Verwaltungsgericht Münster Urteil, 22. Juli 2015 - 9 K 3488/13.A
Verwaltungsgericht Münster
Tenor
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 12. November 2013 verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt 2/3, die Beklagte 1/3 der Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der verheiratete amharischsprachige Kläger ist nach eigenen Angaben 1979 in Asmara (heute Eritrea) geboren und seinen Aussagen zufolge eritreischer Staatsangehöriger tigrinischer Volkszugehörigkeit. Nach seiner Darstellung lebte er mit seinen Eltern ab 1980 auf dem Gebiet des heutigen Äthiopien und flüchtete im Mai 2010 zunächst in den Sudan und 2012 in die Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger stellte in der Bundesrepublik Deutschland am 6. Juli 2012 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärte der Kläger im Wesentlichen Folgendes: Seine Eltern – die eritreische Staatsangehörige seien – hätten sich getrennt; sein Vater sei im Jahr 1998 von Äthiopien nach Eritrea deportiert worden, wohingegen seine Mutter in Äthiopien verblieben und dort später gestorben sei. Er – der Kläger – sei nicht deportiert worden, sondern habe sich bis 2010 in Äthiopien aufgehalten. Er habe in Äthiopien an einer Universität Bauwesen studiert und anschließend in Addis Abeba für eine Straßenbaufirma gearbeitet. Schließlich habe Äthiopien ein Gesetz verabschiedet, wonach Eritreern konfisziertes Vermögen zurückzugeben sei. Er sei daraufhin am 10. September 2009 das erste Mal zur Stadtverwaltung von Adama/Nazret gegangen, um konfisziertes Vermögen seines Vaters wiederzuerlangen. Das verabschiedete Gesetz sei nicht angewandt worden; vielmehr sei ihm mitgeteilt worden, er solle froh sein, dass er als Eritreer in Äthiopien leben dürfte. Während des zweiten Termins bei der Stadtverwaltung habe er angekündigt, dass er Klage erheben werde, um das Vermögen seines Vaters zurückzuerlangen. Während des dritten Termins bei der Stadtverwaltung, am 15. September 2009, sei er dann festgenommen worden. Anschließend habe er sich bis Ende November 2009 in Haft befunden; in der Haft sei er geschlagen worden und habe Verletzungen erlitten. Durch Zahlung von Bestechungsgeld sei es ihm gelungen, das Gefängnis zu verlassen. Nach der Flucht habe er sich nach Addis Abeba begeben und zunächst wieder seine vorherige Arbeitsstelle aufgesucht. Er habe jedoch von den Behörden kontinuierlich Drohungen erhalten und sein Arbeitgeber habe ihm schließlich mitgeteilt, dass man sein Arbeitsverhältnis beenden müsse. Aus diesen Gründen habe er im Mai 2010 Äthiopien verlassen.
4Mit Bescheid vom 12. November 2013, am 26. November 2013 als Einschreiben zur Post aufgegeben, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2.) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. (Ziffer 3.) vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Äthiopien an (Ziffer 4.). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter scheitere daran, dass der Kläger keine Reiseunterlagen vorgelegt habe, so dass er der ihn treffenden materiellen Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates i. S. v. Art. 16a Abs. 2 GG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, nicht nachgekommen sei. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bestehe ebenfalls nicht. Der amharisch sprechende Kläger habe keinerlei Personaldokumente vorgelegt und eine eritreische Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen. Die Inhaftierung des Klägers sei nicht wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit erfolgt. Der Kläger habe in Äthiopien aufwachsen und ungehindert einer beruflichen Tätigkeit nachgehen dürfen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. lägen ebenso wenig vor.
5Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 9. Dezember 2013 Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend im Wesentlichen aus: Bei Ausbruch des äthiopisch-eritreischen Krieges seien sein Vater, dessen Grundvermögen in Adama/Nazret, Haus, Werkstatt sowie zwei Lkws konfisziert worden seien, sowie seine Schwester nach Eritrea abgeschoben worden. Er – der Kläger – habe anschließend weiter bei seiner Mutter in Äthiopien gelebt. Seine Mutter sei vermutlich deswegen nicht deportiert worden, weil sie nach der Trennung von seinem Vater einen Äthiopier geheiratet habe. Nach dem Tod seiner Mutter habe er – der Kläger - geheiratet. Nachdem im Laufe des Jahres 2009 in Äthiopien eine Regelung in Kraft getreten sei, nach der eritreischstämmige Personen konfisziertes Vermögen wieder hätten zurückerhalten können, habe er bei der örtlichen Verwaltung in Adama/Nazret drei Mal vorgesprochen, um Vermögen seines Vaters zurückzuerhalten. Im Rahmen der dritten Vorsprache sei er von drei Personen festgenommen und in ein Lager gebracht worden. Er sei mit einem Knüppel geschlagen worden; ein Zeh am linken Fuß sei gebrochen worden. Nach zwei Tagen in einer Einzelzelle sei er in einer Gemeinschaftszelle mit ca. 20 Gefangenen untergebracht worden. Ende November 2009 sei er „auf freien Fuß gesetzt“ worden. Im Januar 2010 habe ihm sein Arbeitgeber gekündigt, da er – der Kläger - ein Problem mit der Regierung habe; die Bedrohungen durch Sicherheitskräfte seien anschließend weiter gegangen. In der Bundesrepublik Deutschland sei er für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) politisch aktiv. Er nehme u.a. an Parteiversammlungen teil, beteilige sich dort an Diskussionen und werbe für die EPPF. Darüber hinaus habe er verschiedentlich regimekritische Beiträge publiziert; seit April 2015 gehöre er zur Redaktion der quartalsmäßig erscheinenden äthiopischen oppositionellen Zeitschrift L. .
6Er – der Kläger – habe einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Eine etwaig über einen sicheren Drittstaat erfolgte Einreise stehe der Asylanerkennung nicht entgegen. Ferner werde er aufgrund seiner teileritreischen Herkunft sowie seines Versuches, Teile des ursprünglichen Vermögens seines eritreischen Vaters zurückzuerhalten, von den äthiopischen Behörden auf unabsehbare Zeit nicht mehr als äthiopischer Staatsbürger, sondern als eritreischer Staatsbürger behandelt und erhalte vor diesem Hintergrund weder einen Pass noch ein anderes Einreisepapier durch die äthiopischen Behörden. Seine Inhaftierung sei auch vor dem Hintergrund seiner teileritreischen Herkunft erfolgt („Eritreer-Malus“); eine Person ohne eritreischen Elternteil würde nach Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche nicht inhaftiert werden. Die äthiopischen Sicherheitskräfte hätten über ihn bereits wegen seiner Herkunft und seiner Versuche zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens ein Dossier angelegt. Im Falle der Rückkehr nach Äthiopien drohte ihm darüber hinaus aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten für die EPPF mindestens Haft für unbestimmte Zeit. Die exilpolitische Tätigkeit für die EPPF sei den äthiopischen Behörden aufgrund ihrer Überwachung der äthiopischen Exilopposition auch bekannt geworden.
7Ginge man hingegen davon aus, dass er – der Kläger – eritreischer Staatsangehöriger sei, so drohe ihm aufgrund seines Aufenthalts in Äthiopien und seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea dort Haft und Misshandlung für unbestimmte Zeit. Die eritreische Regierung verfolge in diesem Zusammenhang auch Personen, die sich dadurch, dass sie sich während des wehrpflichtigen Alters niemals in Eritrea, sondern nur im Ausland aufgehalten hätten, dem Nationalen Dienst in Eritrea durch schlichte Abwesenheit entzogen hätten. Schließlich drohe ihm als sog. Pfingstler in Eritrea aufgrund seiner Religion Verfolgung.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
10hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
11äußerst hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens vorliegen.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angegriffenen Bescheids.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, namentlich der Sitzungsniederschrift mit dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers durch das Gericht, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten (1 Heft) sowie der vom Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2015 übersandten Unterlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17I. Das Gericht konnte über die Klage entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, da bei der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
18II. Die zulässige Klage ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 12. November 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien, den Zielstaat der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid, abgelehnt hat. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 12. November 2013 ist im Übrigen hingegen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
19A. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Anspruch ist nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG ausgeschlossen. Zur Begründung nimmt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die insoweit zutreffende Begründung im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten (dort ab Seite 2 zehnter Absatz bis einschließlich Seite 3 sechster Absatz) vom 12. November 2013 Bezug. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt vorliegend auch kein Fall von § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vor. Andernfalls liefe zum einen Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG regelmäßig leer. Zum anderen lässt sich Art. 3 Abs. 3 der im vorliegenden Fall noch anwendbar gewesenen VO (EG) Nr. 343/2003 (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der nachfolgenden VO (EU) Nr. 604/2013) entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber nationale Drittstaatenregelungen der Mitgliedstaaten unangetastet lassen wollte.
20B. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG. In Eritrea, dessen Staatsangehöriger er ist (dazu im Einzelnen unter h)), droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung im Sinne dieser Normen (dazu im Einzelnen unter i)).
21a) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – GFK - nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seiner vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Gemäß § 3a Abs. 2 AsylVfG gelten als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen: (1.) die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, (2.) gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, (3.) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, (4.) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, (5.) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen, (6.) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylVfG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Nach § 3b Abs. 2 AsylVfG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Gemäß § 3c AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
22Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist – wie auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes - der Maßstab der beachtlichen, d.h. überwiegenden Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die zum Asylgrundrecht entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nachdem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist, finden unter Geltung der Richtlinie 2011/95/EU auf die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes keine Anwendung. Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, lediglich ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nur durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten normiert Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris, Rn. 18 ff.; BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24/08 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A -, juris, Rn. 35 ff.; jeweils m. w. N (jeweils zur Vorgängernorm des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
24b) Ein Asylanspruch besteht nicht, wenn der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylsuchende besitzt, bereit und fähig ist, diesen gegen Verfolgungsmaßnahmen auf seinem Territorium zu schützen. Dieser im Rahmen der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG zu beachtende Grundsatz ist auch im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG sowie im Rahmen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG, § 60 Abs. 2 AufenthG – wie sich aus der Verwendung des Begriffes „Herkunftsland“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und der damit in Bezug genommenen Legaldefinition dieses Begriffes in § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG ergibt - zu beachten (wohingegen im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat abzustellen ist, vgl. § 34 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 59 Abs. 3 AufenthG). § 3 Abs. 1 AsylVfG normiert – wie bereits ausgeführt - ausdrücklich, dass ein Ausländer nur dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, sind danach nur dann Flüchtlinge (bzw. subsidiär Schutzberechtigte), wenn sie des Schutzes desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören.
25Vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Beschluss vom 28. November 2003 – 1 B 139/03 -, juris, Rn. 3, m. w. N.
26In der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 A Nr. 2 Abs. 1 GFK kommt das der Konvention zugrunde liegende Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts ebenfalls zum Ausdruck. Das bedeutet zum einen, dass der internationale Schutz nach der Konvention grundsätzlich nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts eingreift, und zum anderen, dass die Schutzgewährung durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts die Flüchtlingseigenschaft ausschließt. Die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG kann deshalb regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist. Offen bleiben kann diese nur, wenn hinsichtlich sämtlicher als Staat der Staatsangehörigkeit in Betracht kommender Staaten die Gefahr politischer Verfolgung entweder bejaht oder verneint werden kann.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29/03 -, juris, Rn. 14 f.
28c) Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt.
29Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 24.
30d) Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend existiert eine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann, nicht. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien richterlichen Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29/03 -, juris, Rn. 18.
32e) Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, zu betrachten. In diesem Zusammenhang gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das grds. in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung erfasst werden muss. Das Gericht ist grds. gehalten, das ausländische Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung des betreffenden Staates entwickelt hat. Das Gericht darf als deutsches staatliches Gericht aber auch das ausländische Recht für Sonderfallgestaltungen, welche die Gerichte des Staates, dessen Recht anzuwenden ist, (bisher) nicht entschieden haben, fortentwickeln. Hierfür sind der Geist und die Systemzusammenhänge des ausländischen Rechts maßgebend. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Eine Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. 293 Satz 1 ZPO).
33Vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 10 C 2/12 -, juris, Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 14. Januar 2014 – II ZR 192/13 -, juris, Rn. 15; Geimer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 293 ZPO; jeweils m. w. N.
34Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner, dass ausländische Rechtsnormen für ein deutsches Gericht keine Tatsachen, sondern Rechtssätze sind bzw. Normqualität aufweisen.
35Vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 293 ZPO Rn. 14, 17, m. w. N.
