Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 06. Nov. 2018 - 2 M 56/18

bei uns veröffentlicht am06.11.2018

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks der Gemarkung D., Flur A, Flurstücke 323/9 (… 13), das mit einem früher als Wohnhaus und Gaststätte genutzten Gebäude mit Garagen sowie einem Anbau mit weiteren Garagen und Terrasse bebaut ist.

2

Mit Verfügung vom 22.03.2018, dem Antragsteller zugestellt am 28.03.2018, gab der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung der Ersatzvornahme auf, das Gebäude vollständig abzubrechen und den anfallenden Bauschutt zu entsorgen. Zur Begründung gab er u.a. an, bei der am 08.03.2018 durchgeführten Gefahrenerforschung seien erhebliche – bislang unbekannte Schäden – an der tragenden Bausubstanz festgestellt worden, die schließlich dazu führten, dass für das nicht mehr hinreichend ausgesteifte Gebäude eine akute Einsturzgefahr attestiert worden sei. Die in einer vorangegangenen Verfügung von 31.01.2018 angeordneten Sicherungsmaßnahmen erwiesen sich angesichts der im Zuge der nunmehr festgestellten neuen Sachlage als nicht mehr zweckdienlich. Im Gebäude seien auf allen Geschossebenen großflächige Deckendurchbrüche zu verzeichnen. Erhebliche Undichtigkeiten in der Dacheindeckung nebst einem nur unvollständig verschlossenen und gesicherten Giebel an der Westseite sowie offenen Dachgauben führten zu durchgängigen schadenverursachenden Durchfeuchtungen im ganzen Gebäude. An einer Garagenzufahrt im Wohn-/Gewerbegebäude sei das linke Auflager zerstört, so dass der Sturz der Toreinfahrt, auf dem die Decken des Gebäudes aufgelagert seien, als einsturzgefährdet bewertet worden sei. Rissbildungen gingen vom sich senkenden Sturz über die Gebäudefassade bis ins Obergeschoss aus. Im Fall eines Bruchs des Sturzes der betreffenden Toreinfahrt käme es zum Einsturz der Außenwand in diesem Gebäudeteil. Auch der als Freisitz ausgelegte östliche Anbau weise erhebliche Gefahrenquellen auf. Das Mauerwerk, an dem das Brüstungsgeländer befestigt sei, weise infolge der bereits durch dichten Baumbewuchs gekennzeichneten Freisitzfläche starke Rissbildungen und Verformungen auf. Mauersteine seien bereits stark verwittert. Das die Brüstung haltende Mauerwerk sei als nicht mehr standsicher bewertet worden, so dass mit dessen Absturz in den öffentlichen Verkehrsraum zu rechnen sei.

3

Den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines am 24.04.2018 erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 05.06.2018 zugestellten Beschluss abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt: Die Voraussetzungen der §§ 57 Abs. 2, 79 Satz 2 BauO LSA für den Erlass einer Abbruchverfügung seien erfüllt. Die drohende Verletzung des Eigentums, der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens von vorbeilaufenden Passanten sei nach derzeitiger Aktenlage hinreichend wahrscheinlich. Anhand der in den Verwaltungsunterlagen befindlichen Bilder sei schon mit bloßem Auge ersichtlich, dass nur noch wenige die Standfestigkeit garantierende Verbindungen bestünden. Es habe bereits Schäden am Mauerwerk in Form von Rissen oder Verschiebungen in der Drempelwand gegeben. Aufnahmen aus dem Inneren des Gebäudes zeigten Deckeneinbrüche sowie unzureichende Ausbesserungen nach einem Brand. Die starken Rissbildungen an der Außenfassade sowie Teileinstürze deuteten mit großer Wahrscheinlichkeit auf Mängel in der Statik hin. Der gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. (G.) sei zu entnehmen, dass das vormalige Wohn- und Gewerbegebäude akut einsturzgefährdet sei. Eine Durchfeuchtung der Dachterrasse sei zu vermuten. Die Brüstung mit dem Geländer sei gerissen und stark verformt. Angesichts dessen sowie wegen der Nähe zum öffentlichen Verkehrsraum sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bzw. Gesundheit nach summarischer Prüfung gegeben. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden.

II.

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A. Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

5

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist zwar innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht formgerecht eingelegt worden. Dem Antragsteller ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

6

a) Nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.

7

aa) Die vom Antragsteller angesprochene Übersendung der Beschwerdeschrift per Telefax lässt sich nicht feststellen. Ein Sendeprotokoll, das eine Übermittlung an das Gericht per Telefax bestätigen könnte, hat er nicht vorlegen können.

8

bb) Auch eine formgerechte Übermittlung der Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument hat nicht stattgefunden.

9

Gemäß § 55a Abs. 1 VwGO können u.a. schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Hierunter fallen vor allem Schriftsätze, die einen Prozess oder Prozessabschnitt eröffnen, wie etwa die Einlegung oder Begründung von Rechtsmitteln (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 55a RdNr. 3). Nach § 55a Abs. 2 VwGO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein, wobei die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmt. Diese sind in der zum 01.01.2018 in Kraft getretenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) geregelt. Das elektronische Dokument muss zudem mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 55a Abs. 3 VwGO). Nach § 4 Abs. 1 ERVV darf ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg oder an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts (EGVP) über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht, übermittelt werden. Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Durch diese Einschränkung soll verhindert werden, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann (vgl. BR-Drs. 645/17, S. 15).

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Gemessen daran hat der Antragsteller die Beschwerdeschrift am 07.06.2018 nicht formwirksam eingelegt. Das Rechtsmittel ist als elektronisches PDF-Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV, sondern über das EGVP nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV eingereicht worden. Nach dem Transfervermerk vom 08.06.2018 ist zwar die elektronische Nachricht (der "Briefumschlag") signiert, nicht aber der als Anhang beigefügte Beschwerdeschriftsatz selbst. Die im EGVP-Übermittlungsverfahren eingesetzte qualifizierte elektronische Signatur, die sich nicht auf das einzelne elektronische Dokument, sondern den mehrere Dateien umfassenden Nachrichtencontainer bezieht, genügt nicht den Anforderungen des § 55a Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 2 ERVV, wonach eine solche Container-Signatur nicht (mehr) verwendet werden darf (vgl. dazu BSG, Beschl. v. 09.05.2018 – B 12 KR 26/18 B –, juris, RdNr. 5).

11

Allerdings soll das Verbot der Container-Signatur nach einem Beschluss des OLG Brandenburg vom 06.03.2018 (13 WF 45/18 – juris, RdNr. 9 ff.) einer auf sein Regelungsziel bezogenen einschränkenden Auslegung bedürfen, um nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs. 3 GG zu verstoßen. Nach dieser Entscheidung ist die Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich die Container-Signatur nur auf elektronische Dokumente bezieht, die sämtlich ein Verfahren betreffen und bei nicht elektronisch geführten Akten mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt würden. Werde das Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt und zu den Akten genommen, bleibe die Container-Signatur bis zur Vernichtung der Papierakte überprüfbar und sei die § 4 Abs. 2 ERVV zugrunde liegende Überprüfbarkeit der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente gegeben. Ob dem zu folgen ist (zweifelnd: BSG, Beschl. v. 09.05.2018, a.a.O., RdNr. 6), kann indes dahinstehen.

12

b) Dem Antragsteller ist jedenfalls gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten.

