Verwaltungsgericht München Urteil, 25. Okt. 2016 - M 12 K 16.32509
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am ... ... ... geborener eritreischer Staatsangehöriger. Er reiste am .... November 2014 ins Bundesgebiet ein (Bl. 39 der Behördenakte - BA) und beantragte am
Zur Begründung des Asylantrages trug er im Wesentlichen vor: Im Februar 2006 habe die Regierung gesagt, wer volljährig sei, müsse zum Militärdienst. Der Kläger sei minderjährig gewesen. Er habe die Schule für 4 Monate abgebrochen, nach einem Jahr sei er wieder in die Schule gegangen. Wer aber die Schule abgebrochen habe, müsse zum Militärdienst gehen. Der Kläger habe dann im Januar 2009 einen Brief bekommen, dass er zum Militärdienst gehen soll. Den Brief habe die Mutter bekommen, er selbst sei in der Schule gewesen. Aus Wut habe der Kläger den Brief zerknüllt und weggeworfen. Er habe das Land dann am .... Oktober 2009 verlassen. In der Zwischenzeit habe er sich versteckt, mal beim Bruder, mal beim Onkel in einem Dorf. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen (Schulausweis, Schulzeugnis, Taufurkunde und Kopie des Personalausweises von Vater und Mutter) vor (Bl. 48 ff. BA).
Mit Bescheid vom
Am .... August 2016 hat die Prozessbevollmächtigte beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben mit dem Antrag,
den Bescheid der Beklagten vom
Die Klage wurde nicht begründet.
Die Beklagte übersandte am
keinen Antrag.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 2016
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Gründe
Über die Verwaltungsstreitsache konnte entschieden werden, obwohl keiner der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Denn die Beteiligten wurden mit Empfangsbekenntnis ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen (die Prozessbevollmächtigte am 10. Oktober 2016, die Beklagte am 7. Oktober 2016). In der Ladung wurden sie darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG. Er hat während der Anhörung beim Bundesamt den Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt (Bl. 40 BA), so dass kein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vorliegt.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i. S. d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 - 9 C 60/89 - juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 - A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a. a. O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v.
In Anwendung dieser Grundsätze ist beim Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Eritrea oder im Falle einer Rückkehr nach Eritrea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde. Der Kläger hat zu seiner Vorverfolgung einen widersprüchlichen, unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen.
Sein Vortrag, er habe einen Brief bekommen, der ihn zum Militärdienst aufgefordert habe, ist unglaubhaft. Der Kläger hat nicht nachvollziehbar darlegen können, dass er einberufen worden ist.
Nicht nachvollziehbar ist, dass sich der Kläger verschiedene Unterlagen von seiner Mutter hat schicken lassen, den wichtigen Einberufungsbrief aber nicht. Zum Brief erklärte der Kläger, dieser sei in Eritrea (Bl. 41 BA). An anderer Stelle trug er vor, er habe den Brief aus Wut zerrissen (Bl. 41 BA). Wieder an anderer Stelle trug er vor, er habe den Brief nur zerknüllt, die Mutter habe den Brief weggenommen. Wo der Brief sei, wisse er nicht (Bl. 41 BA). Insgesamt sind die Ausführungen widersprüchlich und vage, so dass das Gericht davon ausgeht, dass der Kläger nicht einberufen worden ist.
Auch zu den Zeitpunkten hat der Kläger widersprüchliche Angaben gemacht. Er trug vor, die Schule von Februar bis Juni 2006 abgebrochen zu haben. Der Brief sei im Januar 2009 gekommen. An anderer Stelle trug er vor, er habe die Schule schon abgebrochen gehabt, als der Brief gekommen sei. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger im Zusammenhang mit dem Einberufungsbrief von einem Schulabbruch erzählt, wenn er den Brief 2 ½ Jahre nach der Unterbrechung der Schule erhalten hat. Denn angeblich ist er ja in den Jahren 2007 bis 2009 wieder in der Schule gewesen, also hätte er die Schule zum Zeitpunkt des Briefeingangs nicht abgebrochen gehabt.
Unglaubhaft ist auch, dass sich der Kläger nach Briefeingang im Januar 2009 bis Oktober 2009 bei Verwandten hat ohne Probleme verstecken können. Bei Verwandten hätten die Sicherheitsbehörden sicher zuerst gesucht, wenn sie den Kläger zum Militär hätten bringen wollen. Die eritreische Polizei ist sicher nicht derart dilettantisch, dass sie Leute, die zum Militär sollen, einfach zu ihren Verwandten fliehen lässt.
Insgesamt ist die Vorfluchtgeschichte des Klägers unglaubhaft und widersprüchlich, so dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass sich der Sachverhalt wie geschildert ereignet hat. Der Kläger hat sich offensichtlich eine Vorfluchtgeschichte zurechtgelegt, von der er meinte, sie könne ihm zu einem Bleiberecht verhelfen.
Eine weitere Sachaufklärung war nicht zu erreichen, da der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist.
Unabhängig von einem Einberufungsschreiben führt das Vorbringen betreffend den Wehrdienst nicht dazu, dass die Beklagte zu verpflichten wäre, dem Kläger Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Dem Kläger droht in Eritrea, dem Land seiner behaupteten Staatsangehörigkeit (Herkunftsland) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine eritreische Staatsangehörigkeit glaubhaft gemacht hat. Nur unter dieser Voraussetzung kann er den Flüchtlingsstatus in Bezug auf eine ihm in Eritrea drohende flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgungsgefahr beanspruchen.
Dabei ist unter Zugrundelegung des eigenen Vorbringens des Klägers davon auszugehen, dass er nicht vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist (siehe oben).
Hinsichtlich der jetzt anzunehmenden Verfolgungsgefahr ist nicht etwa danach zu fragen, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie)). Denn der Kläger hat nichts dazu vorgebracht und es erschließt sich auch nicht sonst, dass er bis heute in Eritrea jemals relevante Verfolgungshandlungen erlitten oder unmittelbar zu gewärtigen gehabt hätte. Maßstab für die flüchtlingsschutzrechtliche Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist daher, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr für den Kläger in dem von ihm behaupteten Herkunftsland (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) Eritrea in Anknüpfung an die geschützten Persönlichkeitsmerkmale (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) auszugehen ist.
Eine solche Verfolgungsgefahr in Eritrea vermag das Gericht wegen des Nationalen Dienstes (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang stellt die bloße Heranziehung zum Nationaldienst als solchen deshalb keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt. Denn diese Vorschrift definiert Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt als relevante Verfolgungshandlungen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen; schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen). Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.
Es ist davon auszugehen, dass Personen wie der Kläger im Falle einer Einreise nach Eritrea mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst zu rechnen haben, also anders als Deserteure, Fahnenflüchtlinge oder Wehrdienstverweigerer nicht mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen. Selbst eine ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre gem. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen, oder wenn sie wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Treiber in GK-AufenthG, Band 3, § 60 AufenthG Rn. 167 ff., Stand April 2011 m. w. N. aus der Rspr.). § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bezieht sich - in Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. e der Qualifikationsrichtlinie - also auf einen „Konflikt“. Eine Kriegsdienstverweigerung, die - aus welchen Gründen auch immer - außerhalb eines solchen Konfliktes stattfindet, kann demnach nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen (EuGH, U.v. 26. 2. 2015 - Rs. C-472/13 zur unionsrechtlichen Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 2 lit. e Richtlinie 2004/83/EG - juris).
