Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 28. Apr. 2014 - 1 Vollz (Ws) 28/14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Der Betroffene befindet sich seit seiner Festnahme am 12. April 2005 in Haft und verbüßt derzeit in der JVA B den Strafrest einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung, schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Menschenhandel und Zuhälterei sowie wegen Vergewaltigung aus einem Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Mai 2006. Zuvor hat er eine weitere mit dem gleichem Urteil erkannte Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verbüßt. Das Strafende ist für den 12. Juli 2014 notiert. Im Anschluss daran ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
4Der Angeklagte war zuvor in der JVA S inhaftiert. Dort war er unter anderem am 18. März 2011 und zuletzt am 8. März 2012 beanstandungsfrei zum Zwecke der Familienzusammenführung ausgeführt worden. Während der Inhaftierung kam es jedoch zu mehreren Körperverletzungsdelikten des Antragstellers zum Nachteil von Vollzugsbediensteten, deretwegen er zu weiteren Freiheitsstrafen verurteilt wurde, zuletzt mit Urteil vom 24. Oktober 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten. Vor diesem Hintergrund war der Betroffene bereits am 29. März 2012 aus der JVA S in JVA B verlegt worden.
5Mit Antrag seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 6. Mai 2013 beantragte der Antragsteller eine erneute Ausführung in den Kreis seiner Familie zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit. Er verwies darauf, dass er nunmehr die Sitzungen bei einem externen Psychotherapeuten beendet habe und es notwendig sei, ihm vor dem Hintergrund des anstehenden Endstrafentermins im Juli 2014 und dem Ziel der Verhinderung der Notwendigkeit des Vollzuges der Sicherungsverwahrung entsprechende Angebote zu machen.
6Diesen Antrag beschied die Antragsgegnerin nach Erörterung in der Vollzugskonferenz am 04. Juli 2013 mit Bescheid vom gleichen Tag ablehnend und führte zur Begründung aus, der Betroffene befinde sich (erst) zu Beginn des neunten Vollstreckungsjahres, so dass es noch keiner Ausführung zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit bedürfe. Darüber hinaus könne Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht ausgeschlossen werden, da das vollzugliche Verhalten des Betroffenen von Gewaltanwendung zum Nachteil von Gefangenen und Bediensteten geprägt sei. Er sei disziplinarisch schon mehrfach in Erscheinung getreten und befolge Anweisungen nur schwer. Insgesamt besteht die konkrete Gefahr, dass der Betroffene eine Ausführung zur Flucht oder zur Ermöglichung von weiteren Straftaten missbrauchen könnte.
7Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, die Gewährung der begehrten Lockerungen stünde gemäß § 11 Abs. 1 StVollzG im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin, soweit nicht bereits einer der Ausschlussgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG greife. Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes sei die Entscheidung der Antragsgegnerin frei von Ermessensfehlern. Die Antragsgegnerin habe den zu Grunde liegenden Sachverhalt, namentlich dem bisherigen – durch zahlreiche Gewalttätigkeiten und disziplinarische Auffälligkeiten gekennzeichneten – Vollzugsverlauf sowie die kriminelle Entwicklung des Betroffenen vollständig gewürdigt und sei vertretbar zu der Auffassung gelangt, dass einer Ausführung eine Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG entgegenstehe. Im Hinblick auf den Gesichtspunkt eines Erhalts der Lebenstüchtigkeit sei die Erwägung der Justizvollzugsanstalt, dass dort vor dem zehnten Vollstreckungsjahr nur in begründeten Ausnahmefällen Ausführungen zu diesem Zweck stattfinden würden und zudem der Betroffene regelmäßig Besuch von seiner Familie erhalte, nicht zu beanstanden.
8Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Aachen sowie des Bescheides der Leiterin der JVA B vom 04. Juli 2013 sowie eine Verpflichtung der Leiterin der JVA B begehrt, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
9Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat unter dem 03. Februar 2014 ausgeführt, die Rechtsbeschwerde werde für unzulässig gehalten, da es nicht geboten sei, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
10II.
11Die Rechtsbeschwerde hat – zumindest vorläufig – Erfolg.
121.
13Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, weil die Nachprüfung der Entscheidung im Hinblick auf die Frage der maßgeblichen Erwägungen bei der Entscheidung über die Gewährung von Lockerungen für Strafgefangene, für welche nach dem Ende der Strafhaft zusätzlich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist, im Hinblick auf die erfolgte Neuregelung vollzuglicher Ziele und notwendiger Behandlungsangebote durch § 66 c StGB zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist.