13

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat vorgetragen, in seiner Kanzlei sei bekannt, dass Container-Signaturen nicht ausreichend seien, so dass bestimmende Schriftsätze per Telefax und EGVP an die Gerichte übersandt würden. Aufgrund der Verfügung des Gerichts werde nunmehr davon ausgegangen, dass die Beschwerdeschrift nicht per Telefax übersandt worden sei. Am 07.06.2018 sei die Beschwerdeschrift einmal von ihm ausgefertigt und unterzeichnet worden. Aus der elektronischen Akte seien sodann nach Anbringung der Signatur durch ihn die Beschwerdeschrift per EGVP übersandt worden. Die bei der Signatur anwesende Mitarbeiterin habe er angewiesen, die ausgefertigte und unterzeichnete Beschwerdeschrift an das Oberverwaltungsgericht unter der in der Akte eingetragenen Telefaxnummer zu übersenden und nach Übersendung das Sendeprotokoll zu überprüfen. Seine Mitarbeiterin habe ihm auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt, dass das Telefax erfolgreich übersandt worden sei und ihr das Sendeprotokoll vorliege, was jedoch nicht auffindbar sei. Bei dieser Mitarbeiterin handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Fachkraft, die mit ihm seit mehr als 13 Jahren zusammenarbeite, seit über 20 Jahren in ihrem Beruf tätig sei und seine Anweisungen bisher gewissenhaft und fehlerfrei durchgeführt habe. Zur Glaubhaftmachung dieses Vortrages (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO) hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichert und eine eidesstattliche Versicherung seiner Büroangestellten vorgelegt. Zwar mag – wie der Antragsgegner einwendet – der Umstand, dass der Beschwerdeschriftsatz vom 07.06.2018 anders als die Beschwerdebegründung vom 20.06.2018 nur die Versendungsweise "per EGVP" und damit keinen Hinweis darauf enthält, dass der Beschwerdeschriftsatz auch per Telefax übersandt werden sollte, Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im Wiedereinsetzungsantrag begründen. Er schließt die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegebene und anwaltlich sowie eidesstattlich versicherte Darstellung aber auch nicht aus.

14

In dieser Fallkonstellation ist von einem fehlenden Verschulden des Antragstellers und des von ihm beauftragten Prozessbevollmächtigten auszugehen. Der Rechtsanwalt darf Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Faxversand fristgebundener Schriftsätze grundsätzlich dem geschulten und zuverlässigen Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen. Für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Die Kanzleiangestellte muss allerdings auch angewiesen worden sein, nach Übersendung des fristgebundenen Schriftsatzes den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen und die Frist erst zu löschen, wenn eine solche Überprüfung erfolgt ist (zum Ganzen BGH, Beschl. v. 10.09.2013 – VI ZB 61/12 –, juris, RdNr. 9, m.w.N.). Auch eine solche Einzelanweisung hat es nach der anwaltlichen Versicherung im Wiedereinsetzungsantrag gegeben. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten erfolgte zudem eine – wenn auch unvollständige – Überprüfung der Sendeprotokolle der Telefaxe, die an diesem Tag versandt wurden.

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Der Antragsteller hat die versäumte Rechtshandlung, die Einlegung der Beschwerde, auch innerhalb der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO nachgeholt, indem er – auf den Hinweis der Vorsitzenden auf den Formmangel bei der Übermittlung der Beschwerdeschrift vom 07.06.2018 über das EGVP – am 22.06.2018 per Telefax Beschwerde erhoben hat.

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2. Die Beschwerde des Antragstellers ist aber unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

17

a) Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner habe am 08.03.2018 rechtswidrig mit dem Sachverständigen (G.) sein Grundstück betreten und die vom Sachverständigen abgegebene Stellungnahme zur Begutachtung des gesamten Grundstücks mit den aufstehenden Gebäuden verwendet, obwohl der Gutachter eine ganz andere Aufgabenstellung gehabt habe. Ihm, dem Antragsteller, sei es nicht zuzumuten, ggf. erforderliche Maßnahmen zur Sicherung der Gebäudesubstanz durchzuführen, solange mit dem Antragsgegner nicht geklärt sei, dass diese Maßnahmen akzeptiert würden. Es sei ihm auch nicht zuzumuten, allein aufgrund der "standsicherheitstechnischen Stellungnahme", bei der es sich nicht um ein verbindliches Gutachten handele, den nicht notwendigen Komplettabriss vorzunehmen. Zum gutachterlichen Nachweis der Standsicherheit wären zwingend die erforderlichen Berechnungen mit einer Darlegung des gesamten statischen Systems sowie der erforderlichen Zeichnungen vorzulegen. Auch die Beschaffenheit des Baugrundes und seine Tragfähigkeit wären anzugeben. Es hätten alle maßgeblichen, auch die ggf. schwer zugänglichen maßgeblichen Bauwerksteile, handnah auf Schädigungen überprüft werden müssen. Es würden keinerlei objektivierbare Fakten genannt, sondern lediglich Schlüsse aus einer Inaugenscheinnahme gezogen. Eine substantiierte Herleitung, die letztlich auf physikalischen Grundsätzen basieren müsste, werde nicht mitgeteilt.

18

Mit diesen Einwänden überspannt der Antragsteller die Anforderungen an die bei Erlass einer Abbruchanordnung von der Bauaufsichtsbehörde vorzunehmende (sachverständige) Beurteilung einer Einsturzgefahr von Gebäuden, bei denen erhebliche Schäden an verschiedenen Bauteilen deutlich zu erkennen sind.

19

Nach § 12 Abs.1 BauO LSA muss jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein. Nach § 14 Abs. 1 BauVorlVO LSA sind für den Nachweis der Standsicherheit tragender Bauteile eine Darstellung des gesamten statischen Systems sowie die erforderlichen Konstruktionszeichnungen, Berechnungen und Beschreibungen vorzulegen. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauVorlVO LSA müssen die statischen Berechnungen die Standsicherheit der baulichen Anlagen und ihrer Teile nachweisen. Danach geht das Gesetz zunächst für das Verfahren vor Errichtung einer baulichen Anlage davon aus, dass eine Beweislastverteilung dahingehend besteht, dass nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern der Bauherr bzw. der Grundstückseigentümer nachweisen muss, dass eine bauliche Anlage standsicher ist. Dies gilt aber grundsätzlich auch für den weiteren Bestand einer baulichen Anlage: der Verantwortliche hat dann, wenn hieran begründete Zweifel bestehen, nachzuweisen, dass die bauliche Anlage noch dauerhaft standsicher ist. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls, wenn der Bestandsschutz des Gebäudes entfallen ist, weil ein baufälliges Gebäude eine funktionsentsprechende Nutzung nicht mehr zulässt (vgl. OVG MV, Beschl. v. 11.08.2015 – 3 M 54/15 –, juris, RdNr. 8, m.w.N.). Da hier gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die geforderte dauerhafte Standsicherheit des in Rede stehenden Gebäudes nicht mehr gewährleistet ist, muss der Antragsteller darlegen und belegen, dass trotz der auf den Lichtbildern zu erkennenden erheblichen Schäden am Gebäude und der Einschätzung des vom Antragsgegner beauftragten Bausachverständigen die erforderliche Standsicherheit gegeben ist.

20

b) Der Antragsteller stützt sich zum Nachweis bzw. zur Glaubhaftmachung der dauerhaften Standsicherheit des Gebäudes auf die von ihm im Beschwerdeverfahren vorgelegte ingenieurtechnische Stellungnahme des Herrn Dipl.-Ing. (F.) vom 19.07.2018. Er trägt zudem vor, dass nunmehr verschiedene Arbeiten zur Gewährleistung der Standsicherheit ausgeführt worden seien, insbesondere der im Bereich der zweiten Toreinfahrt bemängelte schadhafte Sturz aufgelagert worden sei, die westliche Giebelwand geschlossen worden sei, Dachbalken ersetzt worden seien, die Dachgaube neu aufgebaut worden sei und die brandbedingten Deckendurchbrüche durch neue Balken aufgebaut worden seien. Der Baumbestand auf der Hochterrasse sei gerodet, so dass ein Risiko für das Mauerwerk zukünftig ausgeschlossen sei. Der Garagen- und Terrassenanbau sei bereits mit dem vom Antragsgegner bemängelten Mauervorsprung errichtet worden. Der tatsächliche Vorsprung bei dem Riss betrage nicht über 10 cm, sondern tatsächlich 3,5 cm und sei völlig unbedenklich.

