Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 25. Sept. 2015 - 11 K 3542/15

bei uns veröffentlicht am25.09.2015

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

 
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Kläger erfüllt nicht sämtliche Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 10 StAG. Nach Aktenlage verfügt der Kläger nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4 StAG). Von der Voraussetzung der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache kann gegenwärtig auch nicht nach § 10 Abs. 6 StAG abgesehen werden. Nach dieser Bestimmung ist u. a. von der Voraussetzung der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache abzusehen, wenn der Einbürgerungsbewerber wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt diese Voraussetzung nicht erfüllen kann. Die Ausschlussgründe des § 10 Abs. 6 StAG sind vom Einbürgerungsbewerber entsprechend seiner Mitwirkungspflicht (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG) substantiiert darzulegen; außerdem hat der Einbürgerungsbewerber entsprechende Nachweise beizubringen (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 6, Stand: 31.07.2015, Rn. 6 m.w.N.). Zwar hat der Kläger ärztliche Stellungnahmen über seinen Gesundheitszustand vorgelegt. Die jüngste ärztliche Stellungnahme ist jedoch bereits mehr als fünf Jahre alt und schon von daher nicht geeignet, einen Nachweis zu erbringen, dass die Ausschlussgründe des § 10 Abs. 6 StAG beim Kläger vorliegen.
Das Landratsamt Ludwigsburg hat mit Bescheid vom 15.10.2014 den Einbürgerungsantrag des Klägers abgelehnt mit der Begründung, er verfüge nicht über Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Diese Begründung dürfte nach Aktenlage nicht zu beanstanden sein. Der Kläger wurde am 18.08.2014 ausführlich über den Inhalt und die Bedeutung der von ihm am 18.04.2014 auf der Grundlage des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegebenen Bekenntniserklärung befragt. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss inhaltlich zutreffen, stellt nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 20.04.2015 - 11 K 5984/14 - InfAuslR 2015, 347 m.w.N.). Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Fehlende Kenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegen u. a. vor, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht ansatzweise die Inhalte von zentralen Grundrechten oder Kernbestimmungen des Grundgesetzes wie beispielsweise die Anerkennung der Souveränität des Volkes, der Gewaltenteilung und das Mehrparteiensystem benennen kann (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 29.07.2015, Rn. 18 m.w.N.).
Nach dem in der Behördenakte enthaltenen Aktenvermerk über das mit dem Kläger am 18.08.2014 geführte Gespräch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzt. Von den Anforderungen an einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann auch nicht nach § 10 Abs. 6 StAG abgesehen werden. Diese Bestimmung dispensiert lediglich von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 StAG.
Abgesehen davon, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon nicht erkennbar ist, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 StAG vorliegen, scheidet im Übrigen auch eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG aus. Es besteht keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (vgl. BSG, Urt. v. 11.05.2011 - B 5 R 8/10 R - BSGE 108, 152; BVerwG, Urt. v. 25.04.2013 - 6 C 5/12 - BVerwGE 146, 224). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben. Der Gesetzgeber wollte mit § 10 Abs. 6 StAG für den begünstigten Personenkreis die von Einbürgerungsbewerbern verlangten höheren Sprachanforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4 StAG, die durch Gesetz vom 19.08.2007 (BGBl I. S. 1970) geschaffen wurden, kompensieren. Dass das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch inhaltlich zutreffen muss und nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung darstellt, war dem Gesetzgeber bekannt (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 - NVwZ 2006, 484). Gleichwohl hat der Gesetzgeber davon abgesehen, § 10 Abs. 6 StAG auch auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG zu erstrecken. Dem mag eine Fehleinschätzung zugrunde liegen. Von einer durch Analogie zu behebenden - planwidrigen - Unvollständigkeit des Gesetzes kann in Anbetracht der zu Tage tretenden legislativen Enthaltsamkeit aber nicht gesprochen werden (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.05.2010 - 5 C 8/09 - NVwZ 2010, 1502).
Schließlich ist auch fraglich, ob die Identität des Klägers feststeht. Klärungsbedürftig ist die Identität dann, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität fehlen (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.2011 - 5 C 27/10 - BVerwGE 140, 311). Der Kläger ist nicht im Besitz eines Reisepasses. Ob der Kläger zum Nachweis seiner Identität andere Dokumente vorlegen kann, ist vorliegend völlig offen.
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung ausscheidet. Denn er ist nicht in der Lage, sich und seine Angehörigen aus eigener Kraft zu ernähren. Er und seine Ehefrau beziehen seit vielen Jahren Sozialleistungen. Ob der Einbürgerungsbewerber den Bezug von Sozialleistungen zu vertreten hat, ist im Rahmen des § 8 Abs. 1 StAG unerheblich (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 1, Stand: 31.07.2015, Rn. 85 m.w.N.).
Von den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG kann auch nicht gemäß § 8 Abs. 2 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Ein öffentliches Interesse i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG liegt nur vor, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbewerbers abhebendes spezifisches staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Einbürgerungsbewerber trotz fehlender Unterhaltsfähigkeit einzubürgern; erforderlich ist also ein Erwünschtsein der Einbürgerung des Einbürgerungsbewerbers aufgrund allgemeiner politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Gesichtspunkte (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 2, Stand: 31.07.2015, Rn. 9 m.w.N.). Derartige Gesichtspunkte sind vorliegend nicht erkennbar.
Der Kläger kann sich auch nicht auf das Vorliegen einer besonderen Härte i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG berufen. Die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll solchen Härten begegnen, die gerade durch die Versagung der Einbürgerung entstehen und sich durch eine Einbürgerung vermeiden lassen. Die Härte muss also gerade durch die begehrte Einbürgerung beseitigt oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Das Angewiesensein des Klägers auf Sozialleistungen stellt aber keinen atypischen Sachverhalt dar, der ihn in besonderer Weise beschwert. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen kann durch eine Einbürgerung des Klägers auch nicht vermieden werden.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 166


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Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 10


(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit gekl

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 8


(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er 1. handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich v

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 82 Mitwirkung des Ausländers


(1) Der Ausländer ist verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlich

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 37


(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu be

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. § 80 Absatz 3 und § 82 des Aufenthaltsgesetzes gelten entsprechend.

(2) Die Einbürgerungsbehörden übermitteln den Verfassungsschutzbehörden zur Ermittlung von Ausschlussgründen nach § 11 die bei ihnen gespeicherten personenbezogenen Daten der Antragsteller, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Die Verfassungsschutzbehörden unterrichten die anfragende Stelle unverzüglich nach Maßgabe der insoweit bestehenden besonderen gesetzlichen Verarbeitungsregelungen.

(1) Der Ausländer ist verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Die Ausländerbehörde kann ihm dafür eine angemessene Frist setzen. Sie setzt ihm eine solche Frist, wenn sie die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen fehlender oder unvollständiger Angaben aussetzt, und benennt dabei die nachzuholenden Angaben. Nach Ablauf der Frist geltend gemachte Umstände und beigebrachte Nachweise können unberücksichtigt bleiben. Der Ausländer, der eine ICT-Karte nach § 19b beantragt hat, ist verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde jede Änderung mitzuteilen, die während des Antragsverfahrens eintritt und die Auswirkungen auf die Voraussetzungen der Erteilung der ICT-Karte hat.

(2) Absatz 1 findet im Widerspruchsverfahren entsprechende Anwendung.

(3) Der Ausländer soll auf seine Pflichten nach Absatz 1 sowie seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz, insbesondere die Verpflichtungen aus den §§ 44a, 48, 49 und 81 hingewiesen werden. Im Falle der Fristsetzung ist er auf die Folgen der Fristversäumung hinzuweisen.

(4) Soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird. Kommt der Ausländer einer Anordnung nach Satz 1 nicht nach, kann sie zwangsweise durchgesetzt werden. § 40 Abs. 1 und 2, die §§ 41, 42 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Bundespolizeigesetzes finden entsprechende Anwendung.

(5) Der Ausländer, für den nach diesem Gesetz, dem Asylgesetz oder den zur Durchführung dieser Gesetze erlassenen Bestimmungen ein Dokument ausgestellt werden soll, hat auf Verlangen

1.
ein aktuelles Lichtbild nach Maßgabe einer nach § 99 Abs. 1 Nr. 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung vorzulegen oder bei der Aufnahme eines solchen Lichtbildes mitzuwirken und
2.
bei der Abnahme seiner Fingerabdrücke nach Maßgabe einer nach § 99 Absatz 1 Nummer 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung mitzuwirken.
Das Lichtbild und die Fingerabdrücke dürfen in Dokumente nach Satz 1 eingebracht und von den zuständigen Behörden zur Sicherung und einer späteren Feststellung der Identität verarbeitet werden.

(6) Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 3 oder 4 sind, sind verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis mitzuteilen, dass die Ausbildung oder die Erwerbstätigkeit, für die der Aufenthaltstitel erteilt wurde, vorzeitig beendet wurde. Der Ausländer ist bei Erteilung des Aufenthaltstitels über seine Verpflichtung nach Satz 1 zu unterrichten.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerinnen begehren die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Die am … 1983 im Libanon geborene Klägerin zu 1 und die am … 2009 im Bundesgebiet geborene Klägerin zu 2 sind libanesische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 reiste am 13.10.2004 in das Bundesgebiet ein. Sie war zunächst im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG zum Besuch eines Sprachkurses. Danach erhielt sie Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke des Studiums gemäß § 16 Abs. 1 AufenthG. Seit Juni 2009 ist sie im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen auf der Grundlage des § 30 AufenthG. Am 01.11.2007 bestand sie an der Freien Universität Berlin die Diplomprüfung in Biochemie. Am 02.10.2008 hat sie im Libanon einen libanesischen Staatsangehörigen geheiratet. Vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 war die Klägerin zu 1 bei der Universität Ulm - Medizinische Fakultät - als Zeitarbeitnehmerin mit einem befristeten Arbeitsvertrag beschäftigt.
Am 20.03.2012 beantragten die Klägerinnen die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Die Klägerin zu 1 gab am 02.10.2013 gegenüber dem Landratsamt Esslingen eine Bekenntnis- und Loyalitätserklärung ab. In einem Aktenvermerk des Landratsamts Esslingen vom 02.10.2013 über ein mit der Klägerin zu 1 am 02.10.2013 geführtes Einbürgerungsgespräch ist ausgeführt, die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe sie nicht erklären können. Im Hinblick auf die Grundrechte habe sie lediglich die Meinungsfreiheit benannt. Mitglied der Hizb Allah sei sie nicht, diese Vereinigung habe sie auch nicht unterstützt. Sie anerkenne jedoch deren Verdienst. Ihr Ehemann stamme aus dem Süden des Libanon und habe unter den Israelis gelitten. Sie befürworte das Ziel der Hizb Allah, den Libanon von den Israelis zu befreien. Sie sei gläubige Muslimin. Im Islam hätten Mann und Frau die gleichen Rechte. Eine Frau dürfe nicht geschlagen oder unterdrückt werden. Die Frau dürfe arbeiten und könne den Ehepartner frei wählen. Salafisten seien Extremisten, ebenso die Islamisten. Nichtmuslime seien keine Ungläubigen. Sie selbst aber würde einen Andersgläubigen nicht heiraten und auch nicht konvertieren. Ihre Tochter werde aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Wem das Recht zustehe, Gesetze zu erlassen, habe sie nicht beantworten können. In Deutschland werde sie natürlich die Gesetze akzeptieren. Dass die Scharia in Deutschland nicht zur Anwendung komme, sei für sie kein Problem. Die Steinigung von Frauen bei Ehebruch in islamischen Ländern sei zur Abschreckung ganz gut. Im Konfliktfall zwischen religiösen Vorschriften und den weltlichen Gesetzen würde sie sich für die weltlichen Gesetze entscheiden. Die Vorherrschaft des islamischen Rechtsverständnisses in Deutschland mit Gewalt zu erreichen, lehne sie ab; ein friedlicher Wechsel würde sie aber als positiv empfinden. Bei religiösen Fragen folge sie ausschließlich dem Islam. Bezüglich ihres Glaubens missioniere sie nicht; sie wolle andere durch ihr Tun überzeugen. Das Existenzrecht Israels lehne sie ab. Das Land gehöre den Palästinensern.
Mit Schreiben vom 20.05.2014 teilte das Ministerium für Integration Baden-Württemberg mit, dass es einer Einbürgerung der Klägerin zu 1 nicht zustimme.
Mit Bescheid vom 28.07.2014 lehnte das Landratsamt Esslingen die Anträge der Klägerinnen auf Einbürgerung ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin zu 1 erfülle die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht. Es lägen tatsächliche Umstände vor, die Zweifel am Bekenntnis der Klägerin zu 1 zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechtfertigten. Bei der Klägerin zu 1 fehle es an einer überzeugenden Bejahung der Werteordnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Nach islamischem Rechtsverständnis sei die Scharia von Gott gesetztes islamisches Recht. Nach Ansicht mancher Strömungen im Islam regele die Scharia alle Lebensbereiche von Muslimen und stehe als göttliche Regelung über allen anderen Gesetzen. Dies stehe nicht im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Klägerin zu 1 habe erklärt, in religiösen Fragen ausschließlich dem Islam zu folgen. Die Klägerin zu 1 befürworte die Ziele der Hizb Allah, den Libanon von Israel zu befreien. Das Existenzrecht Israels verneine sie vehement. Die Ziele der Hizb Allah seien jedoch mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Wenn die Klägerin zu 1 die Ziele der Hizb Allah gut heiße, befürworte sie die Ziele dieser Organisation. Die Klägerin zu 1 verfüge auch nicht über einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe die Klägerin zu 1 nicht erklären können. Auch die Frage, wem das Recht der Gesetzgebung zustehe, habe sie nicht beantworten können. Auf die Frage nach den Grundrechten habe sie nur das Recht der Meinungsfreiheit benennen können. Hieraus folge, dass es der Klägerin zu 1 an Grundkenntnissen über und einem Verständnis für die freiheitliche demokratische Grundordnung fehle. Da eine Einbürgerung der Klägerin zu 1 nach § 10 StAG ausscheide, komme auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 gemäß § 10 Abs. 2 StAG nicht in Betracht.
Hiergegen legten die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 30.09.2014 Widerspruch ein und brachten zur Begründung vor, die Klägerin zu 1 habe mit der Organisation Hizb Allah nichts zu tun. Dorthin gebe es keine Kontakte. Sie habe sich auch nicht mit den Zielen und Strukturen dieser Partei auseinandergesetzt. Außerdem sei sie missverstanden worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 wies das Regierungspräsidium Stuttgart die Widersprüche unter Verweis auf den Ausgangsbescheid zurück. Ergänzend wurde ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin zu 1, sie sei missverstanden worden, könne nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Die Klägerin zu 1 habe das angefertigte Protokoll intensiv durchgelesen und eine Änderung angebracht, bevor sie ihre Unterschrift geleistet habe.
Am 30.12.2014 haben die Klägerinnen Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Lebensunterhaltssicherung sei gegeben. Die Einnahmen des Ehemanns der Klägerin zu 1 hätten sich im Jahr 2014 deutlich verbessert. Die Klägerin zu 1 sei derzeit mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt. Außerdem sei sie schwanger; der voraussichtliche Geburtstermin sei am 21.09.2015. Bis einschließlich Februar 2015 habe sie Elterngeld in Höhe von 870 EUR monatlich bezogen. Sie habe die Bewilligung von Betreuungsgeld beantragt, ein Bewilligungsbescheid liege aber noch nicht vor.
Die Klägerinnen beantragen,
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den Bescheid des Landratsamts Esslingen vom 01.09.2014 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.11.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerinnen in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
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In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 1 auf Fragen des Gerichts vorgetragen, nach ihrem Studium im Libanon sei sie in das Bundesgebiet eingereist, um hier ein Masterstudium zu absolvieren. Ihren Ehemann habe sie in Deutschland kennengelernt. Um zu heiraten, seien sie zusammen in den Libanon gereist und hätten dort vor einem Scheich die muslimische Ehe geschlossen; diese werde vom libanesischen Staat anerkannt. Sie habe zwei Kinder und sei jetzt in der 18. Woche schwanger. Ihr Ehemann arbeite als Autohändler.
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Auf Frage des Gerichts, wieso sie in den deutschen Staatsverband eingebürgert werden wolle, gab die Klägerin zu 1 an, nach einer Einbürgerung habe sie mehr Chancen für den Erhalt einer Arbeitsstelle, außerdem sei die jeweilige Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kostenpflichtig.
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Auf Frage nach den Werten, die die Klägerin zu 1 mit Deutschland verbinde, brachte sie vor, hier könne man frei leben und arbeiten, das Leben in Deutschland sei sehr gut.
17 
Die Frage, ob sie Kontakt mit Deutschen in einem Verein oder im Wohnumfeld habe, verneinte die Klägerin zu 1.
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Auf Frage des Gerichts, wie sie die Rolle der Frau sieht, gab die Klägerin zu 1 an, die Frau dürfe alles tun, was sie wolle. Keiner dürfe sie zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wolle. Frauen dürften in allen Bereichen arbeiten.
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Auf Frage des Gerichts, ob sie eine Moschee in Deutschland besucht, gab die Klägerin zu 1 an, sie gehe nur ab und zu in Gebetsräume, nicht aber in eine Moschee. Einen Gebetsraum suche sie vor allem während des Ramadan auf.
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Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter dem Begriff Scharia verstehe, gab sie an, hierzu gehörten Gebete und Fasten. Dies habe sie dem Koran entnommen. Hieran wolle sie sich auch halten.
21 
Auf Vorhalt des Gerichts, dass im Mittelpunkt der Scharia das Ehe- und Familienrecht stehe und nach Vorhalt des Inhalts der Suren 4,34 („Die Männer stehen über den Frauen. Und die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben und gehorsam“) und 2,228 („Die Männer stehen eine Stufe über den Frauen“) gab die Klägerin zu 1 an, Frauen hätten die gleichen Rechte wie Männer.
22 
Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu Koranversen zum Zeugenrecht (Sure 2,282: „Die Zeugenaussage eines Mannes kann nur von zwei Frauen aufgewogen werden“) stehe, ließ sie sich dahin ein, die Scharia könne nicht überall ausgeübt werden, sie halte sich an deutsche Gesetze.
23 
Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zum islamischen Kindschaftssorgerecht stehe, das dem Ehemann nach einer Scheidung die gemeinsamen Kinder zuweise, entgegnete sie, dies sei ihr nicht bekannt.
24 
Auf Vorhalt, wonach das muslimische Erbrecht der Frau nur die Hälfte dessen zubillige, was ein männliches Familienmitglied erhalte, entgegnete die Klägerin zu 1 zunächst, hierzu habe sie nichts zu sagen. Anschließend ließ sie sich aber dahin ein, dass insoweit nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte.
25 
Auf Frage, wie die Klägerin zu 1 zu den Vorgaben der Scharia zum Strafrecht bei Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr (Sure 24,2) stehe, gab sie an, dies finde sie nicht gut.
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Nach Vorhalt der Vorgaben der Scharia bei schwerem Diebstahl (Sure 5,38) entgegnete die Klägerin zu 1, ob das wirklich im Koran stehe.
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Auf Vorhalt des Gerichts, dass das islamische Rechtsverständnis (z.B. im Iran) die Todesstrafe vorsehe, wenn ein Muslim vom Islam abfalle, entgegnete die Klägerin zu 1, dies habe sie noch nie gehört.
28 
Auf Frage des Gerichts, was sie unter dem Begriff „Dschihad“ verstehe, antwortete die Klägerin zu 1, hierzu habe sie nichts zu sagen. Gleiches erwiderte sie, als das Gericht die Sure 9,5 („Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie, lauert ihnen überall auf“) vorlas und die Klägerin zu 1 um Stellungnahme bat.
29 
Auch auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu der Aussage von Ayatollah Khomeini in seinem Buch „Principes politiques, philosophiques, sociaux et religieux“, wonach „Urin, Kot, Sperma, Blut, Hunde, Schweine, ein Nichtmuslim und eine Nichtmuslimin unrein sind“, steht, gab die Klägerin zu 1 an, hierzu wolle sie nichts sagen.
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Auf weitere Fragen des Gerichts, ob ihre Kinder am Sexualkundeunterricht in der Schule, am Schwimmunterricht und an Schullandheimaufenthalten teilnehmen dürften, erwiderte die Klägerin zu 1, wenn es Pflicht sei, dürften sie teilnehmen.
31 
Auf Frage des Gerichts zu in der Verfassung verankerten Grundrechten nannte die Klägerin zu 1 das Recht auf Leben, auf Arbeit, auf Studium, die Meinungsfreiheit, Menschenrechte sowie die Volkssouveränität.
32 
Auf Frage zur „Unabhängigkeit der Gerichte“ ließ sich die Klägerin zu 1 dahin ein, Gerichte dürften keinen Parteien angehören, die Staatsgewalt sei getrennt vom Rechtssystem. Was die Gerichte zu entscheiden hätten, basiere auf dem Grundgesetz.
33 
Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter Demokratie versteht, gab sie an, die Abgeordneten seien vom Volk gewählt, weiter falle hierunter das Mehrheitsprinzip und die Meinungsfreiheit.
34 
Auf Frage des Gerichts, ob die Klägerin zu 1 Wahlgrundsätze benennen könne, nannte sie frei, geheim und sicher.
35 
Auf Frage, ob in Deutschland Mohammed-Karikaturen gezeigt werden dürften, antwortete die Klägerin zu 1, dies falle unter die Meinungsfreiheit.
36 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
37 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
38 
Der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82/95 - InfAuslR 1996, 399 und Urt. v. 20.10.2005 - 5 C 8/05 - BVerwGE 124, 268).
39 
Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 StAG; es fehlt an der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 StAG.
40 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt ein Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
41 
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze, die auch einbürgerungsrechtlich maßgeblich sind (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12). Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
42 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 17.04.2015, Rn. 9 m.w.N.).
43 
Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12; HTK-StAR a.a.O. Rn. 10). Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.
44 
Nach diesen Grundsätzen hat sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen können, dass das von der Klägerin zu 1 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
45 
Die Klägerin zu 1 war in der mündlichen Verhandlung sorgsam darauf bedacht, ihre innere Einstellung zu verbergen. Sie reagierte häufig ausweichend auf Fragen des Gerichts und verweigerte auf heikle Fragen eine Antwort. Dadurch vermied sie eindeutige Antworten, die einen Rückschluss auf ihr Islamverständnis und auf ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlaubt hätten.
46 
So ließ sich die Klägerin zu 1 auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie sie zur Sure 2,282 stehe, wonach die Zeugenaussage eines Mannes nur von zwei Frauen aufgewogen werden könne, dahin ein, dass die Scharia nicht überall ausgeübt werden könne. Mit dieser Aussage vermied die Klägerin zu 1 eine Festlegung, ob das islamische Zeugenrecht für sie ein anstrebenswertes Ziel darstellt. Zum muslimischen Erbrecht wollte sich die Klägerin zu 1 zunächst nicht äußern. Sie gab dann aber an, dass gegen dieses muslimische Erbrecht, wonach die Frau immer nur die Hälfte von dem erhalte, was einem männlichen Familienmitglied zustehe, nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte. Eine Regelung, dass die Frau allein aufgrund ihres Geschlechts weniger erbt als ein Mann, verstößt aber gegen das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG). Außerdem widerspricht die Erbrechtsverkürzung Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.05.2010 - 20 W 3/10, 20 W 4/10 - juris -). Das Recht auf Gleichbehandlung zählt zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Menschenrechten (vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 - juris -). Die Klägerin zu 1 ließ in der mündlichen Verhandlung zudem sämtliche Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ unbeantwortet. Mit diesem Antwortverhalten hat sich die Klägerin zu 1 aber einer Überprüfung ihrer inneren Überzeugung entzogen. Die Verweigerung der Beantwortung von Fragen des Gerichts erlaubt nur den Schluss, dass die Klägerin zu 1 einbürgerungsschädliche Äußerungen, die ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. Die Klägerin zu 1 hat sich jeweils nach kurzer Überlegung dazu entschieden, auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ nicht zu antworten. Insoweit scheiterte die Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses nicht an zu schwierigen Fragestellungen oder an Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin zu 1 lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Sie absolvierte im Bundesgebiet erfolgreich ein Masterstudium und sie kann sich, wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, differenziert auf Deutsch ausdrücken. Aus dem Antwortverhalten der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ kann somit nur der Schluss gezogen werden, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis verbergen wollte. Nach allem hat sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass das von der Klägerin zu 1 gegenüber dem Landratsamt Esslingen abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
47 
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt die Klägerin zu 1 auch nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat.
48 
Die Feststellung, ob der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 10). Bei erwerbsfähigen Einbürgerungsbewerbern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den Bestimmungen des SGB II. Der Bedarfsberechnung ist grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3 a SGB II ergibt. Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zu berücksichtigen sind somit der Regelbedarf (20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21, §§ 24 - 27 SGB II) sowie der Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). In die Bedarfsberechnung einzustellen sind somit u. a. auch die Mehrbedarfe für die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sowie die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II). Nicht anzusetzen sind lediglich die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe (vgl. zum Ganzen HTK-StAR a.a.O. Rn. 12).
49 
Für die Klägerin zu 1, ihren Ehemann und die gemeinsamen Kinder ergibt sich gemäß § 20 Abs. 4 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung vom 15.10.2014 über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01. Januar 2015 (BGBl I 2014 S. 1620) ein monatlicher Regelbedarf für die Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.188,00 EUR (je 360,00 EUR für die Klägerin zu 1 und ihren Ehemann sowie je 234,00 EUR für die gemeinsamen Kinder). Hinzu kommen der Mehrbedarf für werdende Mütter gemäß § 21 Abs. 2 SGB II in Höhe von 61,20 EUR, ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserversorgung gemäß § 21 Abs. 7 SGB II in Höhe von insgesamt 20,30 EUR sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II die monatlichen Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 541,00 EUR. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Gesamtbedarf von insgesamt 1810,50 EUR.
50 
Zwar konnte der Unterhaltsbedarf nach der von der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Verdienstbescheinigung ihrer Steuerberaterin vom 14.04.2015 für das Jahr 2014 mit dem von ihrem Ehemann erzielten Erwerbseinkommen zzgl. des Kindergeldes aller Voraussicht nach gedeckt werden, ohne auf die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen angewiesen zu sein. Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII bestritten werden kann, ist aber nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen. Erforderlich ist vielmehr auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu bestreiten (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 25 m.w.N.). Die geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment der Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung; sie setzt eine Abschätzung auch aufgrund rückschauender Betrachtung voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach SGB II und SGB XII aufbringen kann (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 26).
51 
Nach diesen Grundsätzen kann unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographien der Klägerin zu 1 sowie ihres Ehemannes eine hinreichend dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts derzeit (noch) nicht prognostiziert werden.
52 
Die Erwerbsbiographie des Ehemanns der Klägerin zu 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass er in den letzten Jahren aus seiner selbständigen Tätigkeit als Autohändler ganz unterschiedliche monatliche Einkünfte erzielt hat. Den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2009 bis 2013 sind folgende monatliche Einkünfte des Ehemanns der Klägerin zu 1 zu entnehmen: Im Jahr 2010 162,58 EUR, im Jahr 2011 208,83 EUR, im Jahr 2012 1.696,25 EUR und im Jahr 2013 487,42 EUR; für das Jahr 2009 bestanden negative Einkünfte in Höhe von 175,50 EUR. Wird der Lebensunterhalt aus einer selbständigen Tätigkeit bestritten, so kann eine positive Prognose nur im Hinblick auf die erzielten Gewinne getroffen werden; hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Einnahmesituation eines selbständig Tätigen sind die Einkünfte mehrerer Veranlagungszeiträume in den Blick zu nehmen (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 31). Bei der aufgezeigten Einkommenssituation des Ehemannes der Klägerin zu 1 aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen die erzielten Gewinne jedenfalls gegenwärtig (noch) nicht die Annahme einer positiven Prognose. Auch im Hinblick auf die Erwerbsbiographie der Klägerin zu 1 kann gegenwärtig eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften bestritten werden kann, nicht gestellt werden. Bislang befand sich die Klägerin zu 1 lediglich in einem vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 befristeten Arbeitsverhältnis als Zeitarbeitnehmerin. Gegenwärtig arbeitet die Klägerin zu 1 nach ihrem eigenen Vorbringen an ihrer Doktorarbeit. Ob und wann sie dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung steht, ist völlig offen.
53 
Die Klägerin zu 1 hat den Mangel an ausreichenden dauerhaften und festen Einkünften auch zu vertreten. Auch wenn die Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII nicht bezieht, ist weiter zu prüfen, ob sie die fehlende Nachhaltigkeit der Einkünfte zu vertreten hat. Denn ansonsten würde der Einbürgerungsbewerber, der keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezieht, schlechter gestellt als der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmende Einbürgerungsbewerber (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 11).
54 
Das „Vertretenmüssen“ setzt ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten nicht voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 57 m.w.N.). Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin zu 1 die fehlende positive Prognose künftiger Unterhaltsfähigkeit zu vertreten.
55 
Ein normativer Ausschluss des Vertretenmüssens wegen der Betreuung von Kindern ist nicht ersichtlich. Eine Arbeitsaufnahme ist nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zumutbar, wenn die Erziehung eines Kindes nicht gefährdet ist; dies ist dann der Fall, wenn dessen Betreuung durch einen Elternteil oder in einer Tageseinrichtung/Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 87 m.w.N.). Dass die Betreuung der zwei gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1 in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege nicht sichergestellt wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Es ist schon nicht erkennbar, dass sich die Klägerin zu 1 um die Aufnahme ihrer Kinder in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege überhaupt bemüht hat.
56 
Auch die Entscheidung der Klägerin zu 1, sich um ihre Doktorarbeit zu bemühen statt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, führt ebenso wenig dazu, dass sie die unzureichende Prognose hinreichenden Lebensunterhalts nicht zu vertreten hätte. Von einem Nichtvertretenmüssen könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Klägerin zu 1 darlegt und nachweist, dass sie langanhaltende, intensive und breitgefächerte Bemühungen um eine einkommenserzielende Erwerbstätigkeit gezeigt hat, diese jedoch erfolglos gewesen sind; denn nur in diesen Fällen stellt sich die Qualifizierung als zwingend notwendig dar, weil dann feststeht, dass die Klägerin zu 1 schon wegen ihrer fehlenden Doktorarbeit ein objektives Vermittlungshemmnis aufweist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris -; HTK-StAR a.a.O. Rn. 88). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin zu 1 hat weder geltend gemacht noch dargelegt, dass sie nicht auch mit ihrer bisherigen Qualifikation hätte erwerbstätig sein können.
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Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG bei der Klägerin zu 1 nicht vor, so scheidet auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 nach § 10 Abs. 2 StAG aus.
58 
Die Klägerinnen können ebenso wenig auf der Grundlage des § 8 StAG eingebürgert werden. Auch die von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG geforderte Unterhaltsfähigkeit setzt eine positive Prognose, dass die Unterhaltsfähigkeit voraussichtlich dauerhaft besteht, voraus (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 1, Stand: 20.02.2015, Rn. 100 m.w.N.). Eine solche Prognose kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gestellt werden; auf die Ausführungen zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG wird verwiesen. Von der Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG kann auch nicht nach § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden. Für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses ist nichts ersichtlich. Auch eine besondere Härte i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG liegt nicht vor. Eine besondere Härte im Sinne dieser Bestimmung setzt einen atypischen Sachverhalt voraus, der den Einbürgerungsbewerber in besonderer Weise beschwert; die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll solchen Härten begegnen, die gerade durch die Versagung der Einbürgerung entstehen würden und sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, die Härte muss also gerade durch die begehrte Einbürgerung beseitigt oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 2, Stand: 31.03.2015, Rn. 13 m.w.N.). Besonders beschwerende Umstände, die durch die Versagung der Einbürgerung der Klägerinnen entstehen würden oder die sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
59 
Liegen somit schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 StAG nicht vor, kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob das nach § 8 Abs. 1 StAG auszuübende Ermessen deshalb negativ auf Null reduziert ist, weil begründete Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin zu 1 sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.06.1983 - 1 B 73/83 - DVBl 1983, 1013; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.

