Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 21. Juni 2017 - 4 K 271/17.NW

ECLI:ECLI:DE:VGNEUST:2017:0621.4K271.17.00
bei uns veröffentlicht am21.06.2017

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 7. März 2017 verpflichtet, die von der Klägerin am 14. Juni 2016 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage an dem Anwesen Friedhofstraße ... in Elmstein zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die bauaufsichtliche Genehmigung zur Aufstellung einer Plakatanschlagtafel vor dem Gebäude auf dem Grundstück Flurstück-Nr. … in Elmstein, Friedhofstraße ... .

2

Das genannte Grundstück, das mit einem Versorgungsgebäude der Telekom AG bebaut ist, liegt im unbeplanten Innenbereich von Elmstein. Es grenzt im Süden an die Hauptstraße und im Osten an die Friedhofstraße an. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Friedhofstraße befindet sich etwa 20 m vom Versorgungsgebäude der Telekom AG entfernt der Haupteingang zum Friedhof von Elmstein. Dieser ist rund 200 m lang und bis zu 40 m breit; neben Gräbern befinden sich darauf eine Friedhofshalle und ein Ehrenmal. Vor dem Friedhof steht ein neugotisches Friedhofskreuz aus dem Jahre 1896, das ebenso wie das Ehrenmal in der Denkmaltopographie des Landkreises Bad Dürkheim als Kulturdenkmal eingetragen ist. Westlich der Friedhofstraße stehen ausschließlich Wohngebäude. Auf der Hauptstraße östlich des Anwesens Friedhofstraße ... befinden sich beidseits der Straße Wohngebäude und gewerbliche Betriebe (Gärtnerei mit Blumengeschäft, Backhaus, Installateurbetrieb, Kosmetikstudio). In westlicher Richtung verschwenkt die Hauptstraße nach rechts; die Bebauung beidseits der Straße besteht aus Wohngebäuden und Gewerbebetrieben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Lageplan sowie die Niederschrift über den Ortstermin am 21. Juni 2017 mit den dort angefertigten Lichtbildern verwiesen.

3

Die Klägerin stellte am 14. Juni 2016 einen Antrag auf Genehmigung einer unbeleuchteten Plakatanschlagtafel im Euroformat (ca. 3,8 m x 2,8 m) auf dem Grundstück Flurstück-Nr. … in Elmstein, Friedhofstraße ..., dessen Eigentümer mit der Errichtung der Werbetafel einverstanden ist. Die Werbeanlage soll unmittelbar an der Wand des Versorgungsgebäudes der Telekom AG angebracht werden, so dass sie insbesondere von den aus Osten kommenden Kraftfahrzeugführern wahrgenommen werden kann.

4

Der Beklagte beteiligte die Beigeladene an dem Baugenehmigungsverfahren, die am 23. Juni 2016 ihr Einvernehmen zu dem Bauvorhaben versagte. Daraufhin lehnte der Beklagte den Bauantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. März 2017 unter Bezugnahme auf die Versagung des Einvernehmens durch die Beigeladene ab. Es handele sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, in das sich die Anlage zur gewerblichen Fremdwerbung nicht einfüge. Im allgemeinen Wohngebiet seien Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig.

5

Bereits zuvor hatte die Klägerin am 6. März 2016 Untätigkeitsklage erhoben. Sie führt aus, sie habe einen durch Art. 14 Grundgesetz – GG – geschützten Anspruch auf Erteilung einer Bauerlaubnis, wenn dem Vorhaben keine von der Behörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden. Vorliegend seien Versagungsgründe nicht ersichtlich.

6

Die Klägerin beantragt,

7

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 7. März 2017 zu verpflichten, die am 14. Juni 2016 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage an dem Anwesen Friedhofstraße … in Elmstein zu erteilen.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Er bezieht sich zur Begründung auf den ergangenen Bescheid und weist darauf hin, dass sich vor und auf dem Friedhof der Beigeladenen zwei Kulturdenkmäler befänden.

11

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

12

Sie trägt vor, der geplante Standort der Werbeanlage befinde sich wegen der Nähe zum Friedhof in einem sensiblen Bereich. Die Besucher des Friedhofs würden durch den Anblick der Werbetafel in ihrem Pietätsempfinden gestört.

13

Der Einzelrichter hat über die bauplanungsrechtliche Einordnung des Grundstücks Beweis erhoben durch Vornahme einer Ortsbesichtigung. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 21. Juni 2017 Bezug genommen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze des Beklagten sowie die Verwaltungsakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

16

I. Die gemäß § 42 Abs. 1 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – statthafte Verpflichtungsklage ist auch ansonsten zulässig.

17

Sie war ursprünglich als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhoben worden, nachdem der Beklagte mehr als drei Monate nach dem Antrag der Klägerin vom 14. Juni 2016 auf Erteilung einer Baugenehmigung untätig geblieben war. Gemäß § 75 Satz 1 und 2 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten u.a. seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Hier war die Frist von drei Monaten bereits seit Mitte September 2017 abgelaufen, ohne dass es einen sachlichen Grund für die Nichtbescheidung des Antrags gab.

18

Die somit zulässigerweise erhobene Klage blieb auch zulässig ungeachtet dessen, dass der Beklagte die Klägerin nach Klageerhebung am 7. März 2017 ablehnend beschieden und die Klägerin insoweit Widerspruch nicht erhoben hat. Denn das angerufene Gericht hat dem Beklagten keine Frist nach § 75 Satz 3 VwGO wegen eines zureichenden Grundes gesetzt und das Verfahren auch nicht ausgesetzt. Nur bei einer ablehnenden Bescheidung innerhalb einer vom Gericht nach § 75 Satz 3 VwGO bestimmten Frist wäre die gerichtliche Sachentscheidung erst nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens zulässig gewesen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 1995 – 3 C 24/94 –, NVwZ 1997, 179 m.w.N.). Die Klägerin konnte somit den nachträglich ergangenen ablehnenden Bescheid vom 7. März 2017 ohne Durchführung eines Vorverfahrens in das anhängige Klageverfahren einbeziehen (vgl. Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 75 Rn. 72 m.w.N.).

19

II. Die Verpflichtungsklage ist auch in der Sache begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach §§ 70 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 4 Satz 1 Landesbauordnung – LBauO –, da die geplante Werbeanlage sowohl bauplanungsrechtlich (1.) als auch bauordnungsrechtlich (2.) zulässig ist.

20

1. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich nach § 34 BaugesetzbuchBauGB –, weil sich das in Aussicht genommene Grundstück nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, jedoch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet.

21

1.1. Bezüglich der Art der baulichen Nutzung ist das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BaunutzungsverordnungBauNVO – zu beurteilen. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht nach den beim Augenscheinstermin gewonnenen Erkenntnissen einem Mischgebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung. Als zur planungsrechtlichen Beurteilung des Vorhabens maßgeblicher näherer Umgebung ist dabei die beiderseitige Bebauung der Hauptstraße im Bereich zwischen dem Ortseingang und der Verschwenkung der Hauptstraße heranzuziehen. Dagegen hat mit Ausnahme des Grundstücks Flurstück-Nr. … und des Friedhofgrundstücks Flurstück-Nr. …, die beide auch der Hauptstraße zugewandt sind, die beiderseitige Bebauung entlang der Friedhofstraße außer Betracht zu bleiben.

22

Die so bestimmte nähere Umgebung weist Wohnnutzung, aber auch einen nicht unerheblichen Grad sonstiger nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässiger Nutzung auf (Gärtnerei und Blumengeschäft, Bäckerei, Haustechnikgeschäft, Massage- und Kosmetikstudio, momentan aufgegebenes Schuhgeschäft). Hier stehen Wohnen und Gewerbe in einem § 6 BauNVO entsprechendem Mischverhältnis, ohne dass eine Nutzung die andere Nutzung mischgebietsunverträglich überwiegt. Insoweit ist es ausreichend, dass im jeweiligen Gebiet eine der beiden Hauptnutzungsarten nicht nach Anzahl und/oder Umfang beherrschend und in diesem Sinne „übergewichtig“ in Erscheinung tritt (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 – 4 C 34/86 –, NJW 1988, 3168).

23

Eine Werbeanlage, die – wie hier – Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt bauplanungsrechtlich eine eigenständige Hauptnutzung in Form einer nicht störenden gewerblichen Nutzung dar (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 – 4 C 27/91 –, NVwZ 1993, 983). Insoweit hält sich die beantragte geplante Werbetafel im Euroformat innerhalb des vorgegebenen Rahmens der näheren Umgebung. Angesichts der sich dort ebenfalls befindlichen gewerblichen Nutzungen ist nicht erkennbar, dass die Errichtung des Bauvorhabens unzulässige bodenrechtlich beachtliche Spannungen begründen würde. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die fehlende Beleuchtung der Plakatwand. Gerade deswegen kommt der Werbeanlage keine Störwirkung auf die in der Umgebung vorhandene Bebauung zu.

24

Bei der Werbetafel handelt es sich um einen im innerstädtischen Bereich typischen Anblick, so dass auch eine Ortsbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB nicht zu befürchten ist. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass das Ortsbild in dem betreffenden Bereich der Hauptstraße eine besondere Wertigkeit für die Allgemeinheit hätte. Einer solchen stehen bereits die gewerblichen Nutzungen, mit denen die Wohnnutzung in Konkurrenz tritt, entgegen. Davon abgesehen stellt die das Ortsbild schützende bundesrechtliche Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB auf einen größeren maßstabsbildenden Bereich als auf die für das Einfügungsgebot maßgebliche nähere Umgebung ab. Es kommt insoweit auf das Ortsbild als auch auf das Erscheinungsbild – zumindest eines größeren Bereichs der jeweiligen Gemeinde bzw. deren Ortsteil – an (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2000 – 4 C 14/98 –, NVwZ 2000, 1169; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 A 10942/08 –, DVBl 2009, 67). Das sog. „große Ortsbild“ wird durch das Bauvorhaben nicht berührt. Zu berücksichtigen gilt es insoweit auch, dass die Zweckbestimmung von Werbeanlagen gerade darin liegt, auf ihre Werbebotschaft aufmerksam zu machen. Werbeanlagen liegen mithin regelmäßig der Tendenz zugrunde, aus ihrer Umgebung in gewisser Weise hervorzustechen. Hieraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sie deshalb per se in einem auffälligen Kontrast zu ihrer Umgebung stehen. Dass die unbeleuchtete Werbeanlage im Euroformat insoweit einen auffälligen Fremdkörper zu ihrer Umgebung darstellen würde, ist für das Gericht – auch nach den beim Augenscheinstermin gewonnenen Erkenntnissen – nicht erkennbar.

25

1.2. Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung fügt sich die geplante Werbeanlage in die Eigenart ihrer näheren Umgebung ein. Großflächige Werbetafeln für wechselnde Plakatwerbung der üblichen Art liegen allgemein von der Flächengröße durchweg in dem Rahmen, der sich aus dem in der Umgebung verwirklichten Maß der baulichen Nutzung ergibt. Sie fügen sich deshalb vom Maß der baulichen Nutzung regelmäßig in die Eigenart der näheren Umgebung ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1994 – 4 C 19/93 –, NVwZ 1995, 897).

26

1.3. Die Werbetafel verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil sie in räumlicher Nähe zum örtlichen Friedhof errichtet werden soll.

27

Das Rücksichtnahmegebot ist bei Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB der von der in dieser Bestimmung enthaltenen Verweisung mit umfassten Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauNVO zu entnehmen und ist ansonsten in dem Einfügenserfordernis des § 34 Abs. 1 BauGB verankert. Um rücksichtslos zu sein, müsste die Werbetafel nach Nutzungsart, Größe, Lage und Umfang die Nutzung des angrenzenden Friedhofs durch die Friedhofsbesucher unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar beeinträchtigen. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.

28

Zwar gehört zur Ermöglichung einer ordnungsgemäßen und ihrer Bestimmung entsprechenden Nutzung eines Friedhofs auch die gesellschaftlich anerkannte würdevolle Ausübung des Totengedenkens (s. VG Neustadt, Beschluss vom 9. Februar 2017 – 3 L 121/17.NW –, juris). Das Recht auf Totenfürsorge der Hinterbliebenen, das u.a. Grabpflege und Totengedenken umfasst, ist verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Dezember 2016 – 1 BvR 1380/11 –, juris). Gemäß § 8 Abs. 1 Bestattungsgesetz RhPf – BestG – sind die Würde des Toten und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit zu achten. Der Schutz des Totengedenkens fordert daher Rücksichtnahme durch die Nachbarschaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 – 4 C 14/10 –, NVwZ 2012, 825). Da Friedhöfe üblicherweise Orte der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen sind, bedarf es gegenüber der unmittelbaren Nachbarschaft eines Friedhofs eines besonderen Schutzes vor mit der Wohn- oder gewerblichen Nutzung einhergehenden Alltagsbeschäftigungen der Grundstücksnachbarn, die mit dem Totengedenken und dem Pietätsgefühlen der Trauernden nicht im Einklang stehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Mai 2011 – 8 S 507/11 –, juris).

29

Soweit die Beigeladene befürchtet, der Schutz des Totengedenkens und des Pietätsgefühls der Hinterbliebenen sei infolge der Errichtung einer Werbetafel an der besagten Stelle in Gefahr, kann dem nicht gefolgt werden. Die Friedhofsbesucher sind, wie die Ortsbesichtigung gezeigt hat, während ihres Aufenthalts auf dem Friedhof der Werbeanlage der Klägerin gerade nicht unmittelbar ausgesetzt. Auf dem gesamten Friedhofsgelände ist die Werbeanlage nicht wahrnehmbar. Dass die Friedhofsbesucher auf dem Weg zum Friedhof an der Werbeanlage vorbeikommen, stellt keine Beeinträchtigung von einigem Gewicht dar, die es rechtfertigen könnte, von einer besonderen Rücksichtslosigkeit auszugehen.

30

2. Die Werbeanlage verstößt auch nicht gegen die bauordnungsrechtliche Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 oder 2 LBauO. Danach sind Werbeanlagen mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten und deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören. Auf Kultur- und Naturdenkmäler und auf andere erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung ist besondere Rücksicht zu nehmen.

31

2.1. Die genannten bauordnungsrechtlichen Vorschriften sind hier anwendbar. Zwar wird für Werbeanlagen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 9 LBauO lediglich ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren durchgeführt mit der Folge, dass gemäß § 66 Abs. 4 LBauO bauordnungsrechtliche Vorschriften grundsätzlich nicht zu prüfen sind. § 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO bestimmt aber ausdrücklich, dass die Vorschrift des § 52 LBauO Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren ist.

32

2.2. Die Beigeladene hat auch diesbezüglich moniert, der geplante Standort der Werbeanlage befinde sich wegen der Nähe zum Friedhof von Elmstein in einem sensiblen Bereich; die Besucher des Friedhofs würden durch den Anblick der Werbetafel in ihrem Pietätsempfinden gestört. Nach Auffassung der Kammer greift dieser Einwand jedoch ebenso wenig durch wie bei der Prüfung des Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot.

33

Verunstaltung im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 LBauO bedeutet nicht bereits jede Störung der architektonischen Harmonie, also nicht jede Unschönheit, sondern nur einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Maßgeblich ist dabei, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst und als belastend sowie Unlust erregend empfunden wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 1995 – 4 B 70/95 –, NJW 1995, 2648; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 1988 – 1 A 82.86.OVG –, BRS 48 Nr. 111; Jeromin in Jeromion, Landesbauordnung RhPf, 4. Auflage 2016, § 5 Rn. 24). Das Verunstaltungsverbot bezweckt, krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete durch das Hinzutreten störender baulicher Anlagen abzuwehren. Ob eine Werbeanlage in diesem Sinne verunstaltend wirkt und welcher Umgriff dabei mit einzubeziehen ist, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, insbesondere des Standorts der Anlage, der Art und Struktur der in der näheren Umgebung vorhandenen Gebäude, Straßenzüge und Landschaftsteile zu beurteilen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 A 10942/08 –, BauR 2009, 799; vgl. auch OVG Saarland, Urteil vom 12. Mai 2016 – 2 A 202/15 –, juris).

34

Gemessen an diesen Grundsätzen ist nicht ersichtlich, dass die streitgegenständliche Werbeanlage an ihrem vorgesehenen Aufstellungsort das Straßen- Orts- und Landschaftsbild in diesem Bereich verunstalten könnte. Nach Einnahme des Augenscheins ist das Gericht vielmehr zur Überzeugung gelangt, dass von der geplanten Werbeanlage keine Wirkung ausgehen wird, die das ästhetische Empfinden eines maßgeblichen Teils der Passanten und Friedhofsbesucher – und damit des sog. gebildeten Durchschnittsbetrachters – beeinträchtigen oder verletzen wird.

