Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 13. Dez. 2012 - 9 A 251/11


Gericht
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um den (teilweisen) Erlass von Anschlussbeiträgen.
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Die Gemeinschuldnerin ist seit dem 23.06.2009 Eigentümerin von im Grundbuch von C-Stadt unter der laufenden Nummer 3 eingetragenen Grundstücken in C-Stadt, D.-Straße 1 (ehemals: Flur …, Flurstück 29 sowie Flur 39, Flurstück 418; nunmehr: Flur …, Flurstücke 425, 426 und 427) in einer Gesamtgröße von 167.031 m². Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Diese erwarb sie im Jahre 2008 von der Bundesrepublik Deutschland zu einem Kaufpreis von 2,10 €/m² mit der Absicht, auf den Grundstücken ein Unternehmen für die Glasproduktion zu errichten. In der Zeit ab 2008 investierte die Gemeinschuldnerin in das Unternehmen ca. 50 Mill. Euro, wobei der Fördermittelanteil unterschiedlicher Körperschaften ca. 50 % betrug. Auch der übrige Teil der Investitionen wurde über Drittmittel finanziert. Neben den Kosten für den Grunderwerb berücksichtigte sie dabei keinerlei Kosten für Erschließungsleistungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung.
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In einer Besprechung am 19.03.2010 setzte der Beklagte die Gemeinschuldnerin darüber in Kenntnis, dass aller Voraussicht nach aufgrund der beabsichtigten Neufassung der Abgabensatzungen auf sie ein Anschlussbeitrag für die Schmutzwasserentsorgung sowie Trinkwasserversorgung i. H. v. ca. 2 Mill. Euro zukomme. Unter dem 11.10.2010 stellte die Gemeinschuldnerin daraufhin bei dem Beklagten einen Antrag auf Erlass/Teilerlass der zu erwartenden Beiträge. Denn vor dem Hintergrund von Anlaufschwierigkeiten in der Produktion würden Betriebsmittel i. H. v. ca. 3,2 Mill. Euro (ohne Beiträge) benötigt, die zu 60 % über eine Landesbürgschaft abgesichert werden sollten, was der Bürgschaftsausschuss des Landes Sachsen-Anhalt jedoch wegen der drohenden Beiträge abgelehnt habe. Mit Bescheid vom 29.10.2010 lehnte der Beklagte die von der Verbandsversammlung am 27.10.2010 beschlossene Versagung des beantragten Erlasses/Teilerlasses ab.
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Mit Bescheiden vom 11.11.2010 setzte der Beklagte auf der Grundlage seiner Abgabensatzungen vom 29.09.2010 gegenüber der Gemeinschuldnerin für die oben angeführten Grundstücke Schmutzwasserbeiträge i. H. v. 987.938,00 € bzw. 181.279,00 € sowie Trinkwasserbeiträge i. H. v. 264.373,42 € bzw. 48.492,13 €, insgesamt mithin i. H. v. 1.481.982,55 € fest. Dabei legte er neben der jeweiligen Gesamtfläche des Grundstücks eine dreigeschossige Bebaubarkeit sowie den in den Beitragssatzungen festgelegten Satz von 10,00 €/ m² (Schmutzwasser) bzw. 2,50 €/m² (Trinkwasser) zugrunde. Gegen diese Bescheide legte die Gemeinschuldnerin mit Schreiben vom 09.12.2010 jeweils Widerspruch ein, der nunmehr zurückgenommen wurde.
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Mit Schreiben vom 15. November 2010 stellte die Gemeinschuldnerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Stundung der Anschlussbeiträge. Zur Begründung führte sie aus, entgegen der noch dem Erlassantrag vom 11.10.2010 zugrunde liegenden Auffassung, bei vollständiger Aktivierung der Beiträge werde die beihilferechtliche 50 Millionen-Euro-Grenze für Investitionsvorhaben kleiner und mittelständischer Unternehmen überschritten, sei nunmehr davon aufgrund von Auskünften aus der Landesverwaltung und verschiedener Wirtschaftsprüfungsunternehmen nicht mehr auszugehen.
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Mit Bescheid vom 02. Dezember 2010 erließ der Beklagte folgenden
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Stundungs- und Festsetzungsbescheid:
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„1. Der Gesamtbetrag der Beiträge i. H. v. 1.481.982,55 € wird für den Zeitraum vom 11.12.2010 bis 14.01.2011 gestundet. Der nach Abzug des zu zahlenden Umsatzsteueranteils von aufgerundet 20.500,00 € verbleibende Betrag von 1.461.482,55 € wird vom 15.01.2011 bis 20.12.2012 gestundet. Sodann erfolgen monatliche Zahlungen i. H. v.
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a) entweder 24.350,00 € beginnend ab 21.12.2010 sofern eine Bürgschaft entsprechend Ziffer 4. beigebracht wird. Die Schlussrate beträgt zum 21.12.2017 danach 482,55 €,
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b) oder 63.550,00 €, sofern keine Bürgschaft entsprechend Ziff. 4. beigebracht wird. Die Schlussrate beträgt zum 21.10.2014 63.382,55 €.
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Der nach den einzelnen gezahlten Raten verbleibende Restbetrag wird jeweils gestundet. Auf die beigefügten Anlagen, aus denen sich die jeweiligen Zahlungstermine und Raten ergeben, wird verwiesen. Sie sind Bestandteil dieses Bescheides.“
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Unter dem 22.02.2011 beantragte die Gemeinschuldnerin die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht S.: Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Herr Rechtsanwalt Dr. A. eingesetzt.