36Dem steht nicht entgegen, dass ausländische Rechtsnormen – wie bereits ausgeführt - unter den Voraussetzungen des § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 293 Satz 1 ZPO einer Beweiserhebung bedürfen und die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern ungeachtet Besonderheiten „wie“ eine Tatsachenfeststellung zu behandeln ist. Aus letzterem Umstand, der sich nur auf das Revisionsrecht bezieht, folgt nur, dass das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht in den Grenzen des § 137 Abs. 2 VwGO an Feststellungen eines Berufungsgerichts zum ausländischen Recht gebunden ist.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 10 C 2/12 -, juris, Rn. 16.
38f) Voraussetzung der bereits dargestellten Verpflichtung des Gerichts, über die ausländischen Rechtsnormen als solche hinaus auch deren Umsetzung in der Rechtspraxis des jeweiligen Staates zu berücksichtigen, muss jedoch sein, dass die ausländische Rechtspraxis eine zumindest vertretbare Konkretisierung bzw. Auslegung der jeweiligen Rechtsnormen vornimmt. Eine Rechtspraxis, die im eindeutigen Widerspruch zu den gültigen Rechtsnormen des jeweiligen Staates stünde, wäre für das Gericht als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit dahingegen gerade nicht verbindlich. Außerhalb des geltenden Rechts liegende Umstände können nämlich keinen Einfluss haben auf die sich nach objektiven normativen Regelungen richtende Staatsangehörigkeit einer Person. Voluntative Elemente, die von den Behörden des jeweiligen fremden Staates neben dessen geltendem Staatsangehörigkeitsrecht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit herangezogen werden, sind demzufolge für das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit unverbindlich. Im Falle eines evidenten Widerspruchs der staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtspraxis zu den staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtsnormen in dem jeweiligen ausländischen Staat sind für das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit die Rechtsnormen maßgeblich, da sich die ausländische Rechtspraxis in einem Staat – wie in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) - nach den jeweiligen Normen dieses Staates richten muss. Steht die staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtspraxis in dem jeweiligen ausländischen Staat in einem evidenten Widerspruch zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtslage, so könnte allerdings dieser Widerspruch u.U. selbst ggf. eine flüchtlingsschutzrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr in Form einer Ausbürgerung/Aussperrung begründen.
39Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 28. August 2007 – 8 K 1136/06.A -, n.v., Seite 9, das daraus folgerte, dass das Ableisten von Wehrdienst für Eritrea nicht zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führen kann, sondern allenfalls dazu, dass ein äthiopischer Staatsangehöriger von den Behörden Äthiopiens nicht mehr als solcher akzeptiert und ihm infolge dessen die Wiedereinreise nach Äthiopien verweigert wird; vgl. zu den Voraussetzungen einer asylrechtlich erheblichen Ausbürgerung/Aussperrung, insb. zu der erforderlichen Eingriffsintensität, etwa BVerwG, Beschluss vom 30. April 1997 – 9 B 11/97 -, juris, Rn. 3 ff.
40g) Die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage ergibt sich in Äthiopien aus Art. 33 der Verfassung vom 21. August 1995, dem früheren Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930, das durch Art. 25 des nachfolgenden Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 aufgehoben wurde, und dem erwähnten Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003, das nach seinem Art. 27 am selben Tag in Kraft trat.
41Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien.
42Darüber hinaus hat die äthiopische Regierung unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes einen Erlass zur Anwendung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf in Äthiopien lebende Eritreer (Direktive der äthiopischen Regierung zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien vom 16. Januar 2004) sowie einen Erlass aus Mai 2009 herausgegeben.
43In Eritrea ergibt sich die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage aus der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992, die nach ihrem Art. 13 am Tag ihrer Veröffentlichung (6. April 1992) in Kraft treten sollte bzw. am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas, in Kraft trat.
44Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea.
45h) Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Kläger eritreischer Staatsbürger:
46aa) Im Zeitpunkt seiner Geburt in Asmara 1979 war der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger. Nach Art. 1 des damals gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930 war äthiopischer Staatsbürger, wer als Kind eines äthiopischen Vaters oder einer äthiopischen Mutter in Äthiopien oder außerhalb geboren wird. Das Gericht hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Eltern des Klägers im Jahre 1979 äthiopische Staatsangehörige waren. Zu diesem Zeitpunkt existierte eine eritreische Staatsangehörigkeit nämlich noch nicht, da Eritrea als Staat im völkerrechtlichen Sinne damals noch nicht bestand.
47bb) Durch die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 in Verbindung mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit erworben. Die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 regelt die Frage, ob jemand qua Geburt eritreischer Staatsangehöriger ist, in ihrem Art. 2. Nach ihrem Art. 13 sollte sie am Tag ihrer Veröffentlichung im eritreischen Amtsblatt, das war der 6. April 1992, in Kraft treten. Wirksam konnte sie jedoch erst werden, nachdem Eritrea am 24. Mai 1993 seine (völkerrechtlich anerkannte) Unabhängigkeit erklärte, da es vorher – wie ausgeführt - als Staat im völkerrechtlichen Sinne noch nicht existierte.
48Nach Art. 2 Abs. 1 ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vatersoder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. „Eritreischer Abstammung“ ist gemäß Art. 2 Abs. 2, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte.
49Grund für das Abstellen auf das Jahr 1933 war, dass die damalige Kolonialmacht Italien in jenem Jahr eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann, vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea, Seite 7.
50Der Begriff der "eritreischen Abstammung" in Art. 2 Abs. 2 ist also nicht mit der eritreischen Volkszugehörigkeit identisch, sondern verlangt den Aufenthalt einer Person im Gebiet des heutigen Eritrea im Jahr 1933.
51Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31.
52Nach dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 müssen Vateroder Mutter zwingend selbst „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sein bzw. 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea gehabt haben, um ihrem Kind die eritreische Staatsangehörigkeit qua Geburt zu vermitteln („als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung“). Nach Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 1 und 2 (teleologische Auslegung) muss es jedoch, um einer Person die eritreische Staatsbürgerschaft qua Geburt zu vermitteln, jedenfalls dann, wenn weder deren Vater noch Mutter im Jahre 1933 bereits lebten, auch ausreichen, wenn wiederum Vorfahren von Vateroder Mutter „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sind bzw. 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass eine Person, deren Elternteile beide erst nach 1933 geboren wurden, niemals eritreischer Staatsangehöriger qua Geburt sein könnte, selbst wenn ihre Großeltern mütter- oder väterlicherseits „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sind, weil sie 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Dies kann nicht überzeugen.
53So der Sache nach wohl auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31: „Danach hat der Kläger nach Nr. 2 Abs. 1 der Verordnung durch Geburt die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt, denn seine Vorfahren lebten 1933 im Gebiet des heutigen Eritrea.“
54Nach Art. 2 Abs. 3 wird, wer in Eritrea als Kind unbekannter Eltern geboren ist, bis zum Beweis des Gegenteils als eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt betrachtet. Gemäß Art. 2 Abs. 4 erhält auf Antrag eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom Ministerium des Innern, wer durch Abstammung oder Geburt Eritreer ist. Die Erteilung der Staatsangehörigkeitsbescheinigung nach Art. 2 Abs. 4 setzt die eritreische Staatsangehörigkeit voraus. Die Bescheinigung begründet nicht eine ansonsten nicht bestehende Staatsangehörigkeit, sondern dokumentiert nur ihr Vorhandensein. Sie hat also nur deklaratorische Wirkung.
55Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31.
56Nach Art. 2 Abs. 5 hat, wer durch Geburt Eritreer ist, seinen Aufenthalt im Ausland hat und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, einen Antrag an das Ministerium des Innern zu richten, wenn er förmlich auf seine ausländische Staatsangehörigkeit zu verzichten und die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben wünscht oder wenn er wünscht, dass nach Vorlage ausreichender Gründe seine eritreische Staatsangehörigkeit anerkannt wird, während er seine fremde Staatsangehörigkeit beibehält. Art. 2 Abs. 5 verleiht – im Unterschied zu Art. 2 Abs. 4 – nach seinem Wortlaut konstitutiv die eritreische Staatsangehörigkeit („wenn er … die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben wünscht…“).
57Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 39 („…so dass es nicht des konstitutiven Erwerbs der Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 5 der Verordnung bedarf“).
58Eine von Vorfahren eritreischer Abstammung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 abstammende Person, die ihren Aufenthalt im Ausland – etwa in Äthiopien – (gehabt) hat, erwirbt die eritreische Staatsangehörigkeit unmittelbar (ipso iure) nach Art. 2 Abs. 1–4, nicht erst durch konstitutive Entscheidung des eritreischen Ministeriums des Innern auf entsprechenden Antrag nach Art. 2 Abs. 5.
59Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31 ff.
60Eine derartige Auslegung des Art. 2 stellt sich einerseits als vertretbar dar bzw. steht nicht in einem Widerspruch zum Wortlaut dieser Norm (dazu aaa)); andererseits entspricht sie nach der Auskunftslage der Handhabung durch die eritreischen Behörden (dazu bbb)).
61aaa) Die vorstehend beschriebene Auslegung des Art. 2 steht mit dessen Wortlaut in Einklang, insb. behält dessen Abs. 5 auch hiernach einen eigenen Regelungsinhalt: Nach Art. 2 Abs. 1 und 2 sind eritreische Staatsangehörige durch Geburt nicht alle Personen, die von eritreischen Volkszugehörigen abstammen, sondern nur solche, die von Personen „eritreischer Abstammung" (die also wiederum 1933 in Eritrea ihren Aufenthalt hatten) abstammen. Solche Personen können sich gemäß Art. 2 Abs. 4 eine deklaratorische Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom eritreischen Ministerium des Innern ausstellen lassen. Der Umstand, dass die eritreischen Behörden einen Nachweis der eritreischen Abstammung verlangen, steht dem Innehaben der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nicht entgegen. Insoweit ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Bestehen der eritreischen Staatsangehörigkeit und dessen Nachweis. So sind etwa die Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum und/oder der Besitz einer eritreischen ID-Karte geeignet, den Nachweis der eritreischen Abstammung und damit der eritreischen Staatsangehörigkeit zu führen; Voraussetzung der eritreischen Staatsangehörigkeit, deren Innehaben auch auf andere Weise – etwa durch die Beibringung von drei Zeugen eritreischer Staatsangehörigkeit, die in der Lage sind zu bestätigen, dass es sich bei der betroffenen Person um einen eritreischen Staatsangehörigen handelt - nachgewiesen werden kann,
62vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. Februar 2001 an das VG Gießen (Az.: 508-516.80/36938); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 32; vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), Seite 19: Es gibt mehrere Möglichkeiten, die eritreische Staatsangehörigkeit festzustellen, und zwar durch eritreischen Personalausweis, ausgestellt für eine Teilnahme an der Abstimmung über die Unabhängigkeit Eritreas; Geburts- und Taufurkunde; Feststellung durch Gerichtsbeschluss unter Hinzuziehung von drei Zeugen,
63sind sie jedoch nicht.
64Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31, 40 f.
65Wer hingegen „nur" eritreischer Volkszugehöriger ist, jedoch nicht das weitere Merkmal der Abkunft von Personen "eritreischer Abstammung" i. S. v. Art. 2 Abs. 2 erfüllt, kann unter den weiteren Voraussetzungen des Abs. 5 die Option für die eritreische Staatsangehörigkeit ausüben. Mit dem Begriff „durch Geburt Eritreer“ meint Art. 2 Abs. 5 der Verordnung somit nicht Personen, die durch Geburt eritreische Staatsangehörige (i. S. v. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung) sind, denn mit dieser Auslegung würde Art. 2 Abs. 5 in sich widersprüchlich: Sein Regelungsgehalt läge dann im Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit durch Personen, die diese schon innehaben. Damit kann Abs. 5 auch nicht als (abschließende) Spezialregelung für Fälle doppelter Staatsangehörigkeit angesehen werden.
66Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31, 40.
67bbb) Die vorstehend beschriebene Auslegung entspricht nach der Auskunftslage auch der Handhabung durch die eritreischen Behörden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2001 an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das für Staatsangehörigkeitsfragen zuständige Department for Immigration and Nationality Eritreas auf mündliche Nachfrage erklärt, dass im Ausland lebende Eritreer, die eine fremde Staatsangehörigkeit innehaben, keinen förmlichen Antrag im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Verordnung stellen müssen, um als eritreische Staatsangehörige anerkannt zu werden. Faktisch würde jeder im Ausland lebende Eritreer, auch wenn er eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, als eritreischer Staatsangehöriger anerkannt, wenn er seine Abstammung nachweisen oder gegebenenfalls Zeugen für seine Abstammung benennen könne. Es wurde ausdrücklich bestätigt, dass dies auch für Eritreer gilt, die vorher in Äthiopien lebten und möglicherweise die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzen bzw. besaßen.
68Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. November 2001 an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Az.: 508(514)-516.80/36565); vgl. dazu, dass keine hinreichenden Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft bestehen, die überzeugenden Ausführungen des VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 34 (Rn. 35 ff. enthalten auch eine Auseinandersetzung mit weiteren Erkenntnismitteln).
69Die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Februar 2001 an das Verwaltungsgericht Gießen, die sich u.a. mit der Verbalnote der eritreischen Regierung vom 30. September 1993 – VN/AA-369/93 – befasst, steht hiermit in Einklang. Mit dieser Verbalnote wurde u.a. bestätigt, dass es hinsichtlich des Erwerbs der eritreischen Staatsangehörigkeit keine Sonderregelungen für im Ausland lebende Personen gibt. Somit findet die Proklamation Nr. 21/1992 auch auf solche eritreischstämmigen Personen Anwendung, die vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Äthiopien gelebt haben und nicht über eine ID-Karte Eritreas verfügen.
70Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. Februar 2001 an das VG Gießen (Az.: 508-516.80/36938).
71Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger, dessen Vorfahren (väterlicherseits) „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Proklamation Nr. 21/1992 sind, die eritreische Staatsangehörigkeit durch diese Proklamation in Verbindung mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 erworben. Er ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt i. S. v. Art. 2 Abs. 1. Jedenfalls die Vorfahren des Klägers väterlicherseits sind nämlich nach der Überzeugung des Gerichts eritreischer Abstammung i. S. v. Art. 2 Abs. 2, da sie 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Ob zusätzlich auch die Vorfahren des Klägers mütterlicherseits eritreischer Abstammung im Sinne dieser Norm sind (der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er die Eltern seiner Mutter nicht kenne, da sie vor seiner Geburt gestorben seien), kann auf sich beruhen. Der Kläger, der bereits im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geäußert hatte (Bl. 33/34 BA Heft 1), dass er sowie seine Eltern eritreische Staatsangehörige seien, hat in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht wiederum ausgeführt, er sei eritreischer Staatsangehöriger. Er hat weiter überzeugend dargelegt, dass die Eltern seines Vaters, der nach seinen – des Klägers – Angaben gegenwärtig, sofern er noch lebt, ca. 66 Jahre alt sein müsste, so dass er nach 1933 geboren ist, aus Tesseney (Eritrea) kämen. Folglich ist davon auszugehen, dass die Großeltern des Klägers väterlicherseits 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten.
72cc) Erwirbt nach dem vorstehend Ausgeführten der Kläger als bis dato äthiopischer Staatsangehöriger mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 1-4 der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992, so verliert er damit ipso iure gleichzeitig die bis dahin innegehabte äthiopische Staatsangehörigkeit gemäß Art. 11 lit. a) des zum damaligen Zeitpunkt gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930. Nach dieser Norm verliert ein äthiopischer Staatsangehöriger die äthiopische Staatsangehörigkeit, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt.
73Dass die äthiopische Regierung bis zum Ausbruch des äthiopisch-eritreischen Krieges im Mai 1998 ehemalige äthiopische Staatsbürger, die die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea erlangt und dementsprechend die äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, u.a. aus (außen)politischen Opportunitätsgründen faktisch weiterhin als äthiopische Staatsbürger behandelte bzw. de facto eine doppelte Staatsangehörigkeit dieses Personenkreises hinnahm,
74vgl. dazu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 1 f.: „Bis Mai 1998 akzeptierten die äthiopischen Behörden die faktische Doppelstaatsbürgerschaft bei Eritreern“,
75steht dem Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 nicht entgegen. Die damalige faktische Handhabung durch die äthiopischen Behörden stand nämlich im Widerspruch zum damals geltenden StAG Äthiopien 1930 bzw. dem Wortlaut von dessen Art. 11 lit. a).
76dd) Die ab dem äthiopisch-eritreischen Krieg, der von Mai 1998 bis Juni 2000 (Waffenstillstandsabkommen) andauerte, seitens der äthiopischen Regierung vorgenommenen Deportationen von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit von Äthiopien nach Eritrea änderten den staatsangehörigkeitsrechtlichen Status dieses Personenkreises von Rechts wegen nicht.
77aaa) Insoweit als dieser Personenkreis – wie der Kläger - bereits zeitlich vorhergehend über Art. 2 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hatte, waren die betroffenen Personen bereits vor ihrer Deportation de iure lediglich eritreische Staatsangehörige. Dass die Deportationen auch insoweit gegen rechtsstaatliche und menschenrechtliche Standards verstießen, sei zur Vermeidung von Missverständnissen lediglich klargestellt.
78bbb) Insoweit als dieser Personenkreis – anders als der Kläger - jedoch die eritreische Staatsangehörigkeit noch nicht erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit noch nicht verloren hatte, vermochten die Deportationen an dieser staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtslage nichts zu ändern. Insoweit zeigen die Deportationen lediglich, dass der äthiopische Staat äthiopische Staatsangehörige eritreischer Volkszugehörigkeit in eindeutigem Widerspruch zu den eigenen äthiopischen Gesetzen – damals dem StAG Äthiopien 1930 – de facto nicht mehr als äthiopische, sondern als eritreische Staatsangehörige behandelte. Eine in evidentem Widerspruch zu der eigenen Rechtslage stehende Rechtspraxis ist jedoch für das erkennende Gericht nach dem vorstehend Ausgeführten als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit gerade nicht verbindlich.
79ccc) Unabhängig von dem vorstehend Ausgeführten ist der Kläger nach seinem glaubhaften Vortrag von den äthiopischen Behörden nicht nach Eritrea deportiert worden, sondern hat bis zu seiner Flucht in den Sudan in Äthiopien gelebt.
80ee) Dadurch, dass nach seinem Art. 27 das äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003 am selbigen Tag in Kraft trat, womit es gemäß seinem Art. 25 das frühere äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930 aufhob, hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert.
81aaa) Sofern diese Personen bis dato – anders als der Kläger - noch äthiopische Staatsangehörige waren, so verloren sie durch das StAG Äthiopien 2003 ihre äthiopische Staatsbürgerschaft nicht. Art. 26 StAG Äthiopien 2003 normiert nämlich, dass derjenige, der bis zum Inkrafttreten dieser Proklamation gemäß dem bisherigen Staatsangehörigkeitsgesetz (=StAG Äthiopien 1930) die äthiopische Staatsangehörigkeit innehatte, auch weiterhin äthiopischer Staatsangehöriger bleibt.
82bbb) Sofern diese Personen – wie der Kläger - bereits vor Inkrafttreten des StAG Äthiopien 2003 ihre frühere äthiopische Staatsbürgerschaft nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, so erhielten sie durch das StAG Äthiopien 2003 die verlorene äthiopische Staatsangehörigkeit nicht ipso iure wieder zurück. Das StAG Äthiopien 2003 enthält – über die Möglichkeiten des Erwerbs der äthiopischen Staatsbürgerschaft nach Art. 5-12 hinaus – lediglich unter den in Art. 22 normierten Voraussetzungen eine Möglichkeit der (konstitutiven) Wiederaufnahme bzw. Wiederzulassung in die äthiopische Staatsangehörigkeit.
83ff) Dadurch, dass die äthiopische Regierung am 19. Januar 2004 einen Erlass zur Anwendung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf in Äthiopien lebende „Eritreer“ herausgab („directive issued to determine the status of Eritrean citizens residing in Ethiopia“),
84vgl. dazu Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien, Seite 14; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 6; Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Ethiopia: Recent information on the deportation of Eritreans to Eritrea by Ethiopia, including who is considered an Ethiopian (2002-July 2004), abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/41501c062a.html,
85hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert.
86aaa) Der Erlass ist nur anwendbar auf „Eritreer“, die in Äthiopien sowohl vor der Unabhängigkeit Eritreas als auch danach permanent ihren Wohnsitz hatten; auf – angeblich - eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Landes darstellende „Eritreer“, die aus Äthiopien deportiert worden sind, ist der Erlass nicht anwendbar („Another Ethiopian News Agency report adds that the directive only applied to those Eritreans who resided in Ethiopia prior to the independence of Eritrea and „afterwards permanently… and doesn´t include those Eritreans deported from Ethiopia posing [a] threat to the national security of the country“). Der Erlass ist ferner nicht anwendbar auf Inhaber eines eritreischen Reisepasses oder eines anderen Dokuments, das die eritreische Staatsbürgerschaft ausweist, und auch nicht auf Personen, die für die eritreische Regierung gearbeitet haben; diese Personengruppen werden als eritreische Staatsbürger betrachtet („...government officials stated that the directive did not apply to bearers of Eritrean passports or of any other document proving Eritrean citizenship, or those persons who served in the Eritrean government; these persons, according to the government statement, are considered Eritrean citizens“). Der Erlass legt ferner fest, dass Personen, die nicht die eritreische Staatsbürgerschaft gewählt haben, als äthiopische Staatsangehörige betrachtet werden („the directive further states that those who did not choose Eritrean citizenship will be considered Ethiopian citizens“).
87Vgl. Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Ethiopia: Recent information on the deportation of Eritreans to Eritrea by Ethiopia, including who is considered an Ethiopian (2002-July 2004), abrufbar unterhttp://www.refworld.org/docid/41501c062a.html.
88bbb) Personen, die zeitlich vorhergehend über Art. 2 Abs. 1-4 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea qua Gesetzes die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hatten, die jedoch im Sinne des Erlasses nicht „die eritreische Staatsbürgerschaft gewählt“ hatten – sei es dadurch, dass sie einen eritreischen Reisepass oder ein anderes Dokument, das die eritreische Staatsbürgerschaft ausweist, innegehabt hatten, sei es dadurch, dass sie für die eritreische Regierung gearbeitet bzw. ein eritreischen Staatsangehörigen vorbehaltenes öffentliches Amt ausgeübt hatten -, werden danach zwar, sofern auch die soeben beschriebenen weiteren Voraussetzungen des Erlasses vorliegen, von der äthiopischen Regierung als äthiopische Staatsangehörige betrachtet. In einer derartigen Konstellation steht der Erlass der äthiopischen Behörden jedoch im Widerspruch zur (höherrangigen) äthiopischen Gesetzeslage (bis 23. Dezember 2003: StAG 1930; danach StAG 2003) und ist aus diesem Grund für das erkennende Gericht nach dem vorstehend Ausgeführten als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit nicht verbindlich.
89gg) Dadurch, dass die äthiopische Regierung im Mai 2009 einen Erlass herausgab, der „Eritreern“, die aus Äthiopien deportiert worden waren, gestattete, in Äthiopien eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen, ihr Eigentum zurückzuverlangen, zu arbeiten, Geld von Bankkonten abzuheben und sich im Handel zu engagieren,
90vgl. zu diesem Erlass etwa http://nazret.com/blog/index.php/2009/05/24/ethiopia_council_approves_directive_allo?blog=5&disp=single&title=ethiopia_council_approves_directive_allo&more=1&c=1&tb=1&pb=1&redir=no&c_paged=2#comments: “The Council of Ministers has approved a directive that will allow Eritreans who were expelled from Ethiopia on the eve of a border war, to reclaim their property, to work here, to withdraw their money which is in the banks, and to involve themselves in trade and commerce as local investors”; vgl. ferner Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 6 f. (dort als Direktive von April 2009 bezeichnet),
91hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert. Diese Direktive verhält sich nicht zur Frage der Staatsangehörigkeit. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme bzw. Wiederzulassung in die äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 22 StAG Äthiopien 2003 steht auf einem anderen Blatt.
92hh) Der Kläger hat durch seine Heirat mit seiner Ehefrau, nach seinen glaubhaften Angaben einer äthiopischen Staatsangehörigen, die verlorene äthiopische Staatsangehörigkeit nicht wieder erworben. Art. 6 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 regelt den (konstitutiven) Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Eheschließung. Danach kann ein Ausländer, der mit einem äthiopischen Staatsangehörigen verheiratet ist, die äthiopische Staatsangehörigkeit auf rechtlichem Wege erwerben, wenn 1. die Ehe gemäß äthiopischem Recht geschlossen wurde oder in Übereinstimmung mit dem Ortsrecht des Landes, in dem die Ehe geschlossen wurde, 2. mindestens zwei Jahre seit Eheschließung vergangen sind, 3. er mindestens ein Jahr vor Antragstellung in Äthiopien gelebt hat und 4. er den Voraussetzungen gemäß Art. 5 Nr. 1, 7 und 8 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 genügt. Art. 5 regelt – soweit hier von Belang -, dass, wer den Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit auf rechtlichem Wege beantragt, volljährig und geschäftsfähig gemäß äthiopischem Recht sein soll (Nr. 1), in der Lage sein soll darzulegen, dass er aus seiner vorherigen Staatsangehörigkeit entlassen wurde oder dass diese Möglichkeit nach Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit besteht oder dass er staatenlos ist (Nr. 7), und dazu angehalten werden soll, den in Art. 12 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 geregelten Treueid abzulegen (Nr. 8). Der Kläger hat die äthiopische Staatsangehörigkeit nicht nach dieser Norm (wieder) erworben. Er erfüllt die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vollständig. Es fehlt u.a. an dem erforderlichen Antrag, der Voraussetzung des (konstitutiven) Erwerbs der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Heirat ist, sowie an dem – zeitlich auf den Antrag bezogenen - Wohnsitzerfordernis des Art. 6 Abs. 1 Nr. 3 StAG Äthiopien 2003. Ob die anderen kumulativ erforderlichen Voraussetzungen sämtlich vorliegen, kann daher dahinstehen und bedarf keiner weiteren Aufklärung.
