Verwaltungsgericht München Urteil, 08. Apr. 2014 - M 23 K 11.30431

bei uns veröffentlicht am08.04.2014

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am ... 1993 nach eigenen Angaben in ..., Provinz ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, hazarischer Volkszugehörigkeit und schiitischen Glaubens. Nachdem der Vater des Klägers 2002 verschollen war, lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei jüngeren Brüdern bei einem Onkel väterlicherseits und dessen Familie in der Provinz ... Der Kläger besuchte bis zur 4. Klasse in Afghanistan die Schule. Im Jahr 2010 verließ der Kläger nach seinen Angaben Afghanistan, verbrachte zunächst neun Monate im Iran und reiste von dort aus auf dem Landweg am ... Februar 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am ... März 2011 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Am ... April 2011 fand seine Anhörung gemäß § 25 AsylVfG vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) statt. Als Verfolgungsschicksal führte der Kläger insbesondere aus, dass sein Onkel väterlicherseits ihn sehr schlecht behandelt habe. Der Kläger habe die Schule nicht mehr besuchen dürfen und habe in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Von dem Einkommen habe jedoch nur sein Onkel profitiert. Dieser habe ihn oft geschlagen und übel zugerichtet. Der Onkel habe ihn getreten und mit Fäusten und Stöcken geschlagen. Zweimal habe sein Onkel ihn auch aus der Wohnung geschmissen und er habe nur wegen der familiären Beziehungen wieder nach Hause kommen dürfen. Sein ganzes Leben sei kläglich und schlimm gewesen. Wegen der Familienehre habe er auch nicht bei einem anderen Onkel mütterlicherseits leben können. Auch seinen Geschwistern habe der Onkel verboten zur Schule zu gehen. Sein Onkel habe öfters mit seinem Vater gestritten. In dem Streit sei es um eine Grundstücksteilung und um ein Fahrzeug gegangen. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.

Mit Bescheid vom ... Mai 2011 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids) und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (Nr. 3 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 4 des Bescheids). Auf den Inhalt des Bescheids wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.

Am 30. Mai 2011 erhob der Kläger zur Niederschrift Klage und beantragte:

1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Mai 2011, Gz.: ..., zugestellt am ... Mai 2011, wird aufgehoben.

2. die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen.

3. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen - hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2011 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom ... Juni 2011 bestellte sich der Bevollmächtigte des Klägers und begründete die Klage insbesondere damit, dass der Kläger Volkszugehöriger der Hazara sei, gegen die es in den letzten Monaten wieder zu erheblichen ethnischen motivierten Übergriffen gekommen sei. Des Weiteren liege auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor, da in der Provinz... ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliege. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit, sei gegeben. Für jeden Rückkehrer in die Provinz ... müsse eine individuelle Gefahr gesehen werden.

Durch Beschluss der Kammer vom 15. Mai 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 2. April 2014 verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG. Auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG oder die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans besteht kein Anspruch. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher abzuweisen.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. (neuere) Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert ohne inhaltliche Änderung bezüglich der Zuerkennungsvoraussetzungen internationalen Schutzes (vgl. Begründung Gesetzentwurf BTDrs 17/13063), so dass insoweit auf die zur bisherigen Rechtslage ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.

Das Gericht legt die Anträge des Klägers im Hinblick auf die neue Rechtslage gemäß § 88 VwGO dahin aus, dass der Kläger neben seiner Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG die hilfsweise Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylVfG sowie - wiederum hilfsweise - zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG begehrt.

Hinsichtlich der Ablehnung der beantragten Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG, da er sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslands befindet. Dem Kläger droht keine Verfolgung in diesem Sinne. Die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Zwar sind die Hazara als ethnische Minderheit in Afghanistan weiterhin einem gewissen Grad an Diskriminierung ausgesetzt, das Gericht folgt insoweit jedoch der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der davon ausgeht, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (zuletzt BayVGH, B. v. 21.6.2013 - 13 A ZB 12.30416; BayVGH U. v. 3.7.2012 - 13 AB 11.30064 - jeweils juris). Auch wurde weder vorgetragen noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Konflikte des Klägers mit seinem Onkel auf der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung des Klägers beruhen würden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG. Nach § 4 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 3 AufenthG a. F.), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.

Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG, hat der Kläger weder geltend gemacht, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor.

Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Der Kläger muss die Umstände und Tatsachen, die für die von ihm befürchtete Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung maßgeblich sind, von sich aus konkret, in sich stimmig und erschöpfend vortragen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU, § 25 Abs. 2 AsylVfG). Ihn trifft insoweit eine Darlegungslast (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 762).

Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG - der Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU umsetzt, der die sich an Art. 3 EMRK orientierende Formulierung des Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG übernommen hat - ist demnach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK zu interpretieren (vgl. zur alten Rechtslage BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 22 ff - juris). Demnach muss die Gefahr regelmäßig durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen, nur in sehr ungewöhnlichen Fällen (vgl. hierzu auch BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 25 - juris) können auch Rechtsverletzungen durch beliebige private Dritte - wie hier den Onkel des Klägers -in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK fallen (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 38/96 - Rn. 16 - juris). Andernfalls würde der Kreis der potentiellen Verfolger und der Schutzbereich nach Art. 3 EMRK grenzenlos. Ein solch ungewöhnlicher Fall liegt bei dem Kläger nicht vor.

Darüberhinaus droht deht dem Kläger keine Folter im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).

Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.4.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Die Übergriffe und körperlichen Züchtigungen des Onkels des Klägers stellen zwar ein erhebliches Übel für den Kläger dar, durch sie werden jedoch nicht besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwieweit der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan von solchen Übergriffen weiterhin bedroht wird. Zwar führte der Kläger bei der informatorischen Anhörung vor Gericht aus, dass es bei einer Rückkehr nach Afghanistan sicherlich mit seinem Onkel Probleme, Streit und Schlägereien gäbe und er nicht wisse, was dann passiere. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass der volljährige Kläger - der zwischenzeitlich nicht mehr auf eine In-Obhutnahme durch seinen Onkel angewiesen ist - weiterhin solchen Übergriffen durch seinen Onkel ausgesetzt wäre.

Im Fall des Klägers ist auch nicht davon auszugehen, dass er als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG. Bei der diesbezüglichen Prüfung bleibt die zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. ergangene Rechtsprechung maßgeblich. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (10 C 43/07 - BVerwGE 131, 198) diente das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr Art. 15 Buchst. c. Richtlinie 2011/95/EU). § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. setzte - wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2004/83/EG - einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben“ des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. (nunmehr „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit“, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG) war zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hatte, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. darstellte. Bezüglich der Gefahrendichte ist auch weiterhin auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188; U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris). Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt allerdings nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Dies ergab sich unter anderem aus dem 26. Erwägungsgrund der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU), nach dem Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Ausgeschlossen wird eine solche Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe allerdings nicht, was schon durch die im genannten Erwägungsgrund gewählte Formulierung „normalerweise“ deutlich wird. Eine Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - zum Beispiel als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer er als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - NVwZ 2012, 454; U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind - etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage - können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden. Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllt sind, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U. v. 21.4.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger in seiner Heimatprovinz ... - das Vorliegen einer allgemeinen Gefahr aufgrund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unterstellt - als Angehöriger der Zivilbevölkerung keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit ausgesetzt. Die für eine Vielzahl von Zivilpersonen aus dem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt entstehende allgemeine Gefahr verdichtet sich in der Provinz ... für den Kläger nicht so, dass sie für ihn eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellen würde. Eine Individualisierung ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers, auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger der Volksgruppe der Hazara angehört und schiitischen Glaubens ist. Eine Individualisierung tritt vorliegend auch nicht ausnahmsweise durch eine außergewöhnliche Situation in der Herkunftsprovinz des Klägers, ..., ein, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 377). Nach der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits kann für die Provinz ... eine entsprechende Gefahrenverdichtung nicht angenommen werden. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. geht das Gericht davon aus, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Provinz ... nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt sind (vgl. zuletzt BayVGH, BayVGH, B. v. 5.2.14 - 13a ZB 13.30224 - juris). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich die Gefahrenlage in der Provinz ... seitdem in einer Weise verändert haben sollte, dass für den Kläger von einer ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgegangen werden müsste.

Auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist im Fall des Klägers nicht festzustellen. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK - BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht (vgl. BVerwG, U. v. 11.11.1997 - 9 C 13/96 - BVerwGE 105, 322). In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. - juris). Anhaltspunkte für eine davon abweichende Konstellation liegen nicht vor.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt in der Person des Klägers ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG sind individuelle Gefahren, also solche Gefahren, die nur dem Ausländer drohen. Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine erhebliche konkrete individuelle Gefahr bei seiner Rückkehr droht (siehe oben).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG kann zwar grundsätzlich auch in einer unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht, begründet sein. Dies stellt jedoch eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dar, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden kann, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C 3.2). Damit ist nicht ausgeschlossen, dass nach der derzeitigen Erlasslage der Kläger abgeschoben werden können. Einen anderweitigen Schutz vor Abschiebung hat der Kläger nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. u. a. B. v. 8.4.2002 - 1 B 71/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 59). Nur dann gebieten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG - als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards -, jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren. Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60/06 u. a. - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht ausnahmsweise derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür geforderten Voraussetzungen sind in Bezug auf den Kläger nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Auch müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - NVwZ 2011, 48).

In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige wie den Kläger in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt (zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a ZB 13.30393 - juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen in Kabul, wohin der Kläger im Fall einer zwangsweisen Rückführung abgeschoben würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Juni 2013, S. 19; so auch die Auskunft des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 28.9.2011 in der Verwaltungsstreitsache M 23 K 11.30105, wonach eine Abschiebung ausschließlich nach Kabul erfolgen würde) wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch individuelle Gründe, warum der volljährige, arbeitsfähige und gesunde Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit doch alsbald nach seiner Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung nach Afghanistan verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger befindet sich derzeit in einer Ausbildung zum Hotelfachmann und ist sowohl durch diese Ausbildung als auch seine Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger im Fall einer zwangsweisen Abschiebung auf dem Arbeitsmarkt nicht als vollkommen chancenlos anzusehen ist und in der Lage wäre, wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, um damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Inwieweit dem Kläger daneben weiterhin ein aufnahmebereiter Familienverband zur Verfügung steht, musste daher nicht geklärt werden.

Auch gegen die auf § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen keine Bedenken. Die von der Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt das Gericht in Übereinstimmung mit § 38 AsylVfG dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U. v. 14.5.13 - 1 C 13/12 - juris).

Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgericht München Urteil, 08. Apr. 2014 - M 23 K 11.30431 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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Tatbestand 1 Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

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Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Nov. 2011 - 10 C 13/10

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 29. Juni 2010 - 10 C 10/09

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 4/09

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Verwaltungsgericht Köln Urteil, 19. Mai 2015 - 14 K 4976/14.A

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 10. Juli 2014 - 5a K 1857/13.A

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Tenor Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2013 wird zu Ziffer 3 Satz 1 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

14

1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

25

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

14

1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. April 2013 bleibt ohne Erfolg.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Der Kläger hält sinngemäß für klärungsbedürftig, ob derzeit in Ghazni, der Heimatprovinz des Klägers, ein bewaffneter Konflikt im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (a. F.) herrscht und praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt ist. Das angefochtene Urteil habe auf die Auskunftslage im zweiten Halbjahr 2011 Bezug genommen. Da jedoch in der Provinz Ghazni eine steigende Tendenz [hinsichtlich der militanten Gewalt] festzustellen sei, müsse für die Beurteilung einer konkreten Gefahr auf aktuelle Erkenntnisquellen zurückgegriffen werden.

Im Übrigen könne nicht pauschal unterstellt werden, dass die Familienangehörigen im Heimatort willens und in der Lage wären, einen zurückkehrenden Asylbewerber zu unterstützen. Dies sei angesichts der prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan nicht vertretbar.

Die Darlegungen zur „steigenden Tendenz“ sind nicht hinreichend substantiiert. Es ist Aufgabe des Klägers, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern seine gegenteiligen Bewertungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (Berlit. in GK-AsylVfG, Stand Dezember 2013, § 78 Rn. 611). Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht ist auf der Grundlage der Berichte von UNAMA und ANSO zu der Erkenntnis gelangt, dass die Wahrscheinlichkeit, in der Südostregion (mit Provinz Ghazni) als Zivilist Opfer militanter Gewalt zu werden, im Jahr 2010 0,05% und im Jahr 2011 0,06% betrug. Bei dieser Gefahrendichte sei nicht von einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (a. F.) durch bloße Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet auszugehen (UA S. 12 f.).

Durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist im Übrigen bereits geklärt, dass Angehörige der Zivilbevölkerung bei einer Rückkehr in die Provinz Ghazni im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr durch militante Gewalt ausgesetzt sind (U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris; U. v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris; U. v. 8.12.2011 -13a B 11.30276 - AuAS 2012, 35 -LS- = ZAR 2012, 80 -LS-). Der Kläger hat keine konkreten Hinweise auf eine mögliche Verschärfung der Gefahrenlage in der Südostregion/Provinz Ghazni gegeben. Solche sind auch nicht anderweitig ersichtlich, wie sich aus den letzten UNAMA-Berichten ergibt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan - Mid Year Report 2013, Annual Report 2012 - unama.unmissions.org).

Falls der Kläger durch die von ihm geäußerten Zweifel an der „pauschalen Unterstellung“ der familiären Unterstützung zurückkehrender Angehöriger die Frage aufwerfen wollte, ob eine dahingehende Vermutung besteht, würde es ebenfalls an hinreichenden Darlegungen fehlen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Kläger in seiner Heimatregion noch über familiäre Strukturen verfügt, die ihn bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Im Übrigen ist es - im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - davon ausgegangen, dass der Kläger als arbeitsfähiger, gesunder Mann auch auf sich allein gestellt in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.

Somit ist das Urteil nebeneinander auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt. Bei einer solchen Konstellation kann ein Rechtsmittel nur zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (BVerwG, B. v. 26.5.1993 - NB 3.93 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 80 = NVwZ 1994, 269; B. v. 17.12.2010 - 9 B 60.10 - BayVBl. 2011, 352). Dies ist hier nicht der Fall, da sich der Kläger mit dem zweiten Argument nicht auseinander gesetzt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 83b AsylVfG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.

2

Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.

3

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

4

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

6

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.

7

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

8

1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.

9

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).

10

Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.

11

2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.

12

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

13

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

14

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

15

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).

16

Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.

17

Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

18

Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).

19

Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.

20

Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

21

Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.

22

Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.

23

Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.

24

Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. November 2013 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob bei afghanischen Staatsangehörigen als Auslandsrückkehrer ohne aufnahmefähigen Familienverband in Kabul eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht“. Dies habe das Verwaltungsgericht verneint. Mit seiner Entscheidung stehe es im Widerspruch zu einer Vielzahl von gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen, die angesichts der aktuellen Versorgungs- und Sicherheitslage eine extreme Gefahrenlage bejaht hätten. Nicht Gegenstand der aufgeworfenen Frage seien die rechtlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Aber auch eine Tatsachenfrage könne Gegenstand einer Grundsatzberufung sein.

Letzteres ist zwar zutreffend. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist jedoch geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 - LS -; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat, regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.

Im Übrigen hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab, wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen; es entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 = NVwZ-RR 2011, 48).

Die vom Kläger angeführten anders lautenden Entscheidungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung (VGH BW, U. v. 14.5.2009 - A 11 S 610/08 - juris = DÖV 2009, 826 -LS- und OVG RhPf, U. v. 6.5.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188) vermögen die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage bereits deswegen nicht zu begründen, weil sie vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurden (U. v. 8.9.2011 - 10 C 16.10 - juris, Parallelentscheidung BVerwGE 140, 319, und U. v. 29.6.2010 a. a. O.). Im Übrigen geht mittlerweile auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der zurückverwiesenen Sache davon aus, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht (OVG RhPf, U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris). Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat seine ursprüngliche Rechtsprechung aufgegeben (VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - juris = ZAR 2012, 164 - LS -). Des Weiteren liegen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aktuellere Berichte und Auskünfte zugrunde. Entsprechendes gilt hinsichtlich der vom Kläger angeführten Bezugsfälle (positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in zwei Entscheidungen des Bundesamts aus den Jahren 2009 und 2010), die zudem nach den Angaben des Klägers Familien mit minderjährigen Kindern betrafen. Für eine Neubewertung der Versorgungslage geben die (vom Verwaltungsgerichtshof bereits berücksichtigten) aktuellen Berichte von UNHCR, Auswärtigem Amt und Schweizerischer Flüchtlingshilfe keinen Anlass.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.

3

Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.

5

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.

6

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

10

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.

11

1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.

12

1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

13

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.

14

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.

15

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

16

1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.

17

1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.

18

Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

19

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

20

Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").

21

Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

22

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

23

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

24

1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).

25

1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).

26

2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.

27

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).

28

2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.

29

Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.

30

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

31

Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.

32

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.

33

Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.

34

Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.

35

3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.