Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 10. Juli 2014 - 5a K 1857/13.A

ECLI:ECLI:DE:VGGE:2014:0710.5A.K1857.13A.00
bei uns veröffentlicht am10.07.2014

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2013 wird zu Ziffer 3 Satz 1 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung seitens des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3070/11

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am ... 1993 nach eigenen Angaben in ..., Provinz ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, hazarischer Volkszugehörigkeit und schiitischen Glaubens. Nachdem der Vater des Klägers 2002 verschollen war, lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei jüngeren Brüdern bei einem Onkel väterlicherseits und dessen Familie in der Provinz ... Der Kläger besuchte bis zur 4. Klasse in Afghanistan die Schule. Im Jahr 2010 verließ der Kläger nach seinen Angaben Afghanistan, verbrachte zunächst neun Monate im Iran und reiste von dort aus auf dem Landweg am ... Februar 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am ... März 2011 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Am ... April 2011 fand seine Anhörung gemäß § 25 AsylVfG vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) statt. Als Verfolgungsschicksal führte der Kläger insbesondere aus, dass sein Onkel väterlicherseits ihn sehr schlecht behandelt habe. Der Kläger habe die Schule nicht mehr besuchen dürfen und habe in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Von dem Einkommen habe jedoch nur sein Onkel profitiert. Dieser habe ihn oft geschlagen und übel zugerichtet. Der Onkel habe ihn getreten und mit Fäusten und Stöcken geschlagen. Zweimal habe sein Onkel ihn auch aus der Wohnung geschmissen und er habe nur wegen der familiären Beziehungen wieder nach Hause kommen dürfen. Sein ganzes Leben sei kläglich und schlimm gewesen. Wegen der Familienehre habe er auch nicht bei einem anderen Onkel mütterlicherseits leben können. Auch seinen Geschwistern habe der Onkel verboten zur Schule zu gehen. Sein Onkel habe öfters mit seinem Vater gestritten. In dem Streit sei es um eine Grundstücksteilung und um ein Fahrzeug gegangen. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.

Mit Bescheid vom ... Mai 2011 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids) und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (Nr. 3 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 4 des Bescheids). Auf den Inhalt des Bescheids wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.

Am 30. Mai 2011 erhob der Kläger zur Niederschrift Klage und beantragte:

1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Mai 2011, Gz.: ..., zugestellt am ... Mai 2011, wird aufgehoben.

2. die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen.

3. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen - hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2011 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom ... Juni 2011 bestellte sich der Bevollmächtigte des Klägers und begründete die Klage insbesondere damit, dass der Kläger Volkszugehöriger der Hazara sei, gegen die es in den letzten Monaten wieder zu erheblichen ethnischen motivierten Übergriffen gekommen sei. Des Weiteren liege auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor, da in der Provinz... ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliege. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit, sei gegeben. Für jeden Rückkehrer in die Provinz ... müsse eine individuelle Gefahr gesehen werden.

Durch Beschluss der Kammer vom 15. Mai 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 2. April 2014 verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG. Auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG oder die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans besteht kein Anspruch. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher abzuweisen.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. (neuere) Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert ohne inhaltliche Änderung bezüglich der Zuerkennungsvoraussetzungen internationalen Schutzes (vgl. Begründung Gesetzentwurf BTDrs 17/13063), so dass insoweit auf die zur bisherigen Rechtslage ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.

Das Gericht legt die Anträge des Klägers im Hinblick auf die neue Rechtslage gemäß § 88 VwGO dahin aus, dass der Kläger neben seiner Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG die hilfsweise Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylVfG sowie - wiederum hilfsweise - zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG begehrt.

Hinsichtlich der Ablehnung der beantragten Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG, da er sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslands befindet. Dem Kläger droht keine Verfolgung in diesem Sinne. Die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Zwar sind die Hazara als ethnische Minderheit in Afghanistan weiterhin einem gewissen Grad an Diskriminierung ausgesetzt, das Gericht folgt insoweit jedoch der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der davon ausgeht, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (zuletzt BayVGH, B. v. 21.6.2013 - 13 A ZB 12.30416; BayVGH U. v. 3.7.2012 - 13 AB 11.30064 - jeweils juris). Auch wurde weder vorgetragen noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Konflikte des Klägers mit seinem Onkel auf der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung des Klägers beruhen würden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG. Nach § 4 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 3 AufenthG a. F.), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.

Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG, hat der Kläger weder geltend gemacht, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor.

Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Der Kläger muss die Umstände und Tatsachen, die für die von ihm befürchtete Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung maßgeblich sind, von sich aus konkret, in sich stimmig und erschöpfend vortragen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU, § 25 Abs. 2 AsylVfG). Ihn trifft insoweit eine Darlegungslast (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 762).

Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG - der Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU umsetzt, der die sich an Art. 3 EMRK orientierende Formulierung des Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG übernommen hat - ist demnach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK zu interpretieren (vgl. zur alten Rechtslage BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 22 ff - juris). Demnach muss die Gefahr regelmäßig durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen, nur in sehr ungewöhnlichen Fällen (vgl. hierzu auch BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 25 - juris) können auch Rechtsverletzungen durch beliebige private Dritte - wie hier den Onkel des Klägers -in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK fallen (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 38/96 - Rn. 16 - juris). Andernfalls würde der Kreis der potentiellen Verfolger und der Schutzbereich nach Art. 3 EMRK grenzenlos. Ein solch ungewöhnlicher Fall liegt bei dem Kläger nicht vor.

Darüberhinaus droht deht dem Kläger keine Folter im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).

Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.4.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Die Übergriffe und körperlichen Züchtigungen des Onkels des Klägers stellen zwar ein erhebliches Übel für den Kläger dar, durch sie werden jedoch nicht besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwieweit der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan von solchen Übergriffen weiterhin bedroht wird. Zwar führte der Kläger bei der informatorischen Anhörung vor Gericht aus, dass es bei einer Rückkehr nach Afghanistan sicherlich mit seinem Onkel Probleme, Streit und Schlägereien gäbe und er nicht wisse, was dann passiere. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass der volljährige Kläger - der zwischenzeitlich nicht mehr auf eine In-Obhutnahme durch seinen Onkel angewiesen ist - weiterhin solchen Übergriffen durch seinen Onkel ausgesetzt wäre.

Im Fall des Klägers ist auch nicht davon auszugehen, dass er als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG. Bei der diesbezüglichen Prüfung bleibt die zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. ergangene Rechtsprechung maßgeblich. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (10 C 43/07 - BVerwGE 131, 198) diente das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr Art. 15 Buchst. c. Richtlinie 2011/95/EU). § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. setzte - wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2004/83/EG - einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben“ des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. (nunmehr „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit“, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG) war zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hatte, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. darstellte. Bezüglich der Gefahrendichte ist auch weiterhin auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188; U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris). Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt allerdings nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Dies ergab sich unter anderem aus dem 26. Erwägungsgrund der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU), nach dem Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Ausgeschlossen wird eine solche Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe allerdings nicht, was schon durch die im genannten Erwägungsgrund gewählte Formulierung „normalerweise“ deutlich wird. Eine Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - zum Beispiel als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer er als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - NVwZ 2012, 454; U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind - etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage - können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden. Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllt sind, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U. v. 21.4.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger in seiner Heimatprovinz ... - das Vorliegen einer allgemeinen Gefahr aufgrund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unterstellt - als Angehöriger der Zivilbevölkerung keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit ausgesetzt. Die für eine Vielzahl von Zivilpersonen aus dem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt entstehende allgemeine Gefahr verdichtet sich in der Provinz ... für den Kläger nicht so, dass sie für ihn eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellen würde. Eine Individualisierung ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers, auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger der Volksgruppe der Hazara angehört und schiitischen Glaubens ist. Eine Individualisierung tritt vorliegend auch nicht ausnahmsweise durch eine außergewöhnliche Situation in der Herkunftsprovinz des Klägers, ..., ein, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 377). Nach der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits kann für die Provinz ... eine entsprechende Gefahrenverdichtung nicht angenommen werden. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. geht das Gericht davon aus, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Provinz ... nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt sind (vgl. zuletzt BayVGH, BayVGH, B. v. 5.2.14 - 13a ZB 13.30224 - juris). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich die Gefahrenlage in der Provinz ... seitdem in einer Weise verändert haben sollte, dass für den Kläger von einer ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgegangen werden müsste.

Auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist im Fall des Klägers nicht festzustellen. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK - BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht (vgl. BVerwG, U. v. 11.11.1997 - 9 C 13/96 - BVerwGE 105, 322). In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. - juris). Anhaltspunkte für eine davon abweichende Konstellation liegen nicht vor.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt in der Person des Klägers ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG sind individuelle Gefahren, also solche Gefahren, die nur dem Ausländer drohen. Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine erhebliche konkrete individuelle Gefahr bei seiner Rückkehr droht (siehe oben).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG kann zwar grundsätzlich auch in einer unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht, begründet sein. Dies stellt jedoch eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dar, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden kann, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C 3.2). Damit ist nicht ausgeschlossen, dass nach der derzeitigen Erlasslage der Kläger abgeschoben werden können. Einen anderweitigen Schutz vor Abschiebung hat der Kläger nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. u. a. B. v. 8.4.2002 - 1 B 71/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 59). Nur dann gebieten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG - als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards -, jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren. Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60/06 u. a. - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht ausnahmsweise derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür geforderten Voraussetzungen sind in Bezug auf den Kläger nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Auch müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - NVwZ 2011, 48).

In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige wie den Kläger in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt (zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a ZB 13.30393 - juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen in Kabul, wohin der Kläger im Fall einer zwangsweisen Rückführung abgeschoben würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Juni 2013, S. 19; so auch die Auskunft des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 28.9.2011 in der Verwaltungsstreitsache M 23 K 11.30105, wonach eine Abschiebung ausschließlich nach Kabul erfolgen würde) wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch individuelle Gründe, warum der volljährige, arbeitsfähige und gesunde Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit doch alsbald nach seiner Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung nach Afghanistan verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger befindet sich derzeit in einer Ausbildung zum Hotelfachmann und ist sowohl durch diese Ausbildung als auch seine Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger im Fall einer zwangsweisen Abschiebung auf dem Arbeitsmarkt nicht als vollkommen chancenlos anzusehen ist und in der Lage wäre, wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, um damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Inwieweit dem Kläger daneben weiterhin ein aufnahmebereiter Familienverband zur Verfügung steht, musste daher nicht geklärt werden.

Auch gegen die auf § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen keine Bedenken. Die von der Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt das Gericht in Übereinstimmung mit § 38 AsylVfG dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U. v. 14.5.13 - 1 C 13/12 - juris).

Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der laut eigenen Angaben 1982 in Erbil geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Anfang Oktober 2005 reiste er nach eigenem Bekunden auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier - unter einem Alias-Namen - ein Asylgesuch. Vor einer Entscheidung hierüber reiste der Kläger noch im Jahr 2005 zunächst weiter nach Belgien, sodann nach Großbritannien und stellte dort unter verschiedenen Personalien jeweils einen Asylantrag. Am 2.2.2007 wurde er in die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt. Am 12.2.2007 beantragte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten am selben Tag im Wesentlichen aus, sein Vater sei Grundschullehrer im Gebiet Badinan gewesen. Dieser habe seine Mutter seinerzeit entführt, weil deren Familie in eine Heirat nicht eingewilligt habe. Danach sei der Vater nach Erbil verzogen. Zwar habe sich sein Vater später mit seinem Schwiegervater versöhnt. Ein Cousin seiner Mutter sei mit der Versöhnung allerdings nicht einverstanden gewesen, da er diese habe selbst heiraten wollen. Zudem sei sein Vater Mitglied der Baath-Partei gewesen und er habe viele kurdische Feinde gehabt. Er vermute, sein Vater habe mit der Regierung zusammengearbeitet. Nach der Befreiung Kurdistans habe sein Vater nicht mehr in Erbil bleiben können und sei 1991 nach Bashir umgezogen. Etwa 10 bis 15 Tage vor seiner Ausreise im Jahr 2005 sei sein Vater vermutlich aus Rache auf dem Weg zur Schule getötet worden. Seine Schwester sei bei dem Vorfall verletzt worden. Er selbst habe zu dieser Zeit Vieh gehütet. Diejenigen Personen, die seinen Vater ermordet hätten, hätten sich in der Folge auch nach seiner Familie erkundigt und gedroht, sie ebenfalls umzubringen. Ob diese Personen Angehörige der Baath-Partei oder von dem Cousin seiner Mutter beauftragt gewesen seien, wisse er nicht. Da er als der älteste Sohn besonders gefährdet gewesen sei, habe ihn seine Familie ins Ausland geschickt. Von Iran aus sei er über den Landweg in die Bundesrepublik eingereist. Seine drei jüngeren Geschwister - zwei Schwestern und ein Bruder - seien mit der Mutter bei einer Tante in Kirkuk geblieben. Vor ca. 6 bis 7 Monaten habe er zuletzt Kontakt zu ihr gehabt. Wegen Augenproblemen sei er nur 1 ½ Jahre zur Schule gegangen und würde sich daher als Analphabet bezeichnen. Er habe keinen Beruf erlernt und bei der Tierzucht mitgeholfen. Wegen seiner Augenprobleme habe er auch keinen Wehrdienst leisten müssen. Weder mit staatlichen Stellen noch irgendwelchen Organisationen habe er selbst Schwierigkeiten gehabt.

Mit Bescheid vom 19.4.2007 lehnte das Bundesamt der Beklagten den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, forderte den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Irak oder einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei.

