Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 23. Aug. 2013 - I-22 U 37/13

ECLI:ECLI:DE:OLGD:2013:0823.I22U37.13.00
23.08.2013

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3.               Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 21.02.2013 wird               zurückgewiesen.

              Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

              Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

              Das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom               21.02.2013 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

              Die Revision wird nicht zugelassen.


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Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 23. Aug. 2013 - I-22 U 37/13 zitiert 16 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts


(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht


(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestrit

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 513 Berufungsgründe


(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. (2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 546 Begriff der Rechtsverletzung


Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung


(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen. (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn 1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295),

Zivilprozessordnung - ZPO | § 767 Vollstreckungsabwehrklage


(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. (2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf

Zivilprozessordnung - ZPO | § 13 Allgemeiner Gerichtsstand des Wohnsitzes


Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch den Wohnsitz bestimmt.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 184


Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.

Insolvenzordnung - InsO | § 3 Örtliche Zuständigkeit


(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist aussc

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Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen.

(2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.

(3) Der Schuldner muss in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend machen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war.

(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.

(2) Hat der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gemäß § 29 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes in Anspruch genommen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.

(3) Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus.

Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch den Wohnsitz bestimmt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 179/04 Verkündet am:
14. Juni 2005
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises für eine HIV-Infektion durch die Verabreichung
von Blutprodukten (im Anschluß an BGHZ 114, 284).

b) Zur Dokumentationspflicht und zur sekundären Darlegungslast des Verwenders
von Blutprodukten hinsichtlich der Chargennummer des verabreichten Produkts.

c) Ist eine Aufklärung über die Gefahr einer HIV-Infektion bei Verabreichung von Blutprodukten
nicht möglich, ist der Patient jedenfalls nachträglich über diese Gefahr
aufzuklären und ihm zu einem HIV-Test zu raten (nachträgliche Sicherungsaufklärung
).

d) Auch ein im Behandlungszeitpunkt noch nicht bekannter Ehepartner des Patienten
ist in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung über
die Gefahr einer transfusionsassoziierten HIV-Infektion einbezogen.
BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - VI ZR 179/04 - OLG Koblenz
LG Trier
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Juni 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. Juni 2004 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. Der Streithelfer trägt seine Kosten selbst.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 127.823 € (250.000 DM) nebst Zinsen und die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden wegen einer bei ihr festgestellten HIV-Infektion. Der Beklagte ist seit 1. Februar 1986 Träger des Krankenhauses W., das zuvor vom Streithelfer des Beklagten getragen worden war.
Die Klägerin ist seit 1988 mit M., einem ehemaligen Patienten des Beklagten , bekannt und seit dem 11. August 1994 mit ihm verheiratet. Dieser erhielt nach einem Motorradunfall am 29. Juni 1985 im Krankenhaus W. Frischblut von drei Spendern sowie mehrere aus Blutspenden hergestellte Produkte (Erythrozyten-Konzentrat, GFP, PPSB und Biseko). Er wurde nach seiner zunächst bis 24. Dezember 1985 dauernden stationären Behandlung noch bis 9. Oktober 1987 mehrfach stationär im Krankenhaus W. behandelt. Im Dezember 1997 wurden in einer Blutprobe von M. HIV-Antikörper festgestellt. Im Januar 1998 stellte sich heraus, daß auch die Klägerin HIVinfiziert ist. Sie erhält seit 1998 aus der Stiftung "Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen" eine Rente von 766,94 € (1.500 DM) monatlich. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben der Beklagte und sein Streithelfer die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht bejaht einen Kausalzusammenhang zwischen der HIV-Infektion der Klägerin und der Behandlung ihres Ehemanns mit Blutprodukten im Jahre 1985. Es bestehe ein von dem Beklagten nicht entkräfteter
Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Ehemann der Klägerin damals mit HIV infiziert worden sei und den Virus auf die Klägerin übertragen habe. Die Eheleute hätten weder zu den HIV-gefährdeten Risikogruppen gehört noch seien sie durch die Art ihrer Lebensführung einer (gesteigerten) Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Die Lebenserfahrung spreche dafür, daß die verabreichten Blutprodukte als Infektionsquelle anzusehen seien. Außerdem sei davon auszugehen, daß zumindest das verabreichte Blutprodukt PPSB der B. AG HIV-kontaminiert gewesen sei. Da der Beklagte die Chargennummern des verwendeten Produktes im Rechtsstreit nicht angegeben habe, könne die Klägerin keine näheren Einzelheiten dazu vortragen, ob das PPSB auch aus Blut HIVinfizierter Spender gewonnen worden sei und ob weitere transfusionsassoziierte HIV-Infektionen Dritter bekannt geworden seien. Zu ihren Gunsten sei daher von einer Kontaminierung des Produkts auszugehen. Die Ärzte hätten die ihnen auch gegenüber der Klägeri n obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, weil sie trotz der vielen 1985 verabreichten Blutprodukte bei keinem der zahlreichen späteren Krankenhausaufenthalte ihren Ehemann auf die Möglichkeit einer HIV-Infektion hingewiesen und einen HIVTest angeraten hätten. Das Risiko einer transfusionsassoziierten HIV-Infektion sei Mitte 1985 hinreichend bekannt gewesen. Diese Hinweispflicht habe ihnen auch im Interesse der Klägerin oblegen, denn die behandelnden Ärzte hätten damit rechnen müssen, daß ihr Ehemann sich nach seiner Genesung eine Partnerin suchen und heiraten werde. Der Wechsel in der Trägerschaft des Krankenhauses sei unerheblich, da der Beklagte als neuer Träger bei Übernahme des Krankenhauses alle Verbindlichkeiten aus dem Betrieb übernommen habe.

