Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wird wiederhergestellt, soweit der Antragsteller aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und angeordnet, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs.5 VwGO mit dem wie folgt sachdienlich zu fassenden Antrag,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 wiederherzustellen, soweit er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und anzuordnen, soweit ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist,
ist zulässig und begründet.
1. Das Gericht sieht sich veranlasst, dem Antragsteller, einem bislang nicht vorbestraften 30-jährigen türkischen Staatsangehörigen, welcher durch Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 19.01.2006 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist, vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs.5 VwGO gegen dessen für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung aus dem Bundesgebiet durch Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006 (dort Ziffer 1) zu gewähren. Denn das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollstreckung dieser ausländerrechtlichen Maßnahme verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der verfügten Ausweisung. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage bestehen für das Gericht durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.11.2006. Es besteht daher Anlass dazu, der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsverfügung (VG Karlsruhe, Az.: 6 K 2822/06) - wie dies auch der gesetzlichen Grundregel des § 80 Abs.1 Satz 1 VwGO entspricht - aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.
Die durchgreifenden Zweifel des Gerichts an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Regierungspräsidiums vom 08.11.2006 knüpfen daran an, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Ausweisung des Antragstellers die Regelung des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.04.2004, L 158/ 77) unbeachtet gelassen hat. Es spricht aber viel dafür, dass sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner gerade auf eine entsprechende Anwendung der Ausweisungsschutzvorschrift des Art. 28 Abs.3 dieser Richtlinie berufen kann.
Unstreitig rechnet der Antragsteller, der in Deutschland geboren, aufgewachsen und ausgebildet worden ist, und der während seines ganzen Lebens im Bundesgebiet wohnhaft gewesen ist, zu dem durch die Regelungen des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei begünstigten Personenkreis. Die Zulässigkeit einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet bestimmt sich danach bei ihm in erster Linie nach der Reglung in Artikel 14 dieses Beschlusses, dessen Auslegung und Anwendung durch die langjährige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zwischenzeitlich auch durch das Bundesverwaltungsgericht nachvollzogen worden ist (vgl. insbesondere die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29/02 -, BVerwGE 121, 315 = NVwZ 2005, 224, vom 15.03.2005 - 1 C 2/04 -, NVwZ 2005, 274 und vom 28.06.2006 - 1 C 4/06 -, juris). Hiernach ist insbesondere aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.2004 (Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 - Orfanopoulos und Oliveri -, DVBl. 2004, 876) auch bei türkischen Staatsangehörigen, die sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr.1/80 berufen können, von besonderen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine Ausweisung auszugehen. Gerade auch die materiell-rechtlichen Grundsätze, die bei einer Aufenthaltsbeendigung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger gelten, sind danach auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, welche ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzen. Als Beispiel nennt das Bundesverwaltungsgericht etwa Art. 39 Abs.3 EG und den diese Norm konkretisierenden Artikel der - zwischenzeitlich aufgehobenen - Richtlinie 64/221/EWG, wonach jeder Anschein zu vermeiden ist, dass strafrechtliche Verurteilungen einer privilegierten Person keine andere Rechtsfolge zulassen als ihre Ausweisung oder jedenfalls eine gewisse „Vermutung“ zugunsten ihrer Ausweisung begründen, woraus folgt, dass eine Ausweisung allein aufgrund einer Ermessensentscheidung vorgenommen werden darf.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat mit der von dem Antragsteller angegriffenen Entscheidung vom 08.11.2006 zwar diese mittlerweile ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt und insbesondere eine Ermessensentscheidung getroffen, welche zu Lasten des Antragstellers auch lediglich auf spezialpräventive Gesichtspunkte abstellt. Unberücksichtigt gelassen hat das Regierungspräsidium indes, dass zwischenzeitlich die Unionsbürger betreffenden Regelungen nochmals geändert wurden und insbesondere die bisherige Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, welche mit Ablauf der Frist für die Umsetzung in nationales Recht am 30.04.2006 nunmehr unmittelbar Geltung beansprucht, aufgehoben und ersetzt worden ist. Es spricht nach der Einschätzung des Gerichts vieles dafür, dass nunmehr insbesondere die Ausweisungsvorschrift des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG auch auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechende Anwendung findet (so ausdrücklich bejahend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.12.2006 - 7 A 10924/06 -, juris, HessVGH, Beschl. v. 12.07.2006, AuAS 2006, 232, VG Karlsruhe, Urt. v. 09.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; offen gelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 01.12.2006 - 18 B 2219/06 -, juris, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2006 - 11 S 2299/05 -, juris und Niedersächs. OVG, Urt. v. 16.05.2006, InfAuslR 2006, 350; vgl. im Übrigen den auch die einschlägige Frage betreffenden Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof des VG Darmstadt vom 16.08.2006 - 8 E 1364/05 -, juris; zum Streitstand allgemein vgl. die Erläuterungen des HTK-AuslR unter 3.2 zu Artikel 14 ARB 1/80). Dabei dürfte es nach Auffassung des Gerichts - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - keine Rolle spielen, dass die Richtlinie 2004/38/EG ausdrücklich nur das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen betrifft und assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige nicht erwähnt. Denn dasselbe galt auch für die Vorgängerrichtlinie 64/221/EWG, und nach der Auffassung des Gerichts kann jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens und des Artikel 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 herleitet, dass die für Unionsbürger geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Staatsangehörigen, die die im Beschluss Nr.1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 10.02.2000 - Nazli -, NVwZ 2000, 1029), woraus der Gerichtshof folgert, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs.1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird, zumal die genannte Vorschrift nahezu denselben Wortlaut wie Art. 39 Abs.3 EG hat. Dass dabei etwaige im Rahmen einer Weiterentwicklung des Rechts zu Gunsten von Unionsbürgern erfolgte Änderungen nicht auch den assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zukommen sollen, wie dies offenbar der Antragsgegner meint, erscheint dem Gericht nicht schlüssig.