Hiernach würde selbst eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Umgehung der Wehrpflicht durch eine illegale Ausreise, die ggf. mit inhumanen Umständen der Strafvollstreckung verbunden sein könnte, keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung darstellen. Dies gilt auf der Ebene des Flüchtlingsschutzes erst recht für den vorliegenden Fall einer Umgehung der Wehrpflicht durch bloßen „Nicht-Aufenthalt“ in Eritrea im wehrpflichtigen Alter (VG Münster, U.v. 22.7.2015 - 9 K 3488/13.A - juris).
Die Flucht des Klägers aus Eritrea und seine Weigerung, nach Eritrea zurückzukehren, löst keine Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aus. Denn dieses Verhalten steht nicht im Zusammenhang mit einem Konflikt im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eritrea befindet sich derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG) in keinem Konflikt im Sinne der Vorschrift - sei es mit anderen Staaten (internationaler Konflikt), sei es mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt). Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten Äthiopien, Dschibuti und Sudan finden zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht statt.
Die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea,
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 25. Okt. 2016 - M 12 K 16.32509
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht München Urteil, 25. Okt. 2016 - M 12 K 16.32509 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Die Verfolgung kann ausgehen von
- 1.
dem Staat, - 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder - 3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Die Verfolgung kann ausgehen von
- 1.
dem Staat, - 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder - 3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden
- 1.
vom Staat oder - 2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden
- 1.
vom Staat oder - 2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
Tatbestand
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Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.
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Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
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Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.
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Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.
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Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.
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Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.
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Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198
). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).
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Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.
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3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).
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Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.
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Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.
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a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
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Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
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Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
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Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330
); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).
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b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.
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-
Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183
; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.
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Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.
- 27
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4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.
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5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.
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Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan -
) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juni 2012 - A 9 K 122/12 - geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Januar 2012 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Bundesrepublik Nigeria vorliegen, und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Dieses Gesetz gilt für Ausländer, die Folgendes beantragen:
- 1.
Schutz vor politischer Verfolgung nach Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes oder - 2.
internationalen Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9); der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU umfasst den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) und den subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie; der nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) gewährte internationale Schutz steht dem internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU gleich; § 104 Absatz 9 des Aufenthaltsgesetzes bleibt unberührt.
(2) Dieses Gesetz gilt nicht für heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 243-1, veröffentlichten bereinigten Fassung in der jeweils geltenden Fassung.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
Tenor
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 12. November 2013 verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt 2/3, die Beklagte 1/3 der Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der verheiratete amharischsprachige Kläger ist nach eigenen Angaben 1979 in Asmara (heute Eritrea) geboren und seinen Aussagen zufolge eritreischer Staatsangehöriger tigrinischer Volkszugehörigkeit. Nach seiner Darstellung lebte er mit seinen Eltern ab 1980 auf dem Gebiet des heutigen Äthiopien und flüchtete im Mai 2010 zunächst in den Sudan und 2012 in die Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger stellte in der Bundesrepublik Deutschland am 6. Juli 2012 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärte der Kläger im Wesentlichen Folgendes: Seine Eltern – die eritreische Staatsangehörige seien – hätten sich getrennt; sein Vater sei im Jahr 1998 von Äthiopien nach Eritrea deportiert worden, wohingegen seine Mutter in Äthiopien verblieben und dort später gestorben sei. Er – der Kläger – sei nicht deportiert worden, sondern habe sich bis 2010 in Äthiopien aufgehalten. Er habe in Äthiopien an einer Universität Bauwesen studiert und anschließend in Addis Abeba für eine Straßenbaufirma gearbeitet. Schließlich habe Äthiopien ein Gesetz verabschiedet, wonach Eritreern konfisziertes Vermögen zurückzugeben sei. Er sei daraufhin am 10. September 2009 das erste Mal zur Stadtverwaltung von Adama/Nazret gegangen, um konfisziertes Vermögen seines Vaters wiederzuerlangen. Das verabschiedete Gesetz sei nicht angewandt worden; vielmehr sei ihm mitgeteilt worden, er solle froh sein, dass er als Eritreer in Äthiopien leben dürfte. Während des zweiten Termins bei der Stadtverwaltung habe er angekündigt, dass er Klage erheben werde, um das Vermögen seines Vaters zurückzuerlangen. Während des dritten Termins bei der Stadtverwaltung, am 15. September 2009, sei er dann festgenommen worden. Anschließend habe er sich bis Ende November 2009 in Haft befunden; in der Haft sei er geschlagen worden und habe Verletzungen erlitten. Durch Zahlung von Bestechungsgeld sei es ihm gelungen, das Gefängnis zu verlassen. Nach der Flucht habe er sich nach Addis Abeba begeben und zunächst wieder seine vorherige Arbeitsstelle aufgesucht. Er habe jedoch von den Behörden kontinuierlich Drohungen erhalten und sein Arbeitgeber habe ihm schließlich mitgeteilt, dass man sein Arbeitsverhältnis beenden müsse. Aus diesen Gründen habe er im Mai 2010 Äthiopien verlassen.
4Mit Bescheid vom 12. November 2013, am 26. November 2013 als Einschreiben zur Post aufgegeben, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2.) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. (Ziffer 3.) vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Äthiopien an (Ziffer 4.). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter scheitere daran, dass der Kläger keine Reiseunterlagen vorgelegt habe, so dass er der ihn treffenden materiellen Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates i. S. v. Art. 16a Abs. 2 GG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, nicht nachgekommen sei. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bestehe ebenfalls nicht. Der amharisch sprechende Kläger habe keinerlei Personaldokumente vorgelegt und eine eritreische Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen. Die Inhaftierung des Klägers sei nicht wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit erfolgt. Der Kläger habe in Äthiopien aufwachsen und ungehindert einer beruflichen Tätigkeit nachgehen dürfen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. lägen ebenso wenig vor.
5Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 9. Dezember 2013 Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend im Wesentlichen aus: Bei Ausbruch des äthiopisch-eritreischen Krieges seien sein Vater, dessen Grundvermögen in Adama/Nazret, Haus, Werkstatt sowie zwei Lkws konfisziert worden seien, sowie seine Schwester nach Eritrea abgeschoben worden. Er – der Kläger – habe anschließend weiter bei seiner Mutter in Äthiopien gelebt. Seine Mutter sei vermutlich deswegen nicht deportiert worden, weil sie nach der Trennung von seinem Vater einen Äthiopier geheiratet habe. Nach dem Tod seiner Mutter habe er – der Kläger - geheiratet. Nachdem im Laufe des Jahres 2009 in Äthiopien eine Regelung in Kraft getreten sei, nach der eritreischstämmige Personen konfisziertes Vermögen wieder hätten zurückerhalten können, habe er bei der örtlichen Verwaltung in Adama/Nazret drei Mal vorgesprochen, um Vermögen seines Vaters zurückzuerhalten. Im Rahmen der dritten Vorsprache sei er von drei Personen festgenommen und in ein Lager gebracht worden. Er sei mit einem Knüppel geschlagen worden; ein Zeh am linken Fuß sei gebrochen worden. Nach zwei Tagen in einer Einzelzelle sei er in einer Gemeinschaftszelle mit ca. 20 Gefangenen untergebracht worden. Ende November 2009 sei er „auf freien Fuß gesetzt“ worden. Im Januar 2010 habe ihm sein Arbeitgeber gekündigt, da er – der Kläger - ein Problem mit der Regierung habe; die Bedrohungen durch Sicherheitskräfte seien anschließend weiter gegangen. In der Bundesrepublik Deutschland sei er für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) politisch aktiv. Er nehme u.a. an Parteiversammlungen teil, beteilige sich dort an Diskussionen und werbe für die EPPF. Darüber hinaus habe er verschiedentlich regimekritische Beiträge publiziert; seit April 2015 gehöre er zur Redaktion der quartalsmäßig erscheinenden äthiopischen oppositionellen Zeitschrift L. .
