Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 04. März 2011 - 4 K 314/11

bei uns veröffentlicht am04.03.2011

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller - ein eingetragener, mildtätiger Verein - begehrt unter Berufung auf seine Vereinszwecke und die Meinungsäußerungsfreiheit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 16.02.2011. Mit dieser Verfügung ist ihm und den von ihm beauftragten Personen unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250,-- EUR untersagt worden, „im Bereich der gesamten ... Straße, Freiburg i.Br., Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen, d.h. sogenannte Gehsteigberatungen durchzuführen“. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag unter Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der beratungssuchenden Personen entgegen getreten und macht geltend, die Untersagungsverfügung sei zum Schutz derjenigen hilfesuchenden Personen erforderlich, die in der in der ... Straße ansässigen Beratungsstelle ... ein Schwangerschaftskonfliktberatungsgespräch führen wollten. Mehrere Personen hätten sich in den letzten Wochen und Monaten bei ... über bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Übergabe von Plastikembryonen, Zeigen drastischen Bildmaterials, bedrängende Gesprächsführung) der vom Antragsteller beauftragten Personen beschwert und sich belästigt gefühlt. Die etwa 70 m lange ... Straße befindet sich in der Freiburger Innenstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Martinstor und der dort beginnenden Fußgängerzone. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben jeweils eidesstattliche Versicherungen zur Glaubhaftmachung des Ablaufs der Gehsteigberatung vorgelegt.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des zwischenzeitlich eingelegten Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs unter Nr. II. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16.02.2011 genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat insoweit darauf abgestellt, dass für den Fall der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die seelische Not der ratsuchenden Personen durch Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte unzulässig erhöht werde und sich die von den Vereinsmitgliedern ausgehenden Belästigungen und Ordnungsstörungen bis zum Ende eines eventuellen Rechtsbehelfsverfahrens wiederholen könnten. Diese keineswegs formelhafte Begründung ist formalrechtlich nicht zu beanstanden. Mit ihr hat die Antragsgegnerin die Gründe angegeben, die nach ihrer Ansicht im vorliegenden Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Antragstellers einräumen. Ob diese Erwägungen tatsächlich ausreichen, um die Anordnung des Sofortvollzugs materiell-rechtlich zu rechtfertigen, ist für die Einhaltung des formellen Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht von Bedeutung.
2. Die beschließende Kammer ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Auffassung, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung das Interesse des Antragstellers überwiegt, vorläufig weiter „Gehsteigberatungen“ in der ... Straße in Freiburg durchführen zu dürfen, da der angefochtene Bescheid voraussichtlich rechtmäßig sein dürfte und den Antragsteller somit wohl nicht in seinen Rechten verletzt.
2.1 Die Kammer versteht die angefochtene Untersagungsverfügung (Nr. I im Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.02.2011) dahingehend, dass mit ihr neben der persönlichen Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation nur das unaufgeforderte und gezieltindividuelle Vorzeigen (Hinhalten) und Überreichen von Broschüren, Bildern und Gegenständen untersagt wird. Die Antragsgegnerin beschreibt dieses Verhalten anknüpfend an die von dem Antragsteller verfolgten Satzungszwecke zusammenfassend als „Gehsteigberatung“ (vgl. § 2 Nr. 2 der Vereinssatzung). Allgemein gehaltene Formen der Meinungsäußerung (z.B. Mahnwachen, Gebetsvigilien, Hochhalten von Transparenten und Spruchbändern) dürften von der Untersagungsverfügung nicht erfasst sein. Denn der angefochtene Bescheid verbietet - was im Hinblick auf die Meinungsfreiheit des Antragstellers und seiner Mitglieder rechtlich auch geboten sein dürfte (vgl. unten 2.3) - nur die individualisierte, gezielte („beratende“) Ansprache von bewusst ausgesuchten „Zielpersonen“, lässt aber „ungezielte“, an die Allgemeinheit gerichtete Formen der Meinungskundgabe weiterhin zu. Hierauf deutet neben dem Verfügungssatz (Tenor) des Bescheids auch dessen Begründung hin, die sich - was im Hinblick auf den zu regelnden Sachverhalt völlig zutreffend ist - allein mit der persönlichkeitsrechtsrelevanten Gehsteigberatung befasst. Soweit in der örtlichen Presse teilweise davon die Rede gewesen ist, das Amt für öffentliche Ordnung habe eine „Bannmeile“ über den Antragsteller und die von ihm beauftragten Personen verhängt (vgl. etwa Badische Zeitung vom 21.02.2011: „Abtreibungsgegner müssen sich von Pro Familia fernhalten“), findet dies in der angefochtenen Verfügung ebenso wenig eine Entsprechung wie die Auslegung der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, wonach (nur) „der schlichte Aufenthalt in der ... Straße prinzipiell weiterhin möglich bleibe“.
2.2 So verstanden dürfte die angefochtene Untersagungsverfügung ihre Rechtsgrundlage voraussichtlich in der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) finden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG hat die Polizei die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Die Polizei hat hierbei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen (§ 3 PolG).
a) Die Anwendung der polizeilichen Generalklausel ist im vorliegenden Verfahren voraussichtlich nicht durch vorrangige Vorschriften des Straßenrechts gesperrt. Denn die von der Antragsgegnerin untersagte „Gehsteigberatung“ dürfte straßenrechtlich noch als Gemeingebrauch und nicht als Sondernutzung anzusehen sein (vgl. zu entsprechenden Formen des „politischen Meinungskampfes“ näher BVerfG [Kammer], Beschluss vom 18.10.1991 - 1 BvR 1377/91 -, NVwZ 1992, 53; BVerwG, Urteil vom 07.06.1978 - 7 C 5.78 -, BVerwGE 56, 63 [67 f.]), zumal ihre Erscheinungsformen nicht der erwerbswirtschaftlichen Nutzung des Straßenraums dienen und damit als noch dem „kommunikativen Verkehr“ zugehörig einzustufen sind (vgl. zur Abgrenzung im Einzelnen: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.07.1996 - 5 S 472/96 -, VBlBW 1997, 64; Sauthoff, NVwZ 1990, 223 [225]; Schnebelt/Sigel, Straßenrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl. <2004>, RdNrn. 287 ff.; Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl. <2005>, § 13 RdNrn. 22 ff.). Daher bedarf aus Anlass des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung, ob und inwieweit die Regelungen des Straßengesetzes im Sachbereich der erlaubnisfähigen Sondernutzung eine Sperrwirkung gegenüber allgemein-polizeirechtlichen Regelungen entfalten (vgl. dazu Schnebelt/Sigel, a.a.O., RdNr. 255; s. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.1986 - 1 S 2448/85 -, ESVGH 36, 293).
b) Die beschließende Kammer geht für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ferner davon aus, dass die Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung der Subsidiaritätsklausel nicht an einem Einschreiten gegen den Antragsteller gehindert ist. Zwar erfolgt der Schutz privater Rechte durch die Polizei nach dem Polizeigesetz nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§ 2 Abs. 2 PolG). Der im Streit stehenden Untersagungsverfügung dürfte die Subsidiaritätsklausel aber wohl nicht entgegen stehen.
Allerdings muss am polizeilichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor Beeinträchtigungen, die - wie hier - weder durch die Strafgesetze noch durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten sanktioniert sind, nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG ein öffentliches Interesse bestehen, soweit nicht aus anderen Gründen die Unversehrtheit der Rechtsordnung in Bezug auf Normen des öffentlichen Rechts in Rede steht. Das danach grundsätzlich erforderliche öffentliche Interesse kann sich insoweit allein aus dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ergeben, der wirkungsvollen Rechtsschutz garantiert (vgl. zuletzt BVerfG [Senat], Beschluss vom 08.11.2006 - 2 BvR 578/02 u.a. -, BVerfGE 117, 71 [121 f.]; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08.05.2008 - 1 S 2914/07 -, NVwZ-RR 2008, 700). Der Schutz privater Rechte durch die Polizei soll mithin grundsätzlich nur dann und nur solange erfolgen, wie Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Freilich beschreibt dieser Grundsatz die Rechtslage nur bezogen auf die vereinzelt bleibende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Für den hier in Rede stehenden Sachverhalt, bei dem sich die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung ständig wiederkehrend an immer neuen Grundrechtsträgern vollzieht, dürfte die Subsidiaritätsklausel ein Einschreiten der Polizei kaum hindern. Denn zum einen können die betroffenen Frauen wohl gar keinen Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten (mehr) erlangen, da es insoweit - gerade wegen der Einmaligkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung - am Rechtsschutzinteresse fehlen dürfte. Zum anderen dürften jedenfalls Einschränkungen des Antragserfordernisses des § 2 Abs. 2 PolG geboten sein, weil der Beratung suchenden Frau andernfalls der Verzicht auf ihre Anonymität abverlangt würde, die ihr gegenüber der beratenden Person durch das Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) aber gerade gesetzlich gewährleistet ist (§ 6 Abs. 2 SchKG). Dem Anliegen des Gesetzgebers, die Schwangerschaftskonfliktberatung auch durch äußere Rahmenbedingungen normativinstitutionell abzusichern, dürfte kaum hinreichend Rechnung getragen sein, wollte man fordern, dass die Beratung suchende schwangere Frau verpflichtet wäre, den Umstand der Wahrnehmung eines Beratungsgesprächs bei einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und die in diesem Zusammenhang erfolgte Ansprache durch vom Antragsteller beauftragte Personen auf der Straße gegenüber dem Amt für öffentliche Ordnung zu offenbaren, während ihr diese Offenbarungspflicht sogar im vertraulichen Beratungsgespräch nicht angesonnen wird.
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Diese Fragen bedürfen im Widerspruchsverfahren jedoch voraussichtlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Subsidiaritätsklausel des § 2 Abs. 2 PolG dürfte jedenfalls dann keine das Einschreiten der Polizei hindernde Sperrwirkung haben, wenn die Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbst öffentlich-rechtlich relevant sind, wie dies etwa der Fall ist, wenn - wie hier - die Individualgüter einer unbestimmten Vielzahl von Personen bedroht werden (vgl. statt vieler: Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl. <2007>, RdNr. 56) oder aber die inkriminierte Handlung als Grundrechtsverletzung anzusehen ist, der der Staat nicht tatenlos (und fortgesetzt) zuzuschauen braucht (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 PolG). Dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen durch die Gehsteigberatung bedroht wird, ist durch die eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers von ..., zweier Mitarbeiterinnen und der Leiterin der Beratungsstelle Freiburg belegt; diese - für die beschließende Kammer plausiblen - eidesstaatlichen Versicherungen bilden jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine hinreichend tragfähige Grundlage. Die eidesstattliche Versicherung der Gehsteigberaterin ... ist zum einen durch deren E-Mail vom 29.07.2010 (Bl. 135 d.A.) weitgehend entkräftet, zum anderen steht sie der Annahme des mit einer gewissen Regelhaftigkeit bedrohten Persönlichkeitsrechts nicht entgegen. Denn schon die - zwischen den Beteiligten unstreitige und dem in der Zeitschrift Lebensforum (Heft 80, S. 9) dargestellten „Ansprachekonzept“ entsprechende - gezielte Ansprache von (vermeintlich) schwangeren Frauen auf eine denkbare Konfliktsituation ist geeignet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zu bedrohen; es löst, zumal flankiert durch bildliche Darstellungen und eine gewisse Intensität der Gesprächsführung in einer seelisch ohnehin belastenden Situation, jedenfalls subjektiv einen Erklärungs- oder Rechtfertigungsbedarf der schwangeren Frau aus. Dieser Umstand des mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und Regelhaftigkeit bedrohten allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei einer Vielzahl von Frauen dürfte für die kompetenzielle Frage der Befugnis zum Einschreiten ausreichen. Auf die zwischen den Beteiligten ebenfalls - und vor allem - streitige (und nachstehend zu klärende) Frage, ob der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Meinungsfreiheit des Antragstellers oder der von ihm beauftragten Personen gerechtfertigt ist, kommt es im Hinblick auf die Kompetenznorm wohl nicht an.
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Nach dem Vorstehenden bedarf daher voraussichtlich auch die Frage keiner Entscheidung, ob das normative Beratungskonzept, mit dem der Staat seiner grundrechtlichen Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens Rechnung tragen will (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 28.05.1993 - 2 BvF 2/90 u.a. -, BVerfGE 88, 203) und das insoweit jedenfalls auch öffentlich-rechtlichen Gehalt hat (vgl. BVerfG [Senat], ebenda, RdNr. 242: Beratung als Aufgabe des Staates ), bereits für sich allein gesehen ein Eingreifen der Antragsgegnerin - gleichsam zur institutionellen Absicherung der Schwangerschaftskonfliktberatung nach den §§ 5 ff. SchKG - rechtfertigen kann. Dieser Frage wird möglicherweise in einem gegebenenfalls durchzuführenden Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein; für das vorläufige Rechtsschutzverfahren kommt es hierauf aus den oben geschilderten Gründen nicht entscheidungserheblich an.
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2.3 Mit der Antragsgegnerin geht die beschließende Kammer für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon aus, dass das von der Untersagungsverfügung erfasste Verhalten des Antragstellers und der von ihm beauftragten Personen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Denn die „Gehsteigberatung“ führt voraussichtlich mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Frauen.
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a) Das Grundgesetz gewährleistet dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt generell entzogen ist (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 -, BVerfGE 6, 32 [41]; Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. -, BVerfGE 109, 279 = NJW 2004, 999; vgl. hierzu jüngst auch Beschluss der Kammer vom 29.12.2010 - 4 K 2629/10 -, BA S. 7 ff.). Dieses abwägungsresistente Recht auf Achtung der Intimsphäre hat seine (unverbrüchliche) Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Daneben - und darum geht es hier - statuiert das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein dortselbst verankertes Recht des Einzelnen auf Wahrung seiner Privatsphäre, das seine Entsprechung als grundlegendes Menschenrecht auch in Art. 8 Abs. 1 EMRK findet. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat eine räumliche und thematische Ausprägung und schützt überdies die Gedanken- und Gefühlswelt eines Menschen als „psychischen Innenbereich“ (vgl. etwa BVerfG [Senat], Beschluss vom 24.06.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69 [82 f.]; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 RdNrn. 149 und 150). Der Schutz ist umso intensiver, je näher der Sachbereich der Intimsphäre des Betroffenen steht. Umstände der engeren privaten Lebensführung, deren öffentliche Erörterung gemeinhin als peinlich oder unschicklich empfunden wird, genießen naturgemäß einen höheren Schutz als gewöhnliche oder gar banale Vorgänge der äußeren Lebensführung. Auch wenn die Grundrechte primär in ihrer abwehrrechtlichen Dimension Schutz gegen und vor dem Staat statuieren, wirken sie mittelbar über Generalklauseln auch auf die Beziehungen der Grundrechtsberechtigten untereinander (vgl. speziell zum Ansprechen in der Öffentlichkeit zu Werbezwecken: BGH, Urteil vom 01.04.2004 - I ZR 227/01 -, NJW 2004, 593; Urteil vom 09.09.2004 - I ZR 93/02 -, NJW 2005, 1050; OLG Bremen, Beschluss vom 22.07.2005 - 2 W 54/2005 -, juris RdNr. 3). Deshalb kann zur Bestimmung des Schutzniveaus der Privatsphäre im konkreten Fall auch bei Beeinträchtigungen durch private Dritte - wie hier - zwanglos auf die für Eingriffe des Staates entwickelten Abstufungen zurückgegriffen werden, die ihre Entsprechung im Übrigen auch in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 823 BGB gefunden haben (vgl. statt Vieler: Rixecker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. <2006>, Band 1, Anhang zu § 12 RdNrn. 84 ff. m.w.N.). Danach dürfte für die hier im Streit stehende Gehsteigberatung ein relativ hoher Schutz der von der Ansprache betroffenen schwangeren Frauen zugrunde zu legen sein. Der Umstand einer Schwangerschaft ist zweifellos dem höchstpersönlichen Bereich der schwangeren Frau zuzuordnen. Gerade für das erste Schwangerschaftsdrittel besteht aus mannigfaltigen, hier nicht im Einzelnen darzustellenden Gründen ein relativ stark ausgeprägter gesellschaftlicher Konsens, dass das Wissen um die Schwangerschaft zunächst im engeren und engsten persönlichen Kreis verbleibt. Die Ansprache durch unbekannte Dritte auf der Straße auf eine etwa bestehende Schwangerschaft ist unüblich und dürfte zudem - gemessen an den sonst obwaltenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten - ein nicht unbeträchtliches Maß an Distanzlosigkeit erfordern, wobei auf Fragen der Höflichkeit und des Anstands an dieser Stelle nicht weiter einzugehen ist. Das schon für sich gesehen weitgehende Eindringen in die Privatsphäre wird noch verstärkt, wenn der Ansprache auf eine bestehende Schwangerschaft eine solche auf eine etwa bestehende Schwangerschaftskonfliktsituation folgt. Hierbei kommt der Fragende dem innersten Bereich der Gefühls- und Gedankenwelt des Befragten so nahe, dass für die Frage der Eingriffsrechtfertigung ein sehr hohes Schutzniveau für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zugrunde zu legen ist (vgl. so auch zur medizinisch-psychologischen Untersuchung: BVerfG [Senat], Beschluss vom 24.06.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69 [82 f.]). Die Schwangere wird gerade im Kontext mit einem unmittelbar bevorstehenden bzw. gerade beendeten Schwangerschaftskonfliktberatungsgespräch in einem überaus verletzbaren seelischen Zustand getroffen, der bereits die Abwehr eines weiteren Eindringens in die eigene Privatsphäre zu einer Herausforderung werden lässt, zumal dann, wenn die Nachfragen mit einem bestimmten „Meinungsprogramm“ verbunden sind. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber - der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 28.05.1993, a.a.O., RdNrn. 226 ff.) - in §§ 5 ff. SchKG besondere Sicherungen für das Konfliktberatungsgespräch vorgesehen, die nicht zuletzt auch dem Schutz der innersten Gefühls- und Gedankenwelt der Schwangeren und ihrer freien Willensbildung dienen. Auch dieser normativen Ausgestaltung entnimmt die beschließende Kammer, dass bei den hier in Rede stehenden Situationen - übrigens vor allem im Interesse des ungeborenen Lebens - von einem sehr hohen Schutzniveau des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszugehen ist.