Bei einer Berücksichtigung von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG dürfte aber der Antragsteller, weil er seinen Aufenthalt in den letzten 10 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatte, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Regelung stellt im Rahmen der Stufenfolge des Art. 28 eine Begünstigung gegenüber Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dar, welche zwar das Recht zum Daueraufenthalt in einem Aufnahmemitgliedsstaat genießen, sich jedoch dort zuletzt noch nicht 10 Jahre lang aufgehalten haben. Jener Personenkreis darf gem. Art. 28 Abs. 2 aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgewiesen werden. Ersichtlich reicht daher der Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs.3 der Richtlinie weiter als derjenige, den das Regierungspräsidium Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 08.11.2006 hinsichtlich des Antragstellers bereits aus Art. 14 ARB 1/80, § 56 Abs. 1 S. 1 AufenthG sowie Art. 3 Abs.3 des Europäischen Niederlassungsabkommens zu Gunsten des Antragstellers abgeleitet hat. Dem entsprechend sieht auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bezüglich einer beabsichtigten Änderung von § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vor, dass eine Feststellung nach § 6 Abs.1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden darf. Entsprechend dem Gesetzentwurf können zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
Auch wenn das erwähnte Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union bislang noch nicht verabschiedet und in Kraft getreten ist, dürfte jedenfalls in dem Fall des Antragstellers, der zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, von dem Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 28 Abs.3 der Richtlinie 2004/38/EG nicht ausgegangen werden können, obgleich auch nicht der Auffassung der Antragstellerseite zu folgen sein dürfte, nach welcher diese Regelung eine Ausweisung nur noch aus Gründen der Sicherheit des Staates zulässt.
10 
Wegen der sonach bestehenden durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe hält das Gericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung für sachgerecht.
11 
2. In der Folge der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsentscheidung ist auch die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die verfügte Androhung seiner Abschiebung in die Türkei (Ziff. 3 der Verfügung vom 08.11.2006) gemäß § 80 Abs.5 Satz 1 VwGO anzuordnen. Denn aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsentscheidung fehlt es an dem Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers (vgl. § 58 Abs.2 AufenthG), welche ihrerseits Voraussetzung für den Erlass einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung des verfügten Inhalts ist (vgl. §§ 58 Abs.1, 59 AufenthG).
12 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
13 
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 53 Abs.3 Nr.2, 52 Abs.1, 39 Abs.1 GKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 09. März 2007 - 6 K 2907/06

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

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Tenor 1. Soweit die Beteiligten bezüglich Ziff. 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 29. Juni 2006 - 11 S 2299/05

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Tenor Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen. Tatbestan
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 21. Okt. 2009 - 8 K 2123/09

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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen. Tatbestand   1  Der 1988 in ... geborene ledige Kl

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 03. Juli 2007 - 6 K 2790/07

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

1. Soweit die Beteiligten bezüglich Ziff. 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

2. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006 wird unter Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung) aufgehoben.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Mit der Klage wendet sich der Kläger zuletzt gegen seine Ausweisung.
Der am ... im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er besitzt einen im Berufsvorbereitungsjahr erworbenen Hauptschulabschluss und hat eine Lehre als Maler und Lackierer erfolgreich im Juli ... abgeschlossen. Der Kläger lebt nicht mehr bei seiner Familie, ist ledig und hat keine Kinder. Nach Abschluss seiner Lehre arbeitete er, mit kurzen Zeiten von Arbeitslosigkeit, allerdings nicht in seinem erlernten Beruf. Zuletzt war er bis zum Jahresende 2005 befristet im Gartenbau als Hilfsarbeiter beschäftigt. Seine Eltern leben im Bundesgebiet. Sein Vater, zwischenzeitlich Rentner, ist nach einem Schlaganfall behindert und sitzt im Rollstuhl.
Der Kläger ist im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 03.03.1998, Straftat: Gefährliche Körperverletzung, Strafmaß: Verwarnung.
2. Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 29.04.1998, Straftaten: zwei Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls, ein Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls in einem erschwerten Fall, Strafmaß: 50 Stunden Arbeit nach Weisung des Jugendamtes.
3. Amtsgericht ..., Urteil vom 05.01.2000, Straftat: Körperverletzung; die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
4. Amtsgericht ..., Urteil vom 18.10.2000, Straftaten: unerlaubter Erwerb von Betäubungsmittel in 16 Fällen, vorsätzliche Körperverletzung, Strafmaß: 1 Jahr Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
5. Amtsgericht ..., - Jugendschöffengericht -, Urteil vom 30.08.2001, Straftaten: Diebstahl, Computerbetrug, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Strafmaß: 1 Jahr und 6 Monate Einheitsjugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die nachfolgenden Straftaten wurden der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung zugrunde gelegt:
10 
1. Amtsgericht ..., Urteil vom 19.07.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 26 Fällen und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Strafmaß: 9 Monate Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
11 
Die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wurde durch Beschluss des Amtsgerichts ... vom 07.11.2005 widerrufen, nachdem der Kläger keinen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer aufgenommen, auf Anschreiben nicht reagiert und zur Drogenberatung keine Verbindung aufgenommen hatte sowie seiner Zahlungsauflage hinsichtlich der Drogenhilfe nicht nachgekommen war.
12 
2. Amtsgericht ..., Urteil vom 22.12.2005, Straftaten: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Strafmaß 1 Jahr und 3 Monate Freiheitsstrafe.
