Oberlandesgericht Köln Beschluss, 24. Juni 2015 - 1 RBs 177/15
Tenor
I. Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
III. Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Köln zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Den bisherigen Verfahrensgang hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Vorlageverfügung vom 1. Juni 2015 zutreffend wie folgt zusammengefasst:
4„Mit Bußgeldbescheid vom 12.02.2014 (Bl. 49 f. d. VV.), dem Verteidiger des Betroffenen am 14.02.2014 zugestellt (Bl. 54, 54 R d. VV.), hat der Oberbürgermeister der Stadt L gegen den Betroffenen, einen Taxifahrer, nach dessen Anhörung am 13.11.2013 (Bl. 11 d. VV) wegen einer am 19.08.2013 um 18:18 Uhr in L-C auf der Tangente zur Auffahrt der Bundesautobahn A XXX in Fahrtrichtung Autobahnkreuz L-H begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, § 24 StVG, 11.3.5 BKatV eine Geldbuße in Höhe von 140,00 Euro festgesetzt.
5Hiergegen hat der Betroffene mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 28.02.2014, eingegangen bei der Bußgeldbehörde am selben Tag, Einspruch eingelegt (Bl. 56 d. VV.). Nach Eingang des Vorgangs beim Amtsgericht Köln am 15.04.2014 (Bl. 2 d. A.) und Anberaumung der Hauptverhandlung mit Verfügung vom 24.07.2014 (Bl. 3 d. A.) hat das Amtsgericht Köln mit Urteil vom 30.10.2014 - 810 OWi 195/14 - gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, VZ 274, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG, Nr. 11.3.5 BKatV eine Geldbuße in Höhe von 80,00 Euro verhängt (Bl. 14, 20 ff. d. A.).
6Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen (Bl. 10 d. A.) verkündete Urteil hat dieser mit Telefax seines Verteidigers vom 03.11.2014, eingegangen beim Amtsgericht Köln am 04.11.2014 (Bl. 19 d. A.), die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt (Bl. 19 d. A.). Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 11.12.2014 (Bl. 32 d. A.) hat dieser mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.01.2015, eingegangen beim Amtsgericht Köln am selben Tag, beantragt, dem Betroffenen wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen (Bl. 33 ff. d. A.) und diesen Antrag im Wesentlichen damit begründet, dass ihm erst am 14.01.2015 Akteneinsicht gewährt worden sei. Ohne vorherige Akteneinsicht habe er den Zulassungsantrag nicht begründen können. Der Betroffene habe diese Umstände nicht zu verantworten (Bl. 33 f. d. A.). Ferner hat er beantragt, nach Zulassung der Rechtsbeschwerde das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.10.2014 aufzuheben und diesen Antrag mit der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Bl. 34 ff. d. A.) sowie der allgemeinen Sachrüge (Bl. 40 d. A.) begründet. Im Wesentlichen hat der Betroffene ausgeführt, dass in die Hauptverhandlung Fotos und Urkunden, auf die sich das Urteil stütze, nicht eingeführt worden seien. Überdies seien in der Hauptverhandlung zwei Beweisanträge gestellt worden, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich indes nur die Stellung und Ablehnung eines Beweisantrages. Insoweit hat der Betroffene einen Antrag auf Protokollberichtigung gestellt und das Protokoll als „verfälscht“ gerügt (Bl. 38 d. A.).“
7Hierauf nimmt der Senat Bezug.
8II.
