach der Gemeindeordnung primär örtliche Verwaltungsaufgaben obliegen, so ist seine Stellung in der Gemeinde mit der Regierungsarbeit vergleichbar. Auf gemeindlicher Ebene wird er durch die Direktwahl unmittelbar demokratisch legitimiert, und informiert im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit die Bürger. Aus § 9 GemODVO ergibt sich, dass er in Form des Amtsblattes, herausgegeben durch die Gemeindeverwaltung, auch über Mittel der Öffentlichkeitsarbeit verfügt. Nach § 47 Abs.1 GemO nimmt er zudem gewisse Kompetenzen, u.a. die laufende Verwaltung, als eigene, nicht übertragene Kompetenzen wahr. Anders als im Fall der Mitglieder der Bundesregierung, ist es nicht gesetzlich angelegt, dass der  Bürgermeister von einer Partei getragen wird, mit der Folge, dass das Recht auf Chancengleichheit der den Politiker tragenden Partei im politischen Wettbewerb, anders als bei Regierungsmitgliedern (BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, Rn. 52, juris) die Äußerungsbefugnis nicht erweitert. Ihm ist dennoch zuzugestehen, als Privatperson am politischen Wettbewerb teilzunehmen.

133

Aus dieser Stellung als Spitze der kommunalen Verwaltung, der Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit unter Verwendung öffentlicher Mittel, ergibt sich auch für den Bürgermeister die Pflicht zur Neutralität bei amtlichen Handlungen und Äußerungen, verbunden mit dem Erfordernis des örtlichen Bezugs seiner Aufgabenwahrnehmung.

134

Unter Anwendung dieser Grundsätze und Maßstäbe ist der Vortrag des Klägers nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot durch den Oberbürgermeister zu begründen.

135

b.  Bezeichnung als "Verrückte"

136

Die Frage, ob der Oberbürgermeister die angegriffene Äußerung, die Bezeichnung der NPD als "Verrückte" in amtlicher oder in privater Funktion getätigt hat, kann im Ergebnis dahin stehen, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung zugestanden hat, dass der Oberbürgermeister selbst den Bezug zwischen "Verrückte" und der NPD nicht hergestellt hat, sondern dies dem Trierischen Volksfreund zugeschrieben werden müsse. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht scheidet damit mangels nachweislicher Diffamierung der NPD aus.

137

c.  Einladung zu einer Anti-NPD Demonstration

138

Des Weiteren greift auch der Vortrag, dass der Oberbürgermeister zu der Gegendemonstration in amtlicher Funktion eingeladen habe, nicht durch. Der Kläger stützt sich für diesen Vorwurf allein auf den in der Rathauszeitung am 20. Mai 2014 auf Seite 5 erschienenen Artikel. Ein verständiger Leser dieses Artikels kann jedoch erkennen, dass der Artikel zu Anfang eine Berichterstattung über die Gegendemonstration enthält, wie im Untertitel des Artikels erwähnt, und im Anschluss entsprechend dem Titel des Artikels, über den gemeinsamen Besuch des Oberbürgermeisters mit den dort aufgeführten Personen berichtet wird. Dieses Treffen innerhalb der Einrichtung ist von der Gegendemonstration von 60 Bürgern zu trennen. Nur diese Veranstaltung geht laut Artikel auf eine angebliche Einladung des Bürgermeisters zurück. Eine Einladung zu einer Gegendemonstration hat es damit auch nach dem Artikel der Rathauszeitung nicht gegeben.

139

Vor diesem Hintergrund scheint auch die Stellungnahme des Oberbürgermeisters, der eine Einladung zu der Gegendemonstration bestreitet, nachvollziehbar, und wird durch den Umstand, dass es sich bei der Aufnahmeeinrichtung nicht um eine städtische Einrichtung handelt, gestützt. Allenfalls ist davon auszugehen, dass der Oberbürgermeister gegenüber den anderen Amtsträgern anlässlich der Gegendemonstration, angeregt hat, den Flüchtlingen freundschaftlich gegenüber zu treten. Ein solches Vorgehen hält sich im Rahmen der beschriebenen Repräsentationsfunktion des Oberbürgermeisters, die auch in Vorwahlzeiten nicht ruhen muss. Der Oberbürgermeister widmete sich im Rahmen des gemeinsamen Besuchs mit anderen Amtsträgern einer kommunalen Angelegenheit, der Aufnahme von Flüchtlingen in der Aufnahmeeinrichtung im Ortsteil Euren, die im Februar neu eingerichtet wurde und in Trier ein die Öffentlichkeit berührendes und interessierendes Thema darstellt. Es gehört zu seinen örtlichen Aufgaben durch öffentliche Auftritte und Ansprachen, die Bewältigung von Konflikten zu erleichtern oder in Krisen Besorgnisse der Bürgerinnen und Bürger aufzunehmen und ihnen durch Aufklärung zur Seite zu stehen. Ein Bürgermeister tritt dabei als Repräsentant der Stadt auf und widmet sich örtlichen Problemen und Fragestellungen. Diese Aufgabe hat der Oberbürgermeister durch den beschriebenen Auftritt erfüllt.

140

In Bezug auf die im Rahmen des Empfangs getätigte Äußerung, dass er bedaure, dass es einige wenige Menschen gebe, die nicht wollten, dass Ausländer zu uns kommen, spricht für eine amtliche Äußerung des Oberbürgermeisters der äußere Rahmen, wie auch die Stellungnahme des Beklagten in dem angegriffenen Bescheid. Der Oberbürgermeister habe die Demonstration der NPD zum Anlass genommen als Repräsentant der Stadt die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Er ist damit in amtlicher Eigenschaft aufgetreten.

141

Aus der Äußerung kann jedoch keine Verletzung des Neutralitätsgebots gefolgert werden. Nach dem beschriebenen Maßstab der Neutralitätspflicht eines Bürgermeisters ist die von dem Kläger angegriffene Äußerung des Oberbürgermeisters nicht zu beanstanden. Er hat sich im Rahmen seiner Repräsentationsfunktion gehalten und nicht ausdrücklich nur gegen die NPD einseitig und gezielt Partei ergriffen. Auch der erforderliche örtliche Bezug steht außer Frage. Der Oberbürgermeister wendet sich gegen Äußerungen der NPD, die sich auf die im städtischen Gebiet befindliche Aufnahmeeinrichtung beziehen. Er wollte einer Beeinträchtigung des örtlichen Friedens in dem Stadtgebiet entgegenwirken, und den negativen Wirkungen auf die Asylsuchenden begegnen. Die Aufnahme von Asylsuchenden und die öffentliche Auseinandersetzung mit diesem Thema stellt eine gemeindliche Angelegenheit dar, da sich in Trier eine der ersten Aufnahmeeinrichtungen des Landes Rheinland-Pfalz befindet. Zu der überspitzten Kritik gerade durch die NPD an dieser Einrichtung und ihren Bewohnern durfte er angemessen, aber auch deutlich, die städtische Position vertreten.

142

Auch aus dem angeführten Artikel in der Rathauszeitung über die Veranstaltungen am 17. Mai 2014 in und vor der Aufnahmeeinrichtung kann ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht durch das Amtsblatt "Rathauszeitung" nicht hergeleitet werden.

143

Der Artikel, mit dem Titel "Besuch bei Freunden" in der Rathauszeitung vom 20. Mai 2014 wurde in der Rathauszeitung, dem offiziellen Amtsblatt der Stadt Trier, auf Seite 5 veröffentlicht. Diese Ausgabe der Rathauszeitung wurde als eine Art Wahlausgabe veröffentlicht und enthielt auf Seite 2 unter der Rubrik "Meinung der Fraktionen" den Aufruf "Wer nicht wählt, wählt rechts. Am 25. Mai demokratisch wählen".

144

Mit diesem Artikel wurde das Amtsblatt nicht in unzulässiger Weise für Wahlkampfzwecke missbraucht. Der Artikel enthält weder implizit die Aussage, die NPD nicht wählen zu sollen, noch eine anders geartete Wahlanzeige. Eine andere Bewertung folgt auch nicht in Zusammenschau mit der Meinung der Fraktionen in der gleichen Auflage, da ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Artikel und der Seite 2 nicht erkennbar ist. Vielmehr beinhaltet der Artikel eine zulässige nachrichtliche, objektive Berichterstattung über den 17. Mai 2014, und informiert den Leser im Anschluss allgemein über die sogenannte AfA.

145

Auch aus der Stellung des Artikels auf Seite 5, vor den amtlichen Bekanntmachungen auf Seite 6 folgt keine Verletzung der Neutralitätspflicht. Problematisch an dem Artikel, bzw. dem Aufbau der Rathauszeitung insgesamt ist, dass sie den Vorgaben des § 9 GemODVO und den GemO-VV nicht genügt. Sie trennt nicht zwischen amtlichem und nicht-amtlichem Teil der Zeitung, sondern mischt beide Teile. Sie stellt folglich den amtlichen Teil dem nicht-amtlichen nicht voran, wie dies § 9 Abs. 3 GemODVO verlangt. Nach eigenen Angaben der Stadt erfolgt die Unterscheidung zwischen amtlichem und nicht-amtlichem Teil, jedoch durch eine entsprechende Überschrift mit "amtliche Bekanntmachung", die in der Regel auf Seite 6 erscheinen, und nicht durch eine Trennung im Aufbau der Zeitung. Dies genügt § 9 GemODVO allerdings nicht.

146

Des Weiteren sollen nach Punkt 7.2 zu § 27 der GemO-VV kurze Nachrichten aus dem Gemeindeleben nur sachliche Berichte enthalten, dagegen keine Kommentare und Meinungsäußerungen. Die Verantwortlichkeit für nichtamtliche Beiträge müsse erkennbar sein. Der Aufmachung des Artikels ist jedoch zu entnehmen, dass es sich um eine zulässige Nachricht aus dem Gemeindeleben handelt, die auch nicht gegen das Neutralitätsgebot verstößt. Der Artikel hält sich im Rahmen einer objektiven Berichterstattung über die Gegendemonstration und den Empfang in der Afa und stellt keine eigene Meinungsäußerung dar. Er gibt lediglich die Äußerung des Oberbürgermeisters wieder. Allein aus einem Verstoß gegen § 9 GemODVO folgt keine Verletzung des Neutralitätsgebots.

147

Bei der Auslegung dieser Bestimmungen im Hinblick auf wahlrechtliche Konsequenzen ist zudem zu berücksichtigen, dass diese Regelungen - insbesondere auch diejenigen über die Grundsätze zur Neutralität der Nachrichten im nichtamtlichen Teil - darauf abzielen, die normalen Presseorgane vor einer unangemessenen Konkurrenz durch staatliche (gemeindliche) Tätigkeit zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1968 – I ZR 113/66 –, BGHZ 51, 236-250), indem sie dafür Sorge tragen, dass diese Blätter keinen redaktionellen Teil haben, der normalen Presseerzeugnissen ähnelt. Das Amtsblatt soll keine Plattform im öffentlichen Meinungskampf sein.

148

d.  Auch das weitere Vorbringen kann einen Verstoß gegen Wahlvorschriften nicht begründen.

149

Betreffend den Artikel "Keine Immobilienblase in Sicht" vom 29. April 2014 ist ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Amtsblattes ebenfalls zu verneinen. Der Artikel hält sich im Rahmen der allgemeinen und zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Stadt, und gibt lediglich die Einschätzung des Amtes für Stadtentwicklung wieder. Allein aus dem Umstand, dass andere Personen zu einer anderen Einschätzung kommen, ist der Artikel nicht verpflichtet, alle Aspekte aufzugreifen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Gegenstand des Artikels war der Bericht über die Einschätzung des Amts für Stadtentwicklung und nicht ein allgemeiner Artikel über die Berechtigung der Annahme einer Immobilienblase in Trier.

150

Der behauptete Druck des Oberbürgermeisters auf die lokale Presse beschränkt sich auf bloße Behauptungen und wurde nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Aus dem Rückgang der Berichterstattung durch den TV als unabhängiges Presseorgan, kann zum einen nicht auf eine entsprechende Einwirkung des Oberbürgermeisters geschlossen werden, zum anderen liegt die Berichterstattung im alleinigen Verantwortungsbereich des TV.

151

Auch die Störaktionen am 24. Mai 2014 durch den Verein "für ein buntes Trier  - gemeinsam gegen Rechts e.V." begründen keinen Verstoß des Oberbürgermeisters gegen die Neutralitätspflicht. Auch dem Oberbürgermeister steht das Recht zu, sich als Privatperson politisch zu engagieren. Herr Jensen ist erkennbar als Privatperson Vorsitzender des Vereins und muss sich daher die Aktionen des Vereins nicht als amtliche zurechnen lassen.

152

e.  Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers verspätet, da es sich nicht um lediglich den bereits eingelegten Einspruch ergänzendes, sondern neues Vorbringen handelt.

153

Der Kläger hat mit Schreiben vom 25. Juli 2014, eingegangen am 28. Juli 2014, vorgetragen, dass die sich generell auf Seite 2 der Rathauszeitung befindliche "Meinung der Fraktionen" und bestimmte Werbeanzeigen der SPD in der Rathauszeitung einen Wahlrechtsverstoß begründen würden.

154

Bei dem genannten Vorbringen handelt es sich nicht um lediglich die bisherigen Einspruchsgründe ergänzendes oder erläuterndes Vorbringen, sondern um einen neuen Tatsachenvortrag, der nicht innerhalb der Einspruchsfrist gemäß § 48 Satz 1 KWG bis zum 1. Juli 2014, 14 Tage seit der amtlichen Bekanntmachung am 17. Juni 2014, erfolgte. Bei dieser Frist handelt es sich um eine strikte Ausschlussfrist; eine Wiedereinsetzung scheidet damit von vornherein aus.

155

Bisher stützte sich das Vorbringen des Klägers im Rahmen der Einspruchsbegründung auf die Verletzung der Neutralitätspflicht durch den Oberbürgermeister durch verschiedene Äußerungen und Handlungen, sowie Mängel der Stimmauszählung. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht durch Inhalte des Amtsblatts wurde nur im Zusammenhang mit Berichten über Auftritte des Oberbürgermeisters in der Asylbewerberunterkunft, sowie bezogen auf bestimmte Artikel, Immobilienblase und Ausschluss aus dem Stadtrat, vorgetragen. Ein genereller Verstoß des Amtsblattes gegen die Neutralitätspflicht durch seinen nicht § 9 GemODVO entsprechenden Aufbau, der "Meinungen der Fraktionen" auf Seite 2 und SPD-Werbeanzeigen erläutert nicht das bisherige Vorbringen, sondern enthält einen neuen Tatsachenvortrag.

156

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Dreimonatsfrist des § 49 Abs. 2 KWG berufen. Zwar prüft die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion von Amts wegen bei Vorliegen von Zweifeln die Einhaltung von Wahlvorschriften, jedoch kann sich der Einzelne nicht darauf berufen, dass die ADD den verspäteten Verstoß hätte prüfen müssen, bzw. ihr dieser Verstoß bekannt war. Ansonsten würde sich die Einspruchsfrist, die gerade aufgrund des Charakters als Ausschlussfrist streng einzuhalten ist, faktisch auf drei Monate verlängern.

157

3.  Auch die Äußerungen der Ministerpräsidentin stellen nach den dargelegten Grundsätzen zur Zulässigkeit amtlicher Äußerungen und der Abgrenzung amtlicher nicht-amtlicher Äußerungen eine zulässige Meinungsäußerung dar. Der Beklagte hat hier zutreffend ausgeführt, dass die Ministerpräsidentin nicht in ihrer amtlichen Eigenschaft, sondern als Privatperson an einer Wahlkampfveranstaltung teilgenommen hat. Ihre Äußerung unterfällt damit als nicht-amtlich nicht der strengen Neutralitätspflicht.

158

Die Klage ist daher mit der sich aus §§ 154 Abs. 1, 3, 162 Abs. 3 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen selbst aufzuerlegen, da sie keinen Antrag gestellt, und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist.

159

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

160

Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben (§§ 124, 124a VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Gesetz über das Kreditwesen


Kreditwesengesetz - KWG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 126 Schriftform


(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. (2) Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnun

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 21


(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffent

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 76


(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. (2) Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bundesrat ist berechtigt, innerha

Kreditwesengesetz - KredWG | § 39 Bezeichnungen "Bank" und "Bankier"


(1) Die Bezeichnung "Bank", "Bankier" oder eine Bezeichnung, in der das Wort "Bank" oder "Bankier" enthalten ist, dürfen, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, in der Firma, als Zusatz zur Firma, zur Bezeichnung des Geschäftszwecks oder zu

Kreditwesengesetz - KredWG | § 49 Sofortige Vollziehbarkeit


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen der Bundesanstalt einschließlich der Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln auf der Grundlage des § 2c Absatz 1b Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4, des § 3 Absatz 4, des § 6 Absatz 1b

Kreditwesengesetz - KredWG | § 51 Umlage und Kosten


(1) Die Kosten des Bundesaufsichtsamtes sind, soweit sie nicht durch Gebühren oder durch besondere Erstattung nach Absatz 3 gedeckt sind, dem Bund von den Instituten zu 90 vom Hundert zu erstatten. Die Kosten werden anteilig auf die einzelnen Institu

Kreditwesengesetz - KredWG | § 48 Maßnahmen bei Verstößen gegen die Verordnung (EU) 2017/2402


(1) Verstößt ein Originator, Sponsor, ursprünglicher Kreditgeber oder eine Verbriefungszweckgesellschaft gegen die Anforderungen der Artikel 6, 7, 9, 18 bis 26, 26b bis 26e oder 27 Absatz 1 oder Absatz 4 der Verordnung (EU) 2017/2402, kann die Aufsic

Kreditwesengesetz - KredWG | § 34 Stellvertretung und Fortführung bei Todesfall


(1) § 45 der Gewerbeordnung findet auf Institute keine Anwendung. (2) Nach dem Tode des Inhabers der Erlaubnis darf ein Institut durch zwei Stellvertreter ohne Erlaubnis für die Erben bis zur Dauer eines Jahres fortgeführt werden. Die Stellvertre

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 50


Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.

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Bundesverfassungsgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - 2 BvE 2/14

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Gründe A. 1 Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Antrag

Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 19. März 2014 - 2 BvQ 9/14

bei uns veröffentlicht am 19.03.2014

Gründe 1 Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen der Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken im Vorfeld der Europa- und

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(1) § 45 der Gewerbeordnung findet auf Institute keine Anwendung.

(2) Nach dem Tode des Inhabers der Erlaubnis darf ein Institut durch zwei Stellvertreter ohne Erlaubnis für die Erben bis zur Dauer eines Jahres fortgeführt werden. Die Stellvertreter sind unverzüglich nach dem Todesfall zu bestimmen; sie gelten als Geschäftsleiter. Ist ein Stellvertreter nicht zuverlässig oder hat er nicht die erforderliche fachliche Eignung, kann die Aufsichtsbehörde die Fortführung der Geschäfte untersagen. Sie kann die Frist nach Satz 1 aus besonderen Gründen verlängern. Für Finanzdienstleistungsinstitute, die nicht befugt sind, sich bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren von Kunden zu verschaffen, genügt ein Stellvertreter.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen der Bundesanstalt einschließlich der Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln auf der Grundlage des § 2c Absatz 1b Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4, des § 3 Absatz 4, des § 6 Absatz 1b, der §§ 6a, 6c und 8a Absatz 3 bis 5, des § 10 Absatz 3, 3a und 4, des § 12a Absatz 2, des § 13c Absatz 3 Satz 4, des § 25b Absatz 4a des § 25c Absatz 4c, des § 28 Absatz 1, des § 35 Absatz 2 Nummer 2 bis 6 und Absatz 2a Satz 1, der §§ 36, 37 und 44 Absatz 1, auch in Verbindung mit § 44b, Absatz 2 und 3a Satz 1, des § 44a Absatz 2 Satz 1, der §§ 44c, 45 und 45a Absatz 1, des § 45b Absatz 1, der §§ 45c, 46, 46a, 46b, 48u Absatz 1 und 7, des § 53b Absatz 12, der §§ 53l, 53n Absatz 1 sowie der §§ 53p und 53q Absatz 2 haben keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen und Entscheidungen der Bundesanstalt auf der Grundlage des Artikels 6 Absatz 4, des Artikels 8 Absatz 1 und des Artikels 63 der Verordnung (EU) 2019/1238 sowie gegen die Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln gegen diese Maßnahmen und Entscheidungen haben keine aufschiebende Wirkung.

(1) Die Kosten des Bundesaufsichtsamtes sind, soweit sie nicht durch Gebühren oder durch besondere Erstattung nach Absatz 3 gedeckt sind, dem Bund von den Instituten zu 90 vom Hundert zu erstatten. Die Kosten werden anteilig auf die einzelnen Institute nach Maßgabe ihres Geschäftsumfanges umgelegt und vom Bundesaufsichtsamt nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes beigetrieben. Die in der Umlage-Verordnung Kredit- und Finanzdienstleistungswesen vom 8. März 1999 (BGBl. I S. 314) enthaltenen Regelungen gelten für die Zeit vom 12. März 1999 bis zum 30. Dezember 2000 in der am 12. März 1999 geltenden Fassung mit Gesetzeskraft. Für die Zeit vom 31. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2001 gelten die in der Umlage-Verordnung Kredit- und Finanzdienstleistungswesen enthaltenen Regelungen in der am 31. Dezember 2000 geltenden Fassung mit Gesetzeskraft. Für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. April 2002 gelten die in der Umlage-Verordnung Kredit- und Finanzdienstleistungswesen enthaltenen Regelungen in der am 1. Januar 2002 geltenden Fassung mit Gesetzeskraft. Zu den Kosten gehören auch die Erstattungsbeträge, die nicht beigetrieben werden konnten, sowie die Fehlbeträge aus der Umlage des vorhergehenden Jahres, für das Kosten zu erstatten sind; ausgenommen sind die Erstattungs- oder Fehlbeträge, über die noch nicht unanfechtbar oder rechtskräftig entschieden ist. Das Nähere über die Erhebung der Umlage, insbesondere über den Verteilungsschlüssel und -stichtag, die Mindestveranlagung, das Umlageverfahren einschließlich eines geeigneten Schätzverfahrens, die Zahlungsfristen und die Höhe der Säumniszuschläge, sowie über die Beitreibung bestimmt das Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung; die Rechtsverordnung kann auch Regelungen über die vorläufige Festsetzung des Umlagebetrags vorsehen. Es kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf das Bundesaufsichtsamt übertragen.

(2) (weggefallen)

(3) (weggefallen)

(4) Absatz 1 Satz 3 bis 5 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3416) ist für die Zeit vom 12. März 1999 bis zum 30. April 2002 auf die angefallenen Kosten des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen anzuwenden. Im Übrigen sind die Absätze 1 bis 3 für den Zeitraum bis zum 30. April 2002 in der bis zum 30. April 2002 geltenden Fassung auf die angefallenen Kosten des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen anzuwenden.