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b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es reicht nur so weit, als nicht „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG oder die verfassungsmäßige Ordnung Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts gebieten. Dieser Umstand folgt der Erkenntnis, dass der gemeinschaftsbezogene und gemeinschaftsgebundene Bürger unter Beachtung des Übermaßverbots solche Maßnahmen hinnehmen muss, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Blick auf (grund-)rechtliche Freiheiten Dritter vorrangig sind. Hiervon geht die beschließende Kammer für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes nicht aus. Namentlich dürfte es die Meinungsfreiheit nicht gebieten, den inkriminierten Verhaltensweisen den Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen einzuräumen.
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Allerdings ist der personelle Schutzbereich der durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit zugunsten des Antragstellers - einer juristischen Person des Privatrechts - eröffnet (vgl. BVerfG [Senat], Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88 -, BVerfGE 85, 1 [11 ff.]; Beschluss vom 13.02.1996 - 1 BvR 262/91 -, BVerfGE 94, 1 [7 ff.]; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Band 1, Art. 5 RdNr. 116) und die von der Verfügung erfassten Äußerungen und Verhaltensweisen können auch in sachlicher Hinsicht den Schutz der Meinungsfreiheit beanspruchen. Denn Art. 5 Abs. 1 GG umfasst in seiner Ausprägung als Meinungsäußerungs und -verbreitungsfreiheit jede Art und Weise der Äußerung, das (fragende und behauptende) Ansprechen ebenso wie die Äußerung in Bild und Schrift sowie Tätigkeiten, die als Mittel des geistigen Meinungskampfes die Wirkung der Äußerung verstärken sollen, und damit sämtliche der hier im Streit stehenden Verhaltensweisen (vgl. zur sog. Gehsteigberatung auch: BVerfG [Kammer], Beschluss vom 08.06.2010 - 1 BvR 1745/06 -, NJW 2011, 47; vgl. näher zum Schutzbereich: Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Band 1, Art. 5 RdNrn. 49 ff. m.w.N.). Die beschließende Kammer misst der Meinungsfreiheit des Antragstellers auch ein bedeutendes Gewicht bei. Das Recht, eine Meinung äußern zu dürfen, ist Teil des in der Menschenwürde wurzelnden elementaren Rechts auf Denkfreiheit und damit in einem gewissen Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198 [208]). Ungeachtet ihrer Ausprägung als privat-individuelles Entfaltungsrecht ist die Meinungsfreiheit auch für den Prozess politischer Öffentlichkeit im demokratischen Verfassungsstaat von schlechthin grundlegender Bedeutung (vgl. wiederum Schulze-Fielitz, in: Dreier, a.a.O., RdNr. 40). Denn das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats ist (so schon BVerfG [Senat], Urteil vom 17.08.1956 - 1 BvB 2/51 -, BVerfGE 5, 85 [205]). Als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft ist es eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (BVerfG [Senat], Urteil vom 15.01.1958, a.a.O.). Im Blick auf ihre konstituierende Funktion ist besonders die Mindermeinung, die für falsch gehaltene Auffassung, das Anders-Denken von Bedeutung. Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung, zu denen die Debatte um den Schutz des ungeborenen Lebens zweifelsohne zu rechnen ist, sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat notwendig pluralistisch im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen vollzieht (anschaulich Herzog, in: Maunz/Dürig, a.a.O., RdNr. 10). Insoweit sind dem gesellschaftspolitischen „Mainstream“ widersprechende, im Wortsinne „anstößige“ Meinungsäußerungen von besonderem Wert.
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Die Meinungsfreiheit umfasst - das liegt gerade in ihrem soeben dargestellten Zweck begründet - auch das Recht, selbst zu bestimmen, wo und wann die Meinungskundgabe erfolgt, zumal an Orten, an denen ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (vgl. nur Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 5 I, II RdNr. 26). Denn der öffentliche Straßenraum ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können (so jüngst im Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit: BVerfG [Senat], Urteil vom 23.11.2010 - 1 BvR 699/06 - RdNr. 67). Auch die Auswahl des Meinungsadressaten obliegt prinzipiell dem Meinenden. Er bestimmt, wen er mit seiner Meinungsäußerung konfrontieren will. Der von der Meinungskundgabe thematisch Betroffene muss die Meinung grundsätzlich ebenso „aushalten“ wie der Meinungslose und der Desinteressierte, wobei Kehrseite der Meinungsäußerungsfreiheit die selbstverständliche Freiheit des Einzelnen ist, von Meinungen anderer verschont zu bleiben und ihr auszuweichen.
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Auch die Meinungsfreiheit gilt freilich nicht vorbehaltlos; sie findet ihre Schranken vielmehr ihrerseits in den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, zu denen auch die polizeiliche Generalklausel rechnen kann (vgl. hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier, a.a.O., Art. 5 RdNr. 196; offen: BVerwG, Urteil vom 21.12.1954 - I C 14.53 -, BVerwGE 1, 303 [307]), und in verfassungsimmanenten Beschränkungen. Kollidiert die Meinung wie hier mit verfassungskräftigen Rechten Dritter, ist beiden Grundrechten - gleichsam wechselwirkend - im Wege praktischer Konkordanz zu jeweils bestmöglicher Wirkung und Geltung zu verhelfen (vgl. nur BVerfG [Senat], Urteil vom 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198 [210]; stRspr.).
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c) Dies berücksichtigend dürfte die Untersagungsverfügung in ihrer von der Kammer vorgenommenen Auslegung im Widerspruchsverfahren voraussichtlich Bestand haben. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, bestimmte Formen von Protestaktionen der Abtreibungsgegner zu verbieten, wenn Rechte Dritter dies erfordern. Denn Art. 5 Abs. 1 GG schützt zwar das Äußern von Meinungen, nicht aber Tätigkeiten, mit denen beispielsweise anderen eine Meinung aufgedrängt werden soll und die die betroffenen Frauen gleichsam einem Spießrutenlauf aussetzen (so BVerfG [Kammer], Beschluss vom 08.06.2010 - 1 BvR 1745/06 -, NJW 2011, 47). Es mag sein, dass sich die vom Antragsteller praktizierte „Gehsteigberatung“ nicht notwendig als Spießrutenlauf für die schwangeren Frauen darstellen muss. Hierauf deuten namentlich die eidesstattlichen Versicherungen von Frau ... und Frau ... hin, deren Überzeugungskraft in einem sich möglicherweise anschließenden Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein wird. Für einen „Spießrutenlauf psychischer Art“ könnte allerdings die von Frau ... verfasste und von der Antragsgegnerin vorgelegte E-Mail vom 29.07.2010 sprechen, die die psychische Notlage der schwangeren Frau („...“) handgreiflich werden lässt und das Erfordernis fachkundiger und geschulter Beratung deutlich sichtbar macht. Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sprechen dafür, dass die „Gehsteigberatung“ von den schwangeren Frauen mit einer gewissen Regelmäßigkeit als bedrängend und belästigend empfunden wird. Allerdings dürfte der vom Bundesverfassungsgericht angeführte Spießrutenlauf nicht die unterste Grenze für ein Einschreiten der Antragsgegnerin markieren. Denn anders als im dort - zum Protest vor einer Abtreibungsklinik - entschiedenen Fall geht es hier auch um den Schutz des gesetzlichen Beratungskonzepts, das einerseits nicht zuletzt im Interesse des ungeborenen Lebens einen höheren Schutz des Persönlichkeitsrechts nahelegt, andererseits gewisse Einschränkungen des Meinungskampfes noch als hinnehmbar erscheinen lässt. Denn der Gesetzgeber handelt mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Dies lässt es gerechtfertigt erscheinen, die Konfliktberatung gegen den Meinungskampf stärker abzusichern, als es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar vor einem Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt zu sein scheint. Bei der Herstellung der praktischen Konkordanz der widerstreitenden Grundrechte ist für die Kammer von ausschlaggebender Bedeutung, dass die „Gehsteigberatung“ überall im Stadtgebiet mit Ausnahme der ... Straße zulässig bleibt und auch dort die Meinungsäußerungsfreiheit des Antragstellers und der von ihm beauftragten Personen nicht gänzlich eingeschränkt ist. Bei zutreffendem Verständnis der angefochtenen Verfügung bleiben allgemein gehaltene Formen des Protests und der Meinungskundgabe gegen Schwangerschaftsabbrüche vielmehr auch in der ... Straße weiterhin möglich (vgl. näher oben 2.1). Die Kammer hat darüber hinaus in Erwägung gezogen, ob aus Gründen der Angemessenheit weitere, insbesondere räumliche Einschränkungen der angefochtenen Verfügungen geboten sein könnten. Jedoch ist die ... Straße mit nur 70 m Länge ohnehin relativ kurz und es erscheint bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage - auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Vollstreckbarkeit der Verfügung - nicht angezeigt, den von der „Gehsteigberatung“ ausgeschlossenen Bereich räumlich noch enger zu fassen. Die Kammer hat ferner erwogen, ob Art. 5 Abs. 1 GG es gebieten könnte, eine Ansprache durch die vom Antragsteller beauftragten Personen jedenfalls nach Durchführung des Schwangerschaftskonfliktgesprächs - bei Verlassen der Beratungsstelle - zuzulassen. Auch insoweit dürfte aber der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch überwiegen. Für die beschließende Kammer ist insoweit gerade das in §§ 5 ff. SchKG einfachrechtlich ausgestaltete Beratungskonzept von Bedeutung, das in zeitlicher und räumlicher Hinsicht einen gewissen vor- und nachwirkenden Schutz für sich in Anspruch nehmen kann. Denn die gesetzlich ausgestaltete Schwangerschaftskonfliktberatung, die gerade dem auch vom Antragsteller bezweckten Schutz des ungeborenen Lebens zu dienen bestimmt ist, soll dem Recht auf Selbstbestimmung der schwangeren Frau - einer besonderen Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - Rechnung tragen. Mit diesem Konzept zielorientierter, aber doch ergebnisoffener Beratung (vgl. § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 4 SchKG) verträgt sich die „Gehsteigberatung“ in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht knüpft an das Beratungsgespräch strenge inhaltliche, organisatorische und personelle Voraussetzungen (vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerfG [Senat], Urteil vom 28.05.1993, a.a.O. RdNrn. 226 ff.). Weder die sich lediglich an der im Beratungsgespräch vorgetragenen Interessenlage der schwangeren Frau orientierende Beratung wird dem Auftrag der Beratung gerecht noch die auf die Erzeugung von Schuldgefühlen zielende und in dieser Weise belehrende Einflussnahme, die die Bereitschaft der Frau behindert, sich der Beratung zu öffnen und sich ihren Zwiespalt bewusst zu machen. Denn mit der manipulativen und indoktrinierenden Beratung wird weder dem Selbstbestimmungsrecht der Frau noch dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes hinreichend Rechnung getragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., RdNrn. 230 f.), auf der das Beratungskonzept des Schwangerschaftskonfliktgesetzes gründet (vgl. BT-Drs. 13/1850 S. 20), soll die Beratung vielmehr ermutigen, nicht einschüchtern. Sie soll Verständnis wecken, nicht belehren, und die Verantwortung der Frau stärken, nicht sie bevormunden (vgl. hierzu auch die Broschüre „Schwangerschaftsberatung“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Das stellt hohe Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung der Beratung und an die persönliche und fachliche Kompetenz der Personen, die sie durchführen. Nicht zuletzt aus diesem Grund bedarf die Beratungsstelle der staatlichen Anerkennung (§ 9 SchKG); sie unterliegt der regelmäßigen Überprüfung und muss bestimmte Rechenschafts- und Informationspflichten erfüllen (§ 10 SchKG). Die vom Antragsteller angebotene „Gehsteigberatung“ gerät - was die Beratung der schwangeren Frauen angeht - mit diesem ausdifferenzierten Konzept des Gesetzgebers beinahe notwendig in Konflikt. Die „Gehsteigberatung“ kann schon den Rahmen des vertraulichen Ortes nicht gewährleisten und die Anonymität der Schwangeren nicht absichern; die persönliche und fachliche Kompetenz der beratenden Personen ist nicht gewährleistet und es fehlt an der Ergebnisoffenheit der Beratung. Deshalb nimmt der Antragsteller zu Recht nicht den Schutz des Schwangerschaftskonfliktgesetzes für sich in Anspruch. Das nämliche Gesetz und das in ihm enthaltene ausdifferenzierte Beratungskonzept erzeugen aber zugleich Rückwirkungen auf die Durchsetzungsmacht der Meinungsäußerungsfreiheit des Antragstellers: Denn das normative Beratungskonzept kann - soll es wirksam und dem Schutz des ungeborenen Lebens dienlich sein - auch unter Berücksichtigung des hohen Schutzniveaus des Art. 5 Abs. 1 GG nicht dadurch konterkariert werden, dass sogleich nach dem Verlassen der Beratungsstelle auf dem Gehsteig eine ungefragte Ansprache durch hierfür nicht hinreichend geschulte Personen erfolgt, die in Kenntnis der seelischen Anfälligkeit und Verletzbarkeit der Schwangeren ein nicht den gesetzlichen Grundsätzen entsprechendes, inhaltlich einseitiges Gespräch an die Stelle des gesetzlichen Beratungskonzepts zu setzen versuchen. Diese Form der Meinungskundgabe kann nach Auffassung der beschließenden Kammer - wie es hier geschehen ist - nicht zuletzt wegen ihrer situativ bedrängend wirkenden Einmischung in einen sehr persönlichen Lebensbereich in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle untersagt werden.
19 
2.4 Ob die Gehsteigberatung auch gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 1 PolG verstößt, kann nach dem Vorstehenden jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes offen bleiben (vgl. hierzu noch recht weitgehend: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.09.2001 - 1 S 2842/99 - UA S. 8), dürfte aber nicht zuletzt wegen der Pluralität der gesellschaftlichen Anschauungen eher fraglich erscheinen (vgl. hierzu auch Schenke, a.a.O., RdNr. 63 f.).
20 
3. Das besondere Vollziehungsinteresse für die angefochtene Untersagungsverfügung ergibt sich aus dem Umstand, dass sich diese im Hauptsacheverfahren nach derzeitiger Einschätzung der Kammer voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird und es bei dieser Sachlage nicht vertretbar erscheint, den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen schwangeren Frauen bis zum Eintritt der Bestands- oder Rechtskraft der Verfügung zurücktreten zu lassen. Die Kammer macht sich insoweit die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid zu eigen (dort S. 5) und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug.
21 
4. Nach dem Vorstehenden erweist sich schließlich auch die Zwangsgeldandrohung in dem angefochtenen Bescheid (Verfügung Nr. III) als voraussichtlich rechtmäßig. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor, namentlich dürfte das Zwangsgeld das geeignete Zwangsmittel sein, das wohl auch im Hinblick auf die angedrohte Höhe nicht zu beanstanden sein dürfte. Auch der Antragsteller hat hierfür nichts vorgebracht.
22 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 04. März 2011 - 4 K 314/11

