Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Sept. 2011 - 2 Ws 33/11

bei uns veröffentlicht am29.09.2011

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird der Beschluss des Landgerichts - 5. Große Strafkammer - Stuttgart vom 31. Januar 2011

a u f g e h o b e n .

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. September 2010 wird zugelassen und das Hauptverfahren vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

Die Bestimmung der berufsrichterlichen Besetzung in der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 2 GVG) bleibt dieser Strafkammer vorbehalten.

Gründe

 
I.
Der Angeklagte war ab Mai 2005 bis zum 15. Oktober 2008 Straßenradprofi für das Team G. Mit der Fa. H. GmbH (im Folgenden: Fa. H.) hatte er am 31. Mai 2005 einen Vertrag geschlossen, der am 19. September 2006 unter modifizierten Bedingungen verlängert wurde. In diesem letztgenannten Vertrag verpflichtete er sich, gegen eine jährliche Vergütung von 675.000,-- EUR für die Fa. H. Radrennen zu fahren und zu werben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. September 2010 legt dem Angeklagten zur Last, drei monatliche Abschlagszahlungen in Höhe von jeweils 50.487,50 EUR, welche ihm der Geschäftsführer der Fa. H. am 29. Juli 2008, am 29. August 2008 und am 30. September 2008 ausbezahlte, betrügerisch erworben zu haben. Er sei im Juli 2008 mit dem Dopingmittel CERA gedopt gewesen. Gleichwohl habe er am 17. Juli 2008 gegenüber H. H. wahrheitswidrig erklärt, er könne zu 100 % ausschließen, jemals mit CERA in Berührung gekommen zu sein. Auch in der Folge habe er vertragswidrig unterlassen, die Fa. H. von seinem Verstoß gegen die Dopingregeln zu unterrichten. Darüber hinaus habe er den bei H. H. entstandenen Irrtum dadurch aufrechterhalten, dass er bis zum 27. Juli 2008 an den Etappen der Tour de France teilgenommen habe, obwohl die Teilnahme an der Tour de France lediglich nicht gedopten Sportlern erlaubt gewesen sei. Erst am 03. Oktober 2008 habe H. H. von der AFLD erfahren, dass in den bei dem Angeklagten am 03. Juli und am 15. Juli 2008 entnommenen Blutproben das Dopingmittel CERA nachgewiesen worden sei. Die Abschlagszahlungen für die Monate Juli bis September 2008 in Höhe von insgesamt 151.462,50 EUR habe H. H. als Geschäftsführer der Fa. H. irrtumsbedingt im Vertrauen auf die Dopingfreiheit des Angeklagten ausbezahlt, wodurch der Fa. H. ein Schaden in derselben Höhe entstanden sei.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Angeklagte habe am 17. Juli 2008 zwar H. H. getäuscht. Sie hat jedoch als fraglich angesehen, ob der Angeklagte in Bereicherungsabsicht gehandelt habe und ob bei H. H. ein Irrtum entstanden sei. Jedenfalls sei der Fa. H. kein Schaden entstanden. Obwohl die Kammer die Möglichkeit einer am 17. Juli 2008 irrtumsbedingt unterlassenen Kündigung erörtert hat, vertritt sie die Auffassung, die Fa. H. sei bis zum Zeitpunkt der tatsächlich (erst im Oktober 2008) ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung zur Zahlung des vereinbarten Lohnes an den Angeklagten verpflichtet gewesen.
In einer für die Entscheidung nicht tragenden Zusatzbemerkung hat die Strafkammer ihre Auffassung dargelegt, dass das Verhalten des Angeklagten im Übrigen auch nicht strafwürdig sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit ihrer rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde, mit welcher sie die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart begehrt.
II.
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet. Denn entgegen der Auffassung der 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart ist der Angeklagte hinreichend verdächtig, sich des angeklagten Betruges zum Nachteil der Fa. H. schuldigt gemacht zu haben. Deshalb ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Hauptverfahren zu eröffnen.
a) Der Angeklagte hat den Geschäftsführer der Fa. H. durch aktives Tun getäuscht.
aa)Täuschungshandlung ist zum Einen die gegenüber H. H. abgegebene Erklärung vom 17. Juli 2008, er könne zu 100 % ausschließen, jemals mit CERA in Berührung gekommen zu sein. Diese Erklärung war, wie der Angeklagte wusste, falsch. Aufgrund der Ermittlungen des LKA Baden-Württemberg besteht der hinreichende Verdacht, dass die bei dem Angeklagten am 03. Juli 2008 und am 15. Juli 2008 entnommenen Blutproben das Dopingmittel CERA enthielten. Angesichts der Angaben der hierzu vernommenen Zeugen und der vorliegenden Urkunden, insbesondere aber angesichts des vorgenommenen DNA-Vergleichs kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass es sich hierbei um Proben mit dem Blut des Angeklagten handelt. Für die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Analyseergebnisse zutreffend sind, spricht der Beschluss des Obersten Französischen Verwaltungsgerichts (Conseil d‘ Etat Paris) vom 28. Oktober 2009 (wonach die vorgenommenen Nachtests und Analyseverfahren regelkonform durchgeführt worden sind) sowie die Einschätzung des angewandten Nachweisverfahrens durch den Sachverständigen Prof. Dr. S.. Weiter ist mit der für die Eröffnung eines Hauptverfahrens hinreichenden Wahrscheinlichkeit belegt, dass dem Angeklagten bekannt war, dass er gedopt war, er also am 17. Juli 2008 bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Hierfür spricht sein Verhalten sowohl an diesem 17. Juli 2008 als auch nach dem Bekanntwerden des Analyseergebnisses und insbesondere auch die Einschätzung der Sachverständigen Dr. R., dass im Blut nachgewiesenes CERA mittels einer Injektion verabreicht worden sein müsse.
Entgegen der Auffassung der Verteidigung war die Täuschung durch die gegenüber dem Vertragspartner H. wahrheitswidrig abgegebene Erklärung nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die von H. H. gestellte Frage rechtswidrig gewesen wäre (zur rechtlichen Einordnung einer falschen Antwort auf eine rechtswidrig gestellte Frage vgl. KG, Beschluss vom 19. Oktober 1999, 1 Ss 79/97, zitiert nach Juris).
10 
Das von der Verteidigung in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Nemo-tenetur-Prinzip passt auf die vorliegende Fallgestaltung schon deshalb nicht, weil dieses Prinzip den Einzelnen vor dem (staatlichen) Zwang zu einer Aussage schützt, mit welcher er sich einer Straftat bezichtigen würde. Es betrifft den Konflikt, welcher entsteht, wenn man einerseits bei Verweigerung der Aussage mit gravierenden Konsequenzen zu rechnen hat, andererseits sich bei wahrheitsgemäßer Aussage einer Straftat bezichtigen müsste. So lag der Fall hier nicht.
11 
Aber auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches unter anderem einem Arbeitnehmer gestattet, bestimmte Fragen seines Arbeitgebers nicht oder gar falsch zu beantworten, begründet für den Angeklagten vorliegend keinen Rechtfertigungsgrund.
12 
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob das Vertragsverhältnis zwischen dem Angeklagten und der Fa. H. überhaupt - wie die Verteidigung meint - als Arbeitsvertrag einzustufen ist. Denn auch bei Berücksichtigung der in der Arbeitsgerichtsbarkeit für Arbeitsverträge entwickelten Grundsätze kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte die Frage von H. H. am 17. Juli 2008 nicht falsch beantworten durfte.
13 
Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen wird das Fragerecht des Arbeitgebers bejaht, wenn dieser an der Beantwortung der speziellen Frage, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten Leistung steht, ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat, ohne dass die Beantwortung der Frage zu einer übermäßigen Belastung des Arbeitnehmers führt. Ein durch das Fragerecht des Arbeitgebers verursachter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stand halten. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches vor dem Verlangen schützt, Informationen preiszugeben, die einen selbst belasten, führt dann nicht zu dem Recht, dem Arbeitgeber Auskünfte zu verweigern, wenn im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer Interessenabwägung die Interessen des Arbeitgebers gegenüber denen des Arbeitnehmers überwiegen.
14 
Der Senat hat im Rahmen der Eröffnungsentscheidung anhand des bisher schriftlich vorliegenden Ermittlungsergebnisses in diesem Zusammenhang folgende Aspekte berücksichtigt und gegeneinander abgewogen:
15 
- Die Frage war gegenwartsbezogen.
16 
- Sie war anlassbezogen. Denn die Reaktion des Angeklagten auf die Bekanntgabe, dass CERA nunmehr nachgewiesen werden könne, durfte H. H. als verdächtig einstufen.
17 
- Die Frage bezog sich auf eine Hauptpflicht des Angeklagten und damit auf seine Eignung, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Denn bei einer Gesamtschau kann der Vertrag des Angeklagten mit der Fa. H. nur dahingehend ausgelegt werden, dass der Angeklagte als „sportliche Leistung“ dem Rennstall dopingfreies Fahren schuldete.
18 