Gründe

 
37 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
38 
Der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82/95 - InfAuslR 1996, 399 und Urt. v. 20.10.2005 - 5 C 8/05 - BVerwGE 124, 268).
39 
Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 StAG; es fehlt an der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 StAG.
40 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt ein Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
41 
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze, die auch einbürgerungsrechtlich maßgeblich sind (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12). Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
42 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 17.04.2015, Rn. 9 m.w.N.).
43 
Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12; HTK-StAR a.a.O. Rn. 10). Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.
44 
Nach diesen Grundsätzen hat sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen können, dass das von der Klägerin zu 1 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
45 
Die Klägerin zu 1 war in der mündlichen Verhandlung sorgsam darauf bedacht, ihre innere Einstellung zu verbergen. Sie reagierte häufig ausweichend auf Fragen des Gerichts und verweigerte auf heikle Fragen eine Antwort. Dadurch vermied sie eindeutige Antworten, die einen Rückschluss auf ihr Islamverständnis und auf ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlaubt hätten.
46 
So ließ sich die Klägerin zu 1 auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie sie zur Sure 2,282 stehe, wonach die Zeugenaussage eines Mannes nur von zwei Frauen aufgewogen werden könne, dahin ein, dass die Scharia nicht überall ausgeübt werden könne. Mit dieser Aussage vermied die Klägerin zu 1 eine Festlegung, ob das islamische Zeugenrecht für sie ein anstrebenswertes Ziel darstellt. Zum muslimischen Erbrecht wollte sich die Klägerin zu 1 zunächst nicht äußern. Sie gab dann aber an, dass gegen dieses muslimische Erbrecht, wonach die Frau immer nur die Hälfte von dem erhalte, was einem männlichen Familienmitglied zustehe, nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte. Eine Regelung, dass die Frau allein aufgrund ihres Geschlechts weniger erbt als ein Mann, verstößt aber gegen das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG). Außerdem widerspricht die Erbrechtsverkürzung Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.05.2010 - 20 W 3/10, 20 W 4/10 - juris -). Das Recht auf Gleichbehandlung zählt zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Menschenrechten (vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 - juris -). Die Klägerin zu 1 ließ in der mündlichen Verhandlung zudem sämtliche Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ unbeantwortet. Mit diesem Antwortverhalten hat sich die Klägerin zu 1 aber einer Überprüfung ihrer inneren Überzeugung entzogen. Die Verweigerung der Beantwortung von Fragen des Gerichts erlaubt nur den Schluss, dass die Klägerin zu 1 einbürgerungsschädliche Äußerungen, die ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. Die Klägerin zu 1 hat sich jeweils nach kurzer Überlegung dazu entschieden, auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ nicht zu antworten. Insoweit scheiterte die Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses nicht an zu schwierigen Fragestellungen oder an Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin zu 1 lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Sie absolvierte im Bundesgebiet erfolgreich ein Masterstudium und sie kann sich, wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, differenziert auf Deutsch ausdrücken. Aus dem Antwortverhalten der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ kann somit nur der Schluss gezogen werden, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis verbergen wollte. Nach allem hat sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass das von der Klägerin zu 1 gegenüber dem Landratsamt Esslingen abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
47 
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt die Klägerin zu 1 auch nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat.
48 
Die Feststellung, ob der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 10). Bei erwerbsfähigen Einbürgerungsbewerbern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den Bestimmungen des SGB II. Der Bedarfsberechnung ist grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3 a SGB II ergibt. Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zu berücksichtigen sind somit der Regelbedarf (20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21, §§ 24 - 27 SGB II) sowie der Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). In die Bedarfsberechnung einzustellen sind somit u. a. auch die Mehrbedarfe für die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sowie die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II). Nicht anzusetzen sind lediglich die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe (vgl. zum Ganzen HTK-StAR a.a.O. Rn. 12).
49 
Für die Klägerin zu 1, ihren Ehemann und die gemeinsamen Kinder ergibt sich gemäß § 20 Abs. 4 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung vom 15.10.2014 über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01. Januar 2015 (BGBl I 2014 S. 1620) ein monatlicher Regelbedarf für die Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.188,00 EUR (je 360,00 EUR für die Klägerin zu 1 und ihren Ehemann sowie je 234,00 EUR für die gemeinsamen Kinder). Hinzu kommen der Mehrbedarf für werdende Mütter gemäß § 21 Abs. 2 SGB II in Höhe von 61,20 EUR, ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserversorgung gemäß § 21 Abs. 7 SGB II in Höhe von insgesamt 20,30 EUR sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II die monatlichen Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 541,00 EUR. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Gesamtbedarf von insgesamt 1810,50 EUR.
50 
Zwar konnte der Unterhaltsbedarf nach der von der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Verdienstbescheinigung ihrer Steuerberaterin vom 14.04.2015 für das Jahr 2014 mit dem von ihrem Ehemann erzielten Erwerbseinkommen zzgl. des Kindergeldes aller Voraussicht nach gedeckt werden, ohne auf die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen angewiesen zu sein. Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII bestritten werden kann, ist aber nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen. Erforderlich ist vielmehr auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu bestreiten (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 25 m.w.N.). Die geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment der Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung; sie setzt eine Abschätzung auch aufgrund rückschauender Betrachtung voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach SGB II und SGB XII aufbringen kann (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 26).
51 
Nach diesen Grundsätzen kann unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographien der Klägerin zu 1 sowie ihres Ehemannes eine hinreichend dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts derzeit (noch) nicht prognostiziert werden.
52 
Die Erwerbsbiographie des Ehemanns der Klägerin zu 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass er in den letzten Jahren aus seiner selbständigen Tätigkeit als Autohändler ganz unterschiedliche monatliche Einkünfte erzielt hat. Den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2009 bis 2013 sind folgende monatliche Einkünfte des Ehemanns der Klägerin zu 1 zu entnehmen: Im Jahr 2010 162,58 EUR, im Jahr 2011 208,83 EUR, im Jahr 2012 1.696,25 EUR und im Jahr 2013 487,42 EUR; für das Jahr 2009 bestanden negative Einkünfte in Höhe von 175,50 EUR. Wird der Lebensunterhalt aus einer selbständigen Tätigkeit bestritten, so kann eine positive Prognose nur im Hinblick auf die erzielten Gewinne getroffen werden; hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Einnahmesituation eines selbständig Tätigen sind die Einkünfte mehrerer Veranlagungszeiträume in den Blick zu nehmen (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 31). Bei der aufgezeigten Einkommenssituation des Ehemannes der Klägerin zu 1 aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen die erzielten Gewinne jedenfalls gegenwärtig (noch) nicht die Annahme einer positiven Prognose. Auch im Hinblick auf die Erwerbsbiographie der Klägerin zu 1 kann gegenwärtig eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften bestritten werden kann, nicht gestellt werden. Bislang befand sich die Klägerin zu 1 lediglich in einem vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 befristeten Arbeitsverhältnis als Zeitarbeitnehmerin. Gegenwärtig arbeitet die Klägerin zu 1 nach ihrem eigenen Vorbringen an ihrer Doktorarbeit. Ob und wann sie dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung steht, ist völlig offen.
53 
Die Klägerin zu 1 hat den Mangel an ausreichenden dauerhaften und festen Einkünften auch zu vertreten. Auch wenn die Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII nicht bezieht, ist weiter zu prüfen, ob sie die fehlende Nachhaltigkeit der Einkünfte zu vertreten hat. Denn ansonsten würde der Einbürgerungsbewerber, der keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezieht, schlechter gestellt als der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmende Einbürgerungsbewerber (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 11).
54 
Das „Vertretenmüssen“ setzt ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten nicht voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 57 m.w.N.). Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin zu 1 die fehlende positive Prognose künftiger Unterhaltsfähigkeit zu vertreten.
55 
Ein normativer Ausschluss des Vertretenmüssens wegen der Betreuung von Kindern ist nicht ersichtlich. Eine Arbeitsaufnahme ist nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zumutbar, wenn die Erziehung eines Kindes nicht gefährdet ist; dies ist dann der Fall, wenn dessen Betreuung durch einen Elternteil oder in einer Tageseinrichtung/Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 87 m.w.N.). Dass die Betreuung der zwei gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1 in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege nicht sichergestellt wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Es ist schon nicht erkennbar, dass sich die Klägerin zu 1 um die Aufnahme ihrer Kinder in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege überhaupt bemüht hat.
56 
Auch die Entscheidung der Klägerin zu 1, sich um ihre Doktorarbeit zu bemühen statt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, führt ebenso wenig dazu, dass sie die unzureichende Prognose hinreichenden Lebensunterhalts nicht zu vertreten hätte. Von einem Nichtvertretenmüssen könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Klägerin zu 1 darlegt und nachweist, dass sie langanhaltende, intensive und breitgefächerte Bemühungen um eine einkommenserzielende Erwerbstätigkeit gezeigt hat, diese jedoch erfolglos gewesen sind; denn nur in diesen Fällen stellt sich die Qualifizierung als zwingend notwendig dar, weil dann feststeht, dass die Klägerin zu 1 schon wegen ihrer fehlenden Doktorarbeit ein objektives Vermittlungshemmnis aufweist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris -; HTK-StAR a.a.O. Rn. 88). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin zu 1 hat weder geltend gemacht noch dargelegt, dass sie nicht auch mit ihrer bisherigen Qualifikation hätte erwerbstätig sein können.
57 
Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG bei der Klägerin zu 1 nicht vor, so scheidet auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 nach § 10 Abs. 2 StAG aus.
58 
Die Klägerinnen können ebenso wenig auf der Grundlage des § 8 StAG eingebürgert werden. Auch die von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG geforderte Unterhaltsfähigkeit setzt eine positive Prognose, dass die Unterhaltsfähigkeit voraussichtlich dauerhaft besteht, voraus (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 1, Stand: 20.02.2015, Rn. 100 m.w.N.). Eine solche Prognose kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gestellt werden; auf die Ausführungen zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG wird verwiesen. Von der Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG kann auch nicht nach § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden. Für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses ist nichts ersichtlich. Auch eine besondere Härte i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG liegt nicht vor. Eine besondere Härte im Sinne dieser Bestimmung setzt einen atypischen Sachverhalt voraus, der den Einbürgerungsbewerber in besonderer Weise beschwert; die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll solchen Härten begegnen, die gerade durch die Versagung der Einbürgerung entstehen würden und sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, die Härte muss also gerade durch die begehrte Einbürgerung beseitigt oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 2, Stand: 31.03.2015, Rn. 13 m.w.N.). Besonders beschwerende Umstände, die durch die Versagung der Einbürgerung der Klägerinnen entstehen würden oder die sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
59 
Liegen somit schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 StAG nicht vor, kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob das nach § 8 Abs. 1 StAG auszuübende Ermessen deshalb negativ auf Null reduziert ist, weil begründete Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin zu 1 sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.06.1983 - 1 B 73/83 - DVBl 1983, 1013; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2009 und des Sozialgerichts Koblenz vom 24. März 2009 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger die Rente ohne Anwendung des § 31 Abs 1 Fremdrentengesetz ungekürzt auszuzahlen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2008 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2008 hinsichtlich der Ruhensanordnung aufgehoben werden.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt ist, eine Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung einer fiktiven rumänischen Rente ruhend zu stellen.

2

Der 1945 in Rumänien geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und Inhaber des Vertriebenenausweises A. In Rumänien war er von 1962 bis 1975 unterbrochen von Ausbildungszeiten erwerbstätig. Im August 1975 übersiedelte er in die Bundesrepublik Deutschland.

3

Im Februar 2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Mit Schreiben vom 7.3.2008 beantragte er gemäß Art 44 VO (EWG) 1408/71 die Verschiebung der Antragsgleichstellung. Die Beklagte teilte ihm darauf mit Schreiben vom 18.3.2008 mit, dass beabsichtigt sei, die ihm aus Rumänien zustehende Rente in deren voraussichtlicher Höhe anzurechnen, auch wenn er diese tatsächlich nicht beziehen sollte. Eine derartige Anrechnung rechtfertige sich aus § 2 FRG iVm § 31 FRG. Der Anrechnungsbetrag sei auf Basis eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners ermittelt worden und entspreche umgerechnet 33,92 Euro Monatsrente für deckungsgleiche deutsche und rumänische Zeiten nach Art 107 VO (EWG) 574/72.

4

Mit dem als "Mitteilung über die vorläufige Leistung" titulierten Bescheid vom 28.4.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 1.4.2008 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Unter Berücksichtigung der persönlichen Entgeltpunkte (EP) des Klägers, des Rentenartfaktors bei Altersrenten und des aktuellen Rentenwerts setzte die Beklagte die Höhe der Rente auf monatlich 474,41 Euro fest (Anlage 1). Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Rente ab 1.5.2008 in Höhe des Bruttobetrags der Leistung aus der ausländischen Sozialversicherung ruhe (Anlage 7). Die Rente mindere sich daher um den zu berücksichtigenden Betrag von 33,92 Euro. Den Widerspruch des Klägers, der sich gegen den Einbehalt dieses Betrags richtete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.7.2008 zurück.