91. Dem Betroffenen ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:
10„Nach § 44 S. 1 StPO ist demjenigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne eigenes Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Die Tatsachen zur Begründung des fehlenden Verschuldens sind nach § 45 Abs. 2 S. 1 StPO glaubhaft zu machen. Insoweit ist ein Sachverhalt vorzutragen und zu belegen, der ein mitwirkendes Verschulden an der Versäumung der Frist ausschließen würde (ständige Senatsrechtsprechung, zu vgl. nur SenE vom 28.02.2012, - 2 Ws 158/12 - mwN und vom 08.04.2013 - 2 Ws 203/13 -). Dabei kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob sich der Verteidiger des Betroffenen in zulässiger Weise darauf berufen kann, an der Abfassung der Begründung des Zulassungsantrags infolge der angeblich erst am 14.01.2015 in das Hauptverhandlungsprotokoll und in die Akte gewährten Einsicht – also infolge eines den Justizbehörden zuzurechnenden Verschuldens – gehindert gewesen zu sein. Denn weder ein mittelbares Verschulden der Justizbehörden an der nicht fristgemäßen Antragsbegründung, noch ein Verschulden des Verteidigers wäre dem Betroffenen zuzurechnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 57. Auflage, § 44 Rn. 17 und 18). Die weiteren Vorschriften des § 45 StPO hat der Betroffene beachtet und insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die versäumte Handlung nachgeholt.“
11Dem tritt der Senat bei.
122. Die danach form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist angesichts einer Verurteilung zu einem Bußgeld in Höhe von 80,-- € aber nicht ohne weiteres gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG eröffnet, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung; diese ist hier allerdings gemäß § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG wegen Versagung des rechtlichen Gehörs veranlasst.
13a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfGE 60 S. 250, BVerfGE 65 S. 305 = NJW 1984, NJW Jahr 1984 Seite 1026; BVerfG, NJW 1992 S. 2811). Es gibt namentlich den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, im gerichtlichen Verfahren zu Wort zu kommen, nämlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zu Rechtsfragen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn dem Betroffenen keine Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihm nachteiligen Sachen und Beweisergebnissen zu äußern (vgl. allgemein Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 80 Rz. 16 ff.).
14b) Die Versagung rechtlichen Gehörs ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Dabei müssen die diesen Mangel enthaltenden Tatsachen so genau und so vollständig angegeben werden (§ 80 Abs. 3 S. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 S. 2 StPO), dass das Rechtsbeschwerdegericht schon anhand der Rechtsmittelschrift und ohne Rückgriff auf die Akten prüfen und - da die Zulassung der Rechtsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs voraussetzt - im Freibeweisverfahren abschließend feststellen kann, dass der behauptete Fehler tatsächlich vorliegt. Es müssen konkret die Tatsachen dargelegt werden, aus denen sich die Gehörsverletzung und das mögliche Beruhen der angefochtenen Entscheidung auf diesem Verstoß ergibt (st. Senatsrechtsprechung, s. nur SenE v. 28.03.2011 - III-1 RBs 66/11 -). Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Rechtsauffassung genügt hier das Rügevorbringen diesen Anforderungen:
15aa) Aus ihm und den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die dem Senat auf Grund der zugleich erhobenen Sachrüge auch zur Prüfung der Zulässigkeit der Verfahrensrüge zugänglich sind, ergibt sich, dass der Tatrichter Unterlagen (Eichschein, Messprotokoll, Beweisfoto mit Dateneinblendungen, Dienstanweisung für die Messstelle, Schulungsbescheinigungen) nicht in die Hauptverhandlung eingeführt hat, welchen er dennoch im Urteil Beweisbedeutung zu Lasten des Betroffenen beigemessen hat.