- Das Interesse von H. H. an der Beantwortung der Frage war erheblich. Angesichts seiner finanziellen Abhängigkeit vom derzeitigen Sponsor und seinem bisherigen dezidierten Eintreten für „sauberen Radsport“ war es für H. H. nicht zumutbar, einen gedopten Radsportler in seinem Rennstall zu dulden. Für ihn bestand ein sehr großes Interesse daran, den drohenden wirtschaftlichen Schaden - etwa durch Kündigung oder Suspendierung eines gedopten Fahrers - zu begrenzen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Suche nach einem neuen Sponsor, da der Vertrag mit G. befristet war und Ende 2008 auslief.
19 
- Auch wenn der Vertrag zwischen dem Angeklagten und der Fa. H. als Arbeitsvertrag zu bewerten sein sollte, so handelte es sich jedenfalls um einen atypischen Arbeitsvertrag mit speziellen Pflichten des Zusammenwirkens. Der Arbeitgeber eines Sportlers hat ein gesteigertes Interesse an der Kenntnis des Gesundheitszustandes seines Sportlers, da dieser - mehr als in „normalen“ Arbeitsverhältnissen - Grundlage der Einsatz- und Leistungsfähigkeit des Sportlers, seiner Zukunftsperspektive und damit verbunden seines „Marktwertes“ ist (vgl. Wüterich / Breucker in Sportrecht in der Praxis, 2012, Kapitel 7, Rn. 590). Bei Umständen, die unmittelbaren Einfluss auf seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistungserbringung haben, insbesondere also das Training oder den Wettkampf ausschließen oder beeinträchtigen, hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Information darüber, welche Beeinträchtigungen bestehen (vgl. Wüterich / Breucker, a. a. O., Rn. 591). Auch unter Berücksichtigung des Urteils des BAG vom 07. September 1995 (8 AZR 828/93, zitiert nach Juris) kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Angeklagten hier gegenüber den Interessen seines Arbeitgebers zurückzutreten hatten. Denn der Angeklagte wusste, dass die Dopingproben bereits genommen worden waren und angesichts der inzwischen bekanntgewordenen Nachweisbarkeit von CERA es nur noch eine Frage der Zeit war, wann der zu erwartende positive Dopingbefund bekanntgegeben würde. Die aufgrund einer wahrheitsgemäßen Angabe zu befürchtende Kündigung konnte auch aus Sicht des Angeklagten durch eine falsche Antwort lediglich hinausgeschoben werden.
20 
bb) Zudem besteht hinreichender Verdacht, dass der Angeklagte H. H. auch durch die Teilnahme an den weiteren Etappen der Tour de France konkludent getäuscht hat. Wie bereits ausgeführt, bestand aufgrund des bestehenden Vertrags mit der Fa. H. für den Angeklagten die Hauptpflicht, dopingfreie sportliche Radsportleistung zu erbringen. Die Teilnahme an den Etappen enthält gegenüber dem Vertragspartner (also der Fa. H., vertreten durch deren Geschäftsführer H. H.) die konkludente Erklärung, die geschuldete Leistung zu erbringen und nicht gedopt zu sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Erklärung des Angeklagten gegenüber H. H. am Abend des 17. Juli 2008. Wie der BGH klar gestellt hat, kommt die konkludente Erklärung einer solchen Negativtatsache insbesondere dann in Betracht, wenn es - wie hier - um erhebliche Manipulationen des Vertragsgegenstandes geht, auf den sich das konkludente kommunikative Verhalten bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2006, 5 StR 181/06, Rn. 22, zitiert nach Juris). Bei dieser konkludenten Erklärung handelt es sich um eine Täuschung durch aktives Tun. Denn die Grenze zwischen einer aktiven konkludenten Täuschung und einer Täuschung durch Unterlassen bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Erklärungswert des aktiven Verhaltens. Deshalb darf der Tatrichter grundsätzlich nicht an ein Unterlassen, sondern muss an das aktive Tun anknüpfen, wenn in der Erklärung bereits die Täuschungshandlung zu sehen ist. In diesen Fällen liegt der relevante Handlungsschwerpunkt in einem positiven Tun, weil der Täter inzident die Essentialia zusichert, die zur unverzichtbaren Grundlage des Vertragsverhältnisses zählen (vgl. BGH a. a. O. Rn. 27). Die Frage nach einer Garantenpflicht des Angeklagten stellt sich deshalb nicht.
21 
b) Es besteht hinreichender Verdacht, dass aufgrund dieser Täuschungshandlung bei H. H. ein Irrtum entstanden ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Getäuschter bei Zweifeln an der Wahrheit des Vorgespiegelten die Möglichkeit der Unwahrheit jedenfalls für geringer halten muss (so Fischer, StGB, 58. Auflage, § 263 Rn. 55, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01. September 2003, 1 Ws 235/03, zitiert nach Juris) oder ob - wozu der Senat wie der 3. Strafsenat des BGH neigt (vgl. Urteil vom 05. Dezember 2002, NStZ 2003, 313) - Zweifel des Getäuschten so lange nicht geeignet sind, die Annahme eines tatbestandmäßigen Irrtums infrage zu stellen, als das Opfer gleichwohl noch die Wahrheit der behaupteten Tatsache für möglich hält und deswegen die Vermögensverfügung trifft, also trotz seiner Zweifel, seien sie auch noch so erheblich, der List des Täters zum Opfer fällt. Das Maß etwaiger Zweifel des Getäuschten H. H. muss, wenn es rechtlich darauf ankommt, gegebenenfalls in der Hauptverhandlung festgestellt werden. Jedenfalls ist ein Irrtum über die Dopingfreiheit eines Radsportlers trotz weit verbreiteter Dopingpraxis nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. nur Kerner, Trüg, JUS 2004, 140, 141; Cherkeh, Momsen, NJW 2001, 1745 ff; Kargl, NStZ 2007, 449 ff; Rössner in Sportrecht in der Praxis, 2012, Kapitel 11, Rn. 1705). Vorliegend ist der sog. „viktimo-dogmatische“ Ansatz, wonach sich Opfer bei Zweifeln kundig machen müssen, verfehlt. Zum Einen können Zweifel in der Regel nicht an konkreten Anhaltspunkten festgemacht werden. Insbesondere aber ist eine Einschränkung der Zurechnung des Irrtums bei einem zweifelnden Opfer aus dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung dann nicht gerechtfertigt, wenn das zweifelnde Opfer eine Vermögensverfügung trifft, weil es das Gegenteil der behaupteten unwahren Tatsachen nicht beweisen kann (vergl. hierzu auch Beckemper, Wegner in NStZ 2003, 315). Vorliegend geht es im Übrigen nicht um die Frage, ob eine Vielzahl von Sportlern allgemein gedopt ist, und ob andere Personen deshalb Zweifel an der Dopingfreiheit von Sportlern haben müssen, sondern es geht konkret um die Frage, ob der Zeuge H. H. aufgrund bestimmter Tatsachen dem Irrtum erlegen ist, dass der Angeklagte S. nicht mit dem speziellen Dopingmittel CERA gedopt war.
22 
Auch durch die von der Verteidigung herangezogenen und vorgelegten Unterlagen wird der hinreichende Tatverdacht eines Irrtums bei H. H. nicht in Zweifel gezogen. Sie belegen gerade nicht, dass dessen Angaben zu seinem Irrtum widersprüchlich wären. Lediglich exemplarisch soll hier das von der Verteidigung vorgelegte Interview vom 28. Oktober 2010 (Gerichtsakte Bl. 92) angeführt werden, wonach H. H. angegeben hat, er habe zwar gewusst, in welcher Welt er sich bewege, er sei jedoch so selbstbewusst gewesen, zu glauben, alles so gestalten zu können, dass beispielsweise Bluttransfusionen während der Tour de France in seinem Team nicht stattfänden. Dies entspricht den Angaben des Zeugen am 24. August 2010, wo er angegeben hat, dass andere Personen (wie Masseure, Physiotherapeuten und Ärzte) viel näher und intimer an dem Angeklagten S. dran gewesen seien als er und er auch von diesen Personen keinerlei Hinweise auf Doping erhalten habe, obwohl jeder Mitarbeiter in seinem Team eine Erklärung unterzeichnet hätte, dass er bei Auffälligkeiten der Athleten die Teamleitung sofort informieren müsse.
23 
c) Irrtumsbedingt hat der Zeuge H. H. eine Vermögensverfügung getroffen.
24 
Die Vermögensverfügung liegt zum Einen darin, dass der Zeuge H. es unterlassen hat, den Vertrag zwischen dem Angeklagten und der Fa. H. mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen. Wie bereits ausgeführt, war dopingfreie sportliche Leistung eine Hauptpflicht des Angeklagten, die er vertraglich zu erbringen hatte. Gemäß § 626 BGB hatte der Dienstberechtigte vorliegend ein solches Kündigungsrecht, weil der Dienstverpflichtete die geschuldete Dienstleistung schuldhaft nicht erbringen konnte und deshalb auch nicht erbrachte. Unbeschadet einer unterlassenen Kündigung liegt zudem in der Zahlung der fraglichen Abschlagszahlung eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung.
25 
Auch unter Berücksichtigung der von der Verteidigung vorgebrachten Gesichtspunkte besteht hinreichender Verdacht dafür, dass der Irrtum des Zeugen H. für die Vermögensverfügung kausal war. Insbesondere die Annahme, der Zeuge H. habe kein Interesse an der Aufklärung gehabt, ist nach Aktenlage fernliegend. Die Proben waren bereits entnommen und der Zeuge H. musste damit rechnen, dass es auf jeden Fall bekannt werden würde, falls der Angeklagte S. gedopt hatte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein „unter den Teppich Kehren“ für ihn interessanter gewesen wäre als ein offensiver Umgang mit einem eventuellen Dopingfall. Dies gilt sowohl gegenüber dem bisherigen Sponsor, an den er bis Ende 2008 gebunden war, als auch bei der Suche nach einem neuen Sponsor. Im Übrigen spricht gegen ein fehlendes Interesse des Zeugen H. an einer Aufklärung sowohl die Vertragsgestaltung mit dem Angeklagten S. als auch sein früheres Verhalten im Fall D. H., sein Engagement für einen sauberen Radsport und der Umstand, dass er durch seine intensive Befragung am 17. Juli 2008 zu erkennen gegeben hat, dass Dopingmissbrauch im Radsport für ihn von erheblicher Bedeutung ist.