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Der vorläufige Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin beantragte mit Schreiben vom 12.04.2011 den Erlass von Anschlussbeiträgen, soweit insgesamt ein Betrag von mehr als 800.000,00 € verlangt wird. Zur Begründung führte er aus, zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung habe im Bereich Abwasser eine entsprechende Satzungsregelung zur Kappung sämtlicher Grundstücke im Verbandsgebiet bestanden. Aus diesem Grunde müsse sich der Beklagte vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes sein offensichtlich rechtswidriges Satzungsrecht entgegenhalten lassen. Die Investoren seien keine Experten im öffentlichen Abgabenrecht. Sie hätten sich mithin auf die Kappung der Grundstücksfläche verlassen können. Darüber hinaus sei die Höhe der Beiträge auch mitursächlich für die Insolvenz der Gemeinschuldnerin gewesen. Es bestehe auch deshalb ein Anspruch auf Erlass, weil nur sehr wenig Trinkwasser aus dem öffentlichen Netz entnommen werde und demzufolge auch sehr wenig Abwasser anfalle.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts S. vom 01.05.2011 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet worden. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt.
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Mit hier streitigem Bescheid vom 2. Mai 2011 lehnte der Beklagte den beantragten Teilerlass ab. Zur Begründung führte er aus, weder persönliche noch sachliche Billigkeitsgründe lägen vor. So seien einerseits die geltend gemachten Beiträge nicht mitursächlich für die Insolvenz der Gemeinschuldnerin gewesen. Denn wie sich aus ihren eigenen Einlassungen ergebe, habe sich bereits infolge der Erhöhung der Investitions- und Produktionskosten ein Mittelbedarf ergeben, der nicht mehr habe gedeckt werden können. Andererseits ergebe sich ein Erlass aber auch nicht wegen der geringen tatsächlichen Inanspruchnahme von Leistungen aus den öffentlichen Einrichtungen. Denn der Sinn und Zweck eines Beitrages werde nicht durch die tatsächliche Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung gerechtfertigt. Die Gedanken des Vertrauensschutzes würden in Bezug auf die Wasserabgabensatzung bereits nicht beachtlich sein. Denn diese enthielt weder für Wohngrundstücke noch für gewerbliche Grundstücke eine Regelung zur Grundstückskappung. Soweit die Abgabensatzung im Schmutzwasserbereich eine solche enthalten habe, habe die Gemeinschuldnerin darauf jedoch nicht vertrauen dürfen, zumal sie beim Verband keinerlei Erkundigungen eingeholt und für die Erschließung des Grundstücks außer einem Baukostenzuschuss für die Erdgasversorgung keinerlei Kosten kalkuliert habe.
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Den dagegen mit Schreiben vom 16.05.2011 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2011 als unbegründet zurück.
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Sowohl die o. a. Grundstücke als auch das Unternehmen veräußerte die Gemeinschuldnerin mit Vertrag vom 12.05.2011 an die H. GmbH. Ausweislich Ziffer III. des Kaufvertrages beträgt der Gesamtkaufpreis 38.400.000,00 Euro, wovon 370.000,00 Euro auf den Grund und Boden sowie 4.630.000,00 Euro auf die Gebäude entfallen sollen.
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Mit Vereinbarung vom 27. Mai 2011 löste der Kläger durch Zahlung eines Betrages i. H. v. 1.481.982,55 € das den Beklagten aus den Beitragsforderungen zustehende Aussonderungsrecht nach §§ 10 Abs. 1 Ziff. 2 ZVG, 6 Abs. 9 KAG LSA i. V. m. 49 InsO ab. Die an der Vereinbarung beteiligten waren sich ausweislich des Inhalts der Vereinbarung darüber einig, dass mit der Zahlung die Ansprüche des Verbandes gegenüber der Gemeinschuldnerin aus dem Beitragsschuldverhältnis gem. §§ 47, 224 AO erlöschen; gleiches treffe für die öffentliche Last zu.
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Am 30. September 2011 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Erlassbegehren weiterverfolgt. Zur Begründung beruft er sich auf die bereits im Antrags- und Widerspruchsverfahren angeführten Erlassgründe.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 02. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Antrag vom 12. April 2011 auf Teilerlass für Trink- und Schmutzwasser zu entsprechen, soweit jeweils Herstellungsbeiträge von mehr als 53 % Euro verlangt worden sind,
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hilfsweise,
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den Bescheid vom 02. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag vom 12. April 2011 erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Verteidigung seines ablehnenden Erlassantrages macht er geltend, dem Kläger fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da über den Teilerlassantrag der Gemeinschuldnerin bereits mit Bescheid vom 29.10.2010 bestandskräftig entschieden worden sei. Zudem ergebe sich die Unzulässigkeit der Klage aus dem Umstand, dass der Kläger die veranlagten Grundstücke unter Einberechnung der Beitragsforderungen an die H. GmbH veräußert und aus dem Verkaufserlös die Beitragsforderung im Ergebnis zum Erlöschen gebracht habe, indem er in Höhe des Beitrages das aus der öffentlichen Last resultierende Absonderungsrecht abgelöst habe. Dem Erlassbegehren stehe zudem entgegen, dass die Gemeinschuldnerin nicht mehr Eigentümerin der Grundstücke sei, für die die Beiträge festgesetzt worden seien und nunmehr ihr Erlass begehrt werde.