13 
Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte wegen einer vom Strafgericht als schlecht erachteten Legal- und Kriminalprognose des Klägers nicht.
14 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, wies den Kläger mit Verfügung vom 03.05.2006 unter gleichzeitiger Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und unter Beifügung einer Abschiebungsandrohung bezüglich der Türkei aus der Bundesrepublik Deutschland aus.
15 
Die Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, der Kläger könne sich auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 berufen, weshalb seine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen nach Ermessen gem. § 55 AufenthG erfolgen könne. Der weitere Aufenthalt des Klägers stelle eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Denn bei Würdigung des Lebenslaufes des Klägers und seiner kriminellen Energie, die durch die Straftaten zum Ausdruck gekommen sei, bestehe die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger weiterhin, vor allem im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, Straftaten begehen werde. Die wirtschaftliche Situation des Klägers biete Anlass zur Sorge, nachdem er nicht in seinem erlernten Beruf gearbeitet habe, seit Dezember 2004 arbeitslos sei und im Jahr 2005 nur für drei Monate befristet in einem Gärtnereibetrieb Arbeit gefunden habe. Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten ihn nicht davon abhalten können, Straftaten zu begehen. Insbesondere sei herauszuheben, dass der Kläger bereits 10 Tage nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht ... am 19.07.2005 wiederum einschlägig in Erscheinung getreten sei. Auch der langjährige eigene Drogenkonsum des Klägers erhärte die negative Prognose. Der Ausweisung stehe weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK entgegen. Der Kläger sei im Bundesgebiet auf ein Zusammenleben mit den Eltern nicht angewiesen und habe darüber hinaus keine festen Bindungen. Der Kläger könne auch nicht als „faktischer Inländer“ angesehen werden. Es sei aufgrund der Erziehung durch seine Eltern davon auszugehen, dass er der türkischen Sprache mächtig sei und sich in die türkischen Lebensverhältnisse integrieren könne. Zwar könne sich der Kläger auf Art. 3 Abs. 3 ENA berufen, doch dürfe er nach dieser Bestimmung ausgewiesen werden, weil hierfür besonders schwerwiegende Gründe vorlägen.
16 
Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen gewesen, nachdem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden sei (§ 11 Abs. 1 AufenthG).
17 
Die ordnungsgemäße Zustellung der Ausweisungsverfügung lässt sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen.
18 
Am 20.06.2006 hat der Kläger Klage erhoben und zuletzt beantragt,
19 
die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziff. 1 und 3, aufzuheben.
20 
Die Klagebegründung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger bei Begehung der Straftaten suchtkrank gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger, der unter keinen Entzugserscheinungen leide, seine Sucht infolge seiner Inhaftierung in Griff bekommen habe und nunmehr „clean“ sei. Der Kläger verfüge über keine persönlichen Bindungen zur Türkei und spreche nahezu kein Türkisch.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Die Klageerwiderung stützt sich im Wesentlichen darauf, allein der Hinweis des Klägers, er leide nicht unter Entzugserscheinungen, rechtfertige nicht die Annahme, er sei zwischenzeitlich nicht mehr suchtkrank. In diesem Zusammenhang sei beachtlich, dass die Strafvollstreckungsbehörde die Strafvollstreckung zur Aufnahme einer Therapie gem. § 35 BtmG nicht zurückgestellt habe. Gegen eine günstige Zukunftsprognose des Klägers spreche auch seine desolate wirtschaftliche Lage. Außer Einkünften aus den Drogengeschäften habe er über kein ausreichendes legales Einkommen verfügt, so dass zwischenzeitlich Schulden aufgelaufen seien. Aufgrund dessen habe er seine Wohnung aufgeben müssen. Es bestehe daher die erhebliche Besorgnis, dass der Kläger nach der Haftentlassung wiederum von illegalen Einkünften aus dem Drogenhandel lebe. Der Kläger sei volljährig, Malergeselle und besitze zumindest noch Grundkenntnisse des Türkischen. Es sei ihm zuzumuten, sich eingehendere Kenntnisse seiner Muttersprache anzueignen und sich zumindest eine gewisse Zeit ohne direkte persönliche Unterstützung durch seine Familie im Ausland aufzuhalten. Die Schaffung einer eigenen wirtschaftlichen Existenz in der Türkei könne dem Kläger bei entsprechender Anstrengung gelingen.
24 
In der mündlichen Verhandlung ist die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziff. 2 der Verfügung vom 03.05.2006) aufgehoben worden.
25 
Des Weiteren wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten (1 Heft Ausländerakte, 1 Heft des Beklagten), die Strafakten der Verfahren 8 Ds 91 Js 16570/04 und 2 Ls 91 Js 9926/05 sowie auf die Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vom 09.11.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Gründe

 
26 
Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.
27 
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
28 
Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, vom 03.05.2006, Ziffer 1 (Ausweisung) und Ziffer 3 (Abschiebungsandrohung), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
29 
Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die Rechtsstellung des Art. 7 ARB 1/80 zugute kommt. Dem steht nicht entgegen (vgl. „zu ihm zu ziehen“ in Art. 7 S. 1 ARB 1/80), dass der Kläger hier geboren ist und im Bundesgebiet stets gelebt hat; auch durch die verhängte und derzeit verbüßte Freiheitsstrafe gehen dem Kläger die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 nicht verlustig (EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C - 467/02 -, NVwZ 2005, 198; BVerwG, Urt. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 -). Auch dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei seinen Eltern hatte, von denen er sein aus Art. 7 ARB 1/80 resultierendes Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, berührt sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 -). Für die nach der Haftentlassung beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist der Kläger über die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 hinaus auch nicht gehalten, die strengeren Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen (EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03).