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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 04. März 2011 - 4 K 314/11 zitiert 15 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 117


(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgr

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

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Schwangerschaftskonfliktgesetz - BeratungsG | § 5 Inhalt der Schwangerschaftskonfliktberatung


(1) Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktbe

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(1) Die Beratungsstellen sind verpflichtet, die ihrer Beratungstätigkeit zugrundeliegenden Maßstäbe und die dabei gesammelten Erfahrungen jährlich in einem schriftlichen Bericht niederzulegen. (2) Als Grundlage für den schriftlichen Bericht nach Abs

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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 04. März 2011 - 4 K 314/11 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 08. Mai 2008 - 1 S 2914/07

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Tenor Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. April 2007 - 3 K 3158/05 - ist insoweit unwirksam.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 04. März 2011 - 4 K 314/11.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 11. Okt. 2012 - 1 S 36/12

bei uns veröffentlicht am 11.10.2012

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 1. Dezember 2011 – 4 K 1112/11 – wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladen

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. April 2007 - 3 K 3158/05 - ist insoweit unwirksam.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. April 2007 - 3 K 3158/05 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt 4/5, der Beklagte trägt 1/5 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beschlagnahme eines Films rechtswidrig war.
Am 29.06.2005 hielt sich der Kläger im Lesesaal der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe auf. Dort fotografierte er ohne deren Einwilligung eine andere Bibliotheksnutzerin, Frau ..., die ihm seiner Ansicht nach den von ihm benutzten Arbeitsplatz streitig gemacht hatte. Der Aufforderung von Frau ..., den Film herauszugeben, kam der Kläger nicht nach. Der hinzu gerufene Polizeivollzugsdienst verbrachte den Kläger zum Polizeirevier Karlsruhe-Marktplatz, wo der Film beschlagnahmt und in Verwahrung genommen wurde. In der dem Kläger ausgehändigten Beschlagnahmeverfügung wird als Grund für die Beschlagnahme angegeben „Schutz privater Rechte (KUG)“. Im Vermerk des Polizeipräsidiums Karlsruhe - Polizeirevier Marktplatz - vom 09.08.2005 wird ausgeführt, dass weder strafrechtliche noch ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorschriften verletzt worden seien; es seien ausschließlich die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen gewesen. Diese sei angewiesen worden, sich unverzüglich an das Amtsgericht Karlsruhe zu wenden, um dort eine Entscheidung über den Verbleib des Films zu erwirken.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2005 erhob Frau ... vor dem Amtsgericht Karlsruhe Klage gegen den Kläger und begehrte die Herausgabe des Films, Schadensersatz und Schmerzensgeld. Nachdem das Amtsgericht den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 20.09.2005 abgelehnt hatte, verfolgte Frau ... die Klage nicht weiter.
Mit seinem am 29.07.2005 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass eine nach § 22 KUG allein verbotene Veröffentlichung oder Verbreitung des Bildes nicht zu befürchten sei. Eine andere Vorschrift, die das Fotografieren von Personen hindere, sei nicht ersichtlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2005 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück. Die Beschlagnahme sei auf Antrag der Besucherin der Landesbibliothek erfolgt, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, das bereits durch das Herstellen eines Bildes berührt sei, zu schützen. Von einer missbräuchlichen Verwendung der Bilder durch den Kläger sei auszugehen. Die Beschlagnahme habe als vorläufige Sicherungsmaßnahme der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gedient. Die gefertigten Bilder würden bis zu einer gerichtlichen Entscheidung beim Polizeirevier Karlsruhe-Marktplatz verwahrt.
Der Kläger hat hiergegen zunächst Anfechtungsklage erhoben, zu deren Begründung er geltend gemacht hat, dass er Frau ... zum Zwecke der Identifizierung fotografiert habe. Sie habe ihn als „devil“ bezeichnet. Auch habe der Verdacht bestanden, dass sie an den gegen ihn gerichteten Giftangriffen beteiligt gewesen sei; denn er habe den Platz am Fenster bewusst gewählt, nachdem in der Bibliothek verschiedentlich an anderen Stellen Giftstoffe emittiert worden seien. Aus der Entscheidung des Amtsgerichts ergebe sich, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht gegeben gewesen sei; eine Beschlagnahme dürfe aber nicht an Stelle einer unzulässigen zivilrechtlichen einstweiligen Verfügung erfolgen. Nach einem gerichtlichen Hinweis, dass die Beschlagnahme zwischenzeitlich nach Ablauf der sechsmonatigen Höchstdauer gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 PolG automatisch außer Kraft getreten sei, hat der Beklagte mitgeteilt, dass der beschlagnahmte Film der Stadt Karlsruhe zugeleitet worden sei, die allerdings eine Einziehung nicht verfügt habe. Der Kläger hat daraufhin u.a. auf eine Wiederholungsgefahr und eine diskriminierende Wirkung der polizeilichen Maßnahme verwiesen. Darüber hinaus hat er ausgeführt, dass er bei der Einsicht in die Gerichtsakten im Verwaltungsgericht mit Giftgasen angegriffen worden sei.
Mit Urteil vom 02.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage, mit der nunmehr sachdienlich ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren verfolgt werde, abgewiesen. Die Klage sei zulässig. Aufgrund der Umstände der Beschlagnahme - heftige verbale Dispute in der Bibliothek und die anschließende Verbringung des Klägers auf das Polizeirevier - bestehe ein Rehabilitationsinteresse des Klägers. Die Klage sei aber nicht begründet. Die Beschlagnahme sei rechtmäßig gewesen. Aufgrund der Gesamtumstände des Lebenssachverhalts habe jedenfalls die Anscheinsgefahr bestanden, dass der Kläger die von ihm angefertigten Fotos zur Begehung von Rechtsverstößen habe verwenden wollen. Die Polizei habe aufgrund des Verhaltens des Klägers und seiner Einlassungen bei verständiger Würdigung des Falles davon ausgehen dürfen, dass der Kläger bei Nichtbeschlagnahme der Bilder gegen § 240 oder § 164 StGB verstoßen werde. Die Beschlagnahme sei insoweit auch für die volle Dauer von 6 Monaten erforderlich gewesen, da der Kläger auch über diese Frist hinaus die Verdächtigungen gegenüber der fotografierten Frau aufrechterhalten habe. Unbeachtlich sei, dass in der Beschlagnahmeverfügung und im Widerspruchsbescheid auf eine andere Begründung abgestellt worden sei.
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 12.12.2007 - 1 S 1146/07 - zugelassenen Berufung trägt der Kläger, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung teilweise für erledigt erklärt haben, nunmehr vor: Für die Rechtmäßigkeit einer Beschlagnahmeverfügung komme es allein darauf an, ob die zum Zeitpunkt der Beschlagnahme angenommenen Gründe die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage erfüllten. Der handelnde Beamte habe indessen zu Unrecht angenommen, dass ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz vorliege. Rechtswidrig wäre die Beschlagnahme aber auch dann, wenn auf das erst im Widerspruchsbescheid herangezogene allgemeine Persönlichkeitsrecht abgestellt würde. Es sei bereits zweifelhaft, ob es bei einer Aufnahme außerhalb des Bereichs der geschützten Privatsphäre überhaupt tangiert sei. Jedenfalls stehe der Beschlagnahme die Subsidiaritätsklausel des § 2 Abs. 2 PolG entgegen. Er habe nämlich keine Anstalten gemacht, weitere Fotos zu machen. Im Übrigen könne allein die Tatsache, dass die Durchsetzung privater Rechte über die Gerichte stets schwieriger sei als die Vollstreckung durch einen Hoheitsträger, das Eingreifen der Polizei nicht rechtfertigen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass Verstöße gegen die Strafgesetze unmittelbar bevorgestanden hätten, sei völlig aus der Luft gegriffen. Im Übrigen führe eine solche Auswechslung der Begründung entweder zum unzulässigen Verlust der Wesensidentität des Verwaltungsakts oder mache diesen zumindest ermessensfehlerhaft. Denn ohne Kenntnis des zu schützenden Rechtsguts habe der Polizeibeamte eine ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht treffen können.
Der Kläger beantragt,
10 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. April 2007 - 3 K 3158/05 - zu ändern und festzustellen, dass die Beschlagnahmeverfügung des Polizeireviers Karlsruhe-Marktplatz vom 29. Juni 2005 von Anfang an rechtswidrig war.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Berufung zurückzuweisen.
13 
Er ist der Auffassung, dass mangels Wiederholungsgefahr eine Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht bestehe.
14 
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze im Zulassungs- und Berufungsverfahren Bezug genommen. Dem Senat liegen die Behörden- und Gerichtsakten aus dem Klageverfahren vor. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
15 
Soweit die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die vom Vertreter des Beklagten zu Protokoll gegebene Erklärung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 125 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
16 
Im Übrigen ist die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit noch Gegenstand des Berufungsverfahrens, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I.
17 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft. Die angefochtene Beschlagnahmeverfügung hat sich nach der Klageerhebung erledigt. Allerdings hat die Beschlagnahme nicht automatisch durch Zeitablauf ihren Regelungsgehalt, nämlich die Anordnung eines behördlichen Gewahrsams (siehe Dolderer VBlBW 2003, 222), verloren. Zwar bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 2 PolG, dass eine Beschlagnahme längstens sechs Monate aufrechterhalten werden darf. Wird diese materiell-rechtliche Vorgabe in einer Beschlagnahmeverfügung nicht beachtet, ist diese rechtswidrig; sie verliert deswegen aber nicht automatisch ihre Wirksamkeit. Im Widerspruchsbescheid wurde die Beschlagnahme nicht auf eine Höchstdauer von sechs Monaten beschränkt, sondern vielmehr „bis zu einer gerichtlichen Entscheidung“ angeordnet. Eine solche Entscheidung, mit der nach den Ausführungen im Bescheid nur eine zivilgerichtliche gemeint sein konnte, war zwar schon im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bei objektiver Betrachtung nicht mehr zu erwarten; denn Frau ... hatte nach Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Amtsgericht ihre Klage nicht mehr weiter betrieben. Der Widerspruchsbescheid erstreckte die Geltungsdauer indessen bis zu einem solchen unbestimmten Zeitpunkt. Die Beschlagnahmeverfügung hat sich demnach erst dann erledigt, als das Polizeipräsidium den Film an die Stadt Karlsruhe weitergeleitet und damit den bei ihm begründeten amtlichen Gewahrsam beendet hat.
18 
2. Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zulässig. Der Kläger ist bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage nicht darauf beschränkt, die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts bezogen auf den Zeitpunkt feststellen zu lassen, der im Erledigungszeitpunkt für den mit der ursprünglichen Anfechtungsklage geltend gemachten Aufhebungsanspruch maßgeblich war. Dies ist bei einem Dauerverwaltungsakt wie der Beschlagnahme grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung. Allerdings kommt auch bei einem Anfechtungsstreit insoweit nicht nur eine Aufhebung des Verwaltungsakts ex nunc - nur für die Zukunft -, sondern auch ex tunc - bezogen auf in der Vergangenheit liegende Zeitpunkte - in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 - 11 C 25.93 -, BVerwGE 97, 214 <220 f.>; Gerhardt in: Schoch u.a. , VwGO, § 113 Rn. 34 f.). Demnach kann auch in der veränderten prozessualen Situation die Rechtswidrigkeit eines Dauerverwaltungsakts bezogen auf verschiedene Zeitpunkte geltend gemacht werden (siehe Urteil des erk. Senats vom 17.07.2000 - 1 S 1862/99 -, VBlBW 2001, 100 <101>; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.11.1979 - 3 C 103.79 -, BVerwGE 59, 148 <158 f., 163>).
19 
3. Der Kläger kann sich auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung stützen.
20 
a) Aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr kann dieses aber nicht hergeleitet werden. Denn diese setzte die hinreichend bestimmte Gefahr aus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. hierzu zuletzt BVerwG, Urteil vom für 12.10.2006 - 4 C 12.04 -, Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23). Hierfür ist aber nichts ersichtlich.
21 
b) Ein ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung ist hier indessen zu bejahen.
22 
Der Kläger beruft sich auf ein Rehabilitierungsinteresse wegen der diskriminierenden Wirkung der behördlichen Maßnahme. Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht hierfür allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne aber nicht automatisch folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. nur Urteil des erk. Senats vom 14.04.2005 - 1 S 2362/04 -, VBlBW 2005, 431 m.w.N.). Ob der Kläger in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats in diesem Sinne noch auf merkliche ungünstige Nachwirkungen im persönlichen oder gesellschaftlichen Bereich verweisen kann, erscheint fraglich, bedarf hier aber keiner weiteren Prüfung. Denn ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ideeller Art ist nicht auf eine Rehabilitation im engen Sinn beschränkt; unter Beachtung verfassungsrechtlicher Garantien ist das Rechtsschutzinteresse bei in der Vergangenheit liegenden Rechtsverletzungen nicht nur dann gegeben, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen.
23 
Vielmehr kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ein Feststellungsinteresse begründen. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegen-stand haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.1999 - 1 C 12.97 -, NVwZ 1999, 991; Urteil vom 29.04.1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2543, jeweils m.w.N.; Urteil des erk. Senats vom 22.07.2004 - 1 S 2801/03 -, VBlBW 2005, 138 <139>). Auch bei der Beschlagnahme fällt insoweit ins Gewicht, dass aufgrund von deren nur verhältnismäßig kurzer Dauer der gebotene Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren kaum gewährt werden könnte.
II.
24 
Die Klage ist nicht begründet. Die Anordnung der Beschlagnahme war anfänglich rechtmäßig.
25 
1. Die Beamten des Polizeivollzugsdienstes waren nach § 60 Abs. 3 PolG für die auf § 33 Abs. 1 PolG gestützte Maßnahme zuständig. Den formellen Anforderungen des § 33 Abs. 2 PolG wurde durch die Aushändigung einer schriftlichen Bestätigung entsprochen.
26 
2. Die Beschlagnahme war auch materiell rechtmäßig. Sie war durch § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 PolG gedeckt.
27 
a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG ist die Polizei zur Beschlagnahme einer Sache ermächtigt, wenn dies erforderlich ist zum Schutze des Einzelnen oder des Gemeinwesens gegen eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung. Eine solche Störungslage haben die handelnden Polizeibeamten zutreffend angenommen.
28 
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG umfasst die Rechte und Rechtsgüter der Einzelnen; dazu gehört neben Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 241/81 -, BVerfGE 69, 315 <352>) auch das durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. etwa Urteil des erk. Senats vom 22.02.1995 - 1 S 3184/94 -, VBlBW 1995, 282 <283>; sowie Ruder/Schmitt, Polizeirecht Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2005, Rn. 236; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 1995, Rn. 91). Dieses wird u.a. durch das Recht am eigenen Bild konkretisiert (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.11.1999 - 1 BvR 653/96 -, BVerfGE 101, 361 <381>; di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 ff.; Dreier in: ders. , GG, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1, Rn. 72, jeweils m.w.N.). Eine Verletzung dieses Rechts war hier gegeben.
29 
§ 22 KUG erwähnt als - nach § 33 KUG strafbewehrte - Verletzungshandlungen nur die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Abgebildeten. § 201a StGB stellt das unbefugte Herstellen von Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich unter Strafe. Es ist indessen anerkannt, dass - nicht zuletzt angesichts der nur fragmentarischen Natur des Strafrechts - diese Regelungen nicht abschließend sind. Vielmehr kann auch das bloße Herstellen einer Aufnahme einer Person, die sich nicht im persönlichen Rückzugsbereich, sondern in der Öffentlichkeit aufhält, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen (vgl. Wandtke/Bullinger/Fricke, Urheberrecht, 2. Aufl. 2006, § 22 KUG Rn. 9; Steffen in: Löffler, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 6 LPG Rn. 119, 123, jeweils m.w.N.; Urteil des erk. Senats vom 22.02.1995 - 1 S 3184/94 -, VBlBW 1995, 282 <283>). Denn schon dadurch wird das Erscheinungsbild des Betroffenen in einer bestimmten Situation von seiner Person abgelöst, datenmäßig fixiert und seiner Kontrolle und Verfügungsmacht entzogen, woraus ein Schutzbedürfnis erwächst (siehe BVerfG, Urteil vom 15.11.1999 - 1 BvR 653/96 -, BVerfGE 101, 361 <380 f.>; Beschluss vom 26.02.2008 - 1 BvR 1602/07 u.a. - ). Die Feststellung eines unzulässigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen durch das Anfertigen eines Bildes erfordert eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und eine Güter- und Interessenabwägung der schutzwürdigen Rechtsposition der Beteiligten (BGH, Urteil vom 25.04.1995 - VI ZR 272/94 -, NJW 1995, 1955 <1956 f.>). Hiernach ist nichts dafür ersichtlich, dass die Betroffene die Anfertigung der Bilder durch den Kläger hätte dulden müssen. Ein anerkennenswertes Interesse, die Betroffene zu fotografieren, hat der Kläger nicht dargetan. Die von ihm geäußerten Vermutungen und Verdächtigungen entziehen sich einer rationalen Bewertung. Sie sind vielmehr Ausdruck eines offensichtlich schon lang andauernden psychiatrischen Krankheitsbildes, das sich in Wahnvorstellungen äußert. In einer solchen Situation gewinnt das Interesse der Betroffenen, nicht von einem Unbekannten fotografiert zu werden, besonderes Gewicht. Denn das Verhalten des Klägers stellte sich aus der Sicht der Betroffenen - auch ohne nähere Kenntnis des psycho-pathologischen Hintergrunds - so dar, dass die Bandbreite eines allgemein üblichen und verständlichen Vorgehens deutlich überschritten war; es konnte von ihr als unberechenbar, wenn nicht gar bedrohlich, angesehen werden.