II.

Die Revision des Beklagten und seines Streithelfers hat keinen Erfolg. 1. Ohne Rechtsfehler und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht die Infizierung der Klägerin mit dem HIV-Virus als tatbestandliche Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB angesehen. Darunter fällt jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustandes; unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten , ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit eingetreten ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 284, 289 sowie BGHSt 36, 1, 6 f. und 36, 262, 265 - zu HIV; BGHZ 8, 243, 246 und BGH, Urteil vom 14. Dezember 1953 - III ZR 183/52 - VersR 1954, 116, 117, insoweit nicht in BGHZ 11, 227 - zu Lues) oder ob es zum Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS gekommen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 284, 289; BGHSt 36, 1, 6). 2. Die Klägerin ist durch ihren Ehemann infiziert worden, der seinerseits im Krankenhaus des Beklagten durch die Gabe von Blutprodukten infiziert worden war.
a) Das Berufungsgericht hat - von der Revision nicht angegriffen - aufgrund Anscheinsbeweises festgestellt, daß der Ehemann den HIV-Virus an die Klägerin übertragen hat.
b) Der Ehemann der Klägerin ist im Krankenhaus des Beklagten infiziert worden. Das Berufungsgericht hat auch dies - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - nach dem Beweis des ersten Anscheins ohne Rechtsfehler festgestellt. Die Einwendungen der Revision hiergegen haben keinen Erfolg.
aa) Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Ein solcher typischer Geschehensablauf kann anzunehmen sein, wenn die Kontaminierung eines verwendeten Blutprodukts feststeht und keine weiteren Ursachen außerhalb des Verantwortungsbereichs der Behandlungsseite für die der Kontaminierung entsprechende Erkrankung ersichtlich sind (vgl. Senatsurteile BGHZ 114, 290; vom 29. Juni 1982 - VI ZR 206/80 - VersR 1982, 972). Bei einer HIV-Infektion nach Bluttransfusion setzt das voraus , daß der Patient weder zu den HIV-gefährdeten Risikogruppen gehört noch durch die Art seiner Lebensführung einer gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt ist, aber HIV-kontaminiertes Blut oder kontaminierte Blutprodukte erhalten hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 290; OLG Düsseldorf, NJW 1995, 3060; VersR 1996, 377, 378; VersR 1996, 1240; VersR 1998, 103; OLG Hamm, VersR 1995, 709; NJW-RR 1997, 217, 218; OLG Karlsruhe, OLGR 2002, 170; s.a. im Zusammenhang mit einer Hepatitis-Infektion OLG Brandenburg, NJW 2000, 1500; OLG Celle, NJW-RR 1997, 1456; LG Nürnberg-Fürth, VersR 1998, 461 mit Anm. Bender; MüKo-BGB/Wagner, 4. Aufl., § 823 Rn. 731; Hecker/ Weimann, VersR 1997, 532, 534; a.A. OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 167, 168). Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht für den Ehemann der Klägerin bejaht. (1) Die erste Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises, daß der Patient weder zu den HIV-gefährdeten Risikogruppen gehörte noch durch die Art seiner Lebensführung einer gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt war, hat das Berufungsgericht für den Ehemann der Klägerin festgestellt. Die Revision beanstandet das nicht. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.