30 
Zwar erfüllt der Kläger aufgrund seiner im Tatbestand aufgeführten letzten Straftat den grundsätzlich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Tatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund seiner Rechtsstellung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 und kann nach der Rechtsprechung des BVerwG nur noch auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG aus ausnahmslos spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden, wobei als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteile v. 03.08.2004 - 1 C 30/02 - u. 1 C 29/02 -; 06.10.2005 - 1 C 5/04 -).
31 
Die Kammer kann offen lassen, ob der Beklagte die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei verfügt und die Vorgaben des EuGH und des BVerwG, die bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zu berücksichtigen sind, beachtet hat (vgl. die vorstehenden Urteilszitate). Denn die Ausweisungsverfügung beachtet nicht, dass der Kläger nach Art. 28 Abs. 3 lit.a der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (nachfolgend: RL) hätte nicht ausgewiesen werden dürfen. Art. 28 Abs. 3 lit.a RL bestimmt, dass gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedsstaat gehabt haben.
32 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese auch unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL als weiterer Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; Nieders. OVG, Beschl. v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; m.w.N.).
33 
Art. 28 RL gilt auch für türkische Staatsangehörige, die, wie der Kläger, ein direkt aus Art. 6, 7 ARB 1/ 80 resultierendes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat der EG haben (§ 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert dieses Aufenthaltsrecht nur durch die Ausstellung einer - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis, vgl. Hailbronner, AuslR, § 4 AufenthG, Rd.Nr. 61 ff, m.w.N.). Denn da die Vorschriften der Art. 6 bis 16 ARB 1/80 und damit auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familien dienen und sich an Art. 39, 40 und 41 EG orientieren ( EuGH, Urteil v. 10.02.2000 - C-340/97 [Nazli] Slg. 2000 I-957), hat der EuGH hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeitsrechte so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden müssen, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 besitzen (vgl. Urteile v. 02.06.2005 - C-138/03 -; v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]). Wegen der Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 39 Abs. 3 EG und im Hinblick auf das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei stellt der EuGH in seiner Rechtsprechung bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung von Rechten nach dem Assoziationsbeschluss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darauf ab, wie die gleiche Beschränkung der Rechte von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ausgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es deshalb nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte Türken in gleicher Weise materiell-rechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ( BVerwG, Urteil v. 03.08.2004 - 1 C 29.02 -). Dementsprechend haben der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts aus der Richtlinie 64/221 EWG, die durch Art. 38 Abs. 2 RL mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist, als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG hergeleitet (Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung, Berücksichtigung neuer Umstände und weitere Behördenentscheidung).
34 
Mit der Richtlinie 2004/38/EG ist - unter Aufhebung früherer Richtlinien, u.a. die Richtlinie 64/221 EWG - die Einschränkbarkeit der Freizügigkeit durch Ausweisungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für Unionsbürger weiter ausgestaltet bzw. konkretisiert worden.
35 
Mit Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht am 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 RL) gilt diese unmittelbar, und die Einzelheiten des Ausweisungsschutzes richten sich nunmehr nach Art. 28 RL, der einen gestuften Schutz vor Ausweisung vorsieht, der darin mündet, dass nach dessen Abs. 3 gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben (lit. a) oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig (lit. b).
36 
Der EuGH hat auch die Ausgestaltungen und Konkretisierungen der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 10 der VO 1612/68 (Urteil v. 30.09.2004 - C-275/02 - [Ayaz]) oder in Art. 3 der Richtlinie 64/221 (Urteil v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya]; oder in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG (Urteil v. 02.06.2005 - C-163/03 - [Dörr und Ünal]) ebenfalls auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen und spricht von einer Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistung durch Richtlinien der EU, die deshalb auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden seien (BVerwG, Urteil v. 03.08.2004, a.a.O.).
37 
Die Kammer folgt der im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.07.2006 - 12 TG 494/06 - vertretenen Auffassung, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgenommene Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Angehörigen zukommenden Freizügigkeitsgewährleistungen nicht auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörig anzuwenden seien. Der Hess. VGH hat in seinem o.g. Beschluss zutreffend herausgearbeitet, dass die "Stufenfolge" der Ausweisungseinschränkungen, die Art. 28 RL vorsehe, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes naheliegender und zwangloser aus Art. 39 Abs. 3 EG und der Ermächtigung in Art. 40 EG ableitbar sei, als die verfahrensrechtliche Konkretisierung der Freizügigkeitsgewährleistungen etwa in Art. 9 Richtlinie 64/221 EWG. Dem würden die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss v. 05.10.2005 - 11 ME 247/05 -; Beschluss v. 06.06.2005 - 11 ME 39/05-), das eine gegenteilige Auffassung vertrete, nicht hinreichend Rechnung tragen. Dies hat auch für den im Ergebnis mit der in den vorgenannten Entscheidungen des Nieders. OVG vertretenen Auffassung identischen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005 - 18 B 1751/04 - zu gelten.