Zur Begründung ist unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, auf das Asylgrundrecht nach Art. 16 a Abs. 1 GG könne sich der Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht berufen. Es bestehe auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger habe nicht glaubhaft machen können, in seiner Heimat Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erlitten zu haben bzw. solche bei einer gegenwärtigen Rückkehr dorthin befürchten zu müssen. Staatliche Verfolgungsmaßnahmen habe der Kläger, der keine Schwierigkeiten mit irakischen Sicherheitskräften gehabt und sich auch nicht politisch engagiert habe, nicht geltend gemacht. Aus dem Umstand, dass der Kläger angeblich von unbekannten Personen mit dem Tode bedroht worden sei, ergebe sich auch keine nichtstaatliche Verfolgung, da eine solche Bedrohung nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfte. Im Übrigen sei sein Vorbringen insgesamt pauschal und unsubstantiiert geblieben sei und weise in wesentlichen Punkten erhebliche Ungereimtheiten auf. Soweit der Kläger vermute, die Bedrohung gehe von ehemaligen Baath-Parteimitgliedern aus, sei nicht nachvollziehbar, warum diese gerade den Kläger hätten bedrohen sollen, zumal er sich in keiner Weise politisch engagiert habe. Aus welchem Grund der Cousin seiner Mutter die Familie des Klägers nach so vielen Jahren mit dem Tode habe bedrohen sollen, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Insbesondere begründe die angespannte Sicherheits- und Versorgungslage im Irak keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar könnten aus der allgemeinen Lage im Irak resultierende Gefahren für Leib und Leben nicht völlig ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheits- und Versorgungslage sei jedoch nicht derart schlecht, dass jeder Rückkehrer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.

Am 4.5.2007 hat der Kläger unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen Klage erhoben und geltend gemacht, er sei als ältester Sohn der Familie aufgrund der von ihm geschilderten Umstände im Irak Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt gewesen. Angesichts der sich allgemein im Irak auflösenden Ordnung und der weiterhin steigenden allgemeinen Unsicherheit hätten sich gerade Fälle der sogenannten Blutrache in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Zumindest bestehe in seinem Fall jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 19.4.2007 zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegt,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Klage im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid entgegengetreten.

Mit Urteil vom 13.3.2008 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen (2 K 645/07).

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor. Dass der Kläger einer politischen Verfolgung durch den irakischen Staat ausgesetzt gewesen wäre, habe er selbst nicht geltend gemacht. Es bestehe auch kein greifbarer Anhalt für die Annahme, dass der Kläger im Irak einer im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG beachtlichen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt gewesen wäre. Soweit sich der Kläger auf eine angeblich von unbekannten Personen ausgehende Bedrohung berufen und insoweit geltend gemacht habe, diejenigen Personen, die seinen Vater ermordet hätten, hätten auch seinen Bruder und ihn töten wollen, vermöge dieses Vorbringen die Annahme einer Verfolgung aus politischen Gründen im Sinne von § 60 Ab. 1 AufenthG schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil nicht erkennbar sei, dass die von dem Kläger befürchteten Racheakte an asylerheblich unverfügbare Merkmale wie etwa politische Überzeugung, Religion oder Rasse anknüpften.

Darüber hinaus habe der Kläger konkrete diesbezügliche Anhaltspunkte auch nicht ansatzweise glaubhaft dargelegt. Der Sachvortrag des Klägers sei insgesamt pauschal und unsubstantiiert geblieben und weise zudem erhebliche Ungereimtheiten auf, die der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht in nachvollziehbarer Weise aufzulösen vermocht habe. Als wenig nachvollziehbar stelle sich die Vermutung des Klägers dar, bei den Tätern handele es sich entweder um Angehörige der Familie seiner Mutter oder um Personen, denen von der Baath-Partei, der sein Vater angehört habe, Schaden zugefügt worden sei. Überzeugende Gründe hierfür habe er nicht angegeben. Unglaubhaft erscheine auch die Behauptung des Klägers, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfahren, dass Familienangehörige seiner Mutter nach ihm suchten, weshalb er nach Belgien ausgereist sei. Auch hinsichtlich der Finanzierung seiner Ausreise gebe es Widersprüche und Ungereimtheiten. Daher sei anzunehmen, dass der Kläger lediglich eine Verfolgungsgeschichte zur Stützung seines Asylbegehrens konstruiert habe.

Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

Für eine konkret-individuelle Gefährdung des Klägers im Falle seiner Rückkehr in den Irak bestehe angesichts der fehlenden Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens kein greifbarer Anhalt. Dem Kläger könne auch nicht wegen allgemeiner, im Irak bestehender Gefahren aufgrund der angespannten Sicherheitslage Abschiebungsschutz unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden, da insoweit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegenstehe.

Eine extreme Gefahrenlage, die eine derartige Sperrwirkung überwinden könne, sei nicht anzunehmen. Zwar sei die allgemeine Kriminalität im Irak nach dem Sturz des früheren Regimes stark angestiegen. Überfälle und Entführungen seien ebenso wie offene Kampfhandlungen verschiedener Gruppierungen, die auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten, an der Tagesordnung. Auch wenn hiervon eine nicht zu unterschätzende Gefährdung für die dort lebenden Menschen ausgehe, rechtfertige ausgehend von den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen die Anzahl der durch Terrorakte sowie andauernder Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer in Relation zu der ca. 27,5 Millionen Menschen betragenden Bevölkerungszahl des Irak selbst unter Berücksichtigung einer „Dunkelziffer“ nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden.

Gleiches gelte auch im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak. Konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder gar eine Hungerkatastrophe bestünden gegenwärtig nicht.

Gegen das ihm am 9.4.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8.5.2008 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 5.5.2009 entsprochen hat (3 A 219/08).

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, ihm drohten allein schon wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Ermordung, Verstümmelung oder andere schwere asylrelevante Rechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure. Im Irak sei eine Gruppenverfolgung von Sunniten durch Schiiten anzunehmen.

Die Sicherheitslage im Irak sei nach Beendigung der Kampfhandlungen im Mai 2003 geprägt durch terroristische Anschläge sowie durch fortgesetzte offene Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition einerseits sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften andererseits. Auch wenn vor allem Soldaten, Sicherheitskräfte und Politiker Hauptanschlagsziel von Terroristen seien, trage der weitgehend ungeschützte Teil der irakischen Zivilbevölkerung den Großteil der Opferlast, ohne dass Schutz gegen diese zahllosen Übergriffe erlangt werden könne.

Im Übrigen sei der Kläger aufgrund des von ihm geschilderten persönlichen Schicksals vorverfolgt aus dem Irak ausgereist.

Hinsichtlich einer Gefährdungslage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG habe sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht maßgeblich auf den Erwägungsgrund Nr. 26 vor Art. 1 QRL gestützt. Die Vorschrift sei gemeinschaftskonform in Anwendung des Art. 15 lit. c QRL auszulegen.

Des Weiteren legte der Kläger eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie F. M. vom 5.10.2009 sowie ein Ergänzungsschreiben vom 4.1.2010 vor, wonach ihm eine hochgradige Traumatisierung und behandlungsbedürftige Belastungsstörung sowie suizidale Tendenzen bescheinigt werden. In einem weiteren Attest vom 4.7.2011 stellt der Arzt fest, dass der Kläger durch bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie pharmakotherapeutische Behandlung bis März 2011 eine positive Entwicklung durchlaufen habe. Der Kläger sei in der Lage gewesen, durch ein soziales Training seine Ängste schrittweise abzubauen. Es sei auch möglich gewesen, seine Pharmakotherapie auf ein Minimum als Erhaltungsdosis zu reduzieren.

Vor Beendigung seiner kassenärztlichen Tätigkeit zum 1.5.2011 habe er den Kläger am 20.4.2011 zuletzt gesehen. Für den Kläger gelte immer noch, dass er eine schwerwiegende psychische Erkrankung durch Eigenmotivation, Compliance und therapeutische Führung zum Teil habe bewältigen können. Nach Abbruch der Behandlung entstehe eine instabile Phase, weswegen der Patient besonders rückfallgefährdet sein werde.

Des Weiteren reichte der Kläger eine Stellungnahme der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie St. N., W., vom 30.11.2009 über eine stationäre Krankenhausbehandlung zu den Akten. Dort heißt es unter anderem:

„Zusammenfassend führten starke Ängste, Schwindel und Panikattacken mit sich aufdrängenden Suizidphantasien zur stationären Aufnahme. Im medizinischen Diagnosemodell wäre eine schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2) bei V.a. posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F42.1) zu beschreiben. Auf psychosozialer Ebene schien vor allem die schwierige Lebenssituation und die ständig im Hintergrund drohende Abschiebung in den Irak zu der aktuellen Symptomatik geführt zu haben.“

Der Kläger verweist insoweit darauf, dass zwei unabhängige Ärzte bzw. Institutionen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) angenommen hätten. Soweit im Attest der Klinik lediglich von einem „Verdacht auf PTBS“ die Rede sei, sei dies darauf zurückzuführen, dass dort keine umfassende Anamnese und Diagnose erstellt worden sei. Sowohl die privatärztlichen als auch die klinische Bescheinigung bestätigten eine psychische Erkrankung des Klägers. In dem äußerst prekären Gesundheitssystem des Irak stünden kaum psychologische, psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die wenigen, überwiegend in privaten Kliniken bestehenden Möglichkeiten seien für einen „Normalbürger“ nicht finanzierbar. Gleiches gelte für die Versorgung mit Medikamenten unabhängig von der Frage, ob diese im Irak überhaupt vorhanden seien.

Ferner legte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. vom 15.9.2011 vor, in dem ausgeführt ist, beim Kläger liege diagnostisch eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vor.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. März 2008 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 645/07 - die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. April 2007 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt im Wesentlichen aus, das pauschale, unsubstantiierte und widersprüchliche Vorbringen des Klägers zu seinen individuellen Verfolgungsgründen sei unglaubhaft und rechtfertige bereits deshalb nicht die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Ebenso wenig könne subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit.c QRL - gewährt werden, da die erforderliche Verdichtung allgemeiner Gefahren für die Zivilbevölkerung im Irak selbst in Konfliktregionen nicht angenommen werden könne.

Von einer Zuspitzung der Gefahr durch individuelle Umstände könne im Fall des Klägers ebenfalls nicht ausgegangen werden.

Was die geltend gemachte psychische Erkrankung des Klägers anbelange, genüge das fachärztliche Gutachten vom 5.10.2009 bereits nicht den Mindestanforderungen, die Anlass zu einer weiteren Sachaufklärung böten. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus stünden die ärztlichen Ausführungen in Widerspruch zu den eigenen Schilderungen des Klägers.

Auch der Behandlungsbericht des St. N. Hospitals vom 23.11.2009 habe sich auf die Diagnose einer schweren depressiven Episode bei „Verdacht auf“ PTBS beschränkt, ohne dies mit heimatbezogenen Erlebnissen in Verbindung zu bringen. Eine zielstaatsbezogene Re-Traumatisierung sei daher nicht zu erwarten. Den ärztlichen Attesten lasse sich auch nicht entnehmen, auf welche medikamentöse Behandlung der Kläger derzeit unverzichtbar angewiesen sei, um eine alsbaldige erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu vermeiden. Hinsichtlich der psychiatrischen Versorgung sei im Übrigen nach Berichten der WHO in den letzten Jahren eine tendenziell verbesserte Situation festzustellen.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.9.2011 zu seinen Asylgründen informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde verwiesen, der ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Irak, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.4.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht. Er ist im Oktober 2005 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f., zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung auch durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der Kläger auch unter Anwendung der Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Der Kläger ist im Oktober 2005 unverfolgt ausgereist.

Zu seinem Individualschicksal hat er bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Als verfolgungsbegründend führt er allein einen kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2005 angeblich erfolgten Überfall an, bei dem sein Vater durch dem Kläger unbekannte Täter getötet und seine Schwester verletzt worden sein soll. Bezüglich der Urheberschaft des Vorfalls und der dafür maßgeblichen Motivation hat er die Vermutung geäußert, er gehe entweder auf die frühere Mitgliedschaft seines Vaters in der Baath-Partei oder auf einen Racheakt von Familienmitgliedern seiner Mutter, die sein Vater seinerzeit gegen den Willen der Eltern geehelicht habe, zurück.

Aus diesem Vortrag kann auf eine den Anforderungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entsprechende staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung des Klägers vor seiner Ausreise nicht geschlossen werden.

Dies gilt selbst dann, wenn ungeachtet der bestehenden erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt in diesem Punkt zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass der Vorfall selbst mit den beschriebenen Folgen tatsächlich stattgefunden hat, was angesichts der allgemeinen Lage im Irak durchaus im Bereich des Möglichen erscheint, ebenso wie eine Unaufklärbarkeit von Hintergründen und Motiven

vgl. hierzu Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Im Grundsatz geht der Senat, wie bereits das Verwaltungsgericht, von einer weitgehend konstruierten Verfolgungsgeschichte aus. Hierzu wird zunächst auf die eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu unterschiedlichen Varianten und Widersprüchen im Vortrag des Klägers Bezug genommen.

Nur beispielhaft sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass er auch widersprüchliche Angaben bezüglich der Finanzierung seiner Ausreise – in einer Variante durch seine Mutter, in einer andern durch seine Mutter und eine Tante und zuletzt durch seinen Großvater väterlicherseits – gemacht hat, ebenso bezüglich der Finanzierung seiner Bahnfahrt nach Belgien, und dass er zudem vor dem Bundesamt angegeben hatte, er habe wegen eines Augenleidens nur 1 ½ Monate die Schule besuchen können und sei als Schafhirte tätig gewesen, während er vor dem Senat nicht nur erklärte, er könne (sogar) die deutsche Sprache lesen und auch schreiben, sondern auch, er sei von Beruf Installateur für Heizung und Sanitär, wenn auch mit der Einschränkung, dass er keine Ausbildung habe, die für Deutschland gültig sei.