93i) Dem Kläger droht in Eritrea, dem Land seiner Staatsangehörigkeit (Herkunftsland), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG.
94aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung aufgrund seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea. Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz aus diesem Gesichtspunkt scheidet aus mehreren, unabhängig voneinander tragenden Gründen aus:
95aaa) Erstens ist nach der auf die Erkenntnislage gestützten Überzeugung der Kammer von vornherein nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die eritreische Regierung auch Personen, die – wie der Kläger - sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, verfolgt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Personen, die sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, im Falle einer Einreise nach Eritrea nur mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst, nicht aber – insoweit anders als Deserteure/Fahnenflüchtige/Wehrdienstverweigerer innerhalb Eritreas - mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen.
96Vgl. etwa AA, Auskunft an das OVG NRW vom 23. Januar 2008 (508-516.80/45362); anders (die Gefahr weiterer Repressalien bejahend) OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2010 – 8 A 4620/05.A -, juris, m. w. N. [Beschluss nach § 161 Abs. 2 VwGO zu § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG a.F.].
97bbb) Zweitens wäre selbst eine ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise nur dann flüchtlingsschutzrechtlich erheblich, wenn sie entweder zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG genannten flüchtlingsschutzrechtlich erheblichen persönlichen Merkmale getroffen werden sollen (dazu unter aaaa)), oder wenn sie wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen (dazu unter bbbb)).
98Vgl. dazu etwa Treiber, in: GK-AufenthG, Band 3, § 60 AufenthG Rn. 167 ff., Stand April 2011, m. w. N. aus der Rspr.
99§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG bestimmt nämlich, dass als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylVfG unter anderem Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten kann, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG bezieht sich – in Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU - also auf einen „Konflikt“. Eine Kriegsdienstverweigerung, die – aus welchem Grund auch immer – außerhalb eines solchen Konflikts stattfindet, kann demnach nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen.
100Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 -, juris, Rn. 35, zur europarechtlichen Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2004/83/EG.
101Ausgehend von diesen Grundsätzen würde selbst eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Umgehung der Wehrpflicht durch eine – im vorliegenden Fall nicht in Rede stehende - illegale Ausreise, die ggf. mit inhumanen Umständen der Strafvollstreckung verbunden sein könnte, keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung darstellen (dazu sogleich unter aaaa) und bbbb)). Dies muss dann aber auf der Ebene des Flüchtlingsschutzes erst recht für den vorliegenden Fall einer Umgehung der Wehrpflicht durch bloßen „Nicht-Aufenthalt“ in Eritrea im wehrpflichtigen Alter gelten.
102aaaa) Eine in Eritrea ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise würde zum einen nicht gegenüber bestimmten Personen mit der Zielsetzung, sie durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG genannten flüchtlingsschutzrechtlich erheblichen persönlichen Merkmale zu treffen, eingesetzt. Bei der Heranziehung zum Militärdienst werden in Eritrea nämlich alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion etc. findet nicht statt.
103Vgl. dazu etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 42; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), Seiten 11 f., 17 f.; Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft [nunmehr ab 1. September 2015: Staatssekretariat für Migration], Factsheet Eritrea Grundlageninformationen, 10. September 2013, Seiten 12 ff., 3. Nationaldienst.
104bbbb) Eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise erginge zum anderen auch nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG. Eritrea befindet sich nämlich zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylVfG) in keinem Konflikt im Sinne der Norm – sei es mit anderen Staaten (internationaler Konflikt), sei es mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt). Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten Äthiopien, Dschibuti und Sudan bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.
105bb) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung in Eritrea aufgrund seiner pfingstchristlichen Religion. Er hat nämlich nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er eine in Eritrea ggf. unterdrückte religiöse Betätigung seines pfingstchristlichen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren.
106Vgl. zum rechtlichen Maßstab BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris, unter Bezugnahme auf das Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 5. September 2012 – Rs. C-71/11 u.a. -, juris; zur Lage der Religionsfreiheit in Eritrea in tatsächlicher Hinsicht vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), S. 9 f.; Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Factsheet Eritrea, Grundlageninformationen, 10. September 2013, S. 18 f.
107Nähere Ausführungen dazu, welche Bedeutung seine Zugehörigkeit zur pfingstchristlichen Bewegung für seine religiöse Identität hat, hat der Kläger an keiner Stelle gemacht. In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist der Kläger nicht näher auf seine religiöse Überzeugung eingegangen. Auf die letzte Frage während der Anhörung, ob es noch etwas gebe, was er hier vortragen möchte, entgegnete er, dass er seine wesentlichen Gründe genannt habe (vgl. Bl. 38 BA Heft 1). Im Rahmen der Klagebegründung hat der Kläger – neben allgemeinen Hinweisen auf die Situation von Mitgliedern der Pfingstler in Eritrea - lediglich pauschal ausgeführt, dass ihm als Angehörigen der Pfingstler in Eritrea Verfolgung drohe (Bl. 24 f. GA), und eine Bescheinigung der äthiopischen evangelischen Gemeinde in Frankfurt am Main – Mitglied im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden – vom 00.00.0000 vorgelegt (Bl. 26 GA), nach der er ein wiedergeborener Christ sei, der der genannten christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und, so lange er die Gelegenheit habe, den Gottesdienst besuche. Nähere Ausführungen dazu, was seine vorgetragene pfingstchristliche Überzeugung bzw. deren Ausübung für ihn persönlich bedeutet, finden sich auch in der Klagebegründung nicht. Im Vergleich dazu wird im Rahmen der Klagebegründung hingegen detailliert auf die vorgetragene exilpolitische Tätigkeit des Klägers für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) eingegangen. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht entgegnete der Kläger auf die Frage, was ihn hindern würde, nach Eritrea zu gehen, lediglich allgemein, in Eritrea seien schlimme Verhältnisse, viele Leute verließen dieses Land und auch er habe keinerlei Verhältnis zu diesem Staat, als Pfingstler könne er im Übrigen in Eritrea seine Glaubensrichtung nicht ausüben und werde dort verfolgt.
108cc) Die bloße Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland begründet schließlich ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea.
109Vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014).
110C. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes. Ihm droht in Eritrea, dem Land seiner Staatsangehörigkeit (Herkunftsland), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit ein ernsthafter Schaden i. S. v. § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG.
111aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung aufgrund seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea. Insoweit wurde oben bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft bereits ausgeführt, dass nach der auf die Erkenntnislage gestützten Überzeugung der Kammer davon auszugehen ist, dass Personen, die sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, im Falle einer Ausreise nach Eritrea nur mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst, nicht aber mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen. Darauf sei zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
112bb) Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung in Eritrea aufgrund seiner pfingstchristlichen Religion, da er – wie bereits im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt - nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen hat, dass er eine in Eritrea ggf. unterdrückte religiöse Betätigung seines pfingstchristlichen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Diesem Umstand kommt auch im Rahmen der Prüfung subsidiären Schutzes entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
113D. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind in Bezug auf den Zielstaat der Abschiebungsandrohung, der nicht identisch mit dem Herkunftsland i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG sein muss, zu prüfen.
114Vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. September 2007 – 11 S 561/07 -, juris, Rn. 6 ff., m. w. N. aus der höchst- und obergerichtlichen Rspr.
115Die Beklagte hat dem Kläger im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. November 2013 die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Eritrea vorliegen – dies dürfte im Übrigen aus den bereits genannten Gründen zu verneinen sein -, ist im vorliegenden Fall mithin nicht entscheidungserheblich. In Bezug auf Äthiopien, den Zielstaat der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. November 2013, besteht nach der Überzeugung der Kammer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzw. eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit des Klägers wegen seiner Vorverfolgung in Äthiopien.
116aa) Die Kammer geht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und nach ausführlicher Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er in Äthiopien vorverfolgt gewesen ist und ihm im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien aus diesem Grund eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit droht. Der Kläger hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er, nachdem die äthiopische Regierung im Mai 2009 den Erlass herausgegeben hatte, der „Eritreern“, die aus Äthiopien deportiert worden waren, u.a. gestattete, in Äthiopien ihr Eigentum zurückzuverlangen, einen Antrag zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens in Adama/Nazret gestellt hatte und er nach seiner dritten Vorsprache inhaftiert worden ist. Es bedarf dabei hier keiner Entscheidung darüber, ob eine derartige Praxis, die im Widerspruch zum genannten Erlass steht, über den vorliegenden Einzelfall des Klägers hinaus generell häufiger vorgekommen sein könnte.
117Vgl. dazu etwa (eine im Widerspruch zum Erlass stehende Praxis verneinend, vielmehr eine Rückgabe konfiszierten Vermögen deportierter Personen nach Nachweis eines entsprechenden Anspruchs bejahend) D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seiten 50 ff., insb. 52.
118Entscheidend ist, dass die Kammer davon überzeugt ist, dass im vorliegenden Einzelfall des Klägers dieser von einer Inhaftierung aufgrund seines Versuchs zur Rückerlangung des Vermögens seines eritreischstämmigen Vaters betroffen war. Der Kläger hat auch nachvollziehbar dargelegt, wie es ihm gelungen ist, durch Bestechung seine Freilassung zu erreichen, und wie er anschließend erfolglos versuchte, in Addis Abeba wieder an sein früheres (berufliches) Leben anzuknüpfen bzw. seine vorherige Firma aufgrund der Intervention äthiopischer Behörden nicht mehr bereit war, ihn zu beschäftigen. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass der Vorgang zum Antrag des Klägers zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens von den äthiopischen Behörden dokumentiert worden ist.
119Vgl. etwa D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seite 52, wonach die Aktivitäten von Personen, die während des Grenzkries nach Eritrea deportiert worden waren, von den Kebele-Offiziellen aufmerksam verfolgt würden.
120Aufgrund der Dokumentation sowie der Vorverfolgung des Klägers in Äthiopien (Inhaftierung, Entlassung auf der Arbeit aufgrund behördlicher Intervention) besteht im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Äthiopien für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit.
121bb) Ob die exilpolitische Tätigkeit des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) ein hinreichendes Gewicht zur Bejahung eines nationalen Abschiebungsverbots aufweist bzw. ob sich der Kläger in einer Gesamtschau des vorliegenden Einzelfalls aus dem Kreis der bloßen Mitläufer der EPPF bereits als ernsthafter Oppositioneller hervorhebt,
122vgl. zu der Frage, unter welchen Umständen die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt, etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, 4. März 2015 (Stand November 2014), Seite 13; D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seite 49; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A -, juris; vgl. ferner zur EPPF BAMF, Entscheiderbrief 12/2014, Äthiopien: Die EPPF, Seite 3 ff.,
123kann das erkennende Gericht offen lassen, da die Bejahung eines nationalen Abschiebungsverbots unter dem Gesichtspunkt der exilpolitischen Betätigung zu keinem weitergehenden Abschiebungsschutz für den Kläger in Bezug auf Äthiopien führen würde.
124III. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen des Klägers war aus den in der Sitzungsniederschrift des Gerichts festgehaltenen Gründen nicht nachzukommen.
125IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tatbestand
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Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.
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Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
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Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.
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Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.
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Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.
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Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.
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Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198
). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).
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Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.
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3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).
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Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.
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Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.
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a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
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Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
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Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
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Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330
); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).
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b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.
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Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183
; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.
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Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.
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4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.
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5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.
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Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan -
) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
Tatbestand
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Der 1986 geborene Kläger indischer Staatsangehörigkeit möchte die Ausstellung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung erreichen.
- 2
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Der 1956 geborene Vater des Klägers reiste 1994 nach Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt war er mit einer Inderin verheiratet. Nach Ablehnung eines Asylantrags heiratete er im August 1997 in Dänemark die deutsche Staatsangehörige J. Diese Ehe wurde im Mai 2007 geschieden. Der Vater des Klägers ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis; ein Einbürgerungsantrag scheiterte.