38 
Der Ausweisung des Klägers, der in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet seinen Aufenthalt gehabt hat, ist damit Art. 28 Abs. 3 RL zugrundezulegen. Seine Ausweisung darf danach nicht mehr verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Aus den in der Richtlinie verwendeten Begriffen der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit und der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit lässt sich der Schluss ziehen, dass mit dem letzteren Begriff eine über die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hinausgehende Voraussetzung für eine zulässige Ausweisung vorliegen muss. Hierfür ist beim Kläger nichts erkennbar. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und das Begehen einer weiteren einschlägigen Straftat nach dem BtMG nur wenige Tage nach seiner Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe würde nach Ansicht der Kammer aller Voraussicht nach die Ausweisung des Klägers tragen, wenn man dieser den bisher gültigen Maßstab für Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die sich zudem noch auf Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen - wie beim Kläger gegeben - berufen können (vgl. BVerwG, Urte. v. 06.10.2005 - 1 C 5/04 und v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 -; m.w.N.), zugrundezulegen hätte. Das Verhalten des Klägers vermag aber nicht die nunmehr von Art. 28 Abs. 3 RL einer Ausweisung entgegen gestellte höhere Hürde zu nehmen; sie ist nicht aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Der Bundesgesetzgeber ist noch nicht der Vorgabe des Art. 28 Abs. 3 RL nachgekommen und hat bislang nicht normiert, was unter „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ zu verstehen ist. Die Kammer hat daher die im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 13.03.2006 und dort in Art. 2 der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU vorgesehene Konkretisierung zu Grunde gelegt. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen hiernach nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde oder wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 12.07.2006 - 12 TG 494/06). Diesen Rahmen sprengt das strafrechtliche Verhalten des Klägers (bisher) nicht. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten war demzufolge aufzuheben.
39 
Da die Ausweisung rechtswidrig ist, ist die Abschiebungsandrohung ebenfalls aufzuheben (§§ 58 Abs. 1, 2; 59 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen der Anwendung der Richtlinie 38/2004 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige und der Konkretisierung der dort unter Art. 28 Abs. 3 RL vorgenommenen Beschränkung einer Ausweisung auf „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ zuzulassen.
41 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
42 
Beschluss
43 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
44 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.
Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. 1991 heiratete er eine türkische Staatsangehörige, die seit 1975 in Deutschland lebt, 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erhalten hatte und als angestellte Friseurin beschäftigt war. Nach der Eheschließung reiste der Kläger mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu seiner in Köln lebenden Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Am 06.11.1992 erteilte ihm die Stadt Köln erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit verlängert wurde. Am 19.07.1993 wurde der gemeinsame Sohn der Eheleute geboren. Am 25.11.1997 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1998 lebt der Kläger von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist die Ehe geschieden.
Von Juli 1993 bis März 1995 arbeitete der Kläger bei der Firma .... Ab April 1995 bis Dezember 2002 war der Kläger bei der Firma A. G. ... als Metallputzer beschäftigt. Als die Gießerei Ende 2002 ihren Betrieb aufgab, wurde er arbeitslos.
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 - 14 K Ls 203 Js 79186/02 - wurde der Kläger wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Schaffung einer Einnahmequelle hatte der Kläger im Januar/Februar 2003 zusammen mit anderen Mittätern 500 g aus den Niederlanden eingeführtes Kokain an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft sowie darüber hinaus versucht, an diesen Ermittler weitere 5 kg Kokain (bzw. Kokainimitat) zu verkaufen. Das Strafgericht hat die Taten bei allen Tatbeteiligten als minder schweren Fall angesehen, weil von vornherein auf der Käuferseite bei beiden Geschäften verdeckte Ermittler eingeschaltet gewesen seien. Bei der Strafzumessung ist das Strafgericht beim Kläger von einem erheblichen Maß an krimineller Energie ausgegangen und hat berücksichtigt, dass der Kläger bei der zweiten Tat eine Waffe mit sich geführt sowie im wesentlichen den telefonischen Kontakt aus Deutschland zu den Lieferanten aus Holland gehalten habe.
Wegen der genannten Straftat wurde der Kläger am 09.02.2003 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt in Untersuchungshaft in die JVA Mannheim genommen. Als Anschrift des Klägers war in diesem Haftbefehl die K. ... in K. angegeben, von wo der Kläger allerdings nach den Daten des Ausländerzentralregisters am 29.05.2000 „nach unbekannt“ abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 28.02.2003 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger machte sinngemäß (nur) geltend, mit einer Ausweisung nicht einverstanden zu sein.
Mit Schreiben vom 06.03.2003 und 14.03.2003 teilte die Stadtverwaltung Köln dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe, von seiner Ehefrau getrennt lebe und die Wohnung K. ... leer stehe.
Am 23.06.2003 ging beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11.06.2003 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger von April 1999 bis zu seiner Inhaftierung bei seiner (seinerzeit noch anderweitig verheirateten) Lebensgefährtin L. B. in deren Wohnung in der O. Straße ... K. gewohnt habe, ohne dort gemeldet gewesen zu sein.
Im September 2004 wurde der Kläger in die JVA Köln verlegt.
Mit Verfügung vom 12.10.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger erfülle die Ist-Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG stehe dem Kläger nicht zu, da er zwar über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, aber nicht als Minderjähriger, sondern erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist sei. Er könne aber auch dann ausgewiesen werden, wenn er diesen Schutz genieße. Aufgrund der am 11.03.2004 abgeurteilten Straftat liege ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund vor. Vom Kläger gehe auch nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Bei schwerwiegenden Straftaten wie dem unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge dürfe im allgemeinen allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens eine hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen bejaht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger bis zu seiner Verurteilung vom 11.03.2004 nicht vorbestraft gewesen sei. Bei der begangenen schweren Betäubungsmittelstraftat habe der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie offenbart, die auch in Zukunft - zur eigenen Bereicherung - die Begehung schwerer Betäubungsmittelstraftaten erwarten lasse. Weder die Ehe noch die Geburt eines Kindes noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland bei verschiedenen Firmen erwerbstätig gewesen sei, habe ihn von der Begehung der schweren Betäubungsmittelstraftaten abhalten können. Angesichts des hohen Ranges der durch den Kläger gefährdeten Rechtsgüter seien geringere Anforderungen an den Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu stellen. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ausweisung des Klägers auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt wäre. Dies dürfe aber wohl der Fall sein, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass insbesondere schwere Betäubungsmittelstraftaten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen hätten.