(2) Das Berufungsgericht hat auch eine Kontaminierung des verabreichten PPSB festgestellt. Das begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken. (a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Ärzte des Krankenhauses W. lediglich eine trockenhitzeinaktivierte, nicht pasteurisierte und damit potentiell infektiöse PPSB-Charge verwendet, die HIV-kontaminiert gewesen war. Die entsprechende Behauptung der Klägerin hat das Oberlandesgericht mangels substantiierten Bestreitens des Beklagten als unstreitig angesehen. Das ist nach Lage des Falles unter den gegebenen Umständen aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte vorgetragen, die ihrem Ehemann verabreichte Charge PPSB sei HIV-kontaminiert gewesen. Das hatte der Beklagte nicht "substantiiert" und damit nicht ausreichend bestritten. Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat eine Partei, soll ihr Vortrag beachtlich sein, auf Behauptungen des Prozeßgegners substantiiert, d.h. mit näheren Angaben zu erwidern. Eine solche Pflicht besteht zwar nicht schlechthin. Sie ist aber nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast dann zu bejahen, wenn der Beklagte - wie hier - alle wesentlichen Tatsachen kennt oder kennen muß und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. Senatsurteile BGHZ 100, 190, 196; vom 12. Juli 1983 - VI ZR 280/81 - VersR 1983, 1035, 1037 und vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97 - VersR 1999, 774, 775). Nach diesen Grundsätzen hätte der Beklagte zumindest die Nummer der verabreichten Charge näher darlegen müssen, damit die Klägerin Indizien vortragen konnte, aus denen sich eine Kontamination dieser dem Ehemann der Klägerin verabreichten Charge PPSB ergeben hätte. Der Beklagte hat hierzu jedoch nichts im einzelnen dargelegt und insbesondere auch nicht vorgetragen, daß und weshalb ihm die Angabe der Chargennummer, welche Klarheit über
die Frage des Herstellungsdatums und damit die Art der Virusinaktivierung gebracht hätte, unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre. Angesichts der Patientenunterlagen und der nach dem Vortrag des Beklagten bestehenden Möglichkeit , aus den Apothekerunterlagen die Chargennummern der verabreichten anderen Blutprodukte vorzutragen, genügte es nicht, wenn der Beklagte sich darauf beschränkte, bei einer Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren für Daten sei es nicht verwunderlich, daß der Fall heute nicht mehr komplett nachvollzogen werden könne. Vielmehr hätte er vortragen müssen, aus welchen Gründen ihm die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Darlegung nicht möglich sei. Die Klägerin konnte die von ihr benötigten Informationen zu den Chargen nicht auf anderem Wege - insbesondere nicht aus den Patientenunterlagen ihres Ehemannes, die diese Angaben nicht enthalten - ermitteln und hatte daher ausreichend vorgetragen. (b) Die Einwendungen der Revision hiergegen greifen nicht durch. Zwar weist sie zu Recht darauf hin, daß Voraussetzung der "sekundären Darlegungslast" des Beklagten die Zumutbarkeit näherer Angaben ist. Auch mögen nähere Angaben zur HIV-Infektion der Charge dem Beklagten nicht ohne weiteres möglich gewesen sein, weil dieser das Blutprodukt nicht selbst hergestellt hat und deshalb auch nicht gehalten war, dessen Herstellung zu überwachen. Das Berufungsgericht hat jedoch im Rahmen der sekundären Darlegungslast des Beklagten lediglich die Angabe der Chargennummern, nicht nähere Angaben zu den Spendern verlangt. Die Chargennummern waren dokumentationspflichtig. Das ergibt schon ein Rückschluß aus der ausdrücklich als deklaratorisch bezeichneten Äußerung des Vorstandes der Bundesärztekammer vom 15. Oktober 1993, nach der die Pflicht des Arztes zur ordnungsgemäßen Dokumentation (vgl. Rat-