14Des Weiteren liegt auch der ungeschriebene Zulassungsgrund nicht hinreichender tatsächlicher Feststellungen des angefochtenen Beschlusses vor (vgl. dazu Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 116 Rdn. 4). Die im angefochtenen Beschluss erwähnten Verhaltensweisen des Betroffenen, welche der Gewährung von Lockerungen schon aus Gründen der Missbrauchsgefahr entgegenstünden, nämlich dass „das Vollzugsverhalten des Betroffenen von Gewaltanwendung zum Nachteil von Gefangenen und Bediensteten geprägt sei“, er „disziplinarisch schon mehrfach in Erscheinung getreten“ sei und „Anweisungen nur schwer“ befolge, sind angesichts der im vorliegenden Fall für die Gewährung von Lockerungen maßgeblichen Erwägungen derart wenig konkret, dass der Senat letztlich nicht hinreichend überprüfen kann, ob diese Gründe tatsächlich geeignet sind, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden Erwägungen für die Gewährung der begehrten Lockerung in Form von Ausführungen zu entkräften.
152.
16Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
17Das Begehren des Betroffenen ist ungeachtet der im Rahmen der ursprünglich an die Antragsgegnerin gerichteten Antragstellung gewählten Formulierung, es werde eine „Ausführung in den Kreis der Familie zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit“ (Unterstreichung durch den Senat) begehrt, bei verständiger Würdigung ersichtlich dahin zu auszulegen, dass eine entsprechende Lockerung auch unabhängig von der Frage angestrebt wird, ob diese speziell zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit erforderlich ist. Dies hat auch die Strafvollstreckungskammer ihrer Entscheidung ersichtlich zugrunde gelegt.
18Zutreffend stellt die Strafvollstreckungskammer zunächst darauf ab, dass die Gewährung von Lockerungen gemäß § 11 Abs. 1 StVollzG im pflichtgemäßen Ermessen der Anstalt steht, wenn nicht bereits einer der Ausschlussgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG greift, und die Prüfungsbefugnis des Gerichts sich gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG auf die Überprüfung einer etwaigen Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder einer eventuellen dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Ermessensausübung beschränkt.
19Soweit sich diese Prüfung jedoch darauf reduziert, die Leiterin der JVA sei vertretbar zu der Auffassung gelangt, der Gewährung der begehrten Ausführung stehe der in § 11 Abs. 2 StVollzG normierte Ausschlussgrund der Missbrauchsgefahr entgegen, und habe darüber hinausgehend die Notwendigkeit der begehrten Ausführung zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit in vertretbarer Weise damit verneint, dass in der JVA B derartige Ausführungen aus behandlerischen Gründen nur in begründeten Ausnahmefällen vor dem zehnten Vollstreckungsjahr stattfänden, was bei dem Antragsteller nicht der Fall sei, der zudem regelmäßig von seiner Familie Besuch erhalte, genügt dies den Anforderungen im vorliegenden Fall nicht.
20Die Gewährung von Lockerungen dient grundsätzlich der Erreichung des Vollzugsziels gemäß § 1 StVollzG, nämlich einer gewünschten Fähigkeit des Gefangenen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Vollzug ist zudem gemäß § 3 Abs. 3 StVollzG so auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit (wieder) einzugliedern. Dementsprechend stellt die Gewährung von Lockerungen auch eine der verschiedenen Behandlungsmaßnahmen dar, über welche sich gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG auch der Vollzugsplan ausdrücklich zu verhalten hat.
21Davon abzugrenzen sind die Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit, die bei langjährig inhaftierten Gefangenen, welche die Voraussetzungen für Urlaub oder Ausgänge noch nicht erfüllen, dem Zweck dienen, den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Hinblick auf das Resozialisierungsgebot entgegenzuwirken (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juni 2012 – 2 BvR 865/11 –, juris).