- 3
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Der Kläger reiste im August 2004 nach Deutschland ein. Sein nach Einreise gestellter Asylantrag wurde abgelehnt; seine dagegen erhobene Klage nahm der Kläger im Jahre 2006 zurück. Sein Versuch, die zuvor mit seinem Vater verheiratete Frau J. im September 2007 in Schweden zu heiraten, scheiterte. Der Kläger reiste im Oktober 2007 freiwillig nach Indien aus. Dort ging er am 8. Februar 2008 mit Frau J. eine Zivilehe nach indischem Recht ein.
- 4
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Am 21. Februar 2008 beantragte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung. Die Botschaft beauftragte ein Ermittlungsbüro mit der Überprüfung der zur Begründung des Antrags vorgebrachten Angaben. Dieses erläuterte in seinem Abschlussbericht die familiären Beziehungen zwischen den beteiligten Personen und äußerte den Verdacht, dass es sich bei der streitigen Ehe des Klägers mit Frau J. um eine ausländerrechtliche Zweckehe handeln könnte. Die Botschaft zog aus den vorgelegten Erkenntnissen den Schluss, die Ehe sei wegen des in Indien bestehenden Verbots einer Ehe zwischen Stiefsohn und Stiefmutter nichtig. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums verweigert hatte, lehnte die Botschaft den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 28. Juli 2008 ab.
- 5
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verpflichtung zur Erteilung des Visums abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, zwischen dem Kläger und Frau J. sei keine wirksame Ehe zustande gekommen. Ehehindernisse in der Person des Klägers seien gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach indischem Recht zu prüfen, so dass seine Ehe entsprechend dem Domizilprinzip nach indischem Sachrecht unwirksam sei. Denn Frau J. sei die Stiefmutter des Klägers, so dass einer Ehe mit dem Kläger das nach indischem Recht geltende Eheverbot der Schwägerschaft ersten Grades entgegenstehe; eine solche Ehe sei nach indischem Recht nichtig. Die Ehe zwischen Frau J. und dem Vater des Klägers sei zwar aufhebbar, bis zur Scheidung aber wirksam gewesen. Das für diese Vorfrage maßgebliche Recht ergebe sich aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Für den Vater des Klägers, der zur Zeit der Eheschließung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe, verweise das im indischen Recht verankerte Domizilprinzip auf deutsches Recht. Dies führe dazu, dass Frau J. die Stiefmutter des Klägers und deshalb nach indischem Recht an einer Eheschließung mit ihm gehindert sei. Weder Art. 13 Abs. 2 EGBGB noch Art. 6 GG oder Art. 12 EMRK stünden diesem Ergebnis entgegen. Das nach indischem Recht geltende Eheverbot der Schwägerschaft ersten Grades sei nicht als überzogenes Ehehindernis einzustufen, denn es sei auch in Deutschland erst 1998 aufgehoben worden und könne das Ziel verfolgen, intakte Familienverhältnisse aufrecht zu erhalten. Eine einschränkende Wirkung entfalte hier auch Art. 6 EGBGB nicht, da der deutsche ordre public die Wirkungen eines Eheverbots, das bis vor wenigen Jahren auch in Deutschland gegolten habe, nicht ausschließen könne.
- 6
-
Der Kläger begründet seine Revision damit, dass nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB auf die Ehe des Klägers mit Frau J. deutsches Recht anwendbar sei. Auch wenn die Ehe der Frau J. mit dem Vater des Klägers nur aufhebbar gewesen sei, bestehe kein gewichtiges Interesse an der Nichtanerkennung der in Indien geschlossenen Ehe des Klägers. Gerade die Aufhebung des früher auch in Deutschland geltenden gesetzlichen Eheverbots der Schwägerschaft in gerader Linie zeige, dass ein solches Interesse in Deutschland nicht mehr anzuerkennen sei. Der Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Klägers und seiner Ehefrau könne nach heutigem Recht daher nicht mehr gerechtfertigt werden.
- 7
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 9
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1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 6 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach diesen Vorschriften benötigt ein Ausländer, der für einen längerfristigen Aufenthalt nach Deutschland einreisen möchte, vor der Einreise ein nationales Visum. Die Anspruchsvoraussetzungen richten sich im vorliegenden Fall nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden §§ 27 und 28 AufenthG. Diese erfordern u.a., dass der Kläger Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Tatbestandsmerkmal verneint. Nach seinen Feststellungen ist die Ehe des Klägers mit Frau J. nach indischem Recht nichtig, weil Frau J. aufgrund ihrer früheren Ehe mit dem Vater des Klägers die Stiefmutter des Klägers und deshalb an einer Eheschließung mit ihm gehindert sei. Die aus diesen tatsächlichen Feststellungen abgeleiteten rechtlichen Schlussfolgerungen zu § 6 Abs. 3, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beruhen allerdings auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage, sodass sie ungeachtet der Frage, ob die Ermittlung der maßgeblichen Tatsachen auch durch Verfahrensfehler belastet ist, einen Verstoß gegen revisibles materielles Recht darstellen.
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1.1 Zu Recht ist das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger Ehegatte einer Deutschen geworden ist, zunächst davon ausgegangen, dass sich das Ehestatut für beide Verlobte gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach ihrer Staatsangehörigkeit bestimmt und dass die Vorschrift als Gesamtnormverweisung für den Kläger auf indisches Recht verweist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bleibt es bei dieser Verweisung, weil das indische Recht für den Kläger nicht auf deutsches Recht zurückverweist. Nach Sec. 4 Satz 1 Buchst. d), Sec. 24 Abs. 1 des Special Marriage Act vom 9. Oktober 1954 (SpMA) stellt die Schwägerschaft ersten Grades ein zur Nichtigkeit führendes Ehehindernis dar, so dass die vom Kläger geschlossene Ehe maßgeblich davon abhängt, ob Frau J. mit dem Kläger verschwägert ist. Dabei ist die zwischen ihr und dem Kläger als dem Sohn ihres ehemaligen Ehemannes bestehende Beziehung nach Anlage I Nr. 2 i.V.m. Anlage II Satz 2 SpMA als nach diesem Gesetz verbotenes Verwandtschaftsverhältnis einzustufen. Ausnahmen oder Befreiungsmöglichkeiten von diesem Ehehindernis sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.
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1.2 Für die dann maßgebliche Vorfrage, ob die Ehe seines Vaters mit Frau J. bis zu ihrer Scheidung als wirksam anzusehen war oder nicht, hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen revisibles Recht sodann auch die Bestimmung des Ehestatuts im Wege der selbstständigen Anknüpfung ausgehend von Art. 13 Abs. 1 EGBGB vorgenommen (ebenso BGH, Urteile vom 7. April 1976 - IV ZR 70/74 - NJW 1976, 1590 und juris, dort Rn. 17 und vom 11. Oktober 2006 - XII ZR 79/04 - BGHZ 169, 240 Rn. 12). Daraus folgt, dass indisches Kollisions- und Sachrecht auch hinsichtlich der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen für den Vater des Klägers maßgeblich ist.
- 12
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1.3 Zum Inhalt des durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB in Bezug genommenen Rechts hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass nach dem kollisionsrechtlichen Domizilprinzip des indischen Rechts das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich sei. Dies sei für den Vater des Klägers zum Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Frau J. Deutschland gewesen. Deshalb komme ausschließlich deutsches Eherecht zur Anwendung mit der Folge, dass seine Ehe mit Frau J. wegen des Verbots der Doppelehe aufhebbar, jedoch nicht unwirksam gewesen sei. Aus diesem Grunde sei eine wirksame Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. im Hinblick auf das Ehehindernis der Schwägerschaft nicht zustande gekommen, so dass ein Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 6 Abs. 3 AufenthG nicht bestehe.
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Die tatsächlichen Feststellungen, auf die das Berufungsgericht sich für diese Schlussfolgerung stützt, tragen jedoch die Berufungsentscheidung nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 6 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG angenommen, dass der Kläger nicht der Ehemann einer Deutschen mit gewöhnlichem Wohnsitz in Deutschland sei, ohne für diese Annahme eine hinreichend breite Tatsachengrundlage zu schaffen. Es hat als Regel des indischen Kollisionsrechts die Geltung des Domizilprinzips festgestellt und angenommen, damit verweise das indische Recht auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Diese Gleichsetzung des im deutschen Recht geläufigen Begriffs "Domizil" mit dem aus dem common law stammenden indischen Begriff "domicile" ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachvollziehbar. Eine den gebotenen Sorgfaltsanforderungen bei der Feststellung ausländischen Rechts genügende Aufklärung hätte vielmehr ergeben, dass die offenkundigen Unterschiede zwischen beiden Begriffen eingehende Ermittlungen zum indischen Gesetzesrecht und zur indischen Rechtspraxis erfordert hätten. Der Subsumtion unter dem Begriff des "Ehegatten eines Deutschen" in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, fehlt damit eine hinreichende Grundlage; sie beruht damit auf einer materiell fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. Beschluss vom 2. Mai 2012 - BVerwG 10 B 10.12 -).
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§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO verpflichtet das Gericht im Verwaltungsprozess, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis zu betrachten (s. nur BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 12.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - BVerwGE 87, 52 <59>). Der an diese Ermittlungspflicht anzulegende Maßstab ist streng. Es gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung erfasst werden muss. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Tatsachengericht nach seinem Ermessen zu entscheiden. Je komplexer und "fremder" im Vergleich zum deutschen Recht das anzuwendende Recht ist, desto höhere Anforderungen sind an die richterliche Ermittlungspflicht zu stellen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2005 - XI ZR 82/05 - BGHZ 165, 248, vom 21. Januar 1991 - II ZR 50/90 - NJW 1991, 1418 und vom 27. April 1976 - VI ZR 264/74 - NJW 1976, 1588). Eine Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. § 293 Satz 1 ZPO), etwa weil es aufgrund sprachlicher Barrieren keinen unmittelbaren Zugang dazu hat.
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Selbst wenn die Verfahrensbeteiligten die Feststellungen des Tatsachengerichts zum ausländischen Recht nicht in Frage stellen, kann das Gericht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet sein. Dies gilt nicht nur bei der Feststellung offenkundiger Tatsachen, sondern auch dann, wenn zwar nicht eine relevante Tatsache selbst, sondern die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung zur Verbesserung einer unzureichenden Entscheidungsgrundlage offenkundig ist. Denn der Inhalt ausländischen Rechts kann, nicht anders als dies auch bei inländischem Recht der Fall ist, regelmäßig nur im Wege richterlicher Erkenntnis festgestellt werden, so dass dem Gericht insoweit eine besondere Verantwortung bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit von Sachaufklärungsmaßnahmen zukommt. Insbesondere wenn handgreifliche Indizien dafür sprechen, dass die von den Beteiligten vertretenen Positionen zum ausländischen Recht unzutreffend sind, hat es den verfügbaren Quellen zu dem jeweils maßgeblichen ausländischen Recht und seiner praktischen Anwendung nachzugehen, auch um ggf. die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung zu prüfen. Lässt sich der Inhalt des ausländischen Rechts auch unter Ausschöpfung der verfügbaren Erkenntnismittel nicht feststellen, ist ggf. nach einem Ersatzrecht zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1981 - IVb ZR 643/80 - NJW 1982, 1215 und vom 26. Oktober 1977 - IV ZB 7/77 - BGHZ 69, 387); eine Beweislastentscheidung kommt nicht in Betracht.
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Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern ungeachtet der vorerwähnten Besonderheiten wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 17; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - BVerwG 10 B 88.07 - Buchholz 310 § 173 VwGO Nr. 1 und vom 2. Juni 2008 - BVerwG 6 B 17.08 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 50); § 545 ZPO findet keine Anwendung (vgl. Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2012, § 173 Rn. 277). Das Bestehen bzw. Nichtbestehen ausländischer Ehehindernisse als Vorfrage eines aufenthaltsrechtlichen Anspruchs ist daher kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis; dies gilt ebenso für die Frage, welchen Inhalt eine Regel des ausländischen Kollisionsrechts hat und wie sie in der Rechtspraxis angewendet wird. An die Feststellungen des Berufungsgerichts zum ausländischen Recht ist das Revisionsgericht deshalb in den Grenzen des § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Allerdings können auch in das Revisionsverfahren in bestimmten Fällen Tatsachenfeststellungen - ggf. auch gegen den übereinstimmenden Willen der Verfahrensbeteiligten - eingeführt werden, etwa wenn es sich um offenkundige Tatsachen handelt oder um die Ersetzung aktenwidriger Feststellungen des Berufungsgerichts durch aktenkundige (vgl. etwa Urteile vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 25.07 - Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rn. 17 und vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 C 68.08 - Buchholz 232.0 § 46 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 22).