5

Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Koblenz mit Urteil vom 24.3.2009 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger die Rente ohne Anwendung des § 31 Abs 1 FRG ungekürzt auszuzahlen. Die Berufung der Beklagten hat das LSG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 18.11.2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger die Rente ohne Anwendung des § 31 Abs 1 FRG ungekürzt auszuzahlen. Die Rechtsnorm biete keine tragfähige Rechtsgrundlage für die sog Fiktivanrechnung. Aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich eindeutig, dass das Ruhen eines Teils der deutschen Rente nur für den Fall der tatsächlichen Auszahlung einer ausländischen Leistung angeordnet werde. Dem Kläger werde eine rumänische Rente aber ersichtlich nicht gezahlt. Eine analoge Anwendung des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG auf den Fall der Nichtgewährung und Nichtauszahlung einer ausländischen Leistung scheide aus. Eine planwidrige Regelungslücke sei insoweit nicht zu erkennen. Einziger Zweck des § 31 FRG sei es, Doppelleistungen für ein und dieselbe rentenrechtliche Versicherungszeit zu vermeiden. Mehr oder etwas anderes habe der Gesetzgeber nicht erreichen wollen. Ebenso spreche eine Betrachtung der Vorgängerregelung gegen das Vorliegen einer Gesetzeslücke. Nach § 1 Abs 5 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7.8.1953 (BGBl I 848 ) sei ein Leistungsanspruch nach § 1 Abs 1 erloschen, wenn für denselben Versicherungsfall von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin eine Leistung "gewährt wird oder auf Antrag gewährt würde". Damals habe das Gesetz eine Fiktivanrechnung ausdrücklich vorgesehen. Dies zeige, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit des Bestehens von Leistungsansprüchen gegen einen ausländischen Versicherungsträger oder eine ausländische andere Stelle bei einer entsprechenden Antragstellung durchaus bewusst gewesen sei. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber nach der Ablösung des FAG durch das FRG jederzeit und vielfach die Möglichkeit gehabt, § 31 Abs 1 Satz 1 FRG zu modifizieren. Dies habe er gleichwohl nicht getan. Hieran seien die Beklagte als öffentlich-rechtlicher Leistungsträger und die Gerichte gebunden. Ebenso wenig könne ein Fiktivabzug einer ausländischen Rente auf § 46 Abs 2 SGB I gestützt werden. Auch könne dem Kläger ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht vorgeworfen werden, da er mit der Aufschiebung der rumänischen Rente ein ihm ausdrücklich eingeräumtes Gestaltungsrecht ausgeübt habe.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass im Rahmen der Rechtsfortbildung eine analoge Anwendung des § 31 FRG zulässig und geboten sei. Eine planwidrige Regelungslücke liege vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 6.8.1986 - 5a RKn 22/85 - BSGE 60, 176 = SozR 2600 § 57 Nr 3) sei eine solche ua dann gegeben, wenn das Schweigen des Gesetzes darauf zurückzuführen sei, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben habe. Dies sei hier der Fall. § 31 FRG müsse im Zusammenhang mit seiner Entstehung und den damaligen Verhältnissen gesehen werden. Zum Zeitpunkt der Schaffung der Norm habe es keine über- bzw zwischenstaatlichen Regelungen gegeben, die den FRG-Berechtigten Ansprüche auf eine ausländische Rente für die im Vertreibungsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten verschafft hätten. Hätten solche Regelungen existiert, hätten sie nach der damaligen Fassung des § 2 FRG zum Verlust der FRG-Zeiten und der darauf beruhenden deutschen Rentenansprüche geführt. Angesichts der damaligen Verhältnisse in den FRG-Herkunftsländern (Abgrenzung gegenüber westlichen Staaten, Diskriminierung von Aus- und Übersiedlern, fehlende Konvertierbarkeit der dortigen Währungen) habe es für die FRG-Berechtigten auch praktisch kaum Möglichkeiten gegeben, ausländische Rentenleistungen zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sei es konsequent gewesen, in Ablösung des zuvor geltenden § 1 Abs 5 FAG in § 31 FRG auf "ausgezahlte" Geldleistungen abzustellen. Regelungen für nicht in Anspruch genommene Rentenleistungen seien überflüssig gewesen. Die ursprüngliche Rechtslage habe durch die Ergänzung des § 2 FRG um einen Satz 2 durch das Gesetz vom 18.6.1991 (BGBl II 741) eine wesentliche Änderung erfahren. Danach sei auch bei Anwendung über- bzw zwischenstaatlichen Rechts die Weitergeltung des FRG möglich, wenn die Abkommen entsprechende ausdrückliche Regelungen enthielten. Dies stelle eine Abschwächung der Ausschlussregelung dar, die der Gesetzgeber angesichts des häufig noch deutlich niedrigeren Rentenniveaus in den Herkunftsländern und damit aus Vertrauensschutzgründen getroffen habe. Der Gesetzgeber habe den Vertrauensschutz in Erwartung entsprechender ausländischer Rentenleistungen und der daraus folgenden Anwendung des § 31 FRG eingeräumt. Wenn die Berechtigten weiterhin die Rechtsvorteile des FRG in Anspruch nehmen könnten, sollten die vorrangigen ausländischen Renten angerechnet werden. Die weitere Anwendung des FRG sei insoweit auf den verbleibenden Differenzbetrag beschränkt unabhängig davon, ob die ausländische Rente gezahlt werde oder nicht. Diese Regelungsabsicht komme in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 12/470) deutlich zum Ausdruck. Die Änderung des § 2 FRG habe Auswirkungen auf § 31 FRG. Die Vorschrift betreffe jetzt und insbesondere Fälle des über- und zwischenstaatlichen Rechts. Im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten und den Vertragsstaaten - im vorliegenden Fall Rumänien - hätten sich die früher allenfalls theoretischen, aber nicht durchsetzbaren Rentenansprüche nunmehr in rechtlich gesicherte und von den Berechtigten zumutbar realisierbare Ansprüche auf Rentenzahlungen gewandelt. Für den Gesetzgeber sei weder zum Zeitpunkt der Änderung des § 2 FRG noch anlässlich der später abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen absehbar gewesen, dass die FRG-Berechtigten die ihnen zustehenden ausländischen Rentenansprüche nicht in Anspruch nehmen würden. Es habe daher keine Veranlassung bestanden, für solche Fälle eine gesetzliche Regelung zu schaffen.

7

Das Verhalten der FRG-Berechtigten, ihre ausländischen Rentenansprüche ohne sachgerechte Gründe nicht zu realisieren, sei rechtsmissbräuchlich. Das europäische Gemeinschaftsrecht stehe einer Kürzung von Rentenansprüchen nach § 31 FRG bei einem praktisch unbegrenzten Aufschub der Rentenansprüche eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zu Lasten eines anderen Mitgliedstaates nicht entgegen. Generell löse ein Rentenantrag im Rahmen des Gemeinschaftsrechts nach Art 44 Abs 2 VO (EWG) 1408/71 in allen Mitgliedstaaten die Feststellung der Rentenansprüche aus. Als Ausnahme von diesem Grundsatz eröffne Satz 2 der Regelung das vom Kläger genutzte Dispositionsrecht, die Feststellung von Ansprüchen bei Leistungen wegen Alters in anderen Mitgliedstaaten aufzuschieben. Entsprechende Bestimmungen enthalte Art 22 Abs 3 des mit Rumänien abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommens vom 8.4.2005. Dem Sinn und Zweck nach sollten mit diesen Regelungen lediglich Nachteile vermieden werden, die durch unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen zur Altersrente in einzelnen Mitgliedstaaten entstehen könnten. Nachteile der genannten Art seien im vorliegenden Fall weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden. Ein sachlicher Grund für den Aufschub der rumänischen Rentenleistung sei nicht erkennbar. Er diene allein dazu, die Anwendung des § 31 FRG zu umgehen. Damit erweise sich die Inanspruchnahme des Dispositionsrechts als rechtsmissbräuchlich. Durch diese rechtsmissbräuchliche Verhaltensweise sei eine planwidrige Regelungslücke entstanden, die für den Gesetzgeber nicht vorhersehbar gewesen sei und die folglich im Wege der Analogie geschlossen werden könne.

8

Die Fiktivanrechnung stehe auch im Einklang mit den Grundsätzen des Fremdrentenrechts, das vom Prinzip der Subsidiarität geprägt sei. Aus den Regelungen der §§ 2 und 31 FRG werde deutlich, dass die originären ausländischen Rentenansprüche, die durch über- und zwischenstaatliches Recht auf einer gesicherten rechtlichen Grundlage beruhten, Vorrang vor den versicherungsfremden Leistungen des FRG hätten. Auch das BSG habe im Urteil vom 17.10.2006 (B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 27) ausgeführt, dass unabhängig davon, ob man den Entschädigungs- oder den Eingliederungscharakter des Fremdrentenrechts betone, es immer noch das Grundanliegen des Fremdrentenrechts sei, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten sei.

9

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2009 und des Sozialgerichts Koblenz vom 24. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2009 zurückzuweisen.

11

Er hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend. Ergänzend weist der Kläger darauf hin, dass Rumänien jahrelang nach Schaffung des Abkommens bzw Anwendung der VO (EWG) 1408/71 und insbesondere bei Erlass des angefochtenen Bescheids keinerlei Zahlungen nach Deutschland erbracht habe.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist insoweit begründet, als die Beklagte auf die Leistungsklage des Klägers zur Auszahlung der ungekürzten Rente verurteilt worden ist. Soweit sich die Revision gegen die teilweise Aufhebung der angefochtenen Bescheide richtet, ist sie hingegen unbegründet.

13

Der als "Mitteilung über die vorläufige Leistung" titulierte Bescheid vom 28.4.2008 enthält mehrere Verwaltungsakte iS von § 31 SGB X, die jeweils selbstständig angefochten werden bzw in Bindung erwachsen können; dies sind die Entscheidungen über Rentenart, Rentenhöhe, Rentenbeginn und Rentendauer (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 7 S 26) sowie die Anordnung, dass der monatliche Zahlbetrag der Rente in Höhe des Bruttobetrages der Leistung aus der ausländischen Sozialversicherung ab 1.5.2008 ruht. Hiermit hat die Beklagte die Regelung getroffen, dass die Rente aus der deutschen Rentenversicherung nicht in der festgestellten Höhe von monatlich 474,41 Euro, sondern um die ausländische Leistung gemindert zu zahlen ist. Der Kläger hat den Bescheid vom 28.4.2008 angegriffen, soweit mit diesem eine fiktive rumänische Rente von monatlich 33,92 Euro angerechnet wird. Die Anfechtung des Klägers beschränkt sich damit auf die ihn belastende Ruhensanordnung.

14

Die Anfechtungsklage im dargelegten Umfang ist zulässig.

15

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht Art 45 Abs 4 VO (EWG) 574/72 entgegen, nach dem der zur Zahlung der Leistung verpflichtete Träger den Antragsteller darauf aufmerksam macht, dass die Leistung vorläufiger Art ist und nicht angefochten werden kann.

16

Zum einen ist die VO (EWG) 574/72 durch Art 96 Abs 1 Satz 1 VO (EG) 987/2009 mit Wirkung vom 1.5.2010 aufgehoben worden und deren durch Art 96 Abs 1 Satz 2 VO (EG) 987/2009 angeordnete partielle Weitergeltung für bestimmte, im Einzelnen aufgeführte Zwecke (Buchst a bis c) hier nicht einschlägig. Damit kann sich die VO (EWG) 574/72 auf die Prozessvoraussetzungen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008 vor § 51 RdNr 20), ohnehin nicht mehr auswirken. Abgesehen davon ist Art 45 Abs 4 VO (EWG) 574/72 nicht dahin zu verstehen, dass er den gerichtlichen Rechtsschutz einschränkt, soweit eine Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts auf seine Vereinbarkeit mit nationalem Recht begehrt wird (vgl EuGH Urteil vom 14.2.1980 - C 53/79). Im vorliegenden Fall geht es aber ausschließlich um die Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung nach § 31 FRG.

17

Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Verurteilung der Beklagten zur Auszahlung der ungekürzten Altersrente neben der Anfechtung der Bescheide ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen vom Begehren des Klägers (§ 123 SGG) nicht mitumfasst. Denn bereits bei Aufhebung der Ruhensanordnung entfällt die Rechtsgrundlage dafür, dem monatlichen Rentenanspruch des Klägers einen Minderungsbetrag von 33,92 Euro entgegenzuhalten und die bestandskräftig festgestellte Rente in Höhe von monatlich 474,41 Euro insoweit nur gekürzt zu zahlen.

18

Die Anfechtungsklage ist begründet. Die Ruhensanordnung im Bescheid vom 28.4.2008 ist rechtswidrig.

19

§ 31 Abs 1 Satz 1 FRG rechtfertigt weder unmittelbar noch im Wege zulässiger Rechtsfortbildung ein teilweises Ruhen der dem Kläger gewährten Rente. Ebenso wenig sind sonstige Rechtsgrundlagen ersichtlich, nach denen sich die Kürzung des monatlichen Rentenzahlbetrags um eine fiktive rumänische Rente als rechtmäßig erweist.

20

Wird dem Berechtigten von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder an Stelle einer solchen eine andere Leistung gewährt, so ruht gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 FRG die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrags, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird.

21

Nach dieser Vorschrift ist Voraussetzung für das Ruhen der deutschen Rente, dass der Versicherte von einer Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine Rente oder andere Leistung erhält. Der Begriff "ausgezahlt" stellt zweifelsfrei auf die tatsächliche Gewährung der ausländischen Rente ab (so auch Hoernigk/Jahn/Wickenhagen/Aulmann, Kommentar zum FRG, Juli 1988, § 31 RdNr 6). Diesem Verständnis entsprechen Sinn und Zweck der Vorschrift. Diese dienen der Vermeidung von Doppelleistungen (BT-Drucks 3/1109 Begründung zu §§ 11, 31, FRG; BSGE 43, 274, 277; BSG Breithaupt 1977, 476, 478). Eine Doppelleistung liegt aber schon nach allgemeinem Sprachverständnis nur vor, wenn der Betroffene die Leistung tatsächlich zweifach erhält. Dieses Auslegungsergebnis wird entstehungsgeschichtlich durch die Vorgängerregelung des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG bestätigt. Nach § 1 Abs 5 FAG erlosch der Leistungsanspruch nach Abs 1, wenn für denselben Versicherungsfall von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin eine Leistung gewährt wird oder "auf Antrag gewährt würde". Dass § 31 Abs 1 Satz 1 FRG diese Fallkonstellation nicht als zweiten Ruhenstatbestand aufführt, spricht dafür, dass die Vorschrift nur auf wirklich erbrachte Leistungen abstellt.

22

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist § 31 Abs 1 Satz 1 FRG auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung auf den Fall anwendbar, dass eine ausländische Rente auf Antrag gewährt würde. Eine bewusste oder unbewusste Gesetzeslücke ist insoweit nicht feststellbar.

23

Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2500 § 38 Nr 1 S 3 mwN) ist der Richter zur Ausfüllung einer Gesetzeslücke dort berufen, wo das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat. Die analoge Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte ist dann geboten, wenn auch der nicht geregelte Fall nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zu Grunde liegenden Interessenlage hätte einbezogen werden müssen.

24

Ein absichtliches oder versehentliches Schweigen des Gesetzgebers ist angesichts der beschriebenen Entstehungsgeschichte des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG sowie dessen Sinn und Zweck auszuschließen. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst ein Ruhen der deutschen Rente an die tatsächliche Gewährung der ausländischen Rente geknüpft, da er Doppelleistungen verhindern wollte. Angesichts dessen war es folgerichtig, die fiktive Leistung einer ausländischen Rente nicht als zweiten Ruhenstatbestand aus der Vorgängerregelung zu übernehmen.

25

Ebenso wenig ist nachträglich auf Grund einer Veränderung des nationalen Rechts oder der politischen und rechtlichen Verhältnisse in Europa eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden. Dabei kann dahinstehen, ob heute im Unterschied zu früheren Zeiten Renten aus den ehemaligen Ostblockstaaten problemlos in die Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt werden. Selbst wenn dies zuträfe, ist nicht erkennbar, dass nach der gesetzgeberischen Absicht in diesem Fall eine Anrechnung solcher Auslandsrenten gewollt ist, die nach ausländischem Recht "auf Antrag gewährt würden".

26

Die Entstehung einer entsprechenden Regelungslücke in § 31 Abs 1 FRG infolge der Einfügung des Satzes 2 in § 2 FRG durch das Gesetz zu dem Abkommen vom 8.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 18.6.1991 (BGBl 1991 II 741) ist nicht feststellbar. Zwar ist mit dieser Bestimmung die Anwendung des FRG und damit die Gewährung von FRG-Renten auch bei Vorhandensein zwischenstaatlicher Abkommen ermöglicht worden, soweit diese entsprechende Regelungen enthalten. Hieraus lässt sich jedoch eine versehentlich unterbliebene Neugestaltung des § 31 FRG nicht ableiten.

27

In der Begründung zum Entwurf des Vertragsgesetzes vom 18.6.1991 wird darauf hingewiesen, dass die Ergänzung für Aussiedler die Gewährung einer Rente nach dem FRG ermöglicht, auf die allerdings eine polnische Exportrente anzurechnen ist. Im Ergebnis werde die polnische Rentenleistung auf das Niveau des FRG aufgestockt (BT-Drucks 12/470 und BR-Drucks 162/91 beide S 7 Erl zu Art 5). Anders als die Beklagte versteht der erkennende Senat diese Erläuterung als Bekräftigung dafür, dass weiterhin nur tatsächlich nach Deutschland gezahlte Renten auf die deutsche Rente anzurechnen sind. Denn Ausführungen zu nunmehr möglich gewordenen Exportrenten und dadurch veränderten Bedingungen der Anrechenbarkeit enthält die Begründung nicht. Vielmehr weist diese im Weiteren darauf hin, dass die Notwendigkeit einer Anpassung des Fremdrentenrechts an die sich verändernden Verhältnisse zwischen Ost und West hiervon unberührt bleibt. Diese Erklärungen machen ein vorhandenes Bewusstsein um die Notwendigkeit gesetzlicher Neuregelungen wegen der geänderten Lage in Europa deutlich. Dass gleichwohl eine Änderung des § 31 Abs 1 FRG nicht erfolgt ist, zeigt, dass insoweit kein Handlungsbedarf gesehen wurde.

28

Ein solcher ist auch im Kontext europarechtlicher Vorschriften und zwischenstaatlicher Abkommen nicht erkennbar. Dass Versicherte in mehreren Staaten Ansprüche auf gleiche oder vergleichbare Leistungen haben können, die von einem Antrag abhängig sind, hat das europäische bzw zwischenstaatliche Recht gesehen und im Sinne einer Vereinheitlichung der Antragstellung geregelt.

29

Bereits Art 44 Abs 2 Satz 1 der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen VO (EWG) 1408/71 bestimmt, dass der Rentenantrag in einem Mitgliedstaat grundsätzlich das Leistungsfeststellungsverfahren in allen Mitgliedstaaten auslöst, in denen Versicherungszeiten zurückgelegt sind. Art 44 Abs 2 Satz 2 VO (EWG) 1408/71 durchbricht diesen Grundsatz, indem er auf ausdrücklichen Antrag des Betroffenen das Aufschieben der Feststellung von Ansprüchen auf Leistungen bei Alter in einem Mitgliedstaat zulässt. Entsprechende Regelungen enthält Art 50 Abs 1 der am 1.5.2010 in Kraft getretenen VO (EG) 883/2004. Art 44 Abs 2 VO (EWG) 1408/71 und Art 50 Abs 1 VO (EG) 883/2004 begründen damit grundsätzlich die europaweite Wirkung der Antragstellung in einem Mitgliedstaat. Abgesehen von der Ausnahmeregelung für Leistungen bei Alter gilt der Grundsatz der europaweiten Wirkung der Rentenantragsstellung auch für den Berechtigten zwingend (Schuler in Fuchs, Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 44 VO 1408/71 RdNr 6; Schuler in Fuchs, Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 5. Aufl 2010, Art 50 VO 883/2004 RdNr 6). Im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Rumänien finden sich vergleichbare Regelungen in Art 22 Abs 3 des Abkommens dieser Staaten über Soziale Sicherheit vom 8.4.2005 (BGBl 2006 II 164).

30

Angesichts dieser Bestimmungen kann ein Versicherter durch eine unterlassene Antragstellung eine Rentenleistung aus Rumänien bzw einem anderen Mitgliedstaat der EU grundsätzlich nicht verhindern. Eine fiktive Rente, die auf Antrag geleistet würde, kann es insoweit nicht geben. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Anrechnungsvorschrift für eine fiktive Rente und ist eine entsprechende Regelungslücke in § 31 FRG nicht ersichtlich. Dies gilt auch hinsichtlich der Altersrenten. Zwar kann der Versicherte hier die Antragswirkung begrenzen, dies allerdings kraft ausdrücklicher gesetzlicher Erlaubnis. Ist dem Versicherten aber ausdrücklich gestattet, die bilaterale bzw europaweite Wirkung des Rentenantrags einzuschränken und damit eine bestimmte Rentenleistung aus Rumänien oder einem anderen Mitgliedstaat der EU nicht in Anspruch zu nehmen, wäre es im Kontext des zwischenstaatlichen bzw europäischen Rechts widersprüchlich, ihn bei Bezug der deutschen Rente zu seinem Nachteil doch so zu stellen, als würde er die ausländische Rente erhalten.

31

Eine Gesetzeslücke kann schließlich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht durch eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des in Art 44 Abs 2 Satz 2 VO (EWG) 1408/71 bzw Art 50 Abs 1 Halbs 2 VO (EG) 883/2004 eingeräumten Dispositionsrechts entstehen. Die Möglichkeit des Missbrauchs im Einzelfall kann den Regelungsgehalt einer abstrakten Rechtsnorm nicht bestimmen. Einem Missbrauch im Einzelfall ist vielmehr dadurch zu begegnen, dass geprüft wird, ob die begehrte Leistung nach dem auch im Sozialrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ganz oder teilweise zu versagen ist(vgl BSG SozR 4-2600 § 10 Nr 2 RdNr 26 mwN).

32

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass bei dem hier vertretenen Verständnis zum Anwendungsbereich des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG dem auch vom Senat betonten Grundanliegen des Fremdrentenrechts, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist(Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 27),nicht Rechnung getragen wird, wenn unterstellt wird, dass Renten aus Rumänien mittlerweile problemlos in die Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt werden. Dies vermag das gefundene Ergebnis jedoch nicht in Frage zu stellen. Denn dieses Grundanliegen ist in § 31 Abs 1 Satz 1 FRG insbesondere vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorschriften nicht umgesetzt worden.

33

Sonstige Rechtsgrundlagen, die eine Ruhendstellung der deutschen Rente und damit eine Minderung des monatlichen Rentenzahlbetrages rechtfertigen, bestehen ebenfalls nicht.

34

Der Anwendungsbereich des § 46 SGB I ist nicht eröffnet.

35

Nach § 46 Abs 2 SGB I ist der Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Der Anspruch des Klägers auf eine rumänische Altersrente ist kein Anspruch auf eine Sozialleistung iS des § 46 SGB I. Diese Vorschrift bezieht sich auf Sozialleistungen iS von § 11 Abs 1 SGB I(BSG SozR 4-1200 § 46 Nr 1 RdNr 10), zu denen im SGB vorgesehene Dienst-, Sach- und Geldleistungen gehören. Auf Ansprüche aus Sicherungssystemen, die außerhalb dieses Gesetzbuches existieren, ist § 46 SGB I nicht anwendbar.

36

Die Kürzung des Rentenanspruchs des Klägers um eine fiktive rumänische Rente erweist sich schließlich ebenfalls nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als rechtmäßig.

37

Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung für den Bereich des Sozialrechts entschieden, dass sich auch hier die Ausübung einer an sich gegebenen Rechtsmacht als unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn sie nicht mehr im Rahmen der rechtsethischen und sozialen Funktion des Rechts liegt (BSG SozR 2200 § 315a Nr 7 S 18 mwN).

38

Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger den Antrag auf Aufschiebung der Feststellung seines in Rumänien erworbenen Anspruchs auf Altersrente rechtsmissbräuchlich gestellt hat. Von einem Rechtsmissbrauch könnte nur dann gesprochen werden, wenn der Kläger von dem ihm gesetzlich eingeräumten Aufschubrecht bewusst einen ausschließlich funktionswidrigen Gebrauch gemacht hätte (BSG aaO). Dies wiederum setzt voraus, dass die Ausübung des Aufschubrechts gesetzlich bestimmten Einschränkungen unterliegt bzw das Recht nur zu bestimmten Zwecken ausgeübt werden darf. Weder Art 22 Abs 3 des Abkommens vom 8.4.2005 noch Art 44 Abs 2 VO (EWG) 1408/71 oder Art 50 Abs 1 VO (EG) 883/2004 führen die dem Aufschubrecht von der Beklagten beigemessene oder eine andere Zweckbindung auf und enthalten hierfür auch keine ausreichenden Anhaltspunkte.

39

Dass die Anrechnung einer fiktiven rumänischen Rente unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig ist, wird zudem durch die fehlende Existenz einer Rechtsgrundlage für die Berechnung einer fiktiven Rente bestätigt.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine politische Partei. Auf der Grundlage der von ihr jährlich eingereichten Rechenschaftsberichte bewilligte ihr der Präsident des Deutschen Bundestages für die Jahre 1997 bis 2001 und 2003 jeweils staatliche Teilfinanzierung.

