Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 03. Juli 2017 - Au 7 K 16.327
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
I.
III.
IV.
V.
VI.
Gründe
I.
II.
III.
IV.
V.
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(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tatbestand
- 1
Der Kläger ist Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde A-Stadt und begehrt nunmehr die gerichtliche Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet war, ehrverletzende Äußerungen in dem vom Beklagten herausgegebenen Informationsblatt zu unterlassen.
- 2
Diesbezüglich hat der Kläger das einstweilige Rechtsschutzverfahren (9 B 27/11 MD) beim erkennenden Gericht geführt. Mit Beschluss vom 18.05.2011 (n. v.) hat das Gericht dem Antrag des Klägers mit dem Tenor stattgegeben:
- 3
„Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dafür Sorge zu tragen, dass in dem von ihm herausgegebenen „… Rathausanzeiger“ inhaltlich wertende Urteile über das Verhalten bzw. über Aussagen des Antragstellers im Gemeinderat zukünftig nicht erscheinen.
- 4
Dem Antragsteller wird aufgegeben, bis zum 30.06.2011 beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage bezogen auf den hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu erheben (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 926 Abs. 1 ZPO).“
- 5
Das Gericht führt in dem Beschluss aus:
- 6
„Der Antragsgegner gibt seit einem Beschluss aus dem Jahre 1999 ein Informationsblatt, jeweils nach der monatlichen Gemeinderatssitzung, aus. Dieses Informationsblatt „… Rathausanzeiger“ wird nach der Fertigstellung an die Haushalte in den Gemeinden A-Stadt und B-Stadt verteilt. Die Redaktion besteht aus zwei Gemeinderatsmitgliedern und einer Verwaltungsangestellten der Gemeinde A-Stadt. Als Herausgeber wird in dem Blatt ausdrücklich der Gemeinderat bezeichnet.
- 7
Nach seiner eigenen Einschätzung ist der Antragsteller seit Jahren in der Gemeinde dafür bekannt, dass er sehr kritisch die Aktivitäten des Gemeinderates und des Bürgermeisters hinterfragt. Zuletzt kritisierte der Antragsteller, dass die Gemeinde A-Stadt ein Schullandheim betreibe, in welchem an den örtlichen Hotels vorbei „schulfremde“ Gäste untergebracht würden, die dann auch noch auf Empfehlung des Bürgermeisters die im Schullandheim befindliche Gaststätte besuchten. Insoweit kritisierte er auch die dem Bürgermeister für die Leitung des Schullandheims gewährte Entschädigung von 100,00 € im Monat und erklärte schriftlich, er halte die von der Gemeinde A-Stadt dem Schullandheim gewährten jährlichen Zuschüsse für Luxus, der gesamtwirtschaftlich nicht vertretbar sei. Insoweit bat er auch beim Ministerium des Landes und beim Rechnungsprüfungsamt um Überprüfung. Die von ihm angeregte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Stendal wurde von derselben abgelehnt, da kein Anfangsverdacht bestehe.
- 8
Unter dem 08.11.2010 lud der Bürgermeister der Gemeinde A-Stadt die Mitglieder des Gemeinderates zu einer „außerordentlichen Ratssitzung“ am 16.11.2010 ein, einziger Tagesordnungspunkt sollte die, so wörtlich: „Öffentliche Debatte um die Beschwerde des Ratsmitgliedes Herr Dr. A.“ sein.
- 9
Auf Intervention der Kommunalaufsichtsbehörde wurde diese Einladung verworfen. Es erfolgte eine Änderung der Tagesordnung und unter dem 12.11.2010 lud der Bürgermeister mit einer veränderten Tagesordnung die Mitglieder des Gemeinderates zu der am 16.11.2010 stattfindenden Sitzung ein. Im nicht öffentlichen Teil sollte es danach unter Tagesordnungspunkt 7., „Personalangelegenheiten“, um die Beschwerde des Antragstellers gehen. Der Antragsteller erklärte unter dem 16.11.2010, er werde an dieser Sitzung nicht teilnehmen, da keine ordnungsgemäße Ladung erfolgt sei. Die Gemeinderatssitzung fand schließlich ohne den Antragsteller statt.
- 10
Unter dem 20.11.2010 erschien die 69. Ausgabe des „… Rathausanzeigers“. Auf dem ersten Blatt heißt es in fettgedruckten Buchstaben: „Das Maß ist voll! Treten Sie endlich zurück Herr Dr. A.!“.
- 11
Unter dieser Überschrift wird ausgeführt:
- 12
„Ratsmitglieder und Einwohner sind empört über die Attacken gegen den Bürgermeister, den Gemeinderat und das Schullandheim/Ratsdebatte fand ohne Dr. A. statt, der unentschuldigt fernblieb“.
- 13
Es folgt ein langer Artikel, an dessen Beginn es heißt:
- 14
„Nahezu ungeheuerlich, was die Mitglieder des Gemeinderates und ungewöhnlich zahlreich erschienene Einwohner da am vergangenen Dienstag in einer öffentlichen Ratssitzung zu hören bekamen. Der für die CDU tätige Abgeordnete Dr. A. hatte sich in einem Schreiben an das Landesverwaltungsamt gewandt und darin sowohl eine Reihe von Anschuldigungen gegen den Bürgermeister J. erhoben als auch das Recht der Gemeinde zum Betreiben des Schullandheims angezweifelt und eine Überprüfung verlangt. Das Amt hat diese Beschwerde zur Weiterbearbeitung an den Gemeinderat weitergeleitet. (…) Das Ergebnis der Untersuchung lag dem Gemeinderat am 04.11.2010 zur Bestätigung vor und lautete: Nicht eine einzige der von A. aufgelisteten Anfeindungen und Unterstellungen ist zutreffend! Alle Anschuldigungen sind frei erfunden. Der Angriff gegen das Schullandheim ist infam“.
- 15
Im Text ist von einer „neuerlichen Störattacke von A.“, die „keinesfalls überraschend sei“, die Rede. Es wird ausgeführt, dass so nun auch der Öffentlichkeit habe gezeigt werden können, „dass A. mit seiner böswilligen Wühltätigkeit“ die Arbeit des Gemeinderates beeinträchtige. Ferner ist die Rede davon, dass „A. in vielem, was er tut, nur seinen eigenen Vorteil sieht oder darauf bedacht ist, seine eigene Person in den Vordergrund zu stellen“. Es bewege den Antragsteller offensichtlich nur wenig, dass die Öffentlichkeit nun umsonst zu der Ratssitzung erschienen sei. Der Antragsteller „missachte die Arbeit der übrigen Ratsmitglieder auf eine besonders schäbige Art und Weise“, indem er in seiner Presseerklärung behaupte, im Gemeinderat werde aus dem Bauch heraus entschieden. Der Abend sei indessen am Ende doch ein Erfolg gewesen, „weil einigen Bürgerinnen und Bürgern klar geworden ist, wer hier der Störenfried ist“.