Denn ungeachtet dessen enthält der Vortrag des Klägers zu dem zu seinem Gunsten als glaubhaft unterstellen Vorfall der Tötung seines Vaters und Verletzung seiner Schwester zum einen keinerlei konkrete Anhaltspunkte, welche geeignet sind, die eine oder die andere von ihm geäußerte Vermutung zu Urheberschaft und Motivation zu stützen, und zum anderen erscheinen beide Vermutungen auch nicht plausibel im Hinblick auf eine eigene Verfolgungsgefahr für den Kläger.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts von Familienmitgliedern seiner Mutter angestellt hat, erscheint schon der Ausgangspunkt dieser Überlegung nicht plausibel. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass nach einer Zeitspanne von 30 Jahre, nachdem der Vater des Klägers dessen Mutter gegen den Willen der Familie „entführt“ haben soll, und insbesondere, nachdem zwischenzeitlich sogar eine Versöhnung mit dem Vater seiner Mutter, d.h. dem Oberhaupt der mütterlichen Verwandtschaft erfolgt sein soll, Angehörige seiner Mutter an seinem Vater Rache genommen und ihn getötet haben sollen. Hätten derartige Nachstellungen, insbesondere seitens des angeblich ebenfalls heiratswilligen Cousins der Mutter gedroht, so wären sie zeitnah zu erwarten gewesen. Die weitere Frage der Beachtlichkeit einer derartigen Bedrohung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG bedarf mit Rücksicht hierauf keiner Erörterung.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei angestellt hat, vermag auch dies nicht zur Annahme einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu führen. Zum einen waren zum damaligen Zeitpunkt von derartigen Anschlägen allenfalls hochrangige Funktionäre der Baath-Partei betroffen, die persönlich Verbrechen oder Grausamkeiten verübt hatten, nicht aber sonstige Parteimitglieder, und zum anderen waren selbst in diesen Sonderfällen nur die betreffenden Parteifunktionäre selbst, nicht aber deren Familienangehörige gefährdet

hierzu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - vom 27.1.2006, Zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei; Deutsches Orient-Institut - DOI - an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br.) zu Az. M 9 K 05.50273; EZKS, Stellungnahmen an VG Köln vom 17.12.2004 im Falle des Sohnes eines Einsatzleiters einer Sonderstreife in Mossul, der mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Eine nach dem von ihm geschilderten Angriff unmittelbar bevorstehende Gefahr entsprechender Verfolgung (auch) des Klägers ist daher zu verneinen.

Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch nicht mit Rücksicht auf seine kurdische Volkszugehörigkeit und sunnitische Religionszugehörigkeit vorverfolgt. Eine an diese Merkmale anknüpfende Gruppenverfolgung im Irak war und ist zu verneinen

vgl. hierzu bereits Urteile des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -und vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 - dokumentiert bei juris, letzteres betreffend einen sunnitischen Kurden aus Mossul.

Dabei ist im Einzelnen von Folgendem auszugehen: Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Asylbewerber mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt dabei zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit - aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 -, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung sunnitischer Religionszugehöriger und kurdischer Volkszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann – auch für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers - weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers angenommen werden.

Es fehlt bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer von Verfolgungsschlägen und des jeweiligen Anteils der sunnitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe an einer hinreichenden Verfolgungsdichte. Dies hat der Senat zuletzt mit Urteil vom 1.6.2011

3 A 429/08 – dokumentiert bei juris

unter Verwertung zahlreicher Erkenntnisquellen festgestellt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Ist der Kläger demnach unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt ihm für die Beurteilung der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten hat, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL nicht zugute und ist hierfür der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.

Nach diesem Maßstab ist eine Verfolgung im Sinne der genannten Bestimmung im Falle seiner Rückkehr nicht zu prognostizieren.

Dies gilt sowohl mit Blick auf die von ihm geltend gemachte individuelle Verfolgungsgefahr wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei als auch mit Blick auf die ihm angeblich drohende Gefahr für Leib und Leben wegen Verletzung der Familienehre durch seinen Vater als auch im Hinblick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse lassen – wie für die Zeit vor seiner Ausreise – auch für die Zeit nach seiner Ausreise bis heute den Schluss auf eine entsprechende Gefährdung des Klägers im Rückkehrfall nicht zu

vgl. Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, sein Problem sei ein Stammesproblem gewesen, womit er die Entführung seiner Mutter vor 30 Jahren meine, und daraus sei ein politisches Problem geworden, weil sein Vater bei der Baath-Partei mitgearbeitet habe, um über die politische Tätigkeit Schutz wegen der aus der Entführung resultierenden Gefährdung zu erlangen, rechtfertigt dies ebenso wenig eine andere Einschätzung, wie der Vortrag, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Jahre 2005 in B-Stadt einen Freund seines Vaters getroffen, der ihm gesagt habe, er habe seine Feinde hier gesehen, deshalb solle er besser in ein anderes Land gehen. Weder hält der Senat das Vorbringen bezüglich des Freundes seines Vaters für glaubhaft, noch eine Bedrohung des Klägers durch „seine Feinde“ selbst in der Bundesrepublik. Was insbesondere die angebliche Information „eines Freundes seines Vaters“ im Jahre 2005 in B-Stadt anbelangt, hat der Kläger – jeweils im Zusammenhang mit seiner Weiterreise von B-Stadt nach Belgien - noch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, als er in B-Stadt angekommen sei, habe er Kurden getroffen, die gesagt hätten, dass es hier nicht so gut sei und dass man kein Asylrecht bekommen würde, woraufhin er B-Stadt wieder verlassen habe. Demgegenüber hat er bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er habe in B-Stadt von einer Person, die früher mit seinem Vater zusammengearbeitet habe, gehört, dass er von den Familienangehörigen seiner Mutter gesucht werde. Vor dem Senat hat er nunmehr die oben genannte weitere Abwandlung hinzugefügt. Ergänzend wird auf die oben bereits dargelegten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt hingewiesen.

Nach allem lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs.1 AufenthG mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Auch eine Gruppenverfolgung des Klägers wegen dessen sunnitischer Religions- und kurdischer Volkszugehörigkeit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt – ebenso wie für den Zeitpunkt seiner Ausreise bereits dargelegt - zu verneinen.

Zwar ist nach den vorliegenden Erkenntnissen von einer immer noch instabilen Sicherheitslage auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen. Die vorliegenden Erkenntnisse weisen insgesamt in eine positive Richtung. Insbesondere hat die interkonfessionelle Gewalt (zwischen Sunniten und Schiiten) seit dem energischen Durchgreifen der irakischen Regierung gegen Milizen seit dem Frühjahr 2008 in einem relevanten Maß nachgelassen

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; EZKS, Stellungnahme an VG München vom 20.1.2009 zu Az. M 4 K 08.50041 u.a..

Auf die diesbezüglichen Darlegungen im Urteil des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris,

wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die im Irak sowie in der Heimatstadt bzw. der Heimatregion des Klägers zu verzeichnenden Anschläge, deren Hintergründe und Zuordnung zu bestimmten Gruppierungen oder Stellen nach der Erkenntnislage im Einzelnen kaum bzw. schwer zu klären sind, zwar häufig als Akte willkürlicher Gewalt zu bewerten. Indes lassen sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bezogen auf die Gruppe sunnitischer Religionszugehöriger die für die Annahme einer Gruppenverfolgung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderliche Verfolgungsdichte, noch bezogen auf die Person des Klägers besondere gefahrerhöhende Umstände feststellen.

Den Lageberichten Irak des Auswärtigen Amtes

vom 28.11.2010 vom 11.4.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt. Hiervon machen die Schiiten, die vorwiegend den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, einen Anteil von 60 bis 65 %, (arabische) Sunniten, die mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben, einen Anteil von 17 bis 22 % und die vor allem im Norden lebenden Kurden einen Anteil von ca. 15 bis 20 % aus.

In Relation zu diesen Größenordnungen wird die Zahl der dokumentierten Todesfälle den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die erforderliche Intensität der Verfolgungsdichte offenkundig nicht gerecht. Selbst unter Berücksichtigung der fehlenden Einbeziehung von (Schwer)Verletzten, Traumatisierten und im Sinne des Art. 9 QRL Geschädigten in die vorliegenden Statistiken sowie der Unterstellung einer nachvollziehbaren erheblichen Dunkelziffer und Addition verschiedener Schädigungsformen ist eine in diesem Sinne beachtliche Verfolgungsdichte nicht feststellbar.

Hinsichtlich der Einschätzung der landesweiten Verfolgungsdichte, die im Jahr 2010 auf den bislang tiefsten Stand seit 2003 mit 4028 Opfern gefallen ist,

hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

kann im Einzelnen auf die Urteile des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und - 3 A 451/08 - , dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk). Dort gab es im Jahr 2008 je 100.000 Einwohner 29 Tote (je festgestellter Vorfall 3 Tote) und im Jahr 2009 je 100.000 Einwohner 31,9 Tote (288 Tote bei 99 Vorfällen, d.h. 2,9 Tote je Vorfall). Im Jahr 2010 gab es in der Provinz bei 77 Vorfällen 91 Tote, das sind 10,1 Tote je 100.000 Einwohner und je 1,2 Tote je Vorfall.

Bezüglich des Geburtsorts des Klägers, Erbil (Sitz der Regierung der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan), sind die Zahlen noch geringer. So gab es im Jahr 2008 in der ersten Jahreshälfte 7 Tote und 4 Vorfälle, im zweiten Halbjahr wurde kein Vorfall bekannt. Somit waren dort 0,5 – 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (1,75 je dokumentierter Vorfall) zu verzeichnen. Im Jahr 2009 waren bei 28 Vorfällen 31 Tote zu beklagen (2,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,1 Toter pro Vorfall). Diese Zahl sank im Jahr 2010 auf 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (6 Tote bei 2 Vorfällen).

vgl. BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010.

Die (Gesamt-)Opferzahlen bis Mai 2011 belaufen sich, soweit bislang bekannt, auf mindestens 1033 Tote, davon waren 65 Tote in der Herkunftsprovinz Tamim (Kirkuk) des Klägers, d.h. 7,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,6 Tote je dokumentiertem Vorfall und in der Provinz seines Geburtsorts Erbil 4 Tote zu beklagen, d.h. 0,3 Tote je 100.000 Einwohner, 2 Tote pro Vorfall

vgl. hierzu BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte von Juni 2011.

Die meisten Toten und Verletzten gab es bis zu diesem Zeitpunkt im Januar/Februar 2011 bei Anschlägen auf schiitische Pilger in der Nähe von Kerbala (mindestens 45 Tote und 150 Verletzte) und Samarra (50 Tote, 80 Verletzte)

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 7.3.2011, FR und taz vom 21.1.2011, FAZ vom 21. und 25.1.2011, NZZ vom 28.1.2011 und FR vom 14.2.2011, SZ vom 14.2.2011; zu den bisherigen Gesamtopferzahlen ferner BAMF, Briefing Notes vom 17.1.2011, vom 14.3.2011, vom 4.4.2011, vom 11.4.2011, NZZ vom 12.4.2011, FAZ vom 13.4.2011, NZZ vom 18. und 19.4.2011, FAZ vom 30.4. und 6.5.2011.

In der darauffolgenden Zeit war der Juni mit 271 Todesopfern, davon 155 Zivilisten, 77 Polizisten und 39 Soldaten der Monat mit dem meisten Todesopfern im Jahr 2011, dazu waren 454 Verletzte zu verzeichnen

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 4.7.2011.

Im Juli 2011 kam es bei einem Angriff in dem überwiegend von Sunniten besiedelten Taji zu 35 Toten und 28 Verletzten, anderen Quellen nach zu noch weiteren 58 Verletzten

vgl. hierzu BAMF, Briefing Notes vom 11.7.2011.

Angesichts dieser Opferzahlen in Relation zur Gesamtbevölkerungszahl ist eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Gruppe der (kurdischen) Sunniten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aktuell Gefahr liefe, im Rückkehrfall allein wegen seiner gruppenspezifischen Merkmale einer Verfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt zu sein, klar zu verneinen.

Aufgrund der kontinuierlich rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe in den vergangenen Jahren, insbesondere ab 2008, ist auch für die absehbare Zukunft eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht zu prognostizieren. Dies belegen auch die Opferzahlen für 2011.

Ausgehend von den vorstehend dargestellten Opferzahlen kann schließlich auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Kurden, die ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung ausmacht,

vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010

eine ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende gruppenspezifische Verfolgung nicht angenommen werden.

Darüber hinaus wäre für den in Erbil/Nordirak geborenen Kläger die Möglichkeit einer zumutbaren Aufenthaltsnahme im Nordirak gegeben, aus dem seine Familie stammt. Dies gilt sowohl unter den vorgetragenen Aspekten der Zugehörigkeit zu einer ehemals baathistisch ausgerichteten Familie als auch der sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Eine Pro-baathistische Betätigung löst nach Einschätzung von EZKS

- H. Siamend - vom 22.3.2007 an VG Magdeburg zu Az. 4 A 190/04 MD und vom 24.11.2007 an VG Karlsruhe zu Az. A 3 K 10823/05

die Gefahr von Sanktionen etwa der KDP und der PUK im - kurdisch dominierten - Nordirak nur dann aus, wenn sich die betreffende Person im Zuge ihrer Betätigung für die Baath-Partei besonderer Grausamkeiten schuldig gemacht hat oder in hohen Positionen befindlichen KDP- bzw. PUK-Politikern oder deren Verwandten geschadet hat.

Derartiges steht bei dem Kläger nicht im Raum.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine Gruppenverfolgung von Sunniten und Kurden im Irak verneinen

vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2009, a.a.O., VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - und Beschluss vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10; VGH München, Beschlüsse vom 14.7.2011 - 20 B 10.30316 - und vom 5.7.2011 - 20 B 10.30312 -, jeweils im Falle eines sunnitischen Kurden aus der Region Tamim/Kirkuk sowie Urteil vom 21.1.2010 - 13a B 08.30285 - im Falle eines kurdischen Volkszugehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit aus Mossul, jeweils zitiert nach juris.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ist daher sowohl mangels individueller als auch mangels gruppenbezogener Verfolgung zu verneinen.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in Bashir, der Herkunftsstadt des Klägers in der Region Tamim (Kirkuk), oder etwa in Erbil, seinem Geburtsort, bereits die Annahme eines landesweiten oder auch nur regionalen innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte, kann vorliegend offenbleiben

ebenso offen gelassen zum Vorliegen eines landesweiten Konflikts im Irak etwa: VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30021 -, OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 - und auch OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 – sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine sunnitische Glaubenszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit als auch hinsichtlich der geltend gemachten Betätigung seines Vaters in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftigen befürchteten Schaden sowie mit dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Die von der bereits dargestellten, immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak ausgehende Gefährdung betrifft neben Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften, eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung und stellt damit eine Gefahr dar, der letztlich die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr – wie dargelegt - erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrenerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt (oder auch zufällig) selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Zwar gehört die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk) zu den instabilsten Gebieten im Irak. Jedoch sind - wie im Einzelnen im Rahmen der Prüfung einer Gruppenverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG dargelegt - insbesondere seit dem Jahr 2010 bis heute beständig rückläufige Opferzahlen zu verzeichnen.