35

Zwar befindet sich der Aufstellungsort der Werbeanlage in räumlicher Nähe zum Haupteingang des örtlichen Friedhofs und somit nicht an einem für eine Werbeanlage – zumal solcher Größe – prädestinierten Aufstellungsort. Allerdings wird aufgrund der Entfernung von ca. 20 m zum Friedhofszugang der Bezug zum Friedhof in einer eine pietätlose Wirkung ausschließenden Weise relativiert. Die zwischen dem Friedhofszugang und der streitgegenständlichen Werbeanlage befindliche Friedhofstraße bewirkt, dass die Werbeanlage aus den wesentlichen Blickwinkeln für die Mehrzahl der Betrachter tendenziell der Hauptstraße zugeordnet erscheint, einem für solche Werbeanlagen im innerstädtischen Bereich nicht unüblichem Standort. Soweit der Betrachter den Friedhofszugang auf einer Sichtachse von 180° und somit direkt vor sich hat, tritt die Werbeanlage kaum noch in Erscheinung. Folglich verstößt die streitgegenständliche Werbeanlage trotz ihrer mittelbaren Friedhofsnähe nicht gegen das Verunstaltungsverbot des § 5 Abs. 2 Satz 1 LBauO.

36

2.3. Dem Vorhaben steht nach Auffassung der Kammer auch nicht § 5 Abs. 2 Satz 2 LBauO entgegen. Hiernach ist auf Kulturdenkmäler – worunter auch das Ehrenmal auf dem Friedhofsgelände sowie das neugotische Friedhofskreuz aus dem Jahre 1896 vor dem Friedhof fallen – besondere Rücksicht zu nehmen. Bei der Beurteilung, ob die geforderte „besondere Rücksichtnahme“ vorliegt, ist nicht von dem Urteil eines geschulten Betrachters, sondern von dem Empfinden des sog. gebildeten Durchschnittsmenschen auszugehen. Denn anders als bei der Frage der Denkmaleigenschaft eines Bauwerks, deren Beantwortung ein gewisses Vertrautsein mit dem Beurteilungsgegenstand voraussetzt, kommt es bei der bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 LBauO mehr auf die Bewertung der möglichen ästhetischen Beeinträchtigung eines Denkmals an. Von einer relevanten Beeinträchtigung des Denkmalschutzes im Sinne dieser Vorschrift und damit von einer Verletzung der besonderen Rücksichtnahme wird man indessen nicht ausgehen können, wenn der freie Blick auf das Denkmal oder dessen optisches Gewicht durch das betreffende Vorhaben lediglich unwesentlich verändert werden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Oktober 1993 – 1 A 12520/92.OVG –).

37

Die Ortsbesichtigung hat nicht ergeben, dass das Vorhaben der Klägerin die in § 5 Abs. 2 Satz 2 LBauO geforderte besondere Rücksichtnahme auf die in Rede stehenden Kulturdenkmäler vermissen lässt. Während das Ehrenmal auf dem Friedhof vom Standort der Werbeanlage nicht zu sehen ist, wird der freie Blick auf das vor dem Friedhof stehende neugotische Friedhofskreuz nicht beeinträchtigt.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.

39

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

40

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

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(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

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(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören.

(2) Zulässig sind

1.
Wohngebäude,
2.
Geschäfts- und Bürogebäude,
3.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
4.
sonstige Gewerbebetriebe,
5.
Anlagen für Verwaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
6.
Gartenbaubetriebe,
7.
Tankstellen,
8.
Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Absatz 3 Nummer 2 in den Teilen des Gebiets, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind.

(3) Ausnahmsweise können Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Absatz 3 Nummer 2 außerhalb der in Absatz 2 Nummer 8 bezeichneten Teile des Gebiets zugelassen werden.



Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008 wird die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2008 verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erteilende Baugenehmigung für die Errichtung zweier Werbeanlagen, die ihr wegen Verletzung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots versagt wurde.

2

Mit Antrag vom 14. Juni 2006 begehrte sie die Genehmigung für vier beleuchtete Werbeanlagen im sogenannten Euro-Format (3,80 m x 2,70 m) an der Rückseite des Gebäudes Am Bubenpfad ..., die der Straße Kaiserwörthdamm zugewandt ist. Hierbei handelt es sich um eine Ein- und Ausfahrtstraße in die Stadt L., die in beiden Richtungen zweispurig ausgebaut ist. In der näheren Umgebung befinden sich eine Mercedes-Benz-Niederlassung, zwei Tankstellen und eine ATU-Werkstatt. Der Antragseingang wurde am 19. Juni 2006 unter dem Vorbehalt einer Vollständigkeitsüberprüfung der Bauunterlagen bestätigt. Anlässlich einer Ortsbesichtigung Ende September 2006 wurde festgestellt, dass die Werbetafeln sämtlich bereits angebracht wurden. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2006 wurde die Befestigung der beiden äußeren Werbetafeln genehmigt. Für die beiden inneren Werbetafeln wurde die Genehmigung im Wesentlichen aus Gründen der Stadtbildpflege untersagt, weil sie unsensibel in das Fensterband einschnitten und damit die gesamte Gebäudefassade verunstalteten.

3

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Stadtrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2008 zurück: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO deshalb nicht eingetreten, weil die Bearbeitungsfrist erst nach Bestätigung der Vollständigkeit der Bauunterlagen in Lauf gesetzt werde und eine solche Bestätigung hier nicht erfolgt sei. In der Sache sei die Baugenehmigung deshalb abzulehnen, weil mit den beiden inneren Werbeanlagen eine störende Häufung solcher Anlagen auftrete. Das Erscheinungsbild der klar gegliederten Fassade werde empfindlich gestört.

4

Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortsbesichtigung mit Urteil vom 11. Juni 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die bauordnungsrechtliche Frage der verunstaltenden Wirkung der beiden Werbeanlagen sei zu Recht ausschließlicher Streit und Prüfungsgegenstand des Verfahrens. Zwar unterlägen Werbeanlagen dem vereinfachten Genehmigungsverfahren, so dass bauordnungsrechtliche Gesichtspunkte grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien. Dennoch dürfte die Bauaufsichtsbehörde auch in einem solchen Verfahren einzelne bauordnungsrechtliche Fragen behandeln, die sich ihr zur Prüfung aufdrängten. Dies leite sich aus ihrer in § 59 Abs. 1 Satz 1 LBauO niedergelegten Verpflichtung ab, auf die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorschriften hinzuwirken. Aufgrund der Entscheidung der Behörde werde der von Gesetzes wegen beschränkte Umfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens partiell bauordnungsrechtlich angereichert, was sich auch auf den Streitgegenstand der Verpflichtungsklage erstrecke. In der Sache folge die Kammer der Einschätzung der Beklagten, dass die straßenseitige Front der Fassade des Gebäudes Am Bubenpfad ... durch das waagerecht verlaufende Fensterband geprägt und strukturiert werde. Dieses klare Erscheinungsbild werde durch die beiden vor dem Fensterband angebrachten großflächigen Werbeanlagen empfindlich gestört, und zwar derart, dass ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand entstehe.

5

Die Klägerin führt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen aus: Zunächst habe sie einen Anspruch darauf, den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO festzustellen. Die dreimonatige Entscheidungsfrist sei auch ohne Vollständigkeitsfeststellung der Behörde in Lauf gesetzt worden, weil diese es pflichtwidrig unterlassen habe, diese Feststellung innerhalb der vorgegebenen 10-Tage-Frist zu erklären. Es sei eine weit verbreitete Praxis der Baubehörden des Landes Rheinland-Pfalz, von dieser Vollständigkeitsfeststellung abzusehen, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern. Um dieses Verhalten effektiv zu sanktionieren, komme die entsprechende Anwendung von § 162 Abs. 1 BGB (Verhinderung des Bedingungseintritts) in Betracht. Jedenfalls sei aber der Hilfsantrag begründet. Sie habe einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO, da ihr Vorhaben mit bauplanungsrechtlichen Vorschriften vereinbar sei. Bauordnungsrecht sei nicht Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Einhaltung dieser Bestimmungen obliege der Eigenverantwortung des Bauherrn. Ob bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegenstünden, müsse zum Zeitpunkt der Errichtung der Anlage entschieden werden. Insofern könnten sich die Umstände im Laufe der Gültigkeit der Baugenehmigung durchaus auch zugunsten des Bauherrn ändern, weshalb er ein berechtigtes Interesse an der vorherigen Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens habe. Es stelle einen rechtswidrigen Kunstgriff dar, wenn die Bauaufsichtsbehörde das Prüfungsprogramm um das Bauordnungsrecht erweitern dürfe. Die dahingehende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz stehe insofern im Kreis der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung allein. Auch das Abstellen auf ein fehlendes Sachbescheidungsinteresse für den Bauantrag bzw. auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse für eine entsprechende Verpflichtungsklage stelle eine unzulässige Umgehung der mit dem vereinfachten Genehmigungsverfahren bezweckten Einschränkung des präventiven Prüfungsprogramms dar.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

7

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008

8

1. festzustellen, dass die Baugenehmigung für die beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. als erteilt gilt ,

9

hilfsweise,

10

2. die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2008 zu verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Berufung zurückzuweisen.

13

Zur Begründung führt sie aus, dass die Genehmigungsfiktion aus den im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen nicht eingetreten sei. Hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens sei es unter dem Gesichtspunkt des Sachbescheidungsinteresses zulässig, auch bauordnungsrechtliche Vorschriften zu prüfen. Hier liege ein offensichtlicher Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot vor. Die Ausdehnung des Prüfungsprogramms sei gerade bei Werbeanlagen sinnvoll, weil die Verlagerung bauordnungsrechtlicher Fragen in das repressive baubehördliche Verfahren dem Betreiber ungerechtfertigte Vorteile einer zwischenzeitlichen Nutzungsmöglichkeit verleihe.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung hat hinsichtlich des hilfsweise erhobenen Verpflichtungsbegehrens Erfolg.

I.

16

Der Hauptantrag ist zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

17

Bei dem erst im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion für die beiden inneren Werbeanlagen handelt es sich um eine Klageerweiterung, die jedoch nach § 91 Abs. 1 VwGO wegen der Einwilligung des Beklagten zulässig ist.

18

Der Antrag ist indes nicht begründet. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 Satz 5 LBauO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt die Baugenehmigung als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der nach den Sätzen 2 und 3 maßgeblichen Frist entschieden worden ist. Der Beginn der hiernach maßgeblichen Bearbeitungsfrist ist in § 66 Abs. 4 Satz 2 eindeutig dahin geregelt, dass die Frist erst „nach Feststellung der Vollständigkeit“ in Lauf gesetzt wird, was aufgrund des systematischen Zusammenhangs dahin zu verstehen ist, dass es sich - entsprechend § 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO - um eine schriftliche Feststellung der Vollständigkeit handeln muss (vgl. die Urteile des Senats vom 20. Februar 2002, DVBl. 2002, 724 und vom 4. Juli 2007, BauR 2007, 1718; zuletzt: Beschluss des Senats vom 5. September 2008 - 8 A 10701/08.OVG -). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung reicht es nicht aus, dass die Behörde nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO verpflichtet gewesen wäre, die Vollständigkeit innerhalb der dort vorgesehenen Prüfpflicht „binnen 10 Werktagen“ festzustellen. Denn der Gesetzgeber hat diese 10-Werktage-Frist ausdrücklich nicht „fiktionsbewehrt“ ausgestaltet (vgl. das Urteil vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Hat der Gesetzgeber aber lediglich an das Verstreichen der Entscheidungsfrist nach § 66 Abs. 4 LBauO eine Fiktionswirkung geknüpft, nicht aber an das Verstreichen der Prüffrist für die Vollständigkeit des Bauantrags, kommt ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB (Vereitelung des Bedingungseintritts) entgegen der Auffassung des Klägers von vornherein nicht in Betracht. Dies bedeutet nicht, dass das gesetzwidrige Unterlassen der Vollständigkeitsprüfung und -bestätigung sanktionslos bleibt. So kann die pflichtwidrige Unterlassung der Vollständigkeitserklärung Amtshaftungsansprüche wegen verspäteter Erteilung der Baugenehmigung auslösen (vgl. das Urteil des Senats vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Im Übrigen ist es Sache des Gesetzgebers, auch die 10-Werktage-Frist nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO um eine Fiktionswirkung zu ergänzen, sollte er den Eindruck gewinnen, die in § 66 Abs. 4 LBauO angeordnete Entscheidungsfrist werde von den Baubehörden durch pflichtwidriges Unterlassen der Vollständigkeitserklärung in großem Umfang unterlaufen, wie von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen wird, wofür dem Senat indes bislang ausreichende Anhaltspunkte fehlen.

II.

19

Mit dem Hilfsantrag hat die Klage indessen Erfolg.

20

Das Verpflichtungsbegehren ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an der Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO nicht abgesprochen werden. Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet, weil die eingeschränkten Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

21

1. Zum Prüfungsprogramm für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erlassenden Baugenehmigung führt der Senat zunächst aus:

22

Streitgegenstand der Verpflichtungsklage ist die Rechtsbehauptung des Klägers, dass die beantragte Genehmigung im Hinblick auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage zu Unrecht verweigert worden ist, mithin nach den gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt besteht (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 121 Rn. 28).

23

Der Beklagte ist zum Erlass der beantragten Baugenehmigung verpflichtet, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO). Die danach umfassende Prüfungspflicht der Behörde ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren dahingehend eingeschränkt, dass lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kontrollieren ist (§ 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO); bauordnungsrechtliche Bestimmungen gehören nicht hierzu (vgl. Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, MinBl. S. 90 zu § 66 Abs. 3). Werbeanlagen unterfallen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 LBauO dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Zurücknahme der präventiven Kontrolle verfolgt den Zweck der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger Stärkung der Verantwortung des Bauherrn und seiner qualifizierten Beauftragten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zur LBauO 1986, LT-Drucks. 10/1344, S. 90; das Urteil des Senats vom 23. Oktober 2002 - 8 A 10994/02.OVG -, S. 7 d.U., ESOVGRP; Jeromin, LBauO, 2. Aufl. 2008, § 66 Rn. 57).

24

Der gesetzlichen Einschränkung der präventiven Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde korrespondiert ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der entsprechend eingeschränkten Voraussetzungen, d.h. der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum gesetzlichen Prüfungsprogramm gehörenden Vorschriften. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Bauaufsichtsbehörde nicht befugt, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilende Baugenehmigungen zu erweitern. Dies hat zur Folge, dass Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nach § 66 LBauO und Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens auseinanderfallen können. Diese Konsequenz der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens haben die mit Bausachen befassten Senate des erkennenden Gerichts bereits in den Urteilen vom 17. Juli 1996 (AS 26, 227 - LS 3 -, 8. Senat) und vom 26. September 1996 (AS 26, 267 [274 f.], 1. Senat) näher erläutert.

25

Die vom Verwaltungsgericht angenommene Erweiterung des Regelungsgehalts der - ablehnenden - Behördenentscheidung mit entsprechender Erweiterung des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage im anschließenden Verwaltungsprozess findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr kann der Bauherr die Erteilung der Genehmigung verlangen, sofern die im Gesetz geregelten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und nicht ausnahmsweise das Sachbescheidungsinteresse zu verneinen ist.

26

Lediglich im umgekehrten Fall der Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO ist es denkbar, dass die Behörde die - entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm - beschränkte Feststellungswirkung des Bescheids um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften ergänzt, und zwar mit entsprechenden Auswirkungen auf den Streitgegenstand des anschließenden Verwaltungsprozesses. Denn die in diesem Fall in Betracht kommende Anfechtungsklage eines Nachbarn hat sämtliche Regelungsteile (Feststellungswirkungen) der Baugenehmigung zum Gegenstand. Der Nachbar ist in einem solchen Fall auch gehalten, die Baugenehmigung in vollem Umfang anzugreifen, um zu verhindern, dass hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Feststellungen Bestandskraft eintritt. Auf diese prozessuale Folgewirkung hat der Senat in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 23. Oktober 2002 hingewiesen und ergänzend ausgeführt, dass eine solche Verfahrensweise der Behörde aus Gründen der Verfahrensvereinfachung gerechtfertigt sein kann, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen (vgl. a.a.O., S. 7 f. d.U.).

27

Erkennt die Behörde im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens hingegen Umstände, die für eine Unvereinbarkeit des Vorhabens mit Bauordnungsrecht sprechen, so ist ihr aus den oben dargelegten Gründen zwar eine Erweiterung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen untersagt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie deshalb jedoch nicht verpflichtet, diese bauordnungsrechtlichen Fragen im vereinfachten Genehmigungsverfahren gänzlich auszublenden. So entspricht es ihrer allgemeinen Aufgabe zur Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 59 Abs. 1 LBauO), wenn sie die Baugenehmigung nach § 66 LBauO um Hinweise zu möglichen Verletzungen bauordnungsrechtlicher Vorschriften ergänzt (vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 18. November 1991, AS 23, 321 [323]; auch: BayVGH, Beschluss vom 6. Juni 2002, BauR 2003, 683 - zusätzliche Anordnungen, die mit der Baugenehmigung verbunden werden können -).