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Den dargestellten Sorgfaltsanforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat sich für die - zutreffende - Feststellung, im indischen Recht gelte als Kollisionsregel das Domizilprinzip, auf eine Erkenntnisquelle bezogen, die dies zwar ausführt, in engem räumlichem Zusammenhang damit aber zugleich auf den grundlegenden Unterschied dieses Prinzips vom europäisch-kontinentalen Wohnsitzbegriff hinweist und deshalb betont, das "domicile" einer Person sei entsprechend der englischen Rechtstechnik festzustellen (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Indien, Stand: 30. Juni 1989, S. 11
und 12). Sowohl die Kommentarliteratur als auch verfügbare monografische Darstellungen (vgl. Mankowski, in: Staudingers Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2011, vor Art. 13 EGBGB Rn. 18 f., 20 ff.; Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 726 ff.; Kreitlow, Das domicile-Prinzip im englischen Internationalen Privatrecht und seine europäische Perspektive, Peter Lang, 2002; Elwan, Gutachten zum ausländischen Familien- und Erbrecht, 2005, S. 158 ff., 162 ff., 173 ff., jeweils m.w.N. zur indischen Rechtsprechung; Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986 S. 41; Dosi, Validity of Marriage and Conflict of Laws, ILI Law Review 2010, 269 <281 ff.>) heben übereinstimmend hervor, dass eine Gleichsetzung des im common law wurzelnden Begriffs "domicile" mit dem im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts verwendeten Domizilbegriff des deutschen Rechts unrichtig sei und dass aufgrund der Besonderheiten des indischen bzw. im common law wurzelnden Begriffs regelmäßig zahlreiche tatsächliche Feststellungen zu treffen seien, bevor die Zuschreibung eines "domicile" möglich sei. In einer derartigen Situation hätte das Berufungsgericht zunächst den Begriff des "domicile" eingehend klären und sodann die für eine Subsumtion erforderlichen Tatsachen ermitteln müssen.
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Da ohne ein vertieftes Verständnis des "domicile"-Begriffs und ohne die zu seiner Anwendung aller Wahrscheinlichkeit nach erst noch zu ermittelnden Tatsachen die Frage nicht beantwortet werden kann, ob die Ehe des Vaters des Klägers mit Frau J. nach deutschem oder indischem Recht zu beurteilen ist, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht ermittelten Tatsachen auch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 AufenthG weder in positiver noch in negativer Hinsicht klären. Somit kommt nur eine Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht in Betracht.
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1.4 Die Frage, ob der Eheschließung des Klägers mit Frau J. das Ehehindernis der Schwägerschaft entgegensteht, weil Frau J. als Stiefmutter des Klägers anzusehen wäre, kann auch nicht deswegen dahinstehen, weil auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 2 EGBGB ausnahmsweise die Anwendung deutschen Rechts in Betracht käme. Hierzu hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht durchgreift. Dies steht im Einklang mit revisiblem Recht.
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Nach Art. 13 Abs. 2 EGBGB ist für die Voraussetzungen der Eheschließung deutsches Recht u.a. dann anzuwenden, wenn nach ausländischem Recht eine materielle Eheschließungsvoraussetzung fehlt, einer der Verlobten Deutscher ist, die Beseitigung des Ehehindernisses gescheitert ist und wenn die Versagung der Eheschließung gegen die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 GG verstößt. Das ist indes nicht der Fall. Das im vorliegenden Fall relevante Ehehindernis der Schwägerschaft in direkter Linie war bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes vom 4. Mai 1998 (BGBl I S. 833) in § 4 Abs. 1 Satz 1 EheG Bestandteil des deutschen Rechts und galt mithin noch im Zeitpunkt der Eheschließung zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. Seine Abschaffung war nicht zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen geschuldet, sondern beruhte vorrangig auf der pragmatischen Erwägung, dass ihm aufgrund der großzügigen Befreiungspraxis (vgl. § 4 Abs. 3 EheG) ohnehin keine praktische Bedeutung mehr zukam (vgl. BTDrucks 13/4898 S. 13; BRDrucks 79/96 S. 33, vgl. ebenso OLG Stuttgart vom 4. November 1999 - 19 VA 6/99 - FamRZ 2000, 821). Es ist nicht als "überzogenes" Ehehindernis einzustufen, das als unverhältnismäßige Einschränkung der Eheschließungsfreiheit anzusehen wäre. Vielmehr ist die mit dem Ehehindernis der direkten Schwägerschaft verbundene Einschränkung der Eheschließungsfreiheit nach wie vor im Hinblick auf ihren Normzweck, Streitigkeiten in Familien zu verhindern, die durch konsekutive Eheschließungen Verschwägerter innerhalb der (Kern-)Familie entstehen können, als verhältnismäßig anzusehen.
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Im Übrigen spricht die Grundentscheidung des Internationalen Privatrechts für den Respekt gegenüber fremden Rechtsordnungen ebenfalls für die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung der Eheschließungsfreiheit. Auch die konkreten Besonderheiten des vorliegenden Falles lassen nicht erkennen, dass der Kläger oder seine deutsche Partnerin im Einzelfall eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Eheschließungsfreiheit hinzunehmen hätten. Der Umstand, dass deutsches Recht das Ehehindernis der direkten Schwägerschaft nicht mehr kennt und dass zugleich die Eheschließung des Klägers bei einer isolierten Betrachtung auch der Vorehe seines Vaters ausschließlich nach indischem Recht möglicherweise wirksam wäre, führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn die maßgebliche Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 EGBGB verweist für die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen gerade nicht nur auf indisches Sachrecht, sondern auch auf das relevante Kollisionsrecht. Damit wird die dem indischen Recht möglicherweise zu entnehmende Entscheidung, bestimmte Aspekte des Falles durch den renvoi in deutsches Recht nach dessen Regeln zu beurteilen, zu einer sich auf die Eheschließungsfreiheit auswirkenden Folge des deutschen Kollisionsrechts und ist bis zur - hier gerade nicht überschrittenen - Grenze der Unverhältnismäßigkeit hinzunehmen. Die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 12 EMRK (Entscheidung der 4. Sektion vom 13. September 2005 - Nr. 36536/02) betraf eine Fallkonstellation langjährigen Zusammenlebens in ständiger Partnerschaft, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar und nicht auf diesen zu übertragen ist.
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Auch Art. 6 EGBGB führt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung deutschen Rechts auf die Ehe des Klägers mit Frau J. Selbst wenn dem allgemeinen ordre public-Gebot neben der speziellen Norm des Art. 13 Abs. 2 EGBGB ein Anwendungsbereich verbleiben sollte, läge hier kein solcher Anwendungsfall vor, da es bei dem Ehehindernis der Schwägerschaft um ein Hindernis geht, das von Art. 13 Abs. 2 EGBGB erfasst ist und damit im Rahmen des Art. 6 EGBGB keine Rolle spielt.
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2. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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2.1 Für die am 8. Februar 2008 geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. wird zunächst zu prüfen sein, ob das indische Kollisionsrecht eine Zurückverweisung auf deutsches Recht vornimmt; hierfür werden der Bedeutungsgehalt des "domicile"-Begriffs und seine Anwendung in der indischen Rechtspraxis zu klären sein. Insbesondere könnte - auch wenn dies fern liegen mag - von Bedeutung sein, ob der Kläger sein "domicile of origin" schon durch die bloße Eheschließung mit Frau J. und seinen streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Visums zugunsten eines "domicile of choice" aufgegeben haben könnte. Bei der Ermittlung und Auslegung des "domicile"-Begriffs im indischen Recht wird möglicherweise auch die Frage eine Rolle spielen müssen, ob dieser Begriff an den Veränderungen teilhat, denen das Konzept des "domicile" im common law seit dem Erlass des Special Marriage Act (1954) ausgesetzt ist (vgl. hierzu etwa Kreitlow, a.a.O. S. 185 ff.).
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2.2 Sodann wird der Frage nachzugehen sein, ob die Wirksamkeit der Vorehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. tatsächlich, wie es das Berufungsgericht angenommen hat, als Vorfrage für die Wirksamkeit der Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. von Bedeutung ist. Zu denkbaren Folgen einer - auch nur versuchten - Eheschließung nach indischem Recht liegen bisher ebenso wenig hinreichende Erkenntnisse vor wie zu der Frage, ob im indischen Sachrecht die Möglichkeit der Heilung einer fehlerhaften Ehe vorgesehen ist und im vorliegenden Fall eine Rolle spielen könnte.
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2.3 Sollte allerdings der rechtliche Bestand der Vorehe bis zur Scheidung von Bedeutung sein, wird auf der Grundlage der Feststellungen zum indischen Konzept des "domicile" die Frage zu beantworten sein, nach welchem Recht die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen in der Person des Vaters des Klägers - bezogen auf das Jahr 1997 - zu bestimmen sind. Für die Begründung eines "domicile of choice" wird es möglicherweise auf subjektive Tatsachen ankommen, insbesondere auf die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Vater des Klägers die Kontakte zu seiner indischen Familie nach seiner Einreise nach Deutschland aufrechterhalten hatte und dies auch nach der Eheschließung plante. Auch wird ggf. zu entscheiden sein, welche Auswirkungen auf die mögliche Wahl eines vom "domicile of origin" abweichenden "domicile of choice" der Asylantrag und seine Ablehnung auf den hierauf erforderlichen animus manendi als subjektive Voraussetzung hatten; dabei wird auch das einem Asylbegehren innewohnende Element des nur vorübergehend gesuchten Schutzes vor Verfolgung durch staatliche Gewalt zu würdigen sein.
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2.4 Sollte nach hinreichender Sachaufklärung zum Inhalt und zur Anwendung des "domicile"-Prinzips anzunehmen sein, dass die Ehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. nach deutschem Recht zu beurteilen wäre, so ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass diese Ehe nach deutschem Eherecht als Doppelehe nicht ohne Weiteres als nichtig, sondern nur als aufhebbar behandelt werden dürfe, revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dies beruht allerdings nicht auf den §§ 1313, 1314 i.V.m. § 1306 BGB, sondern auf den §§ 5, 16, 20 und 23 des zum Zeitpunkt der Eheschließung noch geltenden Ehegesetzes (EheG). Nach § 20 Abs. 1 EheG ist eine Doppelehe nichtig, doch kann sich nach § 23 EheG niemand auf die Nichtigkeit berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Diese Regelungen entsprechen trotz ihres Wortlauts in der Sache einer Anfechtbarkeit nach heutigem Recht (vgl. Müller-Gindullis, in: Münchener Kommentar, 3. Aufl. 1993, § 16 EheG Rn. 1 und § 23 EheG Rn. 1). Sollte die Ehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. also nach deutschem Recht zu beurteilen sein, so könnte sich mangels gerichtlicher Aufhebung der Ehe niemand auf die Nichtigkeit berufen; für den Zeitraum bis zur Scheidung am 2. Mai 2007 wäre die Ehe vielmehr als wirksam zu behandeln.
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2.5 Falls sich hingegen, abweichend von der bisherigen Annahme des Berufungsgerichts, ergeben sollte, dass die Vorehe des Vaters des Klägers mit Frau J. nach indischem Recht zu beurteilen ist, wäre zunächst zu klären, ob die Bestimmungen des Special Marriage Act (1954) oder diejenigen des Foreign Marriage Act (1969) - etwa dessen Sec. 23 (Recognition of Marriages Solemnized under Law of other Countries) - auf die 1997 geschlossene Ehe anzuwenden sind. Auslegung und Rechtspraxis der danach maßgeblichen Vorschriften wären sodann zu ermitteln. Dazu zählt auch die Frage, ob es die Möglichkeit einer Befreiung von dem Ehehindernis der Doppelehe bzw. ggf. die Möglichkeit der Heilung einer fehlerhaften Ehe gibt.
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2.6 Schließlich bedarf es für den Fall, dass die Ehe des Klägers mit Frau J. wirksam zustande gekommen sein und die Erteilung eines Visums deshalb grundsätzlich in Betracht kommen sollte, einer Entscheidung zu der Frage, ob diese Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Kläger die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG). Die vom Verwaltungsgericht hierzu aufgrund der Vernehmung der Frau J. als Zeugin geäußerte Einschätzung wäre ggf. zu überprüfen. Falls das Vorliegen einer ausländerrechtlichen Zweckehe zu verneinen wäre, müssten auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 27 und 28 AufenthG geklärt werden.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.
(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung
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von Bundesrecht oder - 2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.
Tatbestand
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Der 1986 geborene Kläger indischer Staatsangehörigkeit möchte die Ausstellung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung erreichen.
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Der 1956 geborene Vater des Klägers reiste 1994 nach Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt war er mit einer Inderin verheiratet. Nach Ablehnung eines Asylantrags heiratete er im August 1997 in Dänemark die deutsche Staatsangehörige J. Diese Ehe wurde im Mai 2007 geschieden. Der Vater des Klägers ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis; ein Einbürgerungsantrag scheiterte.