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Eine Ausweisung aus rein generalpräventiven Gründen sei aber nur dann rechtlich zulässig, wenn der Kläger keine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 habe. Sollte der Kläger (noch) assoziationsrechtlich privilegiert sein, wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werde, könne er nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Die Ausweisung verstoße insbesondere nicht gegen Art. 6 GG, da der Kläger von Ehefrau und Sohn getrennt lebe. Es sei davon auszugehen, dass zu dem Sohn keine Lebens- und Beistandsgemeinschaft mehr, sondern nur noch eine bloße Begegnungsgemeinschaft bestanden habe. Selbst wenn der Kläger seinem Sohn bis zu seiner Inhaftierung Lebenshilfe im Sinne einer Beistandsgemeinschaft geleistet hätte, stünde in Anbetracht der schweren Betäubungsmittelstraftaten und der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr die Vater-Kind-Beziehung der Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers durch die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei nennenswerte Schäden davontragen werde, da er bei seiner Mutter lebe und von dieser ausreichend versorgt werde. Außerdem könnten die privaten Belange des Klägers und seines Sohnes auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AuslG angemessen berücksichtigt werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen supranationale Rechtsvorschriften. Da spezialpräventive Gründe vorlägen, die nach Art. 14 ARB 1/80 eine Ausweisung rechtfertigten, könne insbesondere der Assoziationsratsbeschluss 1/80 keine Ausweisungsbeschränkung darstellen. Auch Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei insbesondere in keiner Weise ersichtlich, dass der Kläger zu einem seinem Heimatland völlig entfremdeten „faktischen Inländer“ geworden sei, dem eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden könne.
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Im Zusammenhang mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung führte das Regierungspräsidium Folgendes aus: Es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger während eines Klageverfahrens, welches erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen könne, erneut strafbare Handlungen begehen werde. Die fortbestehende qualifizierte Wiederholungsgefahr bestehe nicht nur für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges; auch im Strafvollzug würden erwiesenermaßen viele Straftaten, insbesondere auch Betäubungsmittelstraftaten, begangen. Es liege daher im besonderen öffentlichen Interesse - auch allein aufgrund der bekanntermaßen völlig überfüllten Strafanstalten -, dass das gesetzliche Abschiebegebot nach § 49 AuslG zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen werde. Eine Freigabe zur Abschiebung sei bereits zum Halbstrafentermin möglich bzw. werde - wie andere Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern bzw. Strafvollstreckungsbehörden zeigten - im Ausnahmefall auch schon vor dem Halbstrafentermin erteilt. Darüber hinaus dürfe die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung auch aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine möglichst zeitnah zu der Anlasstat getroffene und vollzogene Sanktion besonders wirksam sei. Je dringender das Bedürfnis sei, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Tat und Schwere abzuhalten, um so eher bedürfe es einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Die durch die Ausweisung angestrebte Generalprävention verliere gerade dann erheblich an Wirkung, wenn der Ausgewiesene auch nach der Begehung schwerwiegender Straftaten wegen der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren unter Umständen noch mehrere Jahre im Bundesgebiet verbleibe.
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Gegen die Ausweisung hat der Kläger Klage erhoben und im Klageverfahren zur Begründung ausgeführt, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für den Erlass der Verfügung nicht zuständig gewesen. Örtlich zuständig sei die Behörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt habe oder zuletzt gehabt habe. Der Kläger sei seit September 2004 in Köln gemeldet und habe seinen Lebensmittelpunkt schon seit seiner Einreise in das Bundesgebiet in Köln gehabt. Durch die Verbüßung einer Untersuchungshaft werde typischerweise kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet. Außerdem habe der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung bereits nicht mehr in der JVA Mannheim, sondern in der JVA Köln eingesessen. Die Ausweisung verstoße außerdem gegen den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Der Kläger sei 1992 im Zuge der Familienzusammenführung zu seiner assoziationsberechtigten türkischen Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zu seiner Inhaftierung seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt. Danach sei er im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 assoziationsrechtlich privilegiert. Die für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern entwickelten Grundsätze müssten auf die Ausweisung von Assoziationsberechtigten übertragen werden. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Die für eine Ermessensentscheidung erforderlichen spezialpräventiven Gründe lägen nicht vor. Der Kläger habe einen Schlussstrich unter seine strafrechtliche Vergangenheit gezogen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht mehr gegeben. Auch liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend geltend gemacht, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für die Ausweisungsentscheidung zuständig gewesen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung schon seit längerem in der JVA Mannheim eingesessen sei. Eine spätere Verlegung nach Köln sei nicht bekannt gewesen und auch unerheblich.
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Mit Beschluss vom 02.12.2004, dem Regierungspräsidium Karlsruhe zugegangen am 20.12.2004, hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers ab dem 09.05.2005 (d.h. nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe) von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen.
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Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Köln mit Schriftsatz vom 02.09.2005 - auch rückwirkend - der Fortführung des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe zugestimmt.