26 
Soweit die Verteidigung in diesem Zusammenhang den Fall L. anführt, so lag dieser Fall anders. Seinerzeit hatte L. L. zwar erhöhte Blutwerte, diese lagen jedoch unter dem kritischen Wert, welcher für einen Dopingnachweis gereicht hätte. Allein mit diesen Blutwerten hatte der Zeuge H. seinerzeit keine Belege in der Hand, mit denen er juristisch erfolgreich hätte reagieren können. Anders wäre jedoch die Situation für den Zeugen H. gewesen, wenn der Angeklagte ihm am 17. Juli 2008 auf seine Frage wahrheitsgemäß geantwortet hätte, dass er mit CERA gedopt war. Dann wäre für den Zeugen H. eine fristlose Kündigung ohne Prozessrisiko möglich gewesen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verlauf des arbeitsgerichtlichen Prozesses. Den Vergleich hat der Zeuge H., wie er angegeben hat, nur deshalb geschlossen, weil ihm die Arbeitsrichterin bedeutet hatte, er könne den geltend gemachten Kündigungsgrund nicht nachweisen.
27 
Selbst dann, wenn man es für nicht ausreichend wahrscheinlich hielte, dass der Zeuge H. bei Kenntnis der wahren Sachlage den Vertrag mit dem Angeklagten gekündigt hätte, müsste jedenfalls hinreichender Verdacht dafür bejaht werden, dass H. intern reagiert hätte, etwa von dem Angeklagten eine Vertragsstrafe verlangt hätte. Auch das Unterlassen einer solche Reaktion stellt eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung dar.
28 
d) Durch die Zahlung der drei Abschlagszahlungen hat der Angeklagte einen Vermögensvorteil erlangt, dem ein stoffgleicher Schaden bei der Fa. H. entspricht.
29 
Hätte der Zeuge H. das Vertragsverhältnis rechtzeitig gekündigt, wäre er nicht zur Zahlung der Abschlagszahlungen verpflichtet gewesen. Aber auch ohne Kündigung war er nicht zu deren Zahlung an den Angeklagten verpflichtet. Gemäß §§ 326 Abs. 1 Satz 1, § 275 BGB und § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt bei Unmöglichkeit der Dienstleistung der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. Erfüllt der Dienstverpflichtete seine Pflicht zur Dienstleistung nicht, so kann der Dienstberechtigte die Erfüllung der Vergütung nach den vorstehenden Vorschriften verweigern. Die Leistung der Abschlagszahlungen erfolgte irrtumsbedingt, da der Zeuge H. aufgrund der Täuschungshandlung des Angeklagten davon ausging, dieser habe die vertraglich geschuldete Leistung (als Hauptpflicht geschuldetes dopingfreies Fahren) erbracht (vergl. hierzu Kargl, Begründungsprobleme des Dopingstrafrechts NStZ 2007, 489; Cherkeh, Momsen, Doping als Wettbewerbsverzerrung?, NJW 2001, 1745).
30 
Soweit das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung einen Schaden verneint, übersieht es, dass es nicht auf den Zeitpunkt der späteren Kündigung ankommt, welche nach Aufdeckung des Dopingverstoßes ausgesprochen wurde. Vielmehr ist maßgeblicher Zeitpunkt die aufgrund des Irrtums unterlassene Kündigung. Dieser Zeitpunkt lag bereits am 17. Juli 2008.
31 
Soweit die Verteidigung von einer Kompensation ausgeht, ist fraglich, ob die angeblichen Vorteile bei der Fa. H. tatsächlich einen (stoffgleichen) Vermögenswert darstellen. Jedenfalls war die Leistung des Angeklagten, wenn nicht - wovon der Senat ausgeht - wertlos, so jedenfalls minderwertig. Eine eventuelle Kompensation könnte sich daher allenfalls im Rahmen der Höhe des Schadens auswirken.
32 
e) Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage, ob hinreichender Tatverdacht für eine Bereicherungsabsicht des Angeklagten gegeben ist. Bereicherungsabsicht liegt bereits dann vor, wenn es dem Täter darauf ankommt, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Motiv oder letzter Zweck muss dies allerdings nicht sein. An der erforderlichen Absicht fehlt es nur dann, wenn die Vorteilserlangung nur unerwünschte Nebenfolge des vom Täter erstrebten anderen Erfolgs ist (vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage, § 263 Rn. 190). Anhaltspunkte dafür, dass der Vermögensvorteil für den Angeklagten unerwünscht gewesen wäre, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dass er als Radprofi auch finanzielle Ziele verfolgte, liegt auf der Hand. Deshalb muss in diesem Zusammenhang nicht der Umstand bemüht werden, dass der Angeklagte sein Interesse an einer guten Bezahlung Ende des Jahres 2006 dadurch gezeigt hat, dass er die im bisherigen Vertrag enthaltene Ausstiegsklausel wahrnahm und ein Konkurrenzangebotes des Teams T. vorlegte. Hierdurch gelang es ihm, eine Vertragsverlängerung mit der Fa. H. auszuhandeln, die eine erheblich höhere Vergütung als bisher beinhaltete.
33 
2. Für das infolgedessen vom Senat eröffnete Hauptverfahren ist gem. §§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG, 8 StPO die Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart gegeben. Unbeschadet der Frage, ob dem vorliegenden Verfahren eine besondere Bedeutung zukommt, handelt es sich jedenfalls um ein Verfahren von besonderem Umfang im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG. Von besonderem Umfang im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die Sache von den üblicherweise von den Amtsgerichten zu verhandelnden Fällen abweicht und sich deutlich aus der großen Masse der Verfahren, die den gleichen Tatbestand betreffen, heraushebt, wenn sie mithin wegen einer Vielzahl von Angeklagten und / oder einer Vielzahl von Zeugen, wegen besonderer Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung oder wegen absehbar langer Verfahrensdauer so umfangreich ist, dass sie auch durch die Zuziehung eines weiteren Richters am Amtsgericht gem. § 29 Abs. 2 GVG nicht sachgerecht bewältigt werden kann. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass bewegliche Zuständigkeitsregelungen im Hinblick auf die knappen Ressourcen der Rechtspflege so auszulegen sind, dass die Zuweisung umfangreicherer Fälle mit besonderen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung und langer Verfahrensdauer an Gerichte höherer Ordnung geboten ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. November 2010, 2 Ws 405/10, zitiert nach Juris).
34 
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist ein besonderer Umfang des Verfahrens vorliegend zu bejahen. Der 15 Seiten umfassenden Anklageschrift liegt ein Aktenwerk von drei Stehordnern Ermittlungsakten und drei Stehordnern Beweismitteln zugrunde. Die Anklage nennt insgesamt 17 Zeugen und Sachverständige. Hiervon werden einige mit Hilfe eines Dolmetschers vernommen werden müssen. Darüber hinaus nennt die Anklage 17 Urkunden- bzw. Augenscheinsobjekte. Die Einwendungen der Verteidigung gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens lassen darüber hinaus erwarten, dass der Anklagevorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unter Stellung einer Vielzahl von Beweisanträgen bestritten werden soll. Bei einer umfassenden vorläufigen Bewertung dieser Umstände erachtet der Senat es als wahrscheinlich, dass die Hauptverhandlung den in der Literatur gelegentlich genannten „Grenzwert“ von sechs Tagen (Heghmanns in StV 2003, 14) deutlich überschreiten wird. Ein solcher Verfahrensumfang kann bei einem Amtsgericht auch nicht durch das gemäß § 29 Abs. 2 GVG erweiterte Schöffengericht aufgefangen werden.
35 
3. Die Hauptverhandlung ist gem. § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO von einer anderen Strafkammer des Landgerichts durchzuführen. Der Senat folgt insoweit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Ein besonderer Grund für die Zuweisung an eine andere Strafkammer besteht vorliegend deshalb, weil die Strafkammer sich - ohne dass dies rechtlich notwendig und für ihre Entscheidung tragend gewesen wäre - dazu geäußert hat, dass sie das Verhalten des Angeklagten, sollte es denn einen Straftatbestand erfüllen, nicht für strafwürdig halte.
36 
Die Bestimmung der berufsrichterlichen Besetzung in der Hauptverhandlung gem. § 76 Abs. 2 GVG bleibt der aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Stuttgart zuständigen Strafkammer vorbehalten. Denn § 76 Abs. 2 GVG weist diese Entscheidung der jeweiligen Strafkammer selbst zu. Dies gilt auch in den Fällen, in denen das Oberlandesgericht gem. § 210 Abs. 2 StPO das Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 76 GVG Rn. 4; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 04. März 2005, 2 Ws 22/05, zitiert nach Juris).
37 
4. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst, da wegen der fortbestehenden Rechtshängigkeit des Verfahrens dieser Beschluss nicht verfahrensabschließend im Sinne von § 464 Abs. 1, Abs. 2 StPO ist.