30 
Diese materiell-rechtliche Bewertung wird durch den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe im Prozesskostenhilfeverfahren schon deswegen nicht in Frage gestellt, weil es die mangelnde Erfolgsaussicht des Herausgabeverlangens mit der Erwägung begründet hat, die Polizei, nicht aber der Kläger, sei im Besitz des Films. Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat es sich gar nicht geäußert.
31 
b) Am polizeilichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor Beeinträchtigungen, die - wie hier - weder durch die Strafgesetze noch durch das Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert sind und bei denen demnach nicht die Unversehrtheit der Rechtsordnung in Bezug auf Normen des öffentlichen Rechts in Rede steht, muss nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG ein öffentliches Interesse bestehen. Dieses Interesse kann sich insoweit allein aus dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ergeben, der wirkungsvollen Rechtsschutz garantiert (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006 - 2 BvR 578/02 u.a. -, BVerfGE 117, 71 <121 f.> m.w.N.; siehe auch Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kap. E Rn. 30). Damit wird auf die Bestimmung des § 2 Abs. 2 PolG Bezug genommen. Danach obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird.
32 
Der Polizeivollzugsdienst des Beklagten hat diese Voraussetzung nicht verkannt. Er hat die Beschlagnahme als Sicherungsmaßnahme im Hinblick auf den erst noch zu beantragenden gerichtlichen Rechtsschutz angeordnet (vgl. Urteil des erk. Senats vom 10.07.2000 - 1 S 2239/99 -, VBlBW 2001, 102 <103>). Dabei ist er zu Recht von einer besonderen Dringlichkeit ausgegangen, da gerade die unbefugte Verfügungsmöglichkeit des Klägers über eine Fotografie der Betroffenen in Rede stand und ohne einen sofortigen polizeilichen Zugriff unkontrollierte Vervielfältigungen zu besorgen waren.
III.
33 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 161 Abs. 2 VwGO.
34 
Soweit das Verfahren die Feststellung der anfänglichen Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme betrifft, hat der Kläger nach § 154 Abs. 2 VwGO als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten zu tragen.
35 
Bezüglich des in der Hauptsache erledigten Teils des Verfahrens, dem nach der Interessenlage des Klägers ein verhältnismäßig geringes Gewicht zukommt, findet die Kostenfolge ihre Grundlage in § 161 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist über die Kosten eines in der Hauptsache erledigten Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hier entspricht insoweit die Kostenlast des Beklagten der Billigkeit, denn er hat sich durch seine Erklärung in die Rolle des Unterlegenen begeben. Im Übrigen hätte ein auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bezogener (Hilfs-)Antrag - soweit insoweit ein Feststellungsinteresse gleichfalls bejaht würde - auch Erfolg gehabt. Denn jedenfalls in diesem Zeitpunkt war kein Anlass mehr gegeben, im Wege eines subsidiären polizeilichen Handelns eine zivilgerichtliche Entscheidung offen zu halten. Die Betroffene hatte damals die Bemühungen um Erlangung von Rechtsschutz vor dem Amtsgericht offensichtlich nicht mehr weiterverfolgt, so dass die Beschlagnahme insoweit ihren Zweck erreicht hatte (§ 33 Abs. 3 Satz 1 PolG).
36 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.
37 
Beschluss
38 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2 GKG).
39 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
15 
Soweit die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die vom Vertreter des Beklagten zu Protokoll gegebene Erklärung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 125 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
16 
Im Übrigen ist die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit noch Gegenstand des Berufungsverfahrens, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I.
17 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft. Die angefochtene Beschlagnahmeverfügung hat sich nach der Klageerhebung erledigt. Allerdings hat die Beschlagnahme nicht automatisch durch Zeitablauf ihren Regelungsgehalt, nämlich die Anordnung eines behördlichen Gewahrsams (siehe Dolderer VBlBW 2003, 222), verloren. Zwar bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 2 PolG, dass eine Beschlagnahme längstens sechs Monate aufrechterhalten werden darf. Wird diese materiell-rechtliche Vorgabe in einer Beschlagnahmeverfügung nicht beachtet, ist diese rechtswidrig; sie verliert deswegen aber nicht automatisch ihre Wirksamkeit. Im Widerspruchsbescheid wurde die Beschlagnahme nicht auf eine Höchstdauer von sechs Monaten beschränkt, sondern vielmehr „bis zu einer gerichtlichen Entscheidung“ angeordnet. Eine solche Entscheidung, mit der nach den Ausführungen im Bescheid nur eine zivilgerichtliche gemeint sein konnte, war zwar schon im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bei objektiver Betrachtung nicht mehr zu erwarten; denn Frau ... hatte nach Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Amtsgericht ihre Klage nicht mehr weiter betrieben. Der Widerspruchsbescheid erstreckte die Geltungsdauer indessen bis zu einem solchen unbestimmten Zeitpunkt. Die Beschlagnahmeverfügung hat sich demnach erst dann erledigt, als das Polizeipräsidium den Film an die Stadt Karlsruhe weitergeleitet und damit den bei ihm begründeten amtlichen Gewahrsam beendet hat.
18 
2. Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zulässig. Der Kläger ist bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage nicht darauf beschränkt, die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts bezogen auf den Zeitpunkt feststellen zu lassen, der im Erledigungszeitpunkt für den mit der ursprünglichen Anfechtungsklage geltend gemachten Aufhebungsanspruch maßgeblich war. Dies ist bei einem Dauerverwaltungsakt wie der Beschlagnahme grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung. Allerdings kommt auch bei einem Anfechtungsstreit insoweit nicht nur eine Aufhebung des Verwaltungsakts ex nunc - nur für die Zukunft -, sondern auch ex tunc - bezogen auf in der Vergangenheit liegende Zeitpunkte - in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 - 11 C 25.93 -, BVerwGE 97, 214 <220 f.>; Gerhardt in: Schoch u.a. , VwGO, § 113 Rn. 34 f.). Demnach kann auch in der veränderten prozessualen Situation die Rechtswidrigkeit eines Dauerverwaltungsakts bezogen auf verschiedene Zeitpunkte geltend gemacht werden (siehe Urteil des erk. Senats vom 17.07.2000 - 1 S 1862/99 -, VBlBW 2001, 100 <101>; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.11.1979 - 3 C 103.79 -, BVerwGE 59, 148 <158 f., 163>).
19 
3. Der Kläger kann sich auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung stützen.
20 
a) Aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr kann dieses aber nicht hergeleitet werden. Denn diese setzte die hinreichend bestimmte Gefahr aus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. hierzu zuletzt BVerwG, Urteil vom für 12.10.2006 - 4 C 12.04 -, Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23). Hierfür ist aber nichts ersichtlich.
21 
b) Ein ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung ist hier indessen zu bejahen.
22 
Der Kläger beruft sich auf ein Rehabilitierungsinteresse wegen der diskriminierenden Wirkung der behördlichen Maßnahme. Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht hierfür allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne aber nicht automatisch folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. nur Urteil des erk. Senats vom 14.04.2005 - 1 S 2362/04 -, VBlBW 2005, 431 m.w.N.). Ob der Kläger in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats in diesem Sinne noch auf merkliche ungünstige Nachwirkungen im persönlichen oder gesellschaftlichen Bereich verweisen kann, erscheint fraglich, bedarf hier aber keiner weiteren Prüfung. Denn ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ideeller Art ist nicht auf eine Rehabilitation im engen Sinn beschränkt; unter Beachtung verfassungsrechtlicher Garantien ist das Rechtsschutzinteresse bei in der Vergangenheit liegenden Rechtsverletzungen nicht nur dann gegeben, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen.
23 
Vielmehr kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ein Feststellungsinteresse begründen. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegen-stand haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.1999 - 1 C 12.97 -, NVwZ 1999, 991; Urteil vom 29.04.1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2543, jeweils m.w.N.; Urteil des erk. Senats vom 22.07.2004 - 1 S 2801/03 -, VBlBW 2005, 138 <139>). Auch bei der Beschlagnahme fällt insoweit ins Gewicht, dass aufgrund von deren nur verhältnismäßig kurzer Dauer der gebotene Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren kaum gewährt werden könnte.
II.
24 
Die Klage ist nicht begründet. Die Anordnung der Beschlagnahme war anfänglich rechtmäßig.
25 
1. Die Beamten des Polizeivollzugsdienstes waren nach § 60 Abs. 3 PolG für die auf § 33 Abs. 1 PolG gestützte Maßnahme zuständig. Den formellen Anforderungen des § 33 Abs. 2 PolG wurde durch die Aushändigung einer schriftlichen Bestätigung entsprochen.
26 
2. Die Beschlagnahme war auch materiell rechtmäßig. Sie war durch § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 PolG gedeckt.
27 
a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG ist die Polizei zur Beschlagnahme einer Sache ermächtigt, wenn dies erforderlich ist zum Schutze des Einzelnen oder des Gemeinwesens gegen eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung. Eine solche Störungslage haben die handelnden Polizeibeamten zutreffend angenommen.
28 
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG umfasst die Rechte und Rechtsgüter der Einzelnen; dazu gehört neben Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 241/81 -, BVerfGE 69, 315 <352>) auch das durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. etwa Urteil des erk. Senats vom 22.02.1995 - 1 S 3184/94 -, VBlBW 1995, 282 <283>; sowie Ruder/Schmitt, Polizeirecht Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2005, Rn. 236; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 1995, Rn. 91). Dieses wird u.a. durch das Recht am eigenen Bild konkretisiert (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.11.1999 - 1 BvR 653/96 -, BVerfGE 101, 361 <381>; di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 ff.; Dreier in: ders. , GG, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1, Rn. 72, jeweils m.w.N.). Eine Verletzung dieses Rechts war hier gegeben.
29 
§ 22 KUG erwähnt als - nach § 33 KUG strafbewehrte - Verletzungshandlungen nur die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Abgebildeten. § 201a StGB stellt das unbefugte Herstellen von Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich unter Strafe. Es ist indessen anerkannt, dass - nicht zuletzt angesichts der nur fragmentarischen Natur des Strafrechts - diese Regelungen nicht abschließend sind. Vielmehr kann auch das bloße Herstellen einer Aufnahme einer Person, die sich nicht im persönlichen Rückzugsbereich, sondern in der Öffentlichkeit aufhält, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen (vgl. Wandtke/Bullinger/Fricke, Urheberrecht, 2. Aufl. 2006, § 22 KUG Rn. 9; Steffen in: Löffler, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 6 LPG Rn. 119, 123, jeweils m.w.N.; Urteil des erk. Senats vom 22.02.1995 - 1 S 3184/94 -, VBlBW 1995, 282 <283>). Denn schon dadurch wird das Erscheinungsbild des Betroffenen in einer bestimmten Situation von seiner Person abgelöst, datenmäßig fixiert und seiner Kontrolle und Verfügungsmacht entzogen, woraus ein Schutzbedürfnis erwächst (siehe BVerfG, Urteil vom 15.11.1999 - 1 BvR 653/96 -, BVerfGE 101, 361 <380 f.>; Beschluss vom 26.02.2008 - 1 BvR 1602/07 u.a. - ). Die Feststellung eines unzulässigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen durch das Anfertigen eines Bildes erfordert eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und eine Güter- und Interessenabwägung der schutzwürdigen Rechtsposition der Beteiligten (BGH, Urteil vom 25.04.1995 - VI ZR 272/94 -, NJW 1995, 1955 <1956 f.>). Hiernach ist nichts dafür ersichtlich, dass die Betroffene die Anfertigung der Bilder durch den Kläger hätte dulden müssen. Ein anerkennenswertes Interesse, die Betroffene zu fotografieren, hat der Kläger nicht dargetan. Die von ihm geäußerten Vermutungen und Verdächtigungen entziehen sich einer rationalen Bewertung. Sie sind vielmehr Ausdruck eines offensichtlich schon lang andauernden psychiatrischen Krankheitsbildes, das sich in Wahnvorstellungen äußert. In einer solchen Situation gewinnt das Interesse der Betroffenen, nicht von einem Unbekannten fotografiert zu werden, besonderes Gewicht. Denn das Verhalten des Klägers stellte sich aus der Sicht der Betroffenen - auch ohne nähere Kenntnis des psycho-pathologischen Hintergrunds - so dar, dass die Bandbreite eines allgemein üblichen und verständlichen Vorgehens deutlich überschritten war; es konnte von ihr als unberechenbar, wenn nicht gar bedrohlich, angesehen werden.
30 
Diese materiell-rechtliche Bewertung wird durch den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe im Prozesskostenhilfeverfahren schon deswegen nicht in Frage gestellt, weil es die mangelnde Erfolgsaussicht des Herausgabeverlangens mit der Erwägung begründet hat, die Polizei, nicht aber der Kläger, sei im Besitz des Films. Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat es sich gar nicht geäußert.
31 
b) Am polizeilichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor Beeinträchtigungen, die - wie hier - weder durch die Strafgesetze noch durch das Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert sind und bei denen demnach nicht die Unversehrtheit der Rechtsordnung in Bezug auf Normen des öffentlichen Rechts in Rede steht, muss nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG ein öffentliches Interesse bestehen. Dieses Interesse kann sich insoweit allein aus dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ergeben, der wirkungsvollen Rechtsschutz garantiert (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006 - 2 BvR 578/02 u.a. -, BVerfGE 117, 71 <121 f.> m.w.N.; siehe auch Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kap. E Rn. 30). Damit wird auf die Bestimmung des § 2 Abs. 2 PolG Bezug genommen. Danach obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird.
32 
Der Polizeivollzugsdienst des Beklagten hat diese Voraussetzung nicht verkannt. Er hat die Beschlagnahme als Sicherungsmaßnahme im Hinblick auf den erst noch zu beantragenden gerichtlichen Rechtsschutz angeordnet (vgl. Urteil des erk. Senats vom 10.07.2000 - 1 S 2239/99 -, VBlBW 2001, 102 <103>). Dabei ist er zu Recht von einer besonderen Dringlichkeit ausgegangen, da gerade die unbefugte Verfügungsmöglichkeit des Klägers über eine Fotografie der Betroffenen in Rede stand und ohne einen sofortigen polizeilichen Zugriff unkontrollierte Vervielfältigungen zu besorgen waren.
III.
33 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 161 Abs. 2 VwGO.
34 
Soweit das Verfahren die Feststellung der anfänglichen Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme betrifft, hat der Kläger nach § 154 Abs. 2 VwGO als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten zu tragen.
35 
Bezüglich des in der Hauptsache erledigten Teils des Verfahrens, dem nach der Interessenlage des Klägers ein verhältnismäßig geringes Gewicht zukommt, findet die Kostenfolge ihre Grundlage in § 161 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist über die Kosten eines in der Hauptsache erledigten Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hier entspricht insoweit die Kostenlast des Beklagten der Billigkeit, denn er hat sich durch seine Erklärung in die Rolle des Unterlegenen begeben. Im Übrigen hätte ein auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bezogener (Hilfs-)Antrag - soweit insoweit ein Feststellungsinteresse gleichfalls bejaht würde - auch Erfolg gehabt. Denn jedenfalls in diesem Zeitpunkt war kein Anlass mehr gegeben, im Wege eines subsidiären polizeilichen Handelns eine zivilgerichtliche Entscheidung offen zu halten. Die Betroffene hatte damals die Bemühungen um Erlangung von Rechtsschutz vor dem Amtsgericht offensichtlich nicht mehr weiterverfolgt, so dass die Beschlagnahme insoweit ihren Zweck erreicht hatte (§ 33 Abs. 3 Satz 1 PolG).
36 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.
37 
Beschluss
38 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2 GKG).
39 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Eine ratsuchende Schwangere ist unverzüglich zu beraten.