(1) Verstößt ein Originator, Sponsor, ursprünglicher Kreditgeber oder eine Verbriefungszweckgesellschaft gegen die Anforderungen der Artikel 6, 7, 9, 18 bis 26, 26b bis 26e oder 27 Absatz 1 oder Absatz 4 der Verordnung (EU) 2017/2402, kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass die den Verstoß begründenden Handlungen oder Verhaltensweisen dauerhaft eingestellt werden, sowie verlangen, dass deren Wiederholung verhindert wird.

(2) Wird eine Verbriefung als STS-Verbriefung im Sinne des Artikels 18 der Verordnung (EU) 2017/2402 bezeichnet und hat ein Originator, ein Sponsor oder eine Verbriefungszweckgesellschaft gegen eine der Anforderungen der Artikel 19 bis 26 oder der Artikel 26b bis 26e dieser Verordnung verstoßen oder macht ein Originator oder Sponsor eine irreführende Meldung nach Artikel 27 Absatz 1 dieser Verordnung, kann die Aufsichtsbehörde vorübergehend verbieten, dass Originator und Sponsor gemäß Artikel 27 Absatz 1 dieser Verordnung melden, dass ihre Verbriefungen die Anforderungen der Artikel 19 bis 22, der Artikel 23 bis 26 oder der Artikel 26b bis 26e dieser Verordnung erfüllen.

(3) Verletzt ein gemäß Artikel 28 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/2402 zugelassener Dritter seine Pflicht gemäß Artikel 28 Absatz 2 dieser Verordnung, kann die Bundesanstalt ihm vorübergehend untersagen, gemäß Artikel 28 Absatz 1 dieser Verordnung zu bewerten, ob Verbriefungen die in den Artikeln 19 bis 26 oder den Artikeln 26b bis 26e dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfüllen.

(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.

(2) Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet.

(3) Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(4) Die schriftliche Form wird durch die notarielle Beurkundung ersetzt.

(1) § 45 der Gewerbeordnung findet auf Institute keine Anwendung.

(2) Nach dem Tode des Inhabers der Erlaubnis darf ein Institut durch zwei Stellvertreter ohne Erlaubnis für die Erben bis zur Dauer eines Jahres fortgeführt werden. Die Stellvertreter sind unverzüglich nach dem Todesfall zu bestimmen; sie gelten als Geschäftsleiter. Ist ein Stellvertreter nicht zuverlässig oder hat er nicht die erforderliche fachliche Eignung, kann die Aufsichtsbehörde die Fortführung der Geschäfte untersagen. Sie kann die Frist nach Satz 1 aus besonderen Gründen verlängern. Für Finanzdienstleistungsinstitute, die nicht befugt sind, sich bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren von Kunden zu verschaffen, genügt ein Stellvertreter.

(1) Die Bezeichnung "Bank", "Bankier" oder eine Bezeichnung, in der das Wort "Bank" oder "Bankier" enthalten ist, dürfen, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, in der Firma, als Zusatz zur Firma, zur Bezeichnung des Geschäftszwecks oder zu Werbezwecken nur führen

1.
Kreditinstitute, die eine Erlaubnis nach § 32 besitzen, oder Zweigniederlassungen von Unternehmen nach § 53b Abs. 1 Satz 1 und 2 oder Abs. 7;
2.
andere Unternehmen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes eine solche Bezeichnung nach den bisherigen Vorschriften befugt geführt haben.

(2) Die Bezeichnung "Volksbank" oder eine Bezeichnung, in der das Wort "Volksbank" enthalten ist, dürfen nur Kreditinstitute neu aufnehmen, die in der Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft betrieben werden und einem Prüfungsverband angehören.

(3) Die Bundesanstalt kann bei Erteilung der Erlaubnis bestimmen, daß die in Absatz 1 genannten Bezeichnungen nicht geführt werden dürfen, wenn Art oder Umfang der Geschäfte des Kreditinstituts nach der Verkehrsanschauung die Führung einer solchen Bezeichnung nicht rechtfertigen.

Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.

(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.

(2) Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen zu diesen Vorlagen Stellung zu nehmen. Verlangt er aus wichtigem Grunde, insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang einer Vorlage, eine Fristverlängerung, so beträgt die Frist neun Wochen. Die Bundesregierung kann eine Vorlage, die sie bei der Zuleitung an den Bundesrat ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, nach drei Wochen oder, wenn der Bundesrat ein Verlangen nach Satz 3 geäußert hat, nach sechs Wochen dem Bundestag zuleiten, auch wenn die Stellungnahme des Bundesrates noch nicht bei ihr eingegangen ist; sie hat die Stellungnahme des Bundesrates unverzüglich nach Eingang dem Bundestag nachzureichen. Bei Vorlagen zur Änderung dieses Grundgesetzes und zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Artikel 23 oder Artikel 24 beträgt die Frist zur Stellungnahme neun Wochen; Satz 4 findet keine Anwendung.

(3) Vorlagen des Bundesrates sind dem Bundestag durch die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen zuzuleiten. Sie soll hierbei ihre Auffassung darlegen. Verlangt sie aus wichtigem Grunde, insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang einer Vorlage, eine Fristverlängerung, so beträgt die Frist neun Wochen. Wenn der Bundesrat eine Vorlage ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, beträgt die Frist drei Wochen oder, wenn die Bundesregierung ein Verlangen nach Satz 3 geäußert hat, sechs Wochen. Bei Vorlagen zur Änderung dieses Grundgesetzes und zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Artikel 23 oder Artikel 24 beträgt die Frist neun Wochen; Satz 4 findet keine Anwendung. Der Bundestag hat über die Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluß zu fassen.

Gründe

1

Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen der Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen 2014 in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit politischer Parteien verletzt.

I.

2

1. Die Antragstellerin will als politische Partei zur Europawahl am 25. Mai 2014 und zu den am selben Tag stattfindenden Kommunalwahlen in Saarbrücken antreten. Ihr wurde von der Landeshauptstadt Saarbrücken zur Durchführung einer Parteiveranstaltung am 18. Januar 2014 zunächst die Nutzung der Festhalle Saarbrücken-Schafbrücke erlaubt, der Zulassungsbescheid jedoch noch vor der Veranstaltung mit der Begründung widerrufen, die Antragstellerin habe nicht offengelegt, dass es sich bei der Parteiveranstaltung um ihren Bundesparteitag handele. Außerdem kam es in der Öffentlichkeit zu Protesten gegen den geplanten Bundesparteitag der Antragstellerin.

3

2. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die Landeshauptstadt Saarbrücken auf ihrer Internetseite eine Presseerklärung mit der Überschrift "OB Britz und Rechtsdezernent Thomas Brück fordern Verbot der NPD - Oberbürgermeisterin Charlotte Britz und Thomas Brück, Dezernent für Umwelt, Migration und Recht, haben nach dem geglückten Verhindern des NPD-Bundesparteitages in Saarbrücken ein Verbot der NPD gefordert." und folgendem Wortlaut:

"Wir hatten in diesem konkreten Fall die rechtliche Möglichkeit, den Mietvertrag mit der NPD für die Halle in Schafbrücke zu widerrufen, da uns die Partei hinsichtlich der geplanten Veranstaltung arglistig täuschen wollte", erklärten Charlotte Britz und Thomas Brück. Damit sei zwar für diesen Einzelfall ein juristischer Weg gefunden worden, die NPD-Veranstaltung zu verhindern, das generelle Problem bleibe jedoch weiterhin bestehen. Britz und Brück: "Die NPD ist keine verbotene Partei. Ihr stehen daher die gleichen Rechte wie demokratischen Parteien zu - auch was die Nutzung öffentlicher Hallen betrifft." Der Bundesparteitag werde nun voraussichtlich in einer anderen Stadt stattfinden, das Problem werde verlagert. "Der Missstand, dass die NPD in diesem demokratischen Land ihre Veranstaltungen durchführen darf, bleibt bestehen. Wir brauchen daher endlich ein Verbot der NPD", erklärten Britz und Brück. Unabhängig davon sei die Landeshauptstadt aber erleichtert, dass der Bundesparteitag der NPD nicht in Saarbrücken stattfinden werde. "Wir wollen in Saarbrücken keine Nazis. Wir sind eine weltoffene Stadt, die eine lebendige Willkommenskultur pflegt und in der Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben", sagten Britz und Brück.

4

3. Die Antragstellerin ersuchte hiergegen erfolglos um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes bewerteten die Presseerklärung als sachliche Äußerung ohne erkennbaren Wahlbezug. Die Presseerklärung behandele eine kommunale Angelegenheit. Auch die Äußerung zum Verbot der Antragstellerin sei auf das konkret geschilderte kommunale Problem bezogen und daher von der Verbandskompetenz der Gemeinde gedeckt.

5

4. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung will die Antragstellerin erreichen, dass die Landeshauptstadt Saarbrücken es unterlässt, öffentlich ein Verbot der Antragstellerin zu fordern. Sie sieht sich durch die Äußerungen der Oberbürgermeisterin in ihrem Recht auf Chancengleichheit politischer Parteien in der Vorwahlzeit verletzt (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Insbesondere habe die Oberbürgermeisterin nicht die Kompetenz, ein Parteiverbot zu fordern, da es sich hierbei um eine allgemeinpolitische Angelegenheit handele. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und regierungsamtlicher Warnungen, die auch auf kommunale Organe übertragbar seien, erforderten für die Äußerungen der Oberbürgermeisterin zudem eine gesonderte Rechtsgrundlage, an der es hier fehle.

6

5. Die Landeshauptstadt Saarbrücken ist der Ansicht, die Pressemitteilung sei als spezifisch ortsbezogene Erklärung von ihrem kommunalpolitischen Mandat gedeckt (Art. 117 Abs. 2 und 3 der Saarländischen Landesverfassung, § 1 und § 5 Abs. 1 und 2 KSVG). Es sei keine weitere gesetzliche Ermächtigung erforderlich. Die Landeshauptstadt und ihre Organe hätten zudem weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart allgemeinpolitische Erklärungen zu Wählergruppen und Parteien einschließlich ihrer Programme abgegeben und damit in den Europa- und Kommunalwahlkampf eingegriffen. Das werde auch in Zukunft so sein. Außerdem habe sie die Presserklärung mittlerweile von ihrer Internetseite entfernt. Eine Erforderlichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Abwehr schwerer Nachteile sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

7

6. Die Presseerklärung wurde von der Landeshauptstadt Saarbrücken zunächst nur von der Seite der aktuellen Meldungen und nicht aus der Rubrik Pressearchiv entfernt. Nachdem die Antragstellerin hierauf aufmerksam gemacht hatte, entfernte die Landeshauptstadt Saarbrücken die Presseerklärung am 13. März 2014 vollständig von ihrer Internetseite. Die Antragstellerin hält die Ausführungen der Landeshauptstadt Saarbrücken vor diesem Hintergrund für unglaubwürdig und gibt an, ihren Zugangsanspruch zu kommunalen Einrichtungen im laufenden Wahlkampf verstärkt einfordern und notfalls gerichtlich durchsetzen zu wollen. In diesem Zusammenhang bestehe die Gefahr einer erneuten Forderung nach einem Verbot der Antragstellerin durch die Landeshauptstadt Saarbrücken.

II.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 108, 238 <245 f.>; stRspr).

10

2. Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier nicht vor. Es ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, dass durch künftige Äußerungen der Landeshauptstadt Saarbrücken und ihrer Organe der Antragstellerin ein schwerer Nachteil, geschweige denn dem gemeinen Wohl ein Schaden droht.

11

Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG) wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>). Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ist stets erforderlich, dass es sich innerhalb des dem jeweiligen Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches hält (vgl. BVerfGE 44, 125 <149>). Die besondere staatliche Neutralitätspflicht in der Vorwahlzeit und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit gelten auch für kommunale Organe (BVerwGE 104, 323 <326 f.>).

12

Die Gemeinden sind im Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) befugt, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Verbandskompetenz der Gemeinden beschränkt sich damit auf diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127 <151>).

13

Aufgrund der Stellungnahme der Landeshauptstadt Saarbrücken ist davon auszugehen, dass sie sich ihrer Neutralitätspflicht sowie der Grenzen ihres kommunalpolitischen Mandats bewusst ist. Dass die Landeshauptstadt Saarbrücken die Pressemitteilung vollständig von ihrer Internetseite entfernt hat, spricht dafür, dass sie die besondere Gefährdungslage der Parteien in der Vorwahlzeit berücksichtigt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Landeshauptstadt Saarbrücken, wie von der Antragstellerin befürchtet, bis zum Wahltag am 25. Mai 2014 sich in einer Weise äußern wird, die dem nicht Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 7, 8). Die Absicht der Antragstellerin, ihr Zulassungsrecht zu kommunalen Einrichtungen erneut einzufordern, ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, eine Wiederholungsgefahr zu begründen (vgl. BVerfGE 110, 77 <90 f.>).

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Landtagswahl 2014 in Thüringen, durch die sich die an dieser Wahl teilnehmende Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt sieht.

I.

2

Am 23. Juni 2014 nahm die Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises in Weimar teil. Verantwortlich für die Durchführung dieser Veranstaltung war der Freistaat Thüringen.

3

Daneben stand sie an diesem Tag der Thüringischen Landeszeitung für ein Interview zur Verfügung, das am 25. Juni 2014 erschien. Gegenstand des Interviews war die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Ausgestaltung des in der Zuständigkeit der Antragsgegnerin liegenden Demokratieprogramms des Bundes, die Abschaffung der Extremismusklausel, die Frauenquote auf Führungsebene, die Anbringung der Regenbogenflagge am Ministerium und das Elterngeld. Außerdem wurde die Antragsgegnerin im Rahmen des Interviews auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag und sich daraus ergebende Konsequenzen angesprochen. Auf die Frage, wie mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene umzugehen sei, antwortete die Antragsgegnerin:

"Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."

4

Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf das Ministeramt als auch auf die Parteizugehörigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen.

II.

5

1. Die Antragstellerin sieht sich durch die Erklärung, ihr Einzug in den Thüringer Landtag müsse verhindert werden und die Antragsgegnerin werde im Wahlkampf mithelfen, dieses Ziel zu erreichen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt und trägt zur Begründung ihres hierauf gerichteten Feststellungsantrags vor:

6

a) Die Antragsgegnerin habe die angegriffene Äußerung in ihrer amtlichen Eigenschaft getätigt. Dass sie an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises als Bundesfamilienministerin teilgenommen habe, ergebe sich bereits aus der Presseerklärung ihres Ministeriums vom 23. Juni 2014. Daher seien auch ihre Äußerungen im Rahmen des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung als Äußerungen der Bundesfamilienministerin und nicht als private Äußerungen der Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende anzusehen.

7

Kontext und Inhalt des Interviews unterstrichen, dass die Antragsgegnerin sich in ihrer amtlichen Eigenschaft geäußert habe. Das gesamte Interview stelle sich als Statement der Bundesfamilienministerin dar, die über die Arbeit ihres Hauses berichte. Ihre Funktion als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende werde in dem gesamten Interview an keiner Stelle erwähnt.

8

b) Damit verstoße die angegriffene Äußerung gegen die aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit folgende Pflicht staatlicher Organe zur Neutralität im Wahlkampf.

9

Zwar dürfe die Regierung auch im Wahlkampf die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge unterrichten und Warnungen aussprechen. Dies gelte auch für die Warnung vor tatsächlichen oder vermeintlichen verfassungswidrigen Bestrebungen. Diese zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive dürfe aber nicht zu unzulässiger Wahlwerbung führen. Sie habe sich daher im Rahmen des dem einzelnen Organ zugewiesenen Aufgabenbereichs zu halten und sachbezogen, informierend und parteineutral zu sein.

10

Demgegenüber habe die Antragsgegnerin außerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gehandelt, da Fragen des präventiven Verfassungsschutzes dem Geschäftsbereich des Innenministeriums zugeordnet seien. Auch sei nicht ersichtlich, welche Zuständigkeitsnorm die Antragsgegnerin ermächtigen solle, sich zur thüringischen Landespolitik zu äußern. Mit der Aufforderung, den Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, habe die Antragsgegnerin ganz gezielt in den laufenden Wahlkampf eingegriffen und dadurch das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt.

11

2. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil ihre Äußerungen keine rechtserheblichen Maßnahmen darstellten, die allein Gegenstand eines Organstreits sein könnten. Darüber hinaus fehle es an der rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin, deren Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen, unangetastet geblieben sei.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

14

aa) Staatlichen Organen sei es zwar in amtlicher Funktion verwehrt, Parteien zu unterstützen oder diese zu bekämpfen. Handelten sie jedoch nicht in amtlicher Funktion, stehe es ihnen frei, wie jeder andere Bürger aktiv am Wahlkampf mitzuwirken und ihre Meinung frei zu äußern.

15

Die Antragsgegnerin habe sich vorliegend nicht in amtlicher Funktion betätigt. Die beanstandeten Sätze habe sie als stellvertretende Vorsitzende der SPD und nicht als Bundesministerin geäußert. Sie seien in einem Interview am Rande einer Preisverleihung gefallen, die vom Ministerium der Antragsgegnerin weder organisiert oder veranstaltet noch finanziell unterstützt worden sei. Interviews seien keine Maßnahmen, die ausschließlich Amtsinhabern zur Verfügung stünden. Öffentliche Mittel seien dafür nicht erforderlich. Die angekündigte Mithilfe der Antragsgegnerin im Thüringer Wahlkampf könne sich nur auf parteipolitische Aktivitäten beziehen, da die Antragsgegnerin in Thüringen keine Ämter innehabe. Die Verwendung der "Ich"-Form in den beanstandeten Äußerungen sei ein eindeutiger Beleg, dass die Antragsgegnerin sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen. Dies bestätige auch die Schilderung ihrer Erfahrungen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, die sich ausschließlich auf parteipolitische Tätigkeiten bezögen. Die Erwähnung des Amtes der Antragsgegnerin im Interview sei demgegenüber unschädlich.

16

bb) Die beanstandeten Äußerungen verstießen auch nicht gegen das Neutralitätsgebot. Im gesamten Interview finde sich keine Passage, die auch nur annähernd als Aufforderung verstanden werden könne, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Schon gar nicht sei den angegriffenen Sätzen eine "Warnung" zu entnehmen, sondern lediglich ein Aufruf zur Beteiligung an der Wahl. Die Antragsgegnerin identifiziere sich mit der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, sich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, und sei als Bundesministerin auch verpflichtet, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Diese aus dem Prinzip der wehrhaften Demokratie entspringende Verpflichtung könne zur Folge haben, dass gegenüber Parteien, die extremistischen Bestrebungen anhingen, eine neutrale Position gerade nicht eingenommen werden könne, sofern das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit gewahrt bleibe.

17

3. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2014 abgelehnt.

18

Daraufhin hat die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Antragsgegnerin gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe, indem sie behauptet habe, die Antragstellerin wolle ihr "Molotow-Cocktail-Image" ablegen, sie komme nicht mehr mit "Springerstiefeln und Glatze" daher, sondern im feinen "Nadelstreifenanzug" und hinter ihrem sozialen Engagement stecke die "Ideologie von Hitler". Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss die Behauptung der Antragsgegnerin aufgreife, sie habe persönliche Erlebnisse aus ihrer Zeit im Landtag Mecklenburg-Vorpommern wiedergegeben und daraus die Möglichkeit einer Qualifizierung der streitgegenständlichen Interview-Passage als private Äußerung ableite, sei zu beachten, dass sie diese Erkenntnisse in amtlicher Eigenschaft als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern und nicht als Privatperson gewonnen habe.

19

4. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der kein Gebrauch gemacht wurde.

20

5. In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

21

Der Antrag ist zulässig.

22

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme der gemäß § 63 BVerfGG parteifähigen Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 44, 125 <137>; 121, 30 <57> m.w.N.).

23

Die Antragstellerin behauptet, die Antragsgegnerin habe die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zu ihren Lasten unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Sie wendet sich nur gegen die in ihrem Antrag wörtlich zitierten Passagen des Interviews der Antragsgegnerin, die die Ankündigung ihrer Beteiligung am Thüringer Wahlkampf und die Erklärung, primäres Ziel müsse es sein, den Einzug der Antragstellerin in den Landtag zu verhindern, zum Gegenstand haben. Im vorliegenden Verfahren ist daher allein darüber zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin durch diese im Antrag ausdrücklich bezeichnete Aussage die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Denn im Organstreitverfahren wird der Streitgegenstand durch die im Antrag genannte Maßnahme oder Unterlassung und durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die die Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll (§ 64 Abs. 2 BVerfGG). An diese Begrenzung des Streitstoffes ist das Bundesverfassungsgericht gebunden (vgl. BVerfGE 68, 1 <63> m.w.N.).

24

Die angegriffene Aussage der Antragsgegnerin stellt eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.). Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin dadurch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 19). Dass die Antragstellerin dadurch nicht gehindert war, an der Landtagswahl in Thüringen teilzunehmen, vermag hieran nichts zu ändern.

C.

25

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG).

I.

26

Der durch Art. 21 GG den Parteien zuerkannte verfassungsrechtliche Status gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (1.). Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien (2.). Die sich aus diesem Neutralitätsgebot ergebenden Auswirkungen für das Handeln von Staatsorganen und der Maßstab verfassungsgerichtlicher Kontrolle seiner Beachtung sind für jedes Staatsorgan unter Berücksichtigung seiner Stellung im Verfassungsgefüge gesondert zu bestimmen; daher sind die für Äußerungen des Bundespräsidenten geltenden Maßstäbe auf die Bundesregierung nicht übertragbar (3.). Mitglieder der Bundesregierung haben bei Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen die Pflicht zu strikter Neutralität (4.). Das Neutralitätsgebot gilt, soweit die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amtes oder der damit verbundenen Ressourcen erfolgt (5.). Geltung und Beachtung des Neutralitätsgebots unterliegen bei Äußerungen von Bundesministern uneingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle (6.).

27

1. a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 20, 56 <97>; 44, 125 <139>).

28

b) Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs Neue grundsätzlich die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offengehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>).

29

c) Dieser Prozess freier und offener Meinungs- und Willensbildung setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>). Der hervorragenden Bedeutung, die in diesem Prozess den politischen Parteien zukommt, hat das Grundgesetz dadurch Ausdruck verliehen, dass es ihnen in Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt hat. Er gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren (BVerfGE 44, 125 <139>).

30

d) Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungssatz von der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss (vgl. BVerfGE 24, 300 <340 f.>; 44, 125 <146>). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>).

31

2. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 25). Eine solche Einwirkung verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>).

32

a) Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken unablässig auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand der Meinungsbildung des Volkes; Meinungen aus dem Volk, sehr häufig vorgeformt und gestaltet vor allem in den politischen Parteien, aber auch zum Beispiel über Verbände und über Massenmedien, wirken auf die Willensbildung in den Staatsorganen ein (BVerfGE 44, 125 <139 f.>).

33

So sehr von dem Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten (vgl. BVerfGE 44, 125 <143 f.>).

34

b) Diese Neutralitätspflicht staatlicher Organe besteht gegenüber allen Parteien, wenn nicht deren Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 133, 100 <107>).

35

3. Die Konsequenzen, die sich für das Handeln eines Staatsorgans aus der Pflicht zur Beachtung des Rechts politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb ergeben, und die Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Beachtung des Neutralitätsgebots sind für jedes Staatsorgan gesondert unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen. Daher sind die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und deren Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gelten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris), auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist.