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Mit Urteil vom 05.09.2005 (3 K 3786/04) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Ausweisungsverfahren örtlich zuständig gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, denn die Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 sei jedenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben, weil sie gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verstoße. Der Kläger habe, wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei, durch seine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und diesen Status auch nicht dadurch verloren, dass er zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine zeitliche Freiheitsstrafe verbüße. Es könne dahingestellt bleiben, ob die erworbene Rechtsstellung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 materiell-rechtlich beendet werden dürfe, denn für den Kläger fänden die für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe Anwendung, denen vorliegend nicht Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) seien im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die für EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe anzuwenden. Die Ausweisung des Klägers verstoße gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.02.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850; im Folgenden: RL 64/221/EWG). Nach dieser Vorschrift habe, sofern keine Rechtsmittel gegeben seien oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, außer in dringenden Fällen, erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes zu entscheiden, wobei diese Stelle eine andere sein müsse als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig sei. In Baden-Württemberg regele § 6a Abs. 1 AGVwGO in Fällen, in denen - wie beim Kläger - die Ausweisung vom Regierungspräsidium verfügt worden sei, den Wegfall des in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Vorverfahrens, das der Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes diene. Damit könne eine vom Regierungspräsidium verfügte Ausweisung nur noch unmittelbar mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden. In diesem Verfahren werde die Ausweisung jedoch im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG nur auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft. Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweise sich damit als rechtswidrig, weil es an der für diesen Fall von der Richtlinie geforderten gesonderten Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor Erlass der Verfügung fehle. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfülle nicht die Anforderungen an ein Rechtsmittelverfahren, welche nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfüllt sein müssten, damit vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf eine vorherige Stellungnahme durch eine gesonderte Stelle verzichtet werden könne, da in einem solchen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht stattfinde. Ohne das in § 68 VwGO geregelte Vorverfahren entspreche damit das deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches auf eine bloße Überprüfung der Grenzen einer fremden Ermessensentscheidung (§ 114 VwGO) beschränkt und zudem erst zeitlich nach dem Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stattfinde, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht.
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Im vorliegenden Fall sei auch nicht der Ausnahmefall des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gegeben, wonach „in dringenden Fällen“ die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ unterbleiben könne. Zwar habe das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt, weil die Besorgnis bestehe, der Kläger werde während eines erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen. Zudem bestehe die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges. Diese Bewertung halte das Gericht, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004, für nicht zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich sei. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ein Verzicht der Vollstreckungsbehörde gemäß § 456a StPO auf die Vollstreckung der Rest-Freiheitsstrafe unter der Bedingung einer Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch nicht erteilt worden und habe auch noch nicht im Raum gestanden. Angesichts dessen rechtfertige auch die von Seiten der Beklagten angeführte abstrakte Möglichkeit, dass der Kläger auch in der JVA weitere Straftaten begehen könne, keine andere Beurteilung. Darauf, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen eines besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht werden könne, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft am 02.12.2004 die Freigabe zur Abschiebung ab dem 09.05.2005 erklärt habe, komme es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG vorliege, nach Auffassung der Kammer nicht an. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei der Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung. Da Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetze, könne die Frage, ob ein dringender Fall vorliege und somit das in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise nicht vorauszugehen habe, nur nach der sich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung darstellenden Sachlage beurteilt werden.
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Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Berufung gegen dieses Urteil gemäß §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen, weil die Kammer bezüglich der Frage, ob Art. 9 RL 64/221/EWG verletzt sei, von den Urteilen des erkennenden Senats vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 (VBlBW 2004, 481 ff.) - und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 - abweiche. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2005 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 18.10.2005, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen am 09.11.2005, hat der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung eingelegt und die Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 05.03.1980, NJW 1980, 2630 ff.) allein Sache der Verwaltung. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe darüber hinaus die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Insofern liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 - ) ein dringender Fall i.S.d. RL 64/221/EWG vor. Die (andere) ex-post-Beurteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sei diesbezüglich unbeachtlich. Zudem bestehe im vorliegenden Fall auch angesichts der hohen Rückfallgefahr des Klägers am Vorliegen eines dringenden Falles im Sinne der genannten Bestimmung kein Zweifel. Es sei schlicht falsch, dass für das Regierungspräsidium Karlsruhe zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich gewesen sei, weil noch keine Freigabeentschließung der Staatsanwaltschaft erteilt worden sei. Denn dann könne nie ein dringender Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bejaht werden, weil die Strafvollstreckungsbehörde in Ausweisungsfällen die für den Vollzug der Ausweisung (Abschiebung) erforderliche Freigabe erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung bzw. frühestens dann erteile, wenn der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei, was erst mit Zustellung der vollziehbaren Ausweisungsverfügung der Fall sei. Die für die Abschiebung erforderliche Entschließung nach § 456a StPO werde von der Ausländerbehörde sinnvollerweise erst dann bei der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beantragt, wenn der Betroffene ausgewiesen worden bzw. vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die besondere Dringlichkeit habe sich im vorliegenden Fall bereits aus der Besorgnis ergeben, die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Das Regierungspräsidium habe von der Tatsache ausgehen müssen, dass die Freigabe zur Abschiebung von der Strafvollstreckungsbehörde bei vollziehbarer Ausreisepflicht in der Regel zum Halbstrafenzeitpunkt oder spätestens zwischen dem Halbstrafenzeitpunkt und dem Zweidrittel-Zeitpunkt erteilt werde. Aus der Sicht von Oktober 2004 sei deshalb bei realistischer Betrachtungsweise, ausgehend vom bekannten Beginn der Untersuchungshaft des Klägers und der ebenfalls bekannten Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten, eine Freigabe zur Abschiebung bereits innerhalb eines Zeitraumes von weit unter einem Jahr (Mai 2005) in Betracht gekommen, bzw. bei vorzeitiger Haftentlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe innerhalb eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren (Februar 2006). Die Freigabe sei tatsächlich erwartungsgemäß zum 09.05.2005 erteilt worden. Bei realistischer Betrachtungsweise habe daher im Oktober 2004 die begründete Besorgnis bestanden, dass sich die vom Kläger ausgehende Gefahr vor Rechtskraft einer abschließenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die von ihm erhobene Anfechtungsklage realisieren werde, so dass das Regierungspräsidium bei Erlass der Ausweisungsverfügung zu Recht vom Vorliegen eines dringenden Falles ausgegangen sei.