(2) Die Schwangere kann auf ihren Wunsch gegenüber der sie beratenden Person anonym bleiben.

(3) Soweit erforderlich, sind zur Beratung im Einvernehmen mit der Schwangeren

1.
andere, insbesondere ärztlich, fachärztlich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch oder juristisch ausgebildete Fachkräfte,
2.
Fachkräfte mit besonderer Erfahrung in der Frühförderung behinderter Kinder und
3.
andere Personen, insbesondere der Erzeuger sowie nahe Angehörige,
hinzuzuziehen.

(4) Die Beratung ist für die Schwangere und die nach Absatz 3 Nr. 3 hinzugezogenen Personen unentgeltlich.

Tenor

Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt ..., Stuttgart, sowie auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt ..., Stuttgart, bleibt ohne Erfolg. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob der Antrag überhaupt „bewilligungsreif“ ist, nachdem die vom Antragsteller ausgefüllte und unterschriebene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse immerhin die Frage aufwirft, wovon er derzeit seinen Lebensunterhalt bestreitet. Hierauf kommt es aber nicht an, denn der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ist bereits deshalb abzulehnen, weil der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG [Senat], Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413) - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 Abs. 2 ZPO), was sich im Einzelnen den nachfolgenden Gründen entnehmen lässt.
II.
1. Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt, „die ständige 24-stündige Überwachung mit fünf Polizeibeamten einzustellen“, ist zulässig. Namentlich handelt es sich bei der Anordnung der Observation gemäß § 22 Abs. 6 PolG weder generell noch im vorliegenden Fall um einen anfechtbaren Verwaltungsakt, gegen den vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren wäre (vgl. hierzu näher: Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. [2009], § 22 RdNr. 71; Ruder/Schmitt, Polizeirecht Baden-Württemberg, 7. Aufl. [2011], RdNr. 442c). Dem - in seiner Reichweite unklaren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. [2009], § 123 RdNr. 22) - Erfordernis der vorherigen Antragstellung bei der Behörde hat der Antragsteller ebenfalls genügt.
2. Der Antrag ist aber nicht begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb es des Erlasses der einstweiligen Anordnung bedarf (Anordnungsgrund), sind hierbei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
Ob ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht ist, bedarf keiner Entscheidung, denn dem Antragsteller steht kein Anordnungsanspruch zur Seite. Die Einstellung der längerfristigen Observation könnte der Antragsteller von Rechts wegen nur verlangen, wenn diese - auf § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 PolG gründende - Maßnahme aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts rechtswidrig und damit künftig zu unterlassen wäre. Dies ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht der Fall. Die längerfristige Observation des Antragstellers dürfte durch die nämliche Vorschrift gedeckt sein.
Der Polizeivollzugsdienst kann nach § 22 Abs. 3 PolG personenbezogene Daten durch eine längerfristige Observation zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung über die in § 20 Abs. 3 Nr. 1 und 2 PolG genannten Personen - zu diesen zählt der Antragsteller - erheben, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. § 22 Abs. 1 Nr. 1 PolG erklärt zu der hier in Rede stehenden längerfristigen Observation „jede voraussichtlich innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden dauernde oder über den Zeitraum einer Woche hinaus stattfindende Observation“. Zu den durch § 22 Abs. 3 Nr. 2 PolG in Bezug genommenen Straftaten mit erheblicher Bedeutung rechnen nach § 22 Abs. 5 PolG Verbrechen (Nr. 1) sowie Vergehen, die im Einzelfall nach Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören, soweit sie sich gegen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit einer oder mehrerer Personen richten (Nr. 2 Buchstabe a). Die Anordnung steht gemäß § 22 Abs. 6 PolG unter einem so genannten Behördenleitervorbehalt und der Betroffene hat ein Unterrichtungsrecht nach Maßgabe des § 22 Abs. 8 PolG.
a) Die Kammer hat bereits in ihrem Beschluss vom 02.09.2010 (4 K 1570/10) entschieden, dass § 22 PolG voraussichtlich in einer Weise ausgelegt werden kann, die mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und den Freiheitsrechten der Betroffenen in Einklang zu bringen ist (so auch VG Aachen, Beschluss vom 18.03.2010 - 6 L 28/10 -, juris zur vergleichbaren Vorschrift des § 16 Abs. 1 PolG NW 2003; VG des Saarlandes, Beschluss vom 15.09.2010 - 6 L 746/10 -, juris zu § 28 PolG des Saarlandes; vgl. zum Ganzen auch BVerfG [Senat], Urteil vom 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, BVerfGE 113, 348 = NJW 2005, 2603 zu § 33a NdsSOG; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. [2007], F RdNrn. 336 ff.), sodass das Verdikt der Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage voraussichtlich nicht droht und es der Erörterung der Folgefrage, ob die längerfristige Observation auch auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden könnte (so VG des Saarlandes, Beschluss vom 15.09.2010, a.a.O.), nicht bedarf. Hieran hält die Kammer nach erneuter Überprüfung aus Anlass des vorliegenden Falles fest.
b) Auch die Anwendung der voraussichtlich verfassungskonform interpretierbaren Vorschrift des § 22 PolG im konkreten Fall dürfte mit der genannten Ermächtigungsgrundlage im Einklang stehen.
aa) Es spricht zunächst alles dafür, dass eine längerfristige Observation im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 PolG in Rede steht. Namentlich teilt die beschließende Kammer nicht die in der Literatur vereinzelt gebliebene Auffassung, wonach § 22 Abs. 1 Nr. 1 PolG nur die verdeckte Observation umfasse (so Ruder/Schmidt, a.a.O., RdNrn. 438 und 442c). Zum einen gibt der Wortlaut der Vorschrift für ein solch enges Verständnis der Norm nichts her. Zum anderen zeigen gerade die systematische Auslegung und der Normkontext mit § 22 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 PolG, dass dem Gesetzgeber die Frage durchaus bewusst gewesen ist, ob ein Datenerhebungsmittel ausschließlich verdeckt eingesetzt werden soll. Für die hier vertretene Auffassung spricht im Übrigen die Ausgestaltung der Unterrichtungspflicht (§ 22 Abs. 8 Satz 1 PolG) und der allgemeine, auch hier Anwendung findende Grundsatz der vorrangig „offenen Datenerhebung“ (§ 19 Abs. 2 PolG). Soweit ersichtlich geht auch die übrige Literatur davon aus, dass die längerfristige Observation im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 PolG die offene Beobachtung mit einschließt (so Wolf/Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 4. Aufl. [2009], § 22 Rn. 4; Belz/Mußmann, a.a.O., § 22 RdNr. 3; Rachor, a.a.O., RdNr. 325 Fn. 450; ebenso VG des Saarlandes, Beschluss vom 1509.2010, a.a.O., juris RdNr. 6).
bb) In formeller Hinsicht dürfte den Anforderungen des § 22 Abs. 6 PolG genügt sein. Die längerfristige Observation wurde am 03.12.2010 vom Leiter der Polizeidirektion Freiburg für die Dauer von weiteren acht Wochen angeordnet. Dem Behördenleitervorbehalt des § 22 Abs. 6 Satz 1 PolG ist damit Rechnung getragen. Soweit man in der Unterrichtungspflicht des § 22 Abs. 8 PolG zugleich eine formelle Anforderung an die Rechtmäßigkeit der Maßnahme als solcher sehen wollte, wäre dem bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Observation von Anfang an und mit dem Wissen der Betroffenen offen erfolgte und der Antragsteller jedenfalls mittlerweile auch über den Umfang der Observation Klarheit hat.
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cc) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht spricht Überwiegendes dafür, dass die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 3 PolG derzeit vorliegen. Nach dem Inhalt der dem Gericht vorgelegten Akten, namentlich der Risikobewertung nach dem Sicherheitsprogramm „Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ (KURS) und der einschlägigen psychiatrischen Gutachten, dürfte die Einschätzung des Antragsgegners, die Observation des Antragstellers sei derzeit (noch) zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person (§ 22 Abs. 3 Nr. 1 PolG) bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen (§ 22 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1 PolG) angezeigt, voraussichtlich nicht zu beanstanden sein. Die vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg nach dem Sicherheitsprogramm KURS durchgeführte Risikobewertung gelangt nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zu dem für die Kammer plausiblen und vom Antragsteller nicht hinreichend in Frage gestellten Ergebnis, ein Schadenseintritt für hochrangige Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Leben sowie die sexuelle Selbstbestimmung könne aufgrund der Vorgeschichte und der immer noch bestehenden Persönlichkeitsproblematik als hinreichend konkret angenommen werden (vgl. Ergebnis der Risikobewertung S. 17). Dass diese knapp vier Monate zurückliegende Risikobewertung zwischenzeitlich überholt und nicht mehr aussagekräftig sein könnte, vermag die beschließende Kammer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht festzustellen. Auch der Antragsteller hat hierzu - mit Ausnahme des Hinweises auf ein offenes Bein und letztlich pauschaler Beteuerungen - nichts vorgebracht, was die sorgfältig erstellte Risikobewertung bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Frage stellen könnte. Es ist bereits nicht hinreichend dargetan, welche Auswirkungen das offene Bein auf die Fortbewegungsfreiheit des Antragstellers hat. Im Übrigen ist angesichts der bisherigen Begehungsweise von Sexualstraftaten auch nicht ersichtlich, dass ein offenes Bein für den Antragsteller ein Hindernis für die Begehung weiterer einschlägiger Straftaten wäre. Im Gegenteil sprechen die wiederholte Tatbegehung, die hierbei zu Tage getretene Brutalität gegenüber minderjährigen Opfern, die rein triebgesteuerte Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol, das konsequente Ablehnen jeglicher Therapie und - vor allem - der fehlende soziale Empfangsraum nach den im Eilverfahren zu berücksichtigenden Erkenntnissen eher für die Richtigkeit der Risikobewertung des Landeskriminalamts und damit für das Vorliegen einer vom Antragsteller ausgehenden konkreten Gefahr im Sinne des § 22 Abs. 3 Nr. 1 PolG.
11 
Allerdings dürfte der Antragsgegner bei der gebotenen verfassungsorientierten Auslegung des § 22 Abs. 3 PolG auch gehalten sein, seine Gefahrenprognose den sich wandelnden Verhältnissen anzupassen. Namentlich bietet § 22 Abs. 3 PolG keine Handhabe zur Dauer-Überwachung von Menschen, von denen anzunehmen ist, dass das in der Vergangenheit prognostizierte Risiko zwischenzeitlich nicht mehr oder nur noch eingeschränkt besteht oder bei denen andere - mildere - Mittel in gleicher Weise zur Gefahrenabwehr geeignet sein könnten. Ob der Antragsgegner mit Rücksicht auf diese rechtlichen Prämissen seine Risikobewertung nach oder vergleichbar dem Sicherheitsprogramm KURS in bestimmten Abständen wiederholen muss oder gehalten sein könnte, nach Ablauf einer gewissen Zeit eine erneute psychiatrische Begutachtung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Führungsaufsicht, der Observation und des derzeitigen Gesundheitszustands des Antragstellers durchzuführen, bedarf aus Anlass des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Denn die Risikobewertung des Landeskriminalamts dürfte derzeit noch hinreichend belastbar sein und wurde vom Antragsteller auch nicht substantiiert angegriffen. Indes dürften sich entsprechende Fragen der aktualisierten Risikobewertung möglicherweise bereits bei der Frage der Verlängerung der derzeit auf acht Wochen befristeten längerfristigen Observation ebenso stellen wie die Frage der weiteren Perspektive des Antragstellers, der sich selbst eine Unterbringung im „...hof“ in Bayern vorstellen könnte, der aber möglicherweise auch zum Adressatenkreis des noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Gesetzes zur Therapieunterbringung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter rechnen könnte.
12 
dd) Die beschließende Kammer ist schließlich der Auffassung, dass die Anordnung der längerfristigen Observation derzeit voraussichtlich dem Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) genügt. Sie ist zur Gefahrenabwehr zweifellos geeignet und wohl auch erforderlich, da mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen dürften und vom Antragsteller auch nicht benannt werden. Die von ihm als gleich geeignet bezeichneten elektronischen Fußfesseln (electronic monitoring) sind - ungeachtet ihrer rechtlichen Unzulässigkeit - schon deshalb nicht gleichermaßen geeignet, weil sie die Begehung von Straftaten nicht zu verhindern vermögen. Die längerfristige Observation dürfte zum jetzigen Zeitpunkt auch noch angemessen sein. Allerdings ist dabei dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers auch im Hinblick auf dessen Bezug zum Schutz der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfassend und zwingend Rechnung zu tragen. Mit der Würde des Menschen ist es - nach einer weit verbreiteten, freilich etwas plakativen Formel - nicht vereinbar, einen Menschen zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 15.12.1970 - 2 BvF 1/69 u.a. -, BVerfGE 30, 1 [25] = NJW 1971, 275). Im Hinblick auf ihre Anwendung treten die Grenzen der Objektformel jedoch deutlich zutage. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem er sich zu fügen hat. Die Menschenwürde wird insbesondere nicht schon dadurch verletzt, dass jemand zum Adressaten von Maßnahmen der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr wird, wohl aber dann, wenn durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird. Das ist der Fall, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt (vgl. BVerfG [Senat], Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. -, BVerfGE 109, 279 = NJW 2004, 999). Solche Maßnahmen dürfen auch nicht im Interesse der Effektivität der Gefahrenabwehr vorgenommen werden und dies auch in solchen Fällen nicht, in denen der hiervon Betroffene - wie hier - die Menschenwürde seiner Opfer bei der Begehung von Straftaten mit Vehemenz negiert hat. Vielmehr hat der Staat auch beim Umgang mit gefährlichen Menschen dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private - „höchstpersönliche“ - Entfaltung Rechnung zu tragen (Kernbereich privater Lebensgestaltung). Die Möglichkeit entsprechender Entfaltung setzt voraus, dass der Einzelne über einen dafür geeigneten Freiraum verfügt. Die vertrauliche Kommunikation benötigt ein räumliches Substrat jedenfalls dort, wo die Rechtsordnung um der höchstpersönlichen Lebensgestaltung willen einen besonderen Schutz einräumt und die Bürger auf diesen Schutz vertrauen. Das ist regelmäßig die Privatwohnung, die für andere verschlossen werden kann. Verfügt der Einzelne über einen solchen Raum, kann er für sich sein und sich nach selbst gesetzten Maßstäben frei entfalten. Die Wohnung ist als „letztes Refugium“ ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde. Dies verlangt zwar nicht einen absoluten Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aber absoluten Schutz des Verhaltens in diesen Räumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt (vgl. wiederum BVerfG [Senat], Urteil vom 03.03.2004, a.a.O.). Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst ferner die Kommunikation mit anderen Personen des besonderen Vertrauens, deren Kreis sich nur teilweise mit den in §§ 52 und 53 StPO genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten deckt (vgl. zum Ganzen: Trurnit, VBlBW 2010, 413 [414]). Dabei führt selbst ein heimliches Vorgehen des Staates an sich noch nicht zu einer Verletzung des absolut geschützten Achtungsanspruchs (vgl. zur verdeckten, technischen Überwachung: BVerfG [Senat], Urteil vom 12.04.2005 - 2 BvR 581/01 -, BVerfGE 112, 304 = NJW 2005, 1338 - GPS). Wird jemand zum Objekt einer Beobachtung, geht damit nämlich nicht zwingend eine Missachtung seines Wertes als Mensch einher, soweit hierbei - gleich ob offen oder verdeckt beobachtet wird - ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung gewahrt wird. Auf diesen - unverbrüchlichen - Kern des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist bei der längerfristigen Observation des Antragstellers jedenfalls (und zwingend) Rücksicht zu nehmen. Eine Totalüberwachung im Sinne einer zeitlichen und räumlichen Rundumüberwachung wäre hiermit nicht vereinbar (vgl. wiederum Trurnit, ebenda).
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Gemessen daran dürfte die vom Antragsgegner praktizierte längerfristige Observation dem Kernbereich privater Lebensgestaltung derzeit noch hinreichend Rechnung tragen. Der Antragsgegner hat den Ablauf der Observation mittels einer Stellungnahme des Führungs- und Einsatzstabs der Polizeidirektion Freiburg vom 22.12.2010 im Einzelnen dargelegt. Danach findet eine Beobachtung in dem Wohnraum des Antragstellers weder offen noch verdeckt statt. Bei Gesprächen des Antragstellers mit Ärzten, Rechtsanwälten und Bediensteten von Behörden sind die Beamten angewiesen, Abstand zu halten. Damit ist dem Kernbereich privater Lebensgestaltung hinreichend Rechnung getragen. Es mag sein, dass dies - wie der Antragsteller in seiner Antragsschrift hinreichend glaubhaft gemacht und was der Antragsgegner nicht in Abrede gestellt hat - bei dem Kontakt mit seinem Prozessbevollmächtigten am 30.11.2010 nicht der Fall gewesen sein mag. In solchen Fällen der besonders zu schützenden Kommunikation, in denen die Gefahr für den als gefährdet angesehenen Personenkreis gering sein dürfte, sind die Beamten des Polizeivollzugsdienstes nach den oben genannten Grundsätzen von Rechts wegen gehalten, der gebotenen Vertraulichkeit des gesprochenen Worts Rechnung zu tragen und sich darauf zu beschränken, ein etwaiges Entweichen des Antragstellers zu verhindern. Die Effektivität der Gefahrenabwehr dürfte es grundsätzlich auch nicht erfordern, dass Nachfragen zum Titel einer erworbenen Compact-Disc bei der Verkäuferin erfolgen. Hingegen dürfte die Observation kaum der Grund dafür sein, dass der Antragsteller in seinem Wohnraum keinen Besuch empfangen darf. Dieser Umstand dürfte eher - worauf der Führungs- und Einsatzstab in seiner Stellungnahme vom 22.12.2010 zutreffend hingewiesen hat - der Hausordnung des ... geschuldet sein. Insgesamt dürfte dem Kernbereich privater Lebensgestaltung derzeit noch hinreichend Rechnung getragen sein, soweit er sich so, wie in der Stellungnahme des Führungs- und Einsatzstabs der Polizeidirektion Freiburg vom 22.12.2010 dargelegt, vollziehen sollte. Von einer entsprechenden Erlasslage und einem „erlassgerechten“ Vollzug geht die Kammer aus.
14 
Die längerfristige Observation dürfte derzeit auch im Übrigen noch angemessen sein. Hierbei verkennen die beschließende Kammer wie auch der Antragsgegner nicht, dass trotz des hinreichend gesicherten Kernbereichs ein schwerwiegender Grundrechtseingriff zulasten des Antragstellers in Rede steht. Er kann sich außerhalb seines Wohnraums nur in dem Bewusstsein fortbewegen, dass er von Polizeibeamten verfolgt wird. Hierdurch wird er in seiner privaten Lebensgestaltung in erheblicher Weise beeinträchtigt und - was auch im Hinblick auf seine Integration in die Gesellschaft schädlich ist - für die Außenwelt stigmatisiert. Insbesondere die Aufnahme und die Pflege sozialer Kontakte werden wesentlich erschwert, in vielen Fällen sogar nahezu unmöglich gemacht. Zwar lässt sich § 19 Abs. 2 PolG entnehmen, dass die offene Observation das mildere Mittel gegenüber der verdeckten Beobachtung ist. Jedoch sind damit für den Antragsteller auch die genannten Einschränkungen verbunden. Hinzu kommt, dass bei Fortbestehen der Gefahrenlage und in Ermangelung von Alternativen ein Ende der Observation zur Zeit nicht absehbar ist (vgl. hierzu Rachor, a.a.O., RdNr. 361) und das Polizeigesetz verfahrensmäßige Sicherungen - wie etwa eine regelmäßige von Amts wegen durchzuführende, ggf. gerichtliche Überprüfung des Fortbestands der Gefahr - nicht statuiert. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände dürfte die längerfristige Observation gleichwohl derzeit noch angemessen sein, da angesichts der plausiblen Risikobewertung des Landeskriminalamts und der vorliegenden Gutachten zur Zeit noch davon auszugehen sein dürfte, dass die Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit Dritter so schwer wiegen, dass die Freiheitsrechte des Antragstellers dahinter zurückstehen müssen. Hierbei ist für die beschließende Kammer auch von Bedeutung, dass die an Kindern und Jugendlichen begangenen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in einer Häufigkeit und Brutalität begangen wurden, die das Risiko der Rechtsgutbeeinträchtigung bei einer Einschränkung oder Aussetzung der Observation als besonders hoch erscheinen lässt. Dieser durch psychiatrische Gutachten hinreichend belegte Umstand, die Therapieresistenz des Antragstellers und der nicht vorhandene soziale Empfangsraum lassen eine ihm günstigere Entscheidung derzeit nicht zu.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 227/01 Verkündet am:
1. April 2004
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ansprechen in der Öffentlichkeit
Das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum
zu Werbezwecken stellt sich grundsätzlich, insbesondere wenn der Werbende
als solcher nicht erkennbar ist, als wettbewerbswidrig dar.
BGH, Urt. v. 1. April 2004 - I ZR 227/01 - OLG Köln
LG Köln
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Schaffert