21

Nach der Einschätzung des vom Antragsteller beauftragten Statikers (F.) ist "der Totalverlust (Einsturz) des Gebäudes derzeit nicht gegeben". Die straßenseitige Gebäudesubstanz der Längswand werde durch die anschließenden Querwände ausgesteift. Die Decken über dem Erdgeschoss seien bis zur Mittenwand als Schubscheibe vorhanden, fehlende Decken im straßenseitigen Bereich bildeten keine Gefahr, da sich die Querwände bis auf die Längswand (Hof) fortsetzten, bzw. durch Stütze/Riegel (Sturz/Pfeiler) ausgebildet seien. Zu der vom Antragsteller vorgenommenen Erneuerung des Auflagers für den Sturz des mittleren Garagentores, dessen Fehlen vom Sachverständigen (G.) als besonders kritisch bewertet wurde, hat der Statiker ausgeführt, die örtliche Verdrehung sei erhalten geblieben und insoweit die Empfehlung ausgesprochen, die beiden U-Profile im oberen Drittelspunkt der Stege zu verschrauben, um eine weitere Verdrehung auszuschließen. Um festzustellen, ob der oberhalb des Sturzes von außen erkennbare Riss nicht nur den Putz, sondern auch das Mauerwerk betreffe, was unwahrscheinlich sei, könne nach Entfernung der Tapete im Innern festgestellt werden. Die Brüstungsmauer der Terrasse sei durch Baum- und Strauchbewuchs zerstört worden. Ein partieller Aufbruch sei nicht möglich, er empfehle einen Abbruch der Brüstungsmauer bis zur Terrassenebene.

22

Der vom Antragsgegner herangezogene Sachverständige (G.), dem die ingenieurtechnische Stellungnahme des Sachverständigen (F.) als Auszug vorgelegen hat, hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.10.2018 darauf verwiesen, dass die Deckenbalken an- und teilweise gebrochen seien und die geschädigten Deckenbereiche aus Sicherheitsgründen nicht hätten betreten werden können, so dass eine weitere detaillierte Untersuchung nicht habe erfolgen können. Infolge der Schäden am Deckenbelag sei die Ausbildung einer wirksamen Scheibenausbildung (Aussteifung der Decke) nicht gegeben. Auf dem äußeren Sturz lagere die Außenwand, die bei einem Versagen des Auflagers zum Teileinsturz führen könne. Eine Untermauerung des Sturzes habe zur Lastweiterleitung großflächig zu erfolgen. Die Verformungen am Brüstungsmauerwerk seien abzutragen und Schäden infolge des Bewuchses seien zu sanieren. Das Mauerwerk in Höhe der Garagendecke sei zu untersuchen.

23

Damit ist offen, ob das Gebäude des Antragsteller die nach § 12 Abs. 1 BauO LSA erforderliche Standsicherheit noch besitzt. Zur abschließenden Klärung dieser Frage bedürfte es in einem Hauptsacheverfahren angesichts der beiden zumindest teilweise in Widerspruch zueinander stehenden sachverständigen Einschätzungen der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Lassen sich aber im Eilverfahren die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren noch nicht hinreichend klar voraussehen, so ist das für die Regelung der Vollziehung vorrangige bzw. nachrangige Interesse auf der Grundlage einer allgemeinen Interessen- bzw. Folgenabwägung zu bestimmen (vgl. Beschl. d. Senats v. 11.03.2013 – 2 M 168/12 –, juris, RdNr. 14; OVG NW, Beschl. v. 09.04.2018 - 4 B 500/18 -, juris, RdNr. 4). Die hiernach vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

24

Wird der vorläufige Rechtsschutz versagt und in der Folge das Gebäude abgerissen, obwohl es – derzeit noch – standsicher ist, werden zwar vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen; zudem wird rechtswidrig in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Antragstellers eingegriffen. Wird hingegen vorläufiger Rechtsschutz gewährt und damit ein Abriss verhindert, obwohl das Gebäude nicht mehr die erforderliche Standsicherheit besitzt, besteht die Gefahr, dass das Gebäude einstürzt, dadurch Leib und Leben von Passanten gefährdet und diese verletzt oder gar getötet werden. Bei Gegenüberstellung der betroffenen Rechtsgüter (Eigentumsrecht des Antragstellers einerseits und körperliche Unversehrtheit Dritter andererseits) überwiegt das öffentliche Interesse, mögliche Gefahren für Leib und Leben Dritter auszuschließen. Hinzu kommt, dass der Antragsteller – auch nach der Einschätzung des von ihm beauftragten Statikers – zeitnah in erheblichem Umfang weitere Sanierungsmaßnahmen am Gebäude nebst Anbau durchführen müsste, um einen "Totalverlust" zu vermeiden. Der Statiker hat darauf hingewiesen, dass eine Einsturzgefahr bei nicht durchgeführter Sanierung infolge weiterer Witterungseinflüsse (Feuchteschädigungen) und damit verbundener Folgeschäden möglich werden könne. Er ist ferner zu der Auffassung gelangt, dass die vom Antragsteller vorgenommene Schließung der westlichen Giebelwand nicht genüge, weil die Wand keinen Kraft- und Formschluss zum Dachtragwerk habe. Er hat empfohlen, die Giebelwand zurückzubauen und neu aufzubauen sowie den Dachstuhl mit Eindeckung komplett zu erneuern. Der Sachverständige (G.) hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme den Aufwand zur Herstellung und Gewährleistung der Standsicherheit auf ca. 350.000,00 € geschätzt und für unverhältnismäßig hoch bzw. unwirtschaftlich gehalten. Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt, bis wann er die – auch nach Einschätzung des von ihm beauftragten Statikers für notwendig gehaltenen – umfangreichen Sanierungsmaßnahmen durchführen will und inwieweit er hierzu auch finanziell in der Lage ist.

25

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

26

C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.5 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Senat schließt sich der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Bemessung des Streitwerts nach den vom Antragsgegner geschätzten voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme an. Dieser Betrag ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren.

27

D. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.


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(2) Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:

1.
auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
2.
an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht.

(2) Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:

1.
auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
2.
an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht.

(2) Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:

1.
auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
2.
an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht.

(2) Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden.

Tenor

Dem Kläger wird hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger den Erlass, hilfsweise die Niederschlagung von Beitragsansprüchen. Das SG Köln hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.11.2016). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung mit am 23.2.2018 dem Kläger zugestellten Beschluss vom 7.2.2018 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger durch am 6.3.2018 an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) übermitteltes elektronisches Dokument vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Die dabei verwendete qualifizierte elektronische Signatur (qeS) bezog sich nach dem Transfervermerk vom 7.3.2018 nicht auf das elektronische PDF-Dokument selbst, sondern auf den Nachrichtencontainer (sog Container-Signatur) mit den Inhaltsdaten "nachricht.xml, nachricht.xsl, herstellerinformation.xml" und dem Anhang "2018-03-06-Nichtzulassungsbeschwerde.pdf". Auf den Hinweis des Berichterstatters vom 28.3.2018, dass die Beschwerdeschrift nicht zulässig signiert worden sei, hat der Kläger am 6.4.2018 mittels eines ordnungsgemäß signierten elektronischen Dokuments erneut Beschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2

II. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Er hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 7.2.2018 versäumt (dazu 1.). Die am 6.4.2018 nachgereichte Beschwerde gilt nicht als bereits am 6.3.2018 eingegangen (dazu 2.). Der Kläger war allerdings ohne Verschulden verhindert, die Verfahrensfrist einzuhalten (dazu 3.).

3

1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nach § 160a Abs 1 S 2 SGG bei dem BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils einzulegen. Das Rechtsmittel gegen den dem Kläger am 23.2.2018 zugestellten Beschluss des LSG vom 7.2.2018 hätte daher bis zum 23.3.2018 bei dem BSG eingehen müssen. Die Beschwerde ist formwirksam aber erst am 6.4.2018 und damit verspätet eingegangen. Das bereits am 6.3.2018 an das EGVP übermittelte PDF-Dokument hat die notwendige Form nicht gewahrt.

4

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist schriftlich einzulegen und durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten zu unterschreiben (vgl BSG Beschluss vom 28.6.1985 - 7 BAr 36/85 - SozR 1500 § 160a Nr 53 S 69). Sie kann gemäß § 65a Abs 1 SGG in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl I 3786) nach Maßgabe der Abs 2 bis 6 aber auch als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein, wobei die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmt (§ 65a Abs 2 SGG). Diese sind in der zum 1.1.2018 in Kraft getretenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) vom 24.11.2017 (BGBl I 3803) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der ERVV vom 9.2.2018 (BGBl I 200) geregelt. Das elektronische Dokument muss zudem mit einer qeS der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs 3 und 4 SGG). Ein elektronisches Dokument, das mit einer qeS der verantwortenden Person versehen ist, darf lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg oder an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs 1 ERVV). Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen qeS übermittelt werden (§ 4 Abs 2 ERVV). Durch diese Einschränkung soll verhindert werden, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann (BR-Drucks 645/17 S 15 zu § 4).