6Er – der Kläger – habe einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Eine etwaig über einen sicheren Drittstaat erfolgte Einreise stehe der Asylanerkennung nicht entgegen. Ferner werde er aufgrund seiner teileritreischen Herkunft sowie seines Versuches, Teile des ursprünglichen Vermögens seines eritreischen Vaters zurückzuerhalten, von den äthiopischen Behörden auf unabsehbare Zeit nicht mehr als äthiopischer Staatsbürger, sondern als eritreischer Staatsbürger behandelt und erhalte vor diesem Hintergrund weder einen Pass noch ein anderes Einreisepapier durch die äthiopischen Behörden. Seine Inhaftierung sei auch vor dem Hintergrund seiner teileritreischen Herkunft erfolgt („Eritreer-Malus“); eine Person ohne eritreischen Elternteil würde nach Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche nicht inhaftiert werden. Die äthiopischen Sicherheitskräfte hätten über ihn bereits wegen seiner Herkunft und seiner Versuche zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens ein Dossier angelegt. Im Falle der Rückkehr nach Äthiopien drohte ihm darüber hinaus aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten für die EPPF mindestens Haft für unbestimmte Zeit. Die exilpolitische Tätigkeit für die EPPF sei den äthiopischen Behörden aufgrund ihrer Überwachung der äthiopischen Exilopposition auch bekannt geworden.
7Ginge man hingegen davon aus, dass er – der Kläger – eritreischer Staatsangehöriger sei, so drohe ihm aufgrund seines Aufenthalts in Äthiopien und seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea dort Haft und Misshandlung für unbestimmte Zeit. Die eritreische Regierung verfolge in diesem Zusammenhang auch Personen, die sich dadurch, dass sie sich während des wehrpflichtigen Alters niemals in Eritrea, sondern nur im Ausland aufgehalten hätten, dem Nationalen Dienst in Eritrea durch schlichte Abwesenheit entzogen hätten. Schließlich drohe ihm als sog. Pfingstler in Eritrea aufgrund seiner Religion Verfolgung.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
10hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
11äußerst hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. November 2013 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens vorliegen.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angegriffenen Bescheids.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, namentlich der Sitzungsniederschrift mit dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers durch das Gericht, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten (1 Heft) sowie der vom Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2015 übersandten Unterlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17I. Das Gericht konnte über die Klage entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, da bei der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
18II. Die zulässige Klage ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 12. November 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien, den Zielstaat der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid, abgelehnt hat. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 12. November 2013 ist im Übrigen hingegen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
19A. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Anspruch ist nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG ausgeschlossen. Zur Begründung nimmt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die insoweit zutreffende Begründung im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten (dort ab Seite 2 zehnter Absatz bis einschließlich Seite 3 sechster Absatz) vom 12. November 2013 Bezug. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt vorliegend auch kein Fall von § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vor. Andernfalls liefe zum einen Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG regelmäßig leer. Zum anderen lässt sich Art. 3 Abs. 3 der im vorliegenden Fall noch anwendbar gewesenen VO (EG) Nr. 343/2003 (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der nachfolgenden VO (EU) Nr. 604/2013) entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber nationale Drittstaatenregelungen der Mitgliedstaaten unangetastet lassen wollte.
20B. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG. In Eritrea, dessen Staatsangehöriger er ist (dazu im Einzelnen unter h)), droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung im Sinne dieser Normen (dazu im Einzelnen unter i)).
21a) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – GFK - nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seiner vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Gemäß § 3a Abs. 2 AsylVfG gelten als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen: (1.) die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, (2.) gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, (3.) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, (4.) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, (5.) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen, (6.) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylVfG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Nach § 3b Abs. 2 AsylVfG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Gemäß § 3c AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
22Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist – wie auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes - der Maßstab der beachtlichen, d.h. überwiegenden Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die zum Asylgrundrecht entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nachdem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist, finden unter Geltung der Richtlinie 2011/95/EU auf die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes keine Anwendung. Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, lediglich ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nur durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten normiert Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris, Rn. 18 ff.; BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24/08 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A -, juris, Rn. 35 ff.; jeweils m. w. N (jeweils zur Vorgängernorm des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
24b) Ein Asylanspruch besteht nicht, wenn der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylsuchende besitzt, bereit und fähig ist, diesen gegen Verfolgungsmaßnahmen auf seinem Territorium zu schützen. Dieser im Rahmen der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG zu beachtende Grundsatz ist auch im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG sowie im Rahmen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG, § 60 Abs. 2 AufenthG – wie sich aus der Verwendung des Begriffes „Herkunftsland“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und der damit in Bezug genommenen Legaldefinition dieses Begriffes in § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG ergibt - zu beachten (wohingegen im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat abzustellen ist, vgl. § 34 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 59 Abs. 3 AufenthG). § 3 Abs. 1 AsylVfG normiert – wie bereits ausgeführt - ausdrücklich, dass ein Ausländer nur dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, sind danach nur dann Flüchtlinge (bzw. subsidiär Schutzberechtigte), wenn sie des Schutzes desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören.
25Vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Beschluss vom 28. November 2003 – 1 B 139/03 -, juris, Rn. 3, m. w. N.
26In der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 A Nr. 2 Abs. 1 GFK kommt das der Konvention zugrunde liegende Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts ebenfalls zum Ausdruck. Das bedeutet zum einen, dass der internationale Schutz nach der Konvention grundsätzlich nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts eingreift, und zum anderen, dass die Schutzgewährung durch den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts die Flüchtlingseigenschaft ausschließt. Die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG kann deshalb regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist. Offen bleiben kann diese nur, wenn hinsichtlich sämtlicher als Staat der Staatsangehörigkeit in Betracht kommender Staaten die Gefahr politischer Verfolgung entweder bejaht oder verneint werden kann.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29/03 -, juris, Rn. 14 f.
28c) Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt.
29Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 24.
30d) Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend existiert eine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann, nicht. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien richterlichen Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29/03 -, juris, Rn. 18.
32e) Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, zu betrachten. In diesem Zusammenhang gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das grds. in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung erfasst werden muss. Das Gericht ist grds. gehalten, das ausländische Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung des betreffenden Staates entwickelt hat. Das Gericht darf als deutsches staatliches Gericht aber auch das ausländische Recht für Sonderfallgestaltungen, welche die Gerichte des Staates, dessen Recht anzuwenden ist, (bisher) nicht entschieden haben, fortentwickeln. Hierfür sind der Geist und die Systemzusammenhänge des ausländischen Rechts maßgebend. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Eine Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. 293 Satz 1 ZPO).
33Vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 10 C 2/12 -, juris, Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 14. Januar 2014 – II ZR 192/13 -, juris, Rn. 15; Geimer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 293 ZPO; jeweils m. w. N.
34Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner, dass ausländische Rechtsnormen für ein deutsches Gericht keine Tatsachen, sondern Rechtssätze sind bzw. Normqualität aufweisen.
35Vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 293 ZPO Rn. 14, 17, m. w. N.
36Dem steht nicht entgegen, dass ausländische Rechtsnormen – wie bereits ausgeführt - unter den Voraussetzungen des § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 293 Satz 1 ZPO einer Beweiserhebung bedürfen und die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern ungeachtet Besonderheiten „wie“ eine Tatsachenfeststellung zu behandeln ist. Aus letzterem Umstand, der sich nur auf das Revisionsrecht bezieht, folgt nur, dass das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht in den Grenzen des § 137 Abs. 2 VwGO an Feststellungen eines Berufungsgerichts zum ausländischen Recht gebunden ist.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 10 C 2/12 -, juris, Rn. 16.