2

Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 nahm der Präsident des Deutschen Bundestages nach Anhörung der Klägerin die Bescheide zur Gewährung staatlicher Mittel teilweise zurück und setzte gegen die Klägerin Rückerstattungs- und Abführungspflichten in Höhe von insgesamt 3 463 148,79 € fest. Zur Begründung führte er aus, dass der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Klägerin in den Jahren 1996 bis 2000 und 2002 Barspenden von seinem damaligen Vorsitzenden M. unter Verstoß gegen ein gesetzliches Spendenannahmeverbot angenommen und mangels unverzüglicher Weiterleitung an den Präsidenten des Deutschen Bundestages rechtswidrig erlangt habe. Ferner habe der Landesverband in den Jahren 1998 und 2000 Sachspenden seines Vorsitzenden angenommen, ohne dass diese in den jeweiligen Rechenschaftsberichten der Klägerin unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders verzeichnet worden seien. Nach den anzuwendenden Vorschriften des Parteiengesetzes in der Fassung von 1994 verliere die Klägerin daher den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen der rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Beträge. Da die rechtswidrig angenommenen Spenden zudem an das Präsidium des Deutschen Bundestages abzuführen seien, seien die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel jeweils in Höhe des Dreifachen der genannten Beträge zurückzunehmen und entsprechende Rückzahlungsverpflichtungen festzusetzen. Besonderheiten, die ausnahmsweise für ein Absehen von der Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide sprechen könnten, weise der Sachverhalt nicht auf.

3

Auf die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Dezember 2009 die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Zwar sei der angefochtene Bescheid teilweise aufzuheben, soweit die Beklagte die fraglichen Bewilligungsbescheide im Hinblick auf die Pflicht zum Abführen rechtswidrig erlangter Spenden in Höhe von mehr als dem Zweifachen der Spendenbeträge zurückgenommen habe. Insoweit finde die Festsetzung der Zahlungspflicht jedoch ihre Rechtsgrundlage in der gesetzlichen Pflicht zum Abführen rechtswidrig erlangter Spenden.

4

Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 28. November 2011 zurückgewiesen: Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 2001 und 2003 sei § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG in der Fassung von 1994. Die im Januar 2003 in Kraft getretene Regelung des § 31c Abs. 1 PartG sei auf die Sanktionierung der in den Jahren 1996 bis 2000 und im Jahr 2002 von der Klägerin erlangten Spenden nicht anzuwenden. Die Bewilligungsbescheide seien in Höhe des Zweifachen des von der Klägerin rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages rechtswidrig. Insoweit habe die Beklagte staatliche Teilfinanzierung gewährt, obwohl die Klägerin ihren Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung kraft Gesetzes verloren habe.

5

Die Klägerin habe Barspenden rechtswidrig erlangt, die der frühere Landesvorsitzende M. an Herrn K. übergeben habe, der in der Zeit von Mai 1996 bis 2000 Schatzmeister des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der FDP und vom 1. April 2000 bis zu seiner Entlassung im November 2002 dessen Hauptgeschäftsführer sowie Leiter des Referats "Finanzen und Verwaltung" gewesen sei. Die Annahme dieser Spenden habe gegen das in § 25 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 1 PartG 2002 bzw. § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 geregelte Spendenannahmeverbot verstoßen, weil für die Partei im Zeitpunkt der Annahme der Spende der Spender nicht feststellbar gewesen sei. Es sei nicht ausreichend, dass K. die Identität des Spenders gekannt habe. Denn für die für die Rechenschaftslegung verantwortlichen Organe der Partei sei die wirkliche Identität des Spenders im Zeitpunkt der Annahme der Spende nicht feststellbar gewesen. Eine Wissenszurechnung an die Partei sei dann ausnahmsweise nicht gerechtfertigt, wenn die zur Entgegennahme der Spende berechtigte Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende mit dem Spender zum Nachteil des Transparenz- und Publizitätsgebots des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG in der Weise zusammenwirke, dass der wirkliche Spender weder der Partei noch der Öffentlichkeit im Rechenschaftsbericht bekannt werden solle. Da die Verantwortung für den Rechenschaftsbericht und die Prüfungspflicht für die ordnungsgemäße Rechenschaftslegung der Spende miteinander korrespondieren müssten, müsse die Person des Spenders für die Vorstandsmitglieder etwa anhand von Akten und Kontoführungsunterlagen oder zumindest durch einfache Rückfragen feststellbar sein. Anderenfalls könnte auch die innerparteiliche Transparenz der Herkunft von Spenden nicht wirksam gesichert werden.

6

Zudem habe die Klägerin die in den Jahren 1996 bis 2000 von M. erlangten Barspenden nicht der Vorschrift des § 25 Abs. 2 PartG 1994 entsprechend unter Angabe des Namens und der Anschrift des tatsächlichen Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende in den Rechenschaftsberichten der Jahre 1996 bis 2000 verzeichnet. Gleiches gelte in Bezug auf die der Klägerin in den Jahren 1998 und 2000 von M. zugewandten Sachspenden.

7

Der Rücknahme der Bewilligungsbescheide über staatliche Mittel für die Jahre 1997 und 1998 stehe nicht das Überschreiten einer gesetzlich geregelten Zehn-Jahres-Zeitgrenze entgegen. Weder der Rücknahmeausschluss des § 31a Abs. 2 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 noch die zeitliche Begrenzung der Befugnis zur Prüfung von Rechenschaftsberichten nach § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 seien hier anwendbar. Der Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel stehe ferner kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegen. Bei der Bewertung des öffentlichen Interesses an der Rücknahme der Bewilligungsbescheide seien der zwingende Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 sowie der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu berücksichtigen. Demgegenüber seien die Auswirkungen der Rücknahme für die Klägerin angesichts ihrer im Jahr 2009 erzielten Gesamteinnahmen nicht unverhältnismäßig hoch. Die teilweise Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel sei schließlich nicht ermessensfehlerhaft. Dem zwingenden Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 müsse auch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung Rechnung getragen werden. Die Berücksichtigung der Aufklärungsbemühungen der Klägerin wäre nur möglich gewesen, wenn die Regelungen des Parteiengesetzes in der Fassung von 1994 hierfür einen rechtlichen Ansatz geboten hätten. Die Regelung des § 23b Abs. 2 PartG 2002 über Sanktionsfreiheit nach Selbstanzeige sei indes erst im Juli 2002 in Kraft getreten und deshalb auf die staatlichen Reaktionen auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen Spendenfälle nicht anwendbar. Das Verwaltungsgericht habe die Klage auch insoweit zu Recht abgewiesen, als in dem angefochtenen Bescheid Rückerstattungs- und Abführungsverpflichtungen in einer Gesamthöhe von 3 463 148,79 € festgesetzt worden seien.

8

Gegen das Berufungsurteil hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, hiervon jedoch den an die Sachspenden aus dem Rechnungsjahr 2000 anknüpfenden, einem Betrag in Höhe von 450 706,25 € entsprechenden Teil des Sanktionsbescheides ausgenommen. Zur Begründung der Revision macht sie im Wesentlichen geltend: Bei jeder der Spenden, die K. für ihren Landesverband Nordrhein-Westfalen entgegengenommen habe, sei im Zeitpunkt der Annahme deren Spender feststellbar im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 1 PartG 2002 bzw. des § 25 Abs. 2 Nr. 5 Alt. 1 PartG 1994 gewesen. Denn in allen Fällen habe die nach dem Organisationsrecht der Partei zur Entgegennahme und Verwaltung von Spenden berechtigte Person schon bei Entgegennahme der Barspenden den Spender positiv gekannt. Werde für die Feststellbarkeit eines Spenders die Kenntnisnahmemöglichkeit aller Vorstandsmitglieder anhand von Akten oder Kontoführungsunterlagen verlangt, führe dies zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Verlagerung des rechtlich maßgeblichen Zeitpunkts in die Zukunft. Jedenfalls müsse dann die Konsequenz gezogen werden, dass für 2002 wegen zeitnaher Feststellung des Spenders M. für jedes Vorstandsmitglied in Folge einer am 25. November 2002 abgegebenen Erklärung der Anwälte von M. ein Eingreifen des Annahmeverbots ausgeschlossen sei.

9

Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 2. Juli 2009 sei für die Jahre 1996 bis 1998 ferner die Zehn-Jahres-Zeitgrenze für die Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 bereits abgelaufen gewesen. Diese zeitliche Grenze gelte auch für Rechenschaftsberichte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 1. Januar 2003 schon eingereicht gewesen seien, da die Norm den Parteien keine Pflichten auferlege, sondern lediglich ein zeitlich nach Inkrafttreten der Norm liegendes Verhalten des Präsidenten des Deutschen Bundestages als zuständiger Behörde steuere. Dass § 23a PartG 2002 mit Ausnahme des Absatz 3 nicht auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 begrenzt sei, sondern auch für schon eingereichte Rechenschaftsberichte gelte, folge zudem aus der Übergangsregelung des § 39 Abs. 3 Satz 1 PartG 2002. Der Gesetzgeber habe mit § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 eine allgemeine Wertung zum Ausdruck gebracht, dass nach Ablauf von zehn Jahren die Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der Durchsetzung des materiellen Rechts haben solle. Dieses Ziel habe er zusätzlich in den Regelungen des § 31a Abs. 2, § 31b Satz 4 und § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002 umgesetzt. Der Gesetzgeber habe Prüfungen der Rechenschaftsberichte nach einer so langen Zeit als nicht opportun angesehen, weil eine seinerzeit etwa eingetretene Verletzung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien verblasst sei und daran gleichwohl noch anknüpfende belastende Maßnahmen einen nicht mehr zu rechtfertigenden staatlichen Eingriff in das aktuelle, von der Chancengleichheit der politischen Parteien geprägte Wettbewerbsverhältnis zwischen ihnen darstelle.

10

Hinsichtlich der Transparenzverstöße im Zusammenhang mit den Geldspenden der Jahre 1999 und 2000 lägen die Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 PartG 2002 vor, weil die Klägerin die entsprechenden Unrichtigkeiten in ihren Rechenschaftsberichten über diese Jahre beim Präsidenten des Deutschen Bundestages zu einem Zeitpunkt angezeigt habe, zu dem weder diesem noch der Öffentlichkeit konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben bekannt gewesen seien. § 23b Abs. 2 PartG 2002 sei auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, da die Regelung für die Parteien keine neuen Pflichten begründe, sondern eine rein begünstigende Regelung sei. Jedenfalls wäre die in der Vorschrift zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung bei der Ausübung eines nach § 48 Abs. 1 VwVfG eröffneten Ermessens zu berücksichtigen.

11

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. November 2011 - OVG 3a B 2.11 - und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Dezember 2009 - VG 2 K 126/09 - den Bescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2009 aufzuheben, soweit darin auch nach der Teilaufhebung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts

1. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2003 vom 10. Februar 2004 in Höhe von 213 000 € zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 319 500 € festgesetzt worden ist,

2. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2001 vom 10. Februar 2002 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 1 963 500 DM (2 845 004,78 DM minus 881 504,78 DM) zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 1 505 882,41 € (= 3 x 981 750 DM) festgesetzt worden ist,

3. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2000 vom 13. Februar 2001 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 11. Juli 2002 und 10. Februar 2004 in Höhe von 390 000 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 299 105,75 € festgesetzt worden ist,

4. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1999 vom 14. Februar 2000 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 1 354 687,66 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 712 325,63 € festgesetzt worden ist,

5. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1998 vom 9. Februar 1999 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 105 500 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 80 911,94 € festgesetzt worden ist,

6. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1997 vom 13. Februar 1998 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 123 500 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 94 716,82 € festgesetzt worden ist.

12

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision der Klägerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht festgestellt, dass der Bescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, soweit er die im Berufungsverfahren allein noch streitige Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 1997 bis 1999 in Höhe des Zweifachen des Betrages rechtswidrig erlangter oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichter Spenden enthält und eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 1 596 117,02 € festsetzt (1.). Auf der Verletzung revisiblen Rechts beruht das Berufungsurteil hingegen, soweit es die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 betrifft; denn insoweit hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie den Umständen nach erforderlich - geprüft, ob die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige im Sinne des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 vorliegen (2.). Nicht zu beanstanden ist schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, dass die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Festsetzung von Abführungspflichten hinsichtlich der von der Klägerin erlangten Barspenden rechtmäßig ist (3.).

15

1. a) Rechtsgrundlage für die Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 ist § 48 Abs. 1 VwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1); ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (Satz 2). Der Prüfung der Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bewilligungsbescheide ist für die hier zu beurteilenden Spendenfälle aus den Jahren 1996 bis 1998 die Regelung des § 23a Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl I S. 149) - PartG 1994 - zugrunde zu legen. Danach verliert eine Partei den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages, wenn sie Spenden rechtswidrig erlangt oder nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (Satz 1).

16

Nicht anwendbar ist die Sanktionsregelung des § 31c Abs. 1 PartG in der durch Art. 2 Nr. 11 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 (BGBl I S. 2268 <2275>) - PartG 2002 - geänderten Fassung, nach der gegen eine Partei ein Zahlungsanspruch in Höhe des Dreifachen von unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG angenommenen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleiteten Spenden entsteht. Zwar ist diese Bestimmung gemäß Art. 6 Abs. 2 des genannten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 und damit vor Erlass des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten. Sie ist jedoch für die bis zum Ende des Jahres 2002 erlangten Spenden nicht maßgeblich (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 83).

17

b) Nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 verliert eine Partei den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des Betrages von Spenden, die sie rechtswidrig erlangt oder nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 25 Abs. 2 PartG 1994). Im Fall eines solchen unmittelbar kraft Gesetzes eintretenden Anspruchsverlusts war der Präsident des Deutschen Bundestages verpflichtet, die staatlichen Mittel für die Partei, über deren Höhe er auf der Grundlage des Rechenschaftsberichtes für das Vorjahr zu entscheiden hatte (§ 19 Abs. 2 und 3 PartG 1994), um den zweifachen Betrag einer in diesem Jahr rechtswidrig angenommenen (oder nicht ordnungsgemäß veröffentlichten) Spende zu kürzen. Unterblieb - wie hier - eine solche Kürzung, weil dem Präsidenten des Deutschen Bundestages die rechtswidrige Annahme der Spende im Vorjahr nicht bekannt war, so war die Bewilligung der Mittel für das laufende Jahr in Höhe des Kürzungsbetrages rechtswidrig (Urteil vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 98).

18

Die hier relevanten Barspenden in den Jahren 1996 bis 1998 hat die Klägerin sowohl rechtswidrig erlangt (aa) als auch nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht (bb). Ein Verstoß gegen das Veröffentlichungsgebot liegt auch hinsichtlich der Sachspenden im Jahr 1998 vor (cc).

19

aa) Die Klägerin hat in den Jahren 1996 bis 1998 Barspenden des seinerzeitigen Vorsitzenden ihres Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 rechtswidrig erlangt. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts übergab dieser an den Schatzmeister des Landesverbandes im Jahr 1996 einen Betrag in Höhe von 61 750 DM, im Jahr 1997 einen Betrag in Höhe von 52 750 DM und im Jahr 1998 einen Betrag in Höhe von 38 500 DM. Die aus dem Privatvermögen des M. stammenden Geldbeträge wurden von K. unter Einschaltung Dritter - in kleineren Teilbeträgen - auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen.

20

Als rechtswidrig erlangt gelten gemäß § 23a Abs. 2 PartG 1994 Spenden im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994, soweit sie entgegen der Vorschrift des § 25 Abs. 3 PartG 1994 nicht unverzüglich an das Präsidium des Deutschen Bundestages weitergeleitet werden. Eine solche Weiterleitung ist hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 1998 erlangten Barspenden unstreitig nicht erfolgt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 sind von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994), solche ausgenommen, die im Einzelfall mehr als 1 000 DM betragen und deren Spender nicht feststellbar sind. Die Bagatellgrenze von 1 000 DM ist hier jeweils überschritten. Für die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 deshalb entscheidende Frage der Feststellbarkeit des Spenders kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf die Kenntnis der zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Personen im Zeitpunkt der Annahme der Spende an (Urteil vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 92 f.). Dies folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die dem durch Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG vorgegebenen Ziel der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit durch frühzeitige Herstellung von Transparenz bereits im innerparteilichen Bereich dient. Die Kenntnis von der Identität des Spenders muss allerdings nicht bereits im Zeitpunkt der Entgegennahme der Spende vorliegen, sondern erst nach Ablauf einer gewissen Überprüfungsfrist. Die zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spenden befugten Parteimitglieder dürfen eine Spende nur dann nicht annehmen, wenn sie dasjenige, was ihnen nicht bekannt ist, im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Annahme der Spende nicht noch ermitteln können (Urteil des Senats vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 92).

21

Für die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 erforderliche Feststellung der Identität des Spenders kommt es allerdings dann nicht auf die Kenntnis einer zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende an, wenn diese Person in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt. Dass die Kenntnis der Personen maßgeblich ist, die auf Grund des Organisationsrechts der Partei oder infolge ihrer parteiinternen Bestellung befugt sind, Spenden entgegenzunehmen, zu verwalten und zu verwenden, beruht auf der Prämisse, dass bei dem genannten Personenkreis in aller Regel davon auszugehen ist, dass er seine Kenntnis von der Herkunft der Mittel bei pflichtgemäßer Amtsführung der Partei und letztlich auch der außerparteilichen Öffentlichkeit vermittelt. Nur wenn diese Voraussetzung vorliegt, ist die Annahme gerechtfertigt, dass "der Partei" der wirkliche Spender bekannt ist.

22

Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, waren die hier zu beurteilenden Spendenfälle dadurch geprägt, dass die von dem Landesvorsitzenden M. an den Schatzmeister bzw. Hauptgeschäftsführer K. übergebenen Spenden auf der Grundlage einer Absprache zwischen diesen beiden Personen als Kleinspenden gestückelt und unter Verwendung falscher Spendenbezeichnungen bzw. durch als vermeintliche Spender auftretende "Strohmänner" auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen wurden. Mit diesem Vorgehen wollten M. und K. verhindern, dass die Identität des Spenders der Partei oder der Öffentlichkeit bekannt wird. Das Wissen der Personen, die auf Grund des Organisationsrechts der Partei oder infolge ihrer parteiinternen Bestellung befugt sind, Spenden entgegenzunehmen, zu verwalten und zu verwenden, auch in einem solchen Ausnahmefall der Partei zuzurechnen, führt zu Ergebnissen, die mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar sind.

23

Das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 dient neben dem Ziel der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit (Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG) auch der innerparteilichen Transparenz und damit dem Schutz der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG); denn erst die Offenlegung von Finanzströmen macht diese nachvollziehbar und entschärft sie als Instrument innerparteilicher Machtsicherung (BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <90>). Das Verbot, anonyme Spenden anzunehmen, ist deshalb zwar notwendig, um die Pflicht zur Rechenschaftslegung nicht umgehen zu können (vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 21 Rn. 114); seine Funktion erschöpft sich aber nicht in der Sicherung der zukünftigen Rechenschaftslegung, sondern soll darüber hinaus zum Schutz der innerparteilichen Demokratie sachfremde Einflüsse Dritter auf den Willensbildungsprozess der Partei abwehren, die nur bestimmten Führungspersonen bekannt sind und deren Herrschaftsansprüche stärken (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 91). Wäre bei der Frage der Feststellbarkeit des Spenders auch in solchen Fällen allein auf die Kenntnis der die Spende entgegennehmenden Person abzustellen, in denen diese in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt, dürften Spenden nach § 25 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 angenommen werden, die in besonders hohem Maße die innerparteiliche Transparenz beeinträchtigen und damit die innerparteiliche Demokratie gefährden. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Spendenannahmeverbote des § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 nicht vereinbar.

24

Danach liegt hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 1998 von der Klägerin erlangten Spenden ein Verstoß gegen das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 vor. Denn nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte im Zeitpunkt der Annahme der Barspenden außer K. keine andere zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spenden berechtigte Personen Kenntnis von der Person des Spenders. Dieser Verstoß ist der Klägerin auch mit der Folge zuzurechnen, dass er die Verhängung der Sanktionen nach § 23a Abs. 1 PartG 1994 rechtfertigt. Denn die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 (§ 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002) lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die Annahme von Spenden, bei denen über die Identität der Spender Ungewissheit besteht, verboten ist. Der für die Klägerin verantwortlich handelnde Schatzmeister konnte sein Verhalten auf dieses Verbot einrichten und hat in vorwerfbarer Weise hiergegen verstoßen, indem er nach der Annahme der Geldspenden sein Wissen nicht weitergegeben, sondern im Gegenteil durch Stückelung der Spenden und sowie durch Einschaltung von "Strohmännern" aktiv verhindert hat, dass andere Vorstandsmitglieder der Partei Kenntnis von dem Namen des Spenders erhielten.

25

bb) Die Voraussetzungen des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 liegen auch hinsichtlich der zweiten Alternative vor; denn die Klägerin hat die in den Jahren 1996 bis 1998 von M. erlangten Barspenden nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend in den jeweiligen Rechenschaftsberichten veröffentlicht.

26

Nach § 25 Abs. 2 PartG 1994 sind Spenden an eine Partei oder einen oder mehrere ihrer Gebietsverbände, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr (Rechnungsjahr) 20 000 DM übersteigt, unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende im Rechenschaftsbericht zu verzeichnen. Die von M. in den Jahren 1996 bis 2000 übergebenen Barspenden, die jeweils den Betrag von 20 000 DM überstiegen, waren nicht diesen Anforderungen entsprechend in den Rechenschaftsberichten der Klägerin für die Jahre 1996 bis 2000 verzeichnet, sondern nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts - in Teilbeträge gestückelt - anderen Spendern zugeordnet.

27

cc) Ein nach der zweiten Alternative des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 zu sanktionierender Verstoß gegen die in § 25 Abs. 2 PartG 1994 geregelte Veröffentlichungspflicht liegt auch hinsichtlich der Sachspenden des M. im Jahr 1998 vor.

28

Nach den von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat M. an die Klägerin im Jahr 1998 Sachspenden im Wert von insgesamt 638 843,83 DM geleistet. Diese Sachspenden bestanden darin, dass er im Zusammenwirken mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der Firma Ma. GmbH, G., die Klägerin von bestehenden Verbindlichkeiten durch Zahlungen gegenüber Dritten befreite oder der Klägerin zuzurechnende Wahlkampfmaßnahmen finanzierte. Im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 1998 trug er die Kosten der Aufstellung von vom Landesverband Nordrhein-Westfalen der Klägerin konzipierten Großplakatwänden in Höhe von 348 000 DM sowie verschiedener Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften in Höhe von insgesamt 290 843,83 DM, indem er die zunächst von der Firma Ma. GmbH bezahlten Rechnungsbeträge durch Zahlungen aus seinem Privatvermögen über die Firma "C. AG" in Liechtenstein ausglich. Im Rechenschaftsbericht der Klägerin für das Jahr 1998 ist indes weder die Zuwendung in Höhe von 348 000 DM noch diejenige in Höhe von 290 843,83 DM enthalten. Unter Angabe des Namens und der Anschrift des M. ist lediglich eine Spende in Höhe von 63 195,48 DM aufgeführt.

29

c) Entgegen der Auffassung der Revision steht der Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide über staatliche Mittel für die Jahre 1997 und 1998 nicht der Ablauf einer dem Parteiengesetz zu entnehmenden zeitlichen Grenze von zehn Jahren entgegen.

30

aa) Aus § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 ergibt sich keine Ausschlussfrist für die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide.