zel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 3. Aufl., § 10 Rn. 4) auch die Dokumentation der Chargennummern von Blutzubereitungen umfasse, weil dies Voraussetzung sei, Blutzubereitungen zum Empfänger später sicher zurückverfolgen zu können (AIDS-Forschung [AIFO] 1994, 39, 41). Anhaltspunkte dafür, daß eine solche Dokumentationspflicht 1985 noch nicht bestanden hätte, sind nicht ersichtlich und von der Revision auch nicht dargelegt. Die Revision meint, Rückfragen bei der B. AG und Vortrag hinsichtlich der HIV-Kontaminierung von PPSB-Produkten seien der Klägerin auch ohne die Chargennummern möglich gewesen. Deswegen müsse der Grundsatz gelten , daß keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1958 - II ZR 66/57 - WM 1958, 961, 962; Urteil vom 11. Juni 1990 - II ZR 159/89 - VersR 1990, 1254, 1255). Das geht fehl. Ungeachtet der Frage, ob es der Klägerin zumutbar und möglich gewesen wäre, ohne Eingrenzung auf eine bestimmte Charge von der B. AG Informationen über Fälle von HIV-Infizierung in allen Chargen von 1984 zu erlangen, hätte sie ihren Vortrag durch Anfrage ohne die Chargennummer nicht ausreichend substantiieren können. Ohne Zuordnung zu einer bestimmten Charge ist nämlich der Vortrag, daß 1984 bei B. AG infizierte PPSB-Produkte im Umlauf waren, nicht geeignet, die primär der Klägerin obliegende Darlegungslast zur Kontaminierung des bei ihrem Ehemann verwendeten Blutproduktes zu erfüllen. Für einen substantiierten Vortrag auch hinsichtlich der HIV-Kontaminierung benötigte die Klägerin die Chargennummer, zu deren Offenbarung der Beklagte - wie ausgeführt - prozeßrechtlich verpflichtet war.
Der Meinung der Revision, auch die Angabe der Chargennummer hätte der Klägerin keine näheren Angaben über die Spender ermöglicht, da wegen der Poolung der Humanplasmen bei der Herstellung des PPSB die Spenderdaten bereits nicht ermittelbar gewesen seien und zumindest wegen der abgelaufenen Zeit für die Aufbewahrung von Krankenunterlagen die Spenderdaten nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten, vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar ist es richtig, daß die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 2, 3 ZPO nicht dazu dient, der Klägerin über Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen, die sie auch gehabt hätte, wäre der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen. Der Beklagte hat jedoch die Chargennummer nicht vorgetragen, die für eine Darlegung der Kontaminierung seitens der Klägerin erforderlich gewesen wäre. Die Angabe von Spenderdaten war dagegen nicht zwingend erforderlich, um den Nachweis der Kontaminierung einer Charge zu ermöglichen. bb) Das Berufungsgericht hat - von der Revision unbeanstandet - festgestellt , daß aufgrund des bei der Erstvorstellung des Ehemanns der Klägerin in der Universitätsklinik F. im Jahre 1998 nachgewiesenen deutlichen Immundefekts und des mäßiggradig erhöhten Virussloads ein länger zurückliegender Infektionszeitpunkt von etwa zehn Jahren sehr wahrscheinlich ist und deshalb für M. andere Infektionsquellen als die 1985 verabreichten Blutprodukte ausscheiden. Der hiernach vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei bejahte Anscheinsbeweis wird durch die Ausführungen der Revision zu einem anderen möglichen Infektionsweg nicht erschüttert. Hierzu hätte es der konkreten Darlegung einer anderen Infektionsquelle, nicht nur einer theoretisch möglichen anderen Ursache bedurft (vgl. Senatsurteil vom 4. März 1997 - VI ZR 51/96 - VersR 1997, 835, 836; BGHZ 11, 227, 230 f.). Daß auch das verabreichte Biseko kontaminiert gewesen sein konnte, läßt die Haftung des Beklagten we-
gen der Verabreichung von kontaminiertem PPSB nicht entfallen. Soweit die Revision eine Infektionsmöglichkeit bei der Notarztbehandlung behauptet, fehlt es an jeglichem Vortrag dazu, aufgrund welcher tatsächlichen Anhaltspunkte es hier zu einer HIV-Infektion gekommen sein könnte. 3. Ohne Fehler hat das Berufungsgericht auch eine Pflicht der Ärzte des Beklagten bejaht, den Ehemann der Klägerin angesichts der zahlreichen Bluttransfusionen auf die Möglichkeit einer HIV-Infektion hinzuweisen und zu einem HIV-Test zu raten (nachträgliche Sicherungsaufklärung), was ihnen anläßlich seiner weiteren Krankenhausaufenthalte unschwer möglich gewesen wäre.