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Die Klage sei zudem mit dem geltend gemachten Haupt- und Nebenanspruch unbegründet. Ein Erlass könne bereits deshalb nicht gewährt werden, weil ansonsten die mit der Beitragserhebung einhergehende Wertung des Gesetzgebers, nämlich dass mit steigender baulicher Ausnutzbarkeit eines Grundstücks der Vorteil und damit auch der Beitrag steige, konterkariert werde. Dass auf dem Grundstück derzeit lediglich in einem geringen Umfange Wasser bezogen und Abwasser entsorgt werde, sei sowohl für die Beitragserhebung als auch für den Erlass unbeachtlich. Auch sei das Vertrauen der Gemeinschuldnerin auf die ursprünglichen Regelungen in der Abwasserabgabensatzung in Ansehung des geringen Grundstückskaufpreises sowie der Nichtberücksichtigung von Abgaben für die trink- und abwasserseitige Erschließung im Rahmen der Investitionsplanung nicht schützenswert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Unterlagen verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
I.
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf den begehrten Erlass der Trink- und Abwasserbeiträge noch einen solchen auf Neubescheidung seines Antrages vom 12.04.2011. Der diesen Anspruch ablehnende Bescheid des Beklagten vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2011 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Dabei stünde dem vom Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Befugnisse nach § 80 InsO geltend gemachten Erlassanspruch jedoch nicht entgegen, dass die Beiträge aufgrund der Vereinbarung vom 27.05.2011 entrichtet wurden. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass die Gemeinschuldnerin die Beiträge infolge des Verkaufs der Grundstücke (teilweise) realisiert hat. Denn die hier maßgebliche Vorschrift des §§ 13 a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA, 227 AO verlangt allein, dass es sich bei den zu erlassenen Abgaben um solche aus einem Abgabenschuldverhältnis handelt(e). Dieses bestand hier unstreitig zwischen der Gemeinschuldnerin und dem Beklagten (vgl. ähnlich: BFH, Urt. v. 19.10.1982, VII R 45/80, juris). Die Erfüllung führt allenfalls dazu, dass dem Abgabenschuldner aufgrund des Erlasses ein Erstattungsanspruch zur Seite steht (BFH, Urt. v. 26.02.1986, IV R 298/84, juris). Auch die bestandskräftige Ablehnung des ursprünglichen Erlassantrages mit Bescheid des Beklagten vom 29.10.2010 würde vorliegend nicht anspruchhindernd wirken, da der Beklagte über den Erlassantrag des Klägers mit dem hier streitigen Bescheid vom 02.05.2011 erneut in der Sache entschieden hat; mit diesem (Zweit-)Bescheid hat er den Weg für eine erneute gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs eröffnet (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl., § 35 Rn. 55 m. w. N.).
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Die Entscheidung über ein Erlassbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten in den durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, B. v. 19. Oktober 1971, GmS-OGB 3/70, juris). Der Maßstab der Billigkeit bestimmt jedoch Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens; der Begriff der Unbilligkeit kann deshalb nicht losgelöst vom Ermessen der Behörde beurteilt werden. Die unlösbare Verzahnung zwingt mithin zur Annahme einer nur einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" ragt somit in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. Die Entscheidung über den Erlass ist also eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. BFH, Urt. vom 03.02.2010, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.08.2011 - 1 K 1369/07; juris). Deshalb ist bei der Anwendung von § 227 AO allein eine am Begriff der Unbilligkeit orientierende Ermessensentscheidung zu treffen und nicht zunächst der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit zu bestimmen und dann in einem zweiten Schritt das Ermessen hinsichtlich des Erlasses auszuüben, was dazu führt, dass bei Vorliegen von persönlichen oder sachlichen Billigkeitsgründen, im Regelfall (nur) ein (teilweiser) Erlass ermessensgerecht ist; die Verwaltungsgerichte haben dann im Falle des Erfolgs der Klage die Behörde unter (teilweiser) Aufhebung der entgegen stehenden Bescheide zum (teilweisen) Erlass zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), wobei stets auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist (BVerwG, Urt. v. 23.08.1990, a. a. O.; OVG LSA, Urt. v. 18.06.2007, 4 M 36/07; n. v.).
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Maßgebend für die gerichtliche Prüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen sind - abweichend von dem Grundsatz, dass für Verpflichtungsklagen in aller Regel der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts maßgebend ist - in Bezug auf den materiellen Erlassgrund, die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, Urt. v. 23.08.1990 - BVerwG 8 C 42.88 -, BFH, Urt. v. 27.05.1987 - X R 41/81 -; BayVGH, Beschl. v. 02.04.2004 - 4 C 03.2425 -, alle juris; für die Stundung vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 222 RdNr. 70). Sofern, wie hier, die Abgabe bereits gezahlt wurde, soll hinsichtlich des materiellen Erlassgrundes maßgeblich auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem die Abgabe gezahlt wurde (vgl. BFH, Urt. v. 26.02.1987, IV R 298/84, juris).
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(1) Nach § 227 Hs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Entscheidende Voraussetzung für den Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen ist die Erlassbedürftigkeit und die -würdigkeit. Erlassbedürftigkeit liegt dann vor, wenn die Einziehung des Anspruchs aus dem Abgabenschuldverhältnis die Existenz des Schuldners vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt oder eine wirtschaftliche Betätigung vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Dies setzt aber stets voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Abgabenpflichtigen konkret auswirken kann. Lebt der Abgabenpflichtige dagegen unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen - zum Zeitpunkt der Einziehung der Abgabe - (bereits) in wirtschaftlichen Verhältnissen, die eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Abgabenschuldverhältnis ausschließen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für ihn verbunden. Bei bereits eingetretener Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) kommt deshalb grundsätzlich weder eine zinslose Stundung noch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen in Betracht (BFH, Urt. v. 27.09.2001, X R 134/98; OVG LSA, Urt. v. 18.06.2009, 4 L 36/07, juris), wobei es nicht darauf ankommt, ob diese verschuldet oder unverschuldet eingetreten ist (BFH, Urt. v. 28.09.2006, V B 71/05, juris). Denn allein der - mit jedem Erlass - einhergehende Vorteil, dass die Schuld erlischt, rechtfertigt wegen des Umstandes, dass die Unbilligkeit gerade in der Einziehung der Abgabe liegen muss, keinen Erlass (BFH, Urt. v. 07.07.1999, X R 87/96, juris).