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Juli 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte bewirbt und vermittelt für einen Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen sogenannte Pre-Selection-Verträge. Hierzu gehen Mitarbeiter der Beklagten u.a. auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie in Einkaufszentren auf Passanten zu und sprechen diese individuell auf die "Möglichkeiten" eines solchen Vertrags an.
Die klagende Deutsche Telekom AG hält dieses Werbeverhalten der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Anreißens von Kunden durch "Belästi-
gung" nach § 1 UWG für wettbewerbswidrig und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat vorgebracht, der Verbraucher trete Werbung heute wesentlich selbstbewußter entgegen und wisse sich direkter werblicher Ansprache problemloser zu erwehren als noch vor dreißig oder vierzig Jahren. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der streitgegenständlichen Werbeform bedürfe einer Harmonisierung mit der gesetzgeberischen Wertung, wie sie mit dem "Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften" (Haustürwiderrufsgesetz) zum Ausdruck gebracht worden sei. Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Werbeform stelle eine typischerweise vom Haustürwiderrufsgesetz erfaßte Fallgruppe dar.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung verurteilt. Das Berufungsgericht (OLG Köln GRUR 2002, 641) hat die Berufung der Beklagten unter Berücksichtigung des zweitinstanzlich gestellten Antrags der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, in Einkaufszentren, Warenhäusern, Geschäftspassagen auf Passanten zuzugehen oder zugehen zu lassen und sie individuell anzusprechen oder ansprechen zu lassen.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat den Klageantrag für hinreichend bestimmt i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG unter dem Aspekt des Kundenanreißens durch Belästigung für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
Mit der Formulierung "auf Passanten zuzugehen ... und sie individuell anzusprechen" sei die konkrete Form der von dem Verbot erfaßten werblichen Ansprache und damit auch das Charakteristische der zu beurteilenden Verletzungshandlung in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise konturiert.
Das gezielte individuelle Ansprechen von Personen an öffentlichen Orten sei grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten. Die Unlauterkeit liege zum einen darin, daß der Passant plötzlich und unvorbereitet gezwungen werde, sich mit einem Angebot zu befassen und eine Entscheidung zu treffen, ohne das Angebot in Ruhe sachlich prüfen zu können. Viele Betroffene würden durch die persönliche Ansprache in eine subjektive Zwangslage versetzt, der sie sich häufig nur dadurch zu entziehen können glaubten, daß sie auf das Angebot eingingen. Der Angesprochene werde so ganz erheblich in seiner freien Entschließung beeinträchtigt, ob er überhaupt ein Angebot - und bejahendenfalls welches - näher prüfen und gegebenenfalls annehmen wolle. Selbst unter Berücksichtigung des Umstands, daß ein zunehmender Teil des Verkehrs Werbemaßnahmen gegenüber distanziert sei und über ein ausreichendes Selbstbewußtsein verfüge, um die individuelle Ansprache ohne weiteres Eingehen auf das beworbene Angebot sogleich abzuschütteln, werde doch jedenfalls ein anderer , als erheblich zu erachtender Teil des Verkehrs über ein solches Selbst-
bewußtsein oder eine derartige Reaktionsschnelligkeit nicht verfügen, um sich der Kontaktaufnahme zu entziehen.
Das Unlauterkeitsmoment der in Rede stehenden Werbeform liege zum anderen nicht nur und in erster Linie in der Überrumpelung und/oder Verstrikkung der Kunden, sondern auch in der Belästigung des Angesprochenen an sich. Es gehe letztlich um die Wahrung der Individualsphäre der Umworbenen und um deren vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützende Freiheit, einem gewerblichen Angebot ihre Aufmerksamkeit zu schenken oder sich mit anderen Dingen zu befassen. Es treffe zwar zu, daß die Verbraucher der um sich greifenden Werbung einerseits distanzierter gegenüberstünden. Andererseits habe aber gerade die Häufung und Intensivierung der Werbung zu einer Sensibilisierung eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegenüber Werbemaßnahmen geführt. Bei diesem Teil des Verkehrs steige der Wunsch nach "werbefreien Zonen", und er werde Versuchen der Wirtschaftswerbung, in weitere Bereiche einzudringen oder eine bisher noch gezeigte Zurückhaltung aufzugeben, ablehnend gegenüberstehen und sie daher als besonders belästigend empfinden. Das gelte insbesondere im Hinblick auf einen "Summeneffekt" , der sich daraus ergebe, daß eine Vielzahl von sonstigen Anbietern von Pre-Selection-Verträgen zur streitgegenständlichen Werbeform greifen werde, um andernfalls befürchteten Wettbewerbsnachteilen zu entgehen.
Aus dem gesetzlich vorgesehenen Widerrufsrecht folge nicht, daß die davon erfaßten Formen des Direktvertriebs nicht wettbewerbswidrig sein könnten. Die betreffenden gesetzlichen Regelungen hätten einen anderen Wertungsansatz als das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, so daß die Möglichkeit des Widerrufs eines Rechtsgeschäfts nichts über die wettbewerbs-
rechtliche Beurteilung der Werbemethode besage, die das Rechtsgeschäft zustande bringe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Klageantrag mit Recht für hinreichend bestimmt erachtet und den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG rechtsfehlerfrei bejaht.
1. Entgegen der von der Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung geht es im vorliegenden Rechtsstreit nicht um die Fallgestaltung, daß der Werbende für Passanten ohne weiteres als solcher erkennbar ist. Wie sich schon aus dem landgerichtlichen Urteil (LGU 5) ergibt, ist Gegenstand des vom Senat zu überprüfenden Verbots allein die Fallkonstellation , daß Passanten auf öffentlichen Straßen für sie überraschend angesprochen und genötigt werden, sich mit dem Angebot des Werbenden in irgendeiner Weise auseinanderzusetzen. Fallkonstellationen, in denen sich die Passanten der Ansprache ohne weiteres entziehen können, sind dagegen nicht Gegenstand des ausgesprochenen Verbots.
2. Der von der Klägerin in der Berufungsinstanz gestellte Unterlassungsantrag ist i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt gefaßt. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Klageantrag mit der Formulierung "auf Passanten zuzugehen ... und sie individuell anzusprechen" die konkrete Form der von dem Verbot erfaßten werblichen Ansprache und damit auch das Charakteristische der zu beurteilenden Verletzungshandlung in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise umreißt.
Der Auffassung der Revision, die Wendung "auf jemanden zugehen" könne sowohl wörtlich im Sinne der Überwindung einer räumlichen Distanz als auch - übertragen - im Sinne einer allgemeinen und letzthin jeder Art von Werbung immanenten Kontaktaufnahme mit dem Werbeadressaten verstanden werden, kann nicht beigetreten werden. Die gewählte Formulierung ist in dem gegebenen Zusammenhang nicht mehrdeutig. Sie ist im wörtlichen Sinne zu verstehen.
3. Die Annahme des Berufungsgerichts, das gezielte individuelle Ansprechen von Personen an öffentlichen Orten sei grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten, entspricht der bislang herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGH, Urt. v. 8.4.1960 - I ZR 24/59, GRUR 1960, 431, 432 = WRP 1960, 155 - Kfz-Nummernschilder; Urt. v. 22.11.1974 - I ZR 23/74, GRUR 1975, 264, 265 = WRP 1975, 212 - Werbung am Unfallort I; Urt. v. 8.7.1999 - I ZR 118/97, GRUR 2000, 235, 236 = WRP 2000, 168 - Werbung am Unfallort IV; KG WRP 1978, 721; OLG Düsseldorf WRP 1986, 212, 213; OLG Köln OLG-Rep 2001, 258; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG Rdn. 60; Köhler in Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 1 Rdn. 109 m.w.N.). Daran ist für die hier gegebene Fallgestaltung festzuhalten.