Daher könnte selbst bei Annahme eines innerstaatlichen Konflikts in der Herkunftsregion Tamim (Kirkuk) nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die sunnitische Religions- und kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers wirkt sich bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion des Klägers ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Die Sicherheit der Gruppe der Heimkehrer hängt nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lageberichte vom 28.11.2010 und vom 11.4.2010

im Wesentlichen davon ab, ob die Ethnie bzw. Glaubensgemeinschaft, welcher sie angehören, in der betreffenden Region die Mehrheit bildet. Da Kurden mit 40 % und Sunniten mit 20% in Kirkuk/Tamim, einem ethnischen Mischgebiet, eine Hauptbevölkerungsgruppe darstellen

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, von Juni 2011 und von Januar 2010

kann bezüglich des Klägers nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad eine Gefährdung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen und/oder ethnischen Minderheit angenommen werden

zur Verfolgungs- und Gefährdungssituation i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vgl. etwa etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 - im Falle eines aus der Provinz Dohuk stammenden Kurden; VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - (implizit) im Falle eines Kurden aus Kirkuk.

Gleiches gilt, wenn man eine Rückkehr des Klägers in seine Stammregion, die Provinz Erbil, in der 95 % Kurden leben, zugrunde legt. Dort sind noch weit geringere Zahlen als für den Bereich Tamim/Kirkuk festzustellen.

Es liegen bei dem Kläger auch keine weiteren individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor. Er gehört insbesondere keiner der in den o.g. Lageberichten des Auswärtigen Amtes und weiteren Erkenntnisquellen bezeichneten gefährdeten speziellen Personengruppen an.

Dass die angebliche frühere Mitgliedschaft des Vaters des Klägers in der Baath-Partei keinen gefahrerhöhenden Umstand darstellt, wurde bereits dargelegt.

Nach allem liegt ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Regelung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift gewährt Schutz bei Gefahren, die nicht bereits vom Regelungsbereich der vorangegangenen Absätze erfasst werden. Sie betrifft nur solche Gefahren, die sich aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und ausschließlich dort drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Unerheblich ist, ob die Gefahren von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen oder wodurch sie hervorgerufen werden. Zu unterscheiden ist dabei die erhebliche konkrete Gefahr, die den Ausländer aus individuellen Gründen betrifft und die Gefahr, die - wenn auch in individualisierbarer Weise - aus allgemeinen Gefahren herrührt. Der Ausdruck „erheblich“ bezieht sich dabei auf die Gefährdungsintensität. Zusätzlich wird durch das Element der „konkreten Gefahr“ für „diesen“ Ausländer das Erfordernis einer einzelfallbezogenen und individuell bestimmten Gefährdungssituation aufgestellt

hierzu Huber, AufenthG, § 60 Rdnr. 105 m.w.N..

Die Abgrenzung zwischen einer Gefahr aus allgemeinen und einer Gefahr aus individuellen Gründen kann im Einzelfall schwierig sein. Einer Abgrenzung bedarf es hier jedoch letztlich nicht. Denn vorliegend kann weder davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland aus allein in seiner Person liegenden individuellen noch aus allgemeinen Gründen eine beachtliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen würde.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die von ihm (angeblich) befürchteten Nachstellungen und Gefährdungen seitens Verwandter seiner Mutter wegen Verletzung der Familienehre, die im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Relevanz sein können

vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.1.2006 - 1 LB 22/05 -, zitiert nach juris,

Denn diese hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG wird Bezug genommen.

Dem Kläger droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtliche Gefahr mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011,

- 3 A 429/08 – und – 3 A 451/08 -, dokumentiert bei juris,

verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011; siehe in diesem Zusammenhang auch Urteile des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 und 3 A 451/08 -.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage nicht angenommen werden.

Schließlich lässt sich im Falle des Klägers auch nicht im Hinblick auf eine Erkrankung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen. Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger auf das Vorliegen einer postraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung mit latenter Suizidalität berufen sowie darauf, dass diese bei einer Rückkehr in den Irak nicht bzw. nicht ausreichend behandelt werden könne.

Grundsätzlich kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. etwa Entscheidungen vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 - und vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris

die drohende Verschlimmerung einer Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers als konkrete erhebliche Gesundheitsgefahr ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann vorliegen, wenn die Erkrankung des Schutzsuchenden im Zielstaat der Abschiebung nicht oder nicht zureichend behandelt werden kann oder wenn die Krankheit dort zwar prinzipiell hinreichend behandelt werden kann, der Betroffene zu der verfügbaren medizinischen Behandlung aber aus finanziellen oder anderen faktischen Gründen keinen Zugang hat. Voraussetzung ist jedoch, dass die fehlende Behandlungsmöglichkeit zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, d.h. eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Davon ist auszugehen, wenn sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine derartige erhebliche und konkrete Gefahr ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Nur ausnahmsweise ist sie als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG mit der entsprechenden Sperrwirkung zu qualifizieren, namentlich bei Aidserkrankungen (in afrikanischen Ländern)

vgl. hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 23.7.2007 - 10 B 85/07 -, vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 - und vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, jeweils zitiert nach juris.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, a.a.O.

- ebenfalls im Falle eines irakischen Staatsangehörigen - klargestellt, dass die unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mit der Begründung verneint werden kann, der Schutzsuchende sei von einer schlechten medizinischen Versorgung in seinem Herkunftsland gleichermaßen wie alle anderen Bewohner, die an der gleichen Erkrankung leiden, betroffen. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 (damals Satz 2) AufenthG greift vielmehr nur bei einer großen Anzahl potenziell Betroffener und einem Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung ein. Dies ist hier nicht anzunehmen.

Jedoch kann unter Zugrundelegung der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Würdigung seines Sachvortrags, auch seiner aktuellen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle des Klägers eine auf Tatsachen gestützte beachtliche Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer erheblichen individuellen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen gegeben ist.

Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Krankheit, mit deren wesentlicher Verschlimmerung im Zielland der Abschiebung zu rechnen wäre. Sie begründen auch keine Pflicht zu weiterer gerichtlicher Sachaufklärung.

Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Vorlage von Attesten und deren Beurteilung durch die Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. Beschlüsse vom 29.4.2005 - BVerwG 1 B 119.04 - und Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris,

dass diese in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess zwar regelmäßig Anlass zu weiterer Sachaufklärung geben, da eine Pflicht der Beteiligten zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO, ebenso wie eine Beweisführungspflicht regelmäßig zu verneinen ist.

Jedoch ist regelmäßig zu fordern, dass das vorgelegte fachärztliche Attest gewissen Mindestanforderungen genügt. Dies gilt mit Rücksicht auf dessen Unschärfen und vielfältige Symptome insbesondere bezogen auf das Krankheitsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Aus dem fachärztlichen Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.2.1995 - BVerwG 1 B 205.93 -.

Werden Atteste vorgelegt, die den vorbeschriebenen Anforderungen genügen, ist grundsätzlich eine eigene medizinische Sachkunde des Gerichts, insbesondere zu einer abweichenden Bewertung von Schwere und Ausmaß der attestierten Erkrankung, zu verneinen und darf die Gefahr der möglichen Verschlimmerung der Erkrankung des Betroffenen bei Rückkehr in sein Heimatland oder Herkunftsgebiet nicht ohne weitere gerichtliche Aufklärung verneint werden. Diese hat, auch ohne dass es eines förmlichen Beweisantrages des Betroffenen bedarf, grundsätzlich in Form der Einholung fachärztlicher Gutachten oder Stellungnahmen zu erfolgen

vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, jeweils zitiert nach juris..

Vorliegend hat der Kläger indes kein Attest über das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorgelegt, das diesen Anforderungen entspricht. Die vorgelegten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 werden den dargelegten Standards nicht gerecht. Die ärztliche Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 und das Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 beschreiben schon nicht das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

In seinem ersten Schreiben vom 5.10.2009 führt der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. zunächst aus, die Kriegsereignisse im Irak hätten in einem katastrophalen Ausmaß zur Instabilität des Landes sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich geführt. Rivalisierende ethnische und religiöse Minderheiten hätten das Chaos genutzt um alte Rechnungen zu begleichen. Es sei zu einem regelrechten Gemetzel innerhalb dieser Gruppierungen gekommen, der Kläger und sein Schicksal belegten dies. Weiter heißt es u.a.: „Der junge Patient ist Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen. Herr Saleh ist hochgradig traumatisiert und ist allein aus dieser Indikation dringend behandlungsbedürftig.“ In seinem zweiten Schreiben vom 4.1.2010 führt er aus, die Diagnose sei „auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik nach dem Schlüssel ICD-10 gestellt“ und „die Kriterien, die zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung führen“ seien allesamt erfüllt. Es verstehe „sich von selbst, dass das Trauma sehr wohl in seinem Heimatland stattgefunden hat und die posttraumatischen Krankheitsfolgeerscheinungen erst 3 bis 6 Monate nach dem Trauma in Erscheinung treten“ könnten. Schließlich führt er in seinem letzten Schreiben vom 4.7.2011 nochmals aus, die Diagnose sei auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik gestellt worden. „Die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Migranten hänge natürlich sehr davon ab“, ob man „über die soziopolitischen Begebenheiten des Ursprungslandes der Betroffenen Bescheid“ wisse. Für seine Person gebe es keinen Grund, an den Aussagen des Klägers, wie sie sich aus seiner ärztlichen Bescheinigung vom 5.10.2009 ergäben, zu zweifeln.

Hiernach hat der Facharzt M. seiner Diagnose offenkundig einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, als der Kläger selbst ihn im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren geschildert hat. Nach dessen eigenem Vortrag ist er nämlich selbst nicht „Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen“. Vielmehr ist danach (nur) ein Familienmitglied getötet worden, war er selbst nicht Zeuge der Tat und hat er sein Heimatland auch nicht fluchtartig aus Todesangst verlassen, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand, nach entsprechender Planung und Organisation durch die Familie. Einen Sachverhalt, wie ihn der Arzt zugrunde gelegt hat, hat der Kläger im vorliegenden Verfahren auch nach Vorlage der genannten ärztlichen Bescheinigungen zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu seinen Asylgründen gab er nichts hiervon Abweichendes an. Da der Kläger auf weitere Nachfrage auch bekundete, sich mit dem Psychiater iranischer Herkunft in einer dem Kurdischen ähnlichen Dialekt sprachlich gut verständigt zu haben, scheiden Sprachschwierigkeiten zur Erklärung oder Auflösung dieses eklatanten Widerspruches aus.

Ging der Facharzt bei seiner Diagnose danach schon nicht von einem – gemessen am Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren – zutreffenden Sachverhalt aus, so kann seiner Diagnose schon deshalb nicht gefolgt werden. Mit anderen Worten: Hat das vom Arzt angenommene traumatische Erlebnis im Heimatland nicht stattgefunden, so kann sich daraus auch keine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben. Es kommt deshalb daneben nicht mehr entscheidend darauf an, dass die genannten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 zudem in medizinischer Hinsicht wenig aussagekräftig erscheinen, da sie überwiegend nur pauschale Angaben enthalten, nicht aber eine - auf der Basis einer Einzelexploration mit Anamnese und Befunderhebung - nachvollziehbare fachärztliche Diagnose.

Aus der Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 19.11.- 26.11.2009 lässt sich das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon nicht entnehmen. Zwar ist eine schwere depressive Episode (ICD-10.F 32.2) bei Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10. -F 42.1) und eine latente Suizidalität des Klägers beschrieben sowie auf einen während des Krankenhausaufenthalts erfolgten Suizidversuch (mit oberflächlichen Wunden am Handgelenk) hingewiesen.

Der „Verdacht“ auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch erkennbar nicht verifiziert worden. Vielmehr war das Behandlungsziel offenbar die Beseitigung einer damals akuten Suizidalität. Auch im Berichtteil der Bescheinigung vom 30.11.2009 betreffend „Therapie und Verlauf“ heißt es zur „psychotherapeutischen Begleitung und Stützung“ allein, dass Thema „die aktuell belastende Lebenssituation“ gewesen sei. Anhaltspunkte für die Thematisierung eines im Heimatland erlebten Traumas des Klägers, die das zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis einer „Retraumatisierung“ im Rückkehrfall begründen könnten, lassen sich der o.g. Bescheinigung nicht entnehmen. Zudem erfolgte die Entlassung im November 2009 in „ausreichend stabilisierten, affektiv ausgeglichenerem Zustand“ mit einer antidepressiven Medikation.

Auch dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 lässt sich lediglich entnehmen, dass nach deren Einschätzung bei dem Kläger derzeit eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vorliegt, die durch eine medikamentöse Therapie in niedriger Dosierung behandelt werden kann. Weder vom Vorliegen noch von einem Verdacht auf Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers ist die Rede.

Auf eine solche kann aktuell auch nicht auf Grundlage des Vortrages des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossen werden. Nach seinen eigenen Aussagen ist der Kläger ein instabiler Mensch, der keine Ruhe findet und Schlafstörungen hat. Andere gravierende körperliche Auswirkungen als Folge seiner Unruhe und Nervosität hat der Kläger nicht beschrieben.

Von dem Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann daher nicht ausgegangen werden.

Auch Anhaltspunkte für eine sonstige schwerwiegende psychische Erkrankung oder für eine latente Suizidalität des Klägers, die u. U. eine zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen könnten, liegen danach nicht vor.

Zwar spricht auch das Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 4.1.2010 eine Suizidalität des Klägers an und führt aus, er sei hochgradig gefährdet, soweit es seine suizidalen Tendenzen anbelange, weil er sich permanent verfolgt fühle und in einer dauerhaften Angst lebe. Einen nachvollziehbaren konkreten Hintergrund für diese Einschätzung, insbesondere Tatsachen jenseits der nicht mit dem Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren übereinstimmenden angeblichen Traumatisierung in seinem Heimatland, benennt das Schreiben jedoch ebenso wenig wie die weiteren Schreiben vom 5.10.2009 und 4.7.2011. In dem Schreiben vom 4.7.2011 ist von einer Suizidalität des Klägers nicht mehr die Rede. Vielmehr wird festgestellt, dass der Kläger durch die bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie Medikamenteneinnahme bis zum Behandlungsende am 20.4.2011 eine durchaus positive Entwicklung durchlaufen habe, insbesondere seine Ängste schrittweise abzubauen und mit einer Minimaldosierung des Medikamentes auszukommen vermocht habe. Für die Annahme einer aktuellen Suizidalität oder der drohenden wesentlichen Verschlimmerung einer vorhandenen schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Klägers nach Rückkehr in das Herkunftsland lässt sich hieraus nichts gewinnen. Gleiches gilt für das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der den Kläger derzeit behandelnden Ärztin Dr. W. vom 15.9.2011.