- 16
In einer Sonderbeilage zur Ausgabe des „… Rathausanzeigers“ vom 09.12.2010, die anlässlich des Streits mit dem Antragsteller erstellt wurde, heißt es in einem Artikel, der sich mit dem Nichterscheinen des Antragstellers auf einer Ratssitzung vom 02.12.2010 beschäftigt, unter der Überschrift „Bockig wie ein Rumpelstilzchen“:
- 17
„Der Dauerbeschwerdeschreiber gebärdet sich hier wie ein bockiges, mit dem Fuß aufstampfendes kleines Rumpelstilzchen, das schreit: „Nein, eure Suppe esse ich nicht!“
- 18
In einer Glosse in derselben Ausgabe des „… Rathausanzeigers“ wird unter der Überschrift „Dick und Doof auf dem Holzweg, Empfehlung an die Laienspielgruppe“, ausgeführt:
- 19
„Hauptakteure dieser zum Teil infamen Attacken gegen den Bürgermeister und Gemeinderat sind ein Herr Dr. B. und dessen Berater/Koordinator Herr D. aus K. Wenn nun all das, was sich dieses Pärchen da so ausdenkt, nicht so furchtbar schäbig daher käme, könnte man solche Art Geschreibsel ja als Ulk verbuchen. Nun gibt es aber … mit Ideen und Mutterwitz, die das ganz anders sehen. Da startete Herr M. in der Einwohnerfragestunde am 02. Dezember 2010 einen Aufruf. Es möge sich doch bitte jemand finden, der aus dem „Drama Dr. B. & Co.“ ein richtiges Schauspiel macht, also einen Text schreibt, der danach von unserer hervorragenden Laienspielgruppe aufgeführt werden könnte. Sagen wir, als eine Art Schmierseifenoper in Fortsetzungen. Also, ich fand die Idee toll …
- 20
(…)
- 21
Am besten gefiel mir allerdings ein Vergleich mit dem berühmten Komikerduo Oliver Hardy und Stan Laurel, so dass man einen Titel wählen könnte wie etwa „Dick und Doof auf dem Holzweg“ oder so ähnlich. Falls sich nun jemand finden sollte, der ein Libretto schreibt, dann müssten unsere Laienspieler nicht mehr solch langweilige Stücke wie Hänsel und Gretel vorführen, sondern sie könnten aus dem prallen Leben des Dorfes schöpfen, allerdings nicht als Komödie, sondern doch wohl eher als ein Trauerspiel, meint Ihr Kiekebusch.“
- 22
Mit am 04.01.2011 beim Verwaltungsgericht Magdeburg eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er ist der Ansicht, er sei antragsbefugt, da sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, zu dem auch der Ehrschutz gehöre, verletzt werde. Der Antragsgegner könne sich angesichts seiner Wortwahl nicht auf die Pressefreiheit berufen. In dem Rathausanzeiger finde eine neutrale Berichterstattung über Tatsachen nicht statt. Der Antragsgegner verletze das sachliche Neutralitätsgebot.
- 23
Der Antragsteller beantragt,
- 24
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, es zu unterlassen, in einer weiteren für Anfang Januar 2011 zu erwartenden Ausgabe des „… Rathausanzeigers“, der vom Gemeinderat der Antragsgegnerin herausgegeben wird, die Person des Antragstellers und seine Aktivitäten als Mitglied des Gemeinderates zum Gegenstand gemeindlicher Pressearbeit zu machen, indem erneut unrichtige Tatsachen behauptet und kritische sowie ehrverletzende Äußerungen getroffen werden.
- 25
Der Antragsgegner beantragt,
- 26
den Antrag abzulehnen,
- 27
sowie den Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 926 Abs. 1 ZPO aufzugeben, Hauptsacheklage zu erheben.
- 28
Der Antrag sei bereits unzulässig, da er eine Vorwegnahme der Hauptsache wolle und der Antragsteller den Antrag erst sechs Wochen nach der behaupteten Ehrverletzung gestellt habe. Da zwischenzeitlich der nächste Rathausanzeiger erschienen sei und, entgegen der Befürchtung des Antragstellers, weder der Antragsteller noch sein Beauftragter/Koordinator Herr N. erwähnt wurden, habe der Antragsteller auch nichts weiter zu befürchten. Zudem sei der Antragsteller darauf zu verweisen, dass er sich an den Gemeinderat wenden müsse mit seinem Begehren. Auch sei der gestellte Antrag zu unbestimmt, es hätte wenigstens angegeben werden müssen, Aussagen welchen Inhalts unterlassen werden sollten. Auch müsse der Antragsteller um eine Gegendarstellung nachsuchen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller in seinem Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit verletzt sein solle, er begehre tatsächlich die Richtigstellung angeblich unrichtiger Tatsachenbehauptungen. Es sei auch klarzustellen, dass der Antragsteller nicht selbst als „Rumpelstilzchen“ bezeichnet, sondern als „bockig“ charakterisiert worden sei. Er sei bockig wie ein Rumpelstilzchen. Die Bezeichnung „Dick und Doof“ sei ausdrücklich als Glosse kenntlich gemacht worden. Für das Betreiben eines Publikationsorgans, das im Wesentlichen über Inhalt und Verlauf der Gemeinderatssitzungen berichte, sei der Gemeinderat zuständig, weil es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handele. Mit der im Untertitel des Blattes genannten Komponente „Hintergründe“ wolle der Gemeinderat sich die Möglichkeit offen halten, auch Kommentare zum Zustandekommen von Beschlüssen und Entscheidungen abzugeben und unterschiedliche Ansichten von Ratmitgliedern darzustellen. Es gebe kein Verbot, nicht über einzelne Gemeinderatsmitglieder zu berichten, dies habe lediglich in sachlicher Form und unter Beachtung des Neutralitätsgebotes zu erfolgen. Bezogen auf die streitgegenständlichen Berichte in den Ausgaben 69 und 70 gibt der Antragsgegner an, eine übergroße Mehrheit der Mitglieder des Gemeinderates könnten die Inhalte und die getroffenen Wertungen ebenso bezeugen wie die im Protokoll über die Ratssitzung vom 16.11.2011 aufgelisteten Einwohner, die an der Sitzung teilgenommen hätten. Auch legten der Antragsgegner und die Redaktion des Rathausanzeigers großen Wert darauf, dass man sich nur zur Person des Antragstellers geäußert habe, wenn es einen berichtswürdigen Anlass gegeben habe. Die Vermutung, es komme erneut zu „schmählichen Kritiken oder Diffamierung“ sei unbegründet. Der Antragsteller müsse nicht befürchten, dass es eine weitere Berichterstattung zu diesem Thema gebe. Auch habe sich die Redaktion vorgenommen, künftig - generell - „präziser darauf zu achten, wertende Aussagen den jeweiligen Diskussionsteilnehmern zuzuordnen und auf die strikte Trennung von Nachricht und Meinung zu achten“. Dies sei der Anspruch von Redaktion und Antragsgegner, dem man auch in den letzten 12 Jahren Folge geleistet habe.