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1.
sie als Schwurgericht zuständig ist,
2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder
3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
Im Übrigen beschließt die große Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.

(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.

(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.

22
Für eine Vielzahl von Fallgruppen hat die Rechtsprechung anhand des jeweiligen Geschäftstyps und der dabei üblichen Pflichten- und Risikoverteilung den jeweils typischen Inhalt konkludenter Kommunikation herausgearbeitet (vgl. näher Tiedemann aaO § 263 Rdn. 31 ff.; Hefendehl aaO § 263 Rdn. 93 ff.; Tröndle/Fischer aaO § 263 Rdn. 13 ff.; je m.w.N.). Erklärungsinhalt kann danach auch sein, dass etwas nicht geschehen ist (sog. „Negativtatsache“ ), etwa ein Angebot ohne vorherige Preisabsprache zwischen den Bietern zustande kam (vgl. BGHSt 47, 83, 87). Eine konkludente Erklärung derartiger Negativtatsachen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn es um erhebliche vorsätzliche Manipulationen des Vertragsgegenstandes geht, auf den sich das kommunikative Verhalten bezieht (vgl. RGSt 20, 144: Überstreichen schwammbefallener Hausteile; RGSt 59, 299, 305 f.: Überdecken schlechter Ware; RGSt 29, 369, 370; 59, 311, 312; BGH MDR 1969, 497 f.: Verfälschen von Lebensmitteln; BGHSt 8, 289: Zurückbehalten des Hauptgewinnloses einer Lotterie; BGH NJW 1988, 150: Erschleichen einer Prädikatsbezeichnung für Wein; BGHSt 38, 186; 47, 83: unzulässige vorherige Preisabsprache; vgl. zur konkludenten Täuschung bei Manipulation auch Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug [1999] S. 87). Zwar reicht die allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, für die Annahme entsprechender konkludenter Erklärungen nicht aus. Abgesehen davon , dass die Vertragspartner aber ein Minimum an Redlichkeit im Rechtsverkehr , das auch verbürgt bleiben muss, voraussetzen dürfen (vgl. Cramer /Perron aaO § 263 Rdn. 14/15), ist die Erwartung, dass keine vorsätzliche sittenwidrige Manipulation des Vertragsgegenstandes durch einen Vertragspartner in Rede steht, unverzichtbare Grundlage jeden Geschäftsverkehrs und deshalb zugleich miterklärter Inhalt entsprechender rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Dem Angebot auf Abschluss eines Vertrages ist demnach in aller Regel die konkludente Erklärung zu entnehmen, dass der in Bezug genommene Vertragsgegenstand nicht vorsätzlich zum eigenen Vorteil manipuliert wird.