Schließlich sprechen auch die eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen mit Gewicht dagegen, dass von dem Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung oder - latenten - Suizidalität oder auch nur von einem ernstzunehmenden Verdacht auf Derartiges auszugehen wäre.

Der Kläger hat auf ausdrückliches Befragen des Senats zu seiner ärztlichen Behandlung und zu seinem Befinden erklärt, der zuvor behandelnde Arzt M., der im April 2011 seine kassenärztlichen Zulassung zurückgegeben habe, habe ihm nach Beendigung der dortigen Behandlung auf spätere telefonische Nachfrage Rezepte ausgestellt und ihm den Versuch angeraten, auch gänzlich ohne das eingesetzte Medikament (Citalopram) auszukommen und „ruhiger“ zu werden. Man habe dann die Dosis von 40 mg auf 20 mg und schließlich auf 10 mg verringert. Da er bei der Dosis von 10 mg keine Ruhe gefunden habe, habe er Dr. W. aufgesucht. Mit dieser könne er sich auf Deutsch verständigen. Unter deren Behandlung nehme er derzeit täglich 20 mg Citalopram sowie bei Bedarf eine Schlaftablette (Zolpidem), weitere Medikamente nehme er nicht. Schwerwiegende Störungen oder noch bestehende Selbstmordgedanken hat der Kläger nicht beschrieben, sondern lediglich - wie dargelegt - eine allgemeine Instabilität, Unruhe und gelegentliche Schlafstörungen, die er nach Behandlungsabbruch im April 2011 auch ohne ärztliche Behandlung allein durch Einnahme von Citalopram sowie bei Bedarf gelegentlich von Zolpidem hat bewältigen können. In der immerhin vier Monate währenden Zeit zwischen dem Behandlungsende bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. am 20.4.2011 und dem Aufsuchen der Fachärztin Dr. W. am 25.8.2011 ist danach offenkundig keine relevante Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands des Klägers eingetreten. Greifbare und nachhaltige Hinweise auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich bei Rückkehr in sein Heimatland aufgrund fehlender bzw. unzureichender ärztlicher und medikamentöser Versorgung wesentlich verschlimmern könnte, liegen danach aktuell nicht vor. Derartiges ist auf Grundlage der dargestellten Erkenntnisse auch nicht zu prognostizieren.

Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Krankheitssymptome, wegen derer der Kläger sich derzeit in ärztlicher Behandlung befindet, auch im Rückkehrfall behandelt werden können und eine wesentliche Verschlimmerung seines Krankheitsbildes im Sinne einer konkreten Gesundheitsgefahr von erheblicher Intensität nicht zu befürchten ist.

Zwar ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen

vgl. hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010: Die Behandlung von PTSD in Erbil vom 10.3.2010, ferner Bericht vom 10.7.2007: Die sozioökonomische Situation in den von der KRG verwalteten Provinzen; GIGA an VG Düsseldorf vom 10.5.2007 zu Az.: 16 K 5213/06.A -; DOI an VG Saarlouis vom 6.3.2006 zu Az.: 2 K 1/06.A; EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 -,

die inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmen, die Versorgungslage im Irak in medizinischer Hinsicht trotz einer tendenziell anzunehmenden Verbesserung

hierzu insbesondere SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010 unter Berufung auf einen Bericht der WHO

nach wie vor angespannt.

Grundsätzlich kann sich zwar jeder Iraker überall im Land in öffentlichen Krankenhäusern kostenfrei behandeln lassen, wobei Unterschiede zwischen dem Zentralirak und dem kurdisch verwalteten Norden nicht bestehen. De facto existiert aber nach den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen im Irak eine Zwei-Klassen-Medizin. Die öffentlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet und leiden vor allem an einem Mangel an Medikamenten und technischem Gerät. Medikamente sind danach zumeist nur theoretisch kostenfrei und müssen meistens zu hohen Preisen privat in Apotheken gekauft werden. Psychische Krankheiten werden häufig nur medikamentös behandelt

hierzu etwa EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 u.a., Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010.

Dennoch ist nach Auskunftslage

vgl. etwa Botschaft BRD an VG Ansbach vom 20.5.2010 zu Az.: AN 9 K 09.30128

etwa eine depressive Anpassungsstörung oder depressive Episode in Mossul prinzipiell behandelbar. Die Kosten hierfür hängen von Art und Dauer der Behandlung ab und können daher - auch infolge fehlender ärztlicher Gebührenordnung - nicht allgemein und pauschal abgeschätzt werden.

Nach der

Auskunft des (Vertrauensarztes des) Generalkonsulats Erbil vom 29.4.2010 an VG Bayreuth zu Az.: B 3 K 30045

gibt es auch in Erbil, in anderen Teilen Kurdistans ebenso wie im Gesamtirak eine erhebliche Anzahl von Nervenärzten, die an Depressionen leidende Patienten gut behandeln können. Psychopharmaka sind danach vorhanden und preisgünstig, die ärztliche Beratung kann nach dieser Quelle in staatlichen Krankenhäusern kostenlos erfolgen sowie in privaten Praxen für ca. 10 EUR.

Zwar gibt es über die Verfügbarkeit des von dem Kläger derzeit zur Bekämpfung seiner Unruhezustände eingenommenen Medikaments Citalopram im Irak nach Ansicht des EZKS aus dem Jahr 2006

vgl. EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006, a.a.O.

widersprüchliche Aussagen verschiedener befragter Ärzte und kann nach dessen Einschätzung jedenfalls nicht von einem regelmäßigen und kostenfreien Bezug des Medikaments ausgegangen werden.

Ausgehend von den vorgenannten aktuellen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2010 lassen sich jedoch derartige Einschränkungen bei der allgemeinen Verfügbarkeit von vergleichbaren Medikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie der zuletzt bei dem Kläger diagnostizierten „depressiven Störung“ nicht feststellen. Hieraus ist zu folgern, dass zumindest die zur Behandlung „einfacher“ psychischer Erkrankungen, wie einer depressiven Störung, erforderlichen Medikamente ebenso wie hierzu ergänzende Schlafmittel dem Kläger im Irak grundsätzlich zur Verfügung stehen oder beschafft werden können.

Da die Familie des Klägers nach dessen eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung wirtschaftlich nach wie vor gut gestellt ist, ist eine für ihn konkret erforderliche ärztliche Behandlung und Medikation in seinem Heimatland in vergleichbaren Intervallen wie in der Bundesrepublik Deutschland auch tatsächlich erreichbar.

Eine weitere Sachaufklärung, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Thema der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers sowie einer möglichen medizinischen Versorgung in seinem Heimatland drängte sich nach alledem – ungeachtet des Umstandes, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen förmlichen Beweisantrag hierzu nicht gestellt hat – nicht auf.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer Gesundheitsgefährdung erheblichen Ausmaßes kann hiernach ebenfalls nicht angenommen werden.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.4.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht. Er ist im Oktober 2005 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f., zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung auch durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der Kläger auch unter Anwendung der Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Der Kläger ist im Oktober 2005 unverfolgt ausgereist.

Zu seinem Individualschicksal hat er bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Als verfolgungsbegründend führt er allein einen kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2005 angeblich erfolgten Überfall an, bei dem sein Vater durch dem Kläger unbekannte Täter getötet und seine Schwester verletzt worden sein soll. Bezüglich der Urheberschaft des Vorfalls und der dafür maßgeblichen Motivation hat er die Vermutung geäußert, er gehe entweder auf die frühere Mitgliedschaft seines Vaters in der Baath-Partei oder auf einen Racheakt von Familienmitgliedern seiner Mutter, die sein Vater seinerzeit gegen den Willen der Eltern geehelicht habe, zurück.

Aus diesem Vortrag kann auf eine den Anforderungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entsprechende staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung des Klägers vor seiner Ausreise nicht geschlossen werden.

Dies gilt selbst dann, wenn ungeachtet der bestehenden erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt in diesem Punkt zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass der Vorfall selbst mit den beschriebenen Folgen tatsächlich stattgefunden hat, was angesichts der allgemeinen Lage im Irak durchaus im Bereich des Möglichen erscheint, ebenso wie eine Unaufklärbarkeit von Hintergründen und Motiven

vgl. hierzu Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Im Grundsatz geht der Senat, wie bereits das Verwaltungsgericht, von einer weitgehend konstruierten Verfolgungsgeschichte aus. Hierzu wird zunächst auf die eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu unterschiedlichen Varianten und Widersprüchen im Vortrag des Klägers Bezug genommen.

Nur beispielhaft sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass er auch widersprüchliche Angaben bezüglich der Finanzierung seiner Ausreise – in einer Variante durch seine Mutter, in einer andern durch seine Mutter und eine Tante und zuletzt durch seinen Großvater väterlicherseits – gemacht hat, ebenso bezüglich der Finanzierung seiner Bahnfahrt nach Belgien, und dass er zudem vor dem Bundesamt angegeben hatte, er habe wegen eines Augenleidens nur 1 ½ Monate die Schule besuchen können und sei als Schafhirte tätig gewesen, während er vor dem Senat nicht nur erklärte, er könne (sogar) die deutsche Sprache lesen und auch schreiben, sondern auch, er sei von Beruf Installateur für Heizung und Sanitär, wenn auch mit der Einschränkung, dass er keine Ausbildung habe, die für Deutschland gültig sei.

Denn ungeachtet dessen enthält der Vortrag des Klägers zu dem zu seinem Gunsten als glaubhaft unterstellen Vorfall der Tötung seines Vaters und Verletzung seiner Schwester zum einen keinerlei konkrete Anhaltspunkte, welche geeignet sind, die eine oder die andere von ihm geäußerte Vermutung zu Urheberschaft und Motivation zu stützen, und zum anderen erscheinen beide Vermutungen auch nicht plausibel im Hinblick auf eine eigene Verfolgungsgefahr für den Kläger.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts von Familienmitgliedern seiner Mutter angestellt hat, erscheint schon der Ausgangspunkt dieser Überlegung nicht plausibel. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass nach einer Zeitspanne von 30 Jahre, nachdem der Vater des Klägers dessen Mutter gegen den Willen der Familie „entführt“ haben soll, und insbesondere, nachdem zwischenzeitlich sogar eine Versöhnung mit dem Vater seiner Mutter, d.h. dem Oberhaupt der mütterlichen Verwandtschaft erfolgt sein soll, Angehörige seiner Mutter an seinem Vater Rache genommen und ihn getötet haben sollen. Hätten derartige Nachstellungen, insbesondere seitens des angeblich ebenfalls heiratswilligen Cousins der Mutter gedroht, so wären sie zeitnah zu erwarten gewesen. Die weitere Frage der Beachtlichkeit einer derartigen Bedrohung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG bedarf mit Rücksicht hierauf keiner Erörterung.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei angestellt hat, vermag auch dies nicht zur Annahme einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu führen. Zum einen waren zum damaligen Zeitpunkt von derartigen Anschlägen allenfalls hochrangige Funktionäre der Baath-Partei betroffen, die persönlich Verbrechen oder Grausamkeiten verübt hatten, nicht aber sonstige Parteimitglieder, und zum anderen waren selbst in diesen Sonderfällen nur die betreffenden Parteifunktionäre selbst, nicht aber deren Familienangehörige gefährdet

hierzu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - vom 27.1.2006, Zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei; Deutsches Orient-Institut - DOI - an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br.) zu Az. M 9 K 05.50273; EZKS, Stellungnahmen an VG Köln vom 17.12.2004 im Falle des Sohnes eines Einsatzleiters einer Sonderstreife in Mossul, der mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Eine nach dem von ihm geschilderten Angriff unmittelbar bevorstehende Gefahr entsprechender Verfolgung (auch) des Klägers ist daher zu verneinen.

Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch nicht mit Rücksicht auf seine kurdische Volkszugehörigkeit und sunnitische Religionszugehörigkeit vorverfolgt. Eine an diese Merkmale anknüpfende Gruppenverfolgung im Irak war und ist zu verneinen

vgl. hierzu bereits Urteile des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -und vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 - dokumentiert bei juris, letzteres betreffend einen sunnitischen Kurden aus Mossul.

Dabei ist im Einzelnen von Folgendem auszugehen: Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Asylbewerber mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt dabei zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit - aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 -, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung sunnitischer Religionszugehöriger und kurdischer Volkszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann – auch für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers - weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers angenommen werden.

Es fehlt bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer von Verfolgungsschlägen und des jeweiligen Anteils der sunnitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe an einer hinreichenden Verfolgungsdichte. Dies hat der Senat zuletzt mit Urteil vom 1.6.2011

3 A 429/08 – dokumentiert bei juris

unter Verwertung zahlreicher Erkenntnisquellen festgestellt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Ist der Kläger demnach unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt ihm für die Beurteilung der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten hat, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL nicht zugute und ist hierfür der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.

Nach diesem Maßstab ist eine Verfolgung im Sinne der genannten Bestimmung im Falle seiner Rückkehr nicht zu prognostizieren.