16bb) Zutreffend weist allerdings die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass der Betroffene nichts dazu vorträgt, wie er sich im Falle der Einführung dieser Unterlagen zu diesen geäußert hätte. Dessen bedurfte es hier indessen nicht. Grundsätzlich erfordert die ordnungsgemäße Erhebung der Rüge zwar Vorbringen dazu, was im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht worden wäre (vgl. allgemein KK-OWiG-Senge, 4. Auflage, § 80 Rz. 40c). Dieses Erfordernis diente in den bislang in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen entweder der Feststellung des Gehörsverstoßes selbst. So bedarf es in den Fällen der behaupteten unberechtigten Einspruchsverwerfung des Vortrags dazu, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung vorgebracht hätte, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob und bejahendenfalls welcher Sachvortrag infolge der Einspruchsverwerfung unberücksichtigt geblieben ist (vgl. Senat VRS 94, 123 [125]; SenE v. 13.05.2004 – Ss 181/04 Z –; KG NZV 2003, 586 = VRS 104, 139; OLG Rostock VRS 108, 374 [375]; KK-OWiG-Senge, a.a.O., § 80 Rz. 41b) Oder es dient in Fallkonstellationen, in welchen der Betroffene eine anderweitige prozessordnungsgemäße Äußerungsmöglichkeit hatte, der Prüfung der Beruhensfrage, weil in solchen Sachgestaltungen nicht selten ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der Gehörsverletzung beruht. Das trifft etwa zu auf die Fälle des unterbliebenen Hinweises (vgl. nur SenE v. 16.08.2006 – 81 Ss OWi 66/06) oder der Verweigerung des letzten Worts bzw. des Schlussvortrags (SenE v. 28.03.2011 – III-1 RBs 66/11; SenE v. 25.05.2012 – III-1 RBs 122/12; SenE v. 19.03.2013 – III-1RBs 80/13). Hierher zählt auch die Fallkonstellation der Einführung neuer Beweismittel bei erlaubter Abwesenheit jedenfalls dann, wenn der Betroffene einen Verteidiger hat, der das rechtliche Gehör für ihn wahrnimmt (Senat VRS 98, 150; OLG Düsseldorf DAR 1998, 22 = NZV 1998, 254; s. weiter BayObLG VRS 96, 60 [Ablehnung einer kommissarischen Vernehmung nach Ankündigung, sich nicht zur Sache einlassen zu wollen]; BayObLG NZV 1998, 518 = NStZ-RR 1998, 344 = VRS 95, 265 = DAR 1998, 399 = NStZ 1999, 345 [K] [fehlende Anhörung zur dienstlichen Äußerung im Ablehnungsverfahren]; OLG Düsseldorf VRS 97, 57 = DAR 1999, 275 [Rüge, dem Betroffenen sei ein Gutachten nicht vor der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt worden]). So liegt der Fall hier indessen nicht, keiner der beiden benannten Gesichtspunkte rechtfertigt es daher, für eine zulässige Verfahrensrüge von dem Betroffenen Vortrag dazu zu verlangen, was – und ob überhaupt etwas - er im Falle der prozessordnungsgemäßen Einführung der genannten Unterlagen hierzu geäußert hätte.
17Indem der Tatrichter die genannten Unterlagen nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, sie aber gleichwohl im Urteil verwertet hat, hat er nicht nur gegen § 261 StPO verstoßen, in dieser Verfahrensweise liegt zugleich eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BGH StV 1994, 527 und KK-OWiG-Senge a.a.O., § 71 Rz. 80; s.a. BGH NStZ 1995, 246). Der Verfassungsverstoß steht damit fest.
18Das Urteil beruht auf dem Gehörsverstoß, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass es ohne diesen anders ausgefallen wäre (st. Rspr. des BVerfG – s. zuletzt B. v. 06.05.2015 – 1 BvR 2724/14 – bei Juris Tz. 11; SenE v. 27.02.2015 – III-1 RBs 56/15 – Juris; SenE v. 19.03.2013 – III-1 RBs 80/13). In der vorliegenden Fallkonstellation, in welcher die Urteilsgrundlagen selbst betroffen sind und dem Betroffenen hierzu jede Äußerungsmöglichkeit genommen worden ist, liegt auch erkennbar ein Ausschluss des Beruhens nicht nahe, so dass auch nicht aus diesem Grund gefordert werden müsste, dass der Betroffene vorträgt, ob und wie er sich im Falle der prozessordnungsgemäßen Einführung der genannten Unterlagen zu diesen verhalten hätte.
19c) Aus den vorstehenden Ausführungen erhellt zugleich, dass die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch begründet ist. Es sind keine Umstände ersichtlich, die es – ausnahmsweise – ausschlössen, dass das Urteil bei prozessordnungsgemäßer Einführung der genannten Unterlagen anders ausgefallen wäre. Die Erwägung der Generalstaatsanwaltschaft, dass der Verteidiger Unterlagen angefordert und Akteneinsicht gehabt habe, lässt außer Acht, dass im Bußgeldverfahren das rechtliche Gehör grundsätzlich in bestimmter Form – nämlich in der dem Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz verpflichteten Hauptverhandlung – gewährt wird.