36

Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 91 ff.). Wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 22). Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition entspricht es zwar, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu den Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für seine Amtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 23).

37

Das gilt auch für öffentliche Äußerungen. Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 27). Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert. Namentlich sind Äußerungen des Bundespräsidenten nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 28). Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 29). Abgesehen davon können Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014, - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 30).

38

4. Öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung sind vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie ihrer verfassungsrechtlichen Stellung eigenständig zu beurteilen. Die Bundesregierung nimmt staatsleitende Funktionen wahr, die auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit beinhalten (a). Ungeachtet der tatsächlichen Rückwirkungen ihres Handelns auf die Willensbildung des Volkes ist es ihr dabei von Verfassungs wegen versagt, parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einzuwirken (b). Auch der einzelne Bundesminister hat bei der Ausübung seines Amtes entsprechend seiner Bindung an Gesetz und Recht das Neutralitätsgebot zu beachten (c). Nimmt er hingegen keine amtlichen Funktionen wahr, ist er an der Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht gehindert (d).

39

a) Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 9, 268 <282>). Gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung (vgl. BVerfGE 11, 77 <85>; 26, 338 <395 f.>; 105, 252 <270>; 105, 279 <301>). Zwar vermitteln die einzeln in der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder (vgl. insbesondere Art. 23 Abs. 2, 3, 5, 6; Art. 24 Abs. 1a; Art. 26 Abs. 2; Art. 32 Abs. 3; Art. 37; Art. 42 Abs. 1; Art. 43; Art. 52 Abs. 2; Art. 53; Art. 53a Abs. 2; Art. 65; Art. 76; Art. 77 Abs. 2; Art. 80; Art. 80a Abs. 3; Art. 81; Art. 84 Abs. 2 bis 5; Art. 85 Abs. 2 bis 4; Art. 86; Art. 87a Abs. 4; Art. 87b Abs. 2; Art. 91 Abs. 2; Art. 104b Abs. 3; Art. 108 Abs. 7; Art. 109 Abs. 4; Art. 111; Art. 113; Art. 114; Art. 115a Abs. 1; Art. 115d Abs. 2; Art. 115f; Art. 115i Abs. 2; Art. 129 Abs. 1; Art. 130 Abs. 1; Art. 132 Abs. 4 GG) nur einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im Sinne einer - abschließender Regelung nicht zugänglichen - verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik (vgl. BVerfGE 105, 279 <301>) jedoch stillschweigend voraus (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>).

40

Diese Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>). Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125 <147 f.>; 63, 230 <243>; 105, 252 <269>; 105, 279 <301 f.>).

41

b) Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben ist die Bundesregierung an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG).

42

aa) Schon deshalb ist ihr jede Äußerung untersagt, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu qualifizieren wäre.

43

bb) Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten.

44

Das Regierungshandeln beeinflusst die Meinungsbildung des Volkes in erheblichem Umfang und entfaltet Rückwirkungen auf dessen Wahlentscheidungen. Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus. Die Bundesregierung wird bei ihrem Handeln ebenso wie die sie tragenden Fraktionen und Abgeordneten im Parlament und die Opposition immer auch die Wählerinnen und Wähler im Blick haben. Dies ist Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen.

45

Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr allerdings nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Daher ist sie zur Beachtung des Neutralitätsgebotes verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 <141 ff.>).

46

Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet somit dort, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerfGE 63, 230 <243>). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass unter Einsatz öffentlicher Mittel Regierungsparteien unterstützt und Oppositionsparteien bekämpft werden (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>; 63, 230 <243 f.>).

47

cc) Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat die Bundesregierung sich mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>; 133, 100 <107 f.>). Sie werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>).

48

Jenseits der Frage einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Bundesregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 100 <108>; früher bereits BVerfGE 40, 287 <293>). Diese Maßgaben gelten auch für die öffentliche Erörterung, ob gegen eine Partei ein Verbotsverfahren eingeleitet wird. Staatliche Stellen sind nicht gehindert, das Für und Wider dieser schwerwiegenden Maßnahme mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht (BVerfGE 133, 100<108>).

49

c) Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung als Ganzes zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet. Auch dem einzelnen Bundesminister ist es im Rahmen seiner Regierungstätigkeit von Verfassungs wegen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen.

50

d) Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Inhaber eines Ministeramtes außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnimmt und in den Wahlkampf eingreift (vgl. BVerfGE 44, 125 <141>; VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22).

51

aa) Im Parteienstaat des Grundgesetzes entspricht es der Ratio von Art. 21 GG, dass die Inhaber eines Regierungsamtes einer Partei angehören und in dieser auch Führungsverantwortung wahrnehmen. Die bloße Übernahme des Regierungsamtes soll insoweit gerade nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22 f.).

52

bb) Würde die Übernahme eines Regierungsamtes dazu führen, dass der Amtsinhaber durch die Bindung an das Neutralitätsgebot gehindert wäre, am politischen Wettbewerb teilzunehmen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der die Regierung tragenden Parteien führen. Parteien, die als Sieger aus einer Wahlauseinandersetzung hervorgegangen sind, würden durch die fehlende Möglichkeit, auf die Mitarbeit der mit Regierungsämtern betrauten Parteimitglieder zurückzugreifen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beschränkt. Mit der parteienstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes, wie sie in Art. 21 GG Ausdruck gefunden hat, ist dies nicht zu vereinbaren.

53

5. Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen.

54

a) Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass beim Handeln des Inhabers eines Ministeramtes eine strikte Trennung der Sphären des "Bundesministers", des "Parteipolitikers" und der politisch handelnden "Privatperson" nicht möglich ist (vgl. zum Mandat des Abgeordneten: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvR 2436/10, 2 BvE 62 BvE 6/08 -, juris, Rn. 98; anders noch BVerfGE 44, 125 <141>). Auch aus Sicht der Bürger wird der Inhaber eines Regierungsamtes regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen (vgl. BVerfGE 44, 125 <187>, abweichende Meinung).

55

b) aa) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird. Ist dies der Fall, unterliegt das Regierungsmitglied der Bindung an das Neutralitätsgebot. Ansonsten ist seine Äußerung dem allgemeinen politischen Wettbewerb zuzurechnen.

56

bb) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25).

57

(1) Ein spezifischer Rückgriff auf die mit seinem Regierungsamt verbundene Autorität liegt regelmäßig vor, wenn ein Bundesminister bei einer Äußerung ausdrücklich auf sein Ministeramt Bezug nimmt oder die Äußerung ausschließlich Maßnahmen oder Vorhaben des von ihm geführten Ministeriums zum Gegenstand hat. Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25) erklärt. Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 44, 125 <143>). Schließlich findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn ein Bundesminister sich im Rahmen einer Veranstaltung äußert, die von der Bundesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Bundesministers an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt.

58

(2) Demgegenüber ist eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Regierungsmitglied im parteipolitischen Kontext agiert. Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Personen primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden.

59

(3) Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses (Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews) bedürfen differenzierter Betrachtung. Der Inhaber eines Regierungsamtes kann hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein. Häufig dienen derartige Veranstaltungen - insbesondere bei der Beteiligung einer Mehrzahl von Personen - dem themenbezogenen Austausch politischer Argumente und Positionen und sind daher vorrangig dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Dass dabei die Amtsbezeichnung verwendet wird, ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Auch insoweit kommt es letztlich für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt. Dies kann im Rahmen derselben Veranstaltung bei einer Mehrzahl von Aussagen in unterschiedlicher Weise der Fall sein.

60

(4) Zeitungsinterviews stehen nicht nur Inhabern von Regierungsämtern, sondern auch Angehörigen der sie tragenden politischen Parteien und der Opposition offen. Die Auswahl der Interviewpartner liegt in der journalistischen Verantwortung des jeweiligen Presseorgans. Dass dabei Inhabern von Regierungsämtern besonderes Interesse zuteil wird, gehört zu den Gegebenheiten des politischen Wettbewerbs, die im Prozess einer freiheitlichen Demokratie hinzunehmen sind (vgl. zur Hinnahme weiterer tatsächlicher Unterschiede BVerfGE 8, 51 <67>; 14, 121 <134>; 52, 63 <89>; 78, 350 <358>; 85, 264 <297>).

61

Der Inhaber eines Regierungsamtes ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen eines Interviews auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken, da auch dies mit dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr ist er auch insoweit zur Teilnahme am politischen Meinungskampf befugt. Nimmt er aber für eine Aussage in einem Interview die mit seinem Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch, ist er an das Neutralitätsgebot gebunden.

62

6. Die Geltung und Beachtung des aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung und ihre Mitglieder sind durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar.

63

Auch wenn die Bundesregierung als solche am Wettbewerb zwischen den politischen Parteien nicht teilnimmt, wirkt das Regierungshandeln - wie dargestellt (siehe oben Rn. 43 ff.) - in erheblichem Umfang auf die Willensbildung des Volkes ein. Die Mitglieder der Bundesregierung sind regelmäßig in den politischen Meinungskampf einbezogen. Die Bundesregierung selbst verfügt aufgrund ihrer Ressourcen und Machtbefugnisse über die Möglichkeit, durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle. Angesichts der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und dem sich daraus ergebenden Risiko für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum.

II.

64

Nach diesen Maßstäben ist die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie war zwar objektiv geeignet, zulasten der Antragstellerin inden Landtagswahlkampf in Thüringen einzuwirken (1). Sie verletzt das Recht der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG aber nicht (2).

65

1. Die angegriffene Erklärung der Antragsgegnerin beinhaltet einen gegen die Antragstellerin gerichteten Wahlaufruf. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin beschränkt sie sich keineswegs auf eine allgemein gehaltene Aufforderung zur Wahlteilnahme, ohne dass sie als Aufruf verstanden werden könnte, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Im Gegenteil: Mit der Aussage, primäres Ziel bei der Wahl im September müsse es sein, den Einzug der ausdrücklich benannten Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, fordert die Antragsgegnerin zu deren Nichtwahl auf.

66

Die beanstandete Äußerung beschränkt sich auch nicht auf eine Information über von der Antragsgegnerin vertretene Positionen oder Strategien oder deren Bewertung als verfassungsfeindlich. Die Frage der internen Zuständigkeitsverteilung bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Bundesregierung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, kann daher dahinstehen. Die beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin reicht über die Wahrnehmung dieser Aufgabe hinaus, indem sie eine konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten bei der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 2014 enthält, das Ziel einer Verhinderung des Einzugs der Antragstellerin in den Landtag vorgibt und das Engagement der Antragsgegnerin zur Erreichung dieses Ziels ankündigt. Insoweit handelt es sich um ein parteiergreifendes Einwirken zulasten der Antragstellerin in den Landtagswahlkampf in Thüringen.

67

2. Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin hat dennoch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzt.

68

a) Eine mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare, diffamierende Äußerung, die in anderen Zusammenhängen als Schmähkritik im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu bewerten wäre, liegt nicht vor. In der mit der Organklage allein angegriffenen Äußerung (siehe oben Rn. 23) fordert die Antragsgegnerin in sachlich gehaltener Form zur Nichtwahl der Antragstellerin bei der Landtagswahl in Thüringen auf und erklärt, dass sie beabsichtigt, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen.

69

b) Die angegriffene Äußerung ist dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Denn die Antragsgegnerin hat bezogen auf diese Äußerung im Rahmen ihres Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung nicht in spezifischer Weise auf die mit ihrem Regierungsamt verbundene Autorität zurückgegriffen und war daher auch nicht an die Beachtung des aus dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit folgenden Neutralitätsgebots gebunden.

70

aa) Dass die Antragsgegnerin die beanstandete Äußerung unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität oder Ressourcen ihres Amtes gemacht hat, lässt sich den äußeren Umständen, unter denen das Interview mit der Thüringischen Landeszeitung geführt wurde, nicht entnehmen.

71

(1) Insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin in Wahrnehmung ihres Amtes als Bundesministerin an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises am 23. Juni 2014 in Weimar teilgenommen hat. Die Eröffnung der Tagung und das Interview der Antragsgegnerin mit der Thüringischen Landeszeitung stellen zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen sind. Der bloße örtliche und zeitliche Zusammenhang führt nicht dazu, dass das Handeln in amtlicher Funktion bei der Veranstaltung des Freistaats Thüringen auf das am Rande geführte Interview ausstrahlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Presseerklärung des von der Antragsgegnerin geführten Ministeriums, da diese ausschließlich die Teilnahme der Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz zum Gegenstand hat.

72

(2) Auch die übrigen äußeren Umstände führen zu keinem anderen Ergebnis. Weder hat die Antragsgegnerin bei der Führung des Interviews auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen noch ist ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die der Antragsgegnerin aufgrund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Die Anwesenheit der Antragsgegnerin in Weimar und der dadurch verursachte Aufwand waren durch die in Wahrnehmung ihres Regierungsamtes stattfindende Teilnahme an der Veranstaltung des Freistaates Thüringen veranlasst. Dass für die Führung des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung zusätzliche Sach- oder Finanzmittel aufgewandt wurden, ist weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich.

73

bb) Dem Interview selbst kann im Ergebnis ebenfalls nicht entnommen werden, dass die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität ihres Amtes erfolgte.

74

(1) Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf deren Amt als Bundesministerin als auch auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen. Daraus kann entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht geschlossen werden, dass das Interview als einheitliches Statement der Bundesfamilienministerin anzusehen ist.

75

(2) Das Interview hat zwar weitgehend die Regierungstätigkeit der Antragsgegnerin und Projekte des von ihr geführten Ministeriums zum Gegenstand. Ihre Aussagen zum Demokratieprogramm des Bundes, zur Abschaffung der Extremismusklausel, zum Anbringen der Regenbogenflagge und zum Elterngeld sind ausschließlich auf ihr Ministeramt bezogen. Hiervon ist aber der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich mit dem möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag sowie daraus sich ergebender Konsequenzen befasst und die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin enthält. Diese Aussagen sind nicht mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt, so dass die Antragsgegnerin insoweit auch nicht zur Neutralität verpflichtet war.

76

(a) Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang überhaupt in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung angesprochen worden ist. Die Frage, deren Beantwortung zu der streitbefangenen Äußerung der Antragsgegnerin führte, bezieht sich auf den Umgang mit Anträgen der Antragstellerin in Landesparlamenten und Kommunalvertretungen. Sie betrifft damit ein Problem der politischen Strategie dort vertretener Parteien und nicht die Wahrnehmung von Regierungsaufgaben.

77

(b) Entsprechend hat die Antragsgegnerin geantwortet. Zwar ist die Einlassung der Antragsgegnerin, die Verwendung der "Ich"-Form in der beanstandeten Äußerung sei ein eindeutiger Beleg dafür, dass sie sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen, nicht überzeugend, da sie weder in denjenigen Passagen des Interviews, die ihr Handeln als Bundesministerin betreffen, auf die Verwendung dieser Form verzichtet hat noch ihre Funktion als stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD überhaupt an irgendeiner Stelle des Zeitungsartikels Erwähnung findet.

78

Die Antragsgegnerin nimmt aber bei der Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene ebenso wie in der gesamten Passage des Interviews, die sich auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag bezieht, in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität Bezug. Stattdessen verweist sie auf ihre Erfahrung im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und damit auf persönliche Kenntnisse, die sie gerade nicht aufgrund ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung gewonnen hat. Dass sie diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern erlangt hat, ändert hieran nichts. Ein Rückgriff auf die Autorität ihres Regierungsamtes findet insoweit nicht statt. Die Aussage der Antragsgegnerin stellt einen Beitrag zur parteipolitischen Auseinandersetzung dar. Hiergegen muss die Antragstellerin sich mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen.

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen des Antragsgegners im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt.

I.

2

1. Im August 2013 nahm der Antragsgegner an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto "22.09.2013 - Deine Stimme zählt!" stehenden Veranstaltung wies der Antragsgegner unter anderem auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging der Antragsgegner auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern der Antragstellerin gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen:

"Frage: Hallo, mein Name ist (…). Ich wohne zur Zeit in Hellersdorf, dort sind auch sehr viele NPD-Plakate, einige davon sind auch abgerissen und ich wollte fragen, ob Sie, wenn Sie jetzt gerade nicht in der Stellung wären, in der Sie sind, hätten Sie da auch mitgemacht oder ist ihnen da die Meinungsfreiheit - hat die da ein größeres Gewicht für Sie?

Antragsgegner: Nein, beim Plakateabreißen hätte ich nicht mitgemacht. Und wissen Sie auch, wir haben so viele Möglichkeiten, uns gegen Rechtsradikale zu verteidigen, und Gott sei Dank funktioniert das. Ich meine, wir haben gerade auch in Hellersdorf gesehen - ich habe mich selber da auch informiert, bin selber auch mal hingefahren, jedenfalls in die Gemeinde dort -, was passiert da nicht alles, um den Asylbewerbern zu zeigen, also ihr seid hier nicht in einem Niemandsland. Bei uns gibt es Leute, die haben eine politische Ansicht, die die Mehrheit der Deutschen nicht teilt, und wir sind in einem Land, wo die diese Ansicht auch laut sagen dürfen. Das kann uns peinlich sein, und mir als älterem Deutschen ist es enorm peinlich. Ich finde das von allen politischen Irrtümern eigentlich am Widerlichsten. Schauen Sie, ich bin ja noch in der Zeit von Adolf Hitler geboren, ich hab da nicht viel mitgekriegt, weil ich Baby und Kleinkind war, aber als ich fünf war, ging dieser ganze Spuk zu Ende. Und alles, was wir nachher hatten an Leiden, an deutscher Spaltung, an kommunistischer Diktatur, an Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, alles hatte seinen Ursprung, weil wir Deutschen uns überhöht hatten, als das auserwählte Volk gelten wollten und andere erniedrigt, ausgebeutet, verfolgt, überfallen haben. All das hat mein Leben doch sehr sehr stark beeindruckt. Und dass in der Mitte unseres Volkes ausgerechnet rechtsradikale Überzeugungen wieder Gehör finden, das finde ich so eklig, ich kann gar nicht sagen wie eklig. Aber solange eine Partei nicht verboten ist, darf sie auch sich äußern, und das müssen wir auch ertragen. Eine freie Gesellschaft kann den Irrtum nicht verbieten und kann auch nicht verbieten, dass irrige Meinungen geäußert werden. Die können wir bekämpfen. Und wir bekämpfen die. Und das beruhigt mich. Wir brauchen da auch nicht nur unsere staatlichen Instanzen - die brauchen wir auch manchmal -, aber wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen "bis hierher und nicht weiter". Und dazu sind Sie alle aufgefordert. (Applaus)

(Einwurf vom Podium, dass nur noch ein oder zwei Fragen vor Ende der Veranstaltung gestellt werden können)

Frage: Herr Bundespräsident (hier bin ich, hier oben - Gelächter), was halten Sie denn von einem Verbot der NPD? Weil, ich habe mich ein bisschen mit dem Thema auseinandergesetzt. Mir fällt es schwer, zu begreifen oder die Tatsache einfach anzuerkennen, dass ich mit meinem Steuergeld quasi Leute bezahle, die mich nicht in diesem Land haben wollen. Um es verschärft zu sagen, die wollen mich eigentlich tot sehen. Das ist für mich nicht verständlich (Applaus, Pfeifen). Wir müssen dafür sorgen, dass diese Partei, dieses Gedankengut, nicht in die Mitte der Gesellschaft kommen kann. Was die NPD jetzt in Mecklenburg-Vorpommern macht, in den neuen Bundesländern, sie richtet Straßenfeste aus, Kitaplätze werden finanziert teilweise, die gehen da hin, wo die Bundesregierung nicht rankommt, und ich finde halt, wir dürfen der NPD nicht diese Macht geben, da reinzustoßen. Was halten Sie davon? (Applaus)

Antragsgegner: Also erstmal: Das Gefühl, das Sie da geschildert haben, dass ihre Steuergelder - ich muss noch mehr Steuern bezahlen als Sie (Gelächter) und das tut mir noch mehr weh, wenn die zweckentfremdet werden, also diese Gefühle kann ich total teilen. Zweitens: Ich bin Mecklenburger, und es gibt in Mecklenburg keine sozial national befreiten Zonen, man kann dort überall hingehen. Es gibt zwei oder drei Stellen, wo die sich mit besonderer Dreistigkeit hervortun. Aber auch dort gibt es die Bündnisse, über die ich gesprochen habe. Wir brauchen keine übertriebene Angst zu haben, dass diese Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben, dass die in Deutschland noch irgendwann einmal an die Macht kommen würden. Diese Angst brauchen wir nicht zu haben. Und nun müssen wir uns fragen, wie begegnen wir ihnen in der richtigen Weise, wie grenzen wir ihre Aktivitäten ein, wie bekämpfen wir sie. Und da ist eine Möglichkeit, die ein Teil unserer Parteien und Abgeordneten jetzt versucht, die, diese Partei verbieten zu lassen. Ich bin nicht sicher, ob das das Allerwichtigste ist. Für mich ist das Allerwichtigste, dass wir weder in der Politik eine einzige Partei haben, die mit denen Bündnisse eingeht, noch dass wir als Bürger in der Gefahr sind, ihnen massenhaft zu folgen. Im Gegenteil. Überall wo sie auftreten sind wir 10, 20 oder 30 Mal mehr als die. Das heißt, wir sind diejenigen, die die Macht haben. Und wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken und so tun, als könnten sie diese Demokratie gefährden. Sie sind unappetitlich, wir müssen sie politisch bekämpfen, und es ist eine Frage, ob sie so gefährlich sind, dass unser Verfassungsgericht sie verbieten wird. Da warte ich geduldig ab. Meine - spüren Sie ganz deutlich heraus, das mag so sein, dass sie verboten werden, aber ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen, in dem sie Bündnisse schaffen und ihre Parteien auch so haben, dass sie sagen, das ist nicht unsere Welt. Die sind stolz auf ein Deutschland, das wir hassen, und sie hassen ein Deutschland, auf das wir stolz sind. Und da, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das können wir so oder so machen. Übrigens: Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft. Die sind ja nicht in irgendwo in einem Lager dann. Sondern die suchen sich Kameradschaften und Cliquen, wo die dann weiter ihr Unwesen treiben. Das ist eben das, was wir uns dann bedenken müssen. Und diejenigen, die dem Parteiverbot kritisch gegenüber , sagen, die sind dann praktisch noch schwieriger zu kontrollieren. Also ich will mich da nicht deutlicher festlegen, aber Sie merken schon, dass ich stolz bin auf eine Bevölkerung, die hier wirklich aus der Geschichte gelernt hat und die genau weiß: Nie wieder. Und dazu gehören wir alle, die wir hier im Raum sitzen. (Applaus)

3

2. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung hieß es, der Antragsgegner unterstütze die Proteste gegen die Antragstellerin. Insbesondere wurden die Aussagen des Antragsgegners zitiert, "Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert" und "Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen".