Dies gilt sowohl mit Blick auf die von ihm geltend gemachte individuelle Verfolgungsgefahr wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei als auch mit Blick auf die ihm angeblich drohende Gefahr für Leib und Leben wegen Verletzung der Familienehre durch seinen Vater als auch im Hinblick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse lassen – wie für die Zeit vor seiner Ausreise – auch für die Zeit nach seiner Ausreise bis heute den Schluss auf eine entsprechende Gefährdung des Klägers im Rückkehrfall nicht zu

vgl. Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, sein Problem sei ein Stammesproblem gewesen, womit er die Entführung seiner Mutter vor 30 Jahren meine, und daraus sei ein politisches Problem geworden, weil sein Vater bei der Baath-Partei mitgearbeitet habe, um über die politische Tätigkeit Schutz wegen der aus der Entführung resultierenden Gefährdung zu erlangen, rechtfertigt dies ebenso wenig eine andere Einschätzung, wie der Vortrag, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Jahre 2005 in B-Stadt einen Freund seines Vaters getroffen, der ihm gesagt habe, er habe seine Feinde hier gesehen, deshalb solle er besser in ein anderes Land gehen. Weder hält der Senat das Vorbringen bezüglich des Freundes seines Vaters für glaubhaft, noch eine Bedrohung des Klägers durch „seine Feinde“ selbst in der Bundesrepublik. Was insbesondere die angebliche Information „eines Freundes seines Vaters“ im Jahre 2005 in B-Stadt anbelangt, hat der Kläger – jeweils im Zusammenhang mit seiner Weiterreise von B-Stadt nach Belgien - noch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, als er in B-Stadt angekommen sei, habe er Kurden getroffen, die gesagt hätten, dass es hier nicht so gut sei und dass man kein Asylrecht bekommen würde, woraufhin er B-Stadt wieder verlassen habe. Demgegenüber hat er bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er habe in B-Stadt von einer Person, die früher mit seinem Vater zusammengearbeitet habe, gehört, dass er von den Familienangehörigen seiner Mutter gesucht werde. Vor dem Senat hat er nunmehr die oben genannte weitere Abwandlung hinzugefügt. Ergänzend wird auf die oben bereits dargelegten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt hingewiesen.

Nach allem lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs.1 AufenthG mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Auch eine Gruppenverfolgung des Klägers wegen dessen sunnitischer Religions- und kurdischer Volkszugehörigkeit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt – ebenso wie für den Zeitpunkt seiner Ausreise bereits dargelegt - zu verneinen.

Zwar ist nach den vorliegenden Erkenntnissen von einer immer noch instabilen Sicherheitslage auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen. Die vorliegenden Erkenntnisse weisen insgesamt in eine positive Richtung. Insbesondere hat die interkonfessionelle Gewalt (zwischen Sunniten und Schiiten) seit dem energischen Durchgreifen der irakischen Regierung gegen Milizen seit dem Frühjahr 2008 in einem relevanten Maß nachgelassen

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; EZKS, Stellungnahme an VG München vom 20.1.2009 zu Az. M 4 K 08.50041 u.a..

Auf die diesbezüglichen Darlegungen im Urteil des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris,

wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die im Irak sowie in der Heimatstadt bzw. der Heimatregion des Klägers zu verzeichnenden Anschläge, deren Hintergründe und Zuordnung zu bestimmten Gruppierungen oder Stellen nach der Erkenntnislage im Einzelnen kaum bzw. schwer zu klären sind, zwar häufig als Akte willkürlicher Gewalt zu bewerten. Indes lassen sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bezogen auf die Gruppe sunnitischer Religionszugehöriger die für die Annahme einer Gruppenverfolgung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderliche Verfolgungsdichte, noch bezogen auf die Person des Klägers besondere gefahrerhöhende Umstände feststellen.

Den Lageberichten Irak des Auswärtigen Amtes

vom 28.11.2010 vom 11.4.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt. Hiervon machen die Schiiten, die vorwiegend den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, einen Anteil von 60 bis 65 %, (arabische) Sunniten, die mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben, einen Anteil von 17 bis 22 % und die vor allem im Norden lebenden Kurden einen Anteil von ca. 15 bis 20 % aus.

In Relation zu diesen Größenordnungen wird die Zahl der dokumentierten Todesfälle den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die erforderliche Intensität der Verfolgungsdichte offenkundig nicht gerecht. Selbst unter Berücksichtigung der fehlenden Einbeziehung von (Schwer)Verletzten, Traumatisierten und im Sinne des Art. 9 QRL Geschädigten in die vorliegenden Statistiken sowie der Unterstellung einer nachvollziehbaren erheblichen Dunkelziffer und Addition verschiedener Schädigungsformen ist eine in diesem Sinne beachtliche Verfolgungsdichte nicht feststellbar.

Hinsichtlich der Einschätzung der landesweiten Verfolgungsdichte, die im Jahr 2010 auf den bislang tiefsten Stand seit 2003 mit 4028 Opfern gefallen ist,

hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

kann im Einzelnen auf die Urteile des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und - 3 A 451/08 - , dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk). Dort gab es im Jahr 2008 je 100.000 Einwohner 29 Tote (je festgestellter Vorfall 3 Tote) und im Jahr 2009 je 100.000 Einwohner 31,9 Tote (288 Tote bei 99 Vorfällen, d.h. 2,9 Tote je Vorfall). Im Jahr 2010 gab es in der Provinz bei 77 Vorfällen 91 Tote, das sind 10,1 Tote je 100.000 Einwohner und je 1,2 Tote je Vorfall.

Bezüglich des Geburtsorts des Klägers, Erbil (Sitz der Regierung der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan), sind die Zahlen noch geringer. So gab es im Jahr 2008 in der ersten Jahreshälfte 7 Tote und 4 Vorfälle, im zweiten Halbjahr wurde kein Vorfall bekannt. Somit waren dort 0,5 – 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (1,75 je dokumentierter Vorfall) zu verzeichnen. Im Jahr 2009 waren bei 28 Vorfällen 31 Tote zu beklagen (2,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,1 Toter pro Vorfall). Diese Zahl sank im Jahr 2010 auf 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (6 Tote bei 2 Vorfällen).

vgl. BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010.

Die (Gesamt-)Opferzahlen bis Mai 2011 belaufen sich, soweit bislang bekannt, auf mindestens 1033 Tote, davon waren 65 Tote in der Herkunftsprovinz Tamim (Kirkuk) des Klägers, d.h. 7,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,6 Tote je dokumentiertem Vorfall und in der Provinz seines Geburtsorts Erbil 4 Tote zu beklagen, d.h. 0,3 Tote je 100.000 Einwohner, 2 Tote pro Vorfall

vgl. hierzu BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte von Juni 2011.

Die meisten Toten und Verletzten gab es bis zu diesem Zeitpunkt im Januar/Februar 2011 bei Anschlägen auf schiitische Pilger in der Nähe von Kerbala (mindestens 45 Tote und 150 Verletzte) und Samarra (50 Tote, 80 Verletzte)

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 7.3.2011, FR und taz vom 21.1.2011, FAZ vom 21. und 25.1.2011, NZZ vom 28.1.2011 und FR vom 14.2.2011, SZ vom 14.2.2011; zu den bisherigen Gesamtopferzahlen ferner BAMF, Briefing Notes vom 17.1.2011, vom 14.3.2011, vom 4.4.2011, vom 11.4.2011, NZZ vom 12.4.2011, FAZ vom 13.4.2011, NZZ vom 18. und 19.4.2011, FAZ vom 30.4. und 6.5.2011.

In der darauffolgenden Zeit war der Juni mit 271 Todesopfern, davon 155 Zivilisten, 77 Polizisten und 39 Soldaten der Monat mit dem meisten Todesopfern im Jahr 2011, dazu waren 454 Verletzte zu verzeichnen

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 4.7.2011.

Im Juli 2011 kam es bei einem Angriff in dem überwiegend von Sunniten besiedelten Taji zu 35 Toten und 28 Verletzten, anderen Quellen nach zu noch weiteren 58 Verletzten

vgl. hierzu BAMF, Briefing Notes vom 11.7.2011.

Angesichts dieser Opferzahlen in Relation zur Gesamtbevölkerungszahl ist eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Gruppe der (kurdischen) Sunniten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aktuell Gefahr liefe, im Rückkehrfall allein wegen seiner gruppenspezifischen Merkmale einer Verfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt zu sein, klar zu verneinen.

Aufgrund der kontinuierlich rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe in den vergangenen Jahren, insbesondere ab 2008, ist auch für die absehbare Zukunft eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht zu prognostizieren. Dies belegen auch die Opferzahlen für 2011.

Ausgehend von den vorstehend dargestellten Opferzahlen kann schließlich auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Kurden, die ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung ausmacht,

vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010

eine ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende gruppenspezifische Verfolgung nicht angenommen werden.

Darüber hinaus wäre für den in Erbil/Nordirak geborenen Kläger die Möglichkeit einer zumutbaren Aufenthaltsnahme im Nordirak gegeben, aus dem seine Familie stammt. Dies gilt sowohl unter den vorgetragenen Aspekten der Zugehörigkeit zu einer ehemals baathistisch ausgerichteten Familie als auch der sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Eine Pro-baathistische Betätigung löst nach Einschätzung von EZKS

- H. Siamend - vom 22.3.2007 an VG Magdeburg zu Az. 4 A 190/04 MD und vom 24.11.2007 an VG Karlsruhe zu Az. A 3 K 10823/05

die Gefahr von Sanktionen etwa der KDP und der PUK im - kurdisch dominierten - Nordirak nur dann aus, wenn sich die betreffende Person im Zuge ihrer Betätigung für die Baath-Partei besonderer Grausamkeiten schuldig gemacht hat oder in hohen Positionen befindlichen KDP- bzw. PUK-Politikern oder deren Verwandten geschadet hat.

Derartiges steht bei dem Kläger nicht im Raum.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine Gruppenverfolgung von Sunniten und Kurden im Irak verneinen

vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2009, a.a.O., VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - und Beschluss vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10; VGH München, Beschlüsse vom 14.7.2011 - 20 B 10.30316 - und vom 5.7.2011 - 20 B 10.30312 -, jeweils im Falle eines sunnitischen Kurden aus der Region Tamim/Kirkuk sowie Urteil vom 21.1.2010 - 13a B 08.30285 - im Falle eines kurdischen Volkszugehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit aus Mossul, jeweils zitiert nach juris.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ist daher sowohl mangels individueller als auch mangels gruppenbezogener Verfolgung zu verneinen.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in Bashir, der Herkunftsstadt des Klägers in der Region Tamim (Kirkuk), oder etwa in Erbil, seinem Geburtsort, bereits die Annahme eines landesweiten oder auch nur regionalen innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte, kann vorliegend offenbleiben

ebenso offen gelassen zum Vorliegen eines landesweiten Konflikts im Irak etwa: VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30021 -, OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 - und auch OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 – sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine sunnitische Glaubenszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit als auch hinsichtlich der geltend gemachten Betätigung seines Vaters in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftigen befürchteten Schaden sowie mit dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Die von der bereits dargestellten, immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak ausgehende Gefährdung betrifft neben Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften, eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung und stellt damit eine Gefahr dar, der letztlich die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr – wie dargelegt - erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrenerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt (oder auch zufällig) selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Zwar gehört die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk) zu den instabilsten Gebieten im Irak. Jedoch sind - wie im Einzelnen im Rahmen der Prüfung einer Gruppenverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG dargelegt - insbesondere seit dem Jahr 2010 bis heute beständig rückläufige Opferzahlen zu verzeichnen.

Daher könnte selbst bei Annahme eines innerstaatlichen Konflikts in der Herkunftsregion Tamim (Kirkuk) nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die sunnitische Religions- und kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers wirkt sich bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion des Klägers ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Die Sicherheit der Gruppe der Heimkehrer hängt nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lageberichte vom 28.11.2010 und vom 11.4.2010

im Wesentlichen davon ab, ob die Ethnie bzw. Glaubensgemeinschaft, welcher sie angehören, in der betreffenden Region die Mehrheit bildet. Da Kurden mit 40 % und Sunniten mit 20% in Kirkuk/Tamim, einem ethnischen Mischgebiet, eine Hauptbevölkerungsgruppe darstellen

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, von Juni 2011 und von Januar 2010

kann bezüglich des Klägers nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad eine Gefährdung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen und/oder ethnischen Minderheit angenommen werden

zur Verfolgungs- und Gefährdungssituation i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vgl. etwa etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 - im Falle eines aus der Provinz Dohuk stammenden Kurden; VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - (implizit) im Falle eines Kurden aus Kirkuk.

Gleiches gilt, wenn man eine Rückkehr des Klägers in seine Stammregion, die Provinz Erbil, in der 95 % Kurden leben, zugrunde legt. Dort sind noch weit geringere Zahlen als für den Bereich Tamim/Kirkuk festzustellen.

Es liegen bei dem Kläger auch keine weiteren individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor. Er gehört insbesondere keiner der in den o.g. Lageberichten des Auswärtigen Amtes und weiteren Erkenntnisquellen bezeichneten gefährdeten speziellen Personengruppen an.

Dass die angebliche frühere Mitgliedschaft des Vaters des Klägers in der Baath-Partei keinen gefahrerhöhenden Umstand darstellt, wurde bereits dargelegt.

Nach allem liegt ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Regelung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift gewährt Schutz bei Gefahren, die nicht bereits vom Regelungsbereich der vorangegangenen Absätze erfasst werden. Sie betrifft nur solche Gefahren, die sich aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und ausschließlich dort drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Unerheblich ist, ob die Gefahren von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen oder wodurch sie hervorgerufen werden. Zu unterscheiden ist dabei die erhebliche konkrete Gefahr, die den Ausländer aus individuellen Gründen betrifft und die Gefahr, die - wenn auch in individualisierbarer Weise - aus allgemeinen Gefahren herrührt. Der Ausdruck „erheblich“ bezieht sich dabei auf die Gefährdungsintensität. Zusätzlich wird durch das Element der „konkreten Gefahr“ für „diesen“ Ausländer das Erfordernis einer einzelfallbezogenen und individuell bestimmten Gefährdungssituation aufgestellt

hierzu Huber, AufenthG, § 60 Rdnr. 105 m.w.N..

Die Abgrenzung zwischen einer Gefahr aus allgemeinen und einer Gefahr aus individuellen Gründen kann im Einzelfall schwierig sein. Einer Abgrenzung bedarf es hier jedoch letztlich nicht. Denn vorliegend kann weder davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland aus allein in seiner Person liegenden individuellen noch aus allgemeinen Gründen eine beachtliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen würde.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die von ihm (angeblich) befürchteten Nachstellungen und Gefährdungen seitens Verwandter seiner Mutter wegen Verletzung der Familienehre, die im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Relevanz sein können

vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.1.2006 - 1 LB 22/05 -, zitiert nach juris,

Denn diese hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG wird Bezug genommen.