22Mit Einführung des § 66 c StGB durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Absicherung des Abstandsgebots in der Sicherungsverwahrung vom 05. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) sind in Umsetzung der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus dessen Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09) ausdrückliche Regelungen zur Festschreibung des Trennungs- und Abstandsgebots des Vollzugs der Sicherungsverwahrung zum normalen Strafvollzug, aber auch gleichzeitig ausdrückliche Anordnungen zum therapieorientierten Vollzug getroffen worden, welche sämtlich dem vorrangigen Ziel dienen, die „Gefährlichkeit“ des Sicherungsverwahrten „für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder sie für erledigt erklärt werden kann“, vgl. § 66 c Abs. 1 Nr. 1 b StGB. An diesem vorrangigen Ziel soll gemäß § 66 Buchst. c Abs. 2 StGB auch bereits die der Sicherungsverwahrung vorangehende Strafvollstreckung in besonderem Maße mit dem Ziel orientiert sein, „die Vollstreckung der Unterbringung … oder deren Anordnung … möglichst entbehrlich zu machen“, mit der Folge, dass hinsichtlich zu gewährender Behandlungsangebote eine Privilegierung der Strafgefangenen mit anschließender Sicherungsverwahrung gegenüber dem „normalen“ Strafgefangenen ausdrücklich normiert worden ist.
23Das besondere gesetzgeberische Interesse an der Durchführung sowie auch der Kontrolle entsprechender Maßnahmen findet in der gleichzeitig neu eingefügten Vorschrift des § 119 a StVollzG seinen Ausdruck, nach welcher die Einhaltung der Vorschriften über die notwendige Betreuung und Behandlung der Strafgefangenen mit nachfolgender Sicherungsverwahrung von den (großen) Strafvollstreckungskammern in festgelegten Abständen (vgl. § 119 a Abs. 3 StVollzG) von Amts wegen zu überprüfen ist.
24Die mithin nunmehr erfolgte besondere Hervorhebung der Notwendigkeit grundsätzlich freiheitsorientierter Behandlungsangebote auch vor Vollzug der Sicherungsverwahrung kann nach Bewertung des Senats nicht ohne Einfluss auf die Erwägungen bleiben, welche für die Gewährung von Lockerungen gemäß § 11 Absatz 1 StVollzG maßgebend sind. Im Hinblick auf die Gewährung von Lockerungen wird die Anstalt zumal mit zunehmender Strafdauer und mithin einem Näherrücken der sich anschließenden Sicherungsverwahrung auch bei begrenzter Lockerungseignung aufgrund der regelmäßig schon im zu vollstreckenden Urteil festgestellten Gefährlichkeit des Verurteilten zu erwägen haben, inwieweit die Gewährung von Lockerungen über den originären Zweck der stufenweisen Wiedereingliederung in vollständig freiheitsorientierte Lebensverhältnisse hinausgehend z.B. insbesondere auch geeignet sein kann bzw. in Erwägung zu ziehen ist, um dem Verurteilten im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes Gelegenheit zu geben, eine nach Durchführung therapeutischer Maßnahmen gegebenenfalls reduzierte Gefährlichkeit auch unter Beweis zu stellen und so den Verurteilten gleichzeitig zu motivieren, weitere Behandlungsangebote anzunehmen, welche geeignet sind, einen Vollzug der Sicherungsverwahrung zu vermeiden oder zumindest deren Vollzugsdauer zu verkürzen.
25Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte hier bereits Therapiemaßnahmen durchgeführt hat.
26Hierbei wird mit Blick auf die Regelungen des Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung Nordrhein-Westfalen (SVVollzG NW) bereits während des Strafvollzuges im Rahmen der Gewährung von Lockerungen und der dabei notwendigen Bewertung etwaiger Ausschlussgründe infolge bestehender Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG in den Blick zu nehmen sein, dass dem Gefangenen nach Übertritt in der Vollzug der Sicherungsverwahrung gemäß § 53 Abs. 3 SVVollzG NW (ohnehin) ein Anspruch auf die Gewährung von jährlich mindestens vier Ausführungen zusteht, die neben dem Erhalt der Lebenstüchtigkeit nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich auch dem Zweck dienen, die Mitwirkung des Verurteilten an der Behandlung zu fördern und nur unter im Verhältnis zu § 11 StVollzG deutlich engeren Voraussetzungen versagt werden dürfen, nämlich„wenn konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, dass die Untergebrachten sich trotz Sicherungsvorkehrungen dem Vollzug entziehen oder die Ausführung zu erheblichen Straftaten missbrauchen werden“ (Unterstreichungen durch den Senat), oder aber „wenn die zur Sicherung erforderlichen Maßnahmen den Zweck der Ausführung gefährden“.