a) Eine Aufklärungspflicht über die Gefahren der Verabreichung von Blutprodukten entspricht den vom erkennenden Senat bereits früher aufgestellten Anforderungen an die Risikoaufklärung bei Bluttransfusionen (vgl. BGHZ 116, 379, 382 ff.). Die Aufklärungspflicht setzte keine sichere Kenntnis in Fachkreisen davon voraus, daß HIV-Infektionen transfusionsassoziiert auftraten; angesichts der erheblichen Beeinträchtigungen, die mit einer HIV-Infektion/AIDSErkrankung einhergehen, genügte für das Entstehen einer Aufklärungspflicht schon die ernsthafte Möglichkeit der Gefahr (vgl. Senatsurteil vom 21. November 1995 - VI ZR 329/94 - VersR 1996, 233). Daß 1985 die Möglichkeit transfusionsassoziierter HIV-Infektionen in Fachkreisen ernsthaft (wenn auch "zurückhaltend") diskutiert wurde, zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Ist eine präoperative Aufklärung wegen der Notfallbehandlung oder Unansprechbarkeit des schwer verunfallten Patienten - wie hier - nicht möglich, wandelt sich die Aufklärungsverpflichtung des Arztes gegenüber dem Patienten jedenfalls bei für den Patienten und dessen Kontaktpersonen lebensgefährli-
chen Risiken zu einer Pflicht zur alsbaldigen nachträglichen Selbstbestimmungs - und Sicherungsaufklärung. Dies liegt in der in ständiger Rechtsprechung angenommenen Pflicht von Ärzten und Krankenhausträg ern begründet, die höchstmögliche Sorgfalt anzuwenden, damit der Patient durch eine Behandlung nicht geschädigt wird. Im hier zu entscheidenden Fall kam die Pflicht hinzu dafür Sorge zu tragen, daß sich eine gefährliche Infektion nicht verbreitet (vgl. jetzt §§ 6, 7 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen - Infektionsschutzgesetz - vom 20. Juli 2000 - BGBl. I S. 1045 ff.; Senatsurteil vom 10. November 1970 - VI ZR 83/69 - VersR 1971, 227, 229; BGHZ 126, 386, 388 ff.; schon RG HRR 1932 Nr. 1828; Deutsch, Rechtsprobleme von AIDS, 1988, 15).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist im vorliegenden Fall auch nicht entscheidend, ob es eine standesrechtliche Verpflichtung für Ärzte gab, die Empfänger von Blutprodukten nachträglich zu ermitteln und sie zu einem Test zu bewegen. Der Ehemann der Klägerin war fortlaufend in Behandlung der Ärzte des Beklagten, die bei den Folgebehandlungen im Besitz der vollständigen Krankenunterlagen waren und wußten, daß ihm im Krankenhaus des Beklagten zahlreiche Blutprodukte verabreicht worden waren. Die Frage der Nachermittlung ehemaliger Empfänger stellte sich hier deshalb nicht.
c) Das Berufungsgericht hat entgegen der Rüge der Revision das Fehlen ärztlicher Richtlinien zur Frage der Sicherungsaufklärung gesehen und als nicht erheblich bewertet. Es ist unter Auswertung der Ausführungen des Sachverständigen und der von diesem ausgewerteten Literatur zu der Überzeugung gelangt, daß bereits im Jahre 1985 das Risiko einer transfusionsassoziierten HIV-Übertragung bekannt war, und hat daraus den Schluß gezogen, unabhängig von der Existenz standesrechtlicher Richtlinien sei der Patient über dieses
Risiko zumindest nachträglich zu informieren gewesen. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Revision unter Hinweis auf fehlende Richtlinien zur Aufklärung und die vom Streithelfer eingereichte Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes vom 6. Juni 1988 über die in Fachkreisen noch 1988 bestehende Unklarheit über die Sicherheit hinsichtlich des Risikos einer HIVInfektion bei der Anwendung von Blut oder Blutkonserven das Ergebnis des Berufungsgerichtes angreift, setzt sie ihre Beweiswürdigung an die Stelle der des Berufungsgerichtes. Das ist ihr verwehrt (§ 559 Abs. 2 ZPO). Im übrigen hat der Sachverständige hierzu ausgeführt, daß die von der Revision erwähnte Unklarheit