Dem Kläger droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtliche Gefahr mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011,

- 3 A 429/08 – und – 3 A 451/08 -, dokumentiert bei juris,

verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011; siehe in diesem Zusammenhang auch Urteile des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 und 3 A 451/08 -.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage nicht angenommen werden.

Schließlich lässt sich im Falle des Klägers auch nicht im Hinblick auf eine Erkrankung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen. Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger auf das Vorliegen einer postraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung mit latenter Suizidalität berufen sowie darauf, dass diese bei einer Rückkehr in den Irak nicht bzw. nicht ausreichend behandelt werden könne.

Grundsätzlich kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. etwa Entscheidungen vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 - und vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris

die drohende Verschlimmerung einer Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers als konkrete erhebliche Gesundheitsgefahr ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann vorliegen, wenn die Erkrankung des Schutzsuchenden im Zielstaat der Abschiebung nicht oder nicht zureichend behandelt werden kann oder wenn die Krankheit dort zwar prinzipiell hinreichend behandelt werden kann, der Betroffene zu der verfügbaren medizinischen Behandlung aber aus finanziellen oder anderen faktischen Gründen keinen Zugang hat. Voraussetzung ist jedoch, dass die fehlende Behandlungsmöglichkeit zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, d.h. eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Davon ist auszugehen, wenn sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine derartige erhebliche und konkrete Gefahr ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Nur ausnahmsweise ist sie als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG mit der entsprechenden Sperrwirkung zu qualifizieren, namentlich bei Aidserkrankungen (in afrikanischen Ländern)

vgl. hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 23.7.2007 - 10 B 85/07 -, vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 - und vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, jeweils zitiert nach juris.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, a.a.O.

- ebenfalls im Falle eines irakischen Staatsangehörigen - klargestellt, dass die unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mit der Begründung verneint werden kann, der Schutzsuchende sei von einer schlechten medizinischen Versorgung in seinem Herkunftsland gleichermaßen wie alle anderen Bewohner, die an der gleichen Erkrankung leiden, betroffen. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 (damals Satz 2) AufenthG greift vielmehr nur bei einer großen Anzahl potenziell Betroffener und einem Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung ein. Dies ist hier nicht anzunehmen.

Jedoch kann unter Zugrundelegung der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Würdigung seines Sachvortrags, auch seiner aktuellen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle des Klägers eine auf Tatsachen gestützte beachtliche Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer erheblichen individuellen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen gegeben ist.

Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Krankheit, mit deren wesentlicher Verschlimmerung im Zielland der Abschiebung zu rechnen wäre. Sie begründen auch keine Pflicht zu weiterer gerichtlicher Sachaufklärung.

Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Vorlage von Attesten und deren Beurteilung durch die Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. Beschlüsse vom 29.4.2005 - BVerwG 1 B 119.04 - und Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris,

dass diese in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess zwar regelmäßig Anlass zu weiterer Sachaufklärung geben, da eine Pflicht der Beteiligten zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO, ebenso wie eine Beweisführungspflicht regelmäßig zu verneinen ist.

Jedoch ist regelmäßig zu fordern, dass das vorgelegte fachärztliche Attest gewissen Mindestanforderungen genügt. Dies gilt mit Rücksicht auf dessen Unschärfen und vielfältige Symptome insbesondere bezogen auf das Krankheitsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Aus dem fachärztlichen Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.2.1995 - BVerwG 1 B 205.93 -.

Werden Atteste vorgelegt, die den vorbeschriebenen Anforderungen genügen, ist grundsätzlich eine eigene medizinische Sachkunde des Gerichts, insbesondere zu einer abweichenden Bewertung von Schwere und Ausmaß der attestierten Erkrankung, zu verneinen und darf die Gefahr der möglichen Verschlimmerung der Erkrankung des Betroffenen bei Rückkehr in sein Heimatland oder Herkunftsgebiet nicht ohne weitere gerichtliche Aufklärung verneint werden. Diese hat, auch ohne dass es eines förmlichen Beweisantrages des Betroffenen bedarf, grundsätzlich in Form der Einholung fachärztlicher Gutachten oder Stellungnahmen zu erfolgen

vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, jeweils zitiert nach juris..

Vorliegend hat der Kläger indes kein Attest über das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorgelegt, das diesen Anforderungen entspricht. Die vorgelegten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 werden den dargelegten Standards nicht gerecht. Die ärztliche Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 und das Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 beschreiben schon nicht das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

In seinem ersten Schreiben vom 5.10.2009 führt der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. zunächst aus, die Kriegsereignisse im Irak hätten in einem katastrophalen Ausmaß zur Instabilität des Landes sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich geführt. Rivalisierende ethnische und religiöse Minderheiten hätten das Chaos genutzt um alte Rechnungen zu begleichen. Es sei zu einem regelrechten Gemetzel innerhalb dieser Gruppierungen gekommen, der Kläger und sein Schicksal belegten dies. Weiter heißt es u.a.: „Der junge Patient ist Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen. Herr Saleh ist hochgradig traumatisiert und ist allein aus dieser Indikation dringend behandlungsbedürftig.“ In seinem zweiten Schreiben vom 4.1.2010 führt er aus, die Diagnose sei „auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik nach dem Schlüssel ICD-10 gestellt“ und „die Kriterien, die zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung führen“ seien allesamt erfüllt. Es verstehe „sich von selbst, dass das Trauma sehr wohl in seinem Heimatland stattgefunden hat und die posttraumatischen Krankheitsfolgeerscheinungen erst 3 bis 6 Monate nach dem Trauma in Erscheinung treten“ könnten. Schließlich führt er in seinem letzten Schreiben vom 4.7.2011 nochmals aus, die Diagnose sei auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik gestellt worden. „Die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Migranten hänge natürlich sehr davon ab“, ob man „über die soziopolitischen Begebenheiten des Ursprungslandes der Betroffenen Bescheid“ wisse. Für seine Person gebe es keinen Grund, an den Aussagen des Klägers, wie sie sich aus seiner ärztlichen Bescheinigung vom 5.10.2009 ergäben, zu zweifeln.

Hiernach hat der Facharzt M. seiner Diagnose offenkundig einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, als der Kläger selbst ihn im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren geschildert hat. Nach dessen eigenem Vortrag ist er nämlich selbst nicht „Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen“. Vielmehr ist danach (nur) ein Familienmitglied getötet worden, war er selbst nicht Zeuge der Tat und hat er sein Heimatland auch nicht fluchtartig aus Todesangst verlassen, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand, nach entsprechender Planung und Organisation durch die Familie. Einen Sachverhalt, wie ihn der Arzt zugrunde gelegt hat, hat der Kläger im vorliegenden Verfahren auch nach Vorlage der genannten ärztlichen Bescheinigungen zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu seinen Asylgründen gab er nichts hiervon Abweichendes an. Da der Kläger auf weitere Nachfrage auch bekundete, sich mit dem Psychiater iranischer Herkunft in einer dem Kurdischen ähnlichen Dialekt sprachlich gut verständigt zu haben, scheiden Sprachschwierigkeiten zur Erklärung oder Auflösung dieses eklatanten Widerspruches aus.

Ging der Facharzt bei seiner Diagnose danach schon nicht von einem – gemessen am Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren – zutreffenden Sachverhalt aus, so kann seiner Diagnose schon deshalb nicht gefolgt werden. Mit anderen Worten: Hat das vom Arzt angenommene traumatische Erlebnis im Heimatland nicht stattgefunden, so kann sich daraus auch keine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben. Es kommt deshalb daneben nicht mehr entscheidend darauf an, dass die genannten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 zudem in medizinischer Hinsicht wenig aussagekräftig erscheinen, da sie überwiegend nur pauschale Angaben enthalten, nicht aber eine - auf der Basis einer Einzelexploration mit Anamnese und Befunderhebung - nachvollziehbare fachärztliche Diagnose.

Aus der Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 19.11.- 26.11.2009 lässt sich das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon nicht entnehmen. Zwar ist eine schwere depressive Episode (ICD-10.F 32.2) bei Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10. -F 42.1) und eine latente Suizidalität des Klägers beschrieben sowie auf einen während des Krankenhausaufenthalts erfolgten Suizidversuch (mit oberflächlichen Wunden am Handgelenk) hingewiesen.

Der „Verdacht“ auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch erkennbar nicht verifiziert worden. Vielmehr war das Behandlungsziel offenbar die Beseitigung einer damals akuten Suizidalität. Auch im Berichtteil der Bescheinigung vom 30.11.2009 betreffend „Therapie und Verlauf“ heißt es zur „psychotherapeutischen Begleitung und Stützung“ allein, dass Thema „die aktuell belastende Lebenssituation“ gewesen sei. Anhaltspunkte für die Thematisierung eines im Heimatland erlebten Traumas des Klägers, die das zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis einer „Retraumatisierung“ im Rückkehrfall begründen könnten, lassen sich der o.g. Bescheinigung nicht entnehmen. Zudem erfolgte die Entlassung im November 2009 in „ausreichend stabilisierten, affektiv ausgeglichenerem Zustand“ mit einer antidepressiven Medikation.

Auch dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 lässt sich lediglich entnehmen, dass nach deren Einschätzung bei dem Kläger derzeit eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vorliegt, die durch eine medikamentöse Therapie in niedriger Dosierung behandelt werden kann. Weder vom Vorliegen noch von einem Verdacht auf Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers ist die Rede.

Auf eine solche kann aktuell auch nicht auf Grundlage des Vortrages des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossen werden. Nach seinen eigenen Aussagen ist der Kläger ein instabiler Mensch, der keine Ruhe findet und Schlafstörungen hat. Andere gravierende körperliche Auswirkungen als Folge seiner Unruhe und Nervosität hat der Kläger nicht beschrieben.

Von dem Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann daher nicht ausgegangen werden.

Auch Anhaltspunkte für eine sonstige schwerwiegende psychische Erkrankung oder für eine latente Suizidalität des Klägers, die u. U. eine zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen könnten, liegen danach nicht vor.

Zwar spricht auch das Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 4.1.2010 eine Suizidalität des Klägers an und führt aus, er sei hochgradig gefährdet, soweit es seine suizidalen Tendenzen anbelange, weil er sich permanent verfolgt fühle und in einer dauerhaften Angst lebe. Einen nachvollziehbaren konkreten Hintergrund für diese Einschätzung, insbesondere Tatsachen jenseits der nicht mit dem Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren übereinstimmenden angeblichen Traumatisierung in seinem Heimatland, benennt das Schreiben jedoch ebenso wenig wie die weiteren Schreiben vom 5.10.2009 und 4.7.2011. In dem Schreiben vom 4.7.2011 ist von einer Suizidalität des Klägers nicht mehr die Rede. Vielmehr wird festgestellt, dass der Kläger durch die bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie Medikamenteneinnahme bis zum Behandlungsende am 20.4.2011 eine durchaus positive Entwicklung durchlaufen habe, insbesondere seine Ängste schrittweise abzubauen und mit einer Minimaldosierung des Medikamentes auszukommen vermocht habe. Für die Annahme einer aktuellen Suizidalität oder der drohenden wesentlichen Verschlimmerung einer vorhandenen schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Klägers nach Rückkehr in das Herkunftsland lässt sich hieraus nichts gewinnen. Gleiches gilt für das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der den Kläger derzeit behandelnden Ärztin Dr. W. vom 15.9.2011.

Schließlich sprechen auch die eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen mit Gewicht dagegen, dass von dem Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung oder - latenten - Suizidalität oder auch nur von einem ernstzunehmenden Verdacht auf Derartiges auszugehen wäre.

Der Kläger hat auf ausdrückliches Befragen des Senats zu seiner ärztlichen Behandlung und zu seinem Befinden erklärt, der zuvor behandelnde Arzt M., der im April 2011 seine kassenärztlichen Zulassung zurückgegeben habe, habe ihm nach Beendigung der dortigen Behandlung auf spätere telefonische Nachfrage Rezepte ausgestellt und ihm den Versuch angeraten, auch gänzlich ohne das eingesetzte Medikament (Citalopram) auszukommen und „ruhiger“ zu werden. Man habe dann die Dosis von 40 mg auf 20 mg und schließlich auf 10 mg verringert. Da er bei der Dosis von 10 mg keine Ruhe gefunden habe, habe er Dr. W. aufgesucht. Mit dieser könne er sich auf Deutsch verständigen. Unter deren Behandlung nehme er derzeit täglich 20 mg Citalopram sowie bei Bedarf eine Schlaftablette (Zolpidem), weitere Medikamente nehme er nicht. Schwerwiegende Störungen oder noch bestehende Selbstmordgedanken hat der Kläger nicht beschrieben, sondern lediglich - wie dargelegt - eine allgemeine Instabilität, Unruhe und gelegentliche Schlafstörungen, die er nach Behandlungsabbruch im April 2011 auch ohne ärztliche Behandlung allein durch Einnahme von Citalopram sowie bei Bedarf gelegentlich von Zolpidem hat bewältigen können. In der immerhin vier Monate währenden Zeit zwischen dem Behandlungsende bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. am 20.4.2011 und dem Aufsuchen der Fachärztin Dr. W. am 25.8.2011 ist danach offenkundig keine relevante Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands des Klägers eingetreten. Greifbare und nachhaltige Hinweise auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich bei Rückkehr in sein Heimatland aufgrund fehlender bzw. unzureichender ärztlicher und medikamentöser Versorgung wesentlich verschlimmern könnte, liegen danach aktuell nicht vor. Derartiges ist auf Grundlage der dargestellten Erkenntnisse auch nicht zu prognostizieren.

Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Krankheitssymptome, wegen derer der Kläger sich derzeit in ärztlicher Behandlung befindet, auch im Rückkehrfall behandelt werden können und eine wesentliche Verschlimmerung seines Krankheitsbildes im Sinne einer konkreten Gesundheitsgefahr von erheblicher Intensität nicht zu befürchten ist.

Zwar ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen

vgl. hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010: Die Behandlung von PTSD in Erbil vom 10.3.2010, ferner Bericht vom 10.7.2007: Die sozioökonomische Situation in den von der KRG verwalteten Provinzen; GIGA an VG Düsseldorf vom 10.5.2007 zu Az.: 16 K 5213/06.A -; DOI an VG Saarlouis vom 6.3.2006 zu Az.: 2 K 1/06.A; EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 -,

die inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmen, die Versorgungslage im Irak in medizinischer Hinsicht trotz einer tendenziell anzunehmenden Verbesserung

hierzu insbesondere SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010 unter Berufung auf einen Bericht der WHO

nach wie vor angespannt.