5

Nach Maßgabe dieser normativen Vorgaben für die Übermittlung elektronischer Dokumente hat der Kläger die Beschwerde am 6.3.2018 nicht formwirksam eingelegt. Das Rechtsmittel ist als elektronisches PDF-Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg iS des § 4 Abs 1 Nr 1 ERVV iVm § 65a Abs 4 SGG, sondern über das EGVP iS des § 4 Abs 1 Nr 2 ERVV eingereicht worden. Die im EGVP-Übermittlungsverfahren eingesetzte qeS, die sich nicht auf das einzelne elektronische Dokument, sondern den mehrere Dateien umfassenden Nachrichtencontainer bezieht, genügt aber seit 1.1.2018 nicht (mehr) den Anforderungen des § 65a Abs 2 S 2, Abs 3 SGG iVm § 4 Abs 2 ERVV, wonach eine solche Container-Signatur nicht verwendet werden darf.

6

Zwar soll das Verbot der Container-Signatur nach einem Beschluss des OLG Brandenburg vom 6.3.2018 (13 WF 45/18) einer auf sein Regelungsziel bezogenen einschränkenden Auslegung bedürfen, um nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG zu verstoßen. Nach dieser Entscheidung ist die Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich die Container-Signatur nur auf elektronische Dokumente bezieht, die sämtlich ein Verfahren betreffen und bei nicht elektronisch geführten Akten mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt würden. Werde das Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt und zu den Akten genommen, bleibe die Container-Signatur bis zur Vernichtung der Papierakte überprüfbar und sei die § 4 Abs 2 ERVV zugrunde liegende Überprüfbarkeit der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente gegeben. Diese Beurteilung des OLG Brandenburg könnte schon deshalb zweifelhaft sein, weil sie Absender elektronischer Dokumente in Abhängigkeit davon ungleich behandelt, ob das empfangende Gericht elektronische oder (auch) Papier-Akten führt und der Absender nur dann in die Lage versetzt ist, formunwirksame Eingänge zu vermeiden, wenn er Kenntnis von der Art der gerichtlichen Aktenführung hat. Ob ihr gleichwohl zu folgen ist, kann aber dahinstehen, weil dem Kläger wegen unverschuldeter Fristversäumung jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (dazu 3.).

7

2. Der Formmangel der fehlerhaften Signatur ist nicht dadurch geheilt worden, dass der Kläger am 6.4.2018 eine ordnungsgemäß signierte Beschwerde nachgereicht hat. Ist ein elektronisches Dokument entgegen § 65a Abs 2 S 1 SGG für das Gericht nicht zur Bearbeitung geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen(§ 65a Abs 6 S 1 SGG). Ein solches Dokument gilt zwar als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 65a Abs 6 S 2 SGG). Diese Eingangsfiktion greift allerdings nicht bei fehlerhaft signierten elektronischen Dokumenten. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 65a SGG sowie dem nach den Gesetzesmaterialen mit der Eingangsfiktion verfolgten Zweck.

8

Nach dem Wortlaut des § 65a Abs 2 S 1 und Abs 6 SGG müssen elektronische Dokumente für die "Bearbeitung" durch das Gericht geeignet sein. Von dieser "Bearbeitung" ist die "Übermittlung" von Dokumenten zu unterscheiden. Sowohl die Ermächtigungsgrundlage des § 65a Abs 2 S 2 SGG für die ERVV als auch die ERVV selbst(vgl § 1 Abs 1 S 1 ERVV) differenziert zwischen den für die Übermittlung einerseits und die Bearbeitung andererseits geeigneten technischen Rahmenbedingungen. § 4 Abs 2 ERVV über den Ausschluss einer Container-Signatur betrifft nach seiner Überschrift und seinem Wortlaut indes nicht die Bearbeitung, sondern die Übermittlung elektronischer Dokumente. Bei einer wegen Verstoßes gegen § 4 Abs 2 ERVV fehlerhaften Signatur liegt daher ein nicht ordnungsgemäß übermitteltes, nicht aber ein nicht zur Bearbeitung geeignetes elektronisches Dokument vor.

9

Diese Auslegung entspricht dem mit § 65a Abs 6 SGG verfolgten Zweck. Dem Absender eines elektronischen Dokuments soll es nicht zum Nachteil gereichen, dass er zunächst ein "falsches Dateiformat" verwendet hat, wenn er unverzüglich nach Erhalt der Fehlermeldung ein "technisch lesbares Dokument" einreicht (BR-Drucks 818/12 S 34 f zu Abs 6). Die verwendete Signatur betrifft hingegen weder die Formatvorgaben noch die Lesbarkeit eines Dokuments. § 65a Abs 6 SGG soll sich nur auf elektronische Dokumente beziehen, die die unmittelbar im Gesetz vorgesehenen Formvoraussetzungen erfüllen, also formgerecht entweder mit qualifizierter Signatur oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurden(BR-Drucks 818/12 S 35 zu Abs 6).

10

3. Dem Kläger ist nach § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Verfahrensfrist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten. Ohne Verschulden iS dieser Vorschrift ist eine Frist nur versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BSG Beschluss vom 7.10.2004 - B 3 KR 14/04 R - SozR 4-1750 § 175 Nr 1 RdNr 15 und BSG Beschluss vom 21.8.2000 - B 2 U 230/00 B - SozR 3-1500 § 67 Nr 19 S 50, jeweils mwN). Ob das vorliegend im Hinblick darauf der Fall ist, dass zwar der sichere Übermittlungsweg zwischen dem besonderen Anwaltspostfach (beA) nach § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung und der elektronischen Poststelle des Gerichts(§ 65a Abs 4 Nr 2 SGG) auf Veranlassung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wegen Sicherheitsrisiken seit dem 23.12.2017 vorübergehend eingestellt worden ist, die BRAK in ihrem Newsletter zum beA vom 16.11.2017 aber auf die Unzulässigkeit der Container-Signatur hingewiesen hat, kann hier dahingestellt bleiben. Denn Wiedereinsetzung ist auch unabhängig vom Verschulden des Beteiligten zu gewähren, wenn dies wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten ist. In solchen Fällen tritt ein in der eigenen Sphäre des Beteiligten liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurück (BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 165/12 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 11 RdNr 18 mwN). Ohne Verschulden "verhindert", eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ein Beteiligter nach der Rechtsprechung des BSG auch dann, wenn ein Verschulden des Beteiligten zwar vorgelegen hat, dieses aber für die Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen ist oder ihm nicht zugerechnet werden kann, weil die Frist im Fall pflichtgemäßen Verhaltens einer anderen Stelle gewahrt worden wäre (BSG Urteil vom 30.1.2002 - B 5 RJ 10/01 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60). Das ist hier der Fall, denn das Fristversäumnis beruht (zumindest auch) auf Umständen, die im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen.

11

Allerdings liegt nicht schon ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 65a Abs 6 S 1 SGG vor, wonach der Absender über den Eingang eines zur Bearbeitung nicht geeigneten Dokuments unverzüglich zu informieren ist. Ebenso wie die Eingangsfiktion des § 65a Abs 6 S 2 SGG greift auch die Mitteilungspflicht aus den zu 2. dargelegten Gründen nicht bei bearbeitungsfähigen, jedoch fehlerhaft signierten elektronischen Dokumenten. Seine prozessuale Fürsorgepflicht hat das Gericht vielmehr dadurch verletzt, dass der gebotene Hinweis auf die fehlerhafte Signatur (vgl BR-Drucks 818/12 S 35 zu Abs 6) unterblieben ist. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass ein unzulässig eingelegtes Rechtsmittel in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5 mwN). Der Kläger hätte daher auf die fehlerhafte Signatur hingewiesen werden müssen. Ein solcher Hinweis erfordert keine außerordentlichen Maßnahmen, da sich die Art der verwendeten Signatur regelmäßig ohne Schwierigkeiten dem Transfervermerk über die Übermittlung des elektronischen Dokuments an das EGVP entnehmen lässt. Das fehlerhaft signierte elektronische Dokument war auch bereits am 6.3.2018 und damit so rechtzeitig vor Ablauf der Beschwerdefrist am 23.3.2018 eingegangen, dass die Frist bei einem Hinweis des Gerichts innerhalb des üblichen Geschäftsgangs hätte eingehalten werden können (vgl BSG Beschluss vom 20.12.2011 - B 4 AS 161/11 B - Juris RdNr 9).