nicht den Übertragungsweg des HIV-Erregers über die Transfusion, sondern die Virus-Sicherheit der Blutprodukte trotz entsprechender Testung betraf. Gegen die Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung spricht auch nicht das Fehlen von Richtlinien, da die Formulierung von Richtlinien notwendigerweise dem tatsächlichen Erkenntnisstand hinterherhinken muß (vgl. LG Hannover, NJW 1997, 2455, 2456). Fehler des Berufungsgerichts in der umfassenden und widerspruchsfreien Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Verhandlungen und den Beweisergebnissen oder Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sind nicht erkennbar.
d) Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen § 412 Abs. 1 ZPO verstoßen. Entgegen der Auffassung der Revision durfte es die Ausführungen des Sachverständigen Br. seiner Überzeugungsbildung zugrundelegen und war nicht gehalten, ein weiteres Gutachten eines Unfallchirurgen oder Transfusionsmediziners einzuholen. Ermessensfehler des Berufungsgerichts liegen nicht vor.
Die Einwendungen der Revision gegen die Sachkunde des Sachverständigen haben keinen Erfolg. Zwar ist der Sachverständige selbst nicht Arzt, sondern Diplom-Biologe; er verfügte aber aus seiner Tätigkeit im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das als Nachfolger des Bundesgesundheitsamts - der zentralen Anlaufstelle für das Problem der HIV-Infektionen in den achtziger Jahren - dessen Aktenbestand verwaltet (vgl. § 2 Abs. 3 Gesetz über die Nachfolgeeinrichtungen des Bundesgesundheitsamts vom 24. Juni 1994 - BGBl. I S. 1416), über die erforderliche Sachkunde hinsichtlich der 1985 aufgrund der Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsamts zur Verfügung stehenden Informationen über transfusionsassoziierte HIV-Infektionen. Zu klären war der allgemein bzw. in der Fachpresse allen Ärzte n zugängliche Informationsstand über derartige Infektionswege. Maßgeblich war nicht die Sicht eines 1985 "in einem ländlichen Krankenhaus tätigen Unfallchirurgen", wie die Revision meint; entscheidend waren vielmehr die für Ärzte 1985 allgemein gegebenen Informationsmöglichkeiten, die der Sachverständige dargestellt hat. Daß den Ärzten des Beklagten diese Informationsmöglichkeit en nicht zur Verfügung gestanden oder daß sich aus deren Informationsmöglichkeiten andere Erkenntnisse ergeben hätten, ist nicht ersichtlich und wird von der Revision nicht vorgetragen. Ebensowenig hat die Revision Vortrag vor dem Tatrichter dazu aufgezeigt , daß ein Sachverständiger für Unfallchirurgie oder Transfusionsmedizin über überlegene Forschungsmittel oder neuere Erkenntnisse verfügt hätte, die das Berufungsgericht hätte in Anspruch nehmen müssen (vgl. Senatsurteile vom 4. März 1980 - VI ZR 6/79 - VersR 1980, 533 und vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98 - VersR 1999, 716, 717 f.).
4. Zutreffend hat das Berufungsgericht ferner nicht nur den behandelten Patienten, sondern auch dessen zum Behandlungszeitpunkt noch nicht bekannten Ehepartner in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung über die Gefahr einer transfusionsassoziierten HIV-Infektion einbezogen.
a) Die gegenteilige Auffassung - insbesondere der vom Streithelfer für den Beklagten geführten Revision - wird nicht von der an sich zutreffenden Erkenntnis getragen, daß es sich bei den Ersatzansprüchen Dritter im Rahmen der §§ 844, 845 BGB um Ausnahmevorschriften handelt, deren Anwendungsbereich regelmäßig nicht auszudehnen ist. Der erkennende Senat hat bereits ausgeführt, daß es für den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unerheblich ist, daß der unmittelbare Schaden des Dritten durch die Verletzung einer anderen Person vermittelt worden ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 56, 163, 169). Der Grundsatz , daß für mittelbare Schäden außerhalb der §§ 844, 845 BGB deliktisch nicht gehaftet wird, gilt nur für Vermögensschäden, die aus der Verletzung eines Rechtsguts des Primärgeschädigten bei Dritten hervorgehen. Er beansprucht dagegen keine Geltung, wenn der Geschädigte - wie hier - einen Schaden erleidet, der in der Verletzung eines eigenen Rechtsguts des § 823 Abs. 1 BGB besteht und für den der Schädiger im Rahmen des Zurechnungszusammenhanges zu haften hat (vgl. von Gerlach, Festschrift für Steffen, 1995, 147, 150).