20d) Da sonach das angefochtene Urteil bereits wegen der im Verstoß gegen § 261 StPO zu erblickenden Gehörsverletzung der Aufhebung unterliegt, kommt es auf die weiteren Rügen nicht mehr an.
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(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 1j Absatz 1 Nummer 1, 2, 4, 5 oder 6, § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a bis c oder d, Nummer 2, 3, 5, 6 Buchstabe a, Nummer 8 bis 16 oder 17, jeweils auch in Verbindung mit § 6 Absatz 3 Nummer 1 bis 5 oder 7, nach § 6e Absatz 1 Nummer 1 bis 5 oder 7 oder nach § 6g Absatz 4 Satz 1 Nummer 3, 5, 7 oder 9 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.
(2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
- 1.
einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2 - a)
Nummer 1 Buchstabe a bis e oder g, - b)
Nummer 1 Buchstabe f, Nummer 2 oder 3 Buchstabe b, - c)
Nummer 3 Buchstabe a oder c oder - d)
Nummer 4,
- 2.
einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in Nummer 1 - a)
Buchstabe a, - b)
Buchstabe b, - c)
Buchstabe c oder - d)
Buchstabe d
(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen
- 1.
des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe d und Nummer 2 Buchstabe d mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro, - 2.
des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c und Nummer 2 Buchstabe c mit einer Geldbuße bis zu dreihunderttausend Euro, - 3.
des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 2 Buchstabe a mit einer Geldbuße bis zu hunderttausend Euro, - 4.
des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b und Nummer 2 Buchstabe b mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro, - 5.
des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu zweitausend Euro
(4) In den Fällen des Absatzes 3 Nummer 1 und 2 ist § 30 Absatz 2 Satz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten anzuwenden.
(5) Fahrzeuge, Fahrzeugteile und Ausrüstungen, auf die sich eine Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 10 oder eine Ordnungswidrigkeit nach Absatz 2 Satz 1 bezieht, können eingezogen werden.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.
(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.
(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.
(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist
- 1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder - 2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.
(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.
(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.
(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.
(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.
(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war, - 4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder - 5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.
(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.
(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.
(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist,
- 1.
die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Absatz 2 nichts anderes bestimmt, oder - 2.
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
(2) Die Rechtsbeschwerde wird wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden ist, deren Wert im Urteil auf nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt worden ist, oder - 2.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.
(3) Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde entsprechend. Der Antrag gilt als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde. Die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§ 344, 345 der Strafprozeßordnung) sind zu beachten. Bei der Begründung der Beschwerdeanträge soll der Antragsteller zugleich angeben, aus welchen Gründen die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 35a der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
(4) Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. Die §§ 346 bis 348 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung. Wird der Antrag verworfen, so gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.
(5) Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, daß ein Verfahrenshindernis besteht, so stellt das Beschwerdegericht das Verfahren nur dann ein, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlaß des Urteils eingetreten ist.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Tenor
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1. Das Urteil des Amtsgerichts Peine vom 26. Juni 2014 - 5 C 132/14 - und der Beschluss des Amtsgerichts Peine vom 8. September 2014 - 5 C 132/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Peine zurückverwiesen.
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2. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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I.
- 1
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG in einem amtsgerichtlichen Verfahren über einen zahnärztlichen Honoraranspruch in Höhe von 241,09 €.
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1. Nach Klageerhebung der Beschwerdeführerin bestimmte das Amtsgericht frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19. Juni 2014, 8.40 Uhr, und beschloss zugleich, dass bis zur Entscheidung des Rechtsstreits nach § 495a ZPO verfahren werden solle. Am Morgen des Termins der mündlichen Verhandlung meldete sich um 7.45 Uhr der Unterbevollmächtigte der Beschwerdeführerin telefonisch auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts und teilte mit, dass sein Vater in der Nacht in eine Klinik eingeliefert worden und mit seinem Tod zu rechnen sei, er könne den Termin daher nicht wahrnehmen. Eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung erfolgte nicht, vielmehr bestimmte das Amtsgericht nach Beantragung der Klageabweisung durch den Beklagtenvertreter Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 26. Juni 2014.