Tenor

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Y. gegen den Beschluss des Landgerichts Y. vom 11. Juli 2003 wird als unbegründet verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

 
I.
Am 24.10.2002 erließ das Amtsgericht Y. gegen den in der Schweiz wohnhaften deutschen Staatsangehörigen unter dem Vorwurf des Betrugs in zwei Fällen z. N. von Kapitalanlegern Haftbefehl, worauf dieser am 16.01.2003 in der Schweiz festgenommen wurde und am 02.05.2003 in die Bundesrepublik Deutschland überstellt wurde. Mit Verfügung vom 30.06.2003 ersuchte die Staatsanwaltschaft Y. im Wege der Rechtshilfe die Schweizer Justizbehörden um Vornahme von Ermittlungen hinsichtlich der in O. ansässigen Firma X. sowie der Vernehmungen deren Geschäftsführerin B.; zugleich verfügte sie den Abschluss der Ermittlungen und erhob Anklage zum Landgericht Y. Mit Beschluss vom 11.07.2003 hob die Strafkammer den Haftbefehl mangels Bestehen eines dringenden Tatverdachts auf und verfügte die Freilassung des Angeschuldigten. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie den erneuten Erlass des aufgehobenen Haftbefehls anstrebt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts verneint.
a. Allerdings bestehen entgegen der Ansicht der Strafkammer durchaus erhebliche Anhaltspunkte für Betrugsstraftaten.
Nach den durchgeführten Ermittlungen hat der Angeschuldigte im Zeitraum April/Mai 1998 die ebenfalls im Finanzdienstleistungssektor tätigen Geschädigten U. und V. zur Hingabe von insgesamt etwa 650.000 DM verleitet, in dem er diesen versprach, dass über die Firma X/Schweiz „kleinere Kapitalmengen zu Anlagesummen von 1, 10 und 100 Millionen US-Dollar zusammengefügt und sodann Anlagen gefahren würden, bei welchen eine Verzinsung von 100 % und mehr bei einer Rückzahlung des Kapitals binnen vier Wochen möglich sei“. Weiterhin hat er dem Geschädigten Z. im März 1998 eine „gewinnbringende Geldanlage“ versprochen, weshalb ihm dieser insgesamt etwa 990.000 Schweizer Franken übergeben oder an die Firma X/Schweiz bzw. deren Geschäftsführerin B. überwiesen hat. Alle Geschädigten haben weder die ihnen versprochenen Renditen noch das von ihnen einbezahlte Kapital zurückerhalten; die Firma X/Schweiz ist am 15.01.2001 im Handelsregister gelöscht worden; der Verbleib der vom Angeschuldigten an diese Firma - zumindest teilweise - weitergeleiteten Gelder ist unbekannt.
Auch liegt nahe, dass der Angeschuldigte die Geschädigten bei seinen Verheißungen vorsätzlich getäuscht und zumindest die Gefährdung deren Vermögens billigend in Kauf genommen hat.
aa. Dies ergibt sich hinsichtlich der bei den Geschädigten V. und U. eingeworbenen Gelder bereits aus der Art der Kapitalanlage. Bereits das Versprechen einer derart irrealen und auf dem Kapitalmarkt nicht realisierbaren Rendite (vgl. hierzu BGH wistra 2002, 421 f.) von „100 % binnen vier Wochen“ stellt nach Ansicht des Senates ein erhebliches und für einen Tatnachweis im Einzelfall schon ausreichendes Indiz eines betrügerischen Verhaltens dar. Dass der Angeschuldigte selbst das Opfer einer Straftat geworden sein könnte, indem er etwa auf Versprechungen der Geschäftsführerin der Firma X/Schweiz - B. - vertraut haben könnte, hat er selbst nicht vorgetragen, vielmehr hat er zum Tatvorwurf geschwiegen. Die bislang vorliegenden Ermittlungsergebnisse rechtfertigen eine solche Annahme nicht. Wer für derartig unseriöse Kapitalanlagegeschäfte - etwa wegen der damit verbundenen erheblichen Provisionszahlungen - wirbt, muss - wenn er sich nicht des Gegenteils versichert hat - zunächst damit rechnen, dass diese nicht realistisch sind und die Kapitalanleger ihr Geld verlieren, zumindest aber deren Rückzahlungsanspruch erheblich gefährdet wird. Auch ist im vorliegenden Fall zu sehen, dass der Angeschuldigte die Gelder nicht an eine seriöse und vertrauenswürdige Bank, sondern an eine Firma weitergeleitet hat, welche ihren Geschäftszweck laut eingeholter Handelsregisterauskunft mit dem „Handel mit Nahrungsmitteln, Beratung in Verfahrenstechnologie sowie der diesbezüglichen Lizenzvergabe“ angeben hat. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte ausweislich seines Schreibens vom 20.08.1998 an den Geschädigten U. sogar als Bevollmächtigter einer nach Aktenlage mit der Firma X/Schweiz möglicherweise wirtschaftlich identischen Firma X./England“ aufgetreten ist, was sogar auf eine unmittelbare Verquickung in die betrügerischen Manipulationen der Verantwortlichen der Firma X/Schweiz und nicht nur auf ein Handeln zwecks Provisionserzielung hindeutet.
Für das Wissen des Angeschuldigten um die Gefährdung der ihm von den Geschädigten überlassenen Gelder spricht weiterhin das Schreiben der Geschäftsführerin der Firma X/Schweiz - B. - vom 30.10.1998 (AS 91) an den Angeschuldigten, aus welchem sich - und insoweit auch durchaus glaubwürdig - ergibt, dass die Firma X. sich im Januar 1998 - also vor den Kapitalanlagegeschäften der Geschädigten - bezüglich der Realisierung ihrer Anlageprojekte in einer wirtschaftlichen Notlage befand und der Angeschuldigte ihr deshalb erhebliche Mittel zur „Überbrückung“ zur Verfügung stellen musste. Auch soll - was noch der näheren Überprüfung bedürfte - danach die Rückzahlung der vom Angeschuldigten an die Firma X/Schweiz gewährten „Kredite“ unter dem Vorbehalt gestanden haben, dass „das angestrebte gemeinsame Geschäft überhaupt zustande kommt“.
Auch wenn sich derzeit weder der Inhalt dieses Schreibens noch die anderen Indizien abschließend auf ihre Wahrhaftigkeit überprüfen lassen, sprechen diese doch eher dafür, dass der Angeschuldigte mit dem Kapital der Geschädigten leichtfertig umgegangen ist, indem er es bei einer wenig seriösen und - wie er wusste - bereits in finanzieller Schieflage befindlichen Firma zur Anlage brachte. Dass er die Geschädigten auf diese Risiken hingewiesen hätte, ist nicht ersichtlich. Besteht aber der Schaden - wie hier - in einer Vermögensgefährdung, so reicht zur Bejahung der subjektiven Tatseite bereits die Kenntnis der die Gefährdung begründenden Umstände aus, mag der Täter auch darauf vertrauen, dass aus der Gefährdung letztendlich kein Schaden erwachsen wird (BGH wistra 1996, 261 f.; vgl. auch BGH wistra 1996, 184: Verlustrisiko in Wahrheit höher als von den Geschädigten angenommen).
10 
cc. Wenn der Angeschuldigte aber bei der Weiterleitung der ihm von den U. und V. zur Verfügung gestellten Gelder wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass diese weder das eingesetzte Kapital noch die versprochenen Renditen von der Firma X/Schweiz zurück erhalten werden, so rechtfertigt dieser Umstand bereits die Annahme eines erheblichen Verdachts bzgl. einer Straftat zum Nachteil des Geschädigten Z., denn der fehlende Rückzahlungswillen bzw. die Kenntnis hiervon liegt wegen der zeitlichen Kongruenz nahe.
11 
In rechtlicher Hinsicht scheitert die Annahme eines Betruges auch nicht daran, dass die Geschädigten im Verdacht stehen - der Geschädigte Z. ist deshalb durch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Landgerichts K. vom 12.12.2002 wegen Betrugs in 84 Fällen auch bereits verurteilt worden -, selbst Anleger um ihr Geld geprellt zu haben, denn auch ein Betrüger kann betrogen werden. Auch der Umstand, dass die Geschädigten selbst als Finanzvermittler tätig waren und deshalb von einer gewissen Sachkunde ausgegangen werden muss, führt entgegen der Ansicht der Strafkammer zu keiner anderen Beurteilung.
12 
Ein Irrtum i.S.d. § 263 StGB liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn der Getäuschte von der Gewissheit der behaupteten Tatsache ausgeht, sondern auch dann, wenn er an der Wahrhaftigkeit der Versprechungen zweifelt, gleichwohl aber die Vermögensverfügung trifft, weil er die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält. Denn der Getäuschte ist im Regelfall des Betruges schon dann der List des anderen zum Opfer gefallen, wenn er die Vermögensverfügung trotz eines Zweifels vornimmt (BGH wistra 1990, 305 f.; 2003, 142 ff. m.z.w.N.; Schönke-Schröder-Cramer, StGB, 26. Aufl. 2001, § 263 Rn. 40). Auch das leichtfertige und erhebliche Zweifel hegende Opfer wird nämlich durch das Strafrecht geschützt (BGH wistra 2003, 142 ff.). Dass die Geschädigten aber einen Verlust ihrer Anlagen für wahrscheinlicher als deren Rückzahlung gehalten haben könnten, diesen damit in der Weise eines „Spielers“ bewusst in Kauf nahmen oder ihnen die Weiterentwicklung des Anlagegeschäftes gleichgültig gewesen sein könnte, ist in Anbetracht der Höhe der transferierten Summen wenig wahrscheinlich. Besondere Umstände, welche eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Auch wenn es sich - wie dem Senat aus einem anderen Verfahren bekannt ist - bei den Anlagen um anvertraute Fremdgelder gehandelt haben dürfte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Geschädigten - trotz der offensichtlich fehlenden Realisierbarkeit des Geschäftes - nicht gleichwohl auf ein Gelingen vertraut haben und den Versprechungen des Angeschuldigten erlegen sind. Es gehört nämlich zur Eigenart des Betruges, dass ein Täter beim Geschädigten aufkeimende Zweifel - hier an der Seriosität der Anlage - durch Verzerrung der Realitäten oder durch besonders hohe Versprechungen zu überwinden sucht. Aus diesem Grund geht auch die Annahme der Strafkammer, der Angeschuldigte habe den bei den Geschädigten eingetretenen Irrtum nicht erkennen können, fehl. Selbst wenn aber die Zweifel der Geschädigten überwogen haben sollten, liegt zumindest die Annahme einer Versuchsstrafbarkeit nahe (BGH wistra 2003,142 ff.), denn es liegt fern, dass der Angeschuldigte aufgrund der tatsächlichen Umstände davon ausgegangen sein könnte, die Geschädigten hätten ihm ihr Kapital in Kenntnis eines wahrscheinlichen Verlustes überlassen.