27Dies führt dazu, dass nach Bewertung des Senats zumindest im Einzelfall jeweils zusätzlich zu erwägen sein wird, inwieweit – jedenfalls bei bereits längerer Verbüßungsdauer gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme der Notwendigkeit im Verhältnis zum „normalem Maßstab“ des § 11 Abs. 2 StVollzG höherer Sicherungsvorkehrungen – Lockerungen insbesondere geeignet sein können, die in § 66 c Abs. 2 StGB normierten Ziele zu fördern.
28Ob und inwieweit sich die angefochtene Entscheidung der Leiterin der JVA B mit derartigen Erwägungen auseinandergesetzt hat, lässt der angefochtene Beschluss nicht erkennen. Es erscheint jedoch eher nahe liegend, dass dies nicht der Fall ist.
29Eine eigene Sachentscheidung des Senats ist jedoch gleichwohl nicht veranlasst. Die vorstehenden Erwägungen führen zwar zu der Bewertung, dass eine Versagung von Lockerungen allein unter Hinweis auf eine allgemeine Verwaltungspraxis der Antragsgegenerin, Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit nicht vor dem zehnten Vollstreckungsjahr zu gewähren, im vorliegenden Fall für sich genommen nicht tragfähig ist. Andererseits entziehen sich die nach Auffassung der Antragsgegnerin in der Person bzw. dem Verhalten des Betroffenen liegenden Sicherheitsrisiken für den Fall der Gewährung einer Ausführung schon deshalb einer näheren Bewertung durch den Senat, weil der angefochtene Beschluss hierzu – wie eingangs erwähnt – keinerlei nähere Darlegungen enthält.
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(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene
- 1.
außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder - 2.
für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.
(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene
- 1.
außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder - 2.
für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.
(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene
- 1.
außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder - 2.
für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.
(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.
Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung.
(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt.
(2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen:
- 1.
die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug, - 2.
die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, - 3.
die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen, - 4.
den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung, - 5.
die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung, - 6.
besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen, - 7.
Lockerungen des Vollzuges und - 8.
notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung.
(3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen.
(4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden.
Tenor
-
Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2010 - 055 StVK 486/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. März 2011 - 1 Vollz (Ws) 53/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
-
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
-
...
Gründe
-
A.
- 1
-
Die Verfassungsbeschwerde des im Maßregelvollzug untergebrachten Beschwerdeführers betrifft die Versagung von Vollzugslockerungen.
-
I.
- 2
-
1. Der wegen sexuellen Kindesmissbrauchs seit 1999 gemäß § 63 StGB untergebrachte Beschwerdeführer beantragte bei der Klinik die Gewährung nicht näher bezeichneter Lockerungen, da er dem Leben in Freiheit nicht völlig entfremdet werden dürfe und angesichts der Dauer seiner Unterbringung sein Anspruch auf Lockerungen in den Vordergrund trete.
- 3
-
Die Klinik lehnte den Antrag ab. Der Beschwerdeführer habe zu Beginn seiner Unterbringung wenige Gespräche mit dem therapeutischen Personal geführt und darin zu verstehen gegeben, dass er sich im Maßregelvollzug nicht richtig untergebracht fühle. Sobald seiner Argumentation nicht gefolgt worden sei, habe er die Gespräche abgebrochen. Mit Ausnahme einer Begutachtung habe er an gutachterlichen Untersuchungen nicht teilgenommen. Seit 2004 bestehe kein therapeutischer Kontakt mehr. Er schlafe tagsüber, sei nachts aktiv und weiche Gesprächen mit dem therapeutischen Personal aus. Zum pflegerischen Personal halte er den organisatorisch notwendigen Kontakt aufrecht und habe in den vergangenen Jahren sporadisch einige Gespräche mit diesem geführt. Aufgrund dieses Verhaltens lasse sich die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht einschätzen. Weil er aufgrund seiner Weigerung nicht behandelt worden sei, könne nur von einem Fortbestehen seiner Gefährlichkeit ausgegangen werden.