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Mit streitigem Urteil wies das Amtsgericht im Verkündungstermin die Klage ab. Die Beschwerdeführerin habe mangels Anwesenheit eines Vertreters in der mündlichen Verhandlung nicht verhandelt. Der klägerische Vortrag zur Anspruchsbegründung könne deshalb nur als nicht gehalten beurteilt werden. Die telefonische Verhinderungsmitteilung hielt das Amtsgericht für unerheblich. Mangels vorheriger schriftsätzlicher Legitimation als Unterbevollmächtigter habe es nicht überprüfen können, ob es sich bei dem Anrufer Herrn I. um Rechtsanwalt I. aus H. gehandelt habe. Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg.
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2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer gegen das amtsgerichtliche Urteil und den nachfolgenden Beschluss über die Anhörungsrüge gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Amtsgericht trotz der Verhinderung des Unterbevollmächtigten entschieden und ihr schriftsätzliches Vorbringen unberücksichtigt gelassen habe.
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3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Niedersächsische Justizministerium und der Beklagte des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.
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II.
- 6
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzung des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
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1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Ungeachtet dessen, ob das Amtsgericht angesichts des Rechts der Beschwerdeführerin auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerfGE 42, 364 <370>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. April 2012 - 2 BvR 2126/11 -, NJW 2012, S. 2262) und der kurzfristigen Verhinderung ihres Unterbevollmächtigten von Verfassungs wegen zu einer Vertagung nach § 337 ZPO verpflichtet gewesen wäre, hätte das Amtsgericht jedenfalls den Vortrag der Beschwerdeführerin nicht unberücksichtigt lassen dürfen, nachdem es gerade kein Versäumnisurteil mit der Möglichkeit eines Einspruchs der Beschwerdeführerin erlassen hat. Das Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 495a ZPO bietet ebenfalls keine Grundlage, rechtliches Gehör zu verweigern.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. Hingegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 96, 205 <216>; stRspr). Die Nichtberücksichtigung erheblichen Vortrags verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 69, 141 <143 f.> m.w.N.). Dies ist vorliegend gegeben.
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b) Das Amtsgericht hat das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Klageschrift und der Replik ausweislich der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils als nicht gehalten beurteilt und damit schlicht unberücksichtigt gelassen. Dies wäre nur dann mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sich für das Vorgehen des Amtsgerichts eine Stütze im Prozessrecht fände. Das ist aber - selbst bei Unterstellung einer verschuldeten Säumnis - nicht der Fall.
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Das Amtsgericht hat der Form nach ein kontradiktorisches Endurteil gefällt, welches es ausschließlich mit der Säumnis der Beschwerdeführerin begründet hat. Allein der Umstand der Säumnis rechtfertigt nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung aber lediglich ein - mit dem Einspruch angreifbares - Versäumnisurteil nach § 330 ZPO. Zwar kann bei Säumnis des Klägers auch ein kontradiktorisches Endurteil ergehen, nämlich als Entscheidung nach Aktenlage (§ 331a ZPO). § 331a ZPO ermöglicht grundsätzlich jede inhaltliche Entscheidung, die durch die Aktenlage gerechtfertigt ist - sofern ein entsprechender Antrag des Prozessgegners vorliegt und der Sachverhalt für eine derartige Entscheidung hinreichend geklärt ist. Die Entscheidung nach Aktenlage erfordert aber die Berücksichtigung und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag beider Parteien, die das Amtsgericht unter Hinweis auf die Säumnis der Beschwerdeführerin gerade nicht geleistet hat. Es fehlt daher für das Übergehen des Vortrags der Beschwerdeführerin in der angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts an einer prozessualen Rechtfertigung.