28

Darüber hinaus entspricht es langjähriger Rechtsprechung der beiden Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, dass die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren abgelehnt werden kann, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstößt. Grundlage hierfür ist nicht die Erweiterung des gesetzlichen Prüfungsprogramms und der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Baugenehmigung, sondern die davon zu trennende verfahrensrechtliche Anforderung des Sachbescheidungsinteresses, dem im gerichtlichen Verfahren das Rechtsschutzinteresse entspricht. Der Bauherr hat nämlich kein schutzwürdiges Interesse an der Genehmigung eines Vorhabens, von dem ausgeschlossen ist, dass er es legal verwirklichen kann (vgl. OVG RP, Urteil vom 17. Juli 1996, a.a.O., LS 1; Urteil vom 26. September 1996, a.a.O., S. 275; Urteil vom 23. Oktober 2002, a.a.O., S. 8 d.U.; auch bereits: Urteil vom 9. Juni 1993 - 8 A 10876/92.OVG -, S. 10 d.U.; ferner: Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, a.a.O.). Die Berücksichtigung von Anforderungen an das Bauvorhaben außerhalb des gesetzlichen Prüfungsprogramms der Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Beurteilung des Sachbescheidungsinteresses ist ein allgemeiner verfahrensrechtlicher Grundsatz, der nicht auf das vereinfachte Genehmigungsverfahren beschränkt ist, sondern ebenso etwa bei der eingeschränkten Prüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde wegen paralleler Genehmigungsvorbehalte zugunsten anderer Behörden Anwendung findet (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 2 LBauO). Dass die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt fehlenden Sachbescheidungsinteresses versagen kann, wenn das Bauvorhaben in Widerspruch zu Anforderungen steht, die nicht Gegenstand des eingeschränkten Prüfungsprogramms sind, entspricht entgegen der Auffassung der Klägerin der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur einschließlich der von ihr selbst vorgelegten Urteile (vgl. Jäde, BayVBl. 2005, 301 m.w.N.; Schretter/Schenk, in: Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2004, 14. Kapitel, Rn. 24 m.w.N.; BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, BayVBl. 2006, 537 und juris Rn. 18; BayVGH, Beschluss vom 3. September 2007 – 1 ZB 07.151 -, juris Rn. 14; VG Gießen, Urteil vom 31. März 2008 - 1 K 99/08.Gi - S. 8 d.U.).

29

Fehlendes Sachbescheidungsinteresse kann freilich nur dann angenommen werden, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass das nach § 66 LBauO zu genehmigende Vorhaben wegen entgegenstehender sonstiger Vorschriften offensichtlich nicht verwirklicht werden darf (vgl. BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, a.a.O., Rn. 18). Weil die Anwendung der sonstigen Vorschriften nicht zum Prüfungsprogramm der Behörde gehört, ist deren Berücksichtigung im Rahmen der Prüfung des Sachbescheidungsinteresses auf eine Evidenzkontrolle beschränkt.

30

2. Nach dem so vorgegebenen Prüfungsrahmen hat die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsbegehren Erfolg.

31

a) Zunächst ist der Verpflichtungsantrag zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Klägerin das hierfür erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden.

32

Das Rechtsschutzinteresse an der Verpflichtung zur Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO würde fehlen, wenn ausgeschlossen wäre, dass die Klägerin mit dieser Baugenehmigung etwas anfangen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn das Bauvorhaben aus anderen als den zum Prüfungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehörenden Gründen dauerhaft nicht verwirklicht werden dürfte. Dies haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht hier mit der Begründung bejaht, dass die beiden inneren Werbeanlagen auf die Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... verunstaltend wirkten und damit bauordnungsrechtlich unzulässig seien. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

33

Werbeanlagen sind nach § 5 Abs. 2 Satz 1/§ 52 Abs. 2 Satz 1 LBauO mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten. Als Sondertatbestand einer Verunstaltung verbietet § 52 Abs. 2 Satz 2 LBauO die störende Häufung von Werbeanlagen.

34

Verunstaltung bedeutet nicht bereits jede Störung der architektonischen Harmonie, also nicht jede Unschönheit, sondern nur einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Maßgeblich ist dabei, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 1995, NJW 1995, 2648). Das Verunstaltungsverbot bezweckt, krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete durch das Hinzutreten störender baulicher Anlagen abzuwehren (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ob eine Werbeanlage in diesem Sinne verunstaltend wirkt und welcher Umgriff dabei mit einzubeziehen ist, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, insbesondere des Standorts der Anlage, der Art und Struktur der in der näheren Umgebung vorhandenen Gebäude, Straßenzüge und Landschaftsteile zu beurteilen (vgl. BayVGH, Urteil vom 15. März 2007 - 26 B 05.3020 -, juris, Rn. 11).

35

Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier nach Auffassung des Senats noch nicht von einer verunstaltenden Wirkung der streitgegenständlichen beiden inneren Werbeanlagen auf das Orts- und Straßenbild auszugehen . Hiergegen spricht zunächst die Lage des Gebäudes Am Bubenpfad ... in einem faktischen Gewerbegebiet. In einem solchen Gebiet sind Werbeanlagen grundsätzlich allgemein zulässig und entfalten auch nur ausnahmsweise störende Wirkung. Eine solche Ausnahme mit verunstaltender Wirkung ist hier auch nicht im Hinblick auf den Anbringungsort der Anlagen gegeben. Wie sich aus den zu den Akten gereichten Fotografien ohne weiteres ergibt, ist die nähere Umgebung des Gebäudes Am Bubenpfad ... nicht bereits durch sonstige Werbeanlagen überfrachtet. Auch das Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes wird durch die beiden zusätzlichen Werbeanlagen nicht in einem Maße beeinträchtigt, dass von einem hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzenden Zustand gesprochen werden könnte. Dabei erkennt auch der Senat wie bereits die Beklagte und das Verwaltungsgericht, dass die mit dem Fensterband bewirkte Strukturierung der Fassade und die damit verfolgte architektonische Harmonie durch die davor angebrachten Werbetafeln gestört wird. Indes genügt dies noch nicht, um eine verunstaltende Wirkung anzunehmen. Gemessen am gesamten Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... erweist sich die konkrete Platzierung der beiden inneren Werbeanlagen nach Auffassung des Senats noch nicht als in krassem Sinne störend.

36

b) Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet.

37

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach §§ 70 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO.

38

Die beiden Werbeanlagen sind nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig. Wie der Stadtrechtsausschuss bereits zutreffend ausgeführt hat, sind solche gewerblichen Anlagen in einer als Gewerbegebiet zu qualifizierenden Umgebung allgemein zulässig. Von ihnen gehen auch keine unzumutbaren Störungen im Sinne von § 15 Abs. 1 BauNVO aus. Aus den oben dargelegten Gründen führen sie auch nicht zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, zumal insofern ohnehin auf einen größeren maßstabbildenden Bereich abgestellt werden muss (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2000, NVwZ 2000, 1169). Die Verletzung sonstiger zum Prüfungsprogramm der Genehmigung nach § 66 LBauO gehörender öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,-- € festgesetzt, wobei sich die Klageerweiterung wegen des mit dem Verpflichtungsbegehren identischen wirtschaftlichen Interesse nicht streitwerterhöhend ausgewirkt hat (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung bzw. Befreiung.

2

Die Antragstellerin ist eine der Verbandsgemeinde Lambsheim-Heßheim angehörende Ortsgemeinde im Rhein-Pfalz-Kreis. Auf dem nördlich der Ortslage gelegenen Friedhof der Antragstellerin, der mit einer Vielzahl von Bäumen überstellt ist, hat sich seit 2009 auf vier hohen Platanen eine Saatkrähenkolonie mit 20 - 25 Brutpaaren angesiedelt und Nistplätze gebaut. In den vergangenen Jahren kam es zunehmend zu Beschwerden von Bürgern über die Saatkrähen auf dem Friedhof. So beklagten Gemeindebürger die Verunreinigung der aus Marmor, Granit oder Sandstein eingefassten Gräber, Wege und Abfalltonnen sowie der Bekleidung bei der Grabpflege durch Vogelkot und ferner die Störung der Trauerfeiern durch die Rufe der Saatkrähen. Durch Verunreinigung sind laut Angaben der Antragstellerin etwa 39 Gräber betroffen.

3

Im April 2012 wandte sich die Antragstellerin erstmals an den Antragsgegner und bat um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für den Abschuss der Saatkrähen auf dem Gemeindefriedhof. Nach Erhalt einer negativen Antwort verfolgte die Antragstellerin dieses Begehren nicht weiter. Einen weiteren Vorstoß unternahm die Antragstellerin im Mai 2016, indem sie bei der Verbandsgemeinde Lambsheim-Heßheim den Betrieb eines Schreckschussapparats zur Vertreibung der Saatkrähen auf dem Friedhof von Lambsheim beantragte. Dieses Begehren wurde nicht förmlich verbeschieden.

4

Im Juni 2016 holte die Antragstellerin ein Gutachten über „Brutbiologie und Kolonieverhalten von Saatkrähen sowie mögliche Vergrämungsmethoden“ zum Konflikt-Standort Friedhof Lambsheim“ beim Consultant für Umweltplanung, Herrn Dr. Friedrich K. Wilhelmi, Mutterstadt, ein.

5

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2016 stellte die Verbandsgemeindeverwaltung Lambsheim-Heßheim für die Antragstellerin einen Antrag auf Durchführung eines Kronenschnitts der Platanen auf dem Friedhof der Antragstellerin um mindestens 20 % gemäß § 45 Abs. 7 Nr. 5 Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG –. Diesen begründete die Antragstellerin damit, die Gräber und Wege im Bereich der Platanen würden durch die Vögel stark verunreinigt und die Grabsteine zum Teil nachhaltig beschädigt. Den Inhabern dieser Gräber sei es nicht möglich, diese während der Brutzeit ordnungsgemäß zu pflegen oder am Grab ihres Verstorbenen zu trauern. Für die regelmäßige Säuberung der betroffenen Grabstätten bzw. für andere Schutzmaßnahmen entstünden der Gemeinde unzumutbar hohe Kosten. Weitere Vergrämungsmethoden, wie das Überspannen der Bäume sei sehr kostenintensiv und bei der Höhe der Bäume nur sehr schwer durchführbar. Von einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Population durch die Vergrämung werde aufgrund der sehr geringen Anzahl von Tieren nicht ausgegangen. Zwar sei ihr, der Antragstellerin, bewusst, dass die vergrämten Tiere sich an anderer Stelle im Gemarkungsbereich auch in bebauten Gebieten niederlassen könnten. Allerdings könnten hier dann Maßnahmen wie die vorübergehende Sperrung von Parkplätzen oder ähnliches erfolgen. Dies sei aber auf dem Friedhof nicht möglich, da ein Zugang zu den Gräbern für die Hinterbliebenen immer gewährleistet sein müsse.

6

Bei den betroffenen Bäumen bestehe im Übrigen der Verdacht eines Befalls mit dem Massariapilz. Gegebenenfalls müssten die Bäume zum Teil auch aufgrund der Sicherung der Verkehrspflicht eingekürzt werden.

7

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass die vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu geeignet seien, das geschilderte Problem mit den Vögel auf dem gesamten Friedhof abzustellen. Vielmehr sei ein Wechseln der Tiere auf die übrigen Bäume und damit eine Verlagerung der Problematik anzunehmen. Zudem sei nach derzeitigem Sachstand keiner der Ausnahmetatbestände des § 45 Abs. 7 Nr. 1 – 5 BNatSchG erfüllt. Eine etwaige Ausnahmeentscheidung wirke sich allenfalls zugunsten von Einzelnen und nicht für die Allgemeinheit aus. Somit wäre das Schreiben vom 24. Oktober 2016 als Antrag auf Befreiung einzustufen, über den nach § 67 Abs. 2 BNatSchG zu entscheiden sei. Es werde angefragt, ob weiterhin an dem Antrag festgehalten werde.

8

Daraufhin teilte die Verbandsgemeindeverwaltung Lambsheim-Heßheim nach Rücksprache mit der Antragstellerin am 2. Dezember 2016 mit, der Antrag vom 24. Oktober 2016 solle auch als Antrag nach § 67 Abs. 2 BNatSchG gewertet werden. Die unzumutbare Belastung für die Hinterbliebenen, die die Gräber ihrer Verstorbenen betreuten, sei hinreichend dargelegt worden.

9

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd das Begehren der Antragstellerin mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § § 67 Abs. 2 BNatSchG seien nicht gegeben. Saatkrähen gehörten zu den besonders geschützten Tierarten. Die Ansiedlung von wildlebenden Tieren, mit den daraus resultierenden Lautäußerungen und Verunreinigungen, im Bereich öffentlich genutzter Einrichtungen, wie vorliegend auf einem baumbestandenen Friedhof, seien grundsätzlich hinzunehmen. Um eine unzumutbare Belastung darzustellen, müssten die durch die Saatkrähen verursachten Beeinträchtigungen im vorliegenden Fall deutlich vom Regelfall abweichen, d.h. es müsste ein Sonderfall vorliegen, der die Betroffenen wesentlich stärker als andere belaste, sodass die unmittelbaren Folgen eines Verbotes zu einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten Härte führten. Dies sei hier nicht der Fall. Bereits im Mai 2012 sei die Vor-Ort-Situation auf dem Friedhof der Ortsgemeinde Lambsheim durch das Landesamt für Umweltschutz beurteilt worden. Es sei damals eine Saatkrähenkolonie mit ca. 30 Nestern festgestellt worden, die keine das normale Maß überschreitenden Beeinträchtigungen verursacht habe. Der Beweis, dass sich die Situation inzwischen maßgeblich geändert habe, sei von der Antragstellerin nicht erbracht worden, zumal sich auch die Anzahl der Nistplätze seitdem nicht verändert habe. Insbesondere sei keine Dokumentation vorgelegt worden, aus der sich Anzahl und Ausmaß der Verschmutzung der betroffenen Grabstellen oder gar Personen erkennen ließe.

10

Ein Sonderfall liege auch nicht vor wegen der von der Antragstellerin angeführten Verpflichtung zur Säuberung der durch die Vögel verunreinigten Grabstätten und der damit verbundenen hohen Kosten für die Gemeinde. Die Pflege und Reinigung von Grabstätten auf einem gemeindlichen Friedhof obliege allein den Inhabern der Grabstätten und stelle keine Pflichtaufgabe der Gemeinde dar. Von einer unzumutbaren Belastung, die eine Befreiung von den Verboten des § 44 BNatSchG rechtfertige, könne daher nicht gesprochen werden.

11

Dagegen legte die Antragstellerin am 1. Februar 2017 Widerspruch ein und suchte gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führt sie aus, den Inhabern der Gräber sei es schlechterdings nicht möglich, während der Brutzeit die Gräber ordnungsgemäß zu pflegen oder am Grab des Verstorbenen zu trauern, da ein Aufenthalt auch nur von kurzer Dauer dazu führe, dass der Betreffende von Vogelkot getroffen würde. Der Aufenthalt sei in diesem Bereich ohne entsprechenden Schutz durch Regenmantel, Mütze, Regenschirm oder sonstige Planen nicht möglich, da man ansonsten von den sich auf den Bäumen aufhaltenden Saatkrähen vollgekotet werde. Auch Trauerfeiern in diesem Bereich würden gestört, nicht nur durch Kot, sondern auch durch die Rufe der Tiere.

12

Sie, die Antragstellerin, habe sich in der Vergangenheit mehrfach bemüht, die für die Betroffenen erheblichen Einschränkungen abzumindern. Eine akustische Vergrämung habe nur für geringe Zeit Wirkung gezeigt. Die Vögel seien trotz Angst- und Warnrufen wieder zurückgekommen. Die Aufstellung von Schussapparaten sei nicht befürwortet worden. Die Abdeckung aller betroffenen Gräber, insbesondere der Grabsteine, sei den Pflegenden schlechterdings nicht möglich.

13

Der Gutachter Dr. Friedrich Wilhelmi habe in seinem Gutachten vom Juni 2016 die Beschädigung von Grabsteinen durch Vogelkot bestätigt. Zur Beurteilung der Schäden müsse aber ein mehrjähriger Zeitraum betrachtet werden. Entscheidend sei das Steinmaterial und die Oberflächenstruktur der Grabsteine. Solche Untersuchungen bzgl. der tatsächlichen bereits vorhandenen Schäden habe der Gutachter aber nicht vorgenommen.

14

Aufgrund der massiven Beeinträchtigung der Nutzer des Friedhofs, der Besucher des Friedhofs, der Grabpflegenden, aber auch der Trauernden könne sie, die Antragstellerin, nicht noch einmal eine weitere Brutzeit hinnehmen. Sie wolle vor dem 15. Februar 2017 den teilweisen Rückschnitt der vier Platanen im Kronenbereich vornehmen. Durch die massive Verkotung durch die Saatkrähen mit einhergehender eingeschränkter Nutzung des Friedhofs in dem Bereich, in dem sich die genannten 39 Gräber befänden, liege ein Eingriff in die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor. Sie als zuständige Ortsgemeinde müsse hier Maßnahmen ergreifen, um die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen.

15

Darüber hinaus sei auch das Eigentum der Gemeinde, aber auch der vielen Nutzer in diesem Bereich betroffen. Wie sich aus der Presse ergebe, schildere eine Person, die dort ein Grab pflegen müsse, dass sie zum Besuch des Grabes sich jeweils einen Müllsack überstülpe, weil vielfach Kleider so verschmutzt gewesen seien, dass sie nicht mehr zu reinigen gewesen seien.