38f) Voraussetzung der bereits dargestellten Verpflichtung des Gerichts, über die ausländischen Rechtsnormen als solche hinaus auch deren Umsetzung in der Rechtspraxis des jeweiligen Staates zu berücksichtigen, muss jedoch sein, dass die ausländische Rechtspraxis eine zumindest vertretbare Konkretisierung bzw. Auslegung der jeweiligen Rechtsnormen vornimmt. Eine Rechtspraxis, die im eindeutigen Widerspruch zu den gültigen Rechtsnormen des jeweiligen Staates stünde, wäre für das Gericht als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit dahingegen gerade nicht verbindlich. Außerhalb des geltenden Rechts liegende Umstände können nämlich keinen Einfluss haben auf die sich nach objektiven normativen Regelungen richtende Staatsangehörigkeit einer Person. Voluntative Elemente, die von den Behörden des jeweiligen fremden Staates neben dessen geltendem Staatsangehörigkeitsrecht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit herangezogen werden, sind demzufolge für das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit unverbindlich. Im Falle eines evidenten Widerspruchs der staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtspraxis zu den staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtsnormen in dem jeweiligen ausländischen Staat sind für das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit die Rechtsnormen maßgeblich, da sich die ausländische Rechtspraxis in einem Staat – wie in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) - nach den jeweiligen Normen dieses Staates richten muss. Steht die staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtspraxis in dem jeweiligen ausländischen Staat in einem evidenten Widerspruch zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtslage, so könnte allerdings dieser Widerspruch u.U. selbst ggf. eine flüchtlingsschutzrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr in Form einer Ausbürgerung/Aussperrung begründen.
39Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 28. August 2007 – 8 K 1136/06.A -, n.v., Seite 9, das daraus folgerte, dass das Ableisten von Wehrdienst für Eritrea nicht zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führen kann, sondern allenfalls dazu, dass ein äthiopischer Staatsangehöriger von den Behörden Äthiopiens nicht mehr als solcher akzeptiert und ihm infolge dessen die Wiedereinreise nach Äthiopien verweigert wird; vgl. zu den Voraussetzungen einer asylrechtlich erheblichen Ausbürgerung/Aussperrung, insb. zu der erforderlichen Eingriffsintensität, etwa BVerwG, Beschluss vom 30. April 1997 – 9 B 11/97 -, juris, Rn. 3 ff.
40g) Die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage ergibt sich in Äthiopien aus Art. 33 der Verfassung vom 21. August 1995, dem früheren Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930, das durch Art. 25 des nachfolgenden Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 aufgehoben wurde, und dem erwähnten Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003, das nach seinem Art. 27 am selben Tag in Kraft trat.
41Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien.
42Darüber hinaus hat die äthiopische Regierung unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes einen Erlass zur Anwendung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf in Äthiopien lebende Eritreer (Direktive der äthiopischen Regierung zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien vom 16. Januar 2004) sowie einen Erlass aus Mai 2009 herausgegeben.
43In Eritrea ergibt sich die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage aus der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992, die nach ihrem Art. 13 am Tag ihrer Veröffentlichung (6. April 1992) in Kraft treten sollte bzw. am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas, in Kraft trat.
44Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea.
45h) Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Kläger eritreischer Staatsbürger:
46aa) Im Zeitpunkt seiner Geburt in Asmara 1979 war der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger. Nach Art. 1 des damals gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930 war äthiopischer Staatsbürger, wer als Kind eines äthiopischen Vaters oder einer äthiopischen Mutter in Äthiopien oder außerhalb geboren wird. Das Gericht hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Eltern des Klägers im Jahre 1979 äthiopische Staatsangehörige waren. Zu diesem Zeitpunkt existierte eine eritreische Staatsangehörigkeit nämlich noch nicht, da Eritrea als Staat im völkerrechtlichen Sinne damals noch nicht bestand.
47bb) Durch die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 in Verbindung mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit erworben. Die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 regelt die Frage, ob jemand qua Geburt eritreischer Staatsangehöriger ist, in ihrem Art. 2. Nach ihrem Art. 13 sollte sie am Tag ihrer Veröffentlichung im eritreischen Amtsblatt, das war der 6. April 1992, in Kraft treten. Wirksam konnte sie jedoch erst werden, nachdem Eritrea am 24. Mai 1993 seine (völkerrechtlich anerkannte) Unabhängigkeit erklärte, da es vorher – wie ausgeführt - als Staat im völkerrechtlichen Sinne noch nicht existierte.
48Nach Art. 2 Abs. 1 ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vatersoder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. „Eritreischer Abstammung“ ist gemäß Art. 2 Abs. 2, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte.
49Grund für das Abstellen auf das Jahr 1933 war, dass die damalige Kolonialmacht Italien in jenem Jahr eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann, vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea, Seite 7.
50Der Begriff der "eritreischen Abstammung" in Art. 2 Abs. 2 ist also nicht mit der eritreischen Volkszugehörigkeit identisch, sondern verlangt den Aufenthalt einer Person im Gebiet des heutigen Eritrea im Jahr 1933.
51Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31.
52Nach dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 müssen Vateroder Mutter zwingend selbst „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sein bzw. 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea gehabt haben, um ihrem Kind die eritreische Staatsangehörigkeit qua Geburt zu vermitteln („als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung“). Nach Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 1 und 2 (teleologische Auslegung) muss es jedoch, um einer Person die eritreische Staatsbürgerschaft qua Geburt zu vermitteln, jedenfalls dann, wenn weder deren Vater noch Mutter im Jahre 1933 bereits lebten, auch ausreichen, wenn wiederum Vorfahren von Vateroder Mutter „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sind bzw. 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass eine Person, deren Elternteile beide erst nach 1933 geboren wurden, niemals eritreischer Staatsangehöriger qua Geburt sein könnte, selbst wenn ihre Großeltern mütter- oder väterlicherseits „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 sind, weil sie 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Dies kann nicht überzeugen.
53So der Sache nach wohl auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31: „Danach hat der Kläger nach Nr. 2 Abs. 1 der Verordnung durch Geburt die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt, denn seine Vorfahren lebten 1933 im Gebiet des heutigen Eritrea.“
54Nach Art. 2 Abs. 3 wird, wer in Eritrea als Kind unbekannter Eltern geboren ist, bis zum Beweis des Gegenteils als eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt betrachtet. Gemäß Art. 2 Abs. 4 erhält auf Antrag eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom Ministerium des Innern, wer durch Abstammung oder Geburt Eritreer ist. Die Erteilung der Staatsangehörigkeitsbescheinigung nach Art. 2 Abs. 4 setzt die eritreische Staatsangehörigkeit voraus. Die Bescheinigung begründet nicht eine ansonsten nicht bestehende Staatsangehörigkeit, sondern dokumentiert nur ihr Vorhandensein. Sie hat also nur deklaratorische Wirkung.
55Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31.
56Nach Art. 2 Abs. 5 hat, wer durch Geburt Eritreer ist, seinen Aufenthalt im Ausland hat und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, einen Antrag an das Ministerium des Innern zu richten, wenn er förmlich auf seine ausländische Staatsangehörigkeit zu verzichten und die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben wünscht oder wenn er wünscht, dass nach Vorlage ausreichender Gründe seine eritreische Staatsangehörigkeit anerkannt wird, während er seine fremde Staatsangehörigkeit beibehält. Art. 2 Abs. 5 verleiht – im Unterschied zu Art. 2 Abs. 4 – nach seinem Wortlaut konstitutiv die eritreische Staatsangehörigkeit („wenn er … die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben wünscht…“).
57Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 39 („…so dass es nicht des konstitutiven Erwerbs der Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 5 der Verordnung bedarf“).
58Eine von Vorfahren eritreischer Abstammung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 abstammende Person, die ihren Aufenthalt im Ausland – etwa in Äthiopien – (gehabt) hat, erwirbt die eritreische Staatsangehörigkeit unmittelbar (ipso iure) nach Art. 2 Abs. 1–4, nicht erst durch konstitutive Entscheidung des eritreischen Ministeriums des Innern auf entsprechenden Antrag nach Art. 2 Abs. 5.
59Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31 ff.
60Eine derartige Auslegung des Art. 2 stellt sich einerseits als vertretbar dar bzw. steht nicht in einem Widerspruch zum Wortlaut dieser Norm (dazu aaa)); andererseits entspricht sie nach der Auskunftslage der Handhabung durch die eritreischen Behörden (dazu bbb)).
61aaa) Die vorstehend beschriebene Auslegung des Art. 2 steht mit dessen Wortlaut in Einklang, insb. behält dessen Abs. 5 auch hiernach einen eigenen Regelungsinhalt: Nach Art. 2 Abs. 1 und 2 sind eritreische Staatsangehörige durch Geburt nicht alle Personen, die von eritreischen Volkszugehörigen abstammen, sondern nur solche, die von Personen „eritreischer Abstammung" (die also wiederum 1933 in Eritrea ihren Aufenthalt hatten) abstammen. Solche Personen können sich gemäß Art. 2 Abs. 4 eine deklaratorische Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom eritreischen Ministerium des Innern ausstellen lassen. Der Umstand, dass die eritreischen Behörden einen Nachweis der eritreischen Abstammung verlangen, steht dem Innehaben der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nicht entgegen. Insoweit ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Bestehen der eritreischen Staatsangehörigkeit und dessen Nachweis. So sind etwa die Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum und/oder der Besitz einer eritreischen ID-Karte geeignet, den Nachweis der eritreischen Abstammung und damit der eritreischen Staatsangehörigkeit zu führen; Voraussetzung der eritreischen Staatsangehörigkeit, deren Innehaben auch auf andere Weise – etwa durch die Beibringung von drei Zeugen eritreischer Staatsangehörigkeit, die in der Lage sind zu bestätigen, dass es sich bei der betroffenen Person um einen eritreischen Staatsangehörigen handelt - nachgewiesen werden kann,
62vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. Februar 2001 an das VG Gießen (Az.: 508-516.80/36938); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 32; vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), Seite 19: Es gibt mehrere Möglichkeiten, die eritreische Staatsangehörigkeit festzustellen, und zwar durch eritreischen Personalausweis, ausgestellt für eine Teilnahme an der Abstimmung über die Unabhängigkeit Eritreas; Geburts- und Taufurkunde; Feststellung durch Gerichtsbeschluss unter Hinzuziehung von drei Zeugen,
63sind sie jedoch nicht.
64Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31, 40 f.
65Wer hingegen „nur" eritreischer Volkszugehöriger ist, jedoch nicht das weitere Merkmal der Abkunft von Personen "eritreischer Abstammung" i. S. v. Art. 2 Abs. 2 erfüllt, kann unter den weiteren Voraussetzungen des Abs. 5 die Option für die eritreische Staatsangehörigkeit ausüben. Mit dem Begriff „durch Geburt Eritreer“ meint Art. 2 Abs. 5 der Verordnung somit nicht Personen, die durch Geburt eritreische Staatsangehörige (i. S. v. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung) sind, denn mit dieser Auslegung würde Art. 2 Abs. 5 in sich widersprüchlich: Sein Regelungsgehalt läge dann im Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit durch Personen, die diese schon innehaben. Damit kann Abs. 5 auch nicht als (abschließende) Spezialregelung für Fälle doppelter Staatsangehörigkeit angesehen werden.
66Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 31, 40.
67bbb) Die vorstehend beschriebene Auslegung entspricht nach der Auskunftslage auch der Handhabung durch die eritreischen Behörden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2001 an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das für Staatsangehörigkeitsfragen zuständige Department for Immigration and Nationality Eritreas auf mündliche Nachfrage erklärt, dass im Ausland lebende Eritreer, die eine fremde Staatsangehörigkeit innehaben, keinen förmlichen Antrag im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Verordnung stellen müssen, um als eritreische Staatsangehörige anerkannt zu werden. Faktisch würde jeder im Ausland lebende Eritreer, auch wenn er eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, als eritreischer Staatsangehöriger anerkannt, wenn er seine Abstammung nachweisen oder gegebenenfalls Zeugen für seine Abstammung benennen könne. Es wurde ausdrücklich bestätigt, dass dies auch für Eritreer gilt, die vorher in Äthiopien lebten und möglicherweise die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzen bzw. besaßen.
68Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. November 2001 an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Az.: 508(514)-516.80/36565); vgl. dazu, dass keine hinreichenden Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft bestehen, die überzeugenden Ausführungen des VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 34 (Rn. 35 ff. enthalten auch eine Auseinandersetzung mit weiteren Erkenntnismitteln).
69Die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Februar 2001 an das Verwaltungsgericht Gießen, die sich u.a. mit der Verbalnote der eritreischen Regierung vom 30. September 1993 – VN/AA-369/93 – befasst, steht hiermit in Einklang. Mit dieser Verbalnote wurde u.a. bestätigt, dass es hinsichtlich des Erwerbs der eritreischen Staatsangehörigkeit keine Sonderregelungen für im Ausland lebende Personen gibt. Somit findet die Proklamation Nr. 21/1992 auch auf solche eritreischstämmigen Personen Anwendung, die vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Äthiopien gelebt haben und nicht über eine ID-Karte Eritreas verfügen.
70Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. Februar 2001 an das VG Gießen (Az.: 508-516.80/36938).
71Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger, dessen Vorfahren (väterlicherseits) „eritreischer Abstammung“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Proklamation Nr. 21/1992 sind, die eritreische Staatsangehörigkeit durch diese Proklamation in Verbindung mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 erworben. Er ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt i. S. v. Art. 2 Abs. 1. Jedenfalls die Vorfahren des Klägers väterlicherseits sind nämlich nach der Überzeugung des Gerichts eritreischer Abstammung i. S. v. Art. 2 Abs. 2, da sie 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten. Ob zusätzlich auch die Vorfahren des Klägers mütterlicherseits eritreischer Abstammung im Sinne dieser Norm sind (der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er die Eltern seiner Mutter nicht kenne, da sie vor seiner Geburt gestorben seien), kann auf sich beruhen. Der Kläger, der bereits im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geäußert hatte (Bl. 33/34 BA Heft 1), dass er sowie seine Eltern eritreische Staatsangehörige seien, hat in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht wiederum ausgeführt, er sei eritreischer Staatsangehöriger. Er hat weiter überzeugend dargelegt, dass die Eltern seines Vaters, der nach seinen – des Klägers – Angaben gegenwärtig, sofern er noch lebt, ca. 66 Jahre alt sein müsste, so dass er nach 1933 geboren ist, aus Tesseney (Eritrea) kämen. Folglich ist davon auszugehen, dass die Großeltern des Klägers väterlicherseits 1933 ihren Aufenthalt in Eritrea hatten.