(1) Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:

1.
auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
2.
an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht.

(2) Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 61/12
vom
10. September 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Büropersonal ist anzuweisen, bei einem fristgebundenen Schriftsatz die in einem
Sendebericht ausgewiesene Faxnummer nach Ausdruck noch einmal anhand eines
aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle auf ihre Zuordnung
zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen.
BGH, Beschluss vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12 - KG Berlin
LG Berlin
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Galke und die Richter Zoll, Wellner, Pauge und Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom 27. September 2012 wird auf Kosten der Klägerin verworfen. Beschwerdewert: 9.000 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld nach einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 26. März 2012 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit einem am 24. April 2012 beim Kammergericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am 29. Juni 2012 beim Kammergericht eingegangenen Schriftsatz hat er die Berufung begründet und für eine gewährte Fristverlängerung gedankt. Mit Verfügung vom 12. Juli 2012 hat der Senatsvorsitzende darauf hingewiesen, dass ein Fristverlängerungsantrag beim Kammergericht nie eingegangen sei, dass sich aber bei den Akten des Landgerichts ein Fristverlängerungsgesuch adressiert an das Landgericht befinde, welches am Pfingstdienstag, dem 29. Mai 2012, beim Landgericht eingegangen sei.
2
Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 31. Juli 2012 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Sie hat sinngemäß vorgetragen, die Rechtsanwaltsgehilfin ihres Prozessbevollmächtigten habe zunächst den Fristverlängerungsantrag an das Landgericht Berlin adressiert und mit dessen Faxnummer versehen. Dies sei ihrem Prozessbevollmächtigten bei der Unterschrift aufgefallen, worauf er die Einzelanweisung erteilt habe, den Schriftsatz zu vernichten und mit der korrekten Adresse wieder vorzulegen. Bei Unterschrift (am 25. Mai 2012) unter dem neu vorgelegten Schreiben habe er die Einzelanweisung erteilt, diesen Antrag an das Kammergericht zu faxen. Am 29. Mai 2012 habe die Rechtsanwaltsgehilfin jedoch den ersten Schriftsatz an das Landgericht gefaxt. Zur Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin vorgelegt.
3
Das Kammergericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Es komme zwar auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung erteile, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Im Streitfall erfülle die vorgetragene Einzelanweisung die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es sei nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung der Berufungsschrift den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen und die Notfrist erst zu löschen, wenn eine solche Überprüfung erfolgt sei.

II.

4
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen , nicht erfüllt sind.
5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch deren rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, VersR 2012, 1411 Rn. 5 mwN).
6
2. Die angefochtene Entscheidung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Übersendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax nicht überspannt.
7
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des ange- schriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Empfängernummer ist anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. März 2012 - VI ZB 49/11, NJW-RR 2012, 744 Rn. 7 und vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, aaO Rn. 7 mwN). Diese Art der Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Übermittlung ausschließen, sondern auch die Feststellung ermöglichen, ob der Schriftsatz auch tatsächlich übermittelt worden ist. Eine Notfrist darf erst nach einer solchen Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, aaO; BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 1998 - XI ZB 13/98, - XI ZB 14/98, VersR 1999, 996; vom 7. Juli 2010 - XII ZB 59/10, NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12, 14). Das Büropersonal muss daher stets angewiesen werden, die angegebene Faxnummer noch einmal auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt angegebenen Empfangsgericht zu überprüfen, auch dann, wenn eine Kanzleiangestellte die anzuwählende Telefaxnummer des Gerichts aus einem in der Akte befindlichen Schreiben des Gerichts in einen fristgebundenen Schriftsatz überträgt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 10). Sofern den Senatsbeschlüssen vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06, VersR 2008, 272 und vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04, VersR 2005, 573 etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.
8
b) Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht erfüllt. Das Verschulden ihres Anwalts ist der Klägerin zuzurechnen (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).
9
aa) Es entspricht zwar der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2012 - VI ZB 50/11, NJW-RR 2012, 1084 Rn. 17 mwN), dass der Rechtsanwalt Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Faxversand fristgebundener Schriftsätze grundsätzlich dem geschulten und zuverlässigen Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen darf. Es trifft auch zu, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO) auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. September2011 - VI ZB 23/11, VersR 2011, 1544 Rn. 8; vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, aaO Rn. 9 mwN). Im Streitfall erfüllt die von der Klägerin vorgetragene und durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemachte Einzelanweisung die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es ist nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung des Fristverlängerungsantrags den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer (hier also des Berufungsgerichts) anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen und die Notfrist erst zu löschen, wenn eine solche Überprüfung erfolgt ist.
10
bb) Eine allgemeine Büroanweisung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, aus der sich eine Anordnung hinsichtlich der Prüfungspflichten der Büroangestellten nach Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax ergibt, ist ebenfalls nicht vorgetragen. Eine solche lässt sich auch nicht der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten entnehmen. Einen Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag als unzureichend ansieht, war insoweit entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich auch nicht ansatzweise entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, aaO Rn. 11).
11
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Unterlassen einer entsprechenden Ausgangskontrolle auch ursächlich geworden. Hätte die Kanzleiangestellte einen Sendebericht ausgedruckt und entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung überprüft, ob die richtige Telefaxnummer und das richtige Gericht ausgewählt wurden, so hätte ihr auffallen können und müssen , dass das Telefax nicht an das Kammergericht übersandt worden ist. Dann hätte sie ihren Fehler entdecken können, weil es für eine zuverlässige Büroangestellte offensichtlich ist, dass ein Schriftsatz zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Berufungsgericht übersandt werden muss, und zusätzlich gemäß dem Vorbringen ihres Prozessbevollmächtigten eine entsprechende Einzelanweisung vorlag.
12
c) Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine wirksame Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist seitens des Berufungsgerichts erfolgt ist. Soweit die Rechtsbeschwerde dies aus der Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 5. Juli 2012, die den handschriftlichen Vermerk enthält "Begründungsfrist verlängert", ableiten will, beachtet sie nicht, dass diese Verfügung vor Eingang der Akten vom Landgericht erfolgte. Bereits mit Verfügung vom 12. Juli 2012 wies der Vorsitzende Richter darauf hin, nach Eingang der Akten sei festgestellt worden, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Landgericht gerichtet worden sei. Galke Zoll Wellner Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 22.02.2012 - 36 O 185/09 -
KG Berlin, Entscheidung vom 27.09.2012 - 20 U 118/12 -

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 14. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Antragsgegners durch Bescheid vom 18.06.2014, das Gebäude auf dem Grundstück C-Straße in C-Stadt abzubrechen. In dieser Anordnung werden dem Antragsteller zur Sicherstellung der ausreichenden Standsicherheit des vorhandenen Giebels zum benachbarten Wohnhaus des Beigeladenen mehrere Vorgaben gemacht.

2

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 14.01.2015 den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen ergäben, dass die Gefahr des Einsturzes bzw. Teileinsturzes des Gebäudes bestehe. Es sei eine akute Gefährdung der Standsicherheit offensichtlich gegeben. Der Abbruch des Gebäudes könne ohne Gefährdung der Standsicherheit der Giebelwand des Nachbargebäudes nur unter Einhaltung des dem Antragsteller dargelegten Abrisskonzepts erfolgen. Dies folge ebenfalls aus den vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen. Eine Sicherung des Gebäudes des Beigeladenen durch Einbauen von Giebelankern stelle kein milderes Mittel dar. Ein solches, zudem aufwändiges Nachrüsten könne dem Beigeladenen nicht angesonnen werden. Auch von einer möglichen Sanierung des Hauses des Antragstellers als milderes Mittel könne nicht ausgegangen werden. Seine diesbezüglichen Angaben seien bereits zu vage. Zudem müsse die Sanierung des Gebäudes kurzfristig dazu führen, dass die Standsicherheit des Gebäudes wiederhergestellt werde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei angesichts der von dem Gebäude ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Dass bislang Außenstehende wie Passanten oder spielende Kinder auf Grund der bereits vorliegenden massiven Schäden am Gebäude nicht verletzt worden seien, möge Glück oder Zufall gewesen sein. Das Gleiche gelte für die Gefährdung des Wohnhauses des Beigeladenen.