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Der Kläger reiste im August 2004 nach Deutschland ein. Sein nach Einreise gestellter Asylantrag wurde abgelehnt; seine dagegen erhobene Klage nahm der Kläger im Jahre 2006 zurück. Sein Versuch, die zuvor mit seinem Vater verheiratete Frau J. im September 2007 in Schweden zu heiraten, scheiterte. Der Kläger reiste im Oktober 2007 freiwillig nach Indien aus. Dort ging er am 8. Februar 2008 mit Frau J. eine Zivilehe nach indischem Recht ein.
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Am 21. Februar 2008 beantragte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung. Die Botschaft beauftragte ein Ermittlungsbüro mit der Überprüfung der zur Begründung des Antrags vorgebrachten Angaben. Dieses erläuterte in seinem Abschlussbericht die familiären Beziehungen zwischen den beteiligten Personen und äußerte den Verdacht, dass es sich bei der streitigen Ehe des Klägers mit Frau J. um eine ausländerrechtliche Zweckehe handeln könnte. Die Botschaft zog aus den vorgelegten Erkenntnissen den Schluss, die Ehe sei wegen des in Indien bestehenden Verbots einer Ehe zwischen Stiefsohn und Stiefmutter nichtig. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums verweigert hatte, lehnte die Botschaft den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 28. Juli 2008 ab.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verpflichtung zur Erteilung des Visums abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, zwischen dem Kläger und Frau J. sei keine wirksame Ehe zustande gekommen. Ehehindernisse in der Person des Klägers seien gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach indischem Recht zu prüfen, so dass seine Ehe entsprechend dem Domizilprinzip nach indischem Sachrecht unwirksam sei. Denn Frau J. sei die Stiefmutter des Klägers, so dass einer Ehe mit dem Kläger das nach indischem Recht geltende Eheverbot der Schwägerschaft ersten Grades entgegenstehe; eine solche Ehe sei nach indischem Recht nichtig. Die Ehe zwischen Frau J. und dem Vater des Klägers sei zwar aufhebbar, bis zur Scheidung aber wirksam gewesen. Das für diese Vorfrage maßgebliche Recht ergebe sich aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Für den Vater des Klägers, der zur Zeit der Eheschließung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe, verweise das im indischen Recht verankerte Domizilprinzip auf deutsches Recht. Dies führe dazu, dass Frau J. die Stiefmutter des Klägers und deshalb nach indischem Recht an einer Eheschließung mit ihm gehindert sei. Weder Art. 13 Abs. 2 EGBGB noch Art. 6 GG oder Art. 12 EMRK stünden diesem Ergebnis entgegen. Das nach indischem Recht geltende Eheverbot der Schwägerschaft ersten Grades sei nicht als überzogenes Ehehindernis einzustufen, denn es sei auch in Deutschland erst 1998 aufgehoben worden und könne das Ziel verfolgen, intakte Familienverhältnisse aufrecht zu erhalten. Eine einschränkende Wirkung entfalte hier auch Art. 6 EGBGB nicht, da der deutsche ordre public die Wirkungen eines Eheverbots, das bis vor wenigen Jahren auch in Deutschland gegolten habe, nicht ausschließen könne.
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Der Kläger begründet seine Revision damit, dass nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB auf die Ehe des Klägers mit Frau J. deutsches Recht anwendbar sei. Auch wenn die Ehe der Frau J. mit dem Vater des Klägers nur aufhebbar gewesen sei, bestehe kein gewichtiges Interesse an der Nichtanerkennung der in Indien geschlossenen Ehe des Klägers. Gerade die Aufhebung des früher auch in Deutschland geltenden gesetzlichen Eheverbots der Schwägerschaft in gerader Linie zeige, dass ein solches Interesse in Deutschland nicht mehr anzuerkennen sei. Der Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Klägers und seiner Ehefrau könne nach heutigem Recht daher nicht mehr gerechtfertigt werden.
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 6 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach diesen Vorschriften benötigt ein Ausländer, der für einen längerfristigen Aufenthalt nach Deutschland einreisen möchte, vor der Einreise ein nationales Visum. Die Anspruchsvoraussetzungen richten sich im vorliegenden Fall nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden §§ 27 und 28 AufenthG. Diese erfordern u.a., dass der Kläger Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Tatbestandsmerkmal verneint. Nach seinen Feststellungen ist die Ehe des Klägers mit Frau J. nach indischem Recht nichtig, weil Frau J. aufgrund ihrer früheren Ehe mit dem Vater des Klägers die Stiefmutter des Klägers und deshalb an einer Eheschließung mit ihm gehindert sei. Die aus diesen tatsächlichen Feststellungen abgeleiteten rechtlichen Schlussfolgerungen zu § 6 Abs. 3, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beruhen allerdings auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage, sodass sie ungeachtet der Frage, ob die Ermittlung der maßgeblichen Tatsachen auch durch Verfahrensfehler belastet ist, einen Verstoß gegen revisibles materielles Recht darstellen.
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1.1 Zu Recht ist das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger Ehegatte einer Deutschen geworden ist, zunächst davon ausgegangen, dass sich das Ehestatut für beide Verlobte gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach ihrer Staatsangehörigkeit bestimmt und dass die Vorschrift als Gesamtnormverweisung für den Kläger auf indisches Recht verweist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bleibt es bei dieser Verweisung, weil das indische Recht für den Kläger nicht auf deutsches Recht zurückverweist. Nach Sec. 4 Satz 1 Buchst. d), Sec. 24 Abs. 1 des Special Marriage Act vom 9. Oktober 1954 (SpMA) stellt die Schwägerschaft ersten Grades ein zur Nichtigkeit führendes Ehehindernis dar, so dass die vom Kläger geschlossene Ehe maßgeblich davon abhängt, ob Frau J. mit dem Kläger verschwägert ist. Dabei ist die zwischen ihr und dem Kläger als dem Sohn ihres ehemaligen Ehemannes bestehende Beziehung nach Anlage I Nr. 2 i.V.m. Anlage II Satz 2 SpMA als nach diesem Gesetz verbotenes Verwandtschaftsverhältnis einzustufen. Ausnahmen oder Befreiungsmöglichkeiten von diesem Ehehindernis sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.
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1.2 Für die dann maßgebliche Vorfrage, ob die Ehe seines Vaters mit Frau J. bis zu ihrer Scheidung als wirksam anzusehen war oder nicht, hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen revisibles Recht sodann auch die Bestimmung des Ehestatuts im Wege der selbstständigen Anknüpfung ausgehend von Art. 13 Abs. 1 EGBGB vorgenommen (ebenso BGH, Urteile vom 7. April 1976 - IV ZR 70/74 - NJW 1976, 1590 und juris, dort Rn. 17 und vom 11. Oktober 2006 - XII ZR 79/04 - BGHZ 169, 240 Rn. 12). Daraus folgt, dass indisches Kollisions- und Sachrecht auch hinsichtlich der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen für den Vater des Klägers maßgeblich ist.
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1.3 Zum Inhalt des durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB in Bezug genommenen Rechts hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass nach dem kollisionsrechtlichen Domizilprinzip des indischen Rechts das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich sei. Dies sei für den Vater des Klägers zum Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Frau J. Deutschland gewesen. Deshalb komme ausschließlich deutsches Eherecht zur Anwendung mit der Folge, dass seine Ehe mit Frau J. wegen des Verbots der Doppelehe aufhebbar, jedoch nicht unwirksam gewesen sei. Aus diesem Grunde sei eine wirksame Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. im Hinblick auf das Ehehindernis der Schwägerschaft nicht zustande gekommen, so dass ein Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 6 Abs. 3 AufenthG nicht bestehe.
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Die tatsächlichen Feststellungen, auf die das Berufungsgericht sich für diese Schlussfolgerung stützt, tragen jedoch die Berufungsentscheidung nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 6 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG angenommen, dass der Kläger nicht der Ehemann einer Deutschen mit gewöhnlichem Wohnsitz in Deutschland sei, ohne für diese Annahme eine hinreichend breite Tatsachengrundlage zu schaffen. Es hat als Regel des indischen Kollisionsrechts die Geltung des Domizilprinzips festgestellt und angenommen, damit verweise das indische Recht auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Diese Gleichsetzung des im deutschen Recht geläufigen Begriffs "Domizil" mit dem aus dem common law stammenden indischen Begriff "domicile" ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachvollziehbar. Eine den gebotenen Sorgfaltsanforderungen bei der Feststellung ausländischen Rechts genügende Aufklärung hätte vielmehr ergeben, dass die offenkundigen Unterschiede zwischen beiden Begriffen eingehende Ermittlungen zum indischen Gesetzesrecht und zur indischen Rechtspraxis erfordert hätten. Der Subsumtion unter dem Begriff des "Ehegatten eines Deutschen" in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, fehlt damit eine hinreichende Grundlage; sie beruht damit auf einer materiell fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. Beschluss vom 2. Mai 2012 - BVerwG 10 B 10.12 -).
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§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO verpflichtet das Gericht im Verwaltungsprozess, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis zu betrachten (s. nur BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 12.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - BVerwGE 87, 52 <59>). Der an diese Ermittlungspflicht anzulegende Maßstab ist streng. Es gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung erfasst werden muss. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Tatsachengericht nach seinem Ermessen zu entscheiden. Je komplexer und "fremder" im Vergleich zum deutschen Recht das anzuwendende Recht ist, desto höhere Anforderungen sind an die richterliche Ermittlungspflicht zu stellen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2005 - XI ZR 82/05 - BGHZ 165, 248, vom 21. Januar 1991 - II ZR 50/90 - NJW 1991, 1418 und vom 27. April 1976 - VI ZR 264/74 - NJW 1976, 1588). Eine Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. § 293 Satz 1 ZPO), etwa weil es aufgrund sprachlicher Barrieren keinen unmittelbaren Zugang dazu hat.
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Selbst wenn die Verfahrensbeteiligten die Feststellungen des Tatsachengerichts zum ausländischen Recht nicht in Frage stellen, kann das Gericht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet sein. Dies gilt nicht nur bei der Feststellung offenkundiger Tatsachen, sondern auch dann, wenn zwar nicht eine relevante Tatsache selbst, sondern die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung zur Verbesserung einer unzureichenden Entscheidungsgrundlage offenkundig ist. Denn der Inhalt ausländischen Rechts kann, nicht anders als dies auch bei inländischem Recht der Fall ist, regelmäßig nur im Wege richterlicher Erkenntnis festgestellt werden, so dass dem Gericht insoweit eine besondere Verantwortung bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit von Sachaufklärungsmaßnahmen zukommt. Insbesondere wenn handgreifliche Indizien dafür sprechen, dass die von den Beteiligten vertretenen Positionen zum ausländischen Recht unzutreffend sind, hat es den verfügbaren Quellen zu dem jeweils maßgeblichen ausländischen Recht und seiner praktischen Anwendung nachzugehen, auch um ggf. die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung zu prüfen. Lässt sich der Inhalt des ausländischen Rechts auch unter Ausschöpfung der verfügbaren Erkenntnismittel nicht feststellen, ist ggf. nach einem Ersatzrecht zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1981 - IVb ZR 643/80 - NJW 1982, 1215 und vom 26. Oktober 1977 - IV ZB 7/77 - BGHZ 69, 387); eine Beweislastentscheidung kommt nicht in Betracht.
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Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern ungeachtet der vorerwähnten Besonderheiten wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 17; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - BVerwG 10 B 88.07 - Buchholz 310 § 173 VwGO Nr. 1 und vom 2. Juni 2008 - BVerwG 6 B 17.08 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 50); § 545 ZPO findet keine Anwendung (vgl. Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2012, § 173 Rn. 277). Das Bestehen bzw. Nichtbestehen ausländischer Ehehindernisse als Vorfrage eines aufenthaltsrechtlichen Anspruchs ist daher kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis; dies gilt ebenso für die Frage, welchen Inhalt eine Regel des ausländischen Kollisionsrechts hat und wie sie in der Rechtspraxis angewendet wird. An die Feststellungen des Berufungsgerichts zum ausländischen Recht ist das Revisionsgericht deshalb in den Grenzen des § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Allerdings können auch in das Revisionsverfahren in bestimmten Fällen Tatsachenfeststellungen - ggf. auch gegen den übereinstimmenden Willen der Verfahrensbeteiligten - eingeführt werden, etwa wenn es sich um offenkundige Tatsachen handelt oder um die Ersetzung aktenwidriger Feststellungen des Berufungsgerichts durch aktenkundige (vgl. etwa Urteile vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 25.07 - Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rn. 17 und vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 C 68.08 - Buchholz 232.0 § 46 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 22).