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Anderes gilt jedoch dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit gerade durch die (drohende) Einziehung der Abgabe verursacht wurde (dazu OVG Sachsen, B. v. 07.08.2012, 5 A 298/09, juris), da sich dann der Erlass auf die konkrete wirtschaftliche Situation noch auswirken könnte (Fritsch in: Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2004, § 227 Rn. 57 m. w. N.). Dies beruht auf dem Gedanken, dass ein Billigkeitserlass auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn die Abgabenrückstände z. B. eine abgabenpflichtige Naturalperson hindern, eine neue (selbständige) Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können (BFH, Urt. v. 27.09.2001, a. a. O.). Gleiches gilt für die wirtschaftliche Existenz einer sich in der Insolvenz befindlichen juristischen Person des Privatrechts. In diesen Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Erlass den Wegfall des Grundes für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu bewirken in der Lage wäre (§ 213 InsO).
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Derartige Gesichtspunkte hatte der Kläger jedoch weder dargelegt noch mussten sich diese dem Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 30.08.2011 rückblickend auf den Zeitpunkt der Entrichtung der Abgaben aufdrängen. Zwar muss die Behörde nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Denn die Untersuchungsmaxime hat gerade bei Ermessensentscheidungen erhebliche Bedeutung. Die Behörde kann ihr Ermessen nämlich nur dann sachgerecht ausüben, wenn sie den entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt (BFH, Urt. v. 27.09.2001, a. a. O.). Aus diesen Gründen ist die Behörde dann, wenn sich ein Abgabenpflichtiger im Verfahren nach § 227 AO - wie hier - auf persönliche Billigkeitsgründe beruft und die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz geltend macht, grundsätzlich gehalten, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse näher zu überprüfen, wobei den Abgabenpflichtigen allerdings gesteigerte Mitwirkungspflichten gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 AO treffen (OVG LSA, Urt. v. 18.06.2009, a. a. O). Aus diesem Zusammenwirken ergibt sich jedoch, dass die Behörde nur solche Erlassumstände in ihre Erwägungen einbeziehen muss, auf die sich der Antragsteller beruft. Weder in dem Antrag auf Teilerlass vom 12.04.2011 noch in den Ausführungen des Vertreters der Klägerin in der Verbandsversammlung am 28.04.2011 und in seiner Widerspruchsbegründung vom 08.07.2011 sind konkrete Umstände dargelegt, dass der unter dem 22.02.2011 gestellte Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die mit Bescheiden vom 09.12.2010 festgesetzten Beiträge in Höhe von 1.481.982,55 € unmittelbar zurückzuführen ist. Gleiches musste sich für den Beklagten insbesondere auch deshalb nicht aufdrängen, weil der Gemeinschuldnerin bereits mit Bescheid vom 02.12.2011 eine Stundung der Abwasserbeiträge bis 2014 bzw. 2017 gewährt wurde, wobei der Beitrag vom 15.01.2011 bis 20.12.2012 insgesamt gestundet und erst ab Dezember 2012 monatliche Zahlungen in Höhe von 24.350,00 € bzw. 63.55,00 € fällig gestellt wurden. Zudem hatte die Gemeinschuldnerin, wie sich aus ihren eigenen Einlassungen im Schreiben vom 10.10.2010 ergibt, bereits zu diesem Zeitpunkt wegen gestiegener Bau- und Produktionskosten erhebliche Finanzierungsprobleme. Diese resultierten mithin gerade nicht aus den zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal festgesetzten Beiträgen. Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter erklärt, dass „das … Unternehmen im Jahr 2010 jedoch insbesondere aufgrund technischer Anlaufschwierigkeiten in der Produktion mit etwa 10 Mio. € Umsatz deutlich hinter den Umsatzerwartungen zurückblieb“ (zitiert nach http://www.floether-wissing.de/insolvenz-der-agenda-glas-ag-in-gardelegen-%E2%80%93-produktion-der-modernsten-glashutte-europas-fur-behalter-glas-lauft-jedoch-weiter/). Dass „wegen“ der Beiträge das Land Sachsen-Anhalt keine Bürgschaft für weitergehende Kredite in Höhe von ca. 3,2 Mill. Euro erteilt hat, führt nicht zur Ursächlichkeit der Beiträge für die Insolvenz.
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(2) Sachliche Billigkeitsgründe liegen dagegen dann vor, wenn die Beitragserhebung im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Dies ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie selbst geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Härten, die der Gesetzgeber bei der Formulierung des gesetzlichen (Beitrags-)Tatbestandes bedacht und in Kauf genommen hat, können daher grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen, sie sind nicht unbillig im Sinne des Gesetzes. Billigkeitsmaßnahmen dürfen - mit anderen Worten - keinesfalls die dem gesetzlichen Beitragstatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Tatbestandes im Einzelfall abhelfen (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2012, § 8 Rn. 37 m. w. N.). Billigkeitsmaßnahmen können dem Umstand Rechnung tragen, dass die einem Beitragspflichtigen gebotenen Vorteile auf Grund der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls erheblich geringer zu bewerten sind, als bei den übrigen Beitragspflichtigen und dieser Unterschied wegen der Abstraktheit der einzelnen Maßstabskomponenten bei der Bemessung des Beitrages keine angemessene Berücksichtigung finden kann (BVerwG, Urt. 30.10.1970, BVerwG IV 151.68). Unbillig im Sinne des Gesetzes ist es jedenfalls, wenn der Beitrag auch unter dem Gesichtspunkt einer zulässigen Typisierung nicht mehr gerecht erscheint (VGH Baden-Württemberg, B. v. 13.01.1994, 2 S 1213/92; juris). Es muss sich mithin um einen atypischen Fall handeln, für den mit Hilfe der Billigkeitsmaßnahme zu einem der Beitragsgerechtigkeit gerecht werdenden Ergebnis gelangt wird, das den den gesetzlichen Regelungen (KAG LSA, Abgabensatzung etc.) innewohnenden Wertungen annähernd entspricht (dazu OVG LSA, Urt. v. 20.10.2004, 1 L 186/04).