13 
b. Diese Verdachtsmomente können jedoch einen dringenden Tatverdacht nicht mehr begründen.
14 
Vom Vorliegen eines solchen ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Täter eine Straftat begangen hat (BGH NJW 1992, 1975 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 112 Rn. 5). Diese Beurteilung ist jedoch nicht statisch, sondern hängt vom jeweiligen Ermittlungsstand ab. Während etwa zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens starke Indizien einen dringenden Tatverdacht begründen können, fällt dieser später weg, wenn Lücken in der Indizienkette nicht geschlossen werden können oder trotz anfänglicher Annahme keine große Wahrscheinlichkeit mehr dafür besteht, der Täter könne in einer Hauptverhandlung überführt werden (Brandenburgisches OLG StV 1996, 157.; LR-Hilger, 25. Auflage 1997, § 112 Rn 19). Gleiches gilt, wenn die Ermittlungen trotz einer nicht unerheblichen Verdachtslage deshalb lückenhaft sind, weil die Strafverfolgungsbehörden gebotene Untersuchungen unterlassen haben und wegen dieser Defizite - ohne weitere zeitaufwändige Nachforschungen - nicht mit einer Verurteilung des Täters gerechnet werden kann (OLG Celle StV 1986, 392; LR-Hilger a.a.O.).
15 
So liegt der Fall hier.
16 
Obwohl die Ermittlungen bereits seit 28.08.2001 andauern, liegen die eigentlichen Hintergründe des Kapitalanlagegeschäftes im Dunkeln, lediglich einem in englischer Sprache verfassten Schreiben der Firma X/Schweiz an den Angeschuldigten vom 12.03.1998 (AS 35) lässt sich entnehmen, dass diese (auch) gemeinsame Geschäfte mit sog. „Bankgarantien“ unternommen haben. Auch eine - im allgemeinen als verfahrensförderlich anzusehende - Aufarbeitung der Kapitalflüsse durch eine sachkundige Polizeidienststelle ist nicht veranlasst worden, weshalb sich nicht verlässlich beurteilen lässt, in welchem Umfang der Angeschuldigte die Anlagegelder der Geschädigten an die Firma X/Schweiz überhaupt weitergeleitet hat. Zudem lässt sich den in den Akten befindlichen Kontoauszügen entnehmen, dass der Angeschuldigte auch mit anderen Kapitalanlegern teilweise über die Firma X/Schweiz Geschäfte unternommen hat, ohne dass deren Inhalt bislang näher ermittelt wurde. Für die Frage des Tatvorsatzes kann es aber durchaus erheblich sein, wie lange der Angeschuldigte mit der Firma X/Schweiz zusammengearbeitet hat, ob überhaupt erfolgreiche Anlagegeschäfte durchgeführt wurden oder diese sämtlich erfolglos geblieben sind.
17 
2. Unabhängig davon wäre der von der Staatsanwaltschaft begehrte Erlass eines neuen Haftbefehls auch aus anderen Gründen rechtlich nicht möglich.
18 
Dabei kann der Senat offen lassen, ob überhaupt ein Haftgrund vorliegt, da der Angeschuldigte in der Schweiz über einen festen Wohnsitz verfügt und es deshalb am Haftgrund der Fluchtgefahr mangeln könnte (zum Merkmal des Entziehens i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vgl. Böhm NStZ 2001, 633 ff.), denn jedenfalls stünde einer solchen Anordnung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen.
19 
Der in Haftsachen geltende Beschleunigungsgrundsatz gilt nicht nur, wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, sondern beansprucht - wenn auch in abgemilderter Form - allgemeine Geltung. Er findet über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. hierzu OLG Karlsruhe MDR 1986,1048) auch Berücksichtigung, wenn der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist oder die Untersuchungshaft zur Vollstreckung von Strafhaft unterbrochen ist (BVerfG StV 2003, 30 f.; OLG Stuttgart StV 1990, 213 f.; KG StV 1992, 523 f.; 1993, 646; OLG Frankfurt StV 1994, 665; Meyer-Goßner, a.a.O., § 120 Rn. 7). Denn die Beschränkungen, denen der Beschuldigte in solchen Fällen ausgesetzt ist - sei es durch Auflagen nach § 116 StPO oder durch Maßnahmen nach § 122 StVollzG - dürfen nicht länger dauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist.
20 
Das Beschleunigungsgebot hat aber erst recht dann Beachtung zu finden, wenn die Ermittlungsbehörden zunächst die Auslieferung des Beschuldigten begehren und sich dieser - wie hier - deshalb zunächst in gleicher Sache im Ausland in Haft befindet.
21 
b. Dies ist vorliegend aber unterblieben, denn das seit 28.08.2001 bei der Staatsanwaltschaft Y. anhängige Verfahren ist nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden. So hat die Ermittlungsbehörde nach Eingang der Anzeige zwar die mehrfache Vernehmung der Geschädigten V. und Z. veranlasst, vertragsrelevante Urkunden beigezogen und im Weg der Rechtshilfe (vgl. die entsprechenden Ersuchen an die Schweizer Justizbehörden vom 12.04.2002, 06.05.2002, 21.06.2002) Kontounterlagen erhoben sowie einen Handelsregisterauszug bzgl. der Firma X/Schweiz eingeholt.
22 
Nach Erlass des Haftbefehls am 24.10.2002 und der Inhaftierung des Angeschuldigten in der Schweiz am 16.01.2003 sind jedoch keine weiteren sachdienlichen Ermittlungen mehr veranlasst worden. Die auch nach Ansicht des Senates (vgl. hierzu auch Nr. 2 Beschlusses des Landgerichts Y. vom 11.07.2003) notwendige Vernehmung der Zeugin B. - der Geschäftsführerin der Firma X/Schweiz - wurde erst mit Anklageerhebung am 30.06.2003 in die Wege geleitet. Bereits dieser Umstand stellt vorliegend eine dem Erlass eines neuen Haftbefehls nach § 112 StPO entgegenstehende verzögerte Sachbehandlung dar, denn diese Ermittlungshandlung hätte bereits zeitlich früher - etwa zusammen mit den anderen Rechtshilfeersuchen - vorgenommen werden können.
23 
Hinzu kommt, dass die Aufklärung des Sachverhalts über die im Januar 2002 hinaus unternommenen Versuche vor einer Anklageerhebung die nochmalige Vorladung des Geschädigten U. zur staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Vernehmung geboten hätte, da dieser - wie dem Senat aus einem anderen Verfahren bekannt ist - früher durchaus auch in vorliegender Sache zu Angaben bereit gewesen war.
24 
Diese Mängel wiegen derart schwer, dass auch unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Straferwartung im Falle einer Verurteilung (OLG Düsseldorf StV 1996, 552) der Erlass eines neuen Haftbefehls nach § 112 StPO als unverhältnismäßig anzusehen wäre, zumal sich der Angeschuldigte beinahe sechs Monate in Haft befunden hat und zwischenzeitlich Anklage erhoben wurde, so dass der Strafkammer im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens zur Sicherung des Erscheinens des Angeklagten auch ein milderes Mittel zur Verfügung stünde, nämlich der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 StPO, falls der Angeschuldigte auf eine Terminsladung zur Hauptverhandlung nicht erscheinen sollte.
III.
25 
Bei Rücklauf der Akten wird die Strafkammer nunmehr darüber zu befinden haben, ob sie die Durchführung weiterer Ermittlungen für geboten ansieht.
26 
Sollte die Strafkammer - wie der Senat - diese zur Klärung der Verdachtslage für erforderlich halten, wird sie - vor einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens - die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Vornahme der noch gebotenen Nachforschungen zurückzugeben haben. Zwar besteht auch nach Ansicht des Senats für diese keine Pflicht zur Vornahme von Ermittlungen jeder Art (vgl. hierzu LR-Rieß, StPO, 25. Auflage 2001, § 202 Rn. 15; KK-Tolksdorf, 5. Aufl. 2002, § 2002 Rn. 7), die Ablehnung eines entsprechenden Ersuchens würde - jedenfalls vorliegend - die Strafkammer aber zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens berechtigen, so dass für die Erhebung einer neuen Anklage nur im Rahmen des § 211 StPO Raum wäre.
27 
Zur Vornahme eigener Nachforschungen wäre die Strafkammer hingegen nicht gehalten. Zwar kann das Gericht gemäß § 202 StPO vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zur besseren Aufklärung der Sache Beweiserhebungen anordnen. Es muss sich dabei aber um einzelne Beweiserhebungen handeln, also um eine bloße Ergänzung eines von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bereits weitgehend aufgeklärten Sachverhalts. Hier werden aber noch umfangreiche Rechtshilfeersuchen an die Schweiz zu richten sein. Außerdem ist - wie oben ausgeführt - eine zeitintensive Aufarbeitung der Kontenbewegungen und der Finanzverhältnisse des Angeschuldigten notwendig. Bei diesen Untersuchungen handelt es sich nicht um eine bloße Ergänzung, sondern um einen grundlegenden Teil der Ermittlungsarbeit, der gemäß § 160 StPO in die Regelzuständigkeit der Staatsanwaltschaft fällt. Für das Verfahren nach § 202 StPO ist insoweit kein Raum (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26.08.2003, 1 Ws 208/03 und 1 Ws 57/03; siehe auch LR-Rieß, a.a.O., § 202 Rn. 3 m.w.N.).
IV.
28 
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war daher mit der sich aus § 473 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