16

Neben dem Anordnungsanspruch liege auch ein Anordnungsgrund vor. Die Situation bedürfe einer umgehenden Regelung im Interesse einer weiteren Friedhofsnutzung und zwar vor dem 1. März. Hier seien die Interessen des Naturschutzes in Form des Vogelschutzes mit den Interessen der Nutzer und der Gemeinde abzuwägen. Hier müsse berücksichtigt werden, dass die Saatkrähe nicht mehr gefährdet sei und dass die Aufspaltung der dort vorhandenen Kolonie das kleinere Übel darstelle. Das Argument des Antragsgegners, die Pflege und Reinigung der Grabstätten oblägen den Inhabern und stelle kein Pflichtaufgabe der Gemeinde dar, sei zwar der Sache nach zutreffend, verkenne aber die Situation. Um eine störungsfreie Nutzung des Friedhofs zu gewährleisten, sei die Gemeinde verpflichtet, alles dafür zu tun, damit dies möglich sei. Dies sei aber augenblicklich nicht der Fall, zumindest nicht in den Zeiten nach dem Beginn der Brutpflege. Vielmehr seien danach die Beeinträchtigung und Störung so massiv, dass sie zu einer empfindlichen Einschränkung der Friedhofsnutzung führten und hierfür sei die Gemeinde verantwortlich. Sie sei hier in eigenen Rechten betroffen als Betreiberin des Friedhofes.

17

Zwar nehme die begehrte einstweilige Anordnung eine Hauptsacheentscheidung vorweg. Dies sei aber bei den Rechtsabwägungen hinzunehmen.

18

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

19

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr, der Antragstellerin, für den beabsichtigten Rückschnitt der auf ihrem Friedhof in Lambsheim vorhandenen vier Platanen (Baum-Nrn. 474 – 477) im Kronenbereich um mindestens 20% eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG oder eine Befreiung nach § 67 BNatSchG zu erteilen.

20

Der Antragsgegner beantragt,

21

den Antrag abzulehnen.

22

Er trägt vor, es liege weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch vor. Die Verunreinigungen durch die Saatkrähen seien unbestritten unangenehm, stellten aber entgegen den Ausführungen der Antragstellerin keinen Eingriff in die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Im Übrigen dürfe eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben seien. Diese habe der Gutachter allerdings in seinem Gutachten vom Juni 2016 aufgezeigt. Dieser habe sinngemäß ausgeführt, es bedürfe einer mehrjährigen Betrachtung, ob Schäden an Grabsteinen tatsächlich auf Vogelkot zurückzuführen seien. Spezielle Pflegemittel zur Reinigung von Grabsteinen seien erhältlich. Eine möglich Maßnahme zur Konfliktminderung, ohne eine Vertreibung der Saatkrähen anzustreben, wäre beispielsweise die neue Positionierung von Gießkannenständern und Abfalleimern oder das Anbringen von Planen unterhalb der Horstbäume, um Vogelkot und Nistmaterial abzufangen.

23

Ebenfalls nicht in Betracht komme eine Befreiung nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG. Weder stelle die Betroffenheit der einzelnen Grabstätteninhaber noch die von der Ortsgemeinde vorgetragene (mögliche) finanzielle Belastung für die Reinigung der betroffenen Grabstätten eine unzumutbare Belastung dar.

24

Die Probleme auf dem Friedhof in Lambsheim stellten keinen Sonderfall dar, sondern träten an vergleichbaren Standorten gleichermaßen auf.

25

Er, der Antragsgegner, bestreite auch die Eilbedürftigkeit und damit den geltend gemachten Anordnungsgrund. Die Antragstellerin sei wegen der Saatkrähenkolonie auf dem Friedhof Lambsheim bereits im Jahr 2012 an die Obere Naturschutzbehörde herangetreten. Damals seien vom Landesamt für Umwelt und der Oberen Naturschutzbehörde vergleichsweise geringe Beeinträchtigungen durch die Saatkrähen festgestellt worden. Die Größe der Kolonie habe sich seit 2012 nicht wesentlich verändert. Derzeit befänden sich gerade mal noch zwei bis drei Nester in den vier Platanen. Die Antragstellerin habe keine weiteren Gründe vorgetragen, die dafür sprächen, dass sie die Entscheidung in der Hauptsache nicht abwarten könnte.

26

Unabhängig davon werde eine Vergrämung der Tiere als nicht zielführend erachtet. Laut der fachlichen Auskunft eines Mitarbeiters des Landesamtes für Umweltschutz aus dem Mai 2012 würde eine Umsiedlung der Tiere das Problem erhöhen. Bei der geringen Anzahl der Brutpaare könne auch nicht von einer besonders starken Konfliktsituation gesprochen werden. Es stünde außer Verhältnis, massiv in den Koloniestandort einzugreifen, auch vor dem Hintergrund, dass in näherer Umgebung kein konfliktarmer Ersatzstandort vorhanden sei.

II.

27

Das Begehren der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr, der Antragstellerin, den Rückschnitt der auf ihrem Friedhof stehenden vier Platanen im Kronenbereich um mindestens 20% gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG oder § 67 BNatSchG zu genehmigen, kann keinen Erfolg haben.

28

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.

29

1.1. Er ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO –statthaft, da die Antragstellerin den Erlass einer naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung oder Befreiung begehrt. In der Hauptsache müsste sie damit im Wege einer Verpflichtungsklage vorgehen, so dass gemäß § 123 Abs. 5 VwGO hier die Vorschrift des § 123 Abs. 1 VwGO einschlägig ist.

30

1.2. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt, da sie geltend machen kann, durch die Nichterteilung der naturschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung möglicherweise in ihren Rechten im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO verletzt zu sein.

31

Als Kommune ist die Antragstellerin zwar nicht Inhaberin des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz – GG –, sondern – auch soweit sie als Fiskus über Grundstückseigentum verfügt – Teil der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 –, BVerfGE 61, 82, 100; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. August 2007 – 1 A 10211/07.OVG –). Verfassungsrechtlich geschützt ist das Eigentum der Antragstellerin an den Platanen aber im Rahmen der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 49 Landesverfassung Rheinland-Pfalz − LV −). Denn die betroffenen Platanen sind Teil des gemeindlichen Friedhofs, einer öffentliche Einrichtung im Sinne des § 14 Abs. 2 Gemeindeordnung – GemO – (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2013 – 8 CN 1/12 –, NVwZ 2014, 527). In Übereinstimmung mit § 1 Abs. 1 Bestattungsgesetz – BestG – betreibt die Antragstellerin den Gemeindefriedhof als Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung. Die Platanen wurden mit dem Einpflanzen wesentliche Bestandteile des gemeindeeigenen Grundstücks (§§ 93, 94 Abs. 1 Satz 2 und 946 Bürgerliches GesetzbuchBGB –).

32

Da die Antragstellerin beabsichtigt, die in ihrem Eigentum stehenden Platanen auf dem Friedhof um 20 % zu kürzen und diese von 20 – 25 Paaren Saatkrähen als potentielle Brutstätten genutzt werden, benötigt die Antragstellerin für das geplante Vorhaben, wie noch auszuführen sein wird, vorab eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung oder eine Befreiung durch die zuständige Naturschutzbehörde nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG bzw. § 67 Abs. 1 oder 2 BNatSchG. Diesbezüglich hat die Antragstellerin zumindest einen die Antragsbefugnis begründenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.

33

Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin sich primär für die Interessen der Friedhofsbenutzer einsetzt, indem sie geltend macht, es sei den Inhabern der Gräber während der Brutzeit der Saatkrähen nicht möglich, die Grabstellen ordnungsgemäß zu pflegen oder am Grab ihres Verstorbenen zu trauern, da sie von Vogelkot getroffen würden. Auch Trauerfeiern in diesem Bereich würden durch Rufe und Koten der Krähen gestört. Zwar ist eine Gemeinde nicht Sachwalterin der Allgemeinheit oder einzelner Privatpersonen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Oktober 2005 – 11 A 1751/04 –, NuR 2006, 320 m.w.N.). Hier macht die Antragstellerin Rechte aus gesetzlichen Anforderungen an den Schutz von Leib, Leben und Gesundheit von Menschen aber nicht losgelöst von ihrer Stellung als Selbstverwaltungskörperschaft geltend. Der Antragstellerin obliegt es gemäß § 2 Abs. 1 BestG als Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung, Friedhöfe anzulegen und damit auch zu unterhalten. Damit ist die Antragstellerin als Betreiberin des Friedhofs gegenüber den Personen, die mit dem Friedhof bestimmungsgemäß in Berührung kommen, wie Friedhofnutzer und sonstige Besucher, verpflichtet, eine störungsfreie Nutzung des Friedhofs zu gewährleisten, für die Sicherheit des sich auf dem Friedhof abspielenden Verkehrs zu sorgen und das Friedhofsgelände jederzeit in einem Zustand zu halten, der für die Benutzer keine Gefahren entstehen lässt (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 6. März 2003 – 1 U 59/01 –, juris m.w.N.).

34

Zur Ermöglichung einer ordnungsgemäßen und ihrer Bestimmung entsprechenden Nutzung der Grabstelle und des Friedhofs gehört auch die gesellschaftlich anerkannte würdevolle Ausübung des Totengedenkens (s. auch LG Aurich, Urteil vom 28. Juni 2016 – 3 O 178/16 (057) –, juris). Das Recht auf Totenfürsorge der Hinterbliebenen, das u.a. Grabpflege und Totengedenken umfasst, ist verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Dezember 2016 – 1 BvR 1380/11 –, juris). Gemäß § 8 Abs. 1 BestG sind die Würde des Toten und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit zu achten. Nach dem hiesigen Brauchtum ist eine Grabstelle für Angehörige und andere nahestehende Personen ein Ort des Gedenkens an den Verstorbenen. Insbesondere ist es gesellschaftlich üblich, die Grabstelle zu pflegen und mit Blumenschmuck zu dekorieren. Die Antragstellerin hat daher dafür Sorge zu tragen, dass diese Ausübung des Totengedenkens möglich ist und z.B. nicht durch Beschädigungen von Wildtieren empfindlich gestört wird (vgl. Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Auflage 2004, Kapitel 10, Seite 80; ebenso LG Aurich, Urteil vom 28. Juni 2016 – 3 O 178/16 (057) –, juris).

35

Daneben ist die für einen gemeindeeigenen Friedhof verkehrssicherungspflichtige Antragstellerin für den gesamten Friedhof einschließlich aller Anlagen verantwortlich. Von der Gemeinde können solche Maßnahmen verlangt werden, die den Umständen nach zumutbar sind. Zur Verpflichtung des Friedhofsträgers, dafür zu sorgen, dass die Besucher die Friedhofsanlagen und -wege gefahrlos benutzen können, gehört u.a. auch die laufende Überwachung des Baumbestandes (Gaedke, a.a.O., Seite 76). Dazu zählt jedenfalls die Entfernung von erkennbar gefährdeten Bäumen oder dürren Ästen. In Betracht kommen kann aber auch das Kürzen der Bäume, wenn etwa von darin nistenden Vögeln unzumutbare und abwehrfähige Beeinträchtigungen für die Friedhofsnutzer ausgehen. Verbietet jedoch – wie hier – das öffentliche Recht grundsätzlich die dafür in Betracht kommende Abhilfemaßnahme, so ist die Kommune befugt, die erforderliche naturschutzrechtliche Genehmigung aus eigenem Recht zu beantragen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2004 – V ZR 230/03 –, NJW 2004, 3701 und OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. September 2013 – 12 U 143/12 –, juris zum Anspruch auf Beseitigung einer Lärmbelästigung durch Froschquaken aus einem Gartenteich).

36

1.3. Die Antragstellerin hat auch dargelegt, warum sie nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zuwarten kann.

37

Nestbau und Brutzeit der Saatkrähen beginnen im Südwesten Deutschlands Mitte Februar spätestens Anfang März. In der Zeit vom 1. März bis zum 30. September ist es gemäß § 39 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG verboten, u.a. Bäume, die außerhalb des Waldes stehen, abzuschneiden oder auf den Stock zu setzen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen. Dieses zeitlich beschränkte Schneideverbot soll dem allgemeinen Schutz aller Arten dienen, die auf diese Gehölze angewiesen sind und Gehölze als Brutplatz in der Saison erhalten (Lau in Frenz/Müggenborg, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Auflage 2016, § 39 Rn. 13). Da in der Flur oder im bebauten Gebiet gelegene kleinere Flächen wie hier die Bäume auf dem Friedhof von Lambsheim keinen Wald im Sinne des § 2 Abs. 2 Bundeswaldgesetz – BWaldG – darstellen, und es sich bei dem generellen Rückschnitt der Platanen um 20 % nicht nur um einen schonenden Form- und Pflegeschnitt zur Beseitigung des Zuwachses oder zur Gesunderhaltung der Platanen handelt, ist die Eilbedürftigkeit hier ausreichend dargetan.

38

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

39

2.1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder um drohende Gefahren zu verhindern oder wenn sie aus anderen Gründen erforderlich ist. Dabei darf grundsätzlich nicht die Hauptsache vorweggenommen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleisteten Rechtsschutzgarantie jedoch dann, wenn der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch ganz überwiegend wahrscheinlich ist und wegen des Nichterfüllens dieses Anspruchs schwere, unzumutbare oder nicht anders abwendbare Nachteile drohen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 –, NVwZ 2014, 558; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. April 2016 – 7 B 10228/16.OVG –). Ist eine überwiegende Erfolgsaussicht nicht feststellbar, kann eine Regelungsanordnung nur ergehen, wenn dem Betroffenen andernfalls schwere und irreversible Nachteile, insbesondere existentielle Gefahren für Leben und Gesundheit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Juli 2016 – 10 S 579/16 –, NVwZ 2016, 1658). Diese Voraussetzungen sind wie alle Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZivilprozessordnungZPO – i. V. m. § 123 Abs. 3 VwGO). In einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung oder Befreiung von den Verboten des § 44 BNatSchG ist ein Anspruch des Betroffenen daher nur dann gegeben, wenn die begehrte Ausnahmegenehmigung oder Befreiung – hier die Erlaubnis, die vier Platanen um 20 % zu kürzen – als einzige richtige Behördenentscheidung in Betracht kommt und dabei jede andere naturschutzrechtliche Maßnahme ermessensfehlerhaft und unzumutbar wäre.

40

In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen einer Regelungsanordnung nicht vor.

41

2.2. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anordnungsanspruch zusteht.

42

2.2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist es verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG können die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von den Verboten des § 44 im Einzelfall Ausnahmen zulassen u.a. zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden (Nr. 1), im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt (Nr. 4), oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art (Nr. 5). Eine Ausnahme darf gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält. Artikel 16 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 2009/147/EG sind zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind Ausnahmen eng bzw. restriktiv auszulegen und umzusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 1996 – C-118/94 –, Slg 1996, I-1223-1252). Die Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG kann daher in der Regel nur in einem fachlich sehr gut begründeten Einzelfall eine Möglichkeit sein, das Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG zu überwinden.

43

2.2.1.1. Die Saatkrähe gehört wie alle europäischen Vogelarten nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 b) bb) BNatSchG zu den wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten. Diesen Schutzstatus genießen pauschal sämtliche europäische Vogelarten, auch häufig verbreitete sogenannte "Allerweltsarten" (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. November 2014 – 8 A 10469/14 –, NuR 2015, 41; Frenz/Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., Vorbemerkung §§ 44 - 45 Rn. 7). Der von der Antragstellerin geltend gemachte Umstand, die Saatkrähe sei neuerdings nicht mehr gefährdet – in der vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten 2014 herausgegebenen Roten Liste Brutvögel wird die Saatkrähe auf den Seiten 34 und 35 mit 4.000-5.200 Paaren/Revieren und dem Zusatz „zur Zeit nicht gefährdet“ gelistet –, ändert nichts an deren Einstufung als wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten.

44

2.2.1.2. Die geplante Kürzung der vier Platanen auf dem Friedhof der Antragstellerin um 20 %, die die Entfernung der bestehenden und potentiellen Nistplätze für die Saatkrähen zur Folge hätte, erfüllt auch den Tatbestand der Beschädigung der Fortpflanzungsstätten der Saatkrähen.

45

Fortpflanzungsstätten sind Bereiche, die einzeln oder zusammen mit anderen Bereichen eine erfolgreiche Reproduktion ermöglichen (Louis, Artenschutz bei bergrechtlichen Verfahren, 2016, Seite 12, abgerufen unter http://www.amphibienschutz-thueringen.de/fileadmin/Amphibienschutz/Termine/ Artenschutz-Bergrecht.pdf am 6. Februar 2017). Die Fortpflanzungsstätten – hier die Nester der Saatkrähen und die Platanen, in denen die Krähen ihre Nester errichten – sind auch dann geschützt, wenn sie – phänologisch bedingt – gerade nicht bewohnt werden, aber zu erwarten ist, dass die Tiere aufgrund ihrer Standorttreue wieder zu ihnen zurückkehren werden. Dies ist bei der Saatkrähe der Fall (s. die Abhandlung von Krüger/Nipkow über „Die Saatkrähe Corvus frugilegus als Brutvogel in Niedersachsen“ in dem vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz - Fachbehörde für Naturschutz - herausgegebenen Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen, Heft 1/2015, S. 19). Vorliegend nutzen die Saatkrähenkolonien nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten die Platanen auf dem Friedhof der Antragstellerin seit dem Jahre 2009 jeweils in der Brutzeit. Dabei spielt es keine Rolle, dass sich nach dem Vortrag des Antragsgegners derzeit nur zwei bis drei Nester in den vier Platanen befinden, also nicht jede einzelne Platane betroffen ist. Das Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG betrifft in einer baumbewohnenden Vogelkolonie auch solche Bäume, auf denen sich zum Zeitpunkt der Beschädigung oder Zerstörung zwar konkret keine Nester befinden, auf denen sich aber potentiell Nester befinden könnten (Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand November 2016, § 44 BNatSchG Rn. 19; VG Wiesbaden, Urteil vom 12. Mai 2015 – 4 K 870/13.WI –). Von einer dauerhaften Aufgabe der Platanen als Brutstätte für die Saatkrähen kann daher nicht ausgegangen werden.