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a) Beiträge sind von den Eigentümern der Grundstücke zu erheben, die aus der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung einen Vorteil haben (§§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 8 KAG LSA). Damit bestimmt das Gesetz, welcher Personenkreis (Beitragspflichtige) von den beitragspflichtig gestellten Maßnahmen erfasst wird, mithin, dass Beiträge nur die Eigentümer schulden, deren Grundstücke von der Maßnahme ü b e r h a u p t vorteilhaft betroffen sind. Oder anders gewendet: Da diese Grundstücke d e m G r u n d e n a c h bevorteilt sind, können die Eigentümer grundsätzlich zu einem Beitrag herangezogen werden. Ein so dem Grunde nach bestehender Vorteil verkörpert sich in der (abstrakten) Erhöhung des Gebrauchs- und Nutzwertes und damit des Verkehrwertes eines Grundstücks (OVG LSA, seit Urt. v. 23.08.2001, 1 L 133/01, juris). Denn es handelt sich dabei um einen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung vermittelten besonderen wirtschaftlichen Nutzen, der den objektiven Gebrauchswert des Grundstücks steigert, ohne dass es von Belang wäre, ob der Wertzuwachs konkret bezifferbar ist (so zuletzt OVG LSA, Urt. v. 05.05.2011, 4 175/09; juris) oder der Eigentümer diesen Nutzen subjektiv als solchen wahrnimmt (OVG LSA, B. v. 27.08.2002, 1 L 186/01; v. 09.07.2007, 4 O 172/07, juris).
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b) In welcher Höhe die Eigentümer der dem Grunde nach bevorteilten Grundstücke einen Beitrag - der nichts weiter ist, als der in Geld ausgedrückte Wert des Vorteils - schulden, richtet sich dagegen nach dem Vorteil, besser, dem Umfang des Vorteils, der ihnen aus dem grundsätzlichen Vorteil zuteil wird. So bestimmt § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA, dass Beiträge nach dem Vorteil zu bemessen sind, wobei Satz 2 es zulässt, dass Gruppen von Beitragspflichtigen mit annähernd gleichen Vorteilen zusammengefasst werden können (sog. Typengerechtigkeit). Der Beitrag soll dabei den Umfang der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der Einrichtung abgelten [aa)], die in erster Linie von der baulichen oder gewerblichen Nutzbarkeit eines Grundstücks abhängt [bb)].
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aa) Der Umfang des Vorteils wird in der Abgabensatzung durch den Maßstab (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA) abgebildet. Der Maßstab muss aus Gründen der einheitlichen Rechtsanwendung bereits in der Satzung hinreichend spezifiziert sein (sog. Maßstabselemente; dazu OVG LSA, B. v. 10.07.2004, 1 M 34/04, n. v.). Für die Schmutzwasserbeseitigung kommt regelmäßig - wie auch hier - der modifizierte Flächenmaßstab in der Gestalt des Vollgeschossmaßstabes zur Anwendung. Dieser besteht aus einer Kombination von Grundstücksfläche sowie Anzahl der Vollgeschosse und wird von der auf Erfahrungstatsachen beruhenden Vermutung getragen, dass die Steigerung des jeweiligen Faktors Ausdruck eines erhöhten Gebrauchswertvorteils ist (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, § 6 Rn 449 ff., 618 ff.). Denn mit der Zunahme der Grundstücksfläche sowie der Steigerung der Anzahl der (zulässigen) Vollgeschosse steigt die bauliche Nutzbarkeit und damit auch der zu erwartende Trinkwasserbedarf und Schmutzwasseranfall und somit auch der Gebrauchs- und Nutzwert eines Grundstücks (OVG LSA, Urt. v. 05.05.2011, 4 L 175/09, juris). Ohne rechtfertigenden Grund darf in einem solchen Maßstab von dieser einmal getroffenen Belastungs(grund)entscheidung nicht abgewichen werden (vgl. zum Grundsatz der Folgerichtigkeit BVerfG, zuletzt B. v. 18.07.2012, 1 BvL 16/11 m. w. N., juris). Aus diesem Grunde darf der Vollgeschossmaßstab ohne sachlichen Grund keine Brüche in der Weise aufweisen, dass eine Bevorteilung nur bis zu einer bestimmten Anzahl von Vollgeschossen oder einer bestimmten Grundstücksgröße angenommen wird bzw. eine unterschiedliche Anzahl von Vollgeschossen gleich behandelt wird (vgl. dazu OVG LSA, B. v. 23.11.2006, 4 L 359/06, juris).