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Den dargestellten Sorgfaltsanforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat sich für die - zutreffende - Feststellung, im indischen Recht gelte als Kollisionsregel das Domizilprinzip, auf eine Erkenntnisquelle bezogen, die dies zwar ausführt, in engem räumlichem Zusammenhang damit aber zugleich auf den grundlegenden Unterschied dieses Prinzips vom europäisch-kontinentalen Wohnsitzbegriff hinweist und deshalb betont, das "domicile" einer Person sei entsprechend der englischen Rechtstechnik festzustellen (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Indien, Stand: 30. Juni 1989, S. 11
und 12). Sowohl die Kommentarliteratur als auch verfügbare monografische Darstellungen (vgl. Mankowski, in: Staudingers Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2011, vor Art. 13 EGBGB Rn. 18 f., 20 ff.; Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 726 ff.; Kreitlow, Das domicile-Prinzip im englischen Internationalen Privatrecht und seine europäische Perspektive, Peter Lang, 2002; Elwan, Gutachten zum ausländischen Familien- und Erbrecht, 2005, S. 158 ff., 162 ff., 173 ff., jeweils m.w.N. zur indischen Rechtsprechung; Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986 S. 41; Dosi, Validity of Marriage and Conflict of Laws, ILI Law Review 2010, 269 <281 ff.>) heben übereinstimmend hervor, dass eine Gleichsetzung des im common law wurzelnden Begriffs "domicile" mit dem im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts verwendeten Domizilbegriff des deutschen Rechts unrichtig sei und dass aufgrund der Besonderheiten des indischen bzw. im common law wurzelnden Begriffs regelmäßig zahlreiche tatsächliche Feststellungen zu treffen seien, bevor die Zuschreibung eines "domicile" möglich sei. In einer derartigen Situation hätte das Berufungsgericht zunächst den Begriff des "domicile" eingehend klären und sodann die für eine Subsumtion erforderlichen Tatsachen ermitteln müssen.
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Da ohne ein vertieftes Verständnis des "domicile"-Begriffs und ohne die zu seiner Anwendung aller Wahrscheinlichkeit nach erst noch zu ermittelnden Tatsachen die Frage nicht beantwortet werden kann, ob die Ehe des Vaters des Klägers mit Frau J. nach deutschem oder indischem Recht zu beurteilen ist, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht ermittelten Tatsachen auch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 AufenthG weder in positiver noch in negativer Hinsicht klären. Somit kommt nur eine Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht in Betracht.
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1.4 Die Frage, ob der Eheschließung des Klägers mit Frau J. das Ehehindernis der Schwägerschaft entgegensteht, weil Frau J. als Stiefmutter des Klägers anzusehen wäre, kann auch nicht deswegen dahinstehen, weil auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 2 EGBGB ausnahmsweise die Anwendung deutschen Rechts in Betracht käme. Hierzu hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht durchgreift. Dies steht im Einklang mit revisiblem Recht.
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Nach Art. 13 Abs. 2 EGBGB ist für die Voraussetzungen der Eheschließung deutsches Recht u.a. dann anzuwenden, wenn nach ausländischem Recht eine materielle Eheschließungsvoraussetzung fehlt, einer der Verlobten Deutscher ist, die Beseitigung des Ehehindernisses gescheitert ist und wenn die Versagung der Eheschließung gegen die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 GG verstößt. Das ist indes nicht der Fall. Das im vorliegenden Fall relevante Ehehindernis der Schwägerschaft in direkter Linie war bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes vom 4. Mai 1998 (BGBl I S. 833) in § 4 Abs. 1 Satz 1 EheG Bestandteil des deutschen Rechts und galt mithin noch im Zeitpunkt der Eheschließung zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. Seine Abschaffung war nicht zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen geschuldet, sondern beruhte vorrangig auf der pragmatischen Erwägung, dass ihm aufgrund der großzügigen Befreiungspraxis (vgl. § 4 Abs. 3 EheG) ohnehin keine praktische Bedeutung mehr zukam (vgl. BTDrucks 13/4898 S. 13; BRDrucks 79/96 S. 33, vgl. ebenso OLG Stuttgart vom 4. November 1999 - 19 VA 6/99 - FamRZ 2000, 821). Es ist nicht als "überzogenes" Ehehindernis einzustufen, das als unverhältnismäßige Einschränkung der Eheschließungsfreiheit anzusehen wäre. Vielmehr ist die mit dem Ehehindernis der direkten Schwägerschaft verbundene Einschränkung der Eheschließungsfreiheit nach wie vor im Hinblick auf ihren Normzweck, Streitigkeiten in Familien zu verhindern, die durch konsekutive Eheschließungen Verschwägerter innerhalb der (Kern-)Familie entstehen können, als verhältnismäßig anzusehen.
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Im Übrigen spricht die Grundentscheidung des Internationalen Privatrechts für den Respekt gegenüber fremden Rechtsordnungen ebenfalls für die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung der Eheschließungsfreiheit. Auch die konkreten Besonderheiten des vorliegenden Falles lassen nicht erkennen, dass der Kläger oder seine deutsche Partnerin im Einzelfall eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Eheschließungsfreiheit hinzunehmen hätten. Der Umstand, dass deutsches Recht das Ehehindernis der direkten Schwägerschaft nicht mehr kennt und dass zugleich die Eheschließung des Klägers bei einer isolierten Betrachtung auch der Vorehe seines Vaters ausschließlich nach indischem Recht möglicherweise wirksam wäre, führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn die maßgebliche Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 EGBGB verweist für die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen gerade nicht nur auf indisches Sachrecht, sondern auch auf das relevante Kollisionsrecht. Damit wird die dem indischen Recht möglicherweise zu entnehmende Entscheidung, bestimmte Aspekte des Falles durch den renvoi in deutsches Recht nach dessen Regeln zu beurteilen, zu einer sich auf die Eheschließungsfreiheit auswirkenden Folge des deutschen Kollisionsrechts und ist bis zur - hier gerade nicht überschrittenen - Grenze der Unverhältnismäßigkeit hinzunehmen. Die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 12 EMRK (Entscheidung der 4. Sektion vom 13. September 2005 - Nr. 36536/02) betraf eine Fallkonstellation langjährigen Zusammenlebens in ständiger Partnerschaft, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar und nicht auf diesen zu übertragen ist.
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Auch Art. 6 EGBGB führt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung deutschen Rechts auf die Ehe des Klägers mit Frau J. Selbst wenn dem allgemeinen ordre public-Gebot neben der speziellen Norm des Art. 13 Abs. 2 EGBGB ein Anwendungsbereich verbleiben sollte, läge hier kein solcher Anwendungsfall vor, da es bei dem Ehehindernis der Schwägerschaft um ein Hindernis geht, das von Art. 13 Abs. 2 EGBGB erfasst ist und damit im Rahmen des Art. 6 EGBGB keine Rolle spielt.
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2. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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2.1 Für die am 8. Februar 2008 geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. wird zunächst zu prüfen sein, ob das indische Kollisionsrecht eine Zurückverweisung auf deutsches Recht vornimmt; hierfür werden der Bedeutungsgehalt des "domicile"-Begriffs und seine Anwendung in der indischen Rechtspraxis zu klären sein. Insbesondere könnte - auch wenn dies fern liegen mag - von Bedeutung sein, ob der Kläger sein "domicile of origin" schon durch die bloße Eheschließung mit Frau J. und seinen streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Visums zugunsten eines "domicile of choice" aufgegeben haben könnte. Bei der Ermittlung und Auslegung des "domicile"-Begriffs im indischen Recht wird möglicherweise auch die Frage eine Rolle spielen müssen, ob dieser Begriff an den Veränderungen teilhat, denen das Konzept des "domicile" im common law seit dem Erlass des Special Marriage Act (1954) ausgesetzt ist (vgl. hierzu etwa Kreitlow, a.a.O. S. 185 ff.).
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2.2 Sodann wird der Frage nachzugehen sein, ob die Wirksamkeit der Vorehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. tatsächlich, wie es das Berufungsgericht angenommen hat, als Vorfrage für die Wirksamkeit der Ehe zwischen dem Kläger und Frau J. von Bedeutung ist. Zu denkbaren Folgen einer - auch nur versuchten - Eheschließung nach indischem Recht liegen bisher ebenso wenig hinreichende Erkenntnisse vor wie zu der Frage, ob im indischen Sachrecht die Möglichkeit der Heilung einer fehlerhaften Ehe vorgesehen ist und im vorliegenden Fall eine Rolle spielen könnte.
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2.3 Sollte allerdings der rechtliche Bestand der Vorehe bis zur Scheidung von Bedeutung sein, wird auf der Grundlage der Feststellungen zum indischen Konzept des "domicile" die Frage zu beantworten sein, nach welchem Recht die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen in der Person des Vaters des Klägers - bezogen auf das Jahr 1997 - zu bestimmen sind. Für die Begründung eines "domicile of choice" wird es möglicherweise auf subjektive Tatsachen ankommen, insbesondere auf die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Vater des Klägers die Kontakte zu seiner indischen Familie nach seiner Einreise nach Deutschland aufrechterhalten hatte und dies auch nach der Eheschließung plante. Auch wird ggf. zu entscheiden sein, welche Auswirkungen auf die mögliche Wahl eines vom "domicile of origin" abweichenden "domicile of choice" der Asylantrag und seine Ablehnung auf den hierauf erforderlichen animus manendi als subjektive Voraussetzung hatten; dabei wird auch das einem Asylbegehren innewohnende Element des nur vorübergehend gesuchten Schutzes vor Verfolgung durch staatliche Gewalt zu würdigen sein.
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2.4 Sollte nach hinreichender Sachaufklärung zum Inhalt und zur Anwendung des "domicile"-Prinzips anzunehmen sein, dass die Ehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. nach deutschem Recht zu beurteilen wäre, so ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass diese Ehe nach deutschem Eherecht als Doppelehe nicht ohne Weiteres als nichtig, sondern nur als aufhebbar behandelt werden dürfe, revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dies beruht allerdings nicht auf den §§ 1313, 1314 i.V.m. § 1306 BGB, sondern auf den §§ 5, 16, 20 und 23 des zum Zeitpunkt der Eheschließung noch geltenden Ehegesetzes (EheG). Nach § 20 Abs. 1 EheG ist eine Doppelehe nichtig, doch kann sich nach § 23 EheG niemand auf die Nichtigkeit berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Diese Regelungen entsprechen trotz ihres Wortlauts in der Sache einer Anfechtbarkeit nach heutigem Recht (vgl. Müller-Gindullis, in: Münchener Kommentar, 3. Aufl. 1993, § 16 EheG Rn. 1 und § 23 EheG Rn. 1). Sollte die Ehe zwischen dem Vater des Klägers und Frau J. also nach deutschem Recht zu beurteilen sein, so könnte sich mangels gerichtlicher Aufhebung der Ehe niemand auf die Nichtigkeit berufen; für den Zeitraum bis zur Scheidung am 2. Mai 2007 wäre die Ehe vielmehr als wirksam zu behandeln.
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2.5 Falls sich hingegen, abweichend von der bisherigen Annahme des Berufungsgerichts, ergeben sollte, dass die Vorehe des Vaters des Klägers mit Frau J. nach indischem Recht zu beurteilen ist, wäre zunächst zu klären, ob die Bestimmungen des Special Marriage Act (1954) oder diejenigen des Foreign Marriage Act (1969) - etwa dessen Sec. 23 (Recognition of Marriages Solemnized under Law of other Countries) - auf die 1997 geschlossene Ehe anzuwenden sind. Auslegung und Rechtspraxis der danach maßgeblichen Vorschriften wären sodann zu ermitteln. Dazu zählt auch die Frage, ob es die Möglichkeit einer Befreiung von dem Ehehindernis der Doppelehe bzw. ggf. die Möglichkeit der Heilung einer fehlerhaften Ehe gibt.
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2.6 Schließlich bedarf es für den Fall, dass die Ehe des Klägers mit Frau J. wirksam zustande gekommen sein und die Erteilung eines Visums deshalb grundsätzlich in Betracht kommen sollte, einer Entscheidung zu der Frage, ob diese Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Kläger die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG). Die vom Verwaltungsgericht hierzu aufgrund der Vernehmung der Frau J. als Zeugin geäußerte Einschätzung wäre ggf. zu überprüfen. Falls das Vorliegen einer ausländerrechtlichen Zweckehe zu verneinen wäre, müssten auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 27 und 28 AufenthG geklärt werden.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.
(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2007 - 5 K 1322/05 - wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren und das Verfahren im ersten Rechtszug - insoweit unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2007 - 5 K 1322/05 - von Amts wegen - wird auf jeweils 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.