Grundsätzlich kann sich zwar jeder Iraker überall im Land in öffentlichen Krankenhäusern kostenfrei behandeln lassen, wobei Unterschiede zwischen dem Zentralirak und dem kurdisch verwalteten Norden nicht bestehen. De facto existiert aber nach den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen im Irak eine Zwei-Klassen-Medizin. Die öffentlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet und leiden vor allem an einem Mangel an Medikamenten und technischem Gerät. Medikamente sind danach zumeist nur theoretisch kostenfrei und müssen meistens zu hohen Preisen privat in Apotheken gekauft werden. Psychische Krankheiten werden häufig nur medikamentös behandelt

hierzu etwa EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 u.a., Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010.

Dennoch ist nach Auskunftslage

vgl. etwa Botschaft BRD an VG Ansbach vom 20.5.2010 zu Az.: AN 9 K 09.30128

etwa eine depressive Anpassungsstörung oder depressive Episode in Mossul prinzipiell behandelbar. Die Kosten hierfür hängen von Art und Dauer der Behandlung ab und können daher - auch infolge fehlender ärztlicher Gebührenordnung - nicht allgemein und pauschal abgeschätzt werden.

Nach der

Auskunft des (Vertrauensarztes des) Generalkonsulats Erbil vom 29.4.2010 an VG Bayreuth zu Az.: B 3 K 30045

gibt es auch in Erbil, in anderen Teilen Kurdistans ebenso wie im Gesamtirak eine erhebliche Anzahl von Nervenärzten, die an Depressionen leidende Patienten gut behandeln können. Psychopharmaka sind danach vorhanden und preisgünstig, die ärztliche Beratung kann nach dieser Quelle in staatlichen Krankenhäusern kostenlos erfolgen sowie in privaten Praxen für ca. 10 EUR.

Zwar gibt es über die Verfügbarkeit des von dem Kläger derzeit zur Bekämpfung seiner Unruhezustände eingenommenen Medikaments Citalopram im Irak nach Ansicht des EZKS aus dem Jahr 2006

vgl. EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006, a.a.O.

widersprüchliche Aussagen verschiedener befragter Ärzte und kann nach dessen Einschätzung jedenfalls nicht von einem regelmäßigen und kostenfreien Bezug des Medikaments ausgegangen werden.

Ausgehend von den vorgenannten aktuellen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2010 lassen sich jedoch derartige Einschränkungen bei der allgemeinen Verfügbarkeit von vergleichbaren Medikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie der zuletzt bei dem Kläger diagnostizierten „depressiven Störung“ nicht feststellen. Hieraus ist zu folgern, dass zumindest die zur Behandlung „einfacher“ psychischer Erkrankungen, wie einer depressiven Störung, erforderlichen Medikamente ebenso wie hierzu ergänzende Schlafmittel dem Kläger im Irak grundsätzlich zur Verfügung stehen oder beschafft werden können.

Da die Familie des Klägers nach dessen eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung wirtschaftlich nach wie vor gut gestellt ist, ist eine für ihn konkret erforderliche ärztliche Behandlung und Medikation in seinem Heimatland in vergleichbaren Intervallen wie in der Bundesrepublik Deutschland auch tatsächlich erreichbar.

Eine weitere Sachaufklärung, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Thema der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers sowie einer möglichen medizinischen Versorgung in seinem Heimatland drängte sich nach alledem – ungeachtet des Umstandes, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen förmlichen Beweisantrag hierzu nicht gestellt hat – nicht auf.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer Gesundheitsgefährdung erheblichen Ausmaßes kann hiernach ebenfalls nicht angenommen werden.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.


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Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am ... 1993 nach eigenen Angaben in ..., Provinz ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, hazarischer Volkszugehörigkeit und schiitischen Glaubens. Nachdem der Vater des Klägers 2002 verschollen war, lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei jüngeren Brüdern bei einem Onkel väterlicherseits und dessen Familie in der Provinz ... Der Kläger besuchte bis zur 4. Klasse in Afghanistan die Schule. Im Jahr 2010 verließ der Kläger nach seinen Angaben Afghanistan, verbrachte zunächst neun Monate im Iran und reiste von dort aus auf dem Landweg am ... Februar 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am ... März 2011 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Am ... April 2011 fand seine Anhörung gemäß § 25 AsylVfG vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) statt. Als Verfolgungsschicksal führte der Kläger insbesondere aus, dass sein Onkel väterlicherseits ihn sehr schlecht behandelt habe. Der Kläger habe die Schule nicht mehr besuchen dürfen und habe in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Von dem Einkommen habe jedoch nur sein Onkel profitiert. Dieser habe ihn oft geschlagen und übel zugerichtet. Der Onkel habe ihn getreten und mit Fäusten und Stöcken geschlagen. Zweimal habe sein Onkel ihn auch aus der Wohnung geschmissen und er habe nur wegen der familiären Beziehungen wieder nach Hause kommen dürfen. Sein ganzes Leben sei kläglich und schlimm gewesen. Wegen der Familienehre habe er auch nicht bei einem anderen Onkel mütterlicherseits leben können. Auch seinen Geschwistern habe der Onkel verboten zur Schule zu gehen. Sein Onkel habe öfters mit seinem Vater gestritten. In dem Streit sei es um eine Grundstücksteilung und um ein Fahrzeug gegangen. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.

Mit Bescheid vom ... Mai 2011 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids) und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (Nr. 3 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 4 des Bescheids). Auf den Inhalt des Bescheids wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.

Am 30. Mai 2011 erhob der Kläger zur Niederschrift Klage und beantragte:

1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Mai 2011, Gz.: ..., zugestellt am ... Mai 2011, wird aufgehoben.

2. die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen.

3. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen - hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2011 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom ... Juni 2011 bestellte sich der Bevollmächtigte des Klägers und begründete die Klage insbesondere damit, dass der Kläger Volkszugehöriger der Hazara sei, gegen die es in den letzten Monaten wieder zu erheblichen ethnischen motivierten Übergriffen gekommen sei. Des Weiteren liege auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor, da in der Provinz... ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliege. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit, sei gegeben. Für jeden Rückkehrer in die Provinz ... müsse eine individuelle Gefahr gesehen werden.

Durch Beschluss der Kammer vom 15. Mai 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 2. April 2014 verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG. Auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG oder die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans besteht kein Anspruch. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher abzuweisen.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. (neuere) Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert ohne inhaltliche Änderung bezüglich der Zuerkennungsvoraussetzungen internationalen Schutzes (vgl. Begründung Gesetzentwurf BTDrs 17/13063), so dass insoweit auf die zur bisherigen Rechtslage ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.

Das Gericht legt die Anträge des Klägers im Hinblick auf die neue Rechtslage gemäß § 88 VwGO dahin aus, dass der Kläger neben seiner Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG die hilfsweise Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylVfG sowie - wiederum hilfsweise - zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG begehrt.

Hinsichtlich der Ablehnung der beantragten Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG, da er sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslands befindet. Dem Kläger droht keine Verfolgung in diesem Sinne. Die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Zwar sind die Hazara als ethnische Minderheit in Afghanistan weiterhin einem gewissen Grad an Diskriminierung ausgesetzt, das Gericht folgt insoweit jedoch der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der davon ausgeht, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (zuletzt BayVGH, B. v. 21.6.2013 - 13 A ZB 12.30416; BayVGH U. v. 3.7.2012 - 13 AB 11.30064 - jeweils juris). Auch wurde weder vorgetragen noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Konflikte des Klägers mit seinem Onkel auf der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung des Klägers beruhen würden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG. Nach § 4 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 3 AufenthG a. F.), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.

Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG, hat der Kläger weder geltend gemacht, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor.

Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Der Kläger muss die Umstände und Tatsachen, die für die von ihm befürchtete Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung maßgeblich sind, von sich aus konkret, in sich stimmig und erschöpfend vortragen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU, § 25 Abs. 2 AsylVfG). Ihn trifft insoweit eine Darlegungslast (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 762).

Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG - der Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU umsetzt, der die sich an Art. 3 EMRK orientierende Formulierung des Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG übernommen hat - ist demnach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK zu interpretieren (vgl. zur alten Rechtslage BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 22 ff - juris). Demnach muss die Gefahr regelmäßig durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen, nur in sehr ungewöhnlichen Fällen (vgl. hierzu auch BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - Rn. 25 - juris) können auch Rechtsverletzungen durch beliebige private Dritte - wie hier den Onkel des Klägers -in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK fallen (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 38/96 - Rn. 16 - juris). Andernfalls würde der Kreis der potentiellen Verfolger und der Schutzbereich nach Art. 3 EMRK grenzenlos. Ein solch ungewöhnlicher Fall liegt bei dem Kläger nicht vor.

Darüberhinaus droht deht dem Kläger keine Folter im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).

Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.4.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Die Übergriffe und körperlichen Züchtigungen des Onkels des Klägers stellen zwar ein erhebliches Übel für den Kläger dar, durch sie werden jedoch nicht besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwieweit der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan von solchen Übergriffen weiterhin bedroht wird. Zwar führte der Kläger bei der informatorischen Anhörung vor Gericht aus, dass es bei einer Rückkehr nach Afghanistan sicherlich mit seinem Onkel Probleme, Streit und Schlägereien gäbe und er nicht wisse, was dann passiere. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass der volljährige Kläger - der zwischenzeitlich nicht mehr auf eine In-Obhutnahme durch seinen Onkel angewiesen ist - weiterhin solchen Übergriffen durch seinen Onkel ausgesetzt wäre.

Im Fall des Klägers ist auch nicht davon auszugehen, dass er als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG. Bei der diesbezüglichen Prüfung bleibt die zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. ergangene Rechtsprechung maßgeblich. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (10 C 43/07 - BVerwGE 131, 198) diente das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr Art. 15 Buchst. c. Richtlinie 2011/95/EU). § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. setzte - wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2004/83/EG - einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben“ des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. (nunmehr „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit“, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG) war zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hatte, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. darstellte. Bezüglich der Gefahrendichte ist auch weiterhin auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188; U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris). Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt allerdings nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Dies ergab sich unter anderem aus dem 26. Erwägungsgrund der früheren Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU), nach dem Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Ausgeschlossen wird eine solche Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe allerdings nicht, was schon durch die im genannten Erwägungsgrund gewählte Formulierung „normalerweise“ deutlich wird. Eine Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - zum Beispiel als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer er als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - NVwZ 2012, 454; U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 360). Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind - etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage - können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden. Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllt sind, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U. v. 21.4.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger in seiner Heimatprovinz ... - das Vorliegen einer allgemeinen Gefahr aufgrund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unterstellt - als Angehöriger der Zivilbevölkerung keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit ausgesetzt. Die für eine Vielzahl von Zivilpersonen aus dem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt entstehende allgemeine Gefahr verdichtet sich in der Provinz ... für den Kläger nicht so, dass sie für ihn eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellen würde. Eine Individualisierung ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers, auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger der Volksgruppe der Hazara angehört und schiitischen Glaubens ist. Eine Individualisierung tritt vorliegend auch nicht ausnahmsweise durch eine außergewöhnliche Situation in der Herkunftsprovinz des Klägers, ..., ein, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 - BVerwGE 136, 377). Nach der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits kann für die Provinz ... eine entsprechende Gefahrenverdichtung nicht angenommen werden. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. geht das Gericht davon aus, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Provinz ... nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt sind (vgl. zuletzt BayVGH, BayVGH, B. v. 5.2.14 - 13a ZB 13.30224 - juris). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich die Gefahrenlage in der Provinz ... seitdem in einer Weise verändert haben sollte, dass für den Kläger von einer ernsthaften individuellen Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgegangen werden müsste.

Auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist im Fall des Klägers nicht festzustellen. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK - BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht (vgl. BVerwG, U. v. 11.11.1997 - 9 C 13/96 - BVerwGE 105, 322). In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. - juris). Anhaltspunkte für eine davon abweichende Konstellation liegen nicht vor.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt in der Person des Klägers ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG sind individuelle Gefahren, also solche Gefahren, die nur dem Ausländer drohen. Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine erhebliche konkrete individuelle Gefahr bei seiner Rückkehr droht (siehe oben).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG kann zwar grundsätzlich auch in einer unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht, begründet sein. Dies stellt jedoch eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dar, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden kann, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C 3.2). Damit ist nicht ausgeschlossen, dass nach der derzeitigen Erlasslage der Kläger abgeschoben werden können. Einen anderweitigen Schutz vor Abschiebung hat der Kläger nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. u. a. B. v. 8.4.2002 - 1 B 71/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 59). Nur dann gebieten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG - als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards -, jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren. Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60/06 u. a. - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht ausnahmsweise derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür geforderten Voraussetzungen sind in Bezug auf den Kläger nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Auch müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - NVwZ 2011, 48).

In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige wie den Kläger in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt (zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a ZB 13.30393 - juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen in Kabul, wohin der Kläger im Fall einer zwangsweisen Rückführung abgeschoben würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Juni 2013, S. 19; so auch die Auskunft des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 28.9.2011 in der Verwaltungsstreitsache M 23 K 11.30105, wonach eine Abschiebung ausschließlich nach Kabul erfolgen würde) wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch individuelle Gründe, warum der volljährige, arbeitsfähige und gesunde Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit doch alsbald nach seiner Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung nach Afghanistan verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger befindet sich derzeit in einer Ausbildung zum Hotelfachmann und ist sowohl durch diese Ausbildung als auch seine Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger im Fall einer zwangsweisen Abschiebung auf dem Arbeitsmarkt nicht als vollkommen chancenlos anzusehen ist und in der Lage wäre, wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, um damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Inwieweit dem Kläger daneben weiterhin ein aufnahmebereiter Familienverband zur Verfügung steht, musste daher nicht geklärt werden.

Auch gegen die auf § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen keine Bedenken. Die von der Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt das Gericht in Übereinstimmung mit § 38 AsylVfG dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U. v. 14.5.13 - 1 C 13/12 - juris).

Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

Tenor

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 22. März 2012 verpflichtet, der Klägerin den Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens, für das keine Gerichtsgebühren erhoben werden, trägt die Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.