20 
Das Verwaltungsgericht gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass bei der Beurteilung, ob ein dringender Fall vorliege, der Zeitpunkt des Verwaltungshandelns - allein - maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224) sei für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach ARB 1/80 inne hätten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt sei die Freigabe bereits erteilt gewesen, so dass eine Dringlichkeit unzweifelhaft zu bejahen sei.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.09.2005 - 3 K 3786/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinen Urteilen vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - (InfAuslR 2006, 110 ff.) und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (InfAuslR 2006, 114 ff.) ausgeführt, dass nach Abschaffung des behördlichen Widerspruchsverfahrens bei Ausweisungen von Regierungspräsidien in Baden-Württemberg die in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) nicht mehr gewährleistet sei. Die Ausweisung des Klägers sei daher wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig, da für die Annahme eines dringenden Falls im Sinne der Richtlinie keine Anhaltspunkte vorlägen. Die angegriffene Verfügung berücksichtige zudem nicht in ausreichendem Maße das Verhältnis des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn und den durch Art. 6 GG garantierten Schutz durch den Staat. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts von 1997 sei das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden.
26 
Das Landgericht Köln hat während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2006 - StVK 2/06 3252 VRs 203 Js 79186/02 - nach Verbüßung von mehr als zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 verhängten Freiheitsstrafe die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Begründung heißt es, der vom Gericht beauftragte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort bestehe. Zwar bestehe bei Drogendelinquenz eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 50 %; letzteres müsse allerdings relativiert werden, da der Kläger selbst nicht drogenabhängig sei. Positiv für den Kläger spreche, dass es sich bei dem Delikt und der gezeigten Kriminalität um einen Ausdruck einer lebensphasischen Veränderung gehandelt habe und Kriminalität kein eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biographie des Klägers sei. Der Kläger sei auch von der Haft deutlich beeindruckt und habe Reue gezeigt. Das Verhalten des Klägers während der Haft sei weit überwiegend positiv gewesen; er werde als freundlicher, ruhiger und unauffälliger Gefangener geschildert. Für eine positive Prognose spreche schließlich, dass der Kläger über feste soziale Bindungen verfüge. Er sei seit 1999 mit seiner Freundin/Verlobten L. B. zusammen, in deren Wohnung er nach seiner Entlassung auch wohnen werde. Der Kontakt zu seinem Sohn aus der mittlerweile geschiedenen Ehe habe auch während der Haftzeit aufrecht erhalten werden können. Der Kläger verfüge schließlich über eine Arbeitsstelle für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach dem vom Verurteilten im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck könne erwartet werden, dass er unter dem Eindruck der Aussetzung der Reststrafe künftig keine Straftaten mehr begehen werde.
27 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
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Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
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Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
28 
Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).
29 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).
I.
30 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.
31 
Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt , ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).
32 
Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift K. ... in K. hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 „nach unbekannt“ verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.
33 
Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der O. Straße ... in K. ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).
34 
Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.
35 
Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes(Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwirkend -zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.
36 
Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und „nach unbekannt“ verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
37 
Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.
38 
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 , InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.
39 
Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. ... und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma A.-... ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - , InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.
40 
Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma F. beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.
41 
2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, „sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben“, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen „außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes“, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei „diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist“.
42 
Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“) entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.
43 
Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine „genauere Definition der Verfahrensgarantien“ bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).
44 
3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ entbehrlich gewesen wäre.
45 
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem „dringender Fall“ i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 , NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).
46 
Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 , NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des „dringenden Falls“ entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
47 
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“. Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.
48 
c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.
49 
Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Mit „Hauptverfahren“ dürfte wohl das gerichtliche Hauptsache verfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom „gerichtlichen Hauptverfahren“ die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, unddavon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das „Hauptverfahren“ auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der „anderen Stelle“.
50 
d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein „dringender Fall“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.
51 
Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie („ … trifft die Verwaltungsbehörde …“) legt es nahe, für die Beurteilung eines „dringenden Falles“ auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dievorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.
52 
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.
53 
Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).
54 
Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist.
55 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, „ … wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird“ und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.
56 
d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein „dringender Fall“, der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.
57 
Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit „harten“ Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.
58 
Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.
59 
Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
60 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.
61 
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.
62 
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.
63 
Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.
64 
a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.
65 
§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. „effet utile“, vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, ; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.
66 
b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“ Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.
68 
Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.
69 
5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitvor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des „effet utile“ dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.
III.
70 
Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.
71 
1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.
72 
a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 , InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).
73 
b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung „ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nichtunverhältnismäßig ist.
74 
Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen „Vier-Augen-Prinzips“ nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).
75 
2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle („Vier-Augen-Prinzip“) ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.
76 
a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).
77 
Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 , a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.
78 
c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.
79 
Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - ).
80 
Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine „Metamorphose“ eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).
81 
Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.
IV.
82 
Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.
V.
83 
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.
VI.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
VII.
85 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes „Hauptverfahren“ im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.
86 
Beschluss
87 
vom 29. Juni 2006
88 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.
89 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 2 Absatz 4 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Absatz 3, Artikel 52 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in Satz 1 genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden. Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise auftreten, stellen keinen Grund für eine Feststellung nach Satz 1 dar.

(2) Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(4) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.

(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer odermehrervorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.

(6) Die Entscheidungen oder Maßnahmen, die den Verlust des Aufenthaltsrechts oder des Daueraufenthaltsrechts betreffen, dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden.

(7) Wird der Pass, Personalausweis oder sonstige Passersatz ungültig, so kann dies die Aufenthaltsbeendigung nicht begründen.

(8) Vor der Feststellung nach Absatz 1 soll der Betroffene angehört werden. Die Feststellung bedarf der Schriftform.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.