- 29
Auf Hinweis des Gerichts hat der Antragsteller im Laufe des Verfahrens seinen Antrag dahingehend umgestellt, dass er sich nicht mehr gegen die Gemeinde A-Stadt richtet, sondern gegen den Gemeinderat der Gemeinde A-Stadt als Herausgeber des Rathausanzeigers. Der Antragsgegner willigt ausdrücklich in diese Änderung nicht ein und hält sie auch nicht für sachdienlich.
- 30
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
II.
- 31
1. Der Antrag ist zulässig.
- 32
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, da es sich entsprechend § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handelt. Streitgegenstand ist vorliegend die Forderung des Antragstellers, wertende und ehrverletzende Äußerungen zu unterlassen. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog. Diese Vorschrift ist auch bei ehrverletzenden Äußerungen, die ein öffentlich-rechtliches Verhältnis betreffen, heranzuziehen (vgl. Bay. VGH, B. v. 13.10.2009, 4 C 09.2144, Rn. 10 m. w. N., zitiert nach juris). Die vom Antragsteller behaupteten ehrverletzenden Äußerungen betreffen ein öffentlich-rechtliches Verhältnis. Denn die vorliegend angegriffenen Äußerungen im „… Rathausanzeiger“ sind dem amtlichen Bereich zuzuordnen, da Herausgeber des Rathausanzeigers ausweislich des Impressums desselben der Gemeinderat ist. Der Rathausanzeiger dient ausdrücklich dazu, über Ratssitzungen zu informieren und zwar durch den Gemeinderat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es sich bei dem „Rathausanzeiger“ nicht um ein Amtsblatt des Antragsgegners bzw. der Gemeinde A-Stadt handelt. Da der Gemeinderat indes Herausgeber dieses Blattes ist und im Wesentlichen Gemeinderatsmitglieder die Redaktion des Blattes stellen, das Blatt zudem ausdrücklich der Information der Bürger durch den Gemeinderat dient, ist die Kammer der Auffassung, dass die Herausgabe des „Rathausanzeigers“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit des Gemeinderates besteht und damit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt (vgl. zu diesem Erfordernis: Bay. VGH, a. a. O., Rn. 9 ff.; VG Stuttgart, B. v. 13.04.2011, 7 K 702/11, Rn. 25).
- 33
Die erfolgte Änderung des Antragsgegners ist zulässig, denn sie ist offensichtlich sachdienlich (§ 91 Abs. 1, 2. Alt. VwGO).
- 34
Dem Antragsteller fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Er ist insbesondere nicht darauf zu verweisen, dass er zunächst einen Anspruch auf Gegendarstellung geltend machen müsse. Der Antragsteller begehrt nämlich nicht den presserechtlichen Widerruf der getätigten Äußerungen, sondern macht einen Unterlassungsanspruch für die Zukunft geltend.
- 35
Er kann nicht darauf verwiesen werden, dass er zunächst einen Gemeinderatsbeschluss zu der Frage des Unterlassens einzuholen habe, denn es ist dem Antragsteller aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners bzw. der Mehrheit des Antragsgegners nicht zuzumuten, einen solchen Gemeinderatsbeschluss herbeizuführen. Möglichkeiten eines innerorganschaftlichen Interessenausgleichs haben nach Auffassung des Gerichts nicht bestanden. Dies gilt umso mehr, als jedenfalls dem Verfasser der „Glosse“ offensichtlich bewusst war, dass er eine „einstweilige Verfügung“ provoziert, wie sich aus der Anmerkung zu derselben ergibt.
- 36
Der Antrag ist bestimmt genug, insoweit als jedenfalls bestimmbar ist, was eine ehrverletzende Äußerung ist. Dabei ist weder von Bedeutung, was der Äußernde für ehrverletzend hält, noch was derjenige, der von der Äußerung betroffen ist, für ehrverletzend erachtet. Die Ehrverletzung lässt sich objektiv bestimmen. Im Übrigen hat der Antragsteller im Einzelnen ausgeführt, durch welche der getätigten Äußerungen er seines Erachtens in seiner Ehre verletzt wurde. In diesem Sinne hat die Kammer den Antrag ausgelegt und entsprechend tenoriert.
- 37
2. Der Antragsteller hat gegenüber dem Antragsgegner einen Anordnungsanspruch. Wie oben bereits dargetan, findet sich die Anspruchsgrundlage in § 1004 Abs. 1 BGB analog. Dieser ist über seinen Wortlaut hinaus bei der Verletzung anderer absoluter Rechte wie der Ehre entsprechend anzuwenden (vgl. Bay. VGH, B. v. 24.05.2006, 4 CE 06.1217, Rn. 20, zitiert nach juris m. w. N.).
- 38
Passiv legitimiert ist vorliegend der Gemeinderat, denn er ist Herausgeber des „Rathausanzeigers“.
- 39
Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu. Der Antragsgegner ist - ungeachtet der Frage, ob sich ein Gemeinderat mit der Herausgabe eines solchen Informationsblattes nicht bereits außerhalb seines Kompetenzrahmens bewegt (§ 44 GO) bzw. ob er sich überhaupt zur Tätigkeit von Gemeinderäten i. S. v. diese kommentieren oder bewerten, äußern darf - jedenfalls dem Gebot der Sachdienlichkeit verpflichtet. Dies hat er hier nicht getan. Bei dem im Rathausanzeiger Nr. 69 und Nr. 70 erfolgten Meinungsäußerungen ist das zur Zurückhaltung und Mäßigung verpflichtende Sachlichkeitsgebot verletzt worden (vgl. hierzu Bay. VGH, a. a. O., Rn. 28 ff.).