- 4
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2. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen zurück. Angesichts des Vollzugsverhaltens des Beschwerdeführers fehle es an einem Therapiebündnis. Die Klinik könne aufgrund der Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers nur von seiner Gefährlichkeit ausgehen. Die Entscheidung über die Gewährung von Lockerungen hänge unter anderem von einem Therapieerfolg ab, an dem es bislang fehle. Die Verweigerung von Lockerungen sei auch angemessen, überwiege doch der Schutz der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an Lockerungen. Der Beschwerdeführer könne das Behandlungsangebot der Klinik in Anspruch nehmen, um sich im Wege einer Therapie zu bewähren und bei Erfolg entsprechende Lockerungen zu erhalten.
- 5
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3. Der Beschwerdeführer stellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG), gerichtet auf Gewährung von Lockerungen unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids. Ein begleiteter Ausgang mit zwei Bediensteten, "hilfsweise sogar mit justizüblicher Fesselung", sei vertretbar. Die Klinik habe angesichts seiner inzwischen über elf Jahre andauernden Unterbringung durchaus die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers einschätzen können. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wie der als gefährlich eingestufte Beschwerdeführer auf einer Therapiestation und nicht auf der Krisen- oder Zugangsstation untergebracht sein könne. Ohne Lockerungen, auf die der Beschwerdeführer angesichts der Dauer seiner Unterbringung einen Anspruch habe, werde er dem Leben in Freiheit völlig entfremdet. Die Vollzugseinrichtung dürfe sich nicht auf pauschale Wertungen oder den Hinweis auf eine Uneinschätzbarkeit des Untergebrachten beschränken.
- 6
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Das Landgericht wies den Antrag zurück. Da sich der Beschwerdeführer, bei dem eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung, eine Neigung zur Pädophilie und eine Störung durch Cannabinoide festgestellt worden seien, seit 2004 jeglicher Therapie entziehe, keinen Kontakt zum therapeutischen Personal halte, tagsüber schlafe und nur nachts aktiv sei, seien therapeutische Gespräche mit ihm seit sechs Jahren nicht mehr möglich. Zum pflegerischen Personal halte er nur einen organisatorisch notwendigen Kontakt. Vereinzelte Gespräche stellten sich als Monolog des Beschwerdeführers dar. Mangels Behandlung fehle es aktuell an erkennbaren Therapieerfolgen, weswegen sich eine verringerte Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht beurteilen lasse. Lockerungen ließen sich nicht als weiteres Mittel zur Erzielung von Behandlungserfolgen einsetzen, da sie unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit vom Erreichen erster Erfolge im Behandlungsverlauf abhingen. Es sei auch nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer über weitere Erkenntnismöglichkeiten verfüge, welche seine weitere Gefährlichkeit ausschlössen. Die Lockerungsversagung sei verhältnismäßig, da aufgrund der bislang unbehandelten Erkrankung des Beschwerdeführers auch weiterhin die Begehung von Straftaten im Sinne des Anlassdeliktes zu befürchten sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich seit über zehn Jahren im Maßregelvollzug befinde. Denn die Dauer der Unterbringung allein könne ohne therapeutischen Fortschritt keine positive Entscheidung über die Lockerung begründen. Es sei zwar Ziel der Unterbringung, den Betroffenen zu resozialisieren; dies erfolge jedoch nicht durch "kalte" Erprobung im Wege der Gewährung von Lockerungen, sondern durch therapeutische Vorbereitung, Begleitung und Nachsorge. Soweit Untergebrachte keine Lockerungen erhalten könnten, hätten sie im Fall wichtiger Gründe einen Anspruch auf Ausführung durch die Vollzugsbehörde. Entsprechende Gründe habe der Beschwerdeführer aber nicht vorgetragen. Zudem sei insoweit das Vorschaltverfahren nicht durchgeführt worden.
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4. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde mit der Sach- und der Verfahrensrüge. Das Landgericht mache sich unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz die Ausführungen in der Stellungnahme der Klinik und im Widerspruchsbescheid zu eigen. Die vom Landgericht aufgeführten Persönlichkeitsstörungen lägen beim Beschwerdeführer nicht vor. Er gehe dem therapeutischen Personal auch nicht aus dem Weg. Die Behauptung, der Beschwerdeführer führe mit dem Personal nur sporadische und monologartige Gespräche, sei unzutreffend. Die Ablehnung von Lockerungen beruhe auf einer Verkennung des Resozialisierungsgebots. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass die Gewährung von Lockerungen unabhängig davon geboten sein könne, ob der Untergebrachte Therapieangebote annimmt. Der Gutachter im Erkenntnisverfahren habe keine zu behandelnde Störung oder Erkrankung des Beschwerdeführers festgestellt, sondern dass die kriminelle Energie des Beschwerdeführers eher abnehme, weswegen eine Unterbringung des Beschwerdeführers nach § 63 StGB unverhältnismäßig sei. Der Beschwerdeführer sei nicht therapieresistent, sondern verweigere eine Therapie, weil er sicher wisse, dass er an keiner im Maßregelvollzug zu behandelnden Erkrankung oder Störung leide. Einem therapeutischen Konzept, das ihn befähigte, in Freiheit nicht erneut rückfällig zu werden, verweigere er sich nicht. Hierzu seien vielmehr die beantragten Vollzugslockerungen erforderlich.