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c) Das amtsgerichtliche Urteil beruht auf dem Gehörsverstoß. Gleiches gilt für den Beschluss über die Anhörungsrüge, der den Gehörsverstoß perpetuiert hat. Hätte das Amtsgericht seine Entscheidung nicht schlicht auf eine Säumnis der Beschwerdeführerin gestützt, sondern sich mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, ist nicht auszuschließen, dass es - gegebenenfalls nach Beweisaufnahme über die Frage der Durchführung der Zahnreinigung - zu einem anderen, der Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
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2. Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG hat besonderes Gewicht. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, den Betroffenen von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährleisteten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder wenn sie rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Im vorliegenden Fall ist von einer krassen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör auszugehen, weil das Amtsgericht, nachdem es in bedenklicher Art und Weise an dem Termin zur mündlichen Verhandlung festgehalten hat, ein Urteil gefällt hat, für das jede prozessuale Grundlage fehlt. Zudem war das Amtsgericht auch nicht bereit, sein Vorgehen auf die Anhörungsrüge hin zu korrigieren, obwohl es aufgrund deren Begründung davon ausgehen musste, dass tatsächlich eine kurzfristige Verhinderung des Unterbevollmächtigten vorgelegen hatte.
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III.
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Das Urteil des Amtsgerichts und der die Gehörsrüge zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
II. Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Königswinter zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 4. Februar 2015 den bisherigen Verfahrensgang zutreffend wie folgt zusammengefasst:
4„Gegen die Betroffene ist durch Bußgeldbescheid des Landrats des Rhein-Sieg-Kreises vom 26.07.2013 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h eine Geldbuße in Höhe von 120,00 Euro gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO; 24 StVG; 11.3.6 BKat festgesetzt worden (Bl. 24 d.A.). (…)
5Den gegen den Bußgeldbescheid gerichteten Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht Königswinter durch Urteil vom 11.12.2013 – 21 OWi 176/13 - in Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG verworfen (Bl. 36 d.A.). Auf den hiergegen gestellten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 20.12.2013 (Bl. 38, 42 ff. d.A.) hat das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 28.03.2014 – III-1 RBs 81/14 – die Rechtsbeschwerde zugelassen und das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen aufgehoben (Bl. 56 ff. d.A.).
6Auf Antrag des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betroffene mit Beschluss vom 17.09.2014 von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbunden (Bl. 134 d.A.).
7Mit Urteil vom 24.09.2014 – 21 OWi 176/13 - hat das Amtsgericht Königswinter gegen die Betroffene wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß §§ 41, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG ein Bußgeld in Höhe von 120,- Euro verhängt (Bl. 138, 148 ff. d.A.). Sowohl die Betroffene, die zuvor von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden war (Bl. 134 d.A.) als auch ihr Verteidiger haben an der am 24.09.2014 durchgeführten Hauptverhandlung nicht teilgenommen (Bl. 123, 129, 130, 135 d.A.). Der Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung nicht gehört.
8Gegen dieses der Betroffenen am 27.09.2014 – Samstag – zugestellte Urteil (Bl. 154 d.A.) hat diese mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30.09.2014, bei Gericht eingegangenen am selben Tag (Bl. 151 d.A.), die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 04.11.2014, eingegangen bei Gericht am 05.11.2014 (Bl. 155 ff. d.A.) mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.“
9Hierauf nimmt der Senat Bezug.
10II.
111.
12Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag ist begründet.
13Da in dem Bußgeldbescheid ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,-- € festgesetzt wurde, ist die Rechtsbeschwerde nicht schon nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG ohne weiteres eröffnet, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung. Diese ist hier indessen gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG veranlasst.