*

(1) Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung; bei einer Teilleistung findet § 441 Abs. 3 entsprechende Anwendung. Satz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner im Falle der nicht vertragsgemäßen Leistung die Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen braucht.

(2) Ist der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich oder tritt dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit ein, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist, so behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung. Er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

(3) Verlangt der Gläubiger nach § 285 Herausgabe des für den geschuldeten Gegenstand erlangten Ersatzes oder Abtretung des Ersatzanspruchs, so bleibt er zur Gegenleistung verpflichtet. Diese mindert sich jedoch nach Maßgabe des § 441 Abs. 3 insoweit, als der Wert des Ersatzes oder des Ersatzanspruchs hinter dem Wert der geschuldeten Leistung zurückbleibt.

(4) Soweit die nach dieser Vorschrift nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist, kann das Geleistete nach den §§ 346 bis 348 zurückgefordert werden.

(5) Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, kann der Gläubiger zurücktreten; auf den Rücktritt findet § 323 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass die Fristsetzung entbehrlich ist.

*

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(2) Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

(3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

(1) Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszuges zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören. Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist oder bei denen die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 3 Anklage beim Landgericht erhebt.

(2) Für die Verbrechen

1.
des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 176d des Strafgesetzbuches),
2.
des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 des Strafgesetzbuches),
3.
des Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches),
4.
des Totschlags (§ 212 des Strafgesetzbuches),
5.
(weggefallen)
6.
der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
7.
der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 des Strafgesetzbuches),
8.
der Entziehung Minderjähriger mit Todesfolge (§ 235 Abs. 5 des Strafgesetzbuches),
8a.
der Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
9.
der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
10.
des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge (§ 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
11.
der Geiselnahme mit Todesfolge (§ 239b Abs. 2 in Verbindung mit § 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
12.
des Raubes mit Todesfolge (§ 251 des Strafgesetzbuches),
13.
des räuberischen Diebstahls mit Todesfolge (§ 252 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
14.
der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§ 255 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
15.
der Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c des Strafgesetzbuches),
16.
des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches),
17.
des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
18.
des Mißbrauchs ionisierender Strahlen gegenüber einer unübersehbaren Zahl von Menschen (§ 309 Abs. 2 und 4 des Strafgesetzbuches),
19.
der fehlerhaften Herstellung einer kerntechnischen Anlage mit Todesfolge (§ 312 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
20.
des Herbeiführens einer Überschwemmung mit Todesfolge (§ 313 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
21.
der gemeingefährlichen Vergiftung mit Todesfolge (§ 314 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
22.
des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit Todesfolge (§ 316a Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
23.
des Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge (§ 316c Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
24.
der Beschädigung wichtiger Anlagen mit Todesfolge (§ 318 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
25.
einer vorsätzlichen Umweltstraftat mit Todesfolge (§ 330 Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuches),
26.
der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften mit Todesfolge (§ 330a Absatz 2 des Strafgesetzbuches),
27.
der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge (§ 340 Absatz 3 in Verbindung mit § 227 des Strafgesetzbuches),
28.
des Abgebens, Verabreichens oder Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch mit Todesfolge (§ 30 Absatz 1 Nummer 3 des Betäubungsmittelgesetzes),
29.
des Einschleusens mit Todesfolge (§ 97 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes)
ist eine Strafkammer als Schwurgericht zuständig. § 120 bleibt unberührt.

(3) Die Strafkammern sind außerdem zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts.

(1) In Strafsachen sind die Amtsgerichte zuständig, wenn nicht

1.
die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 74 Abs. 2 oder § 74 a oder des Oberlandesgerichts nach den §§ 120 oder 120b begründet ist,
2.
im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§§ 66 bis 66b des Strafgesetzbuches) zu erwarten ist oder
3.
die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt.

Eine besondere Schutzbedürftigkeit nach Satz 1 Nummer 3 liegt insbesondere vor, wenn zu erwarten ist, dass die Vernehmung für den Verletzten mit einer besonderen Belastung verbunden sein wird, und deshalb mehrfache Vernehmungen vermieden werden sollten.

(2) Das Amtsgericht darf nicht auf eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe und nicht auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung erkennen.

(1) Das Schöffengericht besteht aus dem Richter beim Amtsgericht als Vorsitzenden und zwei Schöffen. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Vorsitzender sein.