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Der Vollgeschossmaßstab geht mithin - zu Recht - davon aus, dass mit zunehmender Grundstücksgröße und Anzahl der Vollgeschosse ein höherer Beitrag entsteht. Das darf nicht ohne sachlichen Grund im Erlasswege konterkariert werden. Dies nur dann, wenn grundstückspezifische Besonderheiten in Bezug auf diese Maßstabskriterien ergeben. Anders gewendet: Die Anwendung der an sich vorteilsgerechten Maßstabselemente auf den Einzelfall muss die Unbilligkeit bewirken. Dies ist z. B. in Bezug auf das Maßstabskriterium „Anzahl der Vollgeschosse“ (= Maß der baulichen Nutzung) dann der Fall, wenn zu seiner Bestimmung an die Höhe einer baulichen Anlage mit der Vermutung angeknüpft wird, daraus ergebe sich wegen der regelmäßig bestehenden Geschosshöhen die Anzahl der Vollgeschosse, die tatsächliche Anzahl der auf dem Grundstück vorhandenen Vollgeschosse dahinter jedoch zurück bleibt (so OVG LSA, Urt. v. 20.10.2004, 1 L 186/04, juris). Die Unbilligkeit kann sich auch aus der „schematischen“ Anwendung von an sich vorteilsgerechten Satzungsregelungen im Einzelfall z. B. dann ergeben, wenn öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen die bauliche Ausnutzbarkeit hindern (vgl. OVG Münster, Urt. v. 24.06.2008, 15 A 4328/05, juris) oder wenn sich im Bereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes die Geschossigkeit aus - ausschließlich zulässigen - abwasserfreien Vorhaben (z. B. Silos) ergibt (vgl. VG Magdeburg, B. v. 10.05.2010, 9 B 435/09 MD, juris). Gleiches kann in Bezug auf die Grundstücksfläche gelten, wenn sich aus der formellen Anwendung der Satzung eine bestimmte beitragspflichtige Fläche ergibt, ein Teil der Fläche jedoch in keiner Weise der Baulandvermutung der Satzung (vgl. OVG Münster, Urt. vom 04.12.2001, 15 A 5566/99, juris, bei Anwendung einer Tiefenbegrenzungsregelung) deshalb entspricht, weil diese baulich nicht adäquat nutzbar ist (z. B. wegen der Anbindung eines Grundstücksteils an eine „Stammfläche“ nur über einen 1 m breiten Weg, ihres Zuschnitts oder ihrer Beschaffenheit - aber noch kein Unland -). Derartige Besonderheiten sind hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Aus diesem Grunde ist und bleibt es legitim, auch für solche Grundstücke, die hinsichtlich ihrer Größe weit über das hinausgehen, was im Bereich der öffentlichen Einrichtung gewöhnlicher Weise an Grundstücken anzutreffen ist, von einer stetigen Zunahme des Vorteils auszugehen. Für die Begrenzung auf eine bestimmte Grundstücksgröße sieht das Gericht bei gewerblich genutzten Grundstücken mangels hinreichend belastbarer Erfahrungstatsachen, dass ab einer bestimmten Grundstücksgröße der Vorteil nicht mehr zunimmt, keinen sachlichen Grund.
- 41
bb) Auch vermag der Kläger mit seinem Argument, auf dem Grundstück werde nur in einem geringen Umfang Wasser verbraucht und in einem noch geringeren Umfang falle Abwasser an, nicht durchzudringen. Denn der Umfang des Vorteils wird von der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der Einrichtung, die in erster Linie von der baulichen oder gewerblichen Nutzbarkeit des Grundstücks abhängt, determiniert (OVG LSA, Urt. v. 27.02.2004, 1 L 3/03, juris). Dieser ist mit dem Beitrag abzugelten, weshalb es nicht auf die derzeitige bauliche Nutzung und erst recht nicht auf den Umfang der Benutzung der mit der öffentlichen Einrichtung gewährten Leistung ankommt. Aus diesen Gründen ist eine Anknüpfung an den Wasserverbrauch oder den Abwasseranfall als Kriterium für einen Erlass untauglich. Sofern der Kläger mit diesem Einwand, auch die derzeitige (bauliche) Nutzung des Grundstücks im Blick hat, führt dies deshalb nicht zum Erfolg, weil es sich insoweit nur um eine „Momentaufnahme“ ungeachtet der Nutzbarkeit des Grundstücks handelt, es sei denn, allein die „Momentaufnahme“ wäre gerade ursächlich für die Beitragserhebung, wie z. B. hinsichtlich der Beitragspflichtigkeit von angeschlossenen Grundstücken im Außenbereich. Wenn die dafür in den Abgabensatzungen vorgesehenen Beitragsregelungen in Ansehung der (derzeitigen) tatsächlichen Nutzung den Beitrag als nicht mehr gerecht erscheinen lassen, kann dies im Einzelfall zu einem Erlass führen. Die nicht vollständige Ausnutzung der baulichen Nutzungsmöglichkeiten ist eine allein dem Grundstückseigentümer zuzurechnende Entscheidung, die jedenfalls nicht zu einem Erlass führt.
- 42
Der Nichtberücksichtigung der derzeitigen Nutzung als Erlassgrund kann auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit nicht dadurch begegnet werden, dass der Erlass mit einem Widerrufsvorbehalt gesichert wird (§§ 13 Abs. 1 Ziffer 3 lit. b) KAG LSA, 120 Abs. 1 und 2 Ziffer 3, 131 Abs. 2 Ziffer 1 AO). Denn weder sieht § 227 AO dies ausdrücklich vor (vgl. § 120 Abs. 1; zur Geltung dieser Vorschrift auch bei einer Ermessensreduzierung auf „Null“ vgl. Brockmeyer in: Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 120 Rn. 2) noch wird dies dem Wesen eines Erlasses gerecht (Brockmeyer, a. a. O., § 227 Rn. 25). Soweit die Klägerin wegen der rechtlichen Beachtlichkeit des Missverhältnisses zwischen der Grundstücksgröße und der aktuellen Nutzung des Grundstücks auf eine Entscheidung des erkennenden Gerichts vom 20.12.2001 (9 A 437/00 MD, unv.) verweist, bleibt festzustellen, dass Streitgegenstand im dortigen Verfahren ein Stundungsbegehren war.