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Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde mit Tenorbegründung und ergänzte, dass die Klinikleitung, soweit der Beschwerdeführer künftig nicht näher spezifizierte Lockerungen beantrage, auf eine Konkretisierung der Lockerungswünsche hinzuwirken haben dürfte, damit die gemäß § 18 Abs. 4 des nordrhein-westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes (im Folgenden: MRVG NRW) erforderliche Prüfung erfolgen könne.
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II.
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1. Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und Art. 19 Abs. 2 GG und wiederholt sinngemäß die im fachgerichtlichen Verfahren vorgebrachten Beanstandungen. Ergänzend trägt er unter anderem vor, dass er aufgrund einer massiven körperlichen Behinderung selbst ohne Handfesselung außerstande sei, zu fliehen. Im Übrigen trage er keinen dahingehenden Wunsch in sich. Er sei bei mehreren ärztlichen Ausführungen - gemeint wohl: Ausführungen zu Arztterminen - an "unzähligen Personen (hier auch Kindern)" vorbeigeführt worden, ohne dass dies die Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet habe. Er könne nicht einmal das Grab seiner Mutter besuchen. Die Rechtsbeschwerde sei entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts zulässig gewesen, um die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
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2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat dahingehend Stellung genommen, dass eine Gewährung von Vollzugslockerungen nicht möglich sei, weil es an jeglichem therapeutischen Kontakt zum Beschwerdeführer fehle und eine Risikoabschätzung im Hinblick auf den Schutz der Allgemeinheit daher nicht möglich sei. Wichtige Gründe im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 5 MRVG NRW seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch der mit einer Begleitung des Beschwerdeführers verbundene Sicherungsgrad rechtfertige nicht, bei der erforderlichen Abwägung der Rechte des Beschwerdeführers und der Rechte potentiell gefährdeter Personen von einem Überwiegen der Belange des Beschwerdeführers auszugehen.
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B.
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I.
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Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s. unter II. 1. und 2.). Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.
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II.
- 12
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1. Der Beschluss des Landgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
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a) Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf das Ziel auszurichten, dem Inhaftierten ein zukünftiges straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 116, 69 <85 f.> m.w.N.; stRspr). Besonders bei langjährig im Vollzug befindlichen Personen erfordert dies, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>). Der Gesetzgeber hat dementsprechend im Strafvollzugsgesetz auch dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe ein Behandlungs- und Resozialisierungskonzept zugrundegelegt (BVerfGE 117, 71 <91>). Der Wiedereingliederung des Delinquenten dienen unter anderem die Vorschriften über Vollzugslockerungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 92).
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Besonders bei langjährig Inhaftierten ist es geboten, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 1997 - 2 BvR 1404/96 -, NJW 1998, S. 1133 <1133>; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris). Hierfür kommt der Möglichkeit, dem Gefangenen Lockerungen zu gewähren, besondere Bedeutung zu. Auch einem zu lebenslanger Haft Verurteilten kann daher nicht jegliche Lockerungsperspektive mit der Begründung versagt werden, eine konkrete Entlassungsperspektive stehe noch aus (vgl. BVerfGK 9, 231 <237>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris). Der Erhaltung der Lebenstüchtigkeitdienen nicht nur Urlaub und Ausgänge, sondern - gerade bei Gefangenen, die die Voraussetzungen hierfür noch nicht erfüllen - auch Ausführungen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris). Bei langjährig Inhaftierten kann daher, auch wenn eine konkrete Entlassungsperspektive sich noch nicht abzeichnet und weitergehenden Lockerungen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr entgegensteht, zumindest die Gewährung von Lockerungen in Gestalt von Ausführungen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. September 2008 - 2 BvR 719/08 -, FS 2011, S. 252) und der damit verbundene personelle Aufwand hinzunehmen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris).