3

Gegen diesen, ihm am 16.01.2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 30.01.2015 Beschwerde erhoben, die er am 13.02.2015 begründet hat.

II.

4

Die Beschwerde ist nach Maßgabe des allein zu prüfenden Vorbringens in der Beschwerdeschrift (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) unbegründet.

5

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig ist. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

6

1. Bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Anordnung zum Abbruch eines Gebäudes aus Gründen der fehlenden Standsicherheit ist von folgenden Grund-sätzen auszugehen:

7

Die zur Gefahrenabwehr bei baulichen Anlagen in § 58 Abs. 1 S. 2 LBauO MV enthaltene Generalklausel ermächtigt dazu, aus Sicherheitsgründen den ganzen oder teilweisen Abbruch anzuordnen (vgl. VGH München, U. v. 29.09.1986 - 14 B 85 A.707. BayVBl 1987, 597).

8

§ 12 Abs.1 LBauO MV schreibt vor, dass jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein muss. Nach § 10 Bauvorlagenverordnung MV sind für den Nachweis der Standsicherheit tragender Bauteile eine Darstellung des gesamten statischen Systems sowie die erforderlichen Konstruktionszeichnungen, Berechnungen und Beschreibungen vorzulegen; die statischen Berechnungen müssen die Standsicherheit der baulichen Anlagen und ihrer Teile nachweisen. Danach geht das Gesetz zunächst für das Verfahren vor Errichtung einer baulichen Anlage davon aus, dass eine Beweislastverteilung dahingehend besteht, dass nicht die Bauaufsichtsbehörde dem Bauherrn bzw. dem Grundstückseigentümer beweisen muss, dass eine bauliche Anlage nicht mehr standsicher ist, sondern dass der jeweilige Bauherr bzw. Grund-stückseigentümer zu beweisen hat, dass seine bauliche Anlage standsicher ist. Dies gilt auch für den weiteren Bestand einer baulichen Anlage: der Verantwortliche hat dann, wenn hieran begründete Zweifel hieran bestehen, nachzuweisen, dass sie noch dauerhaft standsicher ist (vgl. VG Ansbach, U. v. 16.09.2011 - AN 18 S 11.01254, juris; siehe auch OVG Greifswald, B. v. 09.07.2010 - 3 M 128/10, NordÖR 2010, 494). Dieser Grundsatz gilt jedenfalls, wenn – wie hier – der Bestandsschutz des Gebäudes entfallen ist, weil ein baufälliges Gebäude eine funktionsentsprechende Nutzung nicht mehr zulässt (vgl. OVG Münster, U. v. 03.02.1994 - 10 A 1149/91, BRS 56 Nr. 261).

9

Es liegen im vorliegenden Fall gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die geforderte dauerhafte Standsicherheit der baulichen Anlage nicht mehr gewährleistet ist. Mit seinen bisherigen Bemühungen hat der Antragsteller seiner ihm obliegenden Beweislast für den Nachweis der dauerhaften Standsicherheit nicht genüge getan.

10

Diese Anhaltspunkte ergeben sich aus den bereits vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss S. 3, 4 genannten Stellungnahmen des Ingenieurbüros für Tragwerksplanung und Bauphysik Platen vom 01.02.2013 und 12.05.2014. Schon aus den beigefügten Fotos wird der desolate Zustand des Gebäudes ersichtlich. Die Ausführungen in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.02.2013 ziehen den Schluss, die vorgefundenen Schäden hätten beim weiteren Fortschreiten den Einsturz tragender Gebäudeteile zur Folge. Hierdurch werde im weiteren Verlauf die Standsicherheit der Giebelwand gefährdet und somit auch die Standsicherheit der Giebelwand des angrenzenden Wohnhauses des Beigeladenen einer Gefährdung ausgesetzt. Die zweite Stellungnahme vom 12.05.2014 enthält weitere Fotos über den Zustand des Gebäudes des Antragstellers. Hier wird eine Modifizierung der Vorgaben des Abbruches zum Schutze des benachbarten Gebäudes des Beigeladenen dargelegt. Die Stellungnahme vom 19.11.2014 schließlich legt im Einzelnen dar, dass eine Gefahr des Einsturzes bzw. Teileinsturzes des Gebäudes besteht, was aus den augenscheinlichen Schäden am Gebäude geschlussfolgert wird.

11

Diesen Schlussfolgerungen tritt der Antragsteller in seiner Beschwerdeschrift nicht substantiiert entgegen. Er setzt sich vielmehr von vornherein mit der Frage auseinander, ob das Abrisskonzept zu Gunsten des Beigeladenen durchgeführt werden kann und führt außerdem aus, es verstoße gegen Art. 14 des Grundgesetzes, dass ihm eine Sanierung „verboten“ werde.

12

Somit liegt nach den objektiven Gegebenheiten ein sicherheitsgefährdender Zustand vor, weil der Antragsteller den Nachweis für die dauerhafte Standsicherheit des Gebäudes nicht führen kann. Dieser sicherheitsgefährdende Zustand bringt eine erhebliche Gefahr mit sich. Ein nicht auszuschließender Schadenseintritt führt zu einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter.

13

Unter diesen Umständen ist der Antragsgegner zu Recht davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 S. 2 LBauO MV bestehen.

14

2. Es entsprach demnach pflichtgemäßer Ermessensausübung im Sinne von § 40 VwVfG MV, wenn der Antragsgegner die angefochtene Anordnung erlassen hat. Insoweit liegt wegen der besonderen Bedeutung der Sicherheit einer baulichen Anlage ein intendiertes Ermessen vor, d.h. grundsätzlich hat die zuständige Behörde einzuschreiten.

15

In diesem Zusammenhang macht der Antragsteller in der Beschwerdeschrift geltend, ihm müsse die Möglichkeit der Sanierung des Gebäudes gegeben werden. Nach der sachverständigen Beurteilung der Ingenieure Platen insbesondere ihrer Stellungnahme vom 19.11.2014 wird hierzu ausgeführt, eine Sanierung des Gebäudes wie vorgeschlagen sei prinzipiell möglich. Dies setze jedoch voraus, dass die Standsicherheit des Gebäudes kurzfristig wieder hergestellt werde. Dazu seien umfangreiche Abfangungen und Aussteifungen des Gebäudes notwendig, die sofort erfolgen müssten. Dass der Antragsteller derartige Maßnahmen kurzfristig durchführen wird und sie auch zu der geforderten Standfestigkeit des Gebäudes führen könnten, ist nicht ersichtlich. Es wäre Sache des Antragstellers durch entsprechende Planungen, die statisch durch den Antragsgegner überprüfbar sind, darzulegen, dass die Standsicherheit dadurch wieder hergestellt werden kann. Insoweit wird auf die Ausführungen des Gerichts in der Aufklärungsverfügung vom 29.05.2015 verwiesen.

16

3. Für die Frage der Verantwortlichkeit gelten folgende Grundsätze:

17

Die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Gewährleistung der Standsicherheit trifft während der eigentlichen Bautätigkeit den Bauherrn und für die Zeit nach der Bauphase nach allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätzen den Grundstückseigentümer als Zustandsstörer (§ 70 SOG MV). Auch aus § 12 Abs. 1 S. 1 LBauO M-V geht deutlich hervor, dass in erster Linie der Grundeigentümer für die Standsicherheit der Gebäude auf seinem Grundstück verantwortlich ist, und zwar nicht nur hinsichtlich Sicherungsmaßnahmen bei drohender Gefahr, sondern in vollem Umfang dessen, was für einen dauerhaft sicheren Zustand erforderlich ist (OVG Greifswald, B. v. 09.07.2010 - 3 M 128/10, NordÖR 2010, 494; vgl. auch OVG A-Stadt, B. v. 11.08.2000 - 2 Bf 226/00 - juris). Für den Abbruch eines Gebäudes gilt Entsprechendes, weil der Abbruch baulicher Anlagen nach § 12 Abs. 1 LBauO M-V zur Bauphase gehört. Damit fällt er in die Verantwortlichkeit des Bauherrn. Bauherr ist auch derjenige, der ein Gebäude abbricht bzw. abzubrechen hat. § 12 Abs. 1 S. 2 LBauO M-V bestimmt darüber hinaus, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen nicht gefährdet werden darf. Daher ist der Bauherr auch beim Abbruch eines Gebäudes auf seinem Grundstück zugleich für die Einhaltung der Standsicherheitsregeln in Bezug auf das Gebäude des Nachbarn verantwortlich.