4

3. Auf Nachfrage der Antragstellerin, ob die Presseberichte zutreffend seien, wonach der Antragsgegner gewalttätige Proteste gegen die Antragstellerin gutheiße und deren Mitglieder und Aktivisten als "Spinner" bezeichnet habe, teilte der Antragsgegner mit, dass sich diese Frage bei verständiger Würdigung der vorgelegten Medienberichte von selbst beantworte. Es werde aber klargestellt, dass der Antragsgegner - was der Medienberichterstattung auch zu entnehmen sei - nicht zu gewalttätigen Protesten aufgerufen habe. Vielmehr habe er auf den politischen Meinungskampf verwiesen, gerade wenn es um die Auseinandersetzung mit politischen Ansichten gehe, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellten.

II.

5

1. Die Antragstellerin begründet ihren im Rubrum wiedergegebenen Antrag wie folgt:

6

a) Die Organklage sei zulässig. Die Äußerungen des Antragsgegners seien eine rechtserhebliche Maßnahme im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da die Äußerungen des Antragsgegners einen unmittelbaren Eingriff in den seinerzeit laufenden Bundestagswahlkampf zum Nachteil der Antragstellerin dargestellt und diese in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Bundestagswahl verletzt hätten.

7

b) Der Antrag sei auch begründet.

Die beanstandeten Äußerungen des Antragsgegners verletzten die Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe der Meinungswettbewerb der Parteien im Wahlkampf nicht von staatlicher Seite beeinflusst oder verfälscht werden. Die Regierung müsse sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit zurückhalten; diese habe insbesondere sachbezogen und informierend sowie parteipolitisch neutral zu sein. Diese Maßgaben gälten auch für den Antragsgegner. Daran gemessen seien die verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Antragsgegners unzulässig. Sie fielen schon nicht in dessen verfassungsrechtliche Zuständigkeit. Ihm stehe es als "pouvoir neutre" des Grundgesetzes im Gegensatz zur Regierung nicht zu, Warnungen vor politischen Parteien auszusprechen, schon gar nicht in der heißen Phase des Wahlkampfes vor Erstwählern. Die Äußerungen des Antragsgegners über die Antragstellerin seien geeignet, dieser im Bundestagswahlkampf erheblich zu schaden, weil gerade das Staatsoberhaupt bei den überwiegend jungen Zuhörern großen Respekt genieße. Der Antragsgegner habe in Kenntnis der Gewaltbereitschaft der Gegendemonstrationen diese pauschal und ohne ausdrückliche Gewalt-Distanzierung gutgeheißen und unterstützt. Er müsse sich daher die von Dritten verübte Gewalt als von ihm gebilligt zurechnen lassen.

8

Erschwerend komme hinzu, dass der Antragsgegner die Antragstellerin namentlich genannt habe und ausdrücklich auf das geplante, gegen die Antragstellerin gerichtete Verbotsverfahren zu sprechen gekommen sei. Daher könnten die Äußerungen nicht als "Gefahrenwarnung" zulässig sein, weil solche Warnungen parteipolitisch neutral erfolgen müssten.

9

Schließlich verstießen die vom Antragsgegner ausgesprochenen "Warnungen" auch gegen das Sachlichkeitsgebot. Die Bezeichnung von Mitgliedern, Aktivisten und Unterstützern der Antragstellerin als "Spinner" verlasse den Boden einer sachlichen Diskussion. Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont grenzten die Äußerungen an Schmähkritik.

2. Der Senat hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 17. September 2013 abgelehnt sowie den dagegen erhobenen Widerspruch mit Beschluss vom 19. September 2013 als unzulässig verworfen (jeweils zum Aktenzeichen 2 BvE 4/13, juris).

10

3. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen, den im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag vertretenen Parteien sowie Parteien, die weder im Bundes- noch in einem Landtag oder im Europäischen Parlament vertreten sind, aber im Jahre 2013 Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung hatten, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Geäußert hat sich lediglich der Bundespräsident als Antragsgegner.

11

4. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Äußerungen des Antragsgegners keine rechtserhebliche Maßnahme darstellten, die Gegenstand eines Organstreits sein könne.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

Nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes komme dem Bundespräsidenten eine integrative Funktion zu. Zwar sei er vor allem in parteipolitischer Hinsicht zu größtmöglicher Unparteilichkeit und Neutralität verpflichtet. Als Hüter der Verfassung müsse der Bundespräsident aber nötigenfalls klar zugunsten der verfassungstreuen Kräfte Stellung beziehen. Die Verfassung erwarte von ihm die Abwehr von Angriffen aus dem politischen Raum auf die grundgesetzliche Ordnung, gerade auch durch seine Reden und Äußerungen.

14

Der Antragsgegner habe das Gebot der parteipolitischen Neutralität und das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beachtet. Er habe betont, dass eine politische Partei sich äußern dürfe, solange sie nicht verboten sei, und sich dagegen gewandt, Plakate der Antragstellerin abzureißen. Negative Werturteile habe er ausschließlich über Personen abgegeben, die rechtsradikale Überzeugungen verträten. Mitglieder nicht verbotener Parteien seien ebenso wenig wie Nichtmitglieder davor geschützt, dass Repräsentanten der streitbaren Demokratie wie der Antragsgegner die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes in ihren Äußerungen verteidigten und sich gegen rechtsradikale Meinungen und Handlungen wendeten sowie ihre Ablehnung gegenüber Rechtsradikalen zum Ausdruck brächten.

15

Wenn und soweit die Antragstellerin Rechtsradikale als Mitglieder ihrer Partei dulde oder deren Mitgliedschaft wünsche, müsse sie in Kauf nehmen, dass der Antragsgegner diese im Rahmen der Erfüllung seines verfassungsmäßigen Auftrags zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kritisch beurteile. Insbesondere sei er verpflichtet, das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG zu schützen.

16

Nichts anderes ergebe sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien, der nur die Partei selbst, nicht ihre Mitglieder, Aktivisten und Unterstützer schütze. Die Äußerungen des Antragsgegners stellten zudem keine Identifizierung mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern im Hinblick auf Wahlen dar. Der Antragsgegner habe sich im Bundestagswahlkampf nicht selbst zur Wiederwahl gestellt und auch nicht dafür geworben, dass die Bundesregierung oder die sie tragenden Parteien wiedergewählt werden.

17

5. In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

18

Der Antrag ist zulässig.

19

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme des Antragsgegners als anderes Verfassungsorgan (vgl. BVerfGE 62, 1 <33>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 121, 30 <57> m.w.N.; 44, 125 <137> m.w.N.). Die Antragstellerin wendet sich gegen eine rechtserhebliche Maßnahme (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.), indem sie behauptet, der Antragsgegner habe die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zulasten der Antragstellerin unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Nach ihrem Vortrag erscheint es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsgegner durch die angegriffenen Äußerungen das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>). Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung von der, die dem Senatsbeschluss vom 25. März 1981 - 2 BvE 1/79 - (BVerfGE 57, 1) zugrunde lag und die durch das Fehlen entsprechenden Vorbringens gekennzeichnet war (vgl. BVerfGE 57, 1 <7 ff.>).

C.

20

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzen daher die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien.

I.

21

Der Bundespräsident hat neben der Wahrnehmung der ihm durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft seines Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie der Bundespräsident diese Aufgabe wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (1.). Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze (2.). Der Bundespräsident hat demgemäß das Recht der Parteien auf freie und gleiche Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art. 21 GG zu achten, jedoch können Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift (3.).

22

1. Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, Rn. 91 ff.). Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann - wie der Antragsgegner überzeugend dargelegt hat - den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung.

23

Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland entspricht es, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist der Bundespräsident nicht etwa, wie die Antragstellerin meint, von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zugrunde zu legen und darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben.

24

2. Der Bundespräsident übt Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG aus und ist gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden, was in der Eidesformel (Art. 56 GG), mittelbar in den Immunitätsregeln (Art. 60 Abs. 4 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GG wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht "über dem Gesetz".

25

3. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Dieses Recht kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>). Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Wann dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab.

26

a) So hat der Senat für die Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von einem (unzulässigen) parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass die Öffentlichkeitsarbeit durch Einsatz öffentlicher Mittel den die Regierung tragenden Parteien zu Hilfe kommt und die Oppositionsparteien bekämpft (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>). Geht es bei dieser Fallgestaltung in erster Linie darum, den Prozess der freien und offenen Meinungs- und Willensbildung des Volkes gegenüber vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht gedeckten Einflussnahmen der Bundesregierung zugunsten der sie tragenden Parteien abzuschirmen, sind die verfassungsrechtlichen Grenzen negativer Werturteile in den Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern von einem anderen Ausgangspunkt her zu bestimmen. Derartige Werturteile sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung grundsätzlich zulässig; die betroffene Partei kann sich im Kampf um die öffentliche Meinung dagegen zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>). Sie werden erst dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Diesen Ansatz hat der Senat auch für die Beteiligung staatlicher Stellen an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Einleitung eines gegen die Antragstellerin gerichteten Verbotsverfahrens aufgegriffen und ausgesprochen, dass das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung es staatlichen Stellen verwehrt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Februar 2013 - 2 BvE 11/12 -, NVwZ 2013, S. 568 <569>, Rn. 22; zu Abwägungen bei negativen Werturteilen in Verfassungsschutzberichten über Presseerzeugnisse vgl. BVerfGE 113, 63 <75 ff.>).

27

b) Diese Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres für die verfassungsrechtliche Beurteilung negativer Äußerungen des Bundespräsidenten über bestimmte Parteien heranziehen. Weder steht der Bundespräsident mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses, noch stehen ihm Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken. Es gehört auch nicht zu seinen Befugnissen, die Öffentlichkeit regelmäßig über radikale Bestrebungen zu informieren oder über einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei (Art. 21 Abs. 2 GG) zu befinden. Äußerungen des Bundespräsidenten haben andererseits kraft seiner Stellung besonderes Gewicht, und eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Bundespräsidenten folgt anderen Gegebenheiten als die mit direkten politischen Konkurrenten oder einer von ihnen getragenen Bundesregierung. Folglich sind die Grenzen der Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten gesondert zu bestimmen.

28

In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen - insbesondere solche, die den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden - aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren Beseitigung zu werben. Er kann in diesem Sinn integrierend nur wirken, wenn es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher zu benennen. Gehen Risiken und Gefahren nach Einschätzung des Bundespräsidenten von einer bestimmten politischen Partei aus, ist er nicht gehindert, die von ihm erkannten Zusammenhänge zum Gegenstand seiner öffentlichen Äußerungen zu machen. Dem steht die verfassungsrechtliche Erwartung nicht entgegen, dass der Bundespräsident - insbesondere zu Wahlkampfzeiten -eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (oben Rn. 25), weil mit ihr nicht die Vorstellung eines politisch indifferenten Amtswalters verbunden ist. Äußerungen des Bundespräsidenten sind dabei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind.

29

Entsprechend diesen Grundsätzen kann der Bundespräsident auch weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert und in welcher Weise er auf die jeweilige Kommunikationssituation eingeht. Er ist insbesondere nicht gehindert, sein Anliegen auch in zugespitzter Wortwahl vorzubringen, wenn er dies für angezeigt hält. Mit der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr im Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall sein wird, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" (vgl. BVerfGE 93, 266 <294> m.w.N.) qualifiziert werden.

30

c) Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, hat zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt. Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines "neutralen Bundespräsidenten" orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung. Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.

II.

31

Nach diesem Maßstab sind die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat sich mit seinen, wie sich jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, auch auf die Antragstellerin bezogenen Äußerungen gegen geschichtsvergessene rechtsradikale und fremdenfeindliche Überzeugungen gewandt und dazu aufgerufen, mit demokratischen Mitteln zu verhindern, dass sich diese Überzeugungen durchsetzen. Damit hat der Antragsgegner sich im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten und nicht willkürlich gegen die Antragstellerin Partei ergriffen.

32

1. Soweit die Antragstellerin sich in ihren Rechten dadurch verletzt sieht, dass der Antragsgegner Proteste gegen die Antragstellerin in Berlin-Hellersdorf öffentlich unterstützt habe, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die Antragstellerin unterstützt oder auch nur gutgeheißen hätte, lässt sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - nicht entnehmen. Der Bundespräsident hat eingangs seiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits das Abreißen von Plakaten nicht zu billigen. Es konnte daher kein Zweifel bestehen, dass er erst recht gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Antragstellerin ablehnte. Im Weiteren hat er lediglich in der Sache auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5, 8 GG) hingewiesen und zum politischen Meinungskampf aufgefordert. Hierzu war er befugt.

33

2. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes "Spinner" im konkreten Zusammenhang. Der Antragsgegner hat damit über die Antragstellerin und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als "Spinner" - neben derjenigen als "Ideologen" und "Fanatiker" - als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten (zur grundgesetzlichen Ordnung als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vgl. BVerfGE 124, 300 <327 ff.>). Die mit der Bezeichnung als "Spinner" vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen "ihre Grenzen aufweisen". Indem der Antragsgegner, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der Antragstellerin vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten (vgl. insoweit BVerfGE 124, 300 <330 f.>) geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Landtagswahl 2014 in Thüringen, durch die sich die an dieser Wahl teilnehmende Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt sieht.

I.

2

Am 23. Juni 2014 nahm die Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises in Weimar teil. Verantwortlich für die Durchführung dieser Veranstaltung war der Freistaat Thüringen.

3

Daneben stand sie an diesem Tag der Thüringischen Landeszeitung für ein Interview zur Verfügung, das am 25. Juni 2014 erschien. Gegenstand des Interviews war die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Ausgestaltung des in der Zuständigkeit der Antragsgegnerin liegenden Demokratieprogramms des Bundes, die Abschaffung der Extremismusklausel, die Frauenquote auf Führungsebene, die Anbringung der Regenbogenflagge am Ministerium und das Elterngeld. Außerdem wurde die Antragsgegnerin im Rahmen des Interviews auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag und sich daraus ergebende Konsequenzen angesprochen. Auf die Frage, wie mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene umzugehen sei, antwortete die Antragsgegnerin:

"Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."

4

Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf das Ministeramt als auch auf die Parteizugehörigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen.

II.

5

1. Die Antragstellerin sieht sich durch die Erklärung, ihr Einzug in den Thüringer Landtag müsse verhindert werden und die Antragsgegnerin werde im Wahlkampf mithelfen, dieses Ziel zu erreichen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt und trägt zur Begründung ihres hierauf gerichteten Feststellungsantrags vor:

6

a) Die Antragsgegnerin habe die angegriffene Äußerung in ihrer amtlichen Eigenschaft getätigt. Dass sie an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises als Bundesfamilienministerin teilgenommen habe, ergebe sich bereits aus der Presseerklärung ihres Ministeriums vom 23. Juni 2014. Daher seien auch ihre Äußerungen im Rahmen des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung als Äußerungen der Bundesfamilienministerin und nicht als private Äußerungen der Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende anzusehen.

7

Kontext und Inhalt des Interviews unterstrichen, dass die Antragsgegnerin sich in ihrer amtlichen Eigenschaft geäußert habe. Das gesamte Interview stelle sich als Statement der Bundesfamilienministerin dar, die über die Arbeit ihres Hauses berichte. Ihre Funktion als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende werde in dem gesamten Interview an keiner Stelle erwähnt.

8

b) Damit verstoße die angegriffene Äußerung gegen die aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit folgende Pflicht staatlicher Organe zur Neutralität im Wahlkampf.

9

Zwar dürfe die Regierung auch im Wahlkampf die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge unterrichten und Warnungen aussprechen. Dies gelte auch für die Warnung vor tatsächlichen oder vermeintlichen verfassungswidrigen Bestrebungen. Diese zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive dürfe aber nicht zu unzulässiger Wahlwerbung führen. Sie habe sich daher im Rahmen des dem einzelnen Organ zugewiesenen Aufgabenbereichs zu halten und sachbezogen, informierend und parteineutral zu sein.

10

Demgegenüber habe die Antragsgegnerin außerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gehandelt, da Fragen des präventiven Verfassungsschutzes dem Geschäftsbereich des Innenministeriums zugeordnet seien. Auch sei nicht ersichtlich, welche Zuständigkeitsnorm die Antragsgegnerin ermächtigen solle, sich zur thüringischen Landespolitik zu äußern. Mit der Aufforderung, den Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, habe die Antragsgegnerin ganz gezielt in den laufenden Wahlkampf eingegriffen und dadurch das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt.

11

2. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil ihre Äußerungen keine rechtserheblichen Maßnahmen darstellten, die allein Gegenstand eines Organstreits sein könnten. Darüber hinaus fehle es an der rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin, deren Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen, unangetastet geblieben sei.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

14

aa) Staatlichen Organen sei es zwar in amtlicher Funktion verwehrt, Parteien zu unterstützen oder diese zu bekämpfen. Handelten sie jedoch nicht in amtlicher Funktion, stehe es ihnen frei, wie jeder andere Bürger aktiv am Wahlkampf mitzuwirken und ihre Meinung frei zu äußern.

15

Die Antragsgegnerin habe sich vorliegend nicht in amtlicher Funktion betätigt. Die beanstandeten Sätze habe sie als stellvertretende Vorsitzende der SPD und nicht als Bundesministerin geäußert. Sie seien in einem Interview am Rande einer Preisverleihung gefallen, die vom Ministerium der Antragsgegnerin weder organisiert oder veranstaltet noch finanziell unterstützt worden sei. Interviews seien keine Maßnahmen, die ausschließlich Amtsinhabern zur Verfügung stünden. Öffentliche Mittel seien dafür nicht erforderlich. Die angekündigte Mithilfe der Antragsgegnerin im Thüringer Wahlkampf könne sich nur auf parteipolitische Aktivitäten beziehen, da die Antragsgegnerin in Thüringen keine Ämter innehabe. Die Verwendung der "Ich"-Form in den beanstandeten Äußerungen sei ein eindeutiger Beleg, dass die Antragsgegnerin sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen. Dies bestätige auch die Schilderung ihrer Erfahrungen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, die sich ausschließlich auf parteipolitische Tätigkeiten bezögen. Die Erwähnung des Amtes der Antragsgegnerin im Interview sei demgegenüber unschädlich.

16

bb) Die beanstandeten Äußerungen verstießen auch nicht gegen das Neutralitätsgebot. Im gesamten Interview finde sich keine Passage, die auch nur annähernd als Aufforderung verstanden werden könne, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Schon gar nicht sei den angegriffenen Sätzen eine "Warnung" zu entnehmen, sondern lediglich ein Aufruf zur Beteiligung an der Wahl. Die Antragsgegnerin identifiziere sich mit der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, sich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, und sei als Bundesministerin auch verpflichtet, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Diese aus dem Prinzip der wehrhaften Demokratie entspringende Verpflichtung könne zur Folge haben, dass gegenüber Parteien, die extremistischen Bestrebungen anhingen, eine neutrale Position gerade nicht eingenommen werden könne, sofern das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit gewahrt bleibe.

17

3. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2014 abgelehnt.

18

Daraufhin hat die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Antragsgegnerin gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe, indem sie behauptet habe, die Antragstellerin wolle ihr "Molotow-Cocktail-Image" ablegen, sie komme nicht mehr mit "Springerstiefeln und Glatze" daher, sondern im feinen "Nadelstreifenanzug" und hinter ihrem sozialen Engagement stecke die "Ideologie von Hitler". Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss die Behauptung der Antragsgegnerin aufgreife, sie habe persönliche Erlebnisse aus ihrer Zeit im Landtag Mecklenburg-Vorpommern wiedergegeben und daraus die Möglichkeit einer Qualifizierung der streitgegenständlichen Interview-Passage als private Äußerung ableite, sei zu beachten, dass sie diese Erkenntnisse in amtlicher Eigenschaft als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern und nicht als Privatperson gewonnen habe.

19

4. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der kein Gebrauch gemacht wurde.

20

5. In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

21

Der Antrag ist zulässig.

22

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme der gemäß § 63 BVerfGG parteifähigen Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 44, 125 <137>; 121, 30 <57> m.w.N.).

23

Die Antragstellerin behauptet, die Antragsgegnerin habe die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zu ihren Lasten unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Sie wendet sich nur gegen die in ihrem Antrag wörtlich zitierten Passagen des Interviews der Antragsgegnerin, die die Ankündigung ihrer Beteiligung am Thüringer Wahlkampf und die Erklärung, primäres Ziel müsse es sein, den Einzug der Antragstellerin in den Landtag zu verhindern, zum Gegenstand haben. Im vorliegenden Verfahren ist daher allein darüber zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin durch diese im Antrag ausdrücklich bezeichnete Aussage die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Denn im Organstreitverfahren wird der Streitgegenstand durch die im Antrag genannte Maßnahme oder Unterlassung und durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die die Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll (§ 64 Abs. 2 BVerfGG). An diese Begrenzung des Streitstoffes ist das Bundesverfassungsgericht gebunden (vgl. BVerfGE 68, 1 <63> m.w.N.).

24

Die angegriffene Aussage der Antragsgegnerin stellt eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.). Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin dadurch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 19). Dass die Antragstellerin dadurch nicht gehindert war, an der Landtagswahl in Thüringen teilzunehmen, vermag hieran nichts zu ändern.

C.

25

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG).

I.

26

Der durch Art. 21 GG den Parteien zuerkannte verfassungsrechtliche Status gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (1.). Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien (2.). Die sich aus diesem Neutralitätsgebot ergebenden Auswirkungen für das Handeln von Staatsorganen und der Maßstab verfassungsgerichtlicher Kontrolle seiner Beachtung sind für jedes Staatsorgan unter Berücksichtigung seiner Stellung im Verfassungsgefüge gesondert zu bestimmen; daher sind die für Äußerungen des Bundespräsidenten geltenden Maßstäbe auf die Bundesregierung nicht übertragbar (3.). Mitglieder der Bundesregierung haben bei Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen die Pflicht zu strikter Neutralität (4.). Das Neutralitätsgebot gilt, soweit die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amtes oder der damit verbundenen Ressourcen erfolgt (5.). Geltung und Beachtung des Neutralitätsgebots unterliegen bei Äußerungen von Bundesministern uneingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle (6.).

27

1. a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 20, 56 <97>; 44, 125 <139>).

28

b) Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs Neue grundsätzlich die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offengehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>).

29

c) Dieser Prozess freier und offener Meinungs- und Willensbildung setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>). Der hervorragenden Bedeutung, die in diesem Prozess den politischen Parteien zukommt, hat das Grundgesetz dadurch Ausdruck verliehen, dass es ihnen in Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt hat. Er gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren (BVerfGE 44, 125 <139>).

30

d) Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungssatz von der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss (vgl. BVerfGE 24, 300 <340 f.>; 44, 125 <146>). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>).

31

2. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 25). Eine solche Einwirkung verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>).

32

a) Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken unablässig auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand der Meinungsbildung des Volkes; Meinungen aus dem Volk, sehr häufig vorgeformt und gestaltet vor allem in den politischen Parteien, aber auch zum Beispiel über Verbände und über Massenmedien, wirken auf die Willensbildung in den Staatsorganen ein (BVerfGE 44, 125 <139 f.>).

33

So sehr von dem Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten (vgl. BVerfGE 44, 125 <143 f.>).

34

b) Diese Neutralitätspflicht staatlicher Organe besteht gegenüber allen Parteien, wenn nicht deren Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 133, 100 <107>).