- 40
Tatsachenbehauptungen sind dann anzunehmen, wenn der Aussage beweisbare Vorgänge zugrunde liegen, die Richtigkeit der Äußerung durch eine Beweiserhebung, also objektiv, festgestellt werden kann. Meinungsäußerungen sind hingegen durch Elemente des Meinens, Dafürhaltens oder Wertens gekennzeichnet und deshalb einem objektiven Richtigkeitsbeweis nicht zugänglich. Vermischen sich beide Elemente in einer Äußerung und lassen sie sich nicht ohne Veränderung des Aussagegehaltes voneinander trennen, ist nach dem Schwerpunkt der Äußerung/Überwiegen der Wertung oder der Information über Tatsächliches abzugrenzen (vgl. Bay. VGH, a. a. O., Rn. 25 m. w. N.). So kann vorliegend etwa die Überschrift „Das Maß ist voll!“ einerseits objektiv betrachtet eine Tatsachenbehauptung sein, andererseits ist es eindeutig eine Meinungsäußerung. Ebenso kann es eine objektive Tatsache sein, dass der Antragsteller der Ratsdebatte „unentschuldigt fernblieb“, oder aber eine subjektive Einschätzung. Gleiches gilt etwa von der Aussage „Für die Mehrzahl der Ratsmitglieder kam diese neuerliche Störattacke von A. keinesfalls überraschend“. Denn dies ist zum einen eine Tatsachenäußerung darüber, dass die Ratsmitglieder nicht überrascht waren, andererseits eine Meinungsäußerung dahingehend, dass es sich beim Fernbleiben des Antragstellers um eine „neuerliche Störattacke“ handele. Dies zieht sich in gleicher Weise durch den gesamten „Leitartikel“ des Rathausanzeigers vom 20.11.2010 (Nr. 69, S. 1 und 2) hinweg. Gleiches gilt für den Artikel in der Sonderbeilage zur 70. Ausgabe des Rathausanzeigers vom 09.12.2010 (Nr. 70). Eindeutig eine Meinungsäußerung ist die Überschrift „Bockig wie ein Rumpelstilzchen“ und der in der Anmerkung als „Glosse“ bezeichnete Artikel, der überschrieben ist mit „Dick und Doof auf dem Holzweg, Empfehlung an die Laienspielgruppe“. Auch bei Meinungsäußerungen hat der Antragsgegner das zur Zurückhaltung und Mäßigung verpflichtende Sachlichkeitsgebot einzuhalten.
- 41
Es ist bereits mehr als fraglich, ob sich der Gemeinderat auf „seine“ Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) berufen kann. Dies kann womöglich das einzelne Gemeinderatsmitglied (VGH Baden-Württemberg, U. v. 11.10.2000, 1 S 2624/99; juris), aber nicht der Gemeinderat als Herausgeber des Rathausanzeigers. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die getätigten Äußerungen nicht etwa durch einzelne Gemeinderatsbeschlüsse gedeckt sind, sondern auf dem freien Entschluss der für die Redaktion ausgewählten Gemeinderatsmitglieder beruht. Diese haben indes nach Ansicht der Kammer zu beachten, dass es sich bei dem „Rathausanzeiger“ um ein Informationsblatt des Gemeinderates handelt. Die Redakteure müssen daher den gemeindlichen Kompetenzrahmen wahren und das Sachlichkeitsgebot als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips beachten (vgl. ausführlich: Bay. VGH, a. a. O., Rn. 29 m. w. N.). Nach Auffassung des Senats hat der politische Meinungsaustausch zwischen Gemeinderatsmitgliedern generell im Gemeinderat selbst stattzufinden, d. h. in der dortigen öffentlichen Diskussion. Die Existenz eines Informationsblattes des Gemeinderates und die Tatsache, dass die sich im Recht fühlende Mehrheit im Gemeinderat auch ein Redaktionsmitglied stellt, kann nicht dazu führen, dass dieses Informationsblatt, welches über die gesamte Tätigkeit des Gemeinderates berichten soll, dazu benutzt wird, in der einen oder anderen Weise Stimmung gegen einzelne Ratsmitglieder zu machen. Insoweit wird vorliegend ein Publikationsorgan missbraucht, um den politischen Meinungskampf (weiter-) zu führen, der an sich Aufgabe der Parteien und Wählergruppen innerhalb des Gemeinderates ist. Vorliegend ist der „Rathausanzeiger“ aber gerade nicht mehr wie 1994 noch das Publikationsorgan der PDS/Die Linke und auch nicht einer einzelnen Partei/Wählergruppe, sondern das Publikationsorgan des Gemeinderates. Dementsprechend wird sich die Redaktion auf die bloße Berichterstattung von Fakten und Tatsachen zu beschränken haben.
- 42
Es ist auch nicht so, dass sich aus dem Amt des Antragstellers, nämlich dem Ehrenamt des Gemeinderatsmitgliedes, eine erhöhte Duldungspflicht für die Hinnahme von geäußerten Werturteilen, die seine Person betreffen, ergibt. Denn die Äußerungen schlagen auf den Antragsteller als natürliche Person durch (vgl. Bay. VGH, a. a. O.).
- 43
Der Antragsteller hat die konkrete Wiederholungsgefahr glaubhaft gemacht. Zwar erklärt der Antragsgegner nunmehr, er werde solche Äußerungen nicht mehr im Rathausanzeiger tätigen, auch ist in der bereits erschienen 71. Ausgabe des „Rathausanzeigers“ eine solche Ehrverletzung nicht mehr vorgekommen, vielmehr ist der Antragsteller in dieser Ausgabe überhaupt nicht erwähnt worden. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass es sich bei der Auseinandersetzung zwischen Antragsteller und Mitgliedern des Antragsgegners um eine sehr scharfe, sich bereits über einen längeren Zeitraum hinweg ziehende und andauernde Auseinandersetzung handelt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich wieder der Rathausanzeiger für entsprechende Äußerungen herhalten muss. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner selbst vorträgt, es gehe auch um Berichte zu „Hintergründen“ und erklärt, berichtet worden sei erst, als der Antragsteller einen „berichtswürdigen Anlass“ geliefert habe. Auch führt der Rathausanzeiger ausdrücklich die Rubrik „Hintergründe“ auf.