31

Die nach Art. 1 Nr. 10 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BGBl I S. 2268) am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 31a Abs. 2 PartG 2002 bestimmt, dass die Rücknahme nach Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist ausgeschlossen ist. Nach § 24 Abs. 2 Satz 2 PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 4 und Art. 6 Abs. 2 des Änderungsgesetzes zwar erst am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen, in § 31a Abs. 2 PartG 2002 aber offensichtlich gemeinten Fassung sind Rechnungsunterlagen, Bücher, Bilanzen und Rechenschaftsberichte zehn Jahre aufzubewahren; die Aufbewahrungsfrist beginnt mit Ablauf des Rechnungsjahres (§ 24 Abs. 2 Satz 3 PartG 2002). Die Zehn-Jahres-Frist gilt nicht nur für die in § 31a Abs. 1 PartG 2002 geregelte Rücknahme der gemäß § 19a Abs. 1 PartG 2002 erfolgten Festsetzung der staatlichen Mittel bei im Rechenschaftsbericht zu Unrecht ausgewiesenen Zuwendungen, sondern gemäß § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002, der gemäß Art. 2 Nr. 11 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist, entsprechend auch für die in § 31c Abs. 1 Satz 1 bis 3 PartG 2002 als Sanktion festzusetzenden Zahlungspflichten einer Partei in den Fällen, dass die Partei Spenden unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG 2002 angenommen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG 2002 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet hat oder Spenden nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 25 Abs. 3 PartG 2002).

32

Die in der genannten Normenkette enthaltene Regelung, dass der Präsident des Deutschen Bundestages die Bescheide über die Festsetzung der staatlichen Mittel auch bei Verstößen gegen Spendenannahmeverbote oder Veröffentlichungspflichten nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zehn Jahren zurücknehmen darf, ist auf die hier angefochtenen Teilrücknahmen nicht anwendbar. Es handelt sich insoweit weder um eine auf § 31a Abs. 1 PartG 2002 gestützte Rücknahme von Zuwendungsbescheiden wegen im Rechenschaftsbericht zu Unrecht ausgewiesener Zuwendungen noch um eine auf § 31c Abs. 1 Satz 1 bis 3 PartG 2002 gestützte Festsetzung einer Zahlungspflicht bei rechtswidrig erlangten oder nicht veröffentlichten Spenden. § 31a Abs. 2 und § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002 beziehen sich nach Wortlaut und Systematik nicht auf Rücknahmebescheide, die noch auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützt werden.

33

Eine analoge Anwendung der Regelung des § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 auf solche Fälle kommt nicht in Betracht. Die richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie darf nur einsetzen, wenn das Gericht aufgrund einer Betrachtung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (Urteil vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 6 C 30.03 - BVerwGE 122, 130 <133>). Eine Gesetzeslücke, die von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden darf, liegt nur dann vor, wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig ist und sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 C 71.10 - juris Rn. 18). Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Wie der Senat im Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - (BVerwGE 126, 254 Rn. 83) ausgeführt hat, ist das "Sanktionensystem" durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes grundlegend umgestaltet worden. Bei der Zehn-Jahres-Grenze des § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 handelt es sich um ein Element dieses umgestalteten Gesamtsystems. Dass der Gesetzgeber lediglich übersehen hat, diese zeitliche Grenze auf Sanktionen nach altem Recht zu erstrecken, kann daher nicht angenommen werden.

34

bb) Der auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützten Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 und 1998 steht auch nicht die zeitliche Grenze für die Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 entgegen.

35

§ 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 3 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Fassung bestimmt, dass eine erneute Prüfung der Rechenschaftsberichte einer Partei nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelten Zehn-Jahres-Frist zulässig ist. Die Vorschrift schließt jedoch weder nach ihrem sachlichen Regelungsinhalt noch in zeitlicher Hinsicht die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 aus. Geht es um die rückwirkende Anwendung einer die Partei ausschließlich begünstigenden Regelung wie der hier in Rede stehenden zeitlichen Begrenzung der Sanktionsbefugnis der Behörde ist mangels gegenteiliger gesetzlicher Anhaltspunkte zwar von der Regel auszugehen, dass bei der Beurteilung der Begründetheit einer Anfechtungsklage im Allgemeinen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist. Die Auslegung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 ergibt jedoch, dass die darin geregelte zeitliche Beschränkung der Befugnis zur Prüfung der vorgelegten Rechenschaftsberichte der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden über staatliche Mittel, deren Erlass länger als zehn Jahre zurückliegt, nicht entgegengehalten werden kann.

36

(1) Dem Gesetzeswortlaut ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme von Bescheiden über die Gewährung staatlicher Mittel ausschließt, deren Erlass zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung mehr als zehn Jahre zurückliegt. § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 begrenzt bei wörtlicher Auslegung in zeitlicher Hinsicht lediglich die im Parteiengesetz geregelte Befugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages zu einer (erneuten) Prüfung, nicht jedoch seine sich aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (§ 48 Abs. 1 VwVfG) ergebende Befugnis, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, oder den nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 kraft Gesetzes eintretenden Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel.

37

(2) Die Wortlautauslegung wird durch die systematische Stellung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 innerhalb des § 23a PartG 2002 bestätigt. Die Regelung schließt an die ersten beiden Sätze des § 23a Abs. 1 PartG 2002 an. Danach prüft der Präsident des Deutschen Bundestages den vorgelegten Rechenschaftsbericht auf formale und inhaltliche Richtigkeit und stellt fest, ob der Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht. Das Prüfungsverfahren wird in § 23a Abs. 2 bis 6 PartG 2002 sodann näher ausgestaltet. Die zwischen der grundsätzlichen Kompetenzbestimmung in § 23a Abs. 1 Satz 1 und 2 PartG 2002 und den detaillierten Verfahrensregelungen in § 23a Abs. 2 bis 6 PartG 2002 eingefügte Bestimmung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002, nach der eine erneute Prüfung nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist zulässig ist, kann sich demnach bei systematischer Auslegung nur auf das Verfahren zur Prüfung der von den Parteien vorgelegten Rechenschaftsberichte beziehen, das in § 23a PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 3 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Fassung normiert worden ist. Ist dieses mehrstufige Verfahren durchgeführt und mit dem Feststellungsbescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 PartG 2002 abgeschlossen worden, darf es nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Aufbewahrungsfrist wiederholt werden. Nach ihrer systematischen Stellung nicht vom Anwendungsbereich der Fristbestimmung erfasst sind hingegen Prüfungen von Rechenschaftsberichten auf der Grundlage früherer Fassungen des Parteiengesetzes. Erst recht bezieht sich die Regelung nicht auf die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht zustehende Befugnis, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen.

38

Ein anderes Ergebnis der Auslegung folgt nicht aus dem systematischen Zusammenhang mit § 39 Abs. 3 PartG 2002 in der gemäß Art. 1 Nr. 15 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Fassung. Diese Übergangsregelung bestimmt, dass § 23a Abs. 3 PartG 2002 auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 Anwendung findet. Hiermit ist ersichtlich nicht der am 1. Juli 2002 noch geltende § 23a Abs. 3 PartG 1994 gemeint, sondern die - wie ausgeführt - am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Regelung des § 23a Abs. 3 PartG 2002, nach deren Satz 1 der Präsident des Deutschen Bundestages im Einvernehmen mit der Partei einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft seiner Wahl mit der Prüfung beauftragen kann, ob der Rechenschaftsbericht der Partei den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht, falls die nach § 23a Abs. 2 PartG 2002 verlangte Stellungnahme die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorliegenden konkreten Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht nicht ausräumt.

39

Entgegen der Auffassung der Klägerin bringt § 39 Abs. 3 PartG 2002 mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass die Regelung über die Fremdwirtschaftsprüfer in § 23a Abs. 3 PartG 2002 auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 Anwendung findet, nicht im Umkehrschluss zugleich zum Ausdruck, dass die übrigen Bestimmungen des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Prüfungsverfahrens einschließlich der in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelten Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung auch für Rechenschaftsberichte gelten, die weiter zurückliegende Rechnungsjahre betreffen. Dass der Gesetzgeber es für angezeigt gehalten hat, ausdrücklich klarzustellen, ab welchem Rechenschaftsjahr die Regelung über die Beauftragung eines (Fremd-)Wirtschaftsprüfers Anwendung findet, lässt keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, ob und inwieweit auch die - die Parteien begünstigende - zeitliche Begrenzung der Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages auf vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2003 bereits eingereichte Rechenschaftsberichte anzuwenden sein soll. Da die Partei dem vom Präsidenten des Deutschen Bundestages bestellten Wirtschaftsprüfer Zugang und Einsicht in die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen und Belege zu gewähren hat (§ 23a Abs. 3 Satz 2 PartG 2002), handelt es sich um eine - wie die Klägerin selbst einräumt - "für die politischen Parteien besonders einschneidende Kontrollmöglichkeit". Eine punktuelle Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs dieser besonders eingriffsintensiven Regelung erschien dem Gesetzgeber zur Vermeidung von Streitigkeiten offenbar sachgerecht. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Grenze auch die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 48 Abs. 1 VwVfG zustehende Befugnis begrenzt, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, ist der Übergangsregelung des § 39 Abs. 3 PartG 2002 deshalb nicht zu entnehmen.

40

(3) Die Auffassung der Klägerin, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist auch der auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützten Rücknahme derjenigen Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel entgegengehalten werden kann, deren Erlass zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung mehr als zehn Jahre zurückliegt, lässt sich auch nicht auf Sinn und Zweck der Norm stützen. Die Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung von Rechenschaftsberichten dient der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz der rechenschaftspflichtigen Partei. Nach Ablauf der Frist hat die Partei ein uneingeschränkt schützenswertes Vertrauen darauf, dass die Richtigkeit des Rechenschaftsberichts nicht mehr in Frage gestellt wird (vgl. Rixen, in: Kersten/Rixen, PartG, 2009, § 23a Rn. 13). Dieser Vertrauensschutz ist nach der gesetzlichen Konzeption jedoch gerade deshalb gerechtfertigt, weil mit der Durchführung des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Verfahrens der Prüfung des von einer Partei vorgelegten Rechenschaftsberichts und gegebenenfalls dem Erlass des in § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 vorgesehenen Feststellungsbescheids über dessen Gesetzeskonformität eine verfahrensrechtliche Grundlage für ein solches Vertrauen besteht. Dies ist in Bezug auf ältere Rechenschaftsberichte, die noch nicht in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 geprüft worden sind, jedenfalls nicht in gleichem Maße der Fall. Zwar hatte der Präsident des Deutschen Bundestages auch nach § 23 Abs. 3 PartG 1994 zu prüfen, ob der Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht. Es mangelte jedoch an einem formalisierten Überprüfungsverfahren, das mit dem in § 23a PartG 2002 geregelten, mehrfach gestuften Verfahren vergleichbar wäre. Insbesondere sah das frühere Recht nicht den Erlass eines die Gesetzeskonformität des Rechenschaftsberichts feststellenden Bescheids vor, wie ihn der Präsident des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 PartG 2002 zu erlassen hat. Auch standen dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach dem früheren Parteienrecht keine Zwangsbefugnisse zur weiteren Aufklärung zu (vgl. Depenheuer/Grzeszick, DVBl 2000, 736 <738>); insbesondere fehlte es an der in § 23a Abs. 3 PartG 2002 vorgesehenen Befugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages, den vorgelegten Rechenschaftsbericht unter bestimmten Voraussetzungen von einem Wirtschaftsprüfer seiner Wahl überprüfen zu lassen.

41

Darüber hinaus wird durch die Neufassung des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 2002 klargestellt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages den vorgelegten Rechenschaftsbericht nicht nur auf formale, sondern auch auf inhaltliche Richtigkeit überprüft. Diese Erstreckung der Überprüfung auf die inhaltliche Richtigkeit der Rechenschaftsberichte war vor dem Inkrafttreten des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes nicht ausdrücklich geregelt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht aus der Rechenschaftspflicht gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG abgeleitet, dass nur ein materiell richtiger Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts des Parteiengesetzes (§§ 23 bis 31 PartG 1994) entspricht und Grundlage einer Festsetzung staatlicher Mittel nach § 23 Abs. 4 Satz 1, § 19 Abs. 4 Satz 3 PartG 1994 sein kann (BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <86 ff.>). In der parteienrechtlichen Literatur wurde dies jedoch zuvor zum Teil anders gesehen. Vor allem unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und Systematik der §§ 19, 23 PartG 1994 wurde die Auffassung vertreten, dass die Überprüfung auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften des Fünften Abschnitts durch den Bundestagspräsidenten keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit des Rechenschaftsberichts verlange (vgl. Depenheuer/Grzeszick a.a.O., Koch, NJW 2000, 1004 <1005 f.>). Vor diesem Hintergrund kann nicht vorausgesetzt werden, dass die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung und damit auch vor der erwähnten Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht eingereichten Rechenschaftsberichte der Parteien durchgehend auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit geprüft worden sind, wie dies nunmehr § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 2002 vorschreibt. Ein diesbezügliches Vertrauen der rechenschaftspflichtigen Parteien, an das die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist generalisierend anknüpfen könnte, konnte sich daher in Bezug auf die noch auf der Grundlage der alten Rechtslage eingereichten Rechenschaftsberichte nicht bilden.

42

(4) Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte nicht für die Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 auf die Rücknahme von Bescheiden über die Gewährung staatlicher Mittel nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BTDrucks 14/8778 S. 18. re. Sp.) wird durch die Neufassung des § 23a PartG das Verfahren der Prüfung der Richtigkeit der eingereichten Rechenschaftsberichte durch den Bundestagspräsidenten formalisiert und gilt "sowohl für die aktuell eingereichten als auch für die für vorangegangene Festsetzungsjahre eingereichten Rechenschaftsberichte der letzten zehn Jahre". Ferner wird ausgeführt (BTDrucks a.a.O. S. 19, li. Sp.), es diene "ebenfalls dem Rechtsfrieden", dass "Rechnungsperioden, die länger als zehn Jahre zurückliegen, nicht mehr der Prüfung unterliegen"; die auf ihnen beruhenden Bescheide blieben "daher in jedem Fall unangetastet". Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002, wonach eine erneute Prüfung nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist zulässig ist, auf alle Rechenschaftsberichte für die vorangegangenen zehn Festsetzungsjahre angewendet wissen wollte, unabhängig davon, ob diese Rechenschaftsberichte nach altem oder bereits nach neuem Recht geprüft worden sind. Aus den weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung folgt vielmehr das Gegenteil. Danach soll die als Verwaltungsakt zu erlassende Feststellung des Bundestagspräsidenten "für Rechtsfrieden sorgen, da in Zukunft alle Verdächtigungen, Vorwürfe etc. bezüglich der Richtigkeit der Rechenschaftsberichte umfassend und zeitnah geprüft werden" könnten. Hieraus wird erkennbar, dass die Gesetzesverfasser davon ausgingen, dass sich Rechtsfrieden in erster Linie durch den Erlass des Feststellungsbescheides nach § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 erreichen lässt. Dass Bescheide auch ohne eine formelle und materielle Prüfung in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 "in jedem Fall unangetastet" bleiben sollen, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.

43

d) Die Klägerin kann sich hinsichtlich der angefochtenen Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 nicht auf Vertrauensschutz berufen. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig sind. In Bezug auf die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 2001 hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Ausschlussgrund des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG vorliegt. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Nach den von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin in ihren Rechenschaftsberichten für die Jahre 1996 bis 1998 unvollständige Angaben gemacht, indem sie die von M. nach § 23a Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 rechtswidrig erlangten Barspenden nicht angegeben und es unterlassen hat, entsprechend § 25 Abs. 2 PartG 1994 die angenommenen Sachspenden in der vorgeschriebenen Weise im Rechenschaftsbericht zu veröffentlichen. Auf diese Weise hat die Klägerin gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages den Eindruck erweckt, dass ihr Anspruch auf staatliche Mittel nicht nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 in Höhe des Zweifachen der rechtswidrig erlangten Barspendenbeträge bzw. Sachspenden entfallen war. Dies hat sich unmittelbar auf die Festsetzung der staatlichen Mittel ausgewirkt, die nach § 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 19 Abs. 3 und 4 PartG 1994 u.a. auf der Grundlage der in den Rechenschaftsberichten veröffentlichten Zuwendungen erfolgt sind. Da es insoweit allein auf die objektive Unrichtigkeit der Angaben ankommt (vgl. Urteil vom 14. August 1986 - BVerwG 3 C 9.85 - BVerwGE 74, 357 <364>), ist es unerheblich, ob alle Vorstandsmitglieder der Klägerin die objektive Unrichtigkeit der Angaben bei Abgabe der jeweiligen Rechenschaftsberichte kannten oder nicht.

44

e) Die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 ist auch nicht ermessensfehlerhaft.

45

Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts steht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ("kann") im Ermessen der Behörde. Nach allgemeiner Ansicht bleibt das der zuständigen Behörde zustehende Rücknahmeermessen zwar grundsätzlich auch in den Fällen unberührt, in denen - wie hier in Bezug auf die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 - ein Ausschlussgrund für den Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG vorliegt (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 48 Rn. 148; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 48 Rn. 29). In diesen Fällen ist das der Behörde in § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen allerdings dahingehend reduziert, dass im Regelfall eine Rücknahmepflicht besteht (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG). Bei der Rücknahme von Bescheiden über die Bewilligung der Parteienfinanzierung ist das Ermessen nach der Rechtsprechung des Senats darüber hinaus unabhängig von den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG dahingehend eingeschränkt, dass dem Präsidenten des Deutschen Bundestages regelmäßig keine andere Entscheidung als die Rücknahme verbleibt. Denn der Verstoß gegen das Verbot der Annahme rechtswidriger Spenden führt zu einem zwingenden Verlust des Anspruchs auf Parteienfinanzierung in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten Betrages und zur Pflicht zur Abführung der rechtswidrig angenommenen Spenden an das Präsidium des Deutschen Bundestages. Diesem zwingenden Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 muss grundsätzlich auch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung Rechnung getragen werden (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 105).

46

Die Ausführungen in dem Urteil vom 26. Juli 2006 geben dem Senat allerdings Anlass zu der Klarstellung, dass in diesen Fällen das Rücknahmeermessen nicht ausnahmslos, sondern nur in der Regel auf Null reduziert ist. Die Annahme eines vollständigen Ausschlusses des Ermessens unterläge verfassungsrechtlichen Bedenken. Da § 23a PartG 1994 darauf gerichtet ist, eine Normverletzung rückblickend repressiv zu ahnden, hat die Regelung Sanktionscharakter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <102>). Zwar handelt es sich bei § 23a PartG 1994 um eine auf Prävention angelegte, vom Gesetzgeber nicht als Strafvorschrift ausgestaltete und daher auch nicht etwa dem Schuldgrundsatz unterliegende verwaltungsrechtliche Sanktionsnorm. Denn diese Regelung hat ebenso wenig wie § 31b Satz 1 PartG 2002 (vgl. hierzu: Urteil vom 12. Dezember 2012 - BVerwG 6 C 32.11 - juris Rn. 65) einen rechtsethischen Schuldvorwurf gegen die Partei als Rechtsperson zum Gegenstand, sondern bezweckt die Einhaltung der Regeln zur Sicherung des Transparenzgebots in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG. Gleichwohl muss aber im Rahmen ihrer Anwendung insbesondere dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen werden. Die konkreten Auswirkungen der in § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 geregelten Sanktion können angesichts der Bedeutung der staatlichen Parteienfinanzierung für den Handlungsspielraum der politischen Parteien jedenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen zu einem Eingriff in den Schutzbereich der Betätigungsfreiheit der betroffenen Partei nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG führen, dessen Schwere bei einer Gesamtabwägung außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 66, zu § 31b PartG 2002, der allerdings keinen Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel, sondern einen unmittelbaren Zahlungsanspruch als Sanktion begründet).

47

Dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip kann und muss gegebenenfalls im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung Rechnung getragen werden. Ungeachtet des zwingenden Charakters des § 23a Abs. 1 PartG 1994 muss das dem Präsidenten des Deutschen Bundestages in § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen die Abwägung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte ermöglichen, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant sind und für deren Berücksichtigung der Wortlaut des § 23a Abs. 1 PartG 1994 keinen Ansatzpunkt enthält.

48

Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die teilweise Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 jedenfalls im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO) zu Recht verneint. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass in Fällen eines Verstoßes gegen ein Spendenannahmeverbot das Rücknahmeermessen zur Gewährleistung der strikten und formalen Gleichbehandlung aller Parteien und des zwingenden Charakters des § 23a Abs. 1 PartG 1994 regelmäßig insoweit eingeschränkt sei, dass keine andere Entscheidung als die Rücknahme bleibe; Besonderheiten, die in Ansehung dieser Rechtsprechung gleichwohl ausnahmsweise für ein Absehen von der Rücknahme der genannten Bewilligungsbescheide sprechen könnten, weise der Sachverhalt nicht auf.

49

Diese Ermessensausübung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Insbesondere bot der Zeitablauf zwischen den Rechtsverstößen und der Rücknahme der Bewilligungsbescheide für sich genommen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme eines atypischen Falles. Je größer der zeitliche Abstand zwischen den durch die sanktionierten Rechtsverstöße erlangten Wettbewerbsvorteilen einerseits und der den Ausgleich dieser Vorteile bezweckenden Sanktion andererseits wird, desto eher besteht zwar die Gefahr, dass die Sanktion ihrerseits zu einer mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbaren Beeinträchtigung der Partei im gegenwärtigen und zukünftigen Konkurrenzkampf führt. Andererseits kann eine undifferenzierte Berücksichtigung des Zeitablaufs aber auch zu einer sachwidrigen Bevorzugung von Parteien führen, denen es gelingt, die von ihnen begangenen Rechtsverstöße möglichst lange vor dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit verborgen zu halten. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht ohne Weiteres der Rechtsgedanke des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 im Rahmen des Ermessens herangezogen werden. Die darin geregelte Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung von Rechenschaftsberichten dient - wie ausgeführt - der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz der rechenschaftspflichtigen Partei. Dieser Vertrauensschutz findet seine Grundlage jedoch nicht im bloßen Zeitablauf, sondern in der Durchführung des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Verfahrens der Prüfung des von einer Partei vorgelegten Rechenschaftsberichts und gegebenenfalls dem Erlass des in § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 vorgesehenen Feststellungsbescheids über dessen Gesetzeskonformität. Da der Gesetzgeber in Bezug auf ältere Rechenschaftsberichte, die noch nicht in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 geprüft worden sind, eine vergleichbare zeitliche Grenze - wie ausgeführt - bewusst nicht vorgesehen hat, kann der Zeitablauf regelmäßig auch nicht im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, zumal diese Vorschrift in § 48 Abs. 2 VwVfG einen näher geregelten Vertrauensschutz bietet.

50

f) Ist die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages rechtmäßig, gilt dies auch für die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Festsetzung entsprechender Rückzahlungsverpflichtungen. Nach § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Für den Umfang der Erstattung gelten nach § 49a Abs. 2 Satz 1 VwVfG die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend. Auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) kann sich die Klägerin nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, nicht berufen. Die Beklagte hat demnach zu Recht eine Rückerstattungspflicht in Höhe von 63 144,55 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1997, in Höhe von 53 941,29 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1998 und in Höhe von 692 640,80 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1999 festgesetzt.

51

2. Das Berufungsurteil beruht jedoch auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit es die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 betrifft. Zwar liegen auch insoweit die Voraussetzungen eines Anspruchsverlusts nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 vor, da die Klägerin in den jeweils vorangegangenen Jahren Barspenden rechtswidrig erlangt und - mit Ausnahme der Spende aus dem Jahr 2002 - nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (a). Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch nicht - wie den Umständen nach erforderlich - geprüft, ob der entsprechenden Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige im Sinne des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 entgegenstehen (b).