18

4. Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, die zum Schutz des Nachbarn angeordneten Maßgaben des Abbruchs seien nicht ermessensgerecht.

19

Die oben dargelegte Verantwortlichkeit beinhaltet, dass der Antragsteller grundsätzlich dafür Sorge zu tragen hat, dass von seinem Gebäude keine Gefahren für ein Nachbargebäude ausgehen. Sofern – wie die summarische Überprüfung ergibt - der Antragsteller verpflichtet ist, sein Gebäude zu beseitigen, ist somit selbstverständlich die Pflicht verbunden, dies so durchzuführen, dass das Nachbargebäude nicht zu Schaden kommt.

20

Der Beschwerdeführer trägt vor, eine konstruktive Abhängigkeit der beiden Gebäude liege gar nicht vor; es handele sich vielmehr nach der Baugeschichte um zwei selbständige Gebäude, so dass ein Abbruch die Standsicherheit des Nachbargebäudes nicht gefährde. Dies folge daraus, dass das Nachbargebäude 1913 vollständig neu errichtet worden sei, während sein Gebäude erst zwei Jahre später nach einem Brand neu gebaut worden sei. Der Beigeladene hat darauf erwidert, dass auch das Nachbargebäude von dem Brand betroffen gewesen sei, und ein Schreiben der Versicherung vom 08.10.1915 vorgelegt (GA 336); im Übrigen laute das Datum der Baugenehmigung für das Nachbargebäude (GA 338) „23. August 1915“ und nicht „23. August 1913“. Letzteres erscheint plausibel, weil die „3“ in der „23“ anders geschrieben ist; zusätzlich spricht die Bezeichnung des genehmigten Vorhabens als „Wiederaufbau“ für den Vortrag des Beigeladenen. Im Übrigen hat der Antragsteller auf diesen Vortrag des Beigeladenen nicht konkret entgegnet. Der Senat geht daher davon aus, dass die fehlende konstruktive Abhängigkeit der Gebäude mit dem Beschwerdevorbringen nicht hinreichend dargelegt ist.

21

Auch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, das Haus des Beigeladenen sei mangels Giebelankern ‎fehlerhaft errichtet worden, ergibt sich nicht, dass der Antragsteller nicht verpflichtet ist, den Abbruch so durchzuführen, dass das Gebäude des Beigeladenen nicht zu Schaden kommt. Dies würde allenfalls dessen Zustandshaftung begründen, wenn das Gebäude allein dadurch nicht standsicher wäre. Dafür ist nichts ersichtlich. Erst durch den angeordneten Abbruch des Gebäudes des Antragstellers kommt es ohne die begleitend angeordneten Maßnahmen nach Einschätzung der sachverständigen Stellungnahmen zu einer Einsturzgefahr des Gebäudes des Beigeladenen. Die somit diagnostizierte Gefahr für das Nachbargebäude steht im untrennbaren Zusammenhang mit dem Abbruch des Gebäudes des Antragstellers und ist daher von ihm als dessen Veranlasser zu beseitigen. Damit ist der ‎Antragsteller hinsichtlich der Gefährdung der Giebelwand des Nachbargebäudes durch den Abbruch in jedem Fall als ‎Handlungsstörer anzusehen. ‎

22

Im Rahmen der Interessenabwägung, die der Senat nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellen hat, ist weiter zu berücksichtigen, dass die abschließende Klärung der vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen eine derartige Zeit in Anspruch nehmen würde, dass die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung an seinem Gebäude zunächst aufgeschoben werden müssten. Dies erscheint nicht vertretbar. Ohne die zu Gunsten des Beigeladenen angeordneten Maßnahmen würde, wie sich aus den sachverständigen Stellungnahmen ergibt, bei dem Abbruch eine Gefahr für das Gebäude des Beigeladenen entstehen (vgl. zu diesen Zusammenhängen VG Aachen, B. v. 06.06.2005 – 3 L 306/05, juris). Ob die Maßnahmen auf Dauer angeordnet werden können, oder ob es nicht Sache des Beigeladenen ist, etwaige konstruktive Mängel auf Dauer an seinem Gebäude selbst zu beseitigen, um den vollständigen Abbruch des Gebäudes des Antragstellers zu ermöglichen (vgl. hierzu VG Koblenz, U. v. 01.07.2010 – 7 K 352/10.KO, juris), kann dahinstehen. Die dringliche Beseitigung der Gefahrenlage, in der sich das Gebäude des Antragstellers befindet, erfordert zunächst den Abbruch mit den angeordneten Maßnahmen zu Gunsten des Beigeladenen.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 III VwGO.

24

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 3 GKG; sie legt die Kosten der aufgegebenen Maßnahmen zu Grunde und setzt hiervon ein Viertel an.

25

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 2 S. 7 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Gründe

I.

1

Mit Bescheiden vom 07.08.2012 änderte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bereits bestehende wohnsitzbeschränkende Auflagen und gab den Antragstellern auf, ab dem 01.09.2012 ihren Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft G-Straße 7d/B-Straße in A-Stadt zu nehmen. Zur Begründung gab sie an, aufgrund der früheren Anerkennung als Flüchtlinge sei es den Antragstellern möglich gewesen, in einer privaten Wohnung und somit außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Da die Antragsteller nach den heute vorliegenden Erkenntnissen seit ihrer Einreise über ihre wahre Identität getäuscht hätten und diese weiterhin nicht preisgäben, bestehe nunmehr ein öffentliches Interesse an einer Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft. Dort könne sie intensivere Maßnahmen zur Identitätsklärung bzw. die damit verbundene Beschaffung von Heimreisedokumenten zur Beendigung des Aufenthalts durchführen. Ein weiterer Grund, der die Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft erforderlich mache, liege in dem Bezug öffentlicher Leistungen. Aufgrund der wiederholten Falschangaben zur Identität seien die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeschränkt worden. Die Privatwohnung könne mit den gekürzten Leistungen nicht mehr getragen werden. Nunmehr seien nachweislich Mietschulden entstanden, deren Übernahme das Sozialamt abgelehnt habe. Angesichts der nunmehr drohenden Kündigung seien die Antragsteller von Obdachlosigkeit bedroht. Es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug; denn zur Vermeidung der Anhäufung weiterer Mietschulden, des damit verbundenen Schadens für Dritte (Vermieter) und der drohenden Obdachlosigkeit der Antragsteller sei die unverzügliche Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft zwingend notwendig.

2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Widersprüche wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt: Die Bescheide seien offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin das ihr nach § 46 Abs. 1 AufenthG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe nicht berücksichtigt, dass die Antragstellerin zu 4 nach einem Urteil der Kammer vom 07.09.2012 (4 A 212/11 MD) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG habe und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die vollziehbare Ausreisepflicht entfallen lassen würde. Da der Antragstellerin zu 4 nach diesem Urteil die mangelnde Identitätsklärung nicht zugerechnet werden könne und deshalb die Nichtvorlage eines Personaldokuments der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehe, entspreche es nicht dem Zweck der Regelung des § 46 Abs. 1 AufenthG, von ihr das Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft zu verlangen, um sie zur Beschaffung von Dokumenten zur Identitätsklärung und Erleichterung der Ausreise zu motivieren. Der Ermessensfehler wirke sich auch auf die Entscheidung hinsichtlich der übrigen Antragsteller aus, da im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft nur ein gemeinsames Wohnen der Eltern mit den beiden minderjährigen Kindern in Betracht komme und der Familienverbund auch hinsichtlich des Antragstellers zu 5 jedenfalls zu prüfen gewesen wäre.

3

Hiergegen wendet die Antragsgegnerin ein, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in seinem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil vom 07.09.2012 habe die Antragstellerin zu 4 keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und Nr. 4 AufenthG seien nicht erfüllt. Weder sei die Identität der Antragstellerin zu 4 geklärt noch besitze sie den erforderlichen Pass. Es sei keine Ausnahmesituation zu erkennen, die es rechtfertige, von der Passpflicht oder zumindest vom Identitätsnachweis abzusehen. Die von den Antragstellern angegebenen Personendaten seien falsch; nach einer Information der zentralen Abschiebestelle in Halberstadt gehe der armenische Botschaftsrat nach einer Vorführung der Antragsteller davon aus, dass sie armenischer Herkunft seien. Die Antragsteller behaupteten indes weiterhin wahrheitswidrig, aus dem Irak zu stammen. Spätestens seit der Leistungskürzung seien die Antragsteller nicht mehr in der Lage, die bisherige ca. 104 m² große Wohnung zu finanzieren.