- 44
Es ist auch ein die Eilbedürftigkeit rechtfertigender Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Denn dem Antragsteller ist es nicht zuzumuten, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzende Äußerungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren hinzunehmen. Gleichwohl war dem Antrag des Antragsgegners entsprechend die Erhebung der Hauptsacheklage auszusprechen.“
- 45
Mit der sodann am 08.06.2011 erhobenen Hauptsacheklage kommt der Kläger der gerichtlichen Aufforderung nach und beantragt zunächst,
- 46
den Beklagten zu verurteilen, dafür Sorge zu tragen, dass in dem von ihm herausgegebenen „Rathausanzeiger“, inhaltlich wertende Urteile über das Verhalten bzw. über Aussagen des Klägers im Gemeinderat zukünftig nicht erscheinen.
- 47
Nachdem im gerichtlichen Verfahren die zukunftsbezogene Unterlassung diskutiert wurde und auch der Kläger einräumte, dass nach der einstweiligen Verfügung keine weiteren ehrverletzenden Äußerungen im „Rathausanzeiger“ veröffentlicht worden seien, beantragt der Kläger,
- 48
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, dafür Sorge zu tragen, dass in dem von ihm herausgegebenen „Rathausanzeiger“ inhaltlich wertende Urteile über das Verhalten bzw. über Aussagen des Klägers im Gemeinderat zukünftig nicht erscheinen, so oder sinngemäß.
- 49
Der Beklagte beantragt,
- 50
die Klage abzuweisen
- 51
und hält die Klage bereits für unzulässig. Insbesondere seien die prozessualen Voraussetzungen für eine Klageänderung nicht gegeben und der Antrag sei zu unbestimmt.
- 52
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 16.08.2011 (4 M 92/11 – n. v.) auf die Beschwerde des Beklagten und damaligen Antragsgegners den Beschluss der Kammer vom 18.05.2011 in dem Eilrechtsschutzverfahren aufgehoben, weil der Kläger und damaliger Antragsteller die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO hat verstreichen lassen. Danach ist die Vollziehung eines Arrestbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist dem Antragsteller am 23.05.2011 zugestellt worden, so dass die Vollzugsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des 23. Juni 2011 abgelaufen war.
- 53
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des Gerichtsverfahrens sowie des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens 9 B 27/11 MD und des vor dem OVG LSA geführten Verfahrens 4 M 92/11 und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 54
1.) Die Klage ist nach Umstellung des ursprünglichen Begehrens nunmehr mit dem zuletzt gestellten Antrag in Form der Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Der ursprüngliche Antrag war als allgemeine Leistungsklage auf Unterlassung von Äußerungen gerichtet. Unstreitig sind seit Erlass der einstweiligen Anordnung durch das Gericht - auch ohne Vollstreckungsvoraussetzungen - die ehrverletzenden Äußerungen eingestellt worden. Damit hat sich die Unterlassungsklage mit dem zukunftsbezogenen Antrag erledigt. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist auch auf Unterlassungsklagen analog anzuwenden (vgl. nur: VG München, Urteil v. 22.12.2011, M 17 K 11.3337 mit Verweis auf BayVGH, Urteil v. 14.01.1991, 2 B 90.1756; beide juris und Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 113 Rz. 106). Dafür spricht der spezielle Zuschnitt der Forstsetzungsfeststellungsklage auf den Fall der Erledigung. Schließlich ist auch zu bedenken, dass der Kläger die damalige Klage aufgrund der ausdrücklichen Aufforderung durch das Gericht im Tenor des Beschlusses vom 18.05.2011 erhoben hat. Dem Kläger steht auch das sogenannte besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse bezüglich der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Äußerungen bzw. der Rechtmäßigkeit des Unterlassungsanspruchs zur Seite. Dieses besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht nach herrschender Meinung in den Fällen einer Wiederholungsgefahr, eines Rehabilitationsinteresses und soweit ein Präjudiz, d. h. die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses besteht (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 16.10.2008, 5 A 318/07 MD; juris mit Verweis auf Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 113 Rz. 129 ff).
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Vorliegend kann das besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne eines Rehabilitationsinteresses angenommen werden. Ein Rehabilitationsinteresse im Sinne einer „Genugtuung“ setzt dabei voraus, dass es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzusehen ist, weil eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen vorgelegen hatte (vgl. ausführlich: Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 113 Rz. 142 ff). Diese stets im Einzelfall zu treffende Entscheidung führt vorliegend dazu, dass zur Überzeugung des Gerichts ein dementsprechendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse für den im Tenor bezeichneten Ausspruch besteht.
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Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass der Ausspruch Präjudizialität für Schadensersatz oder Entschädigungsansprüche aufweist.
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2.) Zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung durch das erkennende Gericht stand dem Kläger der diesbezügliche Unterlassungsanspruch bezüglich der ehrverletzenden Äußerungen zur Seite. Das Gericht darf diesbezüglich auf die umfassenden Ausführungen in dem im Tatbestand wiedergegebenen Beschluss der Kammer vom 18.05.2011 verweisen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). An der Beurteilung dieser Sach- und Rechtslage hat sich auch zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidungsfindung nichts geändert. Das die Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 16.08.2011 (4 M 92/11; n. v.) aufgehoben wurde, ändert nichts an den zur Überzeugung des Gerichts auch im Hauptsacheverfahren zutreffenden rechtlichen Ausführungen der Kammer. Denn die Entscheidung ist nur wegen des damals eingetretenen Vollstreckungshindernisses nach § 929 Abs. 2 ZPO aufgrund Fristablaufs aufgehoben worden. Eine inhaltlich rechtliche Überprüfung nahm die Beschwerdeinstanz ausdrücklich nicht vor. Zudem gelingt es dem Beklagten nicht, die damaligen und jetzigen vom Gericht zugrunde gelegten rechtlichen Ausführungen zu erschüttern. Nach wie vor ist das Gericht der Auffassung, dass bereits durch die Veröffentlichungen und die Wort- und Begriffswahl („Dick und Doof auf dem Holzweg, Empfehlung an die Laienspielgruppe“; „Bockig wie ein Rumpelstilzchen“) das publizistische Gebot der Sachlichkeit verletzt wurde. Dabei ist auch auf den Gesamtzusammenhang der Ereignisse abzustellen. Von einer „satirischen Tendenz“, wie es der Beklagte ausdrückt, kann keine Rede sein. Denn der Kläger soll aufgrund seines Verhaltens im Gemeinderat unsachlich kritisiert werden. Dabei schlagen diese Äußerungen auf den Antragsteller als natürliche Person durch (vgl. Beschluss der Kammer mit Verweis auf BayVGH, Beschluss v. 24.05.2006, 4 CE 06.1217; juris).