52

a) Auch die Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2000, 2001 und 2003 findet ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994. Die Sanktionsnorm des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 ist auf die hier relevanten Spendenvorgänge bis 2002 in zeitlicher Hinsicht noch anwendbar, weil die Neufassung des § 23a PartG ebenso wie die inzwischen einschlägige spezielle Sanktionsnorm des § 31c Abs. 1 PartG 2002 erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten sind. Die Klägerin hat in den Jahren 1999, 2000 und 2002 Barspenden rechtswidrig erlangt (aa) und - mit Ausnahme der Spende aus dem Jahr 2002 - zudem nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht (bb).

53

aa) Die Klägerin hat in den Jahren 1999, 2000 und 2002 Barspenden des M. im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 rechtswidrig erlangt.

54

Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts übergab M. an K. als Schatzmeister und späterem Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Klägerin im Jahr 1999 einen Betrag in Höhe von 195 000 DM und im Jahr 2000 einen Betrag in Höhe von 981 750 DM. Wie schon in den vorangegangenen Jahren wurden die Geldbeträge auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen und standen damit für Parteizwecke zur Verfügung. Am 14. September 2002 überreichte M. in seiner Privatwohnung in Mü. dem K. ferner einen aus seinem Privatvermögen stammenden Betrag in Höhe von 1 000 000 € in bar zur Finanzierung eines Wahlkampf-Flyers mit dem Titel "Klartext.Mut.M." und der Aufforderung "Unterstützen Sie M. mit Ihrer Stimme für die FDP". Nach Rückgabe eines nicht benötigten Teilbetrages in Höhe von 20 000 € an M. wurde der verbleibende Betrag in Höhe von 980 000 € im Zeitraum vom 16. September bis 8. Oktober 2002 in einer Vielzahl von Teilbeträgen auf ein von M. eingerichtetes Sonderkonto und ein Konto des Landesverbandes eingezahlt und zur Bezahlung der Druck- und Versandkosten verwandt. Am 15. November 2002 leitete die Klägerin einen Teilbetrag von 873 500 € an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiter, den sie mit Schreiben ihres Bundesschatzmeisters vom 4. Dezember 2002 als Spende des M. anzeigte. Damit stand noch ein Teilbetrag der Spende in Höhe von 106 500 € in ihrer Verfügungsbefugnis, der für die Herstellung des Flyers und damit für Parteizwecke verwendet wurde.

55

Die Klägerin hat die erwähnten Barspenden unter Verstoß gegen ein gesetzliches Spendenannahmeverbot und damit rechtswidrig erlangt. Ob die Voraussetzungen eines Annahmeverbotes vorliegen, bestimmt sich bei den Spendenvorgängen aus den Jahren 1999 und 2000 - wie hinsichtlich der vorangegangenen Jahre - nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994. Auf die oben stehenden Ausführungen zur Überschreitung der Bagatellgrenze von 1 000 DM und zur fehlenden Feststellbarkeit des Spenders kann insoweit verwiesen werden. Hinsichtlich der im September 2002 erlangten Barspende kommt indes bereits die - inhaltlich weitgehend identische - Regelung des § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 zur Anwendung, die gemäß Art. 1 Nr. 8 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Nach dieser Bestimmung sind von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen, solche ausgenommen, die im Einzelfall - wie hier - mehr als 500 € betragen und deren Spender nicht feststellbar sind. Dabei muss die Kenntnis von der Identität des Spenders auch nach § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 nicht bereits im Zeitpunkt der Entgegennahme der Spende, sondern erst nach Ablauf einer Überprüfungsfrist vorliegen. Da nach § 25 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 PartG 2002 unverzüglich nach ihrem Eingang an den Spender zurückgeleitete Spenden als nicht von der Partei "erlangt" gelten, findet die bereits nach der früheren Rechtslage vorausgesetzte Möglichkeit von Ermittlungen und Nachprüfungen in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Entgegennahme der Spende nunmehr einen positiven Anhaltspunkt im geänderten Parteiengesetz.

56

Bis zu dem danach maßgeblichen Zeitpunkt war die Person des Spenders für die Klägerin auch hinsichtlich der im Jahr 2002 von M. erlangten Barspende nicht feststellbar. Auch für die nach § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 erforderliche Feststellung der Identität des Spenders kommt es nicht auf die Kenntnis einer zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende an, wenn diese Person in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt. Außer K., der sein diesbezügliches Wissen gegenüber der Partei und der Öffentlichkeit in Absprache mit dem Spender gezielt und aktiv verborgen hielt, hatte auch hinsichtlich der im Jahr 2002 von M. übergebenen Barspende im Zeitpunkt der Annahme keine andere zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigte Person Kenntnis von der Identität des Spenders. Die übrigen Vorstandsmitglieder der Partei erlangten frühestens mit der Erklärung des M. in seinem anwaltlichen Schriftsatz vom 25. November 2002, d.h. mehr als zwei Monate nach der Entgegennahme der Spende durch K. am 14. September 2002 Kenntnis von der Identität des Spenders. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die durch § 25 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 PartG 2002 vorausgesetzte Überprüfungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichen. Ein solcher zeitlicher Abstand zwischen der Entgegennahme einer Spende und der Kenntniserlangung von der Person des Spenders kann regelmäßig nicht mehr als "unverzüglich" gewertet werden.

57

bb) Hinsichtlich der in den Jahren 1999 und 2000 erlangten Barspenden liegen ferner die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 vor; denn die Klägerin hat diese Spenden, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr (Rechnungsjahr) jeweils 20 000 DM überstieg, nicht den Anforderungen des § 25 Abs. 2 PartG 1994 entsprechend unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende in ihren jeweiligen Rechenschaftsberichten verzeichnet. Die Beträge wurden nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht als Spenden des M. ausgewiesen, sondern - in Teilbeträge gestückelt - anderen Spendern zugeordnet.

58

b) Gegen revisibles Recht verstößt allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, es bedürfe auch hinsichtlich der Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 keiner Prüfung, ob die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 hinreichend dargetan habe, weil diese Regelung auf vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Spendenfälle nicht anwendbar sei.

59

§ 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 bestimmt, dass die Partei bei einer von ihr angezeigten Unrichtigkeit nicht den Rechtsfolgen des § 31b PartG 2002 oder des § 31c PartG 2002 unterliegt, wenn im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben öffentlich nicht bekannt waren oder weder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegen haben noch in einem amtlichen Verfahren entdeckt waren und die Partei den Sachverhalt umfassend offen legt und korrigiert. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts kann die Anwendbarkeit dieser Vorschrift im vorliegenden Fall nicht deshalb verneint werden, weil sie erst am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Bei der Beurteilung der Begründetheit einer Klage ist auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, auf die es nach dem Streitgegenstand und dem darauf anwendbaren materiellen Recht für die Entscheidung ankommt. Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes. Fehlt es an gegenteiligen gesetzlichen Anhaltspunkten, so ist allerdings von der erwähnten Regel auszugehen (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 81 m.w.N.). Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides war die Vorschrift des § 23b Abs. 2 PartG 2002, auf die sich die Klägerin beruft, bereits in Kraft. Bei der sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG handelt es sich um eine die Partei ausschließlich begünstigende Regelung, durch deren Anwendung auf Spendenfälle, die sich unter der Geltung des alten Rechts ereignet haben, der Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der früheren Rechtslage nicht berührt wird. Das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot steht ihrer Anwendung daher nicht entgegen.

60

Allerdings spricht der Wortlaut des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 gegen die sachliche Anwendbarkeit der Vorschrift auf Sachverhalte, die noch dem alten Sanktionensystem vor der Umgestaltung durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes unterliegen. Denn § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 nimmt ausschließlich auf die "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c" Bezug. Die betreffenden Bestimmungen sind gemäß Art. 2 Nr. 10 und 11 sowie Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Dass eine Partei unter den in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 genannten Voraussetzungen nicht der Rechtsfolge einer - dem neuen Sanktionensystem fremden - Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 unterliegt, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen.

61

Anders als in Bezug auf die Zehn-Jahres-Zeitgrenze des § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 besteht bei § 23b PartG 2002 jedoch das Erfordernis einer analogen Anwendung der Regelung dahingehend, dass die darin geregelte Möglichkeit einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige auch bei Spendensachverhalten besteht, die vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossen waren und daher noch auf der Grundlage der früheren Rechtslage durch (teilweise) Rücknahme der betreffenden Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 zu sanktionieren sind. Das Gesetz enthält insoweit eine planwidrige Regelungslücke, die nur durch die erwähnte analoge Anwendung geschlossen werden kann. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Absätzen des § 23b PartG 2002 sowie aus Sinn und Zweck der als Einheit zu sehenden Vorschrift.

62

Der vom Gesetzgeber angestrebte Regelungsgehalt des § 23b Abs. 2 PartG 2002 erschließt sich aus dem Zusammenhang mit Absatz 1 der Vorschrift. Erlangt danach eine Partei Kenntnis von Unrichtigkeiten in ihrem bereits frist- und formgerecht beim Präsidenten des Deutschen Bundestages eingereichten Rechenschaftsbericht, hat sie diese unverzüglich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages schriftlich anzuzeigen. Dieser Begründung einer Anzeigepflicht der Partei ist die in Absatz 2 geregelte Sanktionsbefreiung funktional untergeordnet. Dies geht nicht nur aus der amtlichen Überschrift ("Anzeigepflicht bei Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht") hervor, sondern ergibt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Bereits im Allgemeinen Teil der Begründung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BTDrucks 14/8778 S. 13 re. Sp.) wird hervorgehoben, dass den Parteien die Pflicht aufgegeben wird, auch Fehler in bereits beim Bundestagspräsidenten eingereichten Rechenschaftsberichten nach ihrer Aufdeckung unverzüglich zu korrigieren. In der Einzelbegründung zu Art. 1 Nr. 5 (§ 23b PartG 2002) wird sodann ausgeführt, dass es im Interesse einer größtmöglichen Transparenz der Parteienfinanzen liege, dass eine Partei Unrichtigkeiten, die weder sie noch der Wirtschaftsprüfer bei der Aufstellung bzw. der Prüfung des Rechenschaftsberichts erkannt hat, korrigieren kann, ohne staatliche Sanktionen fürchten zu müssen. Die Vorschrift sehe daher vor, dass in Zukunft alle von der Partei entdeckten aber bis zur Meldung beim Präsidenten des Deutschen Bundestages bis dahin noch unbekannten Fehler sanktionslos berichtigt werden können. Es liege daher in Zukunft im Verantwortungsbereich der für die Finanzangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglieder der Parteien, die Richtigkeit der Angaben im Rechenschaftsbericht fortlaufend zu überwachen und hieraus ohne Zögern die notwendigen Konsequenzen zu ziehen (BTDrucks 14/8778 S. 16). Hieraus ergibt sich, dass die Möglichkeit der sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 einen Anreiz für die Befolgung der in Absatz 1 der Vorschrift geregelten Anzeigepflicht durch die Parteien schaffen soll.

63

Die in § 23b Abs. 1 PartG 2002 geregelte Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von Unrichtigkeiten in einem bereits frist- und formgerecht beim Präsidenten des Deutschen Bundestages eingereichten Rechenschaftsbericht ist ihrerseits nicht auf Rechenschaftsberichte beschränkt, die nach Inkrafttreten der Regelung eingereicht worden sind. Für einen Ausschluss der noch nach alter Rechtslage erstellten und eingereichten Rechenschaftsberichte von dem Anwendungsbereich der Vorschrift findet sich im Gesetzeswortlaut kein Anhaltspunkt. Eine dahingehende Auslegung widerspräche offensichtlich auch dem in der Gesetzesbegründung - wie erwähnt - zum Ausdruck kommenden Regelungsziel "größtmöglicher Transparenz der Parteienfinanzen". Besteht danach die in § 23b Abs. 1 PartG 2002 geregelte Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht unabhängig davon, ob der Rechenschaftsbericht auf der Grundlage der alten oder der neuen Rechtslage erstellt und eingereicht worden ist, kann schon im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die mit der Anzeigepflicht unmittelbar verbundene begünstigende Regelung einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 bewusst auf die in der Zeit nach dem Inkrafttreten der Regelung eingereichten Rechenschaftsberichte beschränkt hat. Soweit in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 nur die am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c", nicht aber die entsprechenden Sanktionsregelungen nach der früheren Rechtslage ausdrücklich erwähnt werden, ist deshalb von einem bloßen Versehen des Gesetzgebers auszugehen. Es handelt sich mithin um eine planwidrige Regelungslücke, die nur im Wege einer analogen Anwendung des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 bei Sachverhalten, die noch auf der Grundlage der früheren Rechtslage zu sanktionieren sind, geschlossen werden kann.

64

Trotz der durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 erfolgten Umgestaltung des Sanktionensystems fügt sich die in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 getroffene Regelung problemlos in das alte Regelungsgefüge ein. Bei den "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c", die unter den in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 geregelten Voraussetzungen ausgeschlossen werden, handelt es sich um die Zahlungsansprüche in im Einzelnen bestimmter Höhe, die gegen eine Partei bei Verstößen gegen parteienfinanzierungsrechtliche Vorschriften entstehen. Dies umfasst sowohl den Fall, dass der Präsident des Deutschen Bundestages im Rahmen seiner Prüfung nach § 23a PartG 2002 Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht feststellt (§ 31b PartG 2002), als auch die Fälle, dass eine Partei Spenden unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG 2002 angenommen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG 2002 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet (§ 31c Abs. 1 Satz 1 PartG 2002) oder nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 31c Abs. 1 Satz 2 PartG 2002). Den genannten Sanktionen entspricht nach früherer Rechtslage die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme der jeweiligen Bescheide des Präsidenten des Deutschen Bundestages über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin in Höhe des Zweifachen Betrages einer in den betreffenden Jahren rechtswidrig angenommenen oder nicht ordnungsgemäß veröffentlichten Spende. Die entsprechende Teilrücknahme eines Bewilligungsbescheides ist demnach ausgeschlossen, wenn eine Partei Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht anzeigt und im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben öffentlich nicht bekannt waren und weder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegen haben noch in einem amtlichen Verfahren entdeckt waren und die Partei den Sachverhalt umfassend offen legt und korrigiert. Aus der in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 enthaltenen Bezugnahme auf § 31c PartG 2002 ergibt sich darüber hinaus, dass die Sanktionsbefreiung nicht nur bei einer rechtzeitigen Anzeige von Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht, sondern auch in denjenigen Fällen gewährt wird, in denen eine Partei Spenden unter Verstoß gegen ein Spendenannahmeverbot nach § 25 Abs. 2 PartG 2002 bzw. § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 erlangt hat und dies zu einem Zeitpunkt umfassend offen legt, in dem konkrete Anhaltspunkte für den Rechtsverstoß weder der Öffentlichkeit noch dem Präsidenten des Deutschen Bundestages oder einer anderen Behörde bekannt waren.

65

Ob die Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 einer Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 2000, 2001 und 2003 entgegenstehen, kann der Senat mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht selbst entscheiden. Anders als in Bezug auf die Bewilligungsbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 hat die Klägerin insoweit Anhaltspunkte dargelegt, dass sie die entsprechenden Unrichtigkeiten in ihren Rechenschaftsberichten für die Jahre 2000 und 2001 sowie den im Jahr 2002 begangenen Verstoß gegen das Verbot, anonyme Spenden anzunehmen, beim Präsidenten des Deutschen Bundestages jeweils zu einem Zeitpunkt angezeigt hat, zu dem weder diesem noch der Öffentlichkeit konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben bzw. Rechtsverstöße bekannt gewesen sind. Diesem Vortrag ist das Oberverwaltungsgericht seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig nicht nachgegangen.

66

Ob die behaupteten Aufklärungsbemühungen der Klägerin die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 erfüllen, ist eine Frage der Sachverhaltswürdigung, die dem Tatsachengericht aufgetragen ist. Der Rechtsstreit ist insoweit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

67

3. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass die in dem angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 2009 enthaltene Festsetzung von Abführungspflichten hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 2000 und 2002 erlangten Barspenden rechtmäßig ist.

68

Rechtsgrundlage der im Bescheid vom 2. Juli 2009 festgesetzten Verpflichtung zur Abführung der von der Klägerin erlangten Barspenden ist § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994. Danach sind die rechtswidrig angenommenen Spenden an das Präsidium des Deutschen Bundestages abzuführen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelung sind erfüllt. Wie ausgeführt, hat die Klägerin in den Jahren 1996 bis 2000 sowie 2002 verschiedene Barspenden unter Verstoß gegen das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 bzw. § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 und damit rechtswidrig im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 erlangt. Nach den tatrichterlichen Feststellungen geht es hierbei im Einzelnen um Beträge in Höhe von 61 750 DM im Jahr 1996, in Höhe von 52 750 DM im Jahr 1997, in Höhe von 38 500 DM im Jahr 1998, in Höhe von 195 000 DM im Jahr 1999, in Höhe von 981 750 DM im Jahr 2000 und in Höhe von 106 500 € im Jahr 2002, insgesamt also um umgerechnet 786 390,33 €. Auf der Rechtsfolgenseite sieht § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 kein behördliches Ermessen vor, sondern ordnet die Abführung der rechtswidrig erlangten Spenden als zwingende Rechtsfolge an. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Anders als der in § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 geregelte Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend veröffentlichten Betrages handelt es sich bei § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 nicht um eine Sanktionsregelung. Vielmehr dient die Vorschrift lediglich der Abschöpfung der unter Verstoß gegen die parteienrechtlichen Spendenannahmeverbote erlangten Vermögensvorteile. Der Höhe nach geht die Verpflichtung zur Abführung der Spenden nicht über den Betrag des rechtswidrig erlangten Vermögensvorteils hinaus. Vor diesem Hintergrund bedarf auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, ob die Behörde in Ausnahmefällen von der Festsetzung der Abführungspflicht ganz oder teilweise absehen kann, keiner näheren Prüfung. Dass der angefochtene Bescheid der Beklagten insoweit keine Ermessenserwägungen enthält, ist deshalb nicht zu beanstanden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

2

Der Kläger wurde im Jahre 1970 in der Türkei geboren. Er ist türkischer Staatsangehöriger. Im August 1989 reiste er zusammen mit seiner Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Er hat mittlerweile sechs Kinder. Der Kläger kann nicht lesen oder schreiben, da er nach eigenen Angaben nie eine Schule besucht hat.

3

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik stellte der Kläger einen Asylantrag. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erkannte den Kläger und seine damals mit ihm lebenden Familienangehörigen im Jahre 1994 als Asylberechtigte an. Seit 1993 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt.

4

Im Juni 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Einbürgerung und unterzeichnete die sog. "Loyalitätserklärung". Bei einem im Mai 2002 durch die Volkshochschule P. durchgeführten Test "Deutsch für Analphabeten" hatte er 77 von möglichen 100 Punkten erreicht. Im September 2002 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum September 2004 befristete Einbürgerungszusicherung. Im Februar 2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg der Beklagten mit, dass es die Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers verweigere, nachdem bekannt geworden war, dass der Kläger am 24. Juni 2001 die sog. "PKK-Selbsterklärung" unterzeichnet hatte. Mit Bescheid vom 18. November 2005 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab, da er nicht die sprachlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfülle.

5

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 17. August 2006 zurück. Wegen tatsächlicher Anhaltspunkte, dass der Kläger die in § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Bestrebungen verfolge oder unterstütze bzw. verfolgt oder unterstützt habe und eine Abwendung von diesen Bestrebungen nicht glaubhaft gemacht worden sei, bestehe kein Einbürgerungsanspruch. Daneben erfülle er auch nicht die notwendigen Sprachanforderungen, da er nicht lesen und schreiben könne. Auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG scheide aus, da keine atypische Situation vorliege, die ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung begründe. Von dem Kläger, der nach eigenen Angaben keine Lese- und Schreibkenntnisse erworben habe, könne erwartet werden, dass er sich die notwendigen Sprachkenntnisse aneigne; eine körperliche oder geistige Behinderung oder eine Erkrankung, die ihn daran hindern könnten, lägen nicht vor.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern. Das der Beklagten nach § 8 StAG eingeräumte Einbürgerungsermessen sei zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert; bei einer Gesamtschau seiner persönlichen Situation und seiner bisherigen Integrationsleistungen könne dem Kläger die Nichterfüllung der Sprachanforderungen nicht entgegengehalten werden.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen der sog. Anspruchseinbürgerung nach den §§ 10 und 11 StAG in der für ihn in Bezug auf die Sprachanforderungen günstigeren, vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung. Auch nach dieser Fassung stehe dem Anspruch des Klägers auf Einbürgerung der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. entgegen, weil er weder lesen noch schreiben könne und daher nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Es könne daher dahinstehen, ob die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt seien und (weitere) Ausschlussgründe nach § 11 StAG der Einbürgerung des Klägers entgegenstünden.

8

Der Kläger sei auch nicht nach § 8 StAG im Ermessenswege einzubürgern. Die Erwägung im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid sei nicht zu beanstanden, auch der Ermessenseinbürgerung stehe entgegen, dass der Kläger keine Kenntnisse der deutschen Schriftsprache habe und auch keine atypische Situation vorliege, die ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung begründe, weil von dem Kläger erwartet werden könne, dass er sich die notwendigen Sprachkenntnisse aneigne. Die Einbürgerungsbehörde dürfe auch bei der Betätigung des Einbürgerungsermessens nach § 8 StAG der Kenntnis der deutschen Schriftsprache eine sehr hohe Bedeutung beimessen. Die Widerspruchsbehörde habe in rechtlich vertretbarer Weise von den Sprachanforderungen nicht wegen besonderer Umstände abgesehen. Sie habe hierfür nicht den Umstand ausreichen lassen müssen, dass er auch in seiner Heimatsprache Analphabet sei. Auch habe sie berücksichtigen dürfen, dass eine körperliche oder geistige Behinderung oder eine Erkrankung, die den Kläger daran gehindert hätte, Kenntnisse der Schriftsprache zu erwerben, nicht vorlägen und es daher unverständlich sei, dass er nicht bereits größere Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache unternommen habe. Dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten von vornherein außer Stande (gewesen) wäre, Schriftkenntnisse zu erwerben, sei weder ersichtlich noch vorgetragen. Der Kläger habe noch nicht einmal geltend gemacht, sich erfolglos um den Erwerb von Kenntnissen der deutschen Schriftsprache (Lesefähigkeit) bemüht zu haben. Angesichts seines Lebensalters sei ihm eine Teilnahme an Alphabetisierungskursen bereits zum Zeitpunkt der Einreise, aber auch in der Folgezeit zumutbar gewesen.

9

Im Rahmen der eingeschränkten Überprüfung der Ermessensentscheidung sei auch nicht zu beanstanden, dass die Einbürgerungsbehörden die Defizite im Spracherwerb nicht als anderweitig ausgeglichen bewertet hätten. Diese dürften im Rahmen ihres Ermessens andere Integrationsleistungen berücksichtigen; sie seien rechtlich indes nicht verpflichtet, andere Integrationsleistungen im Ergebnis stärker zu gewichten als fehlende Kenntnisse der Schriftsprache. Durch die vormals erteilte, befristete Einbürgerungszusicherung sei die Beklagte nicht mehr gebunden. Ihre Entscheidung habe auch nicht gegen eine durch Verwaltungsvorschriften bewirkte Selbstbindung der Verwaltung verstoßen.

10

Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein Einbürgerungsbegehren, er rügt eine Verletzung des § 8 StAG.