II.

4

A. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

5

Das Verwaltungsgericht hat – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 07.08.2012 wiederhergestellt. Denn es ist zumindest offen, ob die in den Bescheiden jeweils ausgesprochene Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft im Widerspruchs- oder in einem ggf. nachfolgenden Hautsacheverfahren Bestand haben wird (1.). Die hiernach vorzunehmende Abwägungsentscheidung fällt zugunsten der Antragsteller aus (2.)

6

 1. Gemäß § 46 Abs. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen. Mit der Verpflichtung, an einem bestimmten Ort Wohnsitz zu nehmen, soll die Erreichbarkeit des Ausländers und die Einwirkungsmöglichkeit der Ausländerbehörde sichergestellt werden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/420 S. 88). Eine entsprechende Anordnung muss einen sinnvollen Bezug zu diesem zulässigen Verfahrenszweck aufweisen, insbesondere dem der Identitätsfeststellung und Passbeschaffung, und darf nicht in Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden im Einzelfall unverhältnismäßig treffen (vgl. Urt. d. Senats v. 29.11.2007 – 2 L 223/06 –, Juris, RdNr. 31, m.w.N.).

7

Der Senat hat Zweifel, ob mit den streitigen Anordnungen ein solcher zulässiger Verfahrenszweck verfolgt wird.

8

 1.1. Die von der Antragsgegnerin angeführte drohende Obdachlosigkeit der Antragsteller im Fall der Kündigung der von ihnen angemieteten Privatwohnung dürfte nach dem oben dargestellten Zweck des § 46 Abs. 1 AufenthG kein Grund für eine Anordnung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft sein.

9

 1.2. Es ist auch fraglich, inwieweit mit dieser Maßnahme die Erreichbarkeit der Antragsteller und die Einwirkungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin hinsichtlich der Beschaffung von Heimreisedokumenten verbessert werden. Die Antragsgegnerin hat nicht näher dargelegt, welche (konkreten) „intensivere Maßnahmen zur Identitätsklärung und Beschaffung von Heimreisedokumenten zur Beendigung des Aufenthalts“ sie dort durchführen will.

10

 1.3. Im Übrigen ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, dass eine auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützte Anordnung, den Wohnsitz in einer Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen, jedenfalls dann nicht mehr dem Zweck der Ermächtigung entspricht und damit ermessensfehlerhaft ist, wenn absehbar ist, dass die vollziehbare Ausreisepflicht des Ausländers entfallen wird, weil er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Gleiches dürfte gelten, wenn der Ausländer nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung durch die Ausländerbehörde hat.

11

Nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist offen, ob die Antragstellerin zu 4 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG oder zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin hat.

12

Gemäß § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann einem geduldeten Ausländer, der in Deutschland geboren wurde oder vor Vollendung des 14. Lebensjahres eingereist ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn (1.) er sich seit sechs Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, (2.) er sechs Jahre erfolgreich im Bundesgebiet eine Schule besucht oder in Deutschland einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat und (3.) der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird, sofern gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Nach den von der Antragsgegnerin nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts erfüllt die Antragstellerin zu 4 diese Voraussetzungen. Solange sich der Jugendliche oder der Heranwachsende in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befindet, schließt gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Die Antragsgegnerin hält der Antragstellerin zu 4 auch keine eigenen Täuschungshandlungen vor, die gemäß § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG zwingend zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen.

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Der Antragsgegnerin ist zwar darin beizupflichten, dass auch im Rahmen des § 25a Abs. 1 AufenthG grundsätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sein müssen (vgl. BT-Drs. 17/5093, S. 15 f.). Von diesen Voraussetzungen kann aber gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG, die nicht bereits in § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG genannt sind, und damit auch in den Fällen des § 25a Abs. 1 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden (vgl. Beschl. d. Senats v. 30.03.2012 – 2 O 198/12 –). Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, es liege keine Ausnahmesituation vor, die ein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen rechtfertige, verkennt sie, dass § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG einen atypischen Fall nicht voraussetzt, sondern in den darin bezeichneten Fällen allgemein die Behörde ermächtigt, im Ermessenswege von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abzusehen. Auch erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin bei ihren Ermessenserwägungen entscheidend darauf abstellen darf, dass die Antragstellerin zu 4 den langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur durch die Täuschungshandlungen ihrer Eltern erreichen konnte. Sollen nach § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur eigene Täuschungshandlungen, nicht aber Täuschungshandlungen Dritter zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen, wird die Ausländerbehörde auch bei der Ermessensausübung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Täuschungshandlungen der Eltern nicht berücksichtigen dürfen. Unabhängig davon ist – wie die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerde selbst vorträgt – die Frage, welche Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG insbesondere in Bezug auf die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen müssen, Gegenstand eines Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht (1 C 17.12) und damit als offen zu bewerten.

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 2. Da nach alldem zumindest offen ist, ob die Antragstellerin zu 4 ausreisepflichtig ist und sie und die übrigen mit ihr in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Antragsteller auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 VwGO zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet werden können, ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen mit dem Interesse der Antragsteller, von der Vollziehung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, abzuwägen. Die dabei vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – Juris, RdNr. 18; BVerwG, Beschl. v. 30.08.1996 – 7 VR 2/96 –, NVwZ 1997, 497 [501]) fällt zugunsten der Antragsteller aus.

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Wird der begehrte vorläufige Rechtsschutz versagt, so dass die Antragsteller ihren Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft nehmen müssen, lassen sich die dadurch insbesondere für die in Deutschland geborenen minderjährigen Antragsteller zu 3 und 4 eintretenden Folgen bei einem Obsiegen in der Hauptsache möglicherweise nur schwer wieder rückgängig machen. Sie sind – wie auch die Antragsgegnerin anerkennt – in das bisherige Umfeld integriert.

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Wird dagegen die aufschiebende Wirkung der Widersprüche angeordnet, wird lediglich der bereits seit Jahren bestehende Zustand beibehalten. Anhaltspunkte dafür, dass – anders als bisher – eine besondere Dringlichkeit dafür besteht, entsprechend dem Zweck einer Anordnung nach § 46 Abs. 1 AufenthG die Ausreise der Antragsteller zu fördern, sind nicht ersichtlich. Zwar mögen – wie die Antragsgegnerin geltend macht – bei einem Verbleib in der bisherigen Wohnung bereits bestehende Mietschulden weiter anwachsen, weil ihr Sozial- und Wohnungsamt die Unterkunftskosten wegen der Größe der bisherigen Wohnung voraussichtlich auch weiterhin nicht in voller Höhe übernehmen würde. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei der Gewichtung der Interessen im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO dem Zweck des Gesetzes, dessen Vollzug der in Frage stehende Verwaltungsakt dient, maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 80 RdNr. 91; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 80 RdNr. 161, m.w.N; OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.04.1985 – 10 B 4/85 –, NJW 1986, 800). Eine Wohnsitzauflage auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 AufenthG soll – wie bereits dargelegt – nach dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung dazu dienen, die Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zu fördern. Sie hat hingegen nicht die Zielrichtung, das Anwachsen von Mietschulden zu verhindern und einer möglicherweise drohenden Obdachlosigkeit des Ausländers für den Fall der Kündigung der von ihm angemieteten Privatwohnung vorzubeugen. Darüber hinaus ist in Erwägung zu ziehen, dass die Antragsteller insbesondere im Fall einer Kündigung durch den jetzigen Vermieter die Möglichkeit haben, eine kleinere Wohnung anzumieten, die nach den Maßstäben der Sozialbehörde die Angemessenheitskriterien erfüllt.

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 B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

18

 C. Den Antragstellern ist auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen.

19

Aus der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen ergibt sich, dass die Kläger nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO). Die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bleiben gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 119 Satz 2 ZPO im zweiten Rechtszug ungeprüft, da die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat.

20

Die Entscheidung über die Beiordnung folgt aus § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 und 3 ZPO.

21

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.