a) Die Revision wendet sich allerdings mit Recht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, viele Passanten würden durch die persönliche Ansprache in eine subjektive Zwangslage versetzt, der sie sich häufig nur dadurch entziehen zu können glaubten, daß sie auf das beworbene Angebot eingingen (so aber auch Baumbach/Hefermehl aaO § 1 UWG Rdn. 60; Köhler in Köhler/Piper aaO § 1 Rdn. 109). Das Berufungsgericht hat insoweit nicht genügend berücksichtigt , daß die beteiligten Verkehrskreise heute stärker als früher auf die Wahrung eigener Interessen und weniger auf die Einhaltung bestimmter Umgangs-
formen bedacht sind. Mit der Gefahr einer Verstrickung oder Überrumpelung des Verbrauchers läßt sich die Unlauterkeit der in Rede stehenden Werbemethode nicht mehr begründen. Für den mündigen Verbraucher besteht in der Regel nicht die Gefahr, daß er sich hierdurch zu einem ihm an sich unerwünschten Vertragsschluß bewegen läßt.

b) Dem Berufungsgericht ist jedoch in seiner weiteren Beurteilung beizutreten , das den Unterlassungsanspruch rechtfertigende Unlauterkeitsmoment liege in dem belästigenden Eingriff in die Individualsphäre des Umworbenen und in dessen Recht, auch im öffentlichen Raum weitestgehend ungestört zu bleiben.
Das Gewicht dieses Eingriffs ergibt sich - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat - nicht so sehr aus der einzelnen beanstandeten Werbemaßnahme, sondern aus der Gefahr, daß im Falle ihrer Zulassung zahlreiche Anbieter von dieser Werbemethode Gebrauch machen und daß dann auch solche Mitbewerber, die selbst dieser Art von Werbung nicht zuneigen , sich aus Wettbewerbsgründen zu ihrer Nachahmung gezwungen sehen können (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BGHZ 103, 203, 208 f. - BtxWerbung ). Selbst wenn die mit einer bestimmten Werbemethode verbundene Belästigung im Einzelfall nur ein geringes Ausmaß erreicht, kann sie doch als wettbewerbswidrig zu verbieten sein, wenn anderenfalls - wie vom Berufungsgericht im Streitfall rechtsfehlerfrei festgestellt - damit gerechnet werden muß, daß weitere Gewerbetreibende in größerer Zahl die gleiche Methode anwenden werden und es durch die Nachahmung zu einer unerträglichen Beeinträchtigung der umworbenen Verbraucher kommen wird (vgl. BGHZ 54, 188, 192 - Telefonwerbung I; Baumbach/Hefermehl aaO § 1 UWG Rdn. 57 m.w.N.).
Bei dem Ansprechen von Passanten auf der Straße kommt noch ein weiterer Umstand hinzu, der eine solche Werbemaßnahme als unlauter erscheinen läßt. Der Werbende, der sich - ohne als solcher erkennbar zu sein - einem Passanten nähert, macht sich den Umstand zunutze, daß es einem Gebot der Höflichkeit unter zivilisierten Menschen entspricht, einer fremden Person, die sich beispielsweise nach dem Weg erkundigen möchte, nicht von vornherein abweisend und ablehnend gegenüberzutreten.

c) Der Bewertung der in Rede stehenden Werbemethode als wettbewerbswidrig stehen - anders als die Revision meint - nicht die gesetzlichen Regelungen zur Widerrufbarkeit von im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen nach überraschendem Ansprechen abgeschlossenen Rechtsgeschäften entgegen. Denn durch die in § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB (vormals: § 1 Abs. 1 Nr. 3 HaustürWG) vorgesehene Widerrufsmöglichkeit wird die mit der Ansprache von Passanten verbundene Gefahr einer den Interessen der Verbraucher zuwiderlaufenden Belästigung nicht ausgeräumt. Der nachträgliche Widerruf der Vertragserklärung beseitigt lediglich die zivilrechtlichen Folgen der (möglichen) Überrumpelung und nicht auch die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit wegen Belästigung, für die andere Kriterien als für die zivilrechtliche Beurteilung eines Rechtsgeschäfts maßgeblich sind (vgl. BGH GRUR 2000, 235, 236 - Werbung am Unfallort IV). Der Umstand, daß der Gesetzgeber die werbliche Direktansprache nicht als unzulässig angesehen hat, weil er nicht die Unzulässigkeit der Direktansprache als solche, sondern nur die Widerruflichkeit der daraufhin abgeschlossenen Rechtsgeschäfte festgeschrieben hat, läßt entgegen der Auffassung der Revision keinen Rückschluß auf die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der in Rede stehenden Werbeform zu. Denn das Vertragsrecht befaßt sich nur mit den Folgen einer Direktansprache, während die Beurteilung der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Werbemethode dem Wettbewerbsrecht unter-
fällt. Der dem Verbraucher mit dem Recht des Widerrufs gewährte vertragsrechtliche Schutz vor den Folgen einer möglicherweise nach überraschender Ansprache unüberlegt abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärung steht neben dem Schutz seines Rechts, unbelästigt zu bleiben.

d) Die von der Revision hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein Verbot der in Rede stehenden Werbemethode greifen ebenfalls nicht durch. Da sowohl Grundrechte des Umworbenen (Schutz seiner Individualsphäre , Art. 2 Abs. 1 GG) als auch solche des Werbenden (Art. 12, 14 GG) betroffen sind, ist eine Abwägung der beiderseits berührten Interessen vorzunehmen. Diese Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, daß das Interesse des Umworbenen an seiner ungestörten Individualsphäre die wirtschaftlichen Belange des Werbenden überwiegt. Insbesondere wird dessen Berufsausübungsfreiheit nicht in unzumutbarer Weise eingeschränkt. Dem Gewerbetreibenden bleibt auch im öffentlichen Raum eine Vielzahl an Werbemöglichkeiten (vgl. BGH, Urt. v. 10.3.1994 - I ZR 36/92, GRUR 1994, 639, 640 = WRP 1994, 515 - Pinguin-Apotheke).
Auch die von der Revision gerügte Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bei einem Verbot der gezielten und individuellen Ansprache an öffentlich zugänglichen Orten im Verhältnis zu Hausvertreterbesuchen, die seit jeher als wettbewerbsrechtlich zulässig erachtet worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1993 - I ZR 285/91, GRUR 1994, 380, 382 = WRP 1994, 262 - Lexikothek), besteht nicht. Zwar geht auch mit den für zulässig erachteten Haustürgeschäften eine Belästigung des Verbrauchers einher. Das rechtfertigt es jedoch nicht, über diese Beeinträchtigung hinaus eine weiterreichende Störung der Individualsphäre durch unaufgefordertes Ansprechen im öffentlichen Verkehrsraum zuzulassen (vgl. BGHZ 54, 188, 193 - Telefonwerbung I).

4. Gegen die tatrichterliche Beurteilung, daß auch einem sich in Warenhäusern , Einkaufszentren, Geschäftspassagen und Märkten aufhaltenden Verbraucher Schutz vor einem aufgedrängten Werbegespräch in der hier beanstandeten Art zu gewähren ist, ist aus revisionsrechtlicher Sicht ebenfalls nichts zu erinnern.
III. Danach war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Ullmann v. Ungern-Sternberg Bornkamm
Pokrant Schaffert

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 93/02 Verkündet am:
9. September 2004
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Ansprechen in der Öffentlichkeit II
Die gezielte Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken
ist grundsätzlich eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7
Abs. 1 UWG, wenn der Werbende für den Angesprochenen nicht als solcher
eindeutig erkennbar ist.
BGH, Urt. v. 9. September 2004 - I ZR 93/02 - OLG Frankfurt a.M
LG Frankfurt a.M.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. September 2004 durch die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof.
Dr. Bornkamm, Pokrant, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2002 wird zurückgewiesen, soweit die Klage auch darauf gerichtet ist, der Beklagten die beanstandeten Werbemaßnahmen in öffentlichen Verkehrsmitteln zu untersagen.
Im übrigen wird das Berufungsurteil aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Telekommunikationsdienstleistungen. Sie streiten darüber, ob es wettbewerbsrechtlich zulässig ist, zur Werbung von Kunden für Pre-Selection-Verträge Passanten im öffentlichen Verkehrsraum gezielt und individuell anzusprechen oder ansprechen zu lassen.

Eine Kundin der klagenden D. AG wurde im Mai und Juni 2000 im Eingangsbereich eines Warenhauses in A. vor einem Werbestand der Beklagten von Werbern mit dem Ziel angesprochen, sie für den Abschluß eines Pre-Selection-Vertrages mit der Beklagten zu gewinnen.
Die Klägerin ist der Ansicht, das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum zu Werbezwecken sei unter dem Gesichtspunkt des belästigenden Anreißens von Kunden wettbewerbswidrig. Zur Begründung dafür, daß für ein gezieltes individuelles Ansprechen von Passanten seitens der Beklagten auch auf anderen öffentlichen Plätzen als dem Eingangsbereich eines Kaufhauses Erstbegehungsgefahr bestehe, hat die Klägerin weitere Vorfälle aus dem Jahre 2000 vorgetragen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden Passanten auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, Bahnhöfen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufszentren oder Geschäftspassagen gezielt und individuell anzusprechen und/oder ansprechen zu lassen.
Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, der Klageantrag sei unbestimmt und erfasse zudem nicht die vorgetragenen Fälle. Darüber hinaus vertritt sie die Auffassung, die angegriffene Werbeform könne aufgrund geänderter Gepflogenheiten und Wertungsmaßstäbe nicht mehr allgemein als wettbewerbswidrig angesehen werden.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Klägerin hat beantragt, die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß im Urteilsausspruch nach dem Wort "lassen" folgender Nebensatz angefügt wird: "die weder ausdrücklich noch konkludent das Interesse an dem Angebot der Beklagten zum Ausdruck gebracht haben."
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen (OLG Frankfurt a.M. TMR 2002, 232).
Mit der (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils nach Maßgabe ihres im Berufungsverfahren gestellten Antrags. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat den Klageantrag als hinreichend bestimmt angesehen, den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aber für nicht begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
Soweit der Unterlassungsantrag das Ansprechen von Passanten in öffentlichen Verkehrsmitteln betreffe, fehle es sowohl an einer Wiederholungs- als auch an einer Erstbegehungsgefahr, da die Klägerin keinen Vorfall vorgetragen habe, bei dem die Beklagte Passanten in einem öffentlichen Verkehrsmittel habe ansprechen lassen.

Die Klage sei auch im übrigen unbegründet. Das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum zu Werbezwecken sei nicht mehr ohne weiteres als sittenwidrig zu bewerten. Das gelte vor allem dann, wenn das gezielte Ansprechen im Umkreis eines Werbestandes geschehe. Derartige Werbeformen prägten inzwischen das Alltagsbild in den Geschäftszonen der Städte. Erst bei Hinzutreten weiterer Umstände, die über das bloße überraschende Ansprechen hinausgingen und den Kunden in eine Zwangslage brächten, könne die in Rede stehende Werbeform als unlauter zu beurteilen sein.
Diese Wertung werde durch die Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes bestätigt, nach denen ein gezieltes Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum nicht grundsätzlich verboten sei. Die nur geringfügige Belästigung der Passanten werde auch nicht durch die theoretische Möglichkeit einer in der Summe nicht mehr hinnehmbaren Häufung derartiger Werbeaktionen zu einem wettbewerbswidrigen Verhalten.
II. Die Revision hat überwiegend Erfolg. Sie führt in diesem Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann auf der bisherigen Tatsachengrundlage nicht davon ausgegangen werden, daß der geltend gemachte Unterlassungsanspruch insgesamt unbegründet ist. Soweit die Klage darauf gerichtet ist, der Beklagten die beanstandeten Werbemaßnahmen auch in öffentlichen Verkehrsmitteln zu untersagen, ist die Revision jedoch unbegründet.
1. Der Unterlassungsantrag richtet sich allgemein gegen das gezielte und individuelle Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbe-
zwecken. Anders als in dem der Senatsentscheidung vom 1. April 2004 (I ZR 227/01, GRUR 2004, 699 = WRP 2004, 1160 - Ansprechen in der Öffentlichkeit
I) zugrundeliegenden Fall schließt dies Fallgestaltungen ein, in denen die Werbenden für Passanten ohne weiteres als solche erkennbar sind.
2. Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch der Klägerin, der auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, besteht nur, wenn das beanstandete Wettbewerbsverhalten der Beklagten zur Zeit seiner Begehung den Unterlassungsanspruch begründet hat und dieser Anspruch auch auf der Grundlage der nunmehr geltenden Rechtslage noch gegeben ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.3.2003 - I ZR 290/00, GRUR 2003, 622, 623 = WRP 2003, 891 - Abonnementvertrag; Urt. v. 1.4.2004 - I ZR 317/01, GRUR 2004, 693, 694 = WRP 2004, 899 - Schöner Wetten, für BGHZ bestimmt). Die Rechtsänderung durch das Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414 ff.) ist dementsprechend auch im Revisionsverfahren zu beachten. Dies bedeutet, daß die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der beanstandeten Werbehandlungen der Beklagten sowohl an § 1 UWG a.F. als auch am Maßstab der §§ 3, 7 Abs. 1 UWG zu messen ist.
3. Das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken ist unter der Geltung des § 1 UWG a.F. von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich als wettbewerbswidrig angesehen worden (vgl. die Nachweise in BGH GRUR 2004, 699, 700 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Es ist auch nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 jedenfalls dann grundsätzlich als eine unzumutbare Belästigung im Sinne von §§ 3, 7 Abs. 1 UWG anzusehen, wenn der Werbende für den Angesprochenen nicht als solcher eindeutig erkennbar ist (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbs-
recht, 23. Aufl., § 7 UWG Rdn. 96; a.A. Harte/Henning/Ubber, UWG, § 7 Rdn.