- 43
c) Ein Erlassanspruch resultiert auch nicht deshalb aus Artikel 3 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber in § 6 c Abs. 2 KAG LSA für die tatsächlich überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Grundstücke aus Billigkeitsgründen (so ausdrücklich OVG LSA, Urt. v. 22.06.2010, 4 L 219/09, juris) die Erhebung eines nur verminderten Beitrages angeordnet hat. Anlass für diese Regelung war die Großflächigkeit von Wohngrundstücken in Sachsen-Anhalt. Daran anknüpfend sollte der Erfahrungstatsache Rechnung getragen werden, dass bei dieser Nutzungsart ab einer bestimmten Grundstücksgröße der Vorteil nicht mehr proportional zur Grundstücksfläche steigt, was bei anderen Nutzungsarten i n d e r R e g e l der Fall sein soll (so ausdrücklich OVG LSA, Urt. v. 23.03.2006, 4 L 281/05, juris). Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung Bedenken an der Verfassungskonformität der Regelung des § 6 c Abs. 2 KAG LSA bislang nicht gehegt (vgl. OVG LSA, seit Urt. v. 06.05.2003, 1 L 498/02, juris). Liegt insofern ein rechtfertigender Grund für die normabweichende Behandlung von tatsächlich überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken vor, zwingt Artikel 3 Abs. 1 GG nicht dazu, auch Grundstücken mit anderen Nutzungen zwingend einen Erlass zu gewähren, wobei allein die Existenz von § 6 c Abs. 2 KAG LSA einem Erlassanspruch jedoch auch nicht von vornherein entgegen stehen würde. Denn einerseits ist es dem gesetzgeberischen Gestaltungsspiel zuzuordnen, in welchen Fällen er - in verfassungskonformer Weise - eine normabweichende Regelung erlässt. Andererseits kann aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber zu einer Nutzungsart von Grundstücken eine gesetzliche Billigkeitsregelung in Form einer Flächendegression vorgesehen hat, nicht gleichsam der Schluss gezogen werden, damit sei für andere Nutzungsarten im Einzelfall ein Erlass anknüpfend an die Grundstücksgröße ausgeschlossen. Dies jedenfalls dann nicht, wenn die landesgesetzliche Regelung in Ansehung einer anderen landesrechtlichen Regelung (§§ 13 a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i. V. m. 227 AO) getroffen wurde und ggf. wegen der Variationsbreiten gewerblicher bzw. industrieller Nutzungen von einer gesetzlichen Regelung abgesehen wurde.
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d) Auch der Umstand, dass die zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung der Klägerin für den Standort C-Stadt geltende Abwasserabgabensatzung des Beklagten vom 25.01.2007 (AS) in § 4 Abs. 6 für alle Grundstücke eine Flächenbegrenzung auf 925 m² vorsah, führt nicht zu einem Erlassanspruch. Zwar kommt ein Erlass u. a. auch dann in Betracht, wenn die Abgabenfestsetzung mit den Geboten des Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist (Loose in, Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Kommentar, Stand Oktober 2011, § 227 Rn. 42). Doch weder hinsichtlich der Fortgeltung der AS noch ihrer Anwendung ist das Vertrauen der Gemeinschuldnerin schutzwürdig.
- 45
Denn diese Regelung war wegen der bestehenden Beitragserhebungspflicht (offensichtlich) unwirksam. Die aus § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA resultierende Beitragserhebungspflicht verpflichtet den Träger einer öffentlichen Einrichtung, die Kosten der Einrichtung über Beiträge zu decken (zuletzt OVG LSA, B. v. 24.01.2011, 4 L 134/09, juris). Abweichungen davon sind lediglich in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässig (vgl. OVG LSA, B. v. 01.06.2005, 1 M 196/05, juris). Eine Flächenbegrenzung auf 925 m² für alle Grundstücke findet im höherrangigen Recht in keiner Weise ihre Entsprechung. Das Vertrauen der Gemeinschuldnerin auf diese Regelung genießt deshalb keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Denn die Anforderungen daran sind im Anschlussbeitragsrecht deshalb erhöht, weil der Abgabengläubiger eine entsprechende Gegenleistung erbracht hat. Ob die Gemeinschuldnerin dies alles erkannt hat bzw. dies hätte erkennen können, ist dabei rechtlich unbeachtlich (zum Vorstehenden BVerwG, B. v. 06.10.2003, 9 B 95.03, juris). Sollte der Gemeinschuldnerin infolge rechtswidrigen Handelns des Beklagten ein Schaden im Zusammenhang mit der von ihr getroffenen „Investitionsentscheidung“ entstanden sein, so bliebe ihr die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen unbenommen.