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3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert ist wie in dem Beschluss der Kammer vom 18.05.2011 (9 B 27/11 MD) und dem Beschluss des OVG LSA vom 16.08.2011 (4 M 92/11) und dem Beschluss zur vorläufigen Festsetzung ausgeführt, wegen des nichtwirtschaftlich veranlassten Unterlassungsanspruchs in Höhe des Auffangwertes nach § 52 Abs. 2 GKG anzusetzen.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert wird unter Aufhebung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts für beide Instanzen auf jeweils 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Tenor
-
1. Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 17. September 2012 - 523 Ds 86/12, 121 Js 769/11 -, das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. April 2014 - 155 Ns 155/12, 121 Js 769/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 26. September 2014 - III-1 RVs 171/14, 85 Ss 1/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
-
2. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
-
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
-
4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
-
I.
- 1
-
1. Im November 2011 demonstrierten Mitglieder einer im rechten Spektrum einzuordnenden Gruppierung in einem Stadtteil von Köln. Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter der ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration und bediente sich zur Weitergabe seiner Anordnungen und Informationen eines Lautsprechers. Diese Demonstration war ihrerseits Anlass für zahlreiche Gegendemonstranten, ihre Empörung gegen den Aufzug zu äußern. Zu diesem Zweck war unter anderem auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Ort. Die Gegendemonstranten blockierten den Demonstrationszug und brüllten Parolen wie "Nazis raus", zeigten den Demonstrationsteilnehmern den sogenannten "Stinkefinger" und setzten auch zeitweise Sirenen ein, um die - über den Lautsprecher verbreiteten - Wortbeiträge der Demonstrationsteilnehmer zu stören. Das Landgericht hat als wahr unterstellt, dass der Bundestagsabgeordnete an der Gegendemonstration teilgenommen hatte, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern, er sich bei den vor Ort tätigen Polizeibeamten informiert und den Teilnehmern der Gegendemonstration geraten hatte, die Blockade fortzusetzen, sowie die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer durchgeführten Veranstaltung mehrfach wörtlich und sinngemäß als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" bezeichnet hatte. Der Demonstrationszug konnte wegen der Gegendemonstration die geplante Route nicht einschlagen. Es kam zu Gesprächen zwischen dem Beschwerdeführer und den Polizeibeamten. Als der Beschwerdeführer die Versammlungsteilnehmer unter anderem über die Gespräche mit der Polizeiführung informierte, erkannte er den Bundestagsabgeordneten und äußerte sich über diesen wie folgt:
-
"Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen."
- 2
-
Der Bundestagsabgeordnete stellte Strafantrag wegen Beleidigung.
- 3
-
2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 80 €. Der Vergleich mit Funktionären des nationalsozialistischen Unrechtsstaates durch den Begriff "Obergauleiter der SA-Horden" stelle die Kundgabe der Missachtung eines demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten dar. Den Funktionsbegriff "Obergauleiter" habe es zwar im Nationalsozialismus nicht gegeben. Der Begriff stelle jedoch eine Erhöhung eines tatsächlichen Funktionsbegriffes, nämlich "Gauleiter", dar und sei dergestalt zu verstehen, dass sich der Betroffene der Äußerung schlimmer als ein Gauleiter aufgeführt habe. Die Äußerungen seien weder durch eine Wahrnehmung berechtigter Interessen noch durch die Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 GG, gerechtfertigt. Bei Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und dem politischen Meinungskampf gelte dabei eine Vermutung zu Gunsten der Meinungsfreiheit. Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellten, habe die Meinungsfreiheit aber regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurückzutreten. Nach der engen Definition des Bundesverfassungsgerichts für das Vorliegen einer Schmähung liege eine solche Schmähkritik vor. Die Äußerungen des Beschwerdeführers von einem "Obergauleiter der SA-Horden" dienten ersichtlich der bloßen Diffamierung des politischen Gegners, hier des Bundestagsabgeordneten. Ein Sachbezug dieser Äußerung sei nicht mehr erkennbar. Der Bundestagsabgeordnete habe sich für die Gegendemonstranten in das Demonstrationsgeschehen eingemischt. Hier hätte eine sachliche, den Bundestagsabgeordneten nicht schonende Kritik ansetzen können. Der Beschwerdeführer habe stattdessen auf bloße persönliche Attacken zurückgegriffen. Der Bundestagsabgeordnete werde somit als nationalsozialistischer "Superfunktionär", mithin als ein gewichtiger Teil eines verbrecherischen Unrechtsregimes bezeichnet. In diesem Zusammenhang seien der Meinungsfreiheit engere Grenzen gesetzt. An der Bewertung der Äußerung als Schmähkritik ändere auch die aufgeheizte Atmosphäre, in der sie gefallen sei, nichts.
- 4
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3. Auf die Berufung des Beschwerdeführers änderte das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil mit Urteil vom 29. April 2014 hinsichtlich des Strafmaßes ab. Es verwarnte den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 60 € vor. Bei der Auslegung des Begriffes "Obergauleiter der SA-Horden" verweist das Landgericht im Wesentlichen auf die Ausführungen des Amtsgerichts und ergänzt diese um Ausführungen zur Sturmabteilung (SA). Der Vergleich mit den Funktionären und Organisationen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zeige, dass es dem Beschwerdeführer nicht primär um die öffentliche Kritik an dem Verhalten des Bundestagsabgeordneten gegangen sei, der aus Sicht des Beschwerdeführers seine Kompetenzen überschritten habe, indem er versucht habe, Einfluss auf den Verlauf der genehmigten Demonstration zu nehmen, sondern vorrangig um das Aufstellen eines ehrverletzenden Werturteils über den Geschädigten. Durch die verwendeten Begriffe dränge sich auf, dass der Beschwerdeführer den Geschädigten "in die rechte Ecke" stellen und damit verächtlich machen und herabwürdigen wollte. Dies werde noch verstärkt durch die weitere Formulierung "Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen." Damit stelle der Beschwerdeführer einen weiteren eindeutigen Bezug zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat und die diesen repräsentierende Person her.