35

3. Die Konsequenzen, die sich für das Handeln eines Staatsorgans aus der Pflicht zur Beachtung des Rechts politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb ergeben, und die Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Beachtung des Neutralitätsgebots sind für jedes Staatsorgan gesondert unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen. Daher sind die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und deren Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gelten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris), auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist.

36

Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 91 ff.). Wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 22). Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition entspricht es zwar, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu den Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für seine Amtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 23).

37

Das gilt auch für öffentliche Äußerungen. Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 27). Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert. Namentlich sind Äußerungen des Bundespräsidenten nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 28). Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 29). Abgesehen davon können Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014, - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 30).

38

4. Öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung sind vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie ihrer verfassungsrechtlichen Stellung eigenständig zu beurteilen. Die Bundesregierung nimmt staatsleitende Funktionen wahr, die auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit beinhalten (a). Ungeachtet der tatsächlichen Rückwirkungen ihres Handelns auf die Willensbildung des Volkes ist es ihr dabei von Verfassungs wegen versagt, parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einzuwirken (b). Auch der einzelne Bundesminister hat bei der Ausübung seines Amtes entsprechend seiner Bindung an Gesetz und Recht das Neutralitätsgebot zu beachten (c). Nimmt er hingegen keine amtlichen Funktionen wahr, ist er an der Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht gehindert (d).

39

a) Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 9, 268 <282>). Gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung (vgl. BVerfGE 11, 77 <85>; 26, 338 <395 f.>; 105, 252 <270>; 105, 279 <301>). Zwar vermitteln die einzeln in der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder (vgl. insbesondere Art. 23 Abs. 2, 3, 5, 6; Art. 24 Abs. 1a; Art. 26 Abs. 2; Art. 32 Abs. 3; Art. 37; Art. 42 Abs. 1; Art. 43; Art. 52 Abs. 2; Art. 53; Art. 53a Abs. 2; Art. 65; Art. 76; Art. 77 Abs. 2; Art. 80; Art. 80a Abs. 3; Art. 81; Art. 84 Abs. 2 bis 5; Art. 85 Abs. 2 bis 4; Art. 86; Art. 87a Abs. 4; Art. 87b Abs. 2; Art. 91 Abs. 2; Art. 104b Abs. 3; Art. 108 Abs. 7; Art. 109 Abs. 4; Art. 111; Art. 113; Art. 114; Art. 115a Abs. 1; Art. 115d Abs. 2; Art. 115f; Art. 115i Abs. 2; Art. 129 Abs. 1; Art. 130 Abs. 1; Art. 132 Abs. 4 GG) nur einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im Sinne einer - abschließender Regelung nicht zugänglichen - verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik (vgl. BVerfGE 105, 279 <301>) jedoch stillschweigend voraus (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>).

40

Diese Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>). Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125 <147 f.>; 63, 230 <243>; 105, 252 <269>; 105, 279 <301 f.>).

41

b) Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben ist die Bundesregierung an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG).

42

aa) Schon deshalb ist ihr jede Äußerung untersagt, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu qualifizieren wäre.

43

bb) Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten.

44

Das Regierungshandeln beeinflusst die Meinungsbildung des Volkes in erheblichem Umfang und entfaltet Rückwirkungen auf dessen Wahlentscheidungen. Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus. Die Bundesregierung wird bei ihrem Handeln ebenso wie die sie tragenden Fraktionen und Abgeordneten im Parlament und die Opposition immer auch die Wählerinnen und Wähler im Blick haben. Dies ist Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen.

45

Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr allerdings nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Daher ist sie zur Beachtung des Neutralitätsgebotes verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 <141 ff.>).

46

Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet somit dort, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerfGE 63, 230 <243>). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass unter Einsatz öffentlicher Mittel Regierungsparteien unterstützt und Oppositionsparteien bekämpft werden (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>; 63, 230 <243 f.>).

47

cc) Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat die Bundesregierung sich mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>; 133, 100 <107 f.>). Sie werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>).

48

Jenseits der Frage einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Bundesregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 100 <108>; früher bereits BVerfGE 40, 287 <293>). Diese Maßgaben gelten auch für die öffentliche Erörterung, ob gegen eine Partei ein Verbotsverfahren eingeleitet wird. Staatliche Stellen sind nicht gehindert, das Für und Wider dieser schwerwiegenden Maßnahme mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht (BVerfGE 133, 100<108>).

49

c) Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung als Ganzes zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet. Auch dem einzelnen Bundesminister ist es im Rahmen seiner Regierungstätigkeit von Verfassungs wegen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen.

50

d) Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Inhaber eines Ministeramtes außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnimmt und in den Wahlkampf eingreift (vgl. BVerfGE 44, 125 <141>; VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22).

51

aa) Im Parteienstaat des Grundgesetzes entspricht es der Ratio von Art. 21 GG, dass die Inhaber eines Regierungsamtes einer Partei angehören und in dieser auch Führungsverantwortung wahrnehmen. Die bloße Übernahme des Regierungsamtes soll insoweit gerade nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22 f.).

52

bb) Würde die Übernahme eines Regierungsamtes dazu führen, dass der Amtsinhaber durch die Bindung an das Neutralitätsgebot gehindert wäre, am politischen Wettbewerb teilzunehmen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der die Regierung tragenden Parteien führen. Parteien, die als Sieger aus einer Wahlauseinandersetzung hervorgegangen sind, würden durch die fehlende Möglichkeit, auf die Mitarbeit der mit Regierungsämtern betrauten Parteimitglieder zurückzugreifen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beschränkt. Mit der parteienstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes, wie sie in Art. 21 GG Ausdruck gefunden hat, ist dies nicht zu vereinbaren.

53

5. Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen.

54

a) Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass beim Handeln des Inhabers eines Ministeramtes eine strikte Trennung der Sphären des "Bundesministers", des "Parteipolitikers" und der politisch handelnden "Privatperson" nicht möglich ist (vgl. zum Mandat des Abgeordneten: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvR 2436/10, 2 BvE 62 BvE 6/08 -, juris, Rn. 98; anders noch BVerfGE 44, 125 <141>). Auch aus Sicht der Bürger wird der Inhaber eines Regierungsamtes regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen (vgl. BVerfGE 44, 125 <187>, abweichende Meinung).

55

b) aa) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird. Ist dies der Fall, unterliegt das Regierungsmitglied der Bindung an das Neutralitätsgebot. Ansonsten ist seine Äußerung dem allgemeinen politischen Wettbewerb zuzurechnen.

56

bb) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25).

57

(1) Ein spezifischer Rückgriff auf die mit seinem Regierungsamt verbundene Autorität liegt regelmäßig vor, wenn ein Bundesminister bei einer Äußerung ausdrücklich auf sein Ministeramt Bezug nimmt oder die Äußerung ausschließlich Maßnahmen oder Vorhaben des von ihm geführten Ministeriums zum Gegenstand hat. Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25) erklärt. Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 44, 125 <143>). Schließlich findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn ein Bundesminister sich im Rahmen einer Veranstaltung äußert, die von der Bundesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Bundesministers an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt.

58

(2) Demgegenüber ist eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Regierungsmitglied im parteipolitischen Kontext agiert. Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Personen primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden.

59

(3) Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses (Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews) bedürfen differenzierter Betrachtung. Der Inhaber eines Regierungsamtes kann hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein. Häufig dienen derartige Veranstaltungen - insbesondere bei der Beteiligung einer Mehrzahl von Personen - dem themenbezogenen Austausch politischer Argumente und Positionen und sind daher vorrangig dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Dass dabei die Amtsbezeichnung verwendet wird, ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Auch insoweit kommt es letztlich für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt. Dies kann im Rahmen derselben Veranstaltung bei einer Mehrzahl von Aussagen in unterschiedlicher Weise der Fall sein.

60

(4) Zeitungsinterviews stehen nicht nur Inhabern von Regierungsämtern, sondern auch Angehörigen der sie tragenden politischen Parteien und der Opposition offen. Die Auswahl der Interviewpartner liegt in der journalistischen Verantwortung des jeweiligen Presseorgans. Dass dabei Inhabern von Regierungsämtern besonderes Interesse zuteil wird, gehört zu den Gegebenheiten des politischen Wettbewerbs, die im Prozess einer freiheitlichen Demokratie hinzunehmen sind (vgl. zur Hinnahme weiterer tatsächlicher Unterschiede BVerfGE 8, 51 <67>; 14, 121 <134>; 52, 63 <89>; 78, 350 <358>; 85, 264 <297>).

61

Der Inhaber eines Regierungsamtes ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen eines Interviews auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken, da auch dies mit dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr ist er auch insoweit zur Teilnahme am politischen Meinungskampf befugt. Nimmt er aber für eine Aussage in einem Interview die mit seinem Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch, ist er an das Neutralitätsgebot gebunden.

62

6. Die Geltung und Beachtung des aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung und ihre Mitglieder sind durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar.

63

Auch wenn die Bundesregierung als solche am Wettbewerb zwischen den politischen Parteien nicht teilnimmt, wirkt das Regierungshandeln - wie dargestellt (siehe oben Rn. 43 ff.) - in erheblichem Umfang auf die Willensbildung des Volkes ein. Die Mitglieder der Bundesregierung sind regelmäßig in den politischen Meinungskampf einbezogen. Die Bundesregierung selbst verfügt aufgrund ihrer Ressourcen und Machtbefugnisse über die Möglichkeit, durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle. Angesichts der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und dem sich daraus ergebenden Risiko für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum.

II.

64

Nach diesen Maßstäben ist die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie war zwar objektiv geeignet, zulasten der Antragstellerin inden Landtagswahlkampf in Thüringen einzuwirken (1). Sie verletzt das Recht der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG aber nicht (2).

65

1. Die angegriffene Erklärung der Antragsgegnerin beinhaltet einen gegen die Antragstellerin gerichteten Wahlaufruf. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin beschränkt sie sich keineswegs auf eine allgemein gehaltene Aufforderung zur Wahlteilnahme, ohne dass sie als Aufruf verstanden werden könnte, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Im Gegenteil: Mit der Aussage, primäres Ziel bei der Wahl im September müsse es sein, den Einzug der ausdrücklich benannten Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, fordert die Antragsgegnerin zu deren Nichtwahl auf.

66

Die beanstandete Äußerung beschränkt sich auch nicht auf eine Information über von der Antragsgegnerin vertretene Positionen oder Strategien oder deren Bewertung als verfassungsfeindlich. Die Frage der internen Zuständigkeitsverteilung bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Bundesregierung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, kann daher dahinstehen. Die beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin reicht über die Wahrnehmung dieser Aufgabe hinaus, indem sie eine konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten bei der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 2014 enthält, das Ziel einer Verhinderung des Einzugs der Antragstellerin in den Landtag vorgibt und das Engagement der Antragsgegnerin zur Erreichung dieses Ziels ankündigt. Insoweit handelt es sich um ein parteiergreifendes Einwirken zulasten der Antragstellerin in den Landtagswahlkampf in Thüringen.

67

2. Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin hat dennoch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzt.

68

a) Eine mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare, diffamierende Äußerung, die in anderen Zusammenhängen als Schmähkritik im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu bewerten wäre, liegt nicht vor. In der mit der Organklage allein angegriffenen Äußerung (siehe oben Rn. 23) fordert die Antragsgegnerin in sachlich gehaltener Form zur Nichtwahl der Antragstellerin bei der Landtagswahl in Thüringen auf und erklärt, dass sie beabsichtigt, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen.

69

b) Die angegriffene Äußerung ist dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Denn die Antragsgegnerin hat bezogen auf diese Äußerung im Rahmen ihres Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung nicht in spezifischer Weise auf die mit ihrem Regierungsamt verbundene Autorität zurückgegriffen und war daher auch nicht an die Beachtung des aus dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit folgenden Neutralitätsgebots gebunden.

70

aa) Dass die Antragsgegnerin die beanstandete Äußerung unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität oder Ressourcen ihres Amtes gemacht hat, lässt sich den äußeren Umständen, unter denen das Interview mit der Thüringischen Landeszeitung geführt wurde, nicht entnehmen.

71

(1) Insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin in Wahrnehmung ihres Amtes als Bundesministerin an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises am 23. Juni 2014 in Weimar teilgenommen hat. Die Eröffnung der Tagung und das Interview der Antragsgegnerin mit der Thüringischen Landeszeitung stellen zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen sind. Der bloße örtliche und zeitliche Zusammenhang führt nicht dazu, dass das Handeln in amtlicher Funktion bei der Veranstaltung des Freistaats Thüringen auf das am Rande geführte Interview ausstrahlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Presseerklärung des von der Antragsgegnerin geführten Ministeriums, da diese ausschließlich die Teilnahme der Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz zum Gegenstand hat.

72

(2) Auch die übrigen äußeren Umstände führen zu keinem anderen Ergebnis. Weder hat die Antragsgegnerin bei der Führung des Interviews auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen noch ist ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die der Antragsgegnerin aufgrund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Die Anwesenheit der Antragsgegnerin in Weimar und der dadurch verursachte Aufwand waren durch die in Wahrnehmung ihres Regierungsamtes stattfindende Teilnahme an der Veranstaltung des Freistaates Thüringen veranlasst. Dass für die Führung des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung zusätzliche Sach- oder Finanzmittel aufgewandt wurden, ist weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich.

73

bb) Dem Interview selbst kann im Ergebnis ebenfalls nicht entnommen werden, dass die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität ihres Amtes erfolgte.

74

(1) Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf deren Amt als Bundesministerin als auch auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen. Daraus kann entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht geschlossen werden, dass das Interview als einheitliches Statement der Bundesfamilienministerin anzusehen ist.

75

(2) Das Interview hat zwar weitgehend die Regierungstätigkeit der Antragsgegnerin und Projekte des von ihr geführten Ministeriums zum Gegenstand. Ihre Aussagen zum Demokratieprogramm des Bundes, zur Abschaffung der Extremismusklausel, zum Anbringen der Regenbogenflagge und zum Elterngeld sind ausschließlich auf ihr Ministeramt bezogen. Hiervon ist aber der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich mit dem möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag sowie daraus sich ergebender Konsequenzen befasst und die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin enthält. Diese Aussagen sind nicht mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt, so dass die Antragsgegnerin insoweit auch nicht zur Neutralität verpflichtet war.

76

(a) Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang überhaupt in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung angesprochen worden ist. Die Frage, deren Beantwortung zu der streitbefangenen Äußerung der Antragsgegnerin führte, bezieht sich auf den Umgang mit Anträgen der Antragstellerin in Landesparlamenten und Kommunalvertretungen. Sie betrifft damit ein Problem der politischen Strategie dort vertretener Parteien und nicht die Wahrnehmung von Regierungsaufgaben.

77

(b) Entsprechend hat die Antragsgegnerin geantwortet. Zwar ist die Einlassung der Antragsgegnerin, die Verwendung der "Ich"-Form in der beanstandeten Äußerung sei ein eindeutiger Beleg dafür, dass sie sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen, nicht überzeugend, da sie weder in denjenigen Passagen des Interviews, die ihr Handeln als Bundesministerin betreffen, auf die Verwendung dieser Form verzichtet hat noch ihre Funktion als stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD überhaupt an irgendeiner Stelle des Zeitungsartikels Erwähnung findet.

78

Die Antragsgegnerin nimmt aber bei der Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene ebenso wie in der gesamten Passage des Interviews, die sich auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag bezieht, in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität Bezug. Stattdessen verweist sie auf ihre Erfahrung im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und damit auf persönliche Kenntnisse, die sie gerade nicht aufgrund ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung gewonnen hat. Dass sie diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern erlangt hat, ändert hieran nichts. Ein Rückgriff auf die Autorität ihres Regierungsamtes findet insoweit nicht statt. Die Aussage der Antragsgegnerin stellt einen Beitrag zur parteipolitischen Auseinandersetzung dar. Hiergegen muss die Antragstellerin sich mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen.

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen des Antragsgegners im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt.

I.

2

1. Im August 2013 nahm der Antragsgegner an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto "22.09.2013 - Deine Stimme zählt!" stehenden Veranstaltung wies der Antragsgegner unter anderem auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging der Antragsgegner auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern der Antragstellerin gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen:

"Frage: Hallo, mein Name ist (…). Ich wohne zur Zeit in Hellersdorf, dort sind auch sehr viele NPD-Plakate, einige davon sind auch abgerissen und ich wollte fragen, ob Sie, wenn Sie jetzt gerade nicht in der Stellung wären, in der Sie sind, hätten Sie da auch mitgemacht oder ist ihnen da die Meinungsfreiheit - hat die da ein größeres Gewicht für Sie?

Antragsgegner: Nein, beim Plakateabreißen hätte ich nicht mitgemacht. Und wissen Sie auch, wir haben so viele Möglichkeiten, uns gegen Rechtsradikale zu verteidigen, und Gott sei Dank funktioniert das. Ich meine, wir haben gerade auch in Hellersdorf gesehen - ich habe mich selber da auch informiert, bin selber auch mal hingefahren, jedenfalls in die Gemeinde dort -, was passiert da nicht alles, um den Asylbewerbern zu zeigen, also ihr seid hier nicht in einem Niemandsland. Bei uns gibt es Leute, die haben eine politische Ansicht, die die Mehrheit der Deutschen nicht teilt, und wir sind in einem Land, wo die diese Ansicht auch laut sagen dürfen. Das kann uns peinlich sein, und mir als älterem Deutschen ist es enorm peinlich. Ich finde das von allen politischen Irrtümern eigentlich am Widerlichsten. Schauen Sie, ich bin ja noch in der Zeit von Adolf Hitler geboren, ich hab da nicht viel mitgekriegt, weil ich Baby und Kleinkind war, aber als ich fünf war, ging dieser ganze Spuk zu Ende. Und alles, was wir nachher hatten an Leiden, an deutscher Spaltung, an kommunistischer Diktatur, an Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, alles hatte seinen Ursprung, weil wir Deutschen uns überhöht hatten, als das auserwählte Volk gelten wollten und andere erniedrigt, ausgebeutet, verfolgt, überfallen haben. All das hat mein Leben doch sehr sehr stark beeindruckt. Und dass in der Mitte unseres Volkes ausgerechnet rechtsradikale Überzeugungen wieder Gehör finden, das finde ich so eklig, ich kann gar nicht sagen wie eklig. Aber solange eine Partei nicht verboten ist, darf sie auch sich äußern, und das müssen wir auch ertragen. Eine freie Gesellschaft kann den Irrtum nicht verbieten und kann auch nicht verbieten, dass irrige Meinungen geäußert werden. Die können wir bekämpfen. Und wir bekämpfen die. Und das beruhigt mich. Wir brauchen da auch nicht nur unsere staatlichen Instanzen - die brauchen wir auch manchmal -, aber wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen "bis hierher und nicht weiter". Und dazu sind Sie alle aufgefordert. (Applaus)

(Einwurf vom Podium, dass nur noch ein oder zwei Fragen vor Ende der Veranstaltung gestellt werden können)

Frage: Herr Bundespräsident (hier bin ich, hier oben - Gelächter), was halten Sie denn von einem Verbot der NPD? Weil, ich habe mich ein bisschen mit dem Thema auseinandergesetzt. Mir fällt es schwer, zu begreifen oder die Tatsache einfach anzuerkennen, dass ich mit meinem Steuergeld quasi Leute bezahle, die mich nicht in diesem Land haben wollen. Um es verschärft zu sagen, die wollen mich eigentlich tot sehen. Das ist für mich nicht verständlich (Applaus, Pfeifen). Wir müssen dafür sorgen, dass diese Partei, dieses Gedankengut, nicht in die Mitte der Gesellschaft kommen kann. Was die NPD jetzt in Mecklenburg-Vorpommern macht, in den neuen Bundesländern, sie richtet Straßenfeste aus, Kitaplätze werden finanziert teilweise, die gehen da hin, wo die Bundesregierung nicht rankommt, und ich finde halt, wir dürfen der NPD nicht diese Macht geben, da reinzustoßen. Was halten Sie davon? (Applaus)

Antragsgegner: Also erstmal: Das Gefühl, das Sie da geschildert haben, dass ihre Steuergelder - ich muss noch mehr Steuern bezahlen als Sie (Gelächter) und das tut mir noch mehr weh, wenn die zweckentfremdet werden, also diese Gefühle kann ich total teilen. Zweitens: Ich bin Mecklenburger, und es gibt in Mecklenburg keine sozial national befreiten Zonen, man kann dort überall hingehen. Es gibt zwei oder drei Stellen, wo die sich mit besonderer Dreistigkeit hervortun. Aber auch dort gibt es die Bündnisse, über die ich gesprochen habe. Wir brauchen keine übertriebene Angst zu haben, dass diese Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben, dass die in Deutschland noch irgendwann einmal an die Macht kommen würden. Diese Angst brauchen wir nicht zu haben. Und nun müssen wir uns fragen, wie begegnen wir ihnen in der richtigen Weise, wie grenzen wir ihre Aktivitäten ein, wie bekämpfen wir sie. Und da ist eine Möglichkeit, die ein Teil unserer Parteien und Abgeordneten jetzt versucht, die, diese Partei verbieten zu lassen. Ich bin nicht sicher, ob das das Allerwichtigste ist. Für mich ist das Allerwichtigste, dass wir weder in der Politik eine einzige Partei haben, die mit denen Bündnisse eingeht, noch dass wir als Bürger in der Gefahr sind, ihnen massenhaft zu folgen. Im Gegenteil. Überall wo sie auftreten sind wir 10, 20 oder 30 Mal mehr als die. Das heißt, wir sind diejenigen, die die Macht haben. Und wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken und so tun, als könnten sie diese Demokratie gefährden. Sie sind unappetitlich, wir müssen sie politisch bekämpfen, und es ist eine Frage, ob sie so gefährlich sind, dass unser Verfassungsgericht sie verbieten wird. Da warte ich geduldig ab. Meine - spüren Sie ganz deutlich heraus, das mag so sein, dass sie verboten werden, aber ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen, in dem sie Bündnisse schaffen und ihre Parteien auch so haben, dass sie sagen, das ist nicht unsere Welt. Die sind stolz auf ein Deutschland, das wir hassen, und sie hassen ein Deutschland, auf das wir stolz sind. Und da, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das können wir so oder so machen. Übrigens: Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft. Die sind ja nicht in irgendwo in einem Lager dann. Sondern die suchen sich Kameradschaften und Cliquen, wo die dann weiter ihr Unwesen treiben. Das ist eben das, was wir uns dann bedenken müssen. Und diejenigen, die dem Parteiverbot kritisch gegenüber , sagen, die sind dann praktisch noch schwieriger zu kontrollieren. Also ich will mich da nicht deutlicher festlegen, aber Sie merken schon, dass ich stolz bin auf eine Bevölkerung, die hier wirklich aus der Geschichte gelernt hat und die genau weiß: Nie wieder. Und dazu gehören wir alle, die wir hier im Raum sitzen. (Applaus)

3

2. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung hieß es, der Antragsgegner unterstütze die Proteste gegen die Antragstellerin. Insbesondere wurden die Aussagen des Antragsgegners zitiert, "Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert" und "Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen".