72cc) Erwirbt nach dem vorstehend Ausgeführten der Kläger als bis dato äthiopischer Staatsangehöriger mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 1-4 der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992, so verliert er damit ipso iure gleichzeitig die bis dahin innegehabte äthiopische Staatsangehörigkeit gemäß Art. 11 lit. a) des zum damaligen Zeitpunkt gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930. Nach dieser Norm verliert ein äthiopischer Staatsangehöriger die äthiopische Staatsangehörigkeit, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt.
73Dass die äthiopische Regierung bis zum Ausbruch des äthiopisch-eritreischen Krieges im Mai 1998 ehemalige äthiopische Staatsbürger, die die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea erlangt und dementsprechend die äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, u.a. aus (außen)politischen Opportunitätsgründen faktisch weiterhin als äthiopische Staatsbürger behandelte bzw. de facto eine doppelte Staatsangehörigkeit dieses Personenkreises hinnahm,
74vgl. dazu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 1 f.: „Bis Mai 1998 akzeptierten die äthiopischen Behörden die faktische Doppelstaatsbürgerschaft bei Eritreern“,
75steht dem Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 nicht entgegen. Die damalige faktische Handhabung durch die äthiopischen Behörden stand nämlich im Widerspruch zum damals geltenden StAG Äthiopien 1930 bzw. dem Wortlaut von dessen Art. 11 lit. a).
76dd) Die ab dem äthiopisch-eritreischen Krieg, der von Mai 1998 bis Juni 2000 (Waffenstillstandsabkommen) andauerte, seitens der äthiopischen Regierung vorgenommenen Deportationen von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit von Äthiopien nach Eritrea änderten den staatsangehörigkeitsrechtlichen Status dieses Personenkreises von Rechts wegen nicht.
77aaa) Insoweit als dieser Personenkreis – wie der Kläger - bereits zeitlich vorhergehend über Art. 2 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hatte, waren die betroffenen Personen bereits vor ihrer Deportation de iure lediglich eritreische Staatsangehörige. Dass die Deportationen auch insoweit gegen rechtsstaatliche und menschenrechtliche Standards verstießen, sei zur Vermeidung von Missverständnissen lediglich klargestellt.
78bbb) Insoweit als dieser Personenkreis – anders als der Kläger - jedoch die eritreische Staatsangehörigkeit noch nicht erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit noch nicht verloren hatte, vermochten die Deportationen an dieser staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtslage nichts zu ändern. Insoweit zeigen die Deportationen lediglich, dass der äthiopische Staat äthiopische Staatsangehörige eritreischer Volkszugehörigkeit in eindeutigem Widerspruch zu den eigenen äthiopischen Gesetzen – damals dem StAG Äthiopien 1930 – de facto nicht mehr als äthiopische, sondern als eritreische Staatsangehörige behandelte. Eine in evidentem Widerspruch zu der eigenen Rechtslage stehende Rechtspraxis ist jedoch für das erkennende Gericht nach dem vorstehend Ausgeführten als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit gerade nicht verbindlich.
79ccc) Unabhängig von dem vorstehend Ausgeführten ist der Kläger nach seinem glaubhaften Vortrag von den äthiopischen Behörden nicht nach Eritrea deportiert worden, sondern hat bis zu seiner Flucht in den Sudan in Äthiopien gelebt.
80ee) Dadurch, dass nach seinem Art. 27 das äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003 am selbigen Tag in Kraft trat, womit es gemäß seinem Art. 25 das frühere äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930 aufhob, hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert.
81aaa) Sofern diese Personen bis dato – anders als der Kläger - noch äthiopische Staatsangehörige waren, so verloren sie durch das StAG Äthiopien 2003 ihre äthiopische Staatsbürgerschaft nicht. Art. 26 StAG Äthiopien 2003 normiert nämlich, dass derjenige, der bis zum Inkrafttreten dieser Proklamation gemäß dem bisherigen Staatsangehörigkeitsgesetz (=StAG Äthiopien 1930) die äthiopische Staatsangehörigkeit innehatte, auch weiterhin äthiopischer Staatsangehöriger bleibt.
82bbb) Sofern diese Personen – wie der Kläger - bereits vor Inkrafttreten des StAG Äthiopien 2003 ihre frühere äthiopische Staatsbürgerschaft nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, so erhielten sie durch das StAG Äthiopien 2003 die verlorene äthiopische Staatsangehörigkeit nicht ipso iure wieder zurück. Das StAG Äthiopien 2003 enthält – über die Möglichkeiten des Erwerbs der äthiopischen Staatsbürgerschaft nach Art. 5-12 hinaus – lediglich unter den in Art. 22 normierten Voraussetzungen eine Möglichkeit der (konstitutiven) Wiederaufnahme bzw. Wiederzulassung in die äthiopische Staatsangehörigkeit.
83ff) Dadurch, dass die äthiopische Regierung am 19. Januar 2004 einen Erlass zur Anwendung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf in Äthiopien lebende „Eritreer“ herausgab („directive issued to determine the status of Eritrean citizens residing in Ethiopia“),
84vgl. dazu Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien, Seite 14; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 6; Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Ethiopia: Recent information on the deportation of Eritreans to Eritrea by Ethiopia, including who is considered an Ethiopian (2002-July 2004), abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/41501c062a.html,
85hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert.
86aaa) Der Erlass ist nur anwendbar auf „Eritreer“, die in Äthiopien sowohl vor der Unabhängigkeit Eritreas als auch danach permanent ihren Wohnsitz hatten; auf – angeblich - eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Landes darstellende „Eritreer“, die aus Äthiopien deportiert worden sind, ist der Erlass nicht anwendbar („Another Ethiopian News Agency report adds that the directive only applied to those Eritreans who resided in Ethiopia prior to the independence of Eritrea and „afterwards permanently… and doesn´t include those Eritreans deported from Ethiopia posing [a] threat to the national security of the country“). Der Erlass ist ferner nicht anwendbar auf Inhaber eines eritreischen Reisepasses oder eines anderen Dokuments, das die eritreische Staatsbürgerschaft ausweist, und auch nicht auf Personen, die für die eritreische Regierung gearbeitet haben; diese Personengruppen werden als eritreische Staatsbürger betrachtet („...government officials stated that the directive did not apply to bearers of Eritrean passports or of any other document proving Eritrean citizenship, or those persons who served in the Eritrean government; these persons, according to the government statement, are considered Eritrean citizens“). Der Erlass legt ferner fest, dass Personen, die nicht die eritreische Staatsbürgerschaft gewählt haben, als äthiopische Staatsangehörige betrachtet werden („the directive further states that those who did not choose Eritrean citizenship will be considered Ethiopian citizens“).
87Vgl. Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Ethiopia: Recent information on the deportation of Eritreans to Eritrea by Ethiopia, including who is considered an Ethiopian (2002-July 2004), abrufbar unterhttp://www.refworld.org/docid/41501c062a.html.
88bbb) Personen, die zeitlich vorhergehend über Art. 2 Abs. 1-4 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea qua Gesetzes die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt und dementsprechend gemäß Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hatten, die jedoch im Sinne des Erlasses nicht „die eritreische Staatsbürgerschaft gewählt“ hatten – sei es dadurch, dass sie einen eritreischen Reisepass oder ein anderes Dokument, das die eritreische Staatsbürgerschaft ausweist, innegehabt hatten, sei es dadurch, dass sie für die eritreische Regierung gearbeitet bzw. ein eritreischen Staatsangehörigen vorbehaltenes öffentliches Amt ausgeübt hatten -, werden danach zwar, sofern auch die soeben beschriebenen weiteren Voraussetzungen des Erlasses vorliegen, von der äthiopischen Regierung als äthiopische Staatsangehörige betrachtet. In einer derartigen Konstellation steht der Erlass der äthiopischen Behörden jedoch im Widerspruch zur (höherrangigen) äthiopischen Gesetzeslage (bis 23. Dezember 2003: StAG 1930; danach StAG 2003) und ist aus diesem Grund für das erkennende Gericht nach dem vorstehend Ausgeführten als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit nicht verbindlich.