29).



a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß das Ansprechen von Passanten in Geschäftszonen der Städte eine gewisse Belästigung darstelle. Die Angesprochenen könnten dem aber, solange nicht besondere Umstände wie etwa Aufdringlichkeit oder Hartnäckigkeit des Werbers, Irreführung über den Grund des Ansprechens oder gleichzeitiges Anbieten eines Geschenks hinzuträten, durch Nichtbeachtung oder eine kurze abweisende Bemerkung ausweichen, was in aller Regel auch tatsächlich geschehe. Das gezielte Ansprechen zu Werbezwecken im Umkreis eines zugehörigen Werbestandes schaffe keine Situation, in der sich ein erheblicher Teil der Angesprochenen aus Höflichkeit oder Verlegenheit auf ein Werbegespräch und in der Folge auf eine wirtschaftliche Bindung einlasse, obwohl an der angebotenen Leistung kein wirkliches Interesse bestehe.

b) Dieser Beurteilung kann jedenfalls für die Fallgestaltung nicht zugestimmt werden, daß der Werbende einen Passanten gezielt und individuell anspricht , ohne daß der Werbezweck für diesen eindeutig erkennbar ist.
aa) Das Regelbeispiel des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist in solchen Fällen allerdings nicht anwendbar, weil der Werbende nicht als solcher erkennbar ist und der Angesprochene daher seinen entgegenstehenden Willen gar nicht zum Ausdruck bringen kann. Dies schließt eine Anwendung der Generalklausel des § 7 Abs. 1 UWG jedoch nicht aus (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BT-Drucks. 15/1487, S. 21).
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die gezielte Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten durch einen Werbenden, der als solcher nicht eindeutig erkennbar ist, grundsätzlich als unzumutbare Belästigung zu beurteilen.
(1) Wie sich aus § 3 UWG ergibt, genügt für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes die Feststellung der Eignung einer solchen Handlung, unzumutbar belästigend zu wirken. Die Feststellung, daß sich die beanstandete Wettbewerbshandlung in einem konkreten Einzelfall tatsächlich so ausgewirkt hat, ist nicht erforderlich.
(2) Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerfrei angenommen, daß eine gezielte individuelle Ansprache unter den heutigen Verhältnissen für sich genommen noch nicht bei einem erheblichen Teil der Angesprochenen eine psychische Zwangslage schafft, die sie geneigt machen kann, auf ein beworbenes Angebot einzugehen (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 700 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I).
(3) Eine gezielte und individuelle Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten ist aber eine unerbetene Kontaktaufnahme und damit ein belästigender Eingriff in die Individualsphäre des Umworbenen. Der Passant wird dadurch in seinem Bedürfnis, auch im öffentlichen Raum möglichst ungestört zu bleiben, beeinträchtigt und unmittelbar persönlich für die gewerblichen Zwecke des werbenden Unternehmens in Anspruch genommen (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Wenn sich der Werbende einem Passanten zuwendet, ohne eindeutig als solcher erkennbar zu sein, macht er sich zudem den Umstand zunutze, daß es einem Gebot der Höflichkeit unter zivilisierten Menschen entspricht, einer fremden Person, die sich beispielsweise nach dem Weg erkundigen möchte, nicht von vornherein abweisend und ableh-
nend gegenüberzutreten (BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Darin liegt ein unlauteres Erschleichen von Aufmerksamkeit für die eigenen, zunächst verdeckt gehaltenen gewerblichen Zwecke.
(4) Die von der gezielten Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten ausgehende Belästigung ist für den Angesprochenen, der mit einer Kontaktaufnahme zu Werbezwecken nicht rechnet, auch unzumutbar, selbst wenn die Belästigung in der Regel als nur gering eingeschätzt wird. Ob eine Werbemaßnahme im Sinne des § 7 Abs. 1 UWG unzumutbar belästigend ist, ist nicht nur nach dem Maß der Belästigung im Einzelfall zu beurteilen. Der Begriff der unzumutbaren Belästigung ist vielmehr im Licht des Gesetzeszwecks auszulegen , dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb zu dienen (§ 1 UWG). Eine Belästigung ist deshalb um so eher als unzumutbar zu beurteilen, je mehr sie - wie im vorliegenden Fall - nicht eine ungewollte oder nur gelegentliche Nebenwirkung einer Werbemaßnahme darstellt, sondern mit der beanstandeten Werbemethode notwendig und regelmäßig verbunden ist. Eine Werbemethode, bei der ein belästigendes Verhalten bewußt und gezielt im eigenen Werbeinteresse angewandt wird, ist deshalb regelmäßig als unzumutbar belästigend einzustufen. Hinzu kommt die gerade bei einer Werbemaßnahme dieser Art naheliegende Gefahr, daß zahlreiche Anbieter sie anwenden würden, falls sie als wettbewerbsrechtlich zulässig beurteilt würde, und sich dann auch solche Mitbewerber , die selbst an sich dieser Art von Werbung nicht zuneigen, aus Wettbewerbsgründen zu einer Nachahmung gezwungen sehen können (vgl. BGHZ 103, 203, 208 f. - Btx-Werbung; BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I).
Eine methodisch angewandte unzumutbare Belästigung wie das gezielte Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten zu zunächst nicht eindeutig
erkennbaren Werbezwecken ist in jedem Fall geeignet, den Wettbewerb nicht unerheblich zum Nachteil der anderen Marktteilnehmer zu verfälschen (§ 3 UWG).
(5) Der Bewertung der in Rede stehenden Werbemethode als wettbewerbswidrig stehen - anders als das Berufungsgericht meint - nicht die gesetzlichen Regelungen zur Widerrufbarkeit von Rechtsgeschäften gemäß § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB (früher: § 1 Abs. 1 Nr. 3 HausTürWG) entgegen (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I; Baumbach/Hefermehl /Köhler aaO § 7 UWG Rdn. 96). Ebensowenig bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Verbot der beanstandeten Werbeform (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I, m.w.N.).

c) Die gezielte Direktansprache von Passanten auf öffentlichen Straßen oder Plätzen zu Werbezwecken kann dagegen nicht ohne weiteres als unzumutbare Belästigung (§ 7 Abs. 1 UWG) des Angesprochenen angesehen werden , wenn der Werbende von vornherein als solcher eindeutig erkennbar ist.
Die Kontaktaufnahme zu Werbezwecken ist für den Passanten in solchen Fällen in aller Regel nicht überraschend und unvorhergesehen. Er hat - worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat - fast immer die Möglichkeit , sich einem Gespräch ohne große Mühe durch Nichtbeachtung des Werbenden oder eine kurze abweisende Bemerkung oder Geste zu entziehen. Anders liegt es aber, wenn dies nach den gegebenen Verhältnissen (z.B. in einer engen Straße) nicht möglich ist oder wenn der Werbende einen erkennbar entgegenstehenden Willen des Angesprochenen mißachtet, etwa indem er diesen am Weitergehen hindert oder ihm folgt. In solchen Fällen ist die Anwendung des § 7 UWG auch dann geboten, wenn sich der Werbende von vornherein als
solcher zu erkennen gegeben hat (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler aaO § 7 UWG Rdn. 96). Auf Umstände dieser Art stellt der Klageantrag jedoch nicht ab.
4. Da sich der Unterlassungsantrag allgemein gegen die gezielte individuelle Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken richtet, erfaßt er auch Werbehandlungen, die grundsätzlich keine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 UWG darstellen und daher wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Die zu weite Fassung des Unterlassungsantrags rechtfertigt aber nicht die vollständige Abweisung der Klage und die Zurückweisung der Revision insgesamt.

a) Eine Abweisung der Klage kommt bei dem gegenwärtigen Verfahrensstand nicht in Betracht, weil es der Klägerin auch darum geht, der Beklagten die gezielte Direktansprache von Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken zu untersagen, wenn der Werbende für den Angesprochenen nicht eindeutig als solcher erkennbar ist. Im Hinblick darauf, daß die Rechtslage im Berufungsverfahren noch ungeklärt war, ist es aus Gründen der prozessualen Fairneß geboten, der Klägerin durch erneute Eröffnung des Berufungsverfahrens Gelegenheit zu geben, sich durch eine sachdienliche Antragsfassung auf die dargelegte Rechtslage einzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 4.3.2004 - I ZR 221/01, GRUR 2004, 696, 699 = WRP 2004, 1017 - Direktansprache am Arbeitsplatz, für BGHZ 158, 174 vorgesehen).
Ein Antrag, der darauf abstellt, ob der Werbende eindeutig als solcher erkennbar ist, wäre als hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO anzusehen, auch wenn dadurch die nähere Abgrenzung, was einem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsverfahren überlassen wird.
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag - und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung - nicht derart undeutlich gefaßt sein, daß der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungsund Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, der Beklagte sich deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (vgl. BGHZ 144, 255, 263 - Abgasemissionen; 156, 1, 8 f. - Paperboy, m.w.N.). In besonders gelagerten Fällen können aber bei der Bemessung der Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Unterlassungsantrags und des entsprechenden Urteilsausspruchs aufzustellen sind, die Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes mit abzuwägen sein (vgl. BGHZ 142, 388, 391 - Musical-Gala). Die Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Unterlassungsantrag sind demgemäß auch abhängig von den Besonderheiten des jeweiligen Sachgebiets (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2002 - I ZR 38/00, GRUR 2002, 1088, 1089 = WRP 2002, 1269 - Zugabenbündel; GRUR 2004, 696, 699 - Direktansprache am Arbeitsplatz , für BGHZ 158, 174 vorgesehen).
Müßte in Fällen der vorliegenden Art ein auf § 8 Abs. 1 i.V. mit §§ 3, 7 Abs. 1 UWG gestützter Unterlassungsantrag entsprechend den Besonderheiten des festgestellten Einzelfalls gefaßt werden, wäre für den Kläger eine antragsgemäße Verurteilung in aller Regel nutzlos, weil der konkrete Wettbewerbsverstoß kaum jemals in gleicher Weise wiederholt werden wird. Dies würde auch die Wirksamkeit des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb durch Belästigung von Passanten, wie sie hier in Rede steht, entscheidend beeinträchtigen. Es ist deshalb bei der Fassung des Klageantrags und des entsprechenden Urteilsausspruchs hinzunehmen, daß das Vollstreckungsgericht bei der Beurteilung behaupteter Verstöße gegen ein in der dargelegten Weise gefaßtes Unterlassungsgebot auch Wertungen vornehmen muß (vgl. BGH GRUR 2004, 696, 699
- Direktansprache am Arbeitsplatz, m.w.N.). Die Rechtsverteidigung des Beklagten und sein schützenswertes Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen werden dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt.

b) Soweit die Klage allerdings darauf gerichtet ist, der Beklagten die beanstandeten Werbemaßnahmen auch in öffentlichen Verkehrsmitteln zu untersagen , hat das Berufungsgericht sie mit Recht abgewiesen. In diesem Umfang hat die Revision keinen Erfolg, weil es an der erforderlichen Begehungsgefahr fehlt.
Die von der Klägerin beanstandete konkrete Verletzungshandlung hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darin bestanden, daß eine Kundin der Klägerin im Eingangsbereich eines Warenhauses vor einem Werbestand der Beklagten von Werbern angesprochen wurde, die versuchten, sie für den Abschluß eines Pre-Selection-Vertrages mit der Beklagten zu gewinnen. Das Charakteristische des beanstandeten Verhaltens der Beklagten besteht also darin, daß sie Passanten an öffentlichen Orten zu Werbezwecken gezielt und individuell ansprechen läßt. Bei der Fassung eines Unterlassungsantrags sind zwar im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes gewisse Verallgemeinerungen zulässig, sofern auch in dieser Form das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Dies hat seinen Grund darin, daß eine Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform begründet, sondern auch für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen (vgl. BGHZ 126, 287, 295 - Rotes Kreuz; BGH, Urt. v. 29.6.2000 - I ZR 29/98, GRUR 2000, 907, 909 = WRP 2000, 1258 - Filialleiterfehler; Urt. v. 4.9.2003 - I ZR 44/01, GRUR 2004, 154, 156 = WRP 2004, 232 - Farbmarkenverletzung II, m.w.N.). Die Grenze der zulässigen Verallgemeinerung ist jedoch die Begehungsgefahr (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.1994
- I ZR 201/92, GRUR 1995, 125 f. = WRP 1995, 183 - Editorial I; BGH GRUR 2000, 907, 910 - Filialleiterfehler). Diese ist hinsichtlich einer Direktansprache von Fahrgästen in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gegeben.
Eine Werbung in öffentlichen Verkehrsmitteln durch direktes Ansprechen der Fahrgäste ist weitaus belästigender als ein Ansprechen von Passanten im öffentlichen Straßenraum. Auch wenn festgestellt werden sollte, daß die Beklagte in den konkret beanstandeten Fällen wettbewerbswidrig gehandelt hat, könnte deshalb nicht ohne weiteres angenommen werden, sie wolle auch in öffentlichen Verkehrsmitteln für den Abschluß von Pre-Selection-Verträgen werben.
III. Danach erweist sich die Revision teilweise als unbegründet. Im übrigen Umfang führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision , an das Berufungsgericht.
v. Ungern-Sternberg Bornkamm Pokrant Schaffert Bergmann

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.

(2) Die Beratung umfaßt:

1.
das Eintreten in eine Konfliktberatung; dazu wird erwartet, daß die schwangere Frau der sie beratenden Person die Gründe mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt; der Beratungscharakter schließt aus, daß die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird;
2.
jede nach Sachlage erforderliche medizinische, soziale und juristische Information, die Darlegung der Rechtsansprüche von Mutter und Kind und der möglichen praktischen Hilfen, insbesondere solcher, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern;
3.
das Angebot, die schwangere Frau bei der Geltendmachung von Ansprüchen, bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit für das Kind und bei der Fortsetzung ihrer Ausbildung zu unterstützen, sowie das Angebot einer Nachbetreuung.
Die Beratung unterrichtet auf Wunsch der Schwangeren auch über Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden.

Eine Beratungsstelle darf nur anerkannt werden, wenn sie die Gewähr für eine fachgerechte Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 5 bietet und zur Durchführung der Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 6 in der Lage ist, insbesondere

1.
über hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendes Personal verfügt,
2.
sicherstellt, daß zur Durchführung der Beratung erforderlichenfalls kurzfristig eine ärztlich, fachärztlich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch oder juristisch ausgebildete Fachkraft hinzugezogen werden kann,
3.
mit allen Stellen zusammenarbeitet, die öffentliche und private Hilfen für Mutter und Kind gewähren, und
4.
mit keiner Einrichtung, in der Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden ist, daß hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht auszuschließen ist.

(1) Die Beratungsstellen sind verpflichtet, die ihrer Beratungstätigkeit zugrundeliegenden Maßstäbe und die dabei gesammelten Erfahrungen jährlich in einem schriftlichen Bericht niederzulegen.

(2) Als Grundlage für den schriftlichen Bericht nach Absatz 1 hat die beratende Person über jedes Beratungsgespräch eine Aufzeichnung zu fertigen. Diese darf keine Rückschlüsse auf die Identität der Schwangeren und der zum Beratungsgespräch hinzugezogenen weiteren Personen ermöglichen. Sie hält den wesentlichen Inhalt der Beratung und angebotene Hilfsmaßnahmen fest.

(3) Die zuständige Behörde hat mindestens im Abstand von drei Jahren zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung nach § 9 noch vorliegen. Sie kann sich zu diesem Zweck die Berichte nach Absatz 1 vorlegen lassen und Einsicht in die nach Absatz 2 anzufertigenden Aufzeichnungen nehmen. Liegt eine der Voraussetzungen des § 9 nicht mehr vor, ist die Anerkennung zu widerrufen.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.