- 46
e) Die Erhebung eines ungekürzten Beitrages führt auch nicht gleichsam zur Beseitigung der Privatnützigkeit des Grundeigentums, dem unter Umständen wegen einer sachlich unbilligen Härte durch einen (teilweisen) Beitragserlass begegnet werden muss. Das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Eigentum ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet (vgl. BVerfG, B. v. 14.01.2010, 1 BvR 1627/09, juris). Für den Bereich des grundstücksbezogenen Abgabenrechts folgt daraus, dass Art. 14 GG eine Abgabenbelastung des Eigentümers zwar in den Grenzen der Sozialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) erlaubt, aber eine Abgabenbelastung von einer diese Grenze überschreitenden Intensität untersagt. Dieses spezielle Übermaßverbot verbietet jede Abgabenbelastung, die den Eigentümer aus seiner ertragsbringenden Eigentümerposition verdrängt. Das ist mit Blick auf Grundeigentum dann anzunehmen, wenn die Abgabenbelastung eine längerfristige Renditelosigkeit des Grundstücks zur Folge hat. Allerdings greift diese bundesverfassungsrechtliche Grenze für eine Abgabenbelastung nur dort, wo die Ertragsmöglichkeit durch gesetzliche Bindungen derart beschnitten ist, dass dem Eigentümer durch die Belastung auf unzumutbar lange Zeit praktisch die Nutznießung aus dem Grundstück genommen wird und er dieses Ergebnis nicht durch eine Abwälzung der Last auf Mieter oder Pächter vermeiden kann (so BVerwG, Urt. v. 22.05.1992, 8 C 50.90, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Gebrauchs- bzw. Verkehrsfähigkeit der Grundstücke der Gemeinschuldnerin wird weder durch rechtliche Regelungen beschränkt noch führt die Belastung mit den Anschlussbeiträgen in Höhe von insgesamt 12,50 €/m² insoweit zu einer derartigen Einschränkung, die außer Verhältnis zu anderen Grundstücken bzw. zu den mit den Beiträgen abzuschöpfenden Gebrauchswertvorteilen steht, zumal der Gemeinschuldnerin infolge dieser Erschließung Investitionen in einem Gesamtumfang von 50 Mill. Euro möglich waren.
- 47
f) Andere Aspekte für eine Unbilligkeit der Abgabenerhebung hat der Kläger weder vorgetragen noch könnte er sich mit Erfolg darauf berufen. Sofern diese die Beitragsfestsetzung betreffen (z. B. mangelnde Vorteilsgerechtigkeit des Vollgeschossmaßstabes für gewerbliche genutzt Grundstücke etc.), können sie ohnehin beim Erlass keine Berücksichtigung finden.
II.
- 48
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger als Unterlegener (§ 154 Abs. 1 VwGO).
- 49
Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
- 50
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

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Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225), Aufrechnung (§ 226), Erlass (§§ 163, 227), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen.
(1) Zahlungen an Finanzbehörden sind an die zuständige Kasse zu entrichten. Außerhalb des Kassenraums können Zahlungsmittel nur einem Amtsträger übergeben werden, der zur Annahme von Zahlungsmitteln außerhalb des Kassenraums besonders ermächtigt worden ist und sich hierüber ausweisen kann.
(2) Eine wirksam geleistete Zahlung gilt als entrichtet:
- 1.
bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks jedoch drei Tage nach dem Tag des Eingangs, - 2.
bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird,
- 3.
bei Vorliegen eines SEPA-Lastschriftmandats am Fälligkeitstag.
(3) Zahlungen der Finanzbehörden sind unbar zu leisten. Das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden können für ihre Geschäftsbereiche Ausnahmen zulassen. Als Tag der Zahlung gilt bei Überweisung oder Zahlungsanweisung der dritte Tag nach der Hingabe oder Absendung des Auftrags an das Kreditinstitut oder, wenn der Betrag nicht sofort abgebucht werden soll, der dritte Tag nach der Abbuchung.
(4) Die zuständige Kasse kann für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung geschlossen werden. Absatz 2 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn bei der Schließung von Kassen nach Satz 1 am Ort der Kasse eine oder mehrere Zweiganstalten der Deutschen Bundesbank oder, falls solche am Ort der Kasse nicht bestehen, ein oder mehrere Kreditinstitute ermächtigt werden, für die Kasse Zahlungsmittel gegen Quittung anzunehmen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.
(2) Ein gegen den Schuldner bestehendes Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), hat im Verfahren keine Wirkung. Die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung bleiben unberührt.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Das Insolvenzverfahren ist auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn er nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger beibringt, die Forderungen angemeldet haben. Bei Gläubigern, deren Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden, und bei absonderungsberechtigten Gläubigern entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung gegenüber ihnen bedarf.
(2) Das Verfahren kann auf Antrag des Schuldners vor dem Ablauf der Anmeldefrist eingestellt werden, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind.
(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.
(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.
(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.
(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:
- 1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird, - 2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger, - 3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können, - 4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
(1) Die Beteiligten sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
(2) Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bezieht, so haben die Beteiligten diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.
(3) Ein Steuerpflichtiger hat über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 des Außensteuergesetzes Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungspflicht umfasst neben der Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie insbesondere Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten (Angemessenheitsdokumentation). Hat ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen im Sinne des Satzes 1 für ein Unternehmen zu erstellen, das Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe ist, so gehört zu den Aufzeichnungen auch ein Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung, es sei denn, der Umsatz des Unternehmens hat im vorangegangenen Wirtschaftsjahr weniger als 100 Millionen Euro betragen. Eine multinationale Unternehmensgruppe besteht aus mindestens zwei in verschiedenen Staaten ansässigen, im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes einander nahestehenden Unternehmen oder aus mindestens einem Unternehmen mit mindestens einer Betriebsstätte in einem anderen Staat. Zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen sind zeitnah Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungen im Sinne dieses Absatzes sind auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen.
(4) Die Finanzbehörde kann jederzeit die Vorlage der Aufzeichnungen nach Absatz 3 verlangen; die Vorlage richtet sich nach § 97. Im Falle einer Außenprüfung sind die Aufzeichnungen ohne gesondertes Verlangen vorzulegen. Die Aufzeichnungen sind jeweils innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Anforderung oder nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vorzulegen. In begründeten Einzelfällen kann die Vorlagefrist verlängert werden.
(5) Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Art, Inhalt und Umfang der nach den Absätzen 3 und 4 zu erstellenden Aufzeichnungen zu bestimmen.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.