46

Beschädigung und Zerstörung verlangen eine körperliche Einwirkung auf die geschützten Lebensstätten, die sich nachteilig auf deren Funktion auswirkt (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 1. Dezember 2015 – 4 LC 156/14 –, NuR 2016, 135; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Oktober 2014 – 8 C 10233/14 –, NuR 2015, 188; Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 44 Rn. 23 m.w.N.). Für eine Beeinträchtigung ist erforderlich, dass das geschützte Objekt selbst betroffen ist, eine mittelbare Beeinträchtigung, beispielsweise durch Lärm, der auf die Tiere einwirkt und dazu führt, dass diese ihre Lebensstätte verlassen, genügt hingegen nicht (OVG Niedersachsen, Urteil vom 1. Dezember 2015 – 4 LC 156/14 –, NuR 2016, 135; Louis, a.a.O., Seite 14).

47

Beim Rückschneiden der Bäume um 20 % liegt eine unmittelbare Beeinträchtigung vor, denn Saatkrähen brüten in Baumkronen (s. z.B. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/1986-saatkraehe/). Eingriffe in Kolonien durch Rückschneiden von Bäumen stellen daher eine „Beschädigung und Zerstörung“ der Fortpflanzungsstätte dar.

48

2.2.1.3. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG zur Abwehr sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG liegen nicht vor.

49

Soweit die Antragstellerin geltend gemacht hat, die aus Marmor, Granit oder Sandstein eingefassten Gräber, die Wege und Abfalltonnen sowie die Bekleidung der Friedhofsbesucher würden durch den Vogelkot beschmutzt und die Reinigung verursache sowohl für die Inhaber der Gräber als auch für die Gemeinde Kosten, kann sie damit nicht gehört werden. Der Begriff der sonstigen erheblichen wirtschaftlichen Schäden ist im Lichte der übrigen in § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG genannten Wirtschaftsformen, auszulegen, also der Land-, Forst-, Fischerei- und Wasserwirtschaft (Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas a.a.O., § 45 BNatSchG Rn. 24). Wie diese Begriffsreihung verdeutlicht, setzt auch ein sonstiger wirtschaftlicher Schaden im Sinne dieser Vorschrift voraus, dass die Bedarfsdeckung der Allgemeinheit mit das Dasein sichernden Produkten betroffen ist (vgl. Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas a.a.O., § 45 BNatSchG Rn. 24; Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 Rn. 14; VG Wiesbaden, Urteil vom 12. Mai 2015 – 4 K 870/13.WI –). Die genannte Norm ist hier daher nicht einschlägig. Es kommt folglich nicht mehr auf die Frage an, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden vorliegt (s. zur Erheblichkeit des Schadens bei Beschmutzungen der Hauswand durch Vogelkot VG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2009 - 25 K 64/09 – juris).

50

2.2.1.4. Die Antragstellerin hat bisher auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG im Interesse der Gesundheit des Menschen oder der öffentlichen Sicherheit nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG in Betracht kommt.

51

2.2.1.4.1. Gründe des menschlichen Gesundheitsschutzes, die das Kürzen der Bäume naturschutzrechtlich rechtfertigen könnten, hat die Antragstellerin nicht ausreichend dargetan. Die Friedhofsbesucher werden zwar ohne Zweifel durch die Saatkrähen belästigt. Hierzu hat die Antragstellerin vorgetragen, die Inhaber der Gräber würden während der Brutzeit bei der Pflege der Gräber häufig von Krähenkot getroffen. Eine hygienische Unzumutbarkeit im Sinne einer Gesundheitsbeeinträchtigung liegt damit aber nicht vor. Zwar kann eine Erkrankung von Menschen durch den Kontakt mit Krähenkot nicht völlig ausgeschlossen werden. Es scheint aber eher unwahrscheinlich, dass Vögel eine konstante direkte Infektionsquelle für den Menschen darstellen (vgl. http://www.animal-health-online.de/klein/2000/04/01/vogelkot-als-quelle-von-krankheitserregern/175/, abgerufen am 6. Februar 2017 sowie https://www.derwesten.de/gesundheit/fliegen-und-vogelkot-uebertragen-erreger-von-darmerkrankungen-id6941688.html, ebenfalls abgerufen am 6. Februar 2017). Hinzu kommt, dass vorliegend ein entsprechender Kontakt nur saisonal gegeben ist (vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 12. Mai 2015 – 4 K 870/13.WI –).

52

Die Rufe der Krähen stellen ebenfalls keine Gesundheitsbeeinträchtigung für Menschen dar. Auch wenn das Rufen der Saatkrähen von einem Durchschnittsmenschen, auf den abzustellen ist, in der Regel als lästig empfunden wird (vgl. dazu auch die Schallmessungen in dem dem Urteil des OVG Niedersachsen vom 1. Dezember 2015 – 4 LC 156/14 – (NuR 2016, 135) zugrunde liegenden Fall, die Immissionswerte bis zu 66 dB(A) ergaben; vgl. auch Krüger/Nipkow, a.a.O., Seite 14 und Bayerisches Landesamt für Umwelt, Konzept zum Umgang mit Saatkrähenkolonien in Bayern, 2011, Seite 12, wonach der Pegel der Saatkrähenrufe bei Messungen mit im Mittel 64,1 dB(A) deutlich unter dem des Verkehrslärms mit 69,3 dB(A) im Mittel lag), ist nicht ersichtlich, dass hierdurch eine konkrete Gesundheitsgefährdung eintreten könnte. Denn die Friedhofsbesucher halten sich regelmäßig nicht länger auf dem Friedhof auf.

53

2.2.1.4.2. Die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG im Interesse der öffentlichen Sicherheit hat die Antragstellerin ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

54

Die Kammer kann offen lassen, ob unter „öffentlicher Sicherheit“ im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG abweichend vom gleichlautenden – wesentlich weiteren – polizeirechtlichen Begriff in Anlehnung an die Überlegungen des EuGH zum entsprechenden Begriff in Art. 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – lediglich die Existenzsicherung des Staates und die Bekämpfung von Gewaltanwendung im Inneren oder von außen sowie die Abwehr unmittelbar drohender oder absehbarer Gefahren für grundlegende gesellschaftliche Interessen zu verstehen ist (vgl. VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 7. Januar 2015 – 5 L 289/14 –, NuR 2015, 584; Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 Rn. 17 und Vorbemerkung zu §§ 44, 45 Rn. 28) oder der Begriff der öffentlichen Sicherheit auch den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen (und sonstiger Träger öffentlicher Gewalt) Einrichtungen umfasst (vgl. Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas a.a.O., § 45 BNatSchG Rn. 17). Selbst wenn man den weiteren polizeirechtlichen Begriff hier zugrunde legt und annimmt, dass die öffentliche Sicherheit hier betroffen ist (Verschmutzung der Grabstellen und –wege sowie der Bekleidung von Friedhofsnutzern, Störung der Ausübung des Totengedenkens, mögliche Verletzung der Verkehrssicherungspflicht) und von einer Unzumutbarkeit für die Betroffenen ausgeht, hat die Antragstellerin nicht ausreichend dargetan, dass allein das Kürzen der vier Platanen im Interesse der öffentlichen Sicherheit als einzige richtige Behördenentscheidung in Betracht kommt.

55

Die Kammer hält es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass die beabsichtigte isolierte Maßnahme des Baumkürzens ein taugliches Mittel darstellt, um das gegenwärtige Saatkrähenproblem auf dem Gemeindefriedhof in den Griff zu bekommen.

56

Ausweislich der Verwaltungsakten befinden sich auf dem Friedhof der Antragstellerin derzeit insgesamt 102 Bäume im Alter von neun bis sechzig Jahren der Laubbaumarten Sommer- und Winterlinde, Mehlbeere, Hainbuche, Robinie, Platane, Sandbirke, Götterbaum, Spitzahorn und Roßkastanie sowie der Nadelbaumarten Schwarzkiefer, Stechfichte und Strobe (s. im Einzelnen die Aufstellung auf Blatt 101/102 der Gerichtsakte). In der Wahl der Nestbäume sind Saatkrähen sehr variabel. Als Koloniebrüter bevorzugen sie für die Nestanlage zwar Laubbäume, jedoch nisten und brüten Saatkrähen durchaus auch in Nadelbäumen (s. z.B. Bayerisches Landesamt für Umwelt, Konzept zum Umgang mit Saatkrähenkolonien in Bayern, a.a.O., Seite 8; https://www.soester-anzeiger.de/lokales/soest/buchen-oder-linden-worauf-kraehen-fliegen-2490402.html; s. auch die Feststellungen der Arbeitsgemeinschaft Vegetation der Alpen (AVEGA) in ihren ornithologischen Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, Seite 7, abgerufen am 7. Februar 2017 unter https://www.puchheim.de/export/download.php?id=10837). Dabei wählen die Saatkrähen zum einen die höchsten Bäume in der Umgebung als Brutplätze aus (s. das von der Antragstellerin eingeholte Gutachten von Dr. Wilhelmi, Brutbiologie und Kolonieverhalten von Saatkrähen sowie mögliche Vergrämungsmethoden, Juni 2016, Seite 2 m.w.N.). Zum anderen bevorzugen sie auf einem Friedhof dessen Randflächen, da diese Bereiche sowohl einen guten Überblick als auch bessere An- und Abflugbedingungen zu den dort errichteten Nestern bieten (vgl. AVEGA, Ornithologische Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, a.a.O., Seite 6; vgl. auch Krüger/Nipkow, a.a.O., Seite 9). Im Falle der Entfernung von Nestern weichen Saatkrähen aber problemlos auf andere Bäume in der näheren Umgebung aus. Die Wahl der Nestbäume hängt offenkundig davon ab, welche Bäume überhaupt dort wachsen. Die Tiere scheinen sich in erster Linie ein Brutgebiet nach den allgemeinen Faktoren (Freifläche mit Bauminsel) zu suchen und wählen dann dort die günstigsten Bäume unabhängig von der Art aus (vgl. AVEGA, Ornithologische Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, a.a.O., Seite 7).

57

Es ist daher vorliegend überwiegend wahrscheinlich, dass die Saatkrähen im Falle der Kürzung der vier Platanen – diese sind momentan die höchsten Bäume auf dem Areal – auf dem Gemeindefriedhof der Antragstellerin auf die benachbarten Bäume ausweichen werden. Nach den Erfahrungen von Ornithologen bauen Saatkrähen nach einer Nesterentfernung innerhalb weniger Tage neue Nester im Umfeld der entfernten Nester (vgl. AVEGA, Ornithologische Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, a.a.O., Seite 10). Hinzu kommt, dass Saatkrähen immer wieder versuchen, an ihren ursprünglichen Brutstandort, auf den sie geprägt sind, zurückzukehren und Vergrämungsaktionen durch Nesterentfernung zur Bildung von Splitterkolonien führen. Diese haben meist auch eine Zunahme der Gesamtzahl der Brutpaare zur Folge (vgl. AVEGA, Ornithologische Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, a.a.O., Seite 17; Dr. Sepp/Dufner, Begleituntersuchung zur Saatkrähenbrutkolonie in Puchheim 2016, Seite 7, abgerufen am 7. Februar 2017 unter https://www.puchheim.de/export/download.php?id=10841; vgl. auch Bayerisches Landesamt für Umwelt, Konzept zum Umgang mit Saatkrähenkolonien in Bayern, a.a.O., Seite 13 und das von der Antragstellerin eingeholte Gutachten von Dr. Wilhelmi, Brutbiologie und Kolonieverhalten von Saatkrähen sowie mögliche Vergrämungsmethoden, a.a.O., Seite 4). Vorliegend stehen westlich der vier Platanen drei Winterlinden (Nrn. 465 – 467) oder nördlich vier weitere Laubbäume der Arten Hainbuche, Robinie und Winterlinde. Auch unter diesen Bäumen befinden sich Gräber, so dass davon auszugehen ist, dass die Verschmutzungsproblematik innerhalb des Friedhofs nur verlagert würde. Soweit die Antragstellerin im Verwaltungsverfahren in ihrer Mail vom 6. Dezember 2016 an den Antragsgegner behauptet hat, sie gehe davon aus, dass die anderen hohen Bäume auf dem Friedhof zu dicht seien und nicht über die ausgeprägten Astgabeln verfügten, die die Vögel zum Nestbau benötigten, überzeugt dies die Kammer nicht. Wie ausgeführt, sind Saatkrähen in der Wahl der Nestbäume flexibel und passen sich schnell veränderten Bedingungen an. So nisteten beispielsweise die Saatkrähenkolonien in der nordrhein-westfälischen Stadt Soest ausweislich des Gutachtens der CABWIM Consultancy vom 13. August 2012 u.a. auch in Sommerlinden, Kastanien- und Ahornbäumen (CABWIM Consultancy, Untersuchung der Saatkrähenkolonien in Soest und Umgebung, Seite 10, abgerufen am 9. Februar 2017 unter http://www.soest.de/03leben_wohnen/planen_bauen_umwelt/Gutachten_ Saatkraehen_Druckvorlage_120829.pdf). Aber auch auf Robinien (auf dem Friedhof der Antragstellerin die Bäume mit den Nrn. 470, 471, 483) nistet die Saatkrähe gerne (vgl. Andris, Brutverbreitung und Bestandsentwicklung der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in der südbadischen Oberrheinebene, Naturschutz südl. Oberrhein 1, 1996, Seite 104 und die Übersicht auf Seite 109, abgerufen am 9. Februar 2017 unter www.fosor.de/artikel/saatkraehe.pdf).

58

Die Kammer hegt ferner Bedenken, die Vertreibung einer Saatkrähenkolonie mittels Beschädigung der Fortpflanzungsstätten zuzulassen, ohne in der Regel fachlich fundiert das Vorhandensein eines geeigneten Ersatzstandortes für die Krähen geprüft zu haben. Dr. Sepp/Dufner haben in ihrer 2016 erstellten Begleituntersuchung zur Saatkrähenbrutkolonie auf dem Friedhof in Puchheim auf Seite 10 ausgeführt, am Ersatzstandort müsste gewährleistet sein, dass die Saatkrähen nicht durch illegale Maßnahmen wieder vertrieben werden. Sollte ein (oder mehrere) geeignetes Habitat(e) gefunden werden, müsste vorab versucht werden, die Krähen durch verschiedene Maßnahmen, wie zum Beispiel das Einsetzen von Nestern und das Abspielen von Lockrufen, in den gewünschten Brutbereich zu locken. Erst wenn sich dort einige Saatkrähen zum Brüten niedergelassen hätten, könnte eine Vertreibung der restlichen Krähen an diesen Standort Erfolg haben.

59

Die Antragstellerin hat lediglich eingeräumt, ihr sei bewusst, dass die vergrämten Tiere sich an anderer Stelle im Gemarkungsbereich auch in bebauten Gebieten niederlassen könnten. Sie hat aber keine konkreten Ersatzstandorte benannt, die geeignet wären, die Saatkrähen längerfristig aufzunehmen, ohne dort neue Konflikte mit der Nachbarschaft auszulösen. In Lambsheim und Umgebung gibt es nur wenige zusammenhängende Baumbestände. Es ist im Übrigen nicht Aufgabe des Gerichts, von Amts wegen geeignete(re) Standorte auf dem Gebiet der Antragstellerin zu ermitteln. Jedoch steht es der Antragstellerin frei, im laufenden Widerspruchsverfahren passende Ersatzstandorte zu benennen, die von dem Antragsgegner gegebenenfalls fachlich auf ihre Tauglichkeit überprüft werden können. In dem Fall der Saatkrähenbrutkolonie auf dem Friedhof in der bayerischen Stadt Puchheim wurden seit dem Jahre 2012 Vergrämungsmethoden angewandt, indem auf dem Friedhof sogenannte Krähenklatschen und in den Randbereichen Heliumballone angebracht sowie Maßnahmen zur Verlagerung der Saatkrähen an einen angrenzenden Ersatzstandort ergriffen wurden. Hierzu wurden im Herbst bzw. Winter die alten Nester in das Zielgehölz umgesetzt und vor der beginnenden Brutzeit des darauf folgenden Jahres die Krähen im Friedhof vergrämt. Ferner wurden brutbereite Vögel an dem neuen Koloniestandort durch Abspielen von Lock- und Balzrufen angelockt (s. AVEGA, Ornithologische Begleituntersuchungen zur Saatkrähenkolonie in Puchheim vom 30. September 2012, a.a.O., Seite 18). Nach den Angaben von Dr. Sepp/Dufner (Begleituntersuchung zur Saatkrähenbrutkolonie in Puchheim 2016, a.a.O., Seite 6) erhielt die Stadt Puchheim erstmals eine naturschutzrechtliche Bewilligung über einen Zeitraum von fünf Jahren bis zum 31. Juli 2020 mit der Maßgabe, dass auf dem Friedhof von Puchheim und in den Splitterkolonien bestimmte Nester vom 1. September bis 28. Februar jedes Winterhalbjahres (mit einer Verlängerungsoption bis 15. März) entfernt werden und Saatkrähen in dieser Zeit mit akustischen und optischen nicht-letalen Methoden vergrämt werden dürfen, wenn dort keine Eiablage stattgefunden hat. Nachhaltige Wirkung haben die Vergrämungsmethoden in Puchheim bisher allerdings nicht gehabt. Stattdessen wuchs die Population der Saatkrähenkolonien an und bildete neue Splittersiedlungen auch in der Nachbargemeinde (s. Süddeutsche Zeitung vom 7. Dezember 2016, abgerufen am 8. Februar 2016 unter http://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/germeringpuchheim-saatkraehen-siedeln-nachgermering-um-1.3284288).