89gg) Dadurch, dass die äthiopische Regierung im Mai 2009 einen Erlass herausgab, der „Eritreern“, die aus Äthiopien deportiert worden waren, gestattete, in Äthiopien eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen, ihr Eigentum zurückzuverlangen, zu arbeiten, Geld von Bankkonten abzuheben und sich im Handel zu engagieren,
90vgl. zu diesem Erlass etwa http://nazret.com/blog/index.php/2009/05/24/ethiopia_council_approves_directive_allo?blog=5&disp=single&title=ethiopia_council_approves_directive_allo&more=1&c=1&tb=1&pb=1&redir=no&c_paged=2#comments: “The Council of Ministers has approved a directive that will allow Eritreans who were expelled from Ethiopia on the eve of a border war, to reclaim their property, to work here, to withdraw their money which is in the banks, and to involve themselves in trade and commerce as local investors”; vgl. ferner Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 6 f. (dort als Direktive von April 2009 bezeichnet),
91hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer und halberitreischer Volkszugehörigkeit ebenfalls von Rechts wegen nicht geändert. Diese Direktive verhält sich nicht zur Frage der Staatsangehörigkeit. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme bzw. Wiederzulassung in die äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 22 StAG Äthiopien 2003 steht auf einem anderen Blatt.
92hh) Der Kläger hat durch seine Heirat mit seiner Ehefrau, nach seinen glaubhaften Angaben einer äthiopischen Staatsangehörigen, die verlorene äthiopische Staatsangehörigkeit nicht wieder erworben. Art. 6 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 regelt den (konstitutiven) Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Eheschließung. Danach kann ein Ausländer, der mit einem äthiopischen Staatsangehörigen verheiratet ist, die äthiopische Staatsangehörigkeit auf rechtlichem Wege erwerben, wenn 1. die Ehe gemäß äthiopischem Recht geschlossen wurde oder in Übereinstimmung mit dem Ortsrecht des Landes, in dem die Ehe geschlossen wurde, 2. mindestens zwei Jahre seit Eheschließung vergangen sind, 3. er mindestens ein Jahr vor Antragstellung in Äthiopien gelebt hat und 4. er den Voraussetzungen gemäß Art. 5 Nr. 1, 7 und 8 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 genügt. Art. 5 regelt – soweit hier von Belang -, dass, wer den Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit auf rechtlichem Wege beantragt, volljährig und geschäftsfähig gemäß äthiopischem Recht sein soll (Nr. 1), in der Lage sein soll darzulegen, dass er aus seiner vorherigen Staatsangehörigkeit entlassen wurde oder dass diese Möglichkeit nach Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit besteht oder dass er staatenlos ist (Nr. 7), und dazu angehalten werden soll, den in Art. 12 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 geregelten Treueid abzulegen (Nr. 8). Der Kläger hat die äthiopische Staatsangehörigkeit nicht nach dieser Norm (wieder) erworben. Er erfüllt die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vollständig. Es fehlt u.a. an dem erforderlichen Antrag, der Voraussetzung des (konstitutiven) Erwerbs der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Heirat ist, sowie an dem – zeitlich auf den Antrag bezogenen - Wohnsitzerfordernis des Art. 6 Abs. 1 Nr. 3 StAG Äthiopien 2003. Ob die anderen kumulativ erforderlichen Voraussetzungen sämtlich vorliegen, kann daher dahinstehen und bedarf keiner weiteren Aufklärung.
93i) Dem Kläger droht in Eritrea, dem Land seiner Staatsangehörigkeit (Herkunftsland), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG.
94aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung aufgrund seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea. Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz aus diesem Gesichtspunkt scheidet aus mehreren, unabhängig voneinander tragenden Gründen aus:
95aaa) Erstens ist nach der auf die Erkenntnislage gestützten Überzeugung der Kammer von vornherein nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die eritreische Regierung auch Personen, die – wie der Kläger - sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, verfolgt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Personen, die sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, im Falle einer Einreise nach Eritrea nur mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst, nicht aber – insoweit anders als Deserteure/Fahnenflüchtige/Wehrdienstverweigerer innerhalb Eritreas - mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen.
96Vgl. etwa AA, Auskunft an das OVG NRW vom 23. Januar 2008 (508-516.80/45362); anders (die Gefahr weiterer Repressalien bejahend) OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2010 – 8 A 4620/05.A -, juris, m. w. N. [Beschluss nach § 161 Abs. 2 VwGO zu § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG a.F.].
97bbb) Zweitens wäre selbst eine ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise nur dann flüchtlingsschutzrechtlich erheblich, wenn sie entweder zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG genannten flüchtlingsschutzrechtlich erheblichen persönlichen Merkmale getroffen werden sollen (dazu unter aaaa)), oder wenn sie wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen (dazu unter bbbb)).
98Vgl. dazu etwa Treiber, in: GK-AufenthG, Band 3, § 60 AufenthG Rn. 167 ff., Stand April 2011, m. w. N. aus der Rspr.
99§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG bestimmt nämlich, dass als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylVfG unter anderem Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten kann, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG bezieht sich – in Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU - also auf einen „Konflikt“. Eine Kriegsdienstverweigerung, die – aus welchem Grund auch immer – außerhalb eines solchen Konflikts stattfindet, kann demnach nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen.
100Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 -, juris, Rn. 35, zur europarechtlichen Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2004/83/EG.
101Ausgehend von diesen Grundsätzen würde selbst eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Umgehung der Wehrpflicht durch eine – im vorliegenden Fall nicht in Rede stehende - illegale Ausreise, die ggf. mit inhumanen Umständen der Strafvollstreckung verbunden sein könnte, keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung darstellen (dazu sogleich unter aaaa) und bbbb)). Dies muss dann aber auf der Ebene des Flüchtlingsschutzes erst recht für den vorliegenden Fall einer Umgehung der Wehrpflicht durch bloßen „Nicht-Aufenthalt“ in Eritrea im wehrpflichtigen Alter gelten.
102aaaa) Eine in Eritrea ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise würde zum einen nicht gegenüber bestimmten Personen mit der Zielsetzung, sie durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG genannten flüchtlingsschutzrechtlich erheblichen persönlichen Merkmale zu treffen, eingesetzt. Bei der Heranziehung zum Militärdienst werden in Eritrea nämlich alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion etc. findet nicht statt.
103Vgl. dazu etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 – A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 42; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), Seiten 11 f., 17 f.; Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft [nunmehr ab 1. September 2015: Staatssekretariat für Migration], Factsheet Eritrea Grundlageninformationen, 10. September 2013, Seiten 12 ff., 3. Nationaldienst.
104bbbb) Eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine – hier nicht vorliegende - illegale Ausreise erginge zum anderen auch nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG. Eritrea befindet sich nämlich zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylVfG) in keinem Konflikt im Sinne der Norm – sei es mit anderen Staaten (internationaler Konflikt), sei es mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt). Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten Äthiopien, Dschibuti und Sudan bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.
105bb) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung in Eritrea aufgrund seiner pfingstchristlichen Religion. Er hat nämlich nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er eine in Eritrea ggf. unterdrückte religiöse Betätigung seines pfingstchristlichen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren.
106Vgl. zum rechtlichen Maßstab BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris, unter Bezugnahme auf das Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 5. September 2012 – Rs. C-71/11 u.a. -, juris; zur Lage der Religionsfreiheit in Eritrea in tatsächlicher Hinsicht vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014), S. 9 f.; Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Factsheet Eritrea, Grundlageninformationen, 10. September 2013, S. 18 f.