4

3. Auf Nachfrage der Antragstellerin, ob die Presseberichte zutreffend seien, wonach der Antragsgegner gewalttätige Proteste gegen die Antragstellerin gutheiße und deren Mitglieder und Aktivisten als "Spinner" bezeichnet habe, teilte der Antragsgegner mit, dass sich diese Frage bei verständiger Würdigung der vorgelegten Medienberichte von selbst beantworte. Es werde aber klargestellt, dass der Antragsgegner - was der Medienberichterstattung auch zu entnehmen sei - nicht zu gewalttätigen Protesten aufgerufen habe. Vielmehr habe er auf den politischen Meinungskampf verwiesen, gerade wenn es um die Auseinandersetzung mit politischen Ansichten gehe, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellten.

II.

5

1. Die Antragstellerin begründet ihren im Rubrum wiedergegebenen Antrag wie folgt:

6

a) Die Organklage sei zulässig. Die Äußerungen des Antragsgegners seien eine rechtserhebliche Maßnahme im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da die Äußerungen des Antragsgegners einen unmittelbaren Eingriff in den seinerzeit laufenden Bundestagswahlkampf zum Nachteil der Antragstellerin dargestellt und diese in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Bundestagswahl verletzt hätten.

7

b) Der Antrag sei auch begründet.

Die beanstandeten Äußerungen des Antragsgegners verletzten die Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe der Meinungswettbewerb der Parteien im Wahlkampf nicht von staatlicher Seite beeinflusst oder verfälscht werden. Die Regierung müsse sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit zurückhalten; diese habe insbesondere sachbezogen und informierend sowie parteipolitisch neutral zu sein. Diese Maßgaben gälten auch für den Antragsgegner. Daran gemessen seien die verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Antragsgegners unzulässig. Sie fielen schon nicht in dessen verfassungsrechtliche Zuständigkeit. Ihm stehe es als "pouvoir neutre" des Grundgesetzes im Gegensatz zur Regierung nicht zu, Warnungen vor politischen Parteien auszusprechen, schon gar nicht in der heißen Phase des Wahlkampfes vor Erstwählern. Die Äußerungen des Antragsgegners über die Antragstellerin seien geeignet, dieser im Bundestagswahlkampf erheblich zu schaden, weil gerade das Staatsoberhaupt bei den überwiegend jungen Zuhörern großen Respekt genieße. Der Antragsgegner habe in Kenntnis der Gewaltbereitschaft der Gegendemonstrationen diese pauschal und ohne ausdrückliche Gewalt-Distanzierung gutgeheißen und unterstützt. Er müsse sich daher die von Dritten verübte Gewalt als von ihm gebilligt zurechnen lassen.

8

Erschwerend komme hinzu, dass der Antragsgegner die Antragstellerin namentlich genannt habe und ausdrücklich auf das geplante, gegen die Antragstellerin gerichtete Verbotsverfahren zu sprechen gekommen sei. Daher könnten die Äußerungen nicht als "Gefahrenwarnung" zulässig sein, weil solche Warnungen parteipolitisch neutral erfolgen müssten.

9

Schließlich verstießen die vom Antragsgegner ausgesprochenen "Warnungen" auch gegen das Sachlichkeitsgebot. Die Bezeichnung von Mitgliedern, Aktivisten und Unterstützern der Antragstellerin als "Spinner" verlasse den Boden einer sachlichen Diskussion. Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont grenzten die Äußerungen an Schmähkritik.

2. Der Senat hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 17. September 2013 abgelehnt sowie den dagegen erhobenen Widerspruch mit Beschluss vom 19. September 2013 als unzulässig verworfen (jeweils zum Aktenzeichen 2 BvE 4/13, juris).

10

3. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen, den im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag vertretenen Parteien sowie Parteien, die weder im Bundes- noch in einem Landtag oder im Europäischen Parlament vertreten sind, aber im Jahre 2013 Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung hatten, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Geäußert hat sich lediglich der Bundespräsident als Antragsgegner.

11

4. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Äußerungen des Antragsgegners keine rechtserhebliche Maßnahme darstellten, die Gegenstand eines Organstreits sein könne.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

Nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes komme dem Bundespräsidenten eine integrative Funktion zu. Zwar sei er vor allem in parteipolitischer Hinsicht zu größtmöglicher Unparteilichkeit und Neutralität verpflichtet. Als Hüter der Verfassung müsse der Bundespräsident aber nötigenfalls klar zugunsten der verfassungstreuen Kräfte Stellung beziehen. Die Verfassung erwarte von ihm die Abwehr von Angriffen aus dem politischen Raum auf die grundgesetzliche Ordnung, gerade auch durch seine Reden und Äußerungen.

14

Der Antragsgegner habe das Gebot der parteipolitischen Neutralität und das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beachtet. Er habe betont, dass eine politische Partei sich äußern dürfe, solange sie nicht verboten sei, und sich dagegen gewandt, Plakate der Antragstellerin abzureißen. Negative Werturteile habe er ausschließlich über Personen abgegeben, die rechtsradikale Überzeugungen verträten. Mitglieder nicht verbotener Parteien seien ebenso wenig wie Nichtmitglieder davor geschützt, dass Repräsentanten der streitbaren Demokratie wie der Antragsgegner die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes in ihren Äußerungen verteidigten und sich gegen rechtsradikale Meinungen und Handlungen wendeten sowie ihre Ablehnung gegenüber Rechtsradikalen zum Ausdruck brächten.

15

Wenn und soweit die Antragstellerin Rechtsradikale als Mitglieder ihrer Partei dulde oder deren Mitgliedschaft wünsche, müsse sie in Kauf nehmen, dass der Antragsgegner diese im Rahmen der Erfüllung seines verfassungsmäßigen Auftrags zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kritisch beurteile. Insbesondere sei er verpflichtet, das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG zu schützen.

16

Nichts anderes ergebe sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien, der nur die Partei selbst, nicht ihre Mitglieder, Aktivisten und Unterstützer schütze. Die Äußerungen des Antragsgegners stellten zudem keine Identifizierung mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern im Hinblick auf Wahlen dar. Der Antragsgegner habe sich im Bundestagswahlkampf nicht selbst zur Wiederwahl gestellt und auch nicht dafür geworben, dass die Bundesregierung oder die sie tragenden Parteien wiedergewählt werden.

17

5. In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

18

Der Antrag ist zulässig.

19

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme des Antragsgegners als anderes Verfassungsorgan (vgl. BVerfGE 62, 1 <33>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 121, 30 <57> m.w.N.; 44, 125 <137> m.w.N.). Die Antragstellerin wendet sich gegen eine rechtserhebliche Maßnahme (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.), indem sie behauptet, der Antragsgegner habe die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zulasten der Antragstellerin unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Nach ihrem Vortrag erscheint es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsgegner durch die angegriffenen Äußerungen das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>). Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung von der, die dem Senatsbeschluss vom 25. März 1981 - 2 BvE 1/79 - (BVerfGE 57, 1) zugrunde lag und die durch das Fehlen entsprechenden Vorbringens gekennzeichnet war (vgl. BVerfGE 57, 1 <7 ff.>).

C.

20

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzen daher die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien.

I.

21

Der Bundespräsident hat neben der Wahrnehmung der ihm durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft seines Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie der Bundespräsident diese Aufgabe wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (1.). Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze (2.). Der Bundespräsident hat demgemäß das Recht der Parteien auf freie und gleiche Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art. 21 GG zu achten, jedoch können Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift (3.).

22

1. Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, Rn. 91 ff.). Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann - wie der Antragsgegner überzeugend dargelegt hat - den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung.

23

Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland entspricht es, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist der Bundespräsident nicht etwa, wie die Antragstellerin meint, von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zugrunde zu legen und darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben.

24

2. Der Bundespräsident übt Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG aus und ist gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden, was in der Eidesformel (Art. 56 GG), mittelbar in den Immunitätsregeln (Art. 60 Abs. 4 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GG wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht "über dem Gesetz".

25

3. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Dieses Recht kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>). Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Wann dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab.

26

a) So hat der Senat für die Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von einem (unzulässigen) parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass die Öffentlichkeitsarbeit durch Einsatz öffentlicher Mittel den die Regierung tragenden Parteien zu Hilfe kommt und die Oppositionsparteien bekämpft (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>). Geht es bei dieser Fallgestaltung in erster Linie darum, den Prozess der freien und offenen Meinungs- und Willensbildung des Volkes gegenüber vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht gedeckten Einflussnahmen der Bundesregierung zugunsten der sie tragenden Parteien abzuschirmen, sind die verfassungsrechtlichen Grenzen negativer Werturteile in den Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern von einem anderen Ausgangspunkt her zu bestimmen. Derartige Werturteile sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung grundsätzlich zulässig; die betroffene Partei kann sich im Kampf um die öffentliche Meinung dagegen zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>). Sie werden erst dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Diesen Ansatz hat der Senat auch für die Beteiligung staatlicher Stellen an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Einleitung eines gegen die Antragstellerin gerichteten Verbotsverfahrens aufgegriffen und ausgesprochen, dass das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung es staatlichen Stellen verwehrt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Februar 2013 - 2 BvE 11/12 -, NVwZ 2013, S. 568 <569>, Rn. 22; zu Abwägungen bei negativen Werturteilen in Verfassungsschutzberichten über Presseerzeugnisse vgl. BVerfGE 113, 63 <75 ff.>).

27

b) Diese Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres für die verfassungsrechtliche Beurteilung negativer Äußerungen des Bundespräsidenten über bestimmte Parteien heranziehen. Weder steht der Bundespräsident mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses, noch stehen ihm Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken. Es gehört auch nicht zu seinen Befugnissen, die Öffentlichkeit regelmäßig über radikale Bestrebungen zu informieren oder über einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei (Art. 21 Abs. 2 GG) zu befinden. Äußerungen des Bundespräsidenten haben andererseits kraft seiner Stellung besonderes Gewicht, und eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Bundespräsidenten folgt anderen Gegebenheiten als die mit direkten politischen Konkurrenten oder einer von ihnen getragenen Bundesregierung. Folglich sind die Grenzen der Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten gesondert zu bestimmen.

28

In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen - insbesondere solche, die den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden - aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren Beseitigung zu werben. Er kann in diesem Sinn integrierend nur wirken, wenn es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher zu benennen. Gehen Risiken und Gefahren nach Einschätzung des Bundespräsidenten von einer bestimmten politischen Partei aus, ist er nicht gehindert, die von ihm erkannten Zusammenhänge zum Gegenstand seiner öffentlichen Äußerungen zu machen. Dem steht die verfassungsrechtliche Erwartung nicht entgegen, dass der Bundespräsident - insbesondere zu Wahlkampfzeiten -eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (oben Rn. 25), weil mit ihr nicht die Vorstellung eines politisch indifferenten Amtswalters verbunden ist. Äußerungen des Bundespräsidenten sind dabei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind.

29

Entsprechend diesen Grundsätzen kann der Bundespräsident auch weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert und in welcher Weise er auf die jeweilige Kommunikationssituation eingeht. Er ist insbesondere nicht gehindert, sein Anliegen auch in zugespitzter Wortwahl vorzubringen, wenn er dies für angezeigt hält. Mit der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr im Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall sein wird, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" (vgl. BVerfGE 93, 266 <294> m.w.N.) qualifiziert werden.

30

c) Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, hat zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt. Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines "neutralen Bundespräsidenten" orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung. Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.

II.

31

Nach diesem Maßstab sind die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat sich mit seinen, wie sich jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, auch auf die Antragstellerin bezogenen Äußerungen gegen geschichtsvergessene rechtsradikale und fremdenfeindliche Überzeugungen gewandt und dazu aufgerufen, mit demokratischen Mitteln zu verhindern, dass sich diese Überzeugungen durchsetzen. Damit hat der Antragsgegner sich im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten und nicht willkürlich gegen die Antragstellerin Partei ergriffen.

32

1. Soweit die Antragstellerin sich in ihren Rechten dadurch verletzt sieht, dass der Antragsgegner Proteste gegen die Antragstellerin in Berlin-Hellersdorf öffentlich unterstützt habe, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die Antragstellerin unterstützt oder auch nur gutgeheißen hätte, lässt sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - nicht entnehmen. Der Bundespräsident hat eingangs seiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits das Abreißen von Plakaten nicht zu billigen. Es konnte daher kein Zweifel bestehen, dass er erst recht gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Antragstellerin ablehnte. Im Weiteren hat er lediglich in der Sache auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5, 8 GG) hingewiesen und zum politischen Meinungskampf aufgefordert. Hierzu war er befugt.

33

2. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes "Spinner" im konkreten Zusammenhang. Der Antragsgegner hat damit über die Antragstellerin und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als "Spinner" - neben derjenigen als "Ideologen" und "Fanatiker" - als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten (zur grundgesetzlichen Ordnung als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vgl. BVerfGE 124, 300 <327 ff.>). Die mit der Bezeichnung als "Spinner" vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen "ihre Grenzen aufweisen". Indem der Antragsgegner, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der Antragstellerin vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten (vgl. insoweit BVerfGE 124, 300 <330 f.>) geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Landtagswahl 2014 in Thüringen, durch die sich die an dieser Wahl teilnehmende Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt sieht.

I.

2

Am 23. Juni 2014 nahm die Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises in Weimar teil. Verantwortlich für die Durchführung dieser Veranstaltung war der Freistaat Thüringen.

3

Daneben stand sie an diesem Tag der Thüringischen Landeszeitung für ein Interview zur Verfügung, das am 25. Juni 2014 erschien. Gegenstand des Interviews war die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Ausgestaltung des in der Zuständigkeit der Antragsgegnerin liegenden Demokratieprogramms des Bundes, die Abschaffung der Extremismusklausel, die Frauenquote auf Führungsebene, die Anbringung der Regenbogenflagge am Ministerium und das Elterngeld. Außerdem wurde die Antragsgegnerin im Rahmen des Interviews auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag und sich daraus ergebende Konsequenzen angesprochen. Auf die Frage, wie mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene umzugehen sei, antwortete die Antragsgegnerin:

"Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."

4

Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf das Ministeramt als auch auf die Parteizugehörigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen.

II.

5

1. Die Antragstellerin sieht sich durch die Erklärung, ihr Einzug in den Thüringer Landtag müsse verhindert werden und die Antragsgegnerin werde im Wahlkampf mithelfen, dieses Ziel zu erreichen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt und trägt zur Begründung ihres hierauf gerichteten Feststellungsantrags vor:

6

a) Die Antragsgegnerin habe die angegriffene Äußerung in ihrer amtlichen Eigenschaft getätigt. Dass sie an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises als Bundesfamilienministerin teilgenommen habe, ergebe sich bereits aus der Presseerklärung ihres Ministeriums vom 23. Juni 2014. Daher seien auch ihre Äußerungen im Rahmen des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung als Äußerungen der Bundesfamilienministerin und nicht als private Äußerungen der Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende anzusehen.

7

Kontext und Inhalt des Interviews unterstrichen, dass die Antragsgegnerin sich in ihrer amtlichen Eigenschaft geäußert habe. Das gesamte Interview stelle sich als Statement der Bundesfamilienministerin dar, die über die Arbeit ihres Hauses berichte. Ihre Funktion als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende werde in dem gesamten Interview an keiner Stelle erwähnt.

8

b) Damit verstoße die angegriffene Äußerung gegen die aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit folgende Pflicht staatlicher Organe zur Neutralität im Wahlkampf.

9

Zwar dürfe die Regierung auch im Wahlkampf die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge unterrichten und Warnungen aussprechen. Dies gelte auch für die Warnung vor tatsächlichen oder vermeintlichen verfassungswidrigen Bestrebungen. Diese zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive dürfe aber nicht zu unzulässiger Wahlwerbung führen. Sie habe sich daher im Rahmen des dem einzelnen Organ zugewiesenen Aufgabenbereichs zu halten und sachbezogen, informierend und parteineutral zu sein.

10

Demgegenüber habe die Antragsgegnerin außerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gehandelt, da Fragen des präventiven Verfassungsschutzes dem Geschäftsbereich des Innenministeriums zugeordnet seien. Auch sei nicht ersichtlich, welche Zuständigkeitsnorm die Antragsgegnerin ermächtigen solle, sich zur thüringischen Landespolitik zu äußern. Mit der Aufforderung, den Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, habe die Antragsgegnerin ganz gezielt in den laufenden Wahlkampf eingegriffen und dadurch das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt.

11

2. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil ihre Äußerungen keine rechtserheblichen Maßnahmen darstellten, die allein Gegenstand eines Organstreits sein könnten. Darüber hinaus fehle es an der rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin, deren Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen, unangetastet geblieben sei.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

14

aa) Staatlichen Organen sei es zwar in amtlicher Funktion verwehrt, Parteien zu unterstützen oder diese zu bekämpfen. Handelten sie jedoch nicht in amtlicher Funktion, stehe es ihnen frei, wie jeder andere Bürger aktiv am Wahlkampf mitzuwirken und ihre Meinung frei zu äußern.

15

Die Antragsgegnerin habe sich vorliegend nicht in amtlicher Funktion betätigt. Die beanstandeten Sätze habe sie als stellvertretende Vorsitzende der SPD und nicht als Bundesministerin geäußert. Sie seien in einem Interview am Rande einer Preisverleihung gefallen, die vom Ministerium der Antragsgegnerin weder organisiert oder veranstaltet noch finanziell unterstützt worden sei. Interviews seien keine Maßnahmen, die ausschließlich Amtsinhabern zur Verfügung stünden. Öffentliche Mittel seien dafür nicht erforderlich. Die angekündigte Mithilfe der Antragsgegnerin im Thüringer Wahlkampf könne sich nur auf parteipolitische Aktivitäten beziehen, da die Antragsgegnerin in Thüringen keine Ämter innehabe. Die Verwendung der "Ich"-Form in den beanstandeten Äußerungen sei ein eindeutiger Beleg, dass die Antragsgegnerin sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen. Dies bestätige auch die Schilderung ihrer Erfahrungen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, die sich ausschließlich auf parteipolitische Tätigkeiten bezögen. Die Erwähnung des Amtes der Antragsgegnerin im Interview sei demgegenüber unschädlich.

16

bb) Die beanstandeten Äußerungen verstießen auch nicht gegen das Neutralitätsgebot. Im gesamten Interview finde sich keine Passage, die auch nur annähernd als Aufforderung verstanden werden könne, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Schon gar nicht sei den angegriffenen Sätzen eine "Warnung" zu entnehmen, sondern lediglich ein Aufruf zur Beteiligung an der Wahl. Die Antragsgegnerin identifiziere sich mit der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, sich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, und sei als Bundesministerin auch verpflichtet, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Diese aus dem Prinzip der wehrhaften Demokratie entspringende Verpflichtung könne zur Folge haben, dass gegenüber Parteien, die extremistischen Bestrebungen anhingen, eine neutrale Position gerade nicht eingenommen werden könne, sofern das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit gewahrt bleibe.

17

3. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2014 abgelehnt.

18

Daraufhin hat die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Antragsgegnerin gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe, indem sie behauptet habe, die Antragstellerin wolle ihr "Molotow-Cocktail-Image" ablegen, sie komme nicht mehr mit "Springerstiefeln und Glatze" daher, sondern im feinen "Nadelstreifenanzug" und hinter ihrem sozialen Engagement stecke die "Ideologie von Hitler". Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss die Behauptung der Antragsgegnerin aufgreife, sie habe persönliche Erlebnisse aus ihrer Zeit im Landtag Mecklenburg-Vorpommern wiedergegeben und daraus die Möglichkeit einer Qualifizierung der streitgegenständlichen Interview-Passage als private Äußerung ableite, sei zu beachten, dass sie diese Erkenntnisse in amtlicher Eigenschaft als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern und nicht als Privatperson gewonnen habe.

19

4. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der kein Gebrauch gemacht wurde.

20

5. In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

21

Der Antrag ist zulässig.

22

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme der gemäß § 63 BVerfGG parteifähigen Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 44, 125 <137>; 121, 30 <57> m.w.N.).

23

Die Antragstellerin behauptet, die Antragsgegnerin habe die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zu ihren Lasten unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Sie wendet sich nur gegen die in ihrem Antrag wörtlich zitierten Passagen des Interviews der Antragsgegnerin, die die Ankündigung ihrer Beteiligung am Thüringer Wahlkampf und die Erklärung, primäres Ziel müsse es sein, den Einzug der Antragstellerin in den Landtag zu verhindern, zum Gegenstand haben. Im vorliegenden Verfahren ist daher allein darüber zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin durch diese im Antrag ausdrücklich bezeichnete Aussage die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Denn im Organstreitverfahren wird der Streitgegenstand durch die im Antrag genannte Maßnahme oder Unterlassung und durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die die Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll (§ 64 Abs. 2 BVerfGG). An diese Begrenzung des Streitstoffes ist das Bundesverfassungsgericht gebunden (vgl. BVerfGE 68, 1 <63> m.w.N.).

24

Die angegriffene Aussage der Antragsgegnerin stellt eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.). Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin dadurch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 19). Dass die Antragstellerin dadurch nicht gehindert war, an der Landtagswahl in Thüringen teilzunehmen, vermag hieran nichts zu ändern.

C.

25

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG).

I.

26

Der durch Art. 21 GG den Parteien zuerkannte verfassungsrechtliche Status gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (1.). Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien (2.). Die sich aus diesem Neutralitätsgebot ergebenden Auswirkungen für das Handeln von Staatsorganen und der Maßstab verfassungsgerichtlicher Kontrolle seiner Beachtung sind für jedes Staatsorgan unter Berücksichtigung seiner Stellung im Verfassungsgefüge gesondert zu bestimmen; daher sind die für Äußerungen des Bundespräsidenten geltenden Maßstäbe auf die Bundesregierung nicht übertragbar (3.). Mitglieder der Bundesregierung haben bei Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen die Pflicht zu strikter Neutralität (4.). Das Neutralitätsgebot gilt, soweit die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amtes oder der damit verbundenen Ressourcen erfolgt (5.). Geltung und Beachtung des Neutralitätsgebots unterliegen bei Äußerungen von Bundesministern uneingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle (6.).

27

1. a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 20, 56 <97>; 44, 125 <139>).

28

b) Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs Neue grundsätzlich die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offengehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>).

29

c) Dieser Prozess freier und offener Meinungs- und Willensbildung setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>). Der hervorragenden Bedeutung, die in diesem Prozess den politischen Parteien zukommt, hat das Grundgesetz dadurch Ausdruck verliehen, dass es ihnen in Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt hat. Er gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren (BVerfGE 44, 125 <139>).

30

d) Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungssatz von der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss (vgl. BVerfGE 24, 300 <340 f.>; 44, 125 <146>). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>).

31

2. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 25). Eine solche Einwirkung verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>).

32

a) Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken unablässig auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand der Meinungsbildung des Volkes; Meinungen aus dem Volk, sehr häufig vorgeformt und gestaltet vor allem in den politischen Parteien, aber auch zum Beispiel über Verbände und über Massenmedien, wirken auf die Willensbildung in den Staatsorganen ein (BVerfGE 44, 125 <139 f.>).

33

So sehr von dem Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten (vgl. BVerfGE 44, 125 <143 f.>).