60

Lässt man diese Bedenken außer Acht und geht zugunsten der Antragstellerin auch wegen der besonderen Bedeutung der würdevollen Ausübung des Totengedenkens vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG im Interesse der öffentlichen Sicherheit aus, ist aber weiter nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG zu prüfen, ob u.a. zumutbare Alternativen gegeben sind. Hierzu können alternative Standorte, andere Größenordnungen oder alternative Aktivitäten, Prozesse oder Methoden gehören (BVerwG, Urteil vom 6. November 2013 – 9 A 14/12 –, NuR 2014, 262). Nach Auffassung der Kammer sind alternative Methoden hier aber nicht von vornherein aussichtslos.

61

Der von der Antragstellerin beauftragte Gutachter Dr. Wilhelmi hat in seinem Gutachten auf Seite 4 ff. verschiedene Vergrämungsmethoden und mehrere Arbeitsschritte zur Umsiedlung von Saatkrähen genannt. Hierzu zählen u.a. akustische Methoden wie das Aufstellen von Lautsprechern oder Knallschreckgeräten. Auch die Verwendung von Krähenklappen – hier werden zwei am Baum angebrachte Holzbretter gegeneinander geschlagen – in dem Zeitraum, der der Eiablage vorgelagert ist, gehört zu den Möglichkeiten, die Saatkrähen vom Nestbau und der Eiablage in den aktuell genutzten Nistbäumen abzuhalten. Die Verwendung von Krähenklappen auf einem Friedhof ist nicht nach § 7 Abs. 3 Landesimmissionsschutzgesetz – LImSchG – erlaubnispflichtig, da sie als akustische Einrichtungen und Geräte nicht zur Fernhaltung von Tieren in Weinbergen oder in anderen gefährdeten landwirtschaftlichen Anbaugebieten dienen. Der Einsatz von Krähenklappen widerspricht auch nicht § 5 Abs. 3 i) Satz 1 der Friedhofsordnung der Antragstellerin, wonach es auf dem Friedhof nicht gestattet ist, zu lärmen. Denn nach § 5 Abs. 3 i) Satz 2 der Friedhofsordnung kann die Friedhofsverwaltung eine Ausnahme zulassen, soweit die mit dem Zweck des Friedhofs und seiner Ordnung vereinbar ist. Dies ist hier der Fall, denn das kurzzeitige Betätigen von einer oder mehreren Krähenklappen ist angesichts der von den Saatkrähen ausgehenden Beeinträchtigungen weniger störend. Zur Verwendung von Krähenklatschen hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in einem Fall, in dem es um die beabsichtigte Vergrämung von Saatkrähen mittels Krähenklatsche ging, in seinem Urteil vom 1. Dezember 2015 (– 4 LC 156/14 –, juris) ausgeführt, dass akustische Vergrämungsmaßnahmen zulässig seien, wenn die Störung der Tiere nicht erheblich sei, d.h. der Erhaltungszustand der lokalen Population sich auf Grund der Störung durch die Vergrämungsmaßnahmen nicht verschlechtere (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG). Sei nicht zu erwarten, dass sich die Größe und der Fortpflanzungserfolg der aktuell in der betreffenden Brutkolonie ansässigen Population von Saatkrähen auch bei jährlicher Durchführung der von dem Kläger beabsichtigten akustischen Störmaßnahmen signifikant und nachhaltig verringern werde, unterlägen die von dem Kläger beabsichtigten akustischen Vergrämungsmaßnahmen nicht dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, wenn diese wie geplant vor der Eiablage erfolgten.

62

Jedenfalls kurzfristig kann die Antragstellerin daher erwägen, auf ihrem Friedhof mehrere Krähenklatschen anzubringen, um die Saatkrähen vor der Eiablage von dem Standort zu vertreiben. Zwar ist der Erfolg dieser Vergrämungsmethode nicht garantiert (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%A4henklatsche zum weitgehenden Misserfolg in der friesischen Stadt Jever), er ist aber auch nicht ausgeschlossen (s. OVG Niedersachsen, Urteil vom 1. Dezember 2015 – 4 LC 156/14 –, juris). Es besteht bei dieser Vorgehensweise jedenfalls das nicht zu unterschätzende Risiko, dass sich die Saatkrähenkolonie statt auf dem Friedhof der Antragstellerin in der Umgebung neue Nistplätze suchen wird, die neue Konflikte verursachen werden.

63

Als weitere Alternative kommt zwecks Reduzierung der Verschmutzung durch Krähenkot die temporäre Verwendung von Planen oder Sonnensegel unterhalb der Horstbäume in Betracht (s. z.B. Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V., Gefährdung und Schutz der Saatkrähe, abgerufen am 9. Februar 2017 unter http://www.lbv.de/unsere-arbeit/vogelschutz/saatkraehe/gefaehrdung-und-schutz. html, abgerufen am 9. Februar 2017).

64

Das Ganze bedarf vorliegend aber keiner weiteren Vertiefung. Da es nach dem Vorgesagten im Ergebnis überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Saatkrähen im Falle der Kürzung der vier Platanen auf dem Friedhof der Antragstellerin auf die benachbarten Bäume ausweichen werden, fehlt es jedenfalls an einer Glaubhaftmachung, dass die begehrte Ausnahme im Interesse der öffentlichen Sicherheit die einzige richtige Behördenentscheidung darstellt. Eine weitere Prüfung sowie gegebenenfalls die Erarbeitung geeigneter Lösungsvorschläge zur nachhaltigen Vergrämung der Saatkrähen vom Friedhof der Antragstellerin in weniger konfliktträchtige Bereiche muss dem Widerspruchsverfahren vorbehalten bleiben.

65

2.2.1.5. Schließlich fehlt es auch an der Glaubhaftmachung bezüglich der Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.

66

Dieser Ausnahmegrund kann auch bei europäischen Vogelarten herangezogen werden. Die Vorschrift des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG hat zwar keine Entsprechung in Art. 9 Abs. 1 Vogelschutzrichtlinie. Dennoch ist die Norm europarechtskonform, da dieser ungeschriebene Rechtfertigungsgrund auch im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit der FFH-Richtlinie unerlässlich geworden ist (vgl. Bay. VGH Urteil vom 19. Februar 2014 – 8 A 11.40040 –, juris; Gellermann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2016, § 45 BNatSchG Rn. 24).

67

Öffentliche Interessen können alle öffentlichen Interessen gleich welcher Art sein, ausgenommen sind lediglich rein private Belange (Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 Rn. 18). Inhaltlich werden alle Belange erfasst, die – zumindest auch – dem Wohl der Allgemeinheit dienen, wie z.B. Infrastrukturprojekte wie Fernstraßenbau und Bau von Bahnverbindungen (Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas a.a.O., § 45 BNatSchG Rn.28). Zwingend sind die Gründe des öffentlichen Interesses, wenn sie einem durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleiteten staatlichen Handeln entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2000 – 4 C 2/99 –, NVwZ 2000, 1171; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Juli 2009 – 8 C 10399/08.OVG –, NuR 2009, 882). Überwiegend sind diejenigen öffentlichen Interessen, die in bipolarer Abwägung den mit dem besonderen Artenschutzrecht verfolgten Belangen des Naturschutzes vorgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2009 – 4 C 12/07 –, NVwZ 2010, 123).

68

Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen kann zur Begründung auf die Ausführungen zu 2.2.1.5. verwiesen werden.

69

2.2.2. Die Antragstellerin hat ferner nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass ihr im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 BNatSchG zusteht.

70

2.2.2.1. Die Vorschrift des § 67 BNatSchG ist neben der Bestimmung des § 45 BNatSchG anwendbar. Ausnahmeregelungen wie § 45 BNatSchG entfalten keine generelle Sperrwirkung für eine Befreiung; vielmehr haben Ausnahmen einen bestimmten vom Gesetzgeber vorhergesehenen Sachverhalt zum Gegenstand, während die Befreiung gerade unvorhergesehene Situationen betrifft. Beide Instrumente stehen damit selbstständig nebeneinander (Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 67 Rn. 2).

71

Gemäß § 67 Abs. 1 BNatSchG kann u.a. auf Antrag von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes Befreiung gewährt werden, wenn dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist (Nr. 1) oder die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist (Nr. 2).

72

2.2.2.2. Die in § 67 geregelte Befreiungsvorschrift dient der Einzelfallgerechtigkeit. Die Gewährung einer Befreiung kommt nur in atypischen und daher vom Gesetzgeber erkennbar nicht vorhergesehenen Einzelfällen aufgrund einer Einzelfallprüfung in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. September 1992 – 7 B 130/92 –, NVwZ 1993, 583 zu § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a BNatSchG in der damals geltenden Fassung). Es müssen Besonderheiten vorliegen, die den betreffenden Fall deutlich von dem vom jeweiligen Normgeber zugrunde gelegten Regelfall unterscheiden (Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 67 Rn. 4). Der Normgeber darf den Sachverhalt in seinen Konsequenzen für den Betroffenen nicht erkannt haben oder nicht erkennen können und der Betroffene muss mit dem einschlägigen Verbot unzumutbar benachteiligt werden. Regelmäßig fernliegend ist ein atypischer Fall, wenn die Auswirkung, hinsichtlich derer die Befreiung begehrt wird, zu den typischen Lebensäußerungen der Tiere bzw. zu den typischen Auswirkungen der Pflanzen und natürlichen Strukturen, insbesondere Bäumen, gehört, die Schutzgegenstand der Norm sind, von der befreit werden soll (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 9. November 2012 – 14 ZB 11.1597 –, NVwZ-RR 2013, 93; VG Ansbach, Urteil vom 24. Juli 2013 – AN 11 K 12.01015 –, juris; Lau in Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 67 Rn. 4).

73

2.2.2.3. Gemessen hieran hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass das Kürzen der vier Platanen auf ihrem Friedhof durch Gewährung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 oder 2 BNatSchG geregelt werden könnte.

74

In Bezug auf die Beseitigung eines Baumes oder von Teilen eines Baumes, von dem Gefahren ausgehen, weil dessen Stand- oder Bruchsicherheit beeinträchtigt ist, kommt zwar schon dann die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG in Betracht, wenn die Schwelle einer unmittelbar drohenden Gefahr möglicherweise noch nicht erreicht ist (vgl. VG München, Urteil vom 28. März 2011 – M 8 K 10.2378 –, juris). Eine Gefahrenlage, bei der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen wäre (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Oktober 1993 – 7 A 2021/92 –, NuR 1994, 253), ist vorliegend aber nicht erkennbar.

75

Mit ihrer Behauptung, bei den betroffenen Platanen auf dem Gemeindefriedhof bestehe der Verdacht eines Befalls mit dem Massariapilz und die Bäume müssten gegebenenfalls zum Teil auch aufgrund der Sicherung der Verkehrspflicht eingekürzt werden, hat die Antragstellerin bereits nicht ausreichend dargetan, dass die Platanen tatsächlich von der Massaria-Krankheit befallen sind. Da eine engmaschigere Kontrolle der Platanen auf einen möglichen Befall mit der Massaria-Krankheit geboten, erforderlich und der verkehrssicherungspflichtigen Antragstellerin auch zumutbar ist, wenn ein entsprechender Befall in dem konkreten Baumbestand festgestellt worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass vorliegend bisher keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden sind (vgl. zur Verkehrssicherungspflicht von Kommunen bei Befall von Platanen mit der Massaria-Krankheit OLG Hamm, Urteil vom 24. Oktober 2012 – 11 U 100/12 –, juris und LG Bonn, Urteil vom 2. Juli 2014 – 1 O 64/14 –, juris). Jedenfalls hat die Antragstellerin keine diesbezüglichen Unterlagen eingereicht, die den alleinigen Schluss zulassen, es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen.

76

2.3. Hat die Antragstellerin damit keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, kommt es nicht mehr auf die weitere Frage an, ob sich die Antragstellerin daneben auf einen Anordnungsgrund berufen kann.

77

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

78

Die Festsetzung des Verfahrensgegenstandswerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013 (NVwZ Beilage 2013, 58).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Tatbestand

1

Streitgegenstand ist eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Krematoriums mit Abschiedsraum in einem Gewerbegebiet, die die Beklagte der Beigeladenen im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO erteilt hat.

2

Die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der das hier betroffene Gebiet als Gewerbegebiet festsetzt. Das Grundstück der Beigeladenen liegt am nördlichen Rand des Gewerbegebiets und grenzt an ein Waldgebiet mit Wiese und Aufforstungen an. Die technischen Bereiche des Krematoriums sind dem Gewerbegebiet zugewandt, während die Bereiche für Besucher, insbesondere der Abschiedsraum in Richtung des Waldgebiets liegen. Die Zufahrt zum Krematorium erfolgt über eine Straße außerhalb des Gewerbegebiets. Das Krematorium ist mittlerweile errichtet und in Betrieb.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Baugenehmigung abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorhaben sei nicht schon als Gewerbebetrieb nach § 8 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig, weil es der Zweckbestimmung des Gebiets widerspreche. Ein Krematorium mit Abschiedsraum sei jedoch eine Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, wobei diese Vorschrift nur solche Anlagen erfasse, die - wie hier - dem Gemeinbedarf dienten. Die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum wegen des Bedürfnisses, das Abschiednehmen von den Verstorbenen in ein kontemplatives Umfeld einzubetten, dem Leitbild eines Gewerbegebiets widerspreche. Gründe der Pietät und die Notwendigkeit eines kontemplativen Umfelds zwängen nicht dazu, Krematorien mit Pietätsräumen von vornherein ausnahmslos, ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft in Gewerbegebieten als gebietsunverträglich auszuschließen. Abschiedsräume in Feuerbestattungsanlagen seien mit Kapellen und Betsälen vergleichbar, deren ausnahmsweise Zulässigkeit in Gewerbegebieten unbestritten sei. Von derartigen Anlagen unterscheide sich ein Krematorium im Wesentlichen durch den hinzutretenden gewerblich-technischen Charakter. Dieser sei mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets für sich gesehen sogar eher vereinbar als etwa eine kirchliche Anlage. Die ausnahmsweise Zulässigkeit des Krematoriums sei auch nicht durch § 15 Abs. 1 BauNVO ausgeschlossen. Durch den gewählten Standort des Krematoriums, seine bauliche Gestaltung und die Ausrichtung der Bereiche für den Publikumsverkehr sei eine pietätvolle Bestattung gewährleistet, die mit der werktäglichen Geschäftigkeit des Gewerbegebiets verträglich sei. Die angefochtene Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision: Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des Begriffs der Anlage für kulturelle Zwecke entspreche weder dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO noch der Systematik der Baunutzungsverordnung noch dem Willen des Gesetzgebers. Es sei im Übrigen wenig überzeugend, die allgemeine Zulässigkeit des Vorhabens in einem Gewerbegebiet mangels Gebietsverträglichkeit zu verneinen, um dann im Ausnahmewege die Zulässigkeit mit der Begründung zu bejahen, es widerspreche nicht der Zweckbestimmung des Baugebiets.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet. Bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist zwar die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein als Gemeinbedarfsanlage betriebenes Krematorium mit Abschiedsraum eine Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ist. Eine solche Anlage verträgt sich aber nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets. Das Oberverwaltungsgericht verkennt die Anforderungen, die an das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit zu stellen sind. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung war daher aufzuheben.

6

1. Die Baugenehmigung ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts rechtswidrig. Die Beklagte hätte das Vorhaben der Beigeladenen nicht gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulassen dürfen.

7

1.1 Mit Bundesrecht im Einklang steht allerdings die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum unter den Begriff der Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO fällt.

8

"Anlagen für kulturelle Zwecke" sind nicht auf die traditionellen Bereiche der Kunst, Wissenschaft und Bildung beschränkt. Die Zweckbeschreibung bezeichnet Anlagen, die in einem weiten Sinne einen kulturellen Bezug aufweisen. Ein Krematorium mit Abschiedsraum hat einen kulturellen Bezug, der in der gesellschaftlichen Vorstellung von dem Umgang mit dem Tod wurzelt. Ebenso wie eine kirchliche Bestattungsanlage einem kirchlichen Zweck dient (Urteil vom 18. November 2010 - BVerwG 4 C 10.09 - BVerwGE 138, 166 Rn. 17), dient ein Krematorium als säkulare Bestattungseinrichtung einem kulturellen Zweck. Zur Feuerbestattung gehört nicht nur die Beisetzung der Asche des Verstorbenen in einer Grabstätte, sondern auch der Vorgang der Einäscherung der Leiche. Die Einäscherung ist Teil des Bestattungsvorgangs. Diese Form der Bestattung ist Ausdruck einer gesellschaftlich anerkannten Bestattungskultur, zu der es auch gehört, in einem kontemplativen Umfeld von den Verstorbenen Abschied nehmen zu können.