- 5
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Dem Beschwerdeführer komme nicht der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zugute. Denn die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Ehrschutzes einerseits und des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG andererseits führe nicht zu einem Überwiegen der Meinungsfreiheit. Die Kammer verkenne nicht, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung erfolgt seien und an das Verhalten des Geschädigten anknüpften. Angesichts des zugrunde liegenden Sachverhaltes erschienen sie aber nicht mehr angemessen. Der Beschwerdeführer habe sich aber nicht darauf beschränkt, das Verhalten des Geschädigten zu kritisieren. Die Äußerungen dienten ersichtlich der bloßen Diffamierung des politischen Gegners. Ein Sachbezug sei nicht mehr erkennbar, außer dass der Beschwerdeführer davon spreche, dass ein grüner Bundestagsabgeordneter Kommandos gebe. Dies hätte der Beschwerdeführer auch in scharfer Form kritisieren dürfen. Der Beschwerdeführer greife aber stattdessen auf persönliche Attacken zurück.
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Der Beschwerdeführer habe auch kein "Recht zum Gegenschlag". Wer dadurch Kritik auf sich lenke, dass er in der Öffentlichkeit zu Fragen der Politik betont Stellung beziehe, müsse unter Umständen eine scharfe übersteigerte Reaktion durch seine Gegner hinnehmen. Herabsetzende Äußerungen seien danach im Rahmen einer öffentlichen, der allgemeinen Meinungsbildung dienenden Auseinandersetzung dann gerechtfertigt, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen oder ihrem Verhalten nicht unverhältnismäßig erschienen und noch als adäquate Reaktion auf den vorangegangenen Vorgang verstanden werden könnten. Selbst wenn man als wahr unterstelle, dass der Geschädigte die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer durchgeführten Veranstaltung als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" bezeichnet habe, könne sich der Beschwerdeführer nicht erfolgreich auf das "Recht zum Gegenschlag" berufen. Der persönliche Angriff des Beschwerdeführers stelle keine adäquate Reaktion dar, zumal eine vorausgegangene Beleidigung nicht thematisiert worden sei. Es fehle also jeglicher Bezug zu der - unterstellt - getätigten Äußerung des Geschädigten.
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4. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet.
- 8
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5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts und den Beschluss des Oberlandesgerichts und rügt die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und des Willkürverbots, Art. 3 Abs. 1 GG.
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6. Dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.
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II.
- 10
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Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <292 ff.>). Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB (vgl. BVerfGE 82, 43 <50 ff.>; 85, 23 <30 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
- 13
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a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der §§ 185, 193 StGB gehören. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 120, 180 <199 f.>; stRspr). Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>; 114, 339 <348>). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196 f.>).
- 14
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Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>). Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>). Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2646/15 -, juris). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>). Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.
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Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Fachgerichte die Grundrechte ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <296 f.>; 101, 361 <388>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>; 93, 266 <294>).
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b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht.
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aa) Amtsgericht und Landgericht ordnen - vom Oberlandesgericht nicht beanstandet - die Äußerung des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise als Schmähkritik ein und unterlassen die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen verkennen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits - wie die Gerichte als wahr unterstellt haben - als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten. Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.
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bb) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler, da es an einer Abwägung fehlt. Wie diese Abwägung ausgeht und ob sie zu einem Freispruch oder erneut zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers führt, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Bei erneuter Befassung wird auf der einen Seite das Vorverhalten des Geschädigten, der aktiv eine Demonstration verhindern wollte, wie auf der anderen Seite das schwere Gewicht einer Ehrverletzung zu berücksichtigen sein, das in einem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes liegt.
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c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
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3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Tenor
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1. Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 17. September 2012 - 523 Ds 86/12, 121 Js 769/11 -, das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. April 2014 - 155 Ns 155/12, 121 Js 769/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 26. September 2014 - III-1 RVs 171/14, 85 Ss 1/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
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2. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
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3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
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4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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1. Im November 2011 demonstrierten Mitglieder einer im rechten Spektrum einzuordnenden Gruppierung in einem Stadtteil von Köln. Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter der ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration und bediente sich zur Weitergabe seiner Anordnungen und Informationen eines Lautsprechers. Diese Demonstration war ihrerseits Anlass für zahlreiche Gegendemonstranten, ihre Empörung gegen den Aufzug zu äußern. Zu diesem Zweck war unter anderem auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Ort. Die Gegendemonstranten blockierten den Demonstrationszug und brüllten Parolen wie "Nazis raus", zeigten den Demonstrationsteilnehmern den sogenannten "Stinkefinger" und setzten auch zeitweise Sirenen ein, um die - über den Lautsprecher verbreiteten - Wortbeiträge der Demonstrationsteilnehmer zu stören. Das Landgericht hat als wahr unterstellt, dass der Bundestagsabgeordnete an der Gegendemonstration teilgenommen hatte, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern, er sich bei den vor Ort tätigen Polizeibeamten informiert und den Teilnehmern der Gegendemonstration geraten hatte, die Blockade fortzusetzen, sowie die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer durchgeführten Veranstaltung mehrfach wörtlich und sinngemäß als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" bezeichnet hatte. Der Demonstrationszug konnte wegen der Gegendemonstration die geplante Route nicht einschlagen. Es kam zu Gesprächen zwischen dem Beschwerdeführer und den Polizeibeamten. Als der Beschwerdeführer die Versammlungsteilnehmer unter anderem über die Gespräche mit der Polizeiführung informierte, erkannte er den Bundestagsabgeordneten und äußerte sich über diesen wie folgt:
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"Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen."
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Der Bundestagsabgeordnete stellte Strafantrag wegen Beleidigung.