34

b) Diese Neutralitätspflicht staatlicher Organe besteht gegenüber allen Parteien, wenn nicht deren Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 133, 100 <107>).

35

3. Die Konsequenzen, die sich für das Handeln eines Staatsorgans aus der Pflicht zur Beachtung des Rechts politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb ergeben, und die Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Beachtung des Neutralitätsgebots sind für jedes Staatsorgan gesondert unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen. Daher sind die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und deren Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gelten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris), auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist.

36

Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 91 ff.). Wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 22). Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition entspricht es zwar, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu den Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für seine Amtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 23).

37

Das gilt auch für öffentliche Äußerungen. Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 27). Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert. Namentlich sind Äußerungen des Bundespräsidenten nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 28). Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 29). Abgesehen davon können Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014, - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 30).

38

4. Öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung sind vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie ihrer verfassungsrechtlichen Stellung eigenständig zu beurteilen. Die Bundesregierung nimmt staatsleitende Funktionen wahr, die auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit beinhalten (a). Ungeachtet der tatsächlichen Rückwirkungen ihres Handelns auf die Willensbildung des Volkes ist es ihr dabei von Verfassungs wegen versagt, parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einzuwirken (b). Auch der einzelne Bundesminister hat bei der Ausübung seines Amtes entsprechend seiner Bindung an Gesetz und Recht das Neutralitätsgebot zu beachten (c). Nimmt er hingegen keine amtlichen Funktionen wahr, ist er an der Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht gehindert (d).

39

a) Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 9, 268 <282>). Gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung (vgl. BVerfGE 11, 77 <85>; 26, 338 <395 f.>; 105, 252 <270>; 105, 279 <301>). Zwar vermitteln die einzeln in der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder (vgl. insbesondere Art. 23 Abs. 2, 3, 5, 6; Art. 24 Abs. 1a; Art. 26 Abs. 2; Art. 32 Abs. 3; Art. 37; Art. 42 Abs. 1; Art. 43; Art. 52 Abs. 2; Art. 53; Art. 53a Abs. 2; Art. 65; Art. 76; Art. 77 Abs. 2; Art. 80; Art. 80a Abs. 3; Art. 81; Art. 84 Abs. 2 bis 5; Art. 85 Abs. 2 bis 4; Art. 86; Art. 87a Abs. 4; Art. 87b Abs. 2; Art. 91 Abs. 2; Art. 104b Abs. 3; Art. 108 Abs. 7; Art. 109 Abs. 4; Art. 111; Art. 113; Art. 114; Art. 115a Abs. 1; Art. 115d Abs. 2; Art. 115f; Art. 115i Abs. 2; Art. 129 Abs. 1; Art. 130 Abs. 1; Art. 132 Abs. 4 GG) nur einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im Sinne einer - abschließender Regelung nicht zugänglichen - verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik (vgl. BVerfGE 105, 279 <301>) jedoch stillschweigend voraus (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>).

40

Diese Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>). Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125 <147 f.>; 63, 230 <243>; 105, 252 <269>; 105, 279 <301 f.>).

41

b) Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben ist die Bundesregierung an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG).

42

aa) Schon deshalb ist ihr jede Äußerung untersagt, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu qualifizieren wäre.

43

bb) Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten.

44

Das Regierungshandeln beeinflusst die Meinungsbildung des Volkes in erheblichem Umfang und entfaltet Rückwirkungen auf dessen Wahlentscheidungen. Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus. Die Bundesregierung wird bei ihrem Handeln ebenso wie die sie tragenden Fraktionen und Abgeordneten im Parlament und die Opposition immer auch die Wählerinnen und Wähler im Blick haben. Dies ist Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen.

45

Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr allerdings nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Daher ist sie zur Beachtung des Neutralitätsgebotes verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 <141 ff.>).

46

Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet somit dort, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerfGE 63, 230 <243>). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass unter Einsatz öffentlicher Mittel Regierungsparteien unterstützt und Oppositionsparteien bekämpft werden (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>; 63, 230 <243 f.>).

47

cc) Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat die Bundesregierung sich mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>; 133, 100 <107 f.>). Sie werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>).

48

Jenseits der Frage einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Bundesregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 100 <108>; früher bereits BVerfGE 40, 287 <293>). Diese Maßgaben gelten auch für die öffentliche Erörterung, ob gegen eine Partei ein Verbotsverfahren eingeleitet wird. Staatliche Stellen sind nicht gehindert, das Für und Wider dieser schwerwiegenden Maßnahme mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht (BVerfGE 133, 100<108>).

49

c) Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung als Ganzes zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet. Auch dem einzelnen Bundesminister ist es im Rahmen seiner Regierungstätigkeit von Verfassungs wegen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen.

50

d) Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Inhaber eines Ministeramtes außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnimmt und in den Wahlkampf eingreift (vgl. BVerfGE 44, 125 <141>; VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22).

51

aa) Im Parteienstaat des Grundgesetzes entspricht es der Ratio von Art. 21 GG, dass die Inhaber eines Regierungsamtes einer Partei angehören und in dieser auch Führungsverantwortung wahrnehmen. Die bloße Übernahme des Regierungsamtes soll insoweit gerade nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22 f.).

52

bb) Würde die Übernahme eines Regierungsamtes dazu führen, dass der Amtsinhaber durch die Bindung an das Neutralitätsgebot gehindert wäre, am politischen Wettbewerb teilzunehmen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der die Regierung tragenden Parteien führen. Parteien, die als Sieger aus einer Wahlauseinandersetzung hervorgegangen sind, würden durch die fehlende Möglichkeit, auf die Mitarbeit der mit Regierungsämtern betrauten Parteimitglieder zurückzugreifen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beschränkt. Mit der parteienstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes, wie sie in Art. 21 GG Ausdruck gefunden hat, ist dies nicht zu vereinbaren.

53

5. Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen.

54

a) Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass beim Handeln des Inhabers eines Ministeramtes eine strikte Trennung der Sphären des "Bundesministers", des "Parteipolitikers" und der politisch handelnden "Privatperson" nicht möglich ist (vgl. zum Mandat des Abgeordneten: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvR 2436/10, 2 BvE 62 BvE 6/08 -, juris, Rn. 98; anders noch BVerfGE 44, 125 <141>). Auch aus Sicht der Bürger wird der Inhaber eines Regierungsamtes regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen (vgl. BVerfGE 44, 125 <187>, abweichende Meinung).

55

b) aa) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird. Ist dies der Fall, unterliegt das Regierungsmitglied der Bindung an das Neutralitätsgebot. Ansonsten ist seine Äußerung dem allgemeinen politischen Wettbewerb zuzurechnen.

56

bb) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25).

57

(1) Ein spezifischer Rückgriff auf die mit seinem Regierungsamt verbundene Autorität liegt regelmäßig vor, wenn ein Bundesminister bei einer Äußerung ausdrücklich auf sein Ministeramt Bezug nimmt oder die Äußerung ausschließlich Maßnahmen oder Vorhaben des von ihm geführten Ministeriums zum Gegenstand hat. Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25) erklärt. Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 44, 125 <143>). Schließlich findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn ein Bundesminister sich im Rahmen einer Veranstaltung äußert, die von der Bundesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Bundesministers an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt.

58

(2) Demgegenüber ist eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Regierungsmitglied im parteipolitischen Kontext agiert. Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Personen primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden.

59

(3) Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses (Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews) bedürfen differenzierter Betrachtung. Der Inhaber eines Regierungsamtes kann hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein. Häufig dienen derartige Veranstaltungen - insbesondere bei der Beteiligung einer Mehrzahl von Personen - dem themenbezogenen Austausch politischer Argumente und Positionen und sind daher vorrangig dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Dass dabei die Amtsbezeichnung verwendet wird, ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Auch insoweit kommt es letztlich für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt. Dies kann im Rahmen derselben Veranstaltung bei einer Mehrzahl von Aussagen in unterschiedlicher Weise der Fall sein.

60

(4) Zeitungsinterviews stehen nicht nur Inhabern von Regierungsämtern, sondern auch Angehörigen der sie tragenden politischen Parteien und der Opposition offen. Die Auswahl der Interviewpartner liegt in der journalistischen Verantwortung des jeweiligen Presseorgans. Dass dabei Inhabern von Regierungsämtern besonderes Interesse zuteil wird, gehört zu den Gegebenheiten des politischen Wettbewerbs, die im Prozess einer freiheitlichen Demokratie hinzunehmen sind (vgl. zur Hinnahme weiterer tatsächlicher Unterschiede BVerfGE 8, 51 <67>; 14, 121 <134>; 52, 63 <89>; 78, 350 <358>; 85, 264 <297>).

61

Der Inhaber eines Regierungsamtes ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen eines Interviews auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken, da auch dies mit dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr ist er auch insoweit zur Teilnahme am politischen Meinungskampf befugt. Nimmt er aber für eine Aussage in einem Interview die mit seinem Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch, ist er an das Neutralitätsgebot gebunden.

62

6. Die Geltung und Beachtung des aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung und ihre Mitglieder sind durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar.

63

Auch wenn die Bundesregierung als solche am Wettbewerb zwischen den politischen Parteien nicht teilnimmt, wirkt das Regierungshandeln - wie dargestellt (siehe oben Rn. 43 ff.) - in erheblichem Umfang auf die Willensbildung des Volkes ein. Die Mitglieder der Bundesregierung sind regelmäßig in den politischen Meinungskampf einbezogen. Die Bundesregierung selbst verfügt aufgrund ihrer Ressourcen und Machtbefugnisse über die Möglichkeit, durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle. Angesichts der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und dem sich daraus ergebenden Risiko für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum.

II.

64

Nach diesen Maßstäben ist die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie war zwar objektiv geeignet, zulasten der Antragstellerin inden Landtagswahlkampf in Thüringen einzuwirken (1). Sie verletzt das Recht der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG aber nicht (2).

65

1. Die angegriffene Erklärung der Antragsgegnerin beinhaltet einen gegen die Antragstellerin gerichteten Wahlaufruf. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin beschränkt sie sich keineswegs auf eine allgemein gehaltene Aufforderung zur Wahlteilnahme, ohne dass sie als Aufruf verstanden werden könnte, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Im Gegenteil: Mit der Aussage, primäres Ziel bei der Wahl im September müsse es sein, den Einzug der ausdrücklich benannten Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, fordert die Antragsgegnerin zu deren Nichtwahl auf.

66

Die beanstandete Äußerung beschränkt sich auch nicht auf eine Information über von der Antragsgegnerin vertretene Positionen oder Strategien oder deren Bewertung als verfassungsfeindlich. Die Frage der internen Zuständigkeitsverteilung bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Bundesregierung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, kann daher dahinstehen. Die beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin reicht über die Wahrnehmung dieser Aufgabe hinaus, indem sie eine konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten bei der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 2014 enthält, das Ziel einer Verhinderung des Einzugs der Antragstellerin in den Landtag vorgibt und das Engagement der Antragsgegnerin zur Erreichung dieses Ziels ankündigt. Insoweit handelt es sich um ein parteiergreifendes Einwirken zulasten der Antragstellerin in den Landtagswahlkampf in Thüringen.

67

2. Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin hat dennoch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzt.

68

a) Eine mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare, diffamierende Äußerung, die in anderen Zusammenhängen als Schmähkritik im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu bewerten wäre, liegt nicht vor. In der mit der Organklage allein angegriffenen Äußerung (siehe oben Rn. 23) fordert die Antragsgegnerin in sachlich gehaltener Form zur Nichtwahl der Antragstellerin bei der Landtagswahl in Thüringen auf und erklärt, dass sie beabsichtigt, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen.

69

b) Die angegriffene Äußerung ist dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Denn die Antragsgegnerin hat bezogen auf diese Äußerung im Rahmen ihres Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung nicht in spezifischer Weise auf die mit ihrem Regierungsamt verbundene Autorität zurückgegriffen und war daher auch nicht an die Beachtung des aus dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit folgenden Neutralitätsgebots gebunden.

70

aa) Dass die Antragsgegnerin die beanstandete Äußerung unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität oder Ressourcen ihres Amtes gemacht hat, lässt sich den äußeren Umständen, unter denen das Interview mit der Thüringischen Landeszeitung geführt wurde, nicht entnehmen.

71

(1) Insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin in Wahrnehmung ihres Amtes als Bundesministerin an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises am 23. Juni 2014 in Weimar teilgenommen hat. Die Eröffnung der Tagung und das Interview der Antragsgegnerin mit der Thüringischen Landeszeitung stellen zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen sind. Der bloße örtliche und zeitliche Zusammenhang führt nicht dazu, dass das Handeln in amtlicher Funktion bei der Veranstaltung des Freistaats Thüringen auf das am Rande geführte Interview ausstrahlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Presseerklärung des von der Antragsgegnerin geführten Ministeriums, da diese ausschließlich die Teilnahme der Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz zum Gegenstand hat.

72

(2) Auch die übrigen äußeren Umstände führen zu keinem anderen Ergebnis. Weder hat die Antragsgegnerin bei der Führung des Interviews auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen noch ist ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die der Antragsgegnerin aufgrund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Die Anwesenheit der Antragsgegnerin in Weimar und der dadurch verursachte Aufwand waren durch die in Wahrnehmung ihres Regierungsamtes stattfindende Teilnahme an der Veranstaltung des Freistaates Thüringen veranlasst. Dass für die Führung des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung zusätzliche Sach- oder Finanzmittel aufgewandt wurden, ist weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich.

73

bb) Dem Interview selbst kann im Ergebnis ebenfalls nicht entnommen werden, dass die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität ihres Amtes erfolgte.

74

(1) Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf deren Amt als Bundesministerin als auch auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen. Daraus kann entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht geschlossen werden, dass das Interview als einheitliches Statement der Bundesfamilienministerin anzusehen ist.

75

(2) Das Interview hat zwar weitgehend die Regierungstätigkeit der Antragsgegnerin und Projekte des von ihr geführten Ministeriums zum Gegenstand. Ihre Aussagen zum Demokratieprogramm des Bundes, zur Abschaffung der Extremismusklausel, zum Anbringen der Regenbogenflagge und zum Elterngeld sind ausschließlich auf ihr Ministeramt bezogen. Hiervon ist aber der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich mit dem möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag sowie daraus sich ergebender Konsequenzen befasst und die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin enthält. Diese Aussagen sind nicht mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt, so dass die Antragsgegnerin insoweit auch nicht zur Neutralität verpflichtet war.

76

(a) Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang überhaupt in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung angesprochen worden ist. Die Frage, deren Beantwortung zu der streitbefangenen Äußerung der Antragsgegnerin führte, bezieht sich auf den Umgang mit Anträgen der Antragstellerin in Landesparlamenten und Kommunalvertretungen. Sie betrifft damit ein Problem der politischen Strategie dort vertretener Parteien und nicht die Wahrnehmung von Regierungsaufgaben.

77

(b) Entsprechend hat die Antragsgegnerin geantwortet. Zwar ist die Einlassung der Antragsgegnerin, die Verwendung der "Ich"-Form in der beanstandeten Äußerung sei ein eindeutiger Beleg dafür, dass sie sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen, nicht überzeugend, da sie weder in denjenigen Passagen des Interviews, die ihr Handeln als Bundesministerin betreffen, auf die Verwendung dieser Form verzichtet hat noch ihre Funktion als stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD überhaupt an irgendeiner Stelle des Zeitungsartikels Erwähnung findet.

78

Die Antragsgegnerin nimmt aber bei der Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene ebenso wie in der gesamten Passage des Interviews, die sich auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag bezieht, in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität Bezug. Stattdessen verweist sie auf ihre Erfahrung im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und damit auf persönliche Kenntnisse, die sie gerade nicht aufgrund ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung gewonnen hat. Dass sie diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern erlangt hat, ändert hieran nichts. Ein Rückgriff auf die Autorität ihres Regierungsamtes findet insoweit nicht statt. Die Aussage der Antragsgegnerin stellt einen Beitrag zur parteipolitischen Auseinandersetzung dar. Hiergegen muss die Antragstellerin sich mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Landtagswahl 2014 in Thüringen, durch die sich die an dieser Wahl teilnehmende Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt sieht.

I.

2

Am 23. Juni 2014 nahm die Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises in Weimar teil. Verantwortlich für die Durchführung dieser Veranstaltung war der Freistaat Thüringen.

3

Daneben stand sie an diesem Tag der Thüringischen Landeszeitung für ein Interview zur Verfügung, das am 25. Juni 2014 erschien. Gegenstand des Interviews war die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Ausgestaltung des in der Zuständigkeit der Antragsgegnerin liegenden Demokratieprogramms des Bundes, die Abschaffung der Extremismusklausel, die Frauenquote auf Führungsebene, die Anbringung der Regenbogenflagge am Ministerium und das Elterngeld. Außerdem wurde die Antragsgegnerin im Rahmen des Interviews auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag und sich daraus ergebende Konsequenzen angesprochen. Auf die Frage, wie mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene umzugehen sei, antwortete die Antragsgegnerin:

"Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."

4

Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf das Ministeramt als auch auf die Parteizugehörigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen.

II.

5

1. Die Antragstellerin sieht sich durch die Erklärung, ihr Einzug in den Thüringer Landtag müsse verhindert werden und die Antragsgegnerin werde im Wahlkampf mithelfen, dieses Ziel zu erreichen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt und trägt zur Begründung ihres hierauf gerichteten Feststellungsantrags vor:

6

a) Die Antragsgegnerin habe die angegriffene Äußerung in ihrer amtlichen Eigenschaft getätigt. Dass sie an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises als Bundesfamilienministerin teilgenommen habe, ergebe sich bereits aus der Presseerklärung ihres Ministeriums vom 23. Juni 2014. Daher seien auch ihre Äußerungen im Rahmen des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung als Äußerungen der Bundesfamilienministerin und nicht als private Äußerungen der Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende anzusehen.

7

Kontext und Inhalt des Interviews unterstrichen, dass die Antragsgegnerin sich in ihrer amtlichen Eigenschaft geäußert habe. Das gesamte Interview stelle sich als Statement der Bundesfamilienministerin dar, die über die Arbeit ihres Hauses berichte. Ihre Funktion als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende werde in dem gesamten Interview an keiner Stelle erwähnt.

8

b) Damit verstoße die angegriffene Äußerung gegen die aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit folgende Pflicht staatlicher Organe zur Neutralität im Wahlkampf.

9

Zwar dürfe die Regierung auch im Wahlkampf die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge unterrichten und Warnungen aussprechen. Dies gelte auch für die Warnung vor tatsächlichen oder vermeintlichen verfassungswidrigen Bestrebungen. Diese zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive dürfe aber nicht zu unzulässiger Wahlwerbung führen. Sie habe sich daher im Rahmen des dem einzelnen Organ zugewiesenen Aufgabenbereichs zu halten und sachbezogen, informierend und parteineutral zu sein.

10

Demgegenüber habe die Antragsgegnerin außerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gehandelt, da Fragen des präventiven Verfassungsschutzes dem Geschäftsbereich des Innenministeriums zugeordnet seien. Auch sei nicht ersichtlich, welche Zuständigkeitsnorm die Antragsgegnerin ermächtigen solle, sich zur thüringischen Landespolitik zu äußern. Mit der Aufforderung, den Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, habe die Antragsgegnerin ganz gezielt in den laufenden Wahlkampf eingegriffen und dadurch das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt.

11

2. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

12

a) Der Antrag sei bereits unzulässig, weil ihre Äußerungen keine rechtserheblichen Maßnahmen darstellten, die allein Gegenstand eines Organstreits sein könnten. Darüber hinaus fehle es an der rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin, deren Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen, unangetastet geblieben sei.

13

b) Der Antrag sei auch unbegründet.

14

aa) Staatlichen Organen sei es zwar in amtlicher Funktion verwehrt, Parteien zu unterstützen oder diese zu bekämpfen. Handelten sie jedoch nicht in amtlicher Funktion, stehe es ihnen frei, wie jeder andere Bürger aktiv am Wahlkampf mitzuwirken und ihre Meinung frei zu äußern.

15

Die Antragsgegnerin habe sich vorliegend nicht in amtlicher Funktion betätigt. Die beanstandeten Sätze habe sie als stellvertretende Vorsitzende der SPD und nicht als Bundesministerin geäußert. Sie seien in einem Interview am Rande einer Preisverleihung gefallen, die vom Ministerium der Antragsgegnerin weder organisiert oder veranstaltet noch finanziell unterstützt worden sei. Interviews seien keine Maßnahmen, die ausschließlich Amtsinhabern zur Verfügung stünden. Öffentliche Mittel seien dafür nicht erforderlich. Die angekündigte Mithilfe der Antragsgegnerin im Thüringer Wahlkampf könne sich nur auf parteipolitische Aktivitäten beziehen, da die Antragsgegnerin in Thüringen keine Ämter innehabe. Die Verwendung der "Ich"-Form in den beanstandeten Äußerungen sei ein eindeutiger Beleg, dass die Antragsgegnerin sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen. Dies bestätige auch die Schilderung ihrer Erfahrungen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, die sich ausschließlich auf parteipolitische Tätigkeiten bezögen. Die Erwähnung des Amtes der Antragsgegnerin im Interview sei demgegenüber unschädlich.

16

bb) Die beanstandeten Äußerungen verstießen auch nicht gegen das Neutralitätsgebot. Im gesamten Interview finde sich keine Passage, die auch nur annähernd als Aufforderung verstanden werden könne, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Schon gar nicht sei den angegriffenen Sätzen eine "Warnung" zu entnehmen, sondern lediglich ein Aufruf zur Beteiligung an der Wahl. Die Antragsgegnerin identifiziere sich mit der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, sich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, und sei als Bundesministerin auch verpflichtet, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Diese aus dem Prinzip der wehrhaften Demokratie entspringende Verpflichtung könne zur Folge haben, dass gegenüber Parteien, die extremistischen Bestrebungen anhingen, eine neutrale Position gerade nicht eingenommen werden könne, sofern das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit gewahrt bleibe.

17

3. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2014 abgelehnt.

18

Daraufhin hat die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Antragsgegnerin gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe, indem sie behauptet habe, die Antragstellerin wolle ihr "Molotow-Cocktail-Image" ablegen, sie komme nicht mehr mit "Springerstiefeln und Glatze" daher, sondern im feinen "Nadelstreifenanzug" und hinter ihrem sozialen Engagement stecke die "Ideologie von Hitler". Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss die Behauptung der Antragsgegnerin aufgreife, sie habe persönliche Erlebnisse aus ihrer Zeit im Landtag Mecklenburg-Vorpommern wiedergegeben und daraus die Möglichkeit einer Qualifizierung der streitgegenständlichen Interview-Passage als private Äußerung ableite, sei zu beachten, dass sie diese Erkenntnisse in amtlicher Eigenschaft als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern und nicht als Privatperson gewonnen habe.

19

4. Das Bundesverfassungsgericht hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der kein Gebrauch gemacht wurde.

20

5. In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2014 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.

B.

21

Der Antrag ist zulässig.

22

Der Antragstellerin steht zur Verfolgung ihres Anliegens der Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG offen. Sie macht geltend, als politische Partei durch eine Maßnahme der gemäß § 63 BVerfGG parteifähigen Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 44, 125 <137>; 121, 30 <57> m.w.N.).