(2) Bei Eröffnung des Hauptverfahrens kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Zuziehung eines zweiten Richters beim Amtsgericht beschlossen werden, wenn dessen Mitwirkung nach dem Umfang der Sache notwendig erscheint. Eines Antrages der Staatsanwaltschaft bedarf es nicht, wenn ein Gericht höherer Ordnung das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts ... vom 23. September 2010 dahin abgeändert, dass das Hauptverfahren vor der Großen Strafkammer des Landgerichts ... eröffnet wird.

Gründe

 
I.
Mit der 91 Seiten umfassenden Anklage vom 12.06.2009, eingegangen beim Landgericht ... am 17.06.2009, beschuldigt die Staatsanwaltschaft ...die Angeklagten der gewerbsmäßigen, bei den Angeklagten Ziff. 1 bis 3 bandenmäßigen, unerlaubten Veranstaltung eines Glückspiels in vier, drei, zwei Fällen, im Übrigen in je einem Fall. Den Angeklagten liegt zur Last, zahlreiche Unterhaltungsspielgeräte, die keine Bauartzulassung und keine Zulassungszeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt besessen hätten, ohne Erlaubnis in den von ihnen betriebenen Spielhallen zu Geldspielgeräten umfunktioniert und hierdurch hohe Einnahmen erzielt zu haben.
Mit der Anklage erstrebt die Staatsanwaltschaft neben der Verurteilung der Angeklagten auch die Einziehung der Spielgeräte, den Verfall von sichergestelltem Bargeld und die Anordnung von Wertersatz im Gesamtbetrag von rund 4 Millionen Euro bei den Angeklagten und drei Einziehungs- und Verfallsbeteiligten.
Mit Beschluss vom 23.09.2010 hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage zur Verhandlung vor dem erweiterten Schöffengericht zugelassen. Sie ist der Auffassung, dass das Verfahren keinen besonderen Umgang i. S. von § 24 GVG aufweise, so dass eine Zuständigkeit der Großen Strafkammer nicht begründet sei.
Gegen diesen am 05.10.2010 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde erhoben, die am 11.10.2010 beim Landgericht ... einging.
II.
Die sofortige Beschwerde ist begründet.
Von „besonderem Umfang" im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG ist auszugehen, wenn die Sache von den üblicherweise von den Amtsgerichten zu verhandelnden Fällen abweicht und sich deutlich aus der großen Masse der Verfahren, die den gleichen Tatbestand betreffen, heraushebt (KK-Hannich StPO 6.Aufl. § 24 GVG Rn 6b; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 24 GVG Rn 7), wenn sie mithin wegen einer Vielzahl von Angeklagten und/oder einer Vielzahl von Zeugen, wegen besonderer Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung oder wegen absehbar langer Verfahrensdauer so umfangreich ist, dass sie auch durch die Zuziehung eines weiteren Richters am Amtsgericht gem. § 29 Abs. 2 GVG nicht sachgerecht bewältigt werden kann (OLG Köln NStZ-RR 2009, 117f). Dabei ist der Grundsatz, dass bewegliche Zuständigkeitsregelungen im Hinblick auf die knappen Ressourcen der Rechtspflege so auszulegen sind, dass die Zuweisung umfangreicher Fälle mit besonderen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung und langer Verfahrensdauer an Gerichte höherer Ordnung geboten ist (Senat in StV 2003, 13f.; KG NStZ-RR 2005, 28f), zu beachten.
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist ein besonderer Umfang des Verfahrens im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Strafkammer offensichtlich gegeben.
Die gegenwärtig aus sieben Bänden bestehenden Hauptakten umfassen über 4.000 Aktenseiten. Hinzukommen ausweislich des Schlussberichts der Kriminalpolizei 19 Bände Nebenakten. Die angeklagten Taten erstrecken sich über einen Zeitraum von vierzehn Monaten. Das Verfahren richtet sich gegen fünf Angeklagte, die zu den Anklagevorwürfen entweder schweigen oder sie in Abrede stellen. Dazu kommen drei Verfalls- oder Einziehungsbeteiligte. Bei dieser Sachlage ist zu erwarten, dass die auf 28 Seiten der Anklage aufgelisteten Beweismittel in der Hauptverhandlung mindestens zu einem erheblichen Teil verwendet werden müssen. Dort sind 77 Zeugen, mehrere Sachverständigengutachten, weit über 100 Urkunden - gewerberechtliche Erlaubnisse, Handelsregisterauszüge, Kassenbücher etc. - und über 50 Augenscheinsobjekte verzeichnet. Das sichergestellte Videomaterial, das möglicherweise in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden muss, umfasst über 160 Stunden Aufnahmezeit. Ferner hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 17.08.2009 zu Anträgen der Verteidiger, das Verfahren vor dem Amtsgericht zu eröffnen, nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es im Rahmen der Beweisaufnahme erforderlich sein kann, die von den 53 Spielgeräten abgespeicherten Daten in die Hauptverhandlung einzuführen und mit anderen Beweisergebnissen in Beziehung zu setzen. Von den benannten Zeugen sind vierundzwanzig in Frankreich zu laden, und es ist abgesehen von den damit möglicherweise verbundenen Verfahrensverzögerungen zu erwarten, dass ein Teil von ihnen unter Zuhilfenahme von Dolmetschern vernommen werden muss.
Bei einer zusammenfassenden vorläufigen Bewertung dieser Umstände erachtet der Senat es als durchaus wahrscheinlich, dass die Hauptverhandlung in der vorliegenden rechtlich und tatsächlich schwierigen Sache den in der Literatur gelegentlich genannten „Grenzwert“ von sechs Tagen (Heghmanns in StV 2003, 14 und DRiZ 2005, 290) um ein Vielfaches überschreiten wird. Allein die Vernehmung der Zeugen kann auch bei günstigem Verlauf ohne weiteres zehn Tage in Anspruch nehmen. Der sehr erhebliche, mehrere Tage erfordernde Einarbeitungsaufwand kommt hinzu. Ein solcher Verfahrensumfang kann bei einem Amtsgericht auch nicht durch das gemäß § 29 Abs. 2 GVG erweiterte Schöffengericht aufgefangen werden, denn das erweiterte Schöffengericht nach § 29 Abs. 2 GVG ist kein gesonderter Spruchkörper mit eigenen Personalressourcen (KK-Hannich StPO 6. Auflage § 29 GVG Rn 6). Die Bestimmung erlaubt es lediglich, im Rahmen des allgemeinen schöffengerichtlichen Dezernats bei umfangreichen Verfahren einen weiteren Richter beizuziehen. Für Verfahren mit dem hier eindeutig gegebenen besonderen Umfang verbleibt es jedoch bei der Zuständigkeit der Großen Strafkammer.
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Der angefochtene Beschluss war deshalb dahin abzuändern, dass die Anklage zur Verhandlung vor der Großen Strafkammer zugelassen wird.

(1) Das Schöffengericht besteht aus dem Richter beim Amtsgericht als Vorsitzenden und zwei Schöffen. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Vorsitzender sein.

(2) Bei Eröffnung des Hauptverfahrens kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Zuziehung eines zweiten Richters beim Amtsgericht beschlossen werden, wenn dessen Mitwirkung nach dem Umfang der Sache notwendig erscheint. Eines Antrages der Staatsanwaltschaft bedarf es nicht, wenn ein Gericht höherer Ordnung das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet.

(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) besetzt. Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Schöffen nicht mit.

(2) Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung. Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, beschließt sie hierüber bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung. Sie beschließt eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen, wenn

1.
sie als Schwurgericht zuständig ist,
2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder
3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
Im Übrigen beschließt die große Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.

(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.

(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.

(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) besetzt. Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Schöffen nicht mit.

(2) Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung. Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, beschließt sie hierüber bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung. Sie beschließt eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen, wenn

1.
sie als Schwurgericht zuständig ist,
2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder
3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
Im Übrigen beschließt die große Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.

(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.

(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.

(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.

(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.

(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.