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2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 80 €. Der Vergleich mit Funktionären des nationalsozialistischen Unrechtsstaates durch den Begriff "Obergauleiter der SA-Horden" stelle die Kundgabe der Missachtung eines demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten dar. Den Funktionsbegriff "Obergauleiter" habe es zwar im Nationalsozialismus nicht gegeben. Der Begriff stelle jedoch eine Erhöhung eines tatsächlichen Funktionsbegriffes, nämlich "Gauleiter", dar und sei dergestalt zu verstehen, dass sich der Betroffene der Äußerung schlimmer als ein Gauleiter aufgeführt habe. Die Äußerungen seien weder durch eine Wahrnehmung berechtigter Interessen noch durch die Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 GG, gerechtfertigt. Bei Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und dem politischen Meinungskampf gelte dabei eine Vermutung zu Gunsten der Meinungsfreiheit. Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellten, habe die Meinungsfreiheit aber regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurückzutreten. Nach der engen Definition des Bundesverfassungsgerichts für das Vorliegen einer Schmähung liege eine solche Schmähkritik vor. Die Äußerungen des Beschwerdeführers von einem "Obergauleiter der SA-Horden" dienten ersichtlich der bloßen Diffamierung des politischen Gegners, hier des Bundestagsabgeordneten. Ein Sachbezug dieser Äußerung sei nicht mehr erkennbar. Der Bundestagsabgeordnete habe sich für die Gegendemonstranten in das Demonstrationsgeschehen eingemischt. Hier hätte eine sachliche, den Bundestagsabgeordneten nicht schonende Kritik ansetzen können. Der Beschwerdeführer habe stattdessen auf bloße persönliche Attacken zurückgegriffen. Der Bundestagsabgeordnete werde somit als nationalsozialistischer "Superfunktionär", mithin als ein gewichtiger Teil eines verbrecherischen Unrechtsregimes bezeichnet. In diesem Zusammenhang seien der Meinungsfreiheit engere Grenzen gesetzt. An der Bewertung der Äußerung als Schmähkritik ändere auch die aufgeheizte Atmosphäre, in der sie gefallen sei, nichts.
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3. Auf die Berufung des Beschwerdeführers änderte das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil mit Urteil vom 29. April 2014 hinsichtlich des Strafmaßes ab. Es verwarnte den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 60 € vor. Bei der Auslegung des Begriffes "Obergauleiter der SA-Horden" verweist das Landgericht im Wesentlichen auf die Ausführungen des Amtsgerichts und ergänzt diese um Ausführungen zur Sturmabteilung (SA). Der Vergleich mit den Funktionären und Organisationen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zeige, dass es dem Beschwerdeführer nicht primär um die öffentliche Kritik an dem Verhalten des Bundestagsabgeordneten gegangen sei, der aus Sicht des Beschwerdeführers seine Kompetenzen überschritten habe, indem er versucht habe, Einfluss auf den Verlauf der genehmigten Demonstration zu nehmen, sondern vorrangig um das Aufstellen eines ehrverletzenden Werturteils über den Geschädigten. Durch die verwendeten Begriffe dränge sich auf, dass der Beschwerdeführer den Geschädigten "in die rechte Ecke" stellen und damit verächtlich machen und herabwürdigen wollte. Dies werde noch verstärkt durch die weitere Formulierung "Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen." Damit stelle der Beschwerdeführer einen weiteren eindeutigen Bezug zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat und die diesen repräsentierende Person her.
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Dem Beschwerdeführer komme nicht der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zugute. Denn die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Ehrschutzes einerseits und des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG andererseits führe nicht zu einem Überwiegen der Meinungsfreiheit. Die Kammer verkenne nicht, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung erfolgt seien und an das Verhalten des Geschädigten anknüpften. Angesichts des zugrunde liegenden Sachverhaltes erschienen sie aber nicht mehr angemessen. Der Beschwerdeführer habe sich aber nicht darauf beschränkt, das Verhalten des Geschädigten zu kritisieren. Die Äußerungen dienten ersichtlich der bloßen Diffamierung des politischen Gegners. Ein Sachbezug sei nicht mehr erkennbar, außer dass der Beschwerdeführer davon spreche, dass ein grüner Bundestagsabgeordneter Kommandos gebe. Dies hätte der Beschwerdeführer auch in scharfer Form kritisieren dürfen. Der Beschwerdeführer greife aber stattdessen auf persönliche Attacken zurück.
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Der Beschwerdeführer habe auch kein "Recht zum Gegenschlag". Wer dadurch Kritik auf sich lenke, dass er in der Öffentlichkeit zu Fragen der Politik betont Stellung beziehe, müsse unter Umständen eine scharfe übersteigerte Reaktion durch seine Gegner hinnehmen. Herabsetzende Äußerungen seien danach im Rahmen einer öffentlichen, der allgemeinen Meinungsbildung dienenden Auseinandersetzung dann gerechtfertigt, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen oder ihrem Verhalten nicht unverhältnismäßig erschienen und noch als adäquate Reaktion auf den vorangegangenen Vorgang verstanden werden könnten. Selbst wenn man als wahr unterstelle, dass der Geschädigte die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer durchgeführten Veranstaltung als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" bezeichnet habe, könne sich der Beschwerdeführer nicht erfolgreich auf das "Recht zum Gegenschlag" berufen. Der persönliche Angriff des Beschwerdeführers stelle keine adäquate Reaktion dar, zumal eine vorausgegangene Beleidigung nicht thematisiert worden sei. Es fehle also jeglicher Bezug zu der - unterstellt - getätigten Äußerung des Geschädigten.
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4. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet.
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5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts und den Beschluss des Oberlandesgerichts und rügt die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und des Willkürverbots, Art. 3 Abs. 1 GG.
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6. Dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <292 ff.>). Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB (vgl. BVerfGE 82, 43 <50 ff.>; 85, 23 <30 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
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a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der §§ 185, 193 StGB gehören. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 120, 180 <199 f.>; stRspr). Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>; 114, 339 <348>). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196 f.>).
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Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>). Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>). Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2646/15 -, juris). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>). Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.
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Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Fachgerichte die Grundrechte ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <296 f.>; 101, 361 <388>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>; 93, 266 <294>).
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b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht.
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aa) Amtsgericht und Landgericht ordnen - vom Oberlandesgericht nicht beanstandet - die Äußerung des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise als Schmähkritik ein und unterlassen die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen verkennen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits - wie die Gerichte als wahr unterstellt haben - als "braune Truppe" und "rechtsextreme Idioten" beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten. Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.
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bb) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler, da es an einer Abwägung fehlt. Wie diese Abwägung ausgeht und ob sie zu einem Freispruch oder erneut zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers führt, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Bei erneuter Befassung wird auf der einen Seite das Vorverhalten des Geschädigten, der aktiv eine Demonstration verhindern wollte, wie auf der anderen Seite das schwere Gewicht einer Ehrverletzung zu berücksichtigen sein, das in einem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes liegt.
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c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
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3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.