23

Die Antragstellerin behauptet, die Antragsgegnerin habe die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zu ihren Lasten unzulässig in den Wahlkampf eingewirkt. Sie wendet sich nur gegen die in ihrem Antrag wörtlich zitierten Passagen des Interviews der Antragsgegnerin, die die Ankündigung ihrer Beteiligung am Thüringer Wahlkampf und die Erklärung, primäres Ziel müsse es sein, den Einzug der Antragstellerin in den Landtag zu verhindern, zum Gegenstand haben. Im vorliegenden Verfahren ist daher allein darüber zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin durch diese im Antrag ausdrücklich bezeichnete Aussage die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Denn im Organstreitverfahren wird der Streitgegenstand durch die im Antrag genannte Maßnahme oder Unterlassung und durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die die Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll (§ 64 Abs. 2 BVerfGG). An diese Begrenzung des Streitstoffes ist das Bundesverfassungsgericht gebunden (vgl. BVerfGE 68, 1 <63> m.w.N.).

24

Die angegriffene Aussage der Antragsgegnerin stellt eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.). Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin dadurch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt hat (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 44, 125 <146>; 63, 230 <243>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 19). Dass die Antragstellerin dadurch nicht gehindert war, an der Landtagswahl in Thüringen teilzunehmen, vermag hieran nichts zu ändern.

C.

25

Der Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG).

I.

26

Der durch Art. 21 GG den Parteien zuerkannte verfassungsrechtliche Status gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (1.). Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien (2.). Die sich aus diesem Neutralitätsgebot ergebenden Auswirkungen für das Handeln von Staatsorganen und der Maßstab verfassungsgerichtlicher Kontrolle seiner Beachtung sind für jedes Staatsorgan unter Berücksichtigung seiner Stellung im Verfassungsgefüge gesondert zu bestimmen; daher sind die für Äußerungen des Bundespräsidenten geltenden Maßstäbe auf die Bundesregierung nicht übertragbar (3.). Mitglieder der Bundesregierung haben bei Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen die Pflicht zu strikter Neutralität (4.). Das Neutralitätsgebot gilt, soweit die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amtes oder der damit verbundenen Ressourcen erfolgt (5.). Geltung und Beachtung des Neutralitätsgebots unterliegen bei Äußerungen von Bundesministern uneingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle (6.).

27

1. a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 20, 56 <97>; 44, 125 <139>).

28

b) Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs Neue grundsätzlich die gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offengehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>).

29

c) Dieser Prozess freier und offener Meinungs- und Willensbildung setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 <145>). Der hervorragenden Bedeutung, die in diesem Prozess den politischen Parteien zukommt, hat das Grundgesetz dadurch Ausdruck verliehen, dass es ihnen in Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt hat. Er gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren (BVerfGE 44, 125 <139>).

30

d) Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungssatz von der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss (vgl. BVerfGE 24, 300 <340 f.>; 44, 125 <146>). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>).

31

2. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 25). Eine solche Einwirkung verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>).

32

a) Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken unablässig auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand der Meinungsbildung des Volkes; Meinungen aus dem Volk, sehr häufig vorgeformt und gestaltet vor allem in den politischen Parteien, aber auch zum Beispiel über Verbände und über Massenmedien, wirken auf die Willensbildung in den Staatsorganen ein (BVerfGE 44, 125 <139 f.>).

33

So sehr von dem Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten (vgl. BVerfGE 44, 125 <143 f.>).

34

b) Diese Neutralitätspflicht staatlicher Organe besteht gegenüber allen Parteien, wenn nicht deren Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 133, 100 <107>).

35

3. Die Konsequenzen, die sich für das Handeln eines Staatsorgans aus der Pflicht zur Beachtung des Rechts politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb ergeben, und die Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Beachtung des Neutralitätsgebots sind für jedes Staatsorgan gesondert unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen. Daher sind die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und deren Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gelten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris), auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist.

36

Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 91 ff.). Wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 22). Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition entspricht es zwar, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu den Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 22 BvE 2/10 -, juris, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für seine Amtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 23).

37

Das gilt auch für öffentliche Äußerungen. Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 27). Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert. Namentlich sind Äußerungen des Bundespräsidenten nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 28). Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 29). Abgesehen davon können Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014, - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 30).

38

4. Öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung sind vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie ihrer verfassungsrechtlichen Stellung eigenständig zu beurteilen. Die Bundesregierung nimmt staatsleitende Funktionen wahr, die auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit beinhalten (a). Ungeachtet der tatsächlichen Rückwirkungen ihres Handelns auf die Willensbildung des Volkes ist es ihr dabei von Verfassungs wegen versagt, parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einzuwirken (b). Auch der einzelne Bundesminister hat bei der Ausübung seines Amtes entsprechend seiner Bindung an Gesetz und Recht das Neutralitätsgebot zu beachten (c). Nimmt er hingegen keine amtlichen Funktionen wahr, ist er an der Teilnahme am politischen Meinungskampf nicht gehindert (d).

39

a) Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 9, 268 <282>). Gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung (vgl. BVerfGE 11, 77 <85>; 26, 338 <395 f.>; 105, 252 <270>; 105, 279 <301>). Zwar vermitteln die einzeln in der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder (vgl. insbesondere Art. 23 Abs. 2, 3, 5, 6; Art. 24 Abs. 1a; Art. 26 Abs. 2; Art. 32 Abs. 3; Art. 37; Art. 42 Abs. 1; Art. 43; Art. 52 Abs. 2; Art. 53; Art. 53a Abs. 2; Art. 65; Art. 76; Art. 77 Abs. 2; Art. 80; Art. 80a Abs. 3; Art. 81; Art. 84 Abs. 2 bis 5; Art. 85 Abs. 2 bis 4; Art. 86; Art. 87a Abs. 4; Art. 87b Abs. 2; Art. 91 Abs. 2; Art. 104b Abs. 3; Art. 108 Abs. 7; Art. 109 Abs. 4; Art. 111; Art. 113; Art. 114; Art. 115a Abs. 1; Art. 115d Abs. 2; Art. 115f; Art. 115i Abs. 2; Art. 129 Abs. 1; Art. 130 Abs. 1; Art. 132 Abs. 4 GG) nur einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im Sinne einer - abschließender Regelung nicht zugänglichen - verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik (vgl. BVerfGE 105, 279 <301>) jedoch stillschweigend voraus (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>).

40

Diese Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (vgl. BVerfGE 105, 252 <270>). Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125 <147 f.>; 63, 230 <243>; 105, 252 <269>; 105, 279 <301 f.>).

41

b) Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben ist die Bundesregierung an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG).

42

aa) Schon deshalb ist ihr jede Äußerung untersagt, die in anderen Zusammenhängen als "Schmähkritik" im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu qualifizieren wäre.

43

bb) Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten.

44

Das Regierungshandeln beeinflusst die Meinungsbildung des Volkes in erheblichem Umfang und entfaltet Rückwirkungen auf dessen Wahlentscheidungen. Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus. Die Bundesregierung wird bei ihrem Handeln ebenso wie die sie tragenden Fraktionen und Abgeordneten im Parlament und die Opposition immer auch die Wählerinnen und Wähler im Blick haben. Dies ist Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>). Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen.

45

Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr allerdings nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Daher ist sie zur Beachtung des Neutralitätsgebotes verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 <141 ff.>).

46

Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet somit dort, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerfGE 63, 230 <243>). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass unter Einsatz öffentlicher Mittel Regierungsparteien unterstützt und Oppositionsparteien bekämpft werden (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>; 63, 230 <243 f.>).

47

cc) Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat die Bundesregierung sich mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>; 133, 100 <107 f.>). Sie werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>).

48

Jenseits der Frage einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Bundesregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 100 <108>; früher bereits BVerfGE 40, 287 <293>). Diese Maßgaben gelten auch für die öffentliche Erörterung, ob gegen eine Partei ein Verbotsverfahren eingeleitet wird. Staatliche Stellen sind nicht gehindert, das Für und Wider dieser schwerwiegenden Maßnahme mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht (BVerfGE 133, 100<108>).

49

c) Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung als Ganzes zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet. Auch dem einzelnen Bundesminister ist es im Rahmen seiner Regierungstätigkeit von Verfassungs wegen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen.

50

d) Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Inhaber eines Ministeramtes außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnimmt und in den Wahlkampf eingreift (vgl. BVerfGE 44, 125 <141>; VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22).

51

aa) Im Parteienstaat des Grundgesetzes entspricht es der Ratio von Art. 21 GG, dass die Inhaber eines Regierungsamtes einer Partei angehören und in dieser auch Führungsverantwortung wahrnehmen. Die bloße Übernahme des Regierungsamtes soll insoweit gerade nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 22 f.).

52

bb) Würde die Übernahme eines Regierungsamtes dazu führen, dass der Amtsinhaber durch die Bindung an das Neutralitätsgebot gehindert wäre, am politischen Wettbewerb teilzunehmen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der die Regierung tragenden Parteien führen. Parteien, die als Sieger aus einer Wahlauseinandersetzung hervorgegangen sind, würden durch die fehlende Möglichkeit, auf die Mitarbeit der mit Regierungsämtern betrauten Parteimitglieder zurückzugreifen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beschränkt. Mit der parteienstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes, wie sie in Art. 21 GG Ausdruck gefunden hat, ist dies nicht zu vereinbaren.

53

5. Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen.

54

a) Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass beim Handeln des Inhabers eines Ministeramtes eine strikte Trennung der Sphären des "Bundesministers", des "Parteipolitikers" und der politisch handelnden "Privatperson" nicht möglich ist (vgl. zum Mandat des Abgeordneten: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvR 2436/10, 2 BvE 62 BvE 6/08 -, juris, Rn. 98; anders noch BVerfGE 44, 125 <141>). Auch aus Sicht der Bürger wird der Inhaber eines Regierungsamtes regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen (vgl. BVerfGE 44, 125 <187>, abweichende Meinung).

55

b) aa) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird. Ist dies der Fall, unterliegt das Regierungsmitglied der Bindung an das Neutralitätsgebot. Ansonsten ist seine Äußerung dem allgemeinen politischen Wettbewerb zuzurechnen.

56

bb) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25).

57

(1) Ein spezifischer Rückgriff auf die mit seinem Regierungsamt verbundene Autorität liegt regelmäßig vor, wenn ein Bundesminister bei einer Äußerung ausdrücklich auf sein Ministeramt Bezug nimmt oder die Äußerung ausschließlich Maßnahmen oder Vorhaben des von ihm geführten Ministeriums zum Gegenstand hat. Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25) erklärt. Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 44, 125 <143>). Schließlich findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn ein Bundesminister sich im Rahmen einer Veranstaltung äußert, die von der Bundesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Bundesministers an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt.

58

(2) Demgegenüber ist eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Regierungsmitglied im parteipolitischen Kontext agiert. Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Personen primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden.

59

(3) Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses (Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews) bedürfen differenzierter Betrachtung. Der Inhaber eines Regierungsamtes kann hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein. Häufig dienen derartige Veranstaltungen - insbesondere bei der Beteiligung einer Mehrzahl von Personen - dem themenbezogenen Austausch politischer Argumente und Positionen und sind daher vorrangig dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Dass dabei die Amtsbezeichnung verwendet wird, ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Auch insoweit kommt es letztlich für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt. Dies kann im Rahmen derselben Veranstaltung bei einer Mehrzahl von Aussagen in unterschiedlicher Weise der Fall sein.

60

(4) Zeitungsinterviews stehen nicht nur Inhabern von Regierungsämtern, sondern auch Angehörigen der sie tragenden politischen Parteien und der Opposition offen. Die Auswahl der Interviewpartner liegt in der journalistischen Verantwortung des jeweiligen Presseorgans. Dass dabei Inhabern von Regierungsämtern besonderes Interesse zuteil wird, gehört zu den Gegebenheiten des politischen Wettbewerbs, die im Prozess einer freiheitlichen Demokratie hinzunehmen sind (vgl. zur Hinnahme weiterer tatsächlicher Unterschiede BVerfGE 8, 51 <67>; 14, 121 <134>; 52, 63 <89>; 78, 350 <358>; 85, 264 <297>).

61

Der Inhaber eines Regierungsamtes ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen eines Interviews auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken, da auch dies mit dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr ist er auch insoweit zur Teilnahme am politischen Meinungskampf befugt. Nimmt er aber für eine Aussage in einem Interview die mit seinem Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch, ist er an das Neutralitätsgebot gebunden.

62

6. Die Geltung und Beachtung des aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung und ihre Mitglieder sind durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar.

63

Auch wenn die Bundesregierung als solche am Wettbewerb zwischen den politischen Parteien nicht teilnimmt, wirkt das Regierungshandeln - wie dargestellt (siehe oben Rn. 43 ff.) - in erheblichem Umfang auf die Willensbildung des Volkes ein. Die Mitglieder der Bundesregierung sind regelmäßig in den politischen Meinungskampf einbezogen. Die Bundesregierung selbst verfügt aufgrund ihrer Ressourcen und Machtbefugnisse über die Möglichkeit, durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle. Angesichts der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und dem sich daraus ergebenden Risiko für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum.

II.

64

Nach diesen Maßstäben ist die von der Antragstellerin angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie war zwar objektiv geeignet, zulasten der Antragstellerin inden Landtagswahlkampf in Thüringen einzuwirken (1). Sie verletzt das Recht der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG aber nicht (2).

65

1. Die angegriffene Erklärung der Antragsgegnerin beinhaltet einen gegen die Antragstellerin gerichteten Wahlaufruf. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin beschränkt sie sich keineswegs auf eine allgemein gehaltene Aufforderung zur Wahlteilnahme, ohne dass sie als Aufruf verstanden werden könnte, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Im Gegenteil: Mit der Aussage, primäres Ziel bei der Wahl im September müsse es sein, den Einzug der ausdrücklich benannten Antragstellerin in den Thüringer Landtag zu verhindern, fordert die Antragsgegnerin zu deren Nichtwahl auf.

66

Die beanstandete Äußerung beschränkt sich auch nicht auf eine Information über von der Antragsgegnerin vertretene Positionen oder Strategien oder deren Bewertung als verfassungsfeindlich. Die Frage der internen Zuständigkeitsverteilung bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Bundesregierung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, kann daher dahinstehen. Die beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin reicht über die Wahrnehmung dieser Aufgabe hinaus, indem sie eine konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten bei der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 2014 enthält, das Ziel einer Verhinderung des Einzugs der Antragstellerin in den Landtag vorgibt und das Engagement der Antragsgegnerin zur Erreichung dieses Ziels ankündigt. Insoweit handelt es sich um ein parteiergreifendes Einwirken zulasten der Antragstellerin in den Landtagswahlkampf in Thüringen.

67

2. Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin hat dennoch das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzt.

68

a) Eine mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbare, diffamierende Äußerung, die in anderen Zusammenhängen als Schmähkritik im Sinne der §§ 185 ff. StGB zu bewerten wäre, liegt nicht vor. In der mit der Organklage allein angegriffenen Äußerung (siehe oben Rn. 23) fordert die Antragsgegnerin in sachlich gehaltener Form zur Nichtwahl der Antragstellerin bei der Landtagswahl in Thüringen auf und erklärt, dass sie beabsichtigt, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen.

69

b) Die angegriffene Äußerung ist dem politischen Meinungskampf zuzuordnen. Denn die Antragsgegnerin hat bezogen auf diese Äußerung im Rahmen ihres Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung nicht in spezifischer Weise auf die mit ihrem Regierungsamt verbundene Autorität zurückgegriffen und war daher auch nicht an die Beachtung des aus dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit folgenden Neutralitätsgebots gebunden.

70

aa) Dass die Antragsgegnerin die beanstandete Äußerung unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität oder Ressourcen ihres Amtes gemacht hat, lässt sich den äußeren Umständen, unter denen das Interview mit der Thüringischen Landeszeitung geführt wurde, nicht entnehmen.

71

(1) Insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin in Wahrnehmung ihres Amtes als Bundesministerin an der Eröffnung der Sommertagung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises am 23. Juni 2014 in Weimar teilgenommen hat. Die Eröffnung der Tagung und das Interview der Antragsgegnerin mit der Thüringischen Landeszeitung stellen zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen sind. Der bloße örtliche und zeitliche Zusammenhang führt nicht dazu, dass das Handeln in amtlicher Funktion bei der Veranstaltung des Freistaats Thüringen auf das am Rande geführte Interview ausstrahlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Presseerklärung des von der Antragsgegnerin geführten Ministeriums, da diese ausschließlich die Teilnahme der Antragsgegnerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz zum Gegenstand hat.

72

(2) Auch die übrigen äußeren Umstände führen zu keinem anderen Ergebnis. Weder hat die Antragsgegnerin bei der Führung des Interviews auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen noch ist ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die der Antragsgegnerin aufgrund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Die Anwesenheit der Antragsgegnerin in Weimar und der dadurch verursachte Aufwand waren durch die in Wahrnehmung ihres Regierungsamtes stattfindende Teilnahme an der Veranstaltung des Freistaates Thüringen veranlasst. Dass für die Führung des Interviews mit der Thüringischen Landeszeitung am Rande dieser Veranstaltung zusätzliche Sach- oder Finanzmittel aufgewandt wurden, ist weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich.

73

bb) Dem Interview selbst kann im Ergebnis ebenfalls nicht entnommen werden, dass die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität ihres Amtes erfolgte.

74

(1) Im Begleittext des Interviews wird sowohl auf deren Amt als Bundesministerin als auch auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen. Daraus kann entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht geschlossen werden, dass das Interview als einheitliches Statement der Bundesfamilienministerin anzusehen ist.

75

(2) Das Interview hat zwar weitgehend die Regierungstätigkeit der Antragsgegnerin und Projekte des von ihr geführten Ministeriums zum Gegenstand. Ihre Aussagen zum Demokratieprogramm des Bundes, zur Abschaffung der Extremismusklausel, zum Anbringen der Regenbogenflagge und zum Elterngeld sind ausschließlich auf ihr Ministeramt bezogen. Hiervon ist aber der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich mit dem möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag sowie daraus sich ergebender Konsequenzen befasst und die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin enthält. Diese Aussagen sind nicht mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt, so dass die Antragsgegnerin insoweit auch nicht zur Neutralität verpflichtet war.

76

(a) Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang überhaupt in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung angesprochen worden ist. Die Frage, deren Beantwortung zu der streitbefangenen Äußerung der Antragsgegnerin führte, bezieht sich auf den Umgang mit Anträgen der Antragstellerin in Landesparlamenten und Kommunalvertretungen. Sie betrifft damit ein Problem der politischen Strategie dort vertretener Parteien und nicht die Wahrnehmung von Regierungsaufgaben.

77

(b) Entsprechend hat die Antragsgegnerin geantwortet. Zwar ist die Einlassung der Antragsgegnerin, die Verwendung der "Ich"-Form in der beanstandeten Äußerung sei ein eindeutiger Beleg dafür, dass sie sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende geäußert habe und habe äußern wollen, nicht überzeugend, da sie weder in denjenigen Passagen des Interviews, die ihr Handeln als Bundesministerin betreffen, auf die Verwendung dieser Form verzichtet hat noch ihre Funktion als stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD überhaupt an irgendeiner Stelle des Zeitungsartikels Erwähnung findet.

78

Die Antragsgegnerin nimmt aber bei der Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Anträgen der Antragstellerin im Parlament oder auf Kommunalebene ebenso wie in der gesamten Passage des Interviews, die sich auf den möglichen Einzug der Antragstellerin in den Thüringer Landtag bezieht, in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität Bezug. Stattdessen verweist sie auf ihre Erfahrung im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und damit auf persönliche Kenntnisse, die sie gerade nicht aufgrund ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung gewonnen hat. Dass sie diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern erlangt hat, ändert hieran nichts. Ein Rückgriff auf die Autorität ihres Regierungsamtes findet insoweit nicht statt. Die Aussage der Antragsgegnerin stellt einen Beitrag zur parteipolitischen Auseinandersetzung dar. Hiergegen muss die Antragstellerin sich mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen.

(1) Verstößt ein Originator, Sponsor, ursprünglicher Kreditgeber oder eine Verbriefungszweckgesellschaft gegen die Anforderungen der Artikel 6, 7, 9, 18 bis 26, 26b bis 26e oder 27 Absatz 1 oder Absatz 4 der Verordnung (EU) 2017/2402, kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass die den Verstoß begründenden Handlungen oder Verhaltensweisen dauerhaft eingestellt werden, sowie verlangen, dass deren Wiederholung verhindert wird.

(2) Wird eine Verbriefung als STS-Verbriefung im Sinne des Artikels 18 der Verordnung (EU) 2017/2402 bezeichnet und hat ein Originator, ein Sponsor oder eine Verbriefungszweckgesellschaft gegen eine der Anforderungen der Artikel 19 bis 26 oder der Artikel 26b bis 26e dieser Verordnung verstoßen oder macht ein Originator oder Sponsor eine irreführende Meldung nach Artikel 27 Absatz 1 dieser Verordnung, kann die Aufsichtsbehörde vorübergehend verbieten, dass Originator und Sponsor gemäß Artikel 27 Absatz 1 dieser Verordnung melden, dass ihre Verbriefungen die Anforderungen der Artikel 19 bis 22, der Artikel 23 bis 26 oder der Artikel 26b bis 26e dieser Verordnung erfüllen.

(3) Verletzt ein gemäß Artikel 28 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/2402 zugelassener Dritter seine Pflicht gemäß Artikel 28 Absatz 2 dieser Verordnung, kann die Bundesanstalt ihm vorübergehend untersagen, gemäß Artikel 28 Absatz 1 dieser Verordnung zu bewerten, ob Verbriefungen die in den Artikeln 19 bis 26 oder den Artikeln 26b bis 26e dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfüllen.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen der Bundesanstalt einschließlich der Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln auf der Grundlage des § 2c Absatz 1b Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4, des § 3 Absatz 4, des § 6 Absatz 1b, der §§ 6a, 6c und 8a Absatz 3 bis 5, des § 10 Absatz 3, 3a und 4, des § 12a Absatz 2, des § 13c Absatz 3 Satz 4, des § 25b Absatz 4a des § 25c Absatz 4c, des § 28 Absatz 1, des § 35 Absatz 2 Nummer 2 bis 6 und Absatz 2a Satz 1, der §§ 36, 37 und 44 Absatz 1, auch in Verbindung mit § 44b, Absatz 2 und 3a Satz 1, des § 44a Absatz 2 Satz 1, der §§ 44c, 45 und 45a Absatz 1, des § 45b Absatz 1, der §§ 45c, 46, 46a, 46b, 48u Absatz 1 und 7, des § 53b Absatz 12, der §§ 53l, 53n Absatz 1 sowie der §§ 53p und 53q Absatz 2 haben keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen und Entscheidungen der Bundesanstalt auf der Grundlage des Artikels 6 Absatz 4, des Artikels 8 Absatz 1 und des Artikels 63 der Verordnung (EU) 2019/1238 sowie gegen die Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln gegen diese Maßnahmen und Entscheidungen haben keine aufschiebende Wirkung.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.