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Für den Vollzug von Maßregeln, der nicht anders als der Strafvollzug im engeren Sinne auf das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel der sozialen Wiedereingliederungausgerichtet sein muss (vgl. BVerfGE 98, 169 <200 f.>; 109, 133 <151>; 128, 326 <377>), kann insoweit nichts anderes gelten. Dementsprechend sieht § 18 Abs. 1 Satz 3 MRVG NRW vor, dass Vollzugslockerungengrundsätzlich der Erreichung des Behandlungszwecksdienen; zu diesem gehört nach § 1 Abs. 1 Satz 1 MRVG NRW die Eingliederung des Untergebrachten in die Gemeinschaft.
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b) Den daraus sich ergebenden Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung der vollzugsbehördlichen Entscheidung wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht, soweit er die Versagung von Lockerungen uneingeschränkt, und damit auch hinsichtlich bloßer Ausführungen, als rechtmäßig bestätigt. Der Beschluss des Landgerichts verhält sich mit keinem Wort zu der Frage, weshalb die Lockerungsvoraussetzungen auch bei Ausführungen trotz der damit verbundenen und verbindbaren Sicherungsvorkehrungen nicht gegeben sein sollen.
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Die bei einer Ausführung nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 MRVG NRW vorgesehene Begleitung des Untergebrachten (vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks 12/3728, S. 39) dient gerade dem Zweck, einer von ihm ausgehenden Flucht- und Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken, die bei fehlender Begleitung entstünde. Die allgemeine - nicht nach Lockerungsformen differenzierende - Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr ist daher für sich genommen grundsätzlich ungeeignet, zu begründen, dass die angenommene Gefahr auch im Fall der Ausführung besteht (vgl. zu einer beantragten Ausführung unter Fesselung Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris). Zwar kann im Einzelfall - etwa wenn auf eine bereits zuvor erfolgte Entziehung des betreffenden Untergebrachten aus bestehender Bewachung verwiesen wird - ohne nähere Ausführungen auf der Hand liegen, dass die geltend gemachte Gefahr mit vertretbarem Bewachungsaufwand nicht auszuräumen ist. Die Annahme einer aus solchen Gründen bestehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr mag dann ohne weiteres auch auf den Fall der Ausführung in Begleitung von Bediensteten zu beziehen und geeignet sein, die Versagung von Lockerungen auch insoweit zu rechtfertigen. Ein derartiger Fall unwidersprechlicher, auf nähere Begründung nicht angewiesener Evidenz, dass die angenommene Flucht- und Missbrauchsgefahr auch durch die bei Ausführungen vorgesehene Bewachung nicht auszuschließen sein werde, lag hier jedoch nicht vor. Die von der Klinik für die Versagung jeglicher Lockerungen allein angeführten allgemeinen Gründe drängten eine entsprechende Schlussfolgerung nicht ansatzweise auf.
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2. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
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b) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Oberlandesgerichts mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
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§ 119 Abs. 3 StVollzG erlaubt es dem Strafsenat, von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abzusehen, wenn er die Beschwerde für unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtet. Da von dieser Möglichkeit, deren Einräumung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 71, 122 <135>; 81, 97 <106>), im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht wurde, liegen über die Feststellung im Tenor des Beschlusses des Oberlandesgerichts, dass die in § 116 Abs. 1 StVollzG genannte Voraussetzung der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde - Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung - nicht vorliege, Entscheidungsgründe, die das Bundesverfassungsgericht einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen könnte, nicht vor. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Beschluss selbst sich verfassungsrechtlicher Prüfung entzöge oder die Maßstäbe der Prüfung zu lockern wären. Vielmehr ist in einem solchen Fall die Entscheidung bereits dann aufzuheben, wenn an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 251/93 -, juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, juris; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 309/10 und 2 BvR 368/10 -, jeweils juris). Dies ist angesichts der offenkundigen inhaltlichen Abweichung des landgerichtlichen Beschlusses von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Bedeutung einer solchen Abweichung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 1 Ws 288/06 (StrVollz) -, juris) hier der Fall.
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3. Da die angegriffenen Entscheidungen auf dem festgestellten Verfassungsverstoßberuhen, sind sie nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
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III.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene
- 1.
außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder - 2.
für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.
(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.