11

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung hat. Seiner Einbürgerung nach § 10 StAG steht jedenfalls entgegen, dass der Kläger nicht über die für eine Einbürgerung nach §§ 10, 11 StAG erforderlichen Mindestkenntnisse der deutschen Sprache verfügt (dazu 1.). Die Beklagte hat auch das ihr nach § 8 StAG eingeräumte Einbürgerungsermessen fehlerfrei dahin ausgeübt, den Kläger nicht einzubürgern (dazu 2.).

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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung nach §§ 10, 11 StAG, weil er nicht über die für eine Anspruchseinbürgerung erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt.

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1.1 Das Berufungsgericht hat für die Anwendung des § 10 StAG zu Recht auf die Fassung abgestellt, welche die Vorschrift zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 Nr. 8 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Zuwanderungsgesetz - (Gesetz vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950) erhalten hat und die im hier entscheidungserheblichen Kern §§ 85, 86 AuslG entsprach. Denn der Kläger hatte seinen Einbürgerungsantrag im Juni 2002 und damit nach dem 16. März 1999 (dazu § 40c StAG), aber vor dem 1. April 2007 gestellt.

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Diese zum 30. März 2007 in §§ 10, 11 StAG normierten Sprachanforderungen stellen an die Sprachkenntnisse eines Einbürgerungsbewerbers geringere Anforderungen als § 10 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 4 StAG (in der Fassung des Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970 ). Denn nach der Neuregelung liegt die Einbürgerungsvoraussetzung, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, nur vor, wenn der Ausländer die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch in mündlicher und schriftlicher Form erfüllt. Diese Anforderungen verlangen im Gegensatz zur Rechtslage bis zum 27. August 2007 auch die Fähigkeit, sich in gewissem Maße schriftlich in deutscher Sprache äußern zu können, also nicht nur Lese-, sondern auch Schreibkenntnisse (Berlit, InfAuslR 2007, 457 <457, 461>).

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Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG in der hier anzuwendenden Fassung besteht ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG nicht, wenn der Ausländer "nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" verfügt. Nach der zu dieser Gesetzesfassung ergangenen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 5 C 8.05 - BVerwGE 124, 268 und - BVerwG 5 C 17.05 - DVBl 2006, 922), von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, reichen hierfür allein mündliche Sprachkenntnisse nicht aus. Vielmehr muss ein geschäftsfähiger Einbürgerungsbewerber über die Fähigkeit verfügen, selbständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und - nach Maßgabe von Alter und Bildungsstand - den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacher Art aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständlich reagiert werden kann.

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Der Kläger verfügt nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die den Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), nicht über solche Sprachkenntnisse; demgegenüber kann sich der Kläger nicht auf die nach seinen Angaben erfolgreiche Teilnahme an einem Test "Deutsch für Analphabeten" an einer Volkshochschule berufen, bei der Inhalt und Maßstab zudem nicht näher ausgeführt sind.

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1.2 Der Kläger erfüllt nach diesen tatsächlichen Feststellungen erst recht nicht die höheren Erfordernisse nach § 10 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 4 StAG (F. 2007), nach dem die Einbürgerungsvoraussetzung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache vorliegt, wenn der Ausländer die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) in mündlicher und schriftlicher Form erfüllt.

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Diese Neufassung der Sprachanforderungen durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ist auch nicht mit Blick darauf für den Kläger günstiger (§ 40c StAG), dass von den Sprachanforderungen als Einbürgerungsvoraussetzung abgesehen wird, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann (§ 10 Abs. 6 StAG). Der Kläger leidet nicht an einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung und befindet sich auch in einem Alter, in dem Kenntnisse der Schriftsprache regelmäßig vorhanden oder zumindest erlernbar sind, diese Einbürgerungsvoraussetzung also erfüllt werden könnte. Der Kläger ist vielmehr Analphabet.

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Analphabetismus bezeichnet kulturell, bildungs- oder psychisch bedingte individuelle Defizite im Lesen und/oder Schreiben bis hin zu völligem Unvermögen. Er ist als solcher keine Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 10 Abs. 6 StAG (F. 2007) (s.a. VG Berlin, Urteil vom 10. März 2009 - 30 V 55.08 - juris § 30 abs. 1 satz 1 nr. 2 aufenthg>; LSG Berlin, Urteil vom 22. Juli 2004 - L 3 RJ 15/03 - juris). Hierfür müssten die unzureichenden Sprachkenntnisse ihre wesentlichen Ursachen in einer Krankheit oder einer Behinderung haben, die auch einer Überwindung dieses Zustandes entgegenstehen. Dies ist bei dem hier vorliegenden (primären) Analphabetismus nicht der Fall. Analphabetismus hat zwar vielfältige Ursachen, die auch mit der Sozialisation oder der geistigen Entwicklung eines Menschen zusammenhängen können. Er kann zwar durch eine Behinderung, vor allem eine geistige Behinderung oder längerfristige oder chronische Krankheit verursacht oder mit dem als Lernbehinderung bezeichneten Komplex verbunden sein. Ein nicht behebbares Schicksal ist er - auch für erwachsene Menschen - indes nicht. Zu einer Behinderung wird Analphabetismus auch nicht durch die sozialen Folgen, die er für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben kann.

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Es ist tatrichterlich nicht festgestellt - und wird von dem Kläger auch nicht geltend gemacht -, dass er deswegen Analphabet sei, weil er zum Erlernen der Schriftsprache (Lese- und Schreibfähigkeit) wegen einer geistigen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei. Der Kläger selbst macht geltend, deswegen Analphabet zu sein, weil er in der Türkei als Kind nicht in die Schule gegangen sei.

22

§ 10 Abs. 6 StAG (F. 2007) ist auch nicht zu Gunsten von Einbürgerungsbewerbern entsprechend anzuwenden, die Analphabeten sind. Es ist keine Regelungslücke gegeben, die durch Analogie oder erweiternde Auslegung zu schließen wäre. Es fehlt schon jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 10 Abs. 6 StAG (F. 2007) nicht erkannt haben könnte, dass auch Analphabeten die - erhöhten - Sprachanforderungen nicht erfüllen. Systematisch gegen eine Lücke spricht zudem, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG für eine Niederlassungserlaubnis vorausgesetzten "ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache" mit § 9 Abs. 2 Satz 4 und 5 AufenthG über § 10 Abs. 6 StAG hinausgehende Ausnahmeregelungen geschaffen hat. Denn § 10 Abs. 6 StAG erlaubt zwar - ähnlich wie § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG - eine Ausnahme von der Notwendigkeit ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache, wenn der Ausländer diese Voraussetzung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. § 10 Abs. 6 StAG enthält aber keine Regelung, nach der zur Vermeidung einer Härte auch in Fällen, in denen keine Krankheit oder Behinderung vorliegt, von ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache abgesehen werden kann (§ 9 Abs. 2 Satz 4 AufenthG), und auch nicht die Möglichkeit, ausnahmsweise die Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen zu können, ausreichen zu lassen (§ 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG). Dass Einbürgerungsbewerber, die Analphabeten sind, nach § 10 StAG keinen Einbürgerungsanspruch haben, war dem Gesetzgeber zudem aufgrund der Urteile des Senats vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.) bekannt; der Gesetzgeber wollte durch die ausdrücklichen Regelungen bei der Anspruchseinbürgerung das Niveau der Sprachanforderungen gerade anheben (s.a. Berlit, InfAuslR 2007, 457 <461>).

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2. Der Kläger kann seine Einbürgerung auch nicht nach § 8 StAG beanspruchen. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte im Rahmen der ihr obliegenden, gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Ermessensentscheidung (2.1) mit erheblichem und hier ausschlaggebendem Gewicht berücksichtigen durfte, dass der Kläger nicht lesen kann (2.2), und die Ablehnung seiner Einbürgerung auch sonst nicht ermessensfehlerhaft ist (2.3).

24

2.1 Nach § 8 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag eingebürgert werden. Die Einbürgerung steht auch bei Erfüllung der in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StAG bezeichneten Mindestvoraussetzungen im grundsätzlich weiten Ermessen der Einbürgerungsbehörde.

25

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. etwa Urteile vom 17. Mai 1983 - BVerwG 1 C 163.80 - BVerwGE 67, 177 und 21. Oktober 1986 - BVerwG 1 C 44.84 - BVerwGE 75, 86 und Beschlüsse vom 11. Oktober 1985 - BVerwG 1 B 102.85 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 26 und vom 19. Februar 1991 - BVerwG 1 B 17.91 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 41) ist bei der Ausübung des Ermessens darauf abzustellen, ob ein staatliches Interesse an der beantragten Einbürgerung besteht. Die Behörde hat zu prüfen, ob die Einbürgerung sowohl nach den persönlichen Verhältnissen des Bewerbers als auch nach allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten im staatlichen Interesse erwünscht ist, ohne dass eine Abwägung mit den persönlichen Interessen des Einbürgerungsbewerbers stattfindet. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Behörde rechtsfehlerhaft gehandelt, insbesondere von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 113 Abs. 4, § 114 VwGO). Die Verwaltungsgerichte dürfen nicht eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen, wenn ihnen eine dem Bewerber günstigere Ermessensausübung den Umständen des konkreten Falles angemessener erscheint.

26

Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen (dazu 2.2, 2.3), dass die Beklagte hier ihr Einbürgerungsermessen im Ergebnis rechtsfehlerfrei betätigt hat. Der vorliegende Fall gibt daher keinen Anlass zur vertiefenden Erörterung, ob daran festzuhalten ist, dass bei der Ermessensentscheidung ohne Abwägung der privaten Interessen des Einbürgerungsbewerbers allein das öffentliche Interesse an einer Einbürgerung zu berücksichtigen ist (s. etwa Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 8 Rn. 50). Die zu seinen Gunsten streitenden abwägungserheblichen individuellen Belange und subjektiven Interessen des Klägers an der Einbürgerung sind hier - wenn auch in Gestalt eines öffentlichen Interesses - bei der Ermessensbetätigung der Beklagten erkannt und fehlerfrei gewichtet worden.

27

Es kann auch offenbleiben, ob der Bezug von Wohngeld geeignet ist, die Unterhaltsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG) als Einbürgerungsvoraussetzung zu berühren und unter welchen Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 StAG in Fällen eines nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG etwa dem Grunde nach beachtlichen Wohngeldbezuges von dem Erfordernis der Unterhaltsfähigkeit abzusehen ist, wenn Wohngeld allein wegen einer überdurchschnittlichen Familiengröße bezogen wird. Rechtsirrig ist jedenfalls die von der Beklagten im Revisionsverfahren angedeutete Rechtsansicht, der Bezug von Wohngeld berühre bereits die Einbürgerungsvoraussetzung (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 StAG), dass der Einbürgerungsbewerber eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat.

28

2.2 Bei der auf Ermessensfehler beschränkten Überprüfung der Entscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden, dass diese bei der Ausübung des Ermessens der Kenntnis der deutschen Schriftsprache eine sehr hohe Bedeutung beigemessen und hier wegen Fehlens dieser Sprachvoraussetzungen ein öffentliches Interesse abgelehnt hat, weil auch keine atypische Situation vorliege, welche ein Absehen von den Sprachanforderungen gebiete. Der Beklagten wäre allerdings in Bezug auf die Sprachanforderungen auch eine andere Gewichtung und Entscheidung als aus ihrer Sicht zweckmäßiger eröffnet gewesen.

29

2.2.1 Die Einbürgerungsbehörde darf bei der nach § 8 StAG zu treffenden Ermessensentscheidung zu Lasten eines Ausländers berücksichtigen, dass er Deutsch nicht lesen kann. Dies gilt auch für Analphabeten, die nicht infolge einer Krankheit oder Behinderung nicht lesen können und bei denen auch keine sonstigen besonderen Härtegründe vorliegen.

30

a) Gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache haben Bedeutung nicht nur als Einbürgerungsvoraussetzung für die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG. Auch für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG gilt, dass Einbürgerungsbewerber sprachlich hinreichend in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens-, Berufs- und Wohnumgebung integriert sein sollten. Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit Behörden und Institutionen der schriftlichen Kommunikation zukommt, erfordert dies regelmäßig auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O.). Diese Sprachanforderungen sind nicht Selbstzweck; sie sind vielmehr typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration.

31

Bereits dies rechtfertigt ihre Berücksichtigung auch bei der Ermessenseinbürgerung. Die Integrationsanforderungen sind bei der Ermessenseinbürgerung nicht grundsätzlich niedriger anzusetzen als bei der Anspruchseinbürgerung. Sie unterscheiden sich von diesen auch nicht qualitativ.

32

Der systematische Zusammenhang zwischen Anspruchs- und Ermessenseinbürgerung rechtfertigt ebenfalls eine Berücksichtigung der Anspruchsvoraussetzungen und -ausschlussgründe der §§ 10, 11 StAG; sie enthalten auch hinsichtlich der Sprachanforderungen keine abschließende Regelung. Soweit sie in § 8 Abs. 1 StAG nicht schon auf der Tatbestandsebene modifiziert sind, dürfen die Anspruchsvoraussetzungen bzw. Ausschlussgründe der §§ 10, 11 StAG der Sache nach bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden; § 11 StAG (F. 2007) gilt ohnehin unmittelbar auch für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG. Unterschiede ergeben sich bei Anspruchsausschlussgründen allein in Bezug auf die Rechtsfolge. Sie führen bei der Anspruchseinbürgerung zwingend zur Ablehnung der Einbürgerung, während sie bei der Ermessenseinbürgerung als ermessenserheblicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen sind, die Entscheidung aber nicht notwendig im Ergebnis vorprägen. Soweit die Mindestvoraussetzungen bei der Anspruchseinbürgerung nicht erfüllt sind, wird im Rahmen des § 8 StAG allein eine flexiblere Entscheidung ermöglicht, die nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles eine Absenkung der Sprachanforderungen bis hin zum vollständigen Verzicht auf Kenntnisse der Schriftsprache gestattet.

33

Die Auslegung, dass der Einbürgerungsbewerber auch bei der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG in der Lage sein muss, einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens zu lesen, zu verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiederzugeben, entspricht auch Nr. 8.1.2.1.1 Satz 2 StAR-VwV. Die Verwaltungsvorschrift bindet zwar die Verwaltungsgerichte nicht, steuert aber das Ermessen der Einbürgerungsbehörden im Interesse eines gleichheitskonformen Ermessensgebrauchs, ohne den Verzicht auf "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles auszuschließen. Dies ist auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (VG Aachen, Urteil vom 9. Juni 2009 - 5 K 756/08 -; VG Augsburg, Urteil vom 21. Oktober 2008 - Au 1 K 07.1168 -; VG Darmstadt, Urteil vom 24. August 2007 - 5 E 1163/06 (3) -; BayVGH, Urteil vom 20. November 2006 - 5 BV 04.35 -; OVG Saarlouis, Beschluss vom 5. Oktober 2005 - 3 Q 11/05 -) sowie im Schrifttum (Hailbronner/Renner/Maaßen, a.a.O. § 8 Rn. 58 ff.; Marx, in: GK-StAR, § 8 StAG Rn. 201 ff., 216 ff.) anerkannt.

34

Anderes folgt auch nicht daraus, dass der Senat in seinem Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 5 C 17.05 - (a.a.O.) die Frage offengelassen hat, welche Anforderungen an die Kenntnisse der deutschen Sprache bei einer auf § 8 StAG gestützten Ermessenseinbürgerung zu stellen sind und welches Gewicht bei der nach § 8 StAG zu treffenden, die Belange des Einbürgerungsbewerbers berücksichtigenden Ermessensentscheidung einem tatsächlich etwa geringeren Integrationsbedarf oder den vom Gesetzgeber im Aufenthaltsrecht für die Niederlassungserlaubnis geregelten Ausnahmen vom Erfordernis der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache beizumessen ist. Der Gesetzgeber hat bei der Anspruchseinbürgerung zwischenzeitlich in § 10 Abs. 6 StAG (F. 2007) Ausnahmen von den Sprachanforderungen (§ 10 Abs.1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 4 StAG) normiert. Diese Ausnahmen berücksichtigen Fallkonstellationen, denen nach der früheren Rechtslage nur im Rahmen der Ermessenseinbürgerung Rechnung getragen werden konnte (s.a. Nr. 8.1.2.1.1 Satz 4 StAR-VwV).

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b) Der Umstand, dass ein Einbürgerungsbewerber Analphabet ist und daher nicht über die Grundkenntnisse der Schriftsprache verfügt, die im Regelfall verlangt werden können, gebietet für sich allein nicht, aus Härtegründen von diesem Erfordernis abzusehen. § 10 Abs. 6 StAG (F. 2007) bekräftigt bei einer systematischen Auslegung vielmehr, dass das Fehlen gewisser Grundkenntnisse der Schriftsprache (hier: Lesefähigkeit) nicht schon dann unbeachtlich ist, wenn es auf Analphabetismus zurückzuführen ist, sondern regelmäßig nur dann, wenn Grund hierfür Krankheit, Behinderung oder Alter ist.

36

Das nach § 8 StAG eingeräumte Einbürgerungsermessen lässt zwar Raum für die Berücksichtigung weiterer Gründe für das Unvermögen, Deutsch lesen zu können, oder den Verzicht auf Mindestkenntnisse auch der Schriftsprache in Fällen, in denen dies zur Vermeidung einer Härte oder wegen anderweitiger Integrationsleistungen angezeigt ist. Analphabetismus ist aber für sich allein keine Härte. Keine andere Beurteilung gebietet, dass im Bundesgebiet eine Vielzahl von Personen lebt, die auch ohne (ausreichende) Kenntnisse der Schriftsprache ihr Alltagsleben bewältigen und dies auch für einen gewissen Anteil der im Bundesgebiet lebenden Ausländer gilt (s. Sonja Haug, Sprachliche Integration von Migranten in Deutschland, Working Paper 14/2008 der Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Mai 2008, S. 39 ff.).

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2.2.2 Die Einbürgerungsbehörde darf in Fällen, in denen ein Einbürgerungsbewerber als Analphabet nicht über Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache (Lesekenntnisse) verfügt, ohne dass dies auf Krankheit, Behinderung oder Alter zurückzuführen ist, diesem Umstand auch ein erhebliches Gewicht beimessen, das für eine Einbürgerung streitende Belange überwiegen kann. Nicht zu vertiefen ist hier, dass sie hierzu unter Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit nicht verpflichtet ist und der Verzicht auf Kenntnisse der deutschen Schriftsprache jedenfalls dann ermessensfehlerfrei möglich ist, wenn eine für die Einbürgerung hinreichende Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse anderweitig belegt und im Einzelfall die Grundannahme des Gesetzgebers, dass Kenntnisse der deutschen Schriftsprache Voraussetzung einer gelungenen Integration sind, zumindest abgeschwächt ist.

38

Das nach § 8 StAG eingeräumte Ermessen eröffnet der Einbürgerungsbehörde die Befugnis, auch nach langjährigem Inlandsaufenthalt, der sprachbedingte Integrationsschwierigkeiten im Einzelfall nicht hat erkennen lassen, nach Maßgabe ihrer integrationspolitischen Vorstellungen zumindest für den Regelfall daran festzuhalten, dass der Einbürgerungsbewerber Deutsch zumindest muss lesen können.

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Für die Gewichtung unzureichender Kenntnisse der Schriftsprache dürfen die Gründe, aus denen diese nicht ausreichend sind, auch insoweit berücksichtigt werden, als sie nicht auf Krankheit, Behinderung oder Alter zurückzuführen sind. Bei einem Einbürgerungsbewerber, der auch in seiner Herkunftssprache Analphabet ist, darf darauf abgestellt werden, welche Eingliederungsbemühungen er unternommen hat oder ob die Gründe, die einen hinreichenden Spracherwerb im Ergebnis verhindert haben, von ihm zu vertreten sind. In § 10 Abs. 3 StAG hat für die Anspruchseinbürgerung der Gedanke gesetzlich Niederschlag gefunden, dass das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Einbürgerung wächst, wenn sich ein Einbürgerungsbewerber aktiv um seine Integration und die Beseitigung von Integrationshindernissen bemüht. Dieser Gesichtspunkt ist auch für die Ermessenseinbürgerung von Bedeutung. Es darf daher - insoweit zu Lasten eines Einbürgerungsbewerbers - berücksichtigt werden, wenn dieser ihm erreichbare und zumutbare, insbesondere geeignete und erfolgversprechende Möglichkeiten, Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache zu erwerben, nicht ergriffen hat. Bemühungen um den Spracherwerb sind auch Personen abzuverlangen, die in ihrer Herkunftssprache Analphabeten sind; die Belastungen, die mit dem Erwerb von Mindestkenntnissen der Schriftsprache verbunden sind, sind dabei grundsätzlich auch neben einer Erwerbstätigkeit oder der Erfüllung von Familienpflichten zumutbar. Die Anforderungen an solche Bemühungen dürfen indes nicht überspannt werden und müssen neben der persönlichen Situation des Ausländers auch die Erreichbarkeit geeigneter Sprachvermittlungsangebote berücksichtigen. Bei der Ermessensentscheidung sind ernsthafte Bemühungen um den Erwerb der angezeigten Grundkenntnisse der Schriftsprache im Rahmen einer Gesamtabwägung auch dann zu würdigen, wenn der erhoffte Erfolg nicht oder nur teilweise erreicht werden konnte.

40

Die Beklagte und die Widerspruchsbehörde haben hiernach ihr Ermessen nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt, weil sie darauf abgestellt haben, dass der Kläger keine Kenntnisse der deutschen Schriftsprache besitze. Dies gilt bei ihm ungeachtet dessen, dass er Analphabet ist; es liegt keine atypische Situation vor, weil dies nicht auf Krankheit oder Behinderung zurückzuführen ist, von ihm erwartet werden konnte, dass er sich die notwendigen Sprachkenntnisse aneignet, und er ihm zumutbare Bemühungen zum Spracherwerb nicht unternommen hat.

41

2.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ermessenserwägungen der Beklagten zu Recht auch sonst nicht als fehlerhaft (§ 113 Abs. 4, § 114 VwGO) beanstandet.

42

2.3.1 Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend darauf hingewiesen, dass unzureichende Kenntnisse der deutschen Schriftsprache zwar durch anderweitige Integrationsleistungen ausgeglichen werden können, und dies bei der nach § 8 StAG zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt werden darf. Bei dem Kläger rechnen hierzu seine durchgängige Erwerbstätigkeit und die gelungene Integration seiner Kinder, die teilweise deutsche Staatsangehörige sind und beachtliche schulische Erfolge aufzuweisen haben, was wiederum auf eine auf Integration gerichtete Erziehung auch durch den Kläger hinweist.

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Beklagte und Widerspruchsbehörde haben dies bei ihrer Ermessensentscheidung aber nicht verkannt, sondern als für die Einbürgerung sprechende Aspekte berücksichtigt. Insoweit ist weder ein Ermessensausfall noch ein Ermessensfehlgebrauch dadurch festzustellen, dass nach Lage der Dinge entscheidungserhebliche Tatsachen nicht ermittelt oder berücksichtigt worden wären.

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2.3.2 Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, dass der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen ist, die Beklagte habe in zulässiger Weise (§ 114 Satz 2 VwGO) ihre Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren dahin ergänzt, es spreche auch gegen den Kläger, dass er öffentliche Leistungen in Form von Wohngeld beziehe. Inwieweit bei einer Gesamtabwägung in Bezug auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen auch solche Leistungen (zu Lasten des Einbürgerungsbewerbers) berücksichtigt werden dürfen, die nicht dazu führen, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht erfüllt ist oder von ihr nur nach § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden kann, ist nicht zu vertiefen. Selbst wenn der Bezug von Wohngeld dem Kläger hier wegen der hohen Zahl der Familienangehörigen nicht entgegengehalten werden dürfte, wirkte sich ein etwa hierin liegender Ermessensfehler nicht aus, weil er als - erst im gerichtlichen Verfahren ergänzte - Ermessenserwägung zu einer im Übrigen fehlerfreien Ermessensentscheidung hinzugetreten wäre.