9

Der Begriff der "Anlagen für kulturelle Zwecke", der nicht nur in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, sondern in zahlreichen Bestimmungen der Baunutzungsverordnung Verwendung findet, ist ebenso offen angelegt wie die ebenfalls in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und anderen Bestimmungen der Baunutzungsverordnung genannten Anlagen für kirchliche, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke. Die Baunutzungsverordnung verwendet die Begriffsgruppe als eine bewusst weit gefasste Kategorie. Sie ist für eine "dem Wandel der Zeiten" anpassungsfähige Auslegung offen (Urteil vom 17. Dezember 1998 - BVerwG 4 C 16.97 - BVerwGE 108, 190 <197>). Damit sollen gerade auch neue Erscheinungsformen baulicher Vorhaben städtebaulich erfasst werden, um eine geordnete Bodennutzung und städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Dass sich im Laufe der Zeit das Begriffsverständnis und damit auch die Art der Anlagen ändern kann, die im jeweiligen Gebiet zulässig sind, ist vom Verordnungsgeber gewollt.

10

Eine weite Auslegung der Begriffsgruppe führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu einer uferlosen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Norm. Die begriffliche Offenheit des Tatbestands wird in zweifacher Hinsicht begrenzt. Aus dem systematischen und historischen Zusammenhang wird deutlich, dass Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke nur die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB definierten Gemeinbedarfsanlagen sind. Die Baunutzungsverordnung hat die Begriffsgruppe von Anfang an auf Gemeinbedarfsanlagen beschränkt gesehen (Urteile vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 17.95 - BVerwGE 102, 351 <354> und vom 28. April 2004 - BVerwG 4 C 10.03 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 15 S. 6). Darüber hinaus wirkt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit begrenzend, das vor allem jene Nutzungsarten betrifft, die die Baunutzungsverordnung begrifflich verselbständigt und mehreren der Baugebietstypen in §§ 2 bis 9 BauNVO zugeordnet hat (Beschluss vom 6. Dezember 2000 - BVerwG 4 B 4.00 - Buchholz 406.12 § 7 BauNVO Nr. 4 S. 2).

11

1.2 Bei dem streitigen Krematorium handelt es sich - wie als eingrenzendes Tatbestandsmerkmal vorausgesetzt - um eine Gemeinbedarfsanlage. Der Begriff des Gemeinbedarfs wird in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB näher bestimmt. Danach sind Gemeinbedarfsanlagen solche baulichen Anlagen und Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen. Beispielhaft werden Schulen und Kirchen sowie sonstigen kirchlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen aufgezählt. Der Allgemeinheit dient eine Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB, wenn sie, ohne dass die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen (Beschluss vom 18. Mai 1994 - BVerwG 4 NB 15.94 - NVwZ 1994, 1004 <1005>), einem nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der Bevölkerung zugänglich ist. Gemeint sind Einrichtungen der Infrastruktur, die der Gesetzgeber dem Oberbegriff der "Einrichtungen und Anlagen zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des öffentlichen und privaten Bereichs" zugeordnet hat (Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 CN 7.03 - BVerwGE 121, 192 <195> = Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 101 S. 32 f.). Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es nicht entscheidend an (Urteil vom 12. Dezember 1996 a.a.O. S. 356). Die Trägerschaft kann auch in der Hand einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts liegen. Auch eine staatliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit kann je nach ihrer konkreten rechtlichen Ausgestaltung geeignet sein, den vorausgesetzten Gemeinwohlbezug solcher Anlagen und Einrichtungen herzustellen, deren Leistungserbringung sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vollzieht und auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.O. S. 196 f.).

12

Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht beachtet und in Auslegung von Landesrecht und damit für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindend (§ 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) festgestellt, dass nach den Bestimmungen des Bestattungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen eine hoheitliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit der Beklagten besteht, die den erforderlichen Gemeinwohlbezug der Anlage herstellt und die zudem durch den zwischen der Beklagten und der Beigeladenen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 6. September 2006 abgesichert wird, der bestimmt, dass die Beigeladene als Beliehene hoheitliche Aufgaben wahrnimmt.

13

1.3 Ein Krematorium mit Abschiedsraum verträgt sich aber nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets.

14

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ist das Oberverwaltungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum mangels Gebietsverträglichkeit nicht bereits gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO in einem Gewerbegebiet allgemein zulässig ist (Beschluss vom 20. Dezember 2005 - BVerwG 4 B 71.05 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 21).

15

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist ein Krematorium mit Abschiedsraum aber auch nicht im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in einem Gewerbegebiet zulässig. Der Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, Gründe der Pietät und die Notwendigkeit eines kontemplativen Umfelds würden es nicht gebieten, Krematorien mit Pietätsräumen von vornherein ausnahmslos, ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft in Gewerbegebieten als gebietsunverträglich auszuschließen, steht nicht in Übereinstimmung mit Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht verkennt die Anforderungen, die an das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit zu stellen sind.

16

Die Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens innerhalb eines Baugebiets der Baunutzungsverordnung richtet sich nicht allein nach der Einordnung des Vorhabens in eine bestimmte Begriffskategorie (Nutzungs- oder Anlagenart), sondern auch nach der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets. Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (stRspr, vgl. nur Urteile vom 18. November 2010 - BVerwG 4 C 10.09 - BVerwGE 138, 166 Rn. 19 und vom 21. März 2002 - BVerwG 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155 <158>; Beschluss vom 28. Februar 2008 - BVerwG 4 B 60.07 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19 Rn. 6 m.w.N.). Diesen rechtlichen Maßstab hat das Bundesverwaltungsgericht in zahlreichen Fällen angelegt, in denen zu entscheiden war, ob ein Vorhaben nach der Art der Nutzung in dem jeweils festgesetzten Baugebiet allgemein (regelhaft) zulässig ist. Er gilt auch für die in einem Baugebiet ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten (Urteil vom 21. März 2002 a.a.O.). Zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten besteht ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist (Urteil vom 21. März 2002 a.a.O.; Beschluss vom 28. Februar 2008 a.a.O. Rn. 7). Die nach den Baugebietsvorschriften nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen können die Eigenart eines Baugebiets zwar auch prägen. Diesem Muster folgt beispielsweise die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Immissionsverträglichkeit des Wohnens für bestimmte Baugebiete im Wege einer typisierenden Betrachtung zu modifizieren und unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise eine eingeschränkte Wohnnutzung zuzulassen, weil typischerweise ein gebietsspezifischer Bedarf besteht. Den in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Anlagen fehlt es aber an einer funktionalen Ausrichtung auf den Zweck des jeweiligen Baugebiets. Solche Anlagen, die ohne nähere Umschreibung in fast allen Baugebieten der §§ 2 bis 9 BauNVO allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, können nach Größe, betrieblicher Ausrichtung, räumlichem Einzugsbereich und Immissionspotenzial von sehr unterschiedlicher Art sein.

17

Von maßgeblicher Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen Gebietsbedarfs (Urteil vom 18. November 2010 a.a.O. Rn. 21). Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotenzial zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Geltungsbereich eines ausgewiesenen Baugebiets grundsätzlich auf jedem Baugrundstück die nach dem Katalog der Nutzungsarten der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung möglich sein soll. Das typische Störpotenzial kann nicht nur im Störgrad, sondern auch in der Störempfindlichkeit eines Vorhabens liegen. Im Rahmen dieser Beurteilung kommt es nicht auf die konkrete Bebauung in der Nachbarschaft an. Unerheblich ist daher, dass das streitige Krematorium nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO durch den gewählten Standort, seine bauliche Gestaltung und die Ausrichtung der auf Publikumsverkehr ausgerichteten Bereiche eine pietätvolle Bestattung gewährleistet. Die Gebietsverträglichkeit ist der Einzelfallprüfung auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vorgelagert.

18

Ein Krematorium mit Abschiedsraum verträgt sich nicht mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets, das geprägt ist von werktätiger Geschäftigkeit. Gewerbegebiete dienen gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem Leitbild der Baunutzungsverordnung ist ein Gewerbegebiet den produzierenden und artverwandten Nutzungen vorbehalten. Es steht Gewerbebetrieben aller Art und damit verschiedenartigsten betrieblichen Betätigungen offen, die vom kleinen Betrieb über Handels- und Dienstleistungsunternehmen bis zu industriellen Großbetrieben reichen können, sofern es sich um nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe handelt.

19

Ein Krematorium mit Abschiedsraum erweist sich in besonderer Weise als störempfindlich. Es stellt - ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Verbrennungsanlagen - ähnlich wie ein Friedhof einen Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen dar. Die Privatisierung dieser Art der Bestattung mag bewirkt haben, dass Krematorien auch an Standorten außerhalb eines Friedhofs angesiedelt werden. Das ändert aber nichts an der Anforderung, dass eine Bestattung ein würdevolles und kontemplatives Umfeld erfordert. Wie auch das Oberverwaltungsgericht angemerkt hat, ist nicht zu erkennen, dass sich die gesellschaftlichen Anschauungen im Umgang mit dem Tod wesentlich gewandelt haben. Der übliche Umgebungslärm und die allgemeine Geschäftigkeit eines Gewerbegebiets stehen dazu im Widerspruch. Eine derartige Umgebung ist regelmäßig geeignet, den Vorgang der Einäscherung als Teil der Bestattung in einer Weise gewerblich-technisch zu prägen, die mit der kulturellen Bedeutung eines Krematoriums mit Abschiedsraum nicht vereinbar ist.

20

2. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung kann nicht über § 31 Abs. 2 BauGB hergestellt werden. Eine Befreiung hat die Beklagte nicht erteilt; sie könnte auch nicht erteilt werden.

21

Der Umstand, dass eine Anlage in einem Baugebiet weder allgemein zulässig ist noch im Wege einer Ausnahme zugelassen werden kann, steht einer Befreiung zwar nicht von vornherein entgegen (Urteil vom 18. November 2010 a.a.O. Rn. 29). Es spricht viel dafür, dass das streitige Vorhaben Grundzüge der Planung berührt, wenngleich tatrichterliche Feststellungen hierzu fehlen. Eine Befreiung scheitert hier aber jedenfalls daran, dass es zur Bewältigung der gegenläufigen Nutzungskonflikte, die mit der Ansiedlung eines Krematoriums mit Abschiedsraum verbunden sind, einer Planung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bedarf.

22

Der Gesetzgeber stellt mit der Abweichung nach § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung, das im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität schafft (Beschluss vom 5. März 1999 - BVerwG 4 B 5.99 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39). Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht (Urteile vom 9. Juni 1978 - BVerwG 4 C 54.75 - BVerwGE 56, 71 <79> und vom 19. September 2002 - BVerwG 4 C 13.01 - BVerwGE 117, 50 <53 f.>). Generelle, d.h. typischerweise mit der Zulassung eines bestimmten Vorhabens verbundene Nutzungskonflikte, die eine auf die Standortfrage ausgerichtete Planung mit Abwägung gegenläufiger Interessen erforderlich machen, lassen sich nicht im Wege einer Befreiung bewältigen. Was den Bebauungsplan in seinen "Grundzügen", was seine "Planungskonzeption" verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O. S. 78). Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in § 3 ff. BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 BauGB genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann (Urteil vom 4. August 2009 - BVerwG 4 CN 4.08 - BVerwGE 134, 264 Rn. 12).

23

Ein Krematorium mit Abschiedsraum in einem Gewerbegebiet löst Nutzungskonflikte aus, die sich nur im Wege einer Abwägung bewältigen lassen. Wie dargelegt zeichnet sich ein Krematorium mit Abschiedsraum durch die Besonderheit der Gleichzeitigkeit von Störgrad und Störempfindlichkeit aus. Das führt zu bodenrechtlich relevanten Spannungen, die nur durch Planung zu lösen sind. Ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Anlage - mit Blick auf den Schutz der Gesundheit - entstehen bodenrechtliche Spannungen vor allem dadurch, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum in einer Umgebung anzusiedeln ist, die eine würdevolle Bestattung erlaubt. Der Schutz der Bestattung und des Totengedenkens fordert Rücksichtnahme durch die Nachbarschaft; zugleich ist Rücksichtnahme auf Nachbarn gefordert. Eine Koordination dieser widerstreitenden Belange lässt sich sachgerecht nur im Wege einer Abwägung unter Würdigung der öffentlichen und nachbarlichen Interessen sicherstellen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage des Standorts und seiner Anbindung. Diese Frage sowie die Frage nach Planungsalternativen fordert planerische Gestaltungsfreiheit unter Beachtung des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung. Der Gesetzgeber stellt für diese städtebauliche Konfliktlage auch spezifische Festsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Art der baulichen Nutzung kann nicht nur durch die Festsetzung von Baugebieten im Sinne der Baunutzungsverordnung erfolgen (Beschluss vom 13. Juli 1989 - BVerwG 4 B 140.88 - Buchholz 406.11 § 236 BauGB Nr. 1 S. 5 - juris Rn. 11). Auch "Flächen für den Gemeinbedarf" legen die Art der baulichen Nutzung fest (Beschluss vom 23. Dezember 1997 - BVerwG 4 BN 23.97 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 86 - juris Rn. 7). § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB eröffnet nicht nur die Möglichkeit, sondern verweist auch auf die Notwendigkeit einer gesonderten Festsetzung einer Gemeinbedarfsanlage im Fall eines städtebaulich relevanten Nutzungskonflikts. Sofern durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt, hat die Gemeinde überdies die Möglichkeit, ein sonstiges Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 1 BauNVO festzusetzen.

24

3. Die rechtswidrige Baugenehmigung verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger kann sich auf bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz berufen. Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (Urteile vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 und vom 23. August 1996 - BVerwG 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364; Beschluss vom 18. Dezember 2007 - BVerwG 4 B 55.07 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 32 Rn. 5). Ein Nachbar im Baugebiet kann sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden, wenn er - wie hier - durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.



Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008 wird die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2008 verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erteilende Baugenehmigung für die Errichtung zweier Werbeanlagen, die ihr wegen Verletzung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots versagt wurde.

2

Mit Antrag vom 14. Juni 2006 begehrte sie die Genehmigung für vier beleuchtete Werbeanlagen im sogenannten Euro-Format (3,80 m x 2,70 m) an der Rückseite des Gebäudes Am Bubenpfad ..., die der Straße Kaiserwörthdamm zugewandt ist. Hierbei handelt es sich um eine Ein- und Ausfahrtstraße in die Stadt L., die in beiden Richtungen zweispurig ausgebaut ist. In der näheren Umgebung befinden sich eine Mercedes-Benz-Niederlassung, zwei Tankstellen und eine ATU-Werkstatt. Der Antragseingang wurde am 19. Juni 2006 unter dem Vorbehalt einer Vollständigkeitsüberprüfung der Bauunterlagen bestätigt. Anlässlich einer Ortsbesichtigung Ende September 2006 wurde festgestellt, dass die Werbetafeln sämtlich bereits angebracht wurden. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2006 wurde die Befestigung der beiden äußeren Werbetafeln genehmigt. Für die beiden inneren Werbetafeln wurde die Genehmigung im Wesentlichen aus Gründen der Stadtbildpflege untersagt, weil sie unsensibel in das Fensterband einschnitten und damit die gesamte Gebäudefassade verunstalteten.

3

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Stadtrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2008 zurück: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO deshalb nicht eingetreten, weil die Bearbeitungsfrist erst nach Bestätigung der Vollständigkeit der Bauunterlagen in Lauf gesetzt werde und eine solche Bestätigung hier nicht erfolgt sei. In der Sache sei die Baugenehmigung deshalb abzulehnen, weil mit den beiden inneren Werbeanlagen eine störende Häufung solcher Anlagen auftrete. Das Erscheinungsbild der klar gegliederten Fassade werde empfindlich gestört.

4

Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortsbesichtigung mit Urteil vom 11. Juni 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die bauordnungsrechtliche Frage der verunstaltenden Wirkung der beiden Werbeanlagen sei zu Recht ausschließlicher Streit und Prüfungsgegenstand des Verfahrens. Zwar unterlägen Werbeanlagen dem vereinfachten Genehmigungsverfahren, so dass bauordnungsrechtliche Gesichtspunkte grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien. Dennoch dürfte die Bauaufsichtsbehörde auch in einem solchen Verfahren einzelne bauordnungsrechtliche Fragen behandeln, die sich ihr zur Prüfung aufdrängten. Dies leite sich aus ihrer in § 59 Abs. 1 Satz 1 LBauO niedergelegten Verpflichtung ab, auf die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorschriften hinzuwirken. Aufgrund der Entscheidung der Behörde werde der von Gesetzes wegen beschränkte Umfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens partiell bauordnungsrechtlich angereichert, was sich auch auf den Streitgegenstand der Verpflichtungsklage erstrecke. In der Sache folge die Kammer der Einschätzung der Beklagten, dass die straßenseitige Front der Fassade des Gebäudes Am Bubenpfad ... durch das waagerecht verlaufende Fensterband geprägt und strukturiert werde. Dieses klare Erscheinungsbild werde durch die beiden vor dem Fensterband angebrachten großflächigen Werbeanlagen empfindlich gestört, und zwar derart, dass ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand entstehe.