107Nähere Ausführungen dazu, welche Bedeutung seine Zugehörigkeit zur pfingstchristlichen Bewegung für seine religiöse Identität hat, hat der Kläger an keiner Stelle gemacht. In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist der Kläger nicht näher auf seine religiöse Überzeugung eingegangen. Auf die letzte Frage während der Anhörung, ob es noch etwas gebe, was er hier vortragen möchte, entgegnete er, dass er seine wesentlichen Gründe genannt habe (vgl. Bl. 38 BA Heft 1). Im Rahmen der Klagebegründung hat der Kläger – neben allgemeinen Hinweisen auf die Situation von Mitgliedern der Pfingstler in Eritrea - lediglich pauschal ausgeführt, dass ihm als Angehörigen der Pfingstler in Eritrea Verfolgung drohe (Bl. 24 f. GA), und eine Bescheinigung der äthiopischen evangelischen Gemeinde in Frankfurt am Main – Mitglied im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden – vom 00.00.0000 vorgelegt (Bl. 26 GA), nach der er ein wiedergeborener Christ sei, der der genannten christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und, so lange er die Gelegenheit habe, den Gottesdienst besuche. Nähere Ausführungen dazu, was seine vorgetragene pfingstchristliche Überzeugung bzw. deren Ausübung für ihn persönlich bedeutet, finden sich auch in der Klagebegründung nicht. Im Vergleich dazu wird im Rahmen der Klagebegründung hingegen detailliert auf die vorgetragene exilpolitische Tätigkeit des Klägers für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) eingegangen. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht entgegnete der Kläger auf die Frage, was ihn hindern würde, nach Eritrea zu gehen, lediglich allgemein, in Eritrea seien schlimme Verhältnisse, viele Leute verließen dieses Land und auch er habe keinerlei Verhältnis zu diesem Staat, als Pfingstler könne er im Übrigen in Eritrea seine Glaubensrichtung nicht ausüben und werde dort verfolgt.
108cc) Die bloße Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland begründet schließlich ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea.
109Vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 15. Oktober 2014 (Stand: Juni 2014).
110C. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes. Ihm droht in Eritrea, dem Land seiner Staatsangehörigkeit (Herkunftsland), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit ein ernsthafter Schaden i. S. v. § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG.
111aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung aufgrund seiner Nichtableistung des Nationalen Dienstes in Eritrea. Insoweit wurde oben bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft bereits ausgeführt, dass nach der auf die Erkenntnislage gestützten Überzeugung der Kammer davon auszugehen ist, dass Personen, die sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie im wehrpflichtigen Alter niemals in Eritrea waren, im Falle einer Ausreise nach Eritrea nur mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst, nicht aber mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen. Darauf sei zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
112bb) Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer vorgetragenen Verfolgung in Eritrea aufgrund seiner pfingstchristlichen Religion, da er – wie bereits im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt - nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen hat, dass er eine in Eritrea ggf. unterdrückte religiöse Betätigung seines pfingstchristlichen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Diesem Umstand kommt auch im Rahmen der Prüfung subsidiären Schutzes entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
113D. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind in Bezug auf den Zielstaat der Abschiebungsandrohung, der nicht identisch mit dem Herkunftsland i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG sein muss, zu prüfen.
114Vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. September 2007 – 11 S 561/07 -, juris, Rn. 6 ff., m. w. N. aus der höchst- und obergerichtlichen Rspr.
115Die Beklagte hat dem Kläger im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. November 2013 die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Eritrea vorliegen – dies dürfte im Übrigen aus den bereits genannten Gründen zu verneinen sein -, ist im vorliegenden Fall mithin nicht entscheidungserheblich. In Bezug auf Äthiopien, den Zielstaat der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. November 2013, besteht nach der Überzeugung der Kammer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzw. eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit des Klägers wegen seiner Vorverfolgung in Äthiopien.
116aa) Die Kammer geht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und nach ausführlicher Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er in Äthiopien vorverfolgt gewesen ist und ihm im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien aus diesem Grund eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit droht. Der Kläger hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er, nachdem die äthiopische Regierung im Mai 2009 den Erlass herausgegeben hatte, der „Eritreern“, die aus Äthiopien deportiert worden waren, u.a. gestattete, in Äthiopien ihr Eigentum zurückzuverlangen, einen Antrag zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens in Adama/Nazret gestellt hatte und er nach seiner dritten Vorsprache inhaftiert worden ist. Es bedarf dabei hier keiner Entscheidung darüber, ob eine derartige Praxis, die im Widerspruch zum genannten Erlass steht, über den vorliegenden Einzelfall des Klägers hinaus generell häufiger vorgekommen sein könnte.
117Vgl. dazu etwa (eine im Widerspruch zum Erlass stehende Praxis verneinend, vielmehr eine Rückgabe konfiszierten Vermögen deportierter Personen nach Nachweis eines entsprechenden Anspruchs bejahend) D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seiten 50 ff., insb. 52.
118Entscheidend ist, dass die Kammer davon überzeugt ist, dass im vorliegenden Einzelfall des Klägers dieser von einer Inhaftierung aufgrund seines Versuchs zur Rückerlangung des Vermögens seines eritreischstämmigen Vaters betroffen war. Der Kläger hat auch nachvollziehbar dargelegt, wie es ihm gelungen ist, durch Bestechung seine Freilassung zu erreichen, und wie er anschließend erfolglos versuchte, in Addis Abeba wieder an sein früheres (berufliches) Leben anzuknüpfen bzw. seine vorherige Firma aufgrund der Intervention äthiopischer Behörden nicht mehr bereit war, ihn zu beschäftigen. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass der Vorgang zum Antrag des Klägers zur Rückerlangung des väterlichen Vermögens von den äthiopischen Behörden dokumentiert worden ist.
119Vgl. etwa D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seite 52, wonach die Aktivitäten von Personen, die während des Grenzkries nach Eritrea deportiert worden waren, von den Kebele-Offiziellen aufmerksam verfolgt würden.
120Aufgrund der Dokumentation sowie der Vorverfolgung des Klägers in Äthiopien (Inhaftierung, Entlassung auf der Arbeit aufgrund behördlicher Intervention) besteht im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Äthiopien für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und/oder Freiheit.
121bb) Ob die exilpolitische Tätigkeit des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland für die Ethiopian People´s Patriotic Front (EPPF) ein hinreichendes Gewicht zur Bejahung eines nationalen Abschiebungsverbots aufweist bzw. ob sich der Kläger in einer Gesamtschau des vorliegenden Einzelfalls aus dem Kreis der bloßen Mitläufer der EPPF bereits als ernsthafter Oppositioneller hervorhebt,
122vgl. zu der Frage, unter welchen Umständen die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt, etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, 4. März 2015 (Stand November 2014), Seite 13; D-A-CH, Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/533a78ac6.html, Seite 49; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A -, juris; vgl. ferner zur EPPF BAMF, Entscheiderbrief 12/2014, Äthiopien: Die EPPF, Seite 3 ff.,
123kann das erkennende Gericht offen lassen, da die Bejahung eines nationalen Abschiebungsverbots unter dem Gesichtspunkt der exilpolitischen Betätigung zu keinem weitergehenden Abschiebungsschutz für den Kläger in Bezug auf Äthiopien führen würde.
124III. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen des Klägers war aus den in der Sitzungsniederschrift des Gerichts festgehaltenen Gründen nicht nachzukommen.
125IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.