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2.3.3 Das Berufungsgericht musste auch nicht als Ermessensfehler beanstanden, dass die Beklagte der dem Kläger erteilten, befristeten und bedingten Einbürgerungszusicherung hier nur eine geringe und gegenüber den Sprachanforderungen nachrangige Bedeutung beigemessen hat. Diese Einbürgerungszusicherung ist bereits wegen Zeitablaufs unbeachtlich und kann ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit kein nachwirkendes, schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darin begründen, es würden seine für die Einbürgerung unzureichenden Sprachkenntnisse auch künftig unberücksichtigt bleiben.

46

2.3.4 Nicht ermessensfehlerhaft ist auch, dass die Beklagte den Flüchtlingsstatus des Klägers nicht berücksichtigt hat. Dabei kann offenbleiben, ob aus Art. 34 der Genfer Flüchtlingskonvention, nach dem die vertragsschließenden Staaten gehalten sind, soweit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge zu erleichtern, ein innerstaatlich unmittelbar anwendbares, auf das Einbürgerungsermessen einwirkendes Wohlwollensgebot folgt. Denn hieraus folgt jedenfalls nicht, dass deswegen von einer Einbürgerungsvoraussetzung, die - wie die Sprachanforderungen - der Eingliederung dient, abzusehen wäre.

47

2.3.5 Die Beklagte hat bei der Betätigung des ihr eröffneten Ermessens auch nicht einzelnen Tatsachen und Umständen ein Gewicht beigemessen, das ihnen nach objektiven, am Zweck des Gesetzes und sonstigen einschlägigen Rechtssätzen orientierten Wertungsgrundsätzen nicht zukommt. Sie hat auch nicht schematisch und ohne Berücksichtigung der besonderen Situation des Einzelfalls entschieden oder gegen sie bindende, sonst von ihr auch beachtete ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Die Beklagte hat insbesondere die ihr Ermessen lenkende Verwaltungsvorschrift beachtet, welche die Sprachanforderungen bei nicht krankheits- oder behinderungsbedingtem Analphabetismus gerade nicht generell absenkt, und hat nicht verkannt, dass eine Ausnahme nach den Besonderheiten des Einzelfalls durchaus in Betracht gekommen wäre.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist kurdische Volkszugehörige yezidischen Glaubens. Sie wurde nach eigenen Angaben am 17. Juli 1988 in der Türkei geboren. Als siebenjähriges Kind reiste sie gemeinsam mit ihren Eltern und Schwestern ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 31. Mai 1999 wurde sie als Asylberechtigte anerkannt. Dem lag eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg zu Grunde, nach der die Familie auf Grund ihres yezidischen Glaubens in der Türkei einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt war.

2

Die Klägerin ist Inhaberin eines Reiseausweises für Flüchtlinge. In ihrem im Juli 2004 ausgestellten Ausweis war vermerkt: "Identität nicht nachgewiesen". In dem Ausweis vom Oktober 2008 heißt es: "Die eingetragenen Personalien beruhen auf eigenen Angaben des Ausländers". Nach einer Mitteilung des türkischen Generalkonsulats vom 6. Juli 1995 sind die Klägerin und ihre Familie nicht in der Türkei registriert.

3

Seit Juni 1999 besitzt die Klägerin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Sie ist nicht vorbestraft, hat in Deutschland das Abitur abgelegt und erhält als Studentin für sich und ihren Sohn Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.

4

Im September 2004 beantragte die Klägerin ihre Einbürgerung. Dabei legte sie das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und die sogenannte Loyalitätserklärung ab. Auf Anfrage der Einbürgerungsbehörde erklärte sie, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Identität nachzuweisen. Auf die Aufforderung des Beklagten, sich gegebenenfalls unter Einschaltung einer Mittelsperson um (amtliche) Dokumente zu bemühen, die Aufschluss über ihre Identität geben könnten, reagierte die Klägerin nicht. Die Beklagte lehnte die Einbürgerung der Klägerin mit Bescheid vom 22. Januar 2007 in erster Linie wegen der ungeklärten Identität ab. Die Klägerin habe trotz Hinweises auf ihre gesetzliche Mitwirkungs- und Nachweispflicht innerhalb der gesetzten Frist keine Identitätsnachweise vorgelegt. Ihr nicht näher begründeter Widerspruch blieb erfolglos.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. Mai 2009 abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens zog die Klägerin aus dem Bereich der Beklagten fort. Die Beklagte führte mit Zustimmung des nunmehr zuständigen Landkreises und der Klägerin das Verfahren fort. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, die Klägerin in den deutschen Staatsverband einzubürgern. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG 2005. Sie erfülle alle ausdrücklich normierten Tatbestandsvoraussetzungen. Die Einbürgerung dürfe nicht wegen der ungeklärten Identität der Klägerin versagt werden. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 StAG 2005 fordere anders als § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG keine Identitätsklärung als Regelvoraussetzung. Nach der Systematik des Gesetzes werde die Identität im ausländerrechtlichen Verfahren geklärt, während das Staatsangehörigkeitsrecht keine erneute Prüfung vorsehe. Das Staatsangehörigkeitsgesetz knüpfe an die von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitel und Ausweispapiere an. In der Regel werde dadurch die Identität des Ausländers hinreichend bestimmt. Soweit dies nach § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise nicht der Fall sei, habe der Gesetzgeber im aufenthaltsrechtlichen Verfahren bewusst darauf verzichtet und im Ausweiserteilungsverfahren nach Art. 28 GFK eine abgestufte Identitätsermittlungspflicht vorgesehen. Da ein Reiseausweis nach Art. 28 GFK erst ausgestellt werden dürfe, wenn die Identität des Ausländers hinreichend geklärt sei oder mit zumutbaren Mitteln nicht weiter aufgeklärt werden könne, sei eine erneute Überprüfung der Identität durch die Staatsangehörigkeitsbehörde nicht vorgesehen. Schließlich folge aus der Entstehungsgeschichte des § 10 StAG, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen abschließend festgelegt worden seien. Für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der geklärten Identität bestehe daher kein Raum. Im Übrigen spreche viel dafür, dass die Identität der Klägerin ausreichend geklärt und weitere Bemühungen um die Beschaffung von Dokumenten aussichtslos seien.

6

Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, die Prüfung der Identität sei nach der gesetzlichen Systematik nicht allein den Ausländerbehörden vorbehalten. Sinn und Zweck des gesamten Staatsangehörigkeitsrechts und des § 10 StAG 2005 erforderten eine Auslegung der Vorschrift, bei der zumindest in Zweifelsfällen - wenn durch die Ausländerbehörde etwa aus humanitären Gründen auf eine zweifelsfreie Identifizierung verzichtet worden sei - auch die Einbürgerungsbehörde eine Identitätsklärung vornehmen dürfe und müsse. Nur so könne sichergestellt werden, dass nicht Personen, die über ihre Identität gegenüber der Ausländerbehörde getäuscht hätten, deutsche Staatsangehörige würden. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Identität der Klägerin als weitgehend geklärt angesehen habe, handele es sich nicht um eine selbstständig tragende Urteilsbegründung. Tatsächlich bestünden konkrete Verdachtsmomente für eine Identitätsfälschung, weil der Vater der Klägerin im Rahmen des Asylverfahrens ge- bzw. verfälschte Nüfen vorgelegt habe, seine Angaben mit denen des angeblichen Onkels der Klägerin in dessen Asylverfahren nicht übereinstimmten und die Familie nach Mitteilung des türkischen Generalkonsulats Hannover vom 6. Juli 1995 nicht in der Türkei registriert worden sei. Die Yeziden siedelten nicht nur im Südosten der Türkei, sondern auch im Nordosten Syriens und im Norden des Irak.

7

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass im Einbürgerungsverfahren nach § 10 Abs. 1 StAG keine Identitätsprüfung durchzuführen ist, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob die Klägerin einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Für die Beurteilung des Falles ist, weil die Klägerin ihren Einbürgerungsantrag bereits im September 2004 gestellt hat, die Übergangsregelung des § 40c StAG anzuwenden mit der Folge, dass § 10 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung des Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950, im Folgenden: StAG 2005) maßgeblich ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer, der seit acht Jahren seinen rechtmäßigen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich erstens zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und eine sogenannte Loyalitätserklärung abgibt, zweitens im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines vergleichbaren langfristigen Aufenthaltstitels ist, drittens seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bestreiten kann, viertens seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert und fünftens nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist.

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Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die Klägerin seit mehr als acht Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet lebt, ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis fortgilt (§ 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), sie die erforderlichen Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben hat und keine einbürgerungsschädlichen Sozialleistungen bezieht. Soweit sie für sich und ihren Sohn BAföG-Leistungen erhält, handelt es sich bereits nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG 2005 nicht um Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. Unstreitig ist mittlerweile auch, dass die Klägerin ihre frühere Staatsangehörigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG (= § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Halbs. 1 StAG 2005) nicht aufgeben muss, weil sie als Asylberechtigte einen Reiseausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzt. Konkrete Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verurteilung oder für Ausschlussgründe nach § 11 StAG haben sich bei einer Überprüfung anhand der angegebenen Personalien der Klägerin ebenfalls nicht ergeben.

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2. Zwingende Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG 2005 ist zudem, dass die Identität des Einbürgerungsbewerbers geklärt ist und feststeht. Zwar hat dieses Erfordernis im Wortlaut des § 10 Abs. 1 StAG 2005 keine ausdrückliche Erwähnung gefunden. Die Klärung offener Identitätsfragen ist jedoch notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in §§ 10 und 11 StAG 2005 genannten Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe.

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Die Angaben zur Person bilden gleichsam die Basis für alle weiteren Ermittlungen. Auf der Grundlage der angegebenen Personalien (wie Titel, Vorname, Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand) werden alle weiteren Anfragen bei in- und ausländischen Behörden durchgeführt. Nur wenn Gewissheit besteht, dass ein Einbürgerungsbewerber die Person ist, für die er sich ausgibt, kann nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden, ob und welche ausländische Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt, ob er im In- oder Ausland wegen einer Straftat verurteilt worden ist, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verfolgung oder Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehen oder ob ein Ausweisungsgrund vorliegt. Die Identitätsprüfung stellt daher nicht nur einen unverzichtbaren Teil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG vorgesehenen Statusprüfung dar (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 5. März 2009 - 19 A 1657/06 - NVwZ-RR 2009, 661). Sie bildet auch eine notwendige Voraussetzung der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 11 StAG vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung. In diesem Sinne wird die Identitätsprüfung im Gesetz unausgesprochen vorausgesetzt (VGH Mannheim, Urteil vom 17. März 2009 - 13 S 3209/08 - UA S. 20).

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Die Erforderlichkeit einer Identitätsprüfung erschließt sich auch aus dem Sinn und Zweck einer Verleihung der Staatsangehörigkeit durch rechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Mit der am Ende des individuellen Einbürgerungsverfahrens stehenden Aushändigung der Einbürgerungsurkunde nach § 16 Satz 1 StAG wird einer bestimmten Person mit einer in der Urkunde festgehaltenen Identität eine neue Staatsangehörigkeit verliehen. Damit werden einerseits Identitätsmerkmale wie Name, Vorname und Geburtsdatum deklaratorisch beurkundet und andererseits wird die Staatsangehörigkeit konstitutiv geändert. Schon das öffentliche Interesse daran, dass die Einbürgerungsurkunde auch im Hinblick auf die beurkundeten Personalien richtig ist, macht eine Überprüfung der diesbezüglichen Identitätsangaben erforderlich. Eine Überprüfung der Frage, unter welchen Personalien ein Einbürgerungsbewerber im Ausland registriert ist, ist aber auch deswegen zwingend geboten, weil die Einbürgerung nicht dazu dient, einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität zu verschaffen. Es besteht ein erhebliches staatliches Interesse daran zu verhindern, dass ein und dieselbe Person im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren auftreten kann.

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Einer Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren steht nicht entgegen, dass diese bereits regelmäßig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG im aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfen ist. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG gilt allein für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, nicht für die Einbürgerung. Dieser Vorschrift ist auch keine Zuständigkeitsverteilung zwischen Ausländer- und Einbürgerungsbehörde zu entnehmen. Identitätsfeststellungen der Ausländerbehörde haben auch keine Bindungswirkung für das nachfolgende Einbürgerungsverfahren. Erst recht hindert ein nach § 5 Abs. 3 AufenthG zulässiges Absehen von der Feststellung der Identität die Einbürgerungsbehörde nicht, eine solche Prüfung im staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren durchzuführen.

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Eine Identitätsprüfung ist schließlich nicht deswegen generell ausgeschlossen, weil für die Klägerin als anerkannter Flüchtling nach Art. 34 Satz 1 GFK ein besonderes Wohlwollensgebot gilt. Nach dieser Vorschrift hat die Bundesrepublik Deutschland als vertragsschließender Staat so weit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung anerkannter Flüchtlinge zu erleichtern. Die Bestimmung wirkt zwar insbesondere auf die Betätigung des Einbürgerungsermessens ein (grundlegend Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 C 44.70 - BVerwGE 49, 44 <48>), setzt jedoch zwingende nationale Einbürgerungsvoraussetzungen für Flüchtlinge nicht außer Kraft und ermächtigt auch nicht die Einbürgerungsbehörden, sich im Einzelfall über sie hinwegzusetzen (vgl. Urteile vom 27. September 1988 - BVerwG 1 C 3.85 - Buchholz 130 § 9 RuStAG Nr. 10 und vom 10. Juli 1984 - BVerwG 1 C 30.81 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 24 S. 37).

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Da die Prüfung der Identität notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 und § 11 StAG zwingend vorgeschriebenen Status- und Sicherheitsprüfungen ist, kann sie auch bei anerkannten Flüchtlingen nicht entfallen. Zwar hat der Gesetzgeber die Einbürgerung von Flüchtlingen dadurch erleichtert, dass er in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG (= § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Halbs. 1 StAG 2005) auf die Aufgabe der fremden Staatsangehörigkeit verzichtet hat. Er hat damit den vielfach bestehenden Schwierigkeiten anerkannter Flüchtlinge, eine Entlassung aus dem Staatsverband ihres Herkunftsstaates zu erreichen, Rechnung getragen. Dies lässt jedoch die Notwendigkeit der Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren nicht entfallen. Die völlig ungeprüfte Übernahme der Identitätsangaben von Flüchtlingen würde - wie das Bundesverwaltungsgericht bereits zur Erteilung eines Reiseausweises nach Art. 28 Abs. 1 GFK ausgeführt hat - erhebliche Missbrauchsgefahren nach sich ziehen (vgl. Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 C 1.03 - BVerwGE 120, 206 <213>). Daher kann den bei anerkannten Flüchtlingen typischerweise bestehenden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität nur durch Erleichterungen bei der Beweisführung und durch deren Berücksichtigung bei der Mitwirkungspflicht, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsprüfung Rechnung getragen werden.

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Dem grundsätzlichen Erfordernis einer Identitätsprüfung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im Falle des gesetzlichen Staatsangehörigkeitserwerbs durch Geburt gemäß § 4 Abs. 3 StAG keine Identitätsfeststellung vorgesehen ist und dass auch Kinder von Flüchtlingen mit ungeklärter Identität nach dieser Vorschrift kraft Gesetzes in den deutschen Staatsverband aufgenommen werden. Unabhängig davon, dass diese Rechtsfrage bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, könnte eine insoweit bestehende Ungleichbehandlung ohne Weiteres damit gerechtfertigt werden, dass die staatlichen Sicherheitsinteressen bei der Einbürgerung im Inland geborener Kinder ein geringeres Gewicht haben als bei der Einbürgerung von Erwachsenen und ihren im Ausland geborenen Kindern, die im Ausland regelmäßig mit bestimmter Identität registriert sind und eine für die Einbürgerung relevante Vorgeschichte haben könnten.

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3. Die Identität der Klägerin ist auch nicht in einem vorangegangenen Verfahren verbindlich festgestellt worden.

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Der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren ausgestellte Bescheid vom 31. Mai 1999 entfaltet nach § 4 Satz 1 AsylVfG nur insoweit Bindungswirkung, als alle staatlichen Instanzen von der Asylberechtigung der Klägerin ausgehen müssen. Auch aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 21. April 1999 - 5 A 572/95 - im Asylrechtsstreit der Klägerin ergibt sich keine weitergehende Bindungswirkung. Die Rechtskraft dieser Entscheidung begründet eine verbindliche Feststellung nach § 121 VwGO nur im Verhältnis der damaligen Prozessbeteiligten, zu denen die beklagte Stadt nicht gehört (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 1 C 3.02 - BVerwGE 117, 276 <281>).

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Die von der Ausländerbehörde im Juni 1999 ausgestellte unbefristete Aufenthaltserlaubnis entfaltet nur insoweit Tatbestandswirkung, als darin die Rechtmäßigkeit des dauerhaften Aufenthalts der Klägerin begründet wird. Darin erschöpft sich der für die Tatbestandswirkung maßgebliche Regelungsgehalt des Verwaltungsakts im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG (vgl. zur Tatbestandswirkung allgemein Urteile vom 30. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 14.01 - BVerwGE 117, 351 <354 f.> und vom 4. Juli 1986 - BVerwG 4 C 31.84 - BVerwGE 74, 315 <320>). Hingegen nimmt die Richtigkeit der in den Bescheiden festgehaltenen Personalien als bloße Vorfrage nicht an der Tatbestandswirkung teil.

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Ebenso wenig besitzt der im Oktober 2008 ausgestellte Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 Abs. 1 GFK eine Bindungswirkung hinsichtlich der angegebenen Personalien. Zwar hat ein solcher Reiseausweis neben der Funktion, Konventionsflüchtlingen Reisen außerhalb des Aufnahmestaates zu ermöglichen, grundsätzlich auch die Funktion, die Identität des Ausweisinhabers zu bescheinigen. Er kann ebenso wie ein anderer Reisepass den (widerlegbaren) Nachweis erbringen, dass sein Inhaber die in ihm beschriebene und abgebildete Person ist (vgl. Urteil vom 17. März 2004 a.a.O. S. 212). Ist die Identität eines Flüchtlings jedoch ungeklärt und nicht weiter aufklärbar, kann diese Funktion als Legitimationspapier durch den Vermerk, dass die angegebenen Personalien auf eigenen Angaben beruhen, aufgehoben werden (Urteil vom 17. März 2004 a.a.O. S. 216 f.). Durch den entsprechenden Vermerk im Ausweis der Klägerin vom Oktober 2008 hat die Ausstellungsbehörde jede Gewähr für die Richtigkeit der Identitätsangaben abgelehnt, so dass auch keine andere Behörde auf die Richtigkeit dieser Angaben im Sinne eines auch nur widerlegbaren Nachweises vertrauen kann. In gleicher Weise hatte die Ausstellungsbehörde in dem nicht mehr gültigen früheren Reiseausweis vom Juli 2004 durch den Zusatz "Identität nicht nachgewiesen" die Identifikationsfunktion des Ausweises beseitigt.

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4. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberverwaltungsgericht bei Durchführung der erforderlichen Identitätsprüfung zu einem anderen Ergebnis in der Sache gekommen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen begründete Zweifel an der Identität einer Person, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität fehlen oder wenn gefälschte Urkunden vorgelegt werden (Urteil vom 17. März 2004 a.a.O. S. 215). Im Hinblick auf ihren Prüfauftrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 und 5 sowie § 11 StAG dürfen sich die Einbürgerungsbehörden grundsätzlich nicht mit den eigenen Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person begnügen, sondern sie müssen regelmäßig die Vorlage eines Ausweises oder anderer Identitätsnachweise des Einbürgerungsbewerbers verlangen. Dies folgt auch aus § 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, in dem von der Beibringung von Nachweisen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen die Rede ist. Dies gilt unabhängig davon, dass im Einzelfall die typischerweise bestehende Beweisnot von Flüchtlingen eine Beweiserleichterung gebieten kann.

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Zwar hat das Berufungsgericht in seiner Entscheidung hilfsweise ausgeführt, dass vieles für die Richtigkeit der von der Klägerin angegebenen Personalien und für eine ausreichende Klärung der Identität der Klägerin spreche. Es hat aber nicht im Rahmen einer Beweiserhebung verbleibende Identitätszweifel ausgeräumt. So hat die Beklagte nicht nur geltend gemacht, dass die Klägerin keinerlei Dokumente zum Identitätsnachweis vorgelegt habe, was mit der Beweisnot von Flüchtlingen und Flüchtlingskindern erklärt werden könne. Sie hat jedenfalls im Revisionsverfahren auch vorgetragen, dass der Vater der Klägerin bei seiner Einreise gefälschte Nüfen vorgelegt habe, dass bei der Familie bei Einreise ein arabisches (nicht türkisches) Adressbuch gefunden worden sei und dass erhebliche Unstimmigkeiten zwischen den identitätsrelevanten Aussagen des Vaters der Klägerin in seinem Asylverfahren und ihres Onkels in dessen Asylverfahren bestünden. Mit diesen Einwänden befasst sich das Berufungsurteil nicht.

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Auch bedarf es der Überprüfung, ob die Auskunft des türkischen Generalkonsulats vom 6. Juli 1995, dass die Familie der Klägerin nicht unter den angegebenen Personalien in der Türkei registriert sei, mit dem Hinweis auf die allgemein bestehenden Unzulänglichkeiten des türkischen Melderegisters ausgeräumt werden kann. Denn auch wenn das türkische Melderegister fehleranfällig geführt wird, erklärt dies nicht ohne Weiteres, dass gar kein Mitglied einer mehrköpfigen Familie unter den angegebenen Personalien erfasst ist. Das Oberverwaltungsgericht hat sich auch nicht dahingehend festgelegt, dass die Mitteilung des türkischen Generalkonsulats selbst als staatliche Verfolgungsmaßnahme türkischer Behörden gegenüber der yezidischen Minderheit zu werten sei. Ebenso wenig ist festgestellt worden, dass die türkischen Meldebehörden in der Heimatregion der Klägerin an der mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Form mitgewirkt hätten, dass sie sich generell nicht nur bei der Geburt der Klägerin, sondern auch schon bei der Geburt der Eltern der Klägerin geweigert hätten, Yeziden ins Melderegister einzutragen. Da somit Zweifel an der Identität der Klägerin nicht ausgeräumt sind, ist der Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Nachholung tatrichterlicher Feststellungen an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

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5. Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht wegen der nicht ausgeräumten Zweifel an der Identität der Klägerin weitere Nachforschungen anzustellen hat (§ 86 Abs. 1 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach § 37 Abs. 1 StAG, § 82 Abs. 1 AufenthG an der Klärung ihrer Identität auch im Gerichtsverfahren mitzuwirken hat. Verweigert ein Einbürgerungsbewerber die ihm im Einzelfall zumutbare Mitwirkung, kann dies im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO berücksichtigt werden. Der Einbürgerungsbewerber trägt dann auch das Risiko, im Falle der Unaufklärbarkeit seiner wahren Identität zur vollen Überzeugung des Gerichts daran zu scheitern, dass ihm die materielle Beweislast für die Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzungen obliegt.

(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist,
2.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
3.
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat,
4.
sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist.

(2) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 und 4 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.