5

Die Klägerin führt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen aus: Zunächst habe sie einen Anspruch darauf, den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO festzustellen. Die dreimonatige Entscheidungsfrist sei auch ohne Vollständigkeitsfeststellung der Behörde in Lauf gesetzt worden, weil diese es pflichtwidrig unterlassen habe, diese Feststellung innerhalb der vorgegebenen 10-Tage-Frist zu erklären. Es sei eine weit verbreitete Praxis der Baubehörden des Landes Rheinland-Pfalz, von dieser Vollständigkeitsfeststellung abzusehen, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern. Um dieses Verhalten effektiv zu sanktionieren, komme die entsprechende Anwendung von § 162 Abs. 1 BGB (Verhinderung des Bedingungseintritts) in Betracht. Jedenfalls sei aber der Hilfsantrag begründet. Sie habe einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO, da ihr Vorhaben mit bauplanungsrechtlichen Vorschriften vereinbar sei. Bauordnungsrecht sei nicht Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Einhaltung dieser Bestimmungen obliege der Eigenverantwortung des Bauherrn. Ob bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegenstünden, müsse zum Zeitpunkt der Errichtung der Anlage entschieden werden. Insofern könnten sich die Umstände im Laufe der Gültigkeit der Baugenehmigung durchaus auch zugunsten des Bauherrn ändern, weshalb er ein berechtigtes Interesse an der vorherigen Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens habe. Es stelle einen rechtswidrigen Kunstgriff dar, wenn die Bauaufsichtsbehörde das Prüfungsprogramm um das Bauordnungsrecht erweitern dürfe. Die dahingehende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz stehe insofern im Kreis der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung allein. Auch das Abstellen auf ein fehlendes Sachbescheidungsinteresse für den Bauantrag bzw. auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse für eine entsprechende Verpflichtungsklage stelle eine unzulässige Umgehung der mit dem vereinfachten Genehmigungsverfahren bezweckten Einschränkung des präventiven Prüfungsprogramms dar.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008

8

1. festzustellen, dass die Baugenehmigung für die beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. als erteilt gilt ,

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hilfsweise,

10

2. die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2008 zu verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

11

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

13

Zur Begründung führt sie aus, dass die Genehmigungsfiktion aus den im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen nicht eingetreten sei. Hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens sei es unter dem Gesichtspunkt des Sachbescheidungsinteresses zulässig, auch bauordnungsrechtliche Vorschriften zu prüfen. Hier liege ein offensichtlicher Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot vor. Die Ausdehnung des Prüfungsprogramms sei gerade bei Werbeanlagen sinnvoll, weil die Verlagerung bauordnungsrechtlicher Fragen in das repressive baubehördliche Verfahren dem Betreiber ungerechtfertigte Vorteile einer zwischenzeitlichen Nutzungsmöglichkeit verleihe.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat hinsichtlich des hilfsweise erhobenen Verpflichtungsbegehrens Erfolg.

I.

16

Der Hauptantrag ist zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

17

Bei dem erst im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion für die beiden inneren Werbeanlagen handelt es sich um eine Klageerweiterung, die jedoch nach § 91 Abs. 1 VwGO wegen der Einwilligung des Beklagten zulässig ist.

18

Der Antrag ist indes nicht begründet. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 Satz 5 LBauO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt die Baugenehmigung als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der nach den Sätzen 2 und 3 maßgeblichen Frist entschieden worden ist. Der Beginn der hiernach maßgeblichen Bearbeitungsfrist ist in § 66 Abs. 4 Satz 2 eindeutig dahin geregelt, dass die Frist erst „nach Feststellung der Vollständigkeit“ in Lauf gesetzt wird, was aufgrund des systematischen Zusammenhangs dahin zu verstehen ist, dass es sich - entsprechend § 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO - um eine schriftliche Feststellung der Vollständigkeit handeln muss (vgl. die Urteile des Senats vom 20. Februar 2002, DVBl. 2002, 724 und vom 4. Juli 2007, BauR 2007, 1718; zuletzt: Beschluss des Senats vom 5. September 2008 - 8 A 10701/08.OVG -). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung reicht es nicht aus, dass die Behörde nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO verpflichtet gewesen wäre, die Vollständigkeit innerhalb der dort vorgesehenen Prüfpflicht „binnen 10 Werktagen“ festzustellen. Denn der Gesetzgeber hat diese 10-Werktage-Frist ausdrücklich nicht „fiktionsbewehrt“ ausgestaltet (vgl. das Urteil vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Hat der Gesetzgeber aber lediglich an das Verstreichen der Entscheidungsfrist nach § 66 Abs. 4 LBauO eine Fiktionswirkung geknüpft, nicht aber an das Verstreichen der Prüffrist für die Vollständigkeit des Bauantrags, kommt ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB (Vereitelung des Bedingungseintritts) entgegen der Auffassung des Klägers von vornherein nicht in Betracht. Dies bedeutet nicht, dass das gesetzwidrige Unterlassen der Vollständigkeitsprüfung und -bestätigung sanktionslos bleibt. So kann die pflichtwidrige Unterlassung der Vollständigkeitserklärung Amtshaftungsansprüche wegen verspäteter Erteilung der Baugenehmigung auslösen (vgl. das Urteil des Senats vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Im Übrigen ist es Sache des Gesetzgebers, auch die 10-Werktage-Frist nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO um eine Fiktionswirkung zu ergänzen, sollte er den Eindruck gewinnen, die in § 66 Abs. 4 LBauO angeordnete Entscheidungsfrist werde von den Baubehörden durch pflichtwidriges Unterlassen der Vollständigkeitserklärung in großem Umfang unterlaufen, wie von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen wird, wofür dem Senat indes bislang ausreichende Anhaltspunkte fehlen.

II.

19

Mit dem Hilfsantrag hat die Klage indessen Erfolg.

20

Das Verpflichtungsbegehren ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an der Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO nicht abgesprochen werden. Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet, weil die eingeschränkten Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

21

1. Zum Prüfungsprogramm für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erlassenden Baugenehmigung führt der Senat zunächst aus:

22

Streitgegenstand der Verpflichtungsklage ist die Rechtsbehauptung des Klägers, dass die beantragte Genehmigung im Hinblick auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage zu Unrecht verweigert worden ist, mithin nach den gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt besteht (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 121 Rn. 28).

23

Der Beklagte ist zum Erlass der beantragten Baugenehmigung verpflichtet, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO). Die danach umfassende Prüfungspflicht der Behörde ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren dahingehend eingeschränkt, dass lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kontrollieren ist (§ 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO); bauordnungsrechtliche Bestimmungen gehören nicht hierzu (vgl. Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, MinBl. S. 90 zu § 66 Abs. 3). Werbeanlagen unterfallen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 LBauO dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Zurücknahme der präventiven Kontrolle verfolgt den Zweck der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger Stärkung der Verantwortung des Bauherrn und seiner qualifizierten Beauftragten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zur LBauO 1986, LT-Drucks. 10/1344, S. 90; das Urteil des Senats vom 23. Oktober 2002 - 8 A 10994/02.OVG -, S. 7 d.U., ESOVGRP; Jeromin, LBauO, 2. Aufl. 2008, § 66 Rn. 57).

24

Der gesetzlichen Einschränkung der präventiven Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde korrespondiert ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der entsprechend eingeschränkten Voraussetzungen, d.h. der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum gesetzlichen Prüfungsprogramm gehörenden Vorschriften. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Bauaufsichtsbehörde nicht befugt, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilende Baugenehmigungen zu erweitern. Dies hat zur Folge, dass Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nach § 66 LBauO und Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens auseinanderfallen können. Diese Konsequenz der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens haben die mit Bausachen befassten Senate des erkennenden Gerichts bereits in den Urteilen vom 17. Juli 1996 (AS 26, 227 - LS 3 -, 8. Senat) und vom 26. September 1996 (AS 26, 267 [274 f.], 1. Senat) näher erläutert.

25

Die vom Verwaltungsgericht angenommene Erweiterung des Regelungsgehalts der - ablehnenden - Behördenentscheidung mit entsprechender Erweiterung des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage im anschließenden Verwaltungsprozess findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr kann der Bauherr die Erteilung der Genehmigung verlangen, sofern die im Gesetz geregelten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und nicht ausnahmsweise das Sachbescheidungsinteresse zu verneinen ist.

26

Lediglich im umgekehrten Fall der Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO ist es denkbar, dass die Behörde die - entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm - beschränkte Feststellungswirkung des Bescheids um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften ergänzt, und zwar mit entsprechenden Auswirkungen auf den Streitgegenstand des anschließenden Verwaltungsprozesses. Denn die in diesem Fall in Betracht kommende Anfechtungsklage eines Nachbarn hat sämtliche Regelungsteile (Feststellungswirkungen) der Baugenehmigung zum Gegenstand. Der Nachbar ist in einem solchen Fall auch gehalten, die Baugenehmigung in vollem Umfang anzugreifen, um zu verhindern, dass hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Feststellungen Bestandskraft eintritt. Auf diese prozessuale Folgewirkung hat der Senat in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 23. Oktober 2002 hingewiesen und ergänzend ausgeführt, dass eine solche Verfahrensweise der Behörde aus Gründen der Verfahrensvereinfachung gerechtfertigt sein kann, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen (vgl. a.a.O., S. 7 f. d.U.).

27

Erkennt die Behörde im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens hingegen Umstände, die für eine Unvereinbarkeit des Vorhabens mit Bauordnungsrecht sprechen, so ist ihr aus den oben dargelegten Gründen zwar eine Erweiterung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen untersagt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie deshalb jedoch nicht verpflichtet, diese bauordnungsrechtlichen Fragen im vereinfachten Genehmigungsverfahren gänzlich auszublenden. So entspricht es ihrer allgemeinen Aufgabe zur Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 59 Abs. 1 LBauO), wenn sie die Baugenehmigung nach § 66 LBauO um Hinweise zu möglichen Verletzungen bauordnungsrechtlicher Vorschriften ergänzt (vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 18. November 1991, AS 23, 321 [323]; auch: BayVGH, Beschluss vom 6. Juni 2002, BauR 2003, 683 - zusätzliche Anordnungen, die mit der Baugenehmigung verbunden werden können -).

28

Darüber hinaus entspricht es langjähriger Rechtsprechung der beiden Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, dass die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren abgelehnt werden kann, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstößt. Grundlage hierfür ist nicht die Erweiterung des gesetzlichen Prüfungsprogramms und der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Baugenehmigung, sondern die davon zu trennende verfahrensrechtliche Anforderung des Sachbescheidungsinteresses, dem im gerichtlichen Verfahren das Rechtsschutzinteresse entspricht. Der Bauherr hat nämlich kein schutzwürdiges Interesse an der Genehmigung eines Vorhabens, von dem ausgeschlossen ist, dass er es legal verwirklichen kann (vgl. OVG RP, Urteil vom 17. Juli 1996, a.a.O., LS 1; Urteil vom 26. September 1996, a.a.O., S. 275; Urteil vom 23. Oktober 2002, a.a.O., S. 8 d.U.; auch bereits: Urteil vom 9. Juni 1993 - 8 A 10876/92.OVG -, S. 10 d.U.; ferner: Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, a.a.O.). Die Berücksichtigung von Anforderungen an das Bauvorhaben außerhalb des gesetzlichen Prüfungsprogramms der Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Beurteilung des Sachbescheidungsinteresses ist ein allgemeiner verfahrensrechtlicher Grundsatz, der nicht auf das vereinfachte Genehmigungsverfahren beschränkt ist, sondern ebenso etwa bei der eingeschränkten Prüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde wegen paralleler Genehmigungsvorbehalte zugunsten anderer Behörden Anwendung findet (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 2 LBauO). Dass die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt fehlenden Sachbescheidungsinteresses versagen kann, wenn das Bauvorhaben in Widerspruch zu Anforderungen steht, die nicht Gegenstand des eingeschränkten Prüfungsprogramms sind, entspricht entgegen der Auffassung der Klägerin der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur einschließlich der von ihr selbst vorgelegten Urteile (vgl. Jäde, BayVBl. 2005, 301 m.w.N.; Schretter/Schenk, in: Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2004, 14. Kapitel, Rn. 24 m.w.N.; BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, BayVBl. 2006, 537 und juris Rn. 18; BayVGH, Beschluss vom 3. September 2007 – 1 ZB 07.151 -, juris Rn. 14; VG Gießen, Urteil vom 31. März 2008 - 1 K 99/08.Gi - S. 8 d.U.).

29

Fehlendes Sachbescheidungsinteresse kann freilich nur dann angenommen werden, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass das nach § 66 LBauO zu genehmigende Vorhaben wegen entgegenstehender sonstiger Vorschriften offensichtlich nicht verwirklicht werden darf (vgl. BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, a.a.O., Rn. 18). Weil die Anwendung der sonstigen Vorschriften nicht zum Prüfungsprogramm der Behörde gehört, ist deren Berücksichtigung im Rahmen der Prüfung des Sachbescheidungsinteresses auf eine Evidenzkontrolle beschränkt.

30

2. Nach dem so vorgegebenen Prüfungsrahmen hat die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsbegehren Erfolg.

31

a) Zunächst ist der Verpflichtungsantrag zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Klägerin das hierfür erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden.

32

Das Rechtsschutzinteresse an der Verpflichtung zur Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO würde fehlen, wenn ausgeschlossen wäre, dass die Klägerin mit dieser Baugenehmigung etwas anfangen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn das Bauvorhaben aus anderen als den zum Prüfungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehörenden Gründen dauerhaft nicht verwirklicht werden dürfte. Dies haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht hier mit der Begründung bejaht, dass die beiden inneren Werbeanlagen auf die Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... verunstaltend wirkten und damit bauordnungsrechtlich unzulässig seien. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

33

Werbeanlagen sind nach § 5 Abs. 2 Satz 1/§ 52 Abs. 2 Satz 1 LBauO mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten. Als Sondertatbestand einer Verunstaltung verbietet § 52 Abs. 2 Satz 2 LBauO die störende Häufung von Werbeanlagen.

34

Verunstaltung bedeutet nicht bereits jede Störung der architektonischen Harmonie, also nicht jede Unschönheit, sondern nur einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Maßgeblich ist dabei, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 1995, NJW 1995, 2648). Das Verunstaltungsverbot bezweckt, krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete durch das Hinzutreten störender baulicher Anlagen abzuwehren (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ob eine Werbeanlage in diesem Sinne verunstaltend wirkt und welcher Umgriff dabei mit einzubeziehen ist, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, insbesondere des Standorts der Anlage, der Art und Struktur der in der näheren Umgebung vorhandenen Gebäude, Straßenzüge und Landschaftsteile zu beurteilen (vgl. BayVGH, Urteil vom 15. März 2007 - 26 B 05.3020 -, juris, Rn. 11).

35

Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier nach Auffassung des Senats noch nicht von einer verunstaltenden Wirkung der streitgegenständlichen beiden inneren Werbeanlagen auf das Orts- und Straßenbild auszugehen . Hiergegen spricht zunächst die Lage des Gebäudes Am Bubenpfad ... in einem faktischen Gewerbegebiet. In einem solchen Gebiet sind Werbeanlagen grundsätzlich allgemein zulässig und entfalten auch nur ausnahmsweise störende Wirkung. Eine solche Ausnahme mit verunstaltender Wirkung ist hier auch nicht im Hinblick auf den Anbringungsort der Anlagen gegeben. Wie sich aus den zu den Akten gereichten Fotografien ohne weiteres ergibt, ist die nähere Umgebung des Gebäudes Am Bubenpfad ... nicht bereits durch sonstige Werbeanlagen überfrachtet. Auch das Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes wird durch die beiden zusätzlichen Werbeanlagen nicht in einem Maße beeinträchtigt, dass von einem hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzenden Zustand gesprochen werden könnte. Dabei erkennt auch der Senat wie bereits die Beklagte und das Verwaltungsgericht, dass die mit dem Fensterband bewirkte Strukturierung der Fassade und die damit verfolgte architektonische Harmonie durch die davor angebrachten Werbetafeln gestört wird. Indes genügt dies noch nicht, um eine verunstaltende Wirkung anzunehmen. Gemessen am gesamten Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... erweist sich die konkrete Platzierung der beiden inneren Werbeanlagen nach Auffassung des Senats noch nicht als in krassem Sinne störend.

36

b) Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet.

37

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach §§ 70 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO.

38

Die beiden Werbeanlagen sind nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig. Wie der Stadtrechtsausschuss bereits zutreffend ausgeführt hat, sind solche gewerblichen Anlagen in einer als Gewerbegebiet zu qualifizierenden Umgebung allgemein zulässig. Von ihnen gehen auch keine unzumutbaren Störungen im Sinne von § 15 Abs. 1 BauNVO aus. Aus den oben dargelegten Gründen führen sie auch nicht zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, zumal insofern ohnehin auf einen größeren maßstabbildenden Bereich abgestellt werden muss (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2000, NVwZ 2000, 1169). Die Verletzung sonstiger zum Prüfungsprogramm der Genehmigung nach § 66 LBauO gehörender öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,-- € festgesetzt, wobei sich die Klageerweiterung wegen des mit dem Verpflichtungsbegehren identischen wirtschaftlichen Interesse nicht streitwerterhöhend ausgewirkt hat (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.