14a)
15Dem Vorbringen der Betroffenen, mit dem eine Versagung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht wird liegt folgendes, von dem Verteidiger in der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragenes (zur Notwendigkeit entsprechenden Rügevorbringens vgl. SenE v. 11.01.2001 - Ss 532/00 Z - = VRS 100, 204; OLG Düsseldorf VRS 97, 55 = NZV 1999, 437 L.; OLG Hamm VRS 98, 117 f.) und durch den Akteninhalt bestätigtes Verfahrensgeschehen zugrunde:
16Das Amtsgericht hatte zur Frage der ordnungsgemäßen Messung ein schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. B I (E Automobil GmBH) eingeholt, das das Sachverständigenbüro mit Schreiben vom 18.Juli 2014 übersandte. In diesem Schreiben heißt es:
17„Wie am 18.07.2014 mit Ihnen telefonisch besprochen, senden wir Ihnen zu obigen Aktenzeichen eine neue Rechnung zur Kenntnisnahme, die Differenz zur vorherigen Rechnung wird Ihnen selbstverständlich zurückerstattet. Weiterhin ist das korrigierte Gutachten zum Austausch 2-fach beigefügt, die Anlage dazu bleiben unverändert und sind daher nicht enthalten. Wir bedauern den Vorfall und bitten für die Unannehmlichkeiten um Entschuldigung.“ (Bl. 78 d.A.).
18Weiter findet sich in der Akte einen Vermerk der Justizamtsinspektorin T vom 18.Juli 2014, der wie folgt lautet:
19„Vermerk:
20In dem Bußgeldverfahren
21gegen Child
22rief Büro E an und erklärte Folgendes:
23Sowohl das Gutachten als auch die Rechnung sind fehlerhaft. Neues Gutachten und Rechnung wird übersandt.
24Durchschrift an den Verteidiger habe ich aus der Post raus geholt.
25Überweisung ist allerdings schon raus.“
26b)
27Diese Verfahrensweise des Amtsgerichts verletzt den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieser Grundsatz verpflichtet das Gericht – soweit hier von Interesse -, die Äußerungsmöglichkeiten des Betroffenen namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu sichern und ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich zu Rechtsfragen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (BVerfGE 63, 332 [337] = NJW 1983, 2763 [2764] SenE v. 24.03.2000 - Ss 134/00 -; SenE v. 16.03.2001 - Ss 77/01 Z -; SenE v. 26.01.2007 - 82 Ss-OWi 7/07 -)
28Was speziell die Aktenführung und –einsicht angeht, verbietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Schriftstücke, aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, den Akten fernzuhalten. Was für das Verfahren geschaffen worden ist, darf der Akteneinsicht nicht entzogen werden (so ausdrücklich: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage 2014, § 147 Rz. 14).
29c)
30Der Senat vermag – was bereits im Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu klären ist (SenE v. 20.01.2011 - III-1 RBs 316/10 -; SenE v. 28.03.2011 - III-1 RBs 66/11 -; SenE v. 15.04.2014 - III-1 RBs 89/14 -; OLG Düsseldorf NJW 1999, 2130; Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 80 Rz. 16c) – letztlich nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf der Gehörsverletzung beruht (zur Beruhensprüfung bei der Verletzung des rechtlichen Gehörs vgl. ausdrücklich BVerfG NJW 1991, 2811 – bei Juris Tz. 21). Ein Beruhen des Urteils auf der Gehörsverletzung könnte (nur dann) ausgeschlossen werden, wenn das zunächst zur Akte gelangte „falsche“ Gutachten eine andere als die streitgegenständliche Messung betroffen hätte. Das ist aber nach den durch die zulässig erhobene Verfahrensrüge veranlassten freibeweislichen Ermittlungen des Senats nicht der Fall (vgl. zu den Ermittlungsmöglichkeiten im Freibeweisverfahren BGH NStZ 1993, 349; BGH StraFo 2011, 314 = StV 2012, 3). Vielmehr betraf es nach der eingeholten fernmündlichen Auskunft der E die Messung vom 17. Mai 2013, 21:18 Uhr in Königswinter, B 42n. Auch wenn seitens der E insoweit – ohne die Möglichkeit näherer Eingrenzung – (nur) von im Hinblick auf Schreibfehler vorzunehmende Korrekturen die Rede war, war doch das „falsche“ Gutachten im vorbezeichneten Sinne für das vorliegende Verfahren geschaffen und unterlag daher dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers.
312.
32Die danach zu zulassende Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§§ 353 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OwiG) und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG).
33Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.