b) Soweit die Auffassung vertreten wird, es bedürfe einer personalen Sonderbeziehung um eine uferlose Ausweitung des Kreises der Ersatzberechtigten zu verhindern (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1994, 44), sind diese Erwägungen ersichtlich im Rahmen des Schockschadens, also eines psychisch vermittelten Schadens angestellt worden (vgl. RGRK/Steffen, BGB, 12. Aufl.,
§ 823 Rn. 11; Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 823 Rn. 27). Bei derartigen Schadensfällen dient die enge personale Verbundenheit dazu, den Kreis derer zu beschreiben, die den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als "normales" Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt empfinden. Dieser Gesichtspunkt hat keine Berechtigung in Fällen wie dem vorliegenden. Hier stehen im Vordergrund die besonderen Gefahren einer Infektion mit HIV nicht nur für den primär Infizierten, sondern - ähnlich wie bei einer Seuche wie Cholera - gerade auch für Dritte. Ebenso wie in BGHZ 114, 284 ff. nötigt die vorliegende Fallgestaltung nicht zur Entscheidung der Frage, ob jeder Dritte in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung fällt (vgl. BGHZ 126, 386, 393; von Gerlach aaO 154; weitergehend Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearbeitung, § 823, Rn. B 24 f.). Jedenfalls der Ehepartner oder ein ständiger Lebensgefährte des Patienten muß in den Schutzbereich der Sicherungsaufklärung einbezogen sein (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 284, 290). Das ist vom haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang her geboten, zumal mit einer HIV-Infektion Lebensgefahr verbunden ist. Bei dieser Erkrankung trägt die Behandlungsseite in besonderem Maße Verantwortung dafür, eine Verbreitung der lebensgefährlichen Infektion möglichst zu verhindern. Hinzu kommt, daß die Ärzte des Beklagten während einer der zahlreichen stationären Nachbehandlungen mit einem einfachen Hinweis an den Ehemann der Klägerin diesen zu einem Test hätten veranlassen und so die Gefahr einer Verbreitung der Infektion unschwer hätten verringern können. 5. Das Berufungsgericht ist - von der Revision nicht beanstandet und ohne Rechtsfehler - davon ausgegangen, daß im hier zu entscheidenden Fall der Wechsel in der Trägerschaft des Krankenhauses vom Streithelfer auf den Beklagten nicht entscheidungserheblich ist. Die Frage bedarf deshalb keiner
näheren Ausführungen, zumal der zweite Krankenhausaufenthalt des Ehemanns der Klägerin zwar noch unter der Trägerschaft des Streithelfers begann, aber erst unter der Trägerschaft des Beklagten endete. 6. Das Berufungsgericht hat schließlich eine Kürzung der Ansprüche der Klägerin nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld im Ergebnis zutreffend verneint. Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze vorliegend überhaupt eingreifen könnten, weil es - anders als in den bisher vom erkennenden Senat entschiedenen Fällen - nicht um ein sozialversicherungsrechtliches Haftungsprivileg geht (vgl. Senatsurteile BGHZ 61, 51, 55; vom 17. Februar 1987 - VI ZR 81/86 - NJW 1987, 2669, 2670; vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01 - VersR 2003, 1260, 1261 f.; vom 11. November 2003 - VI ZR 13/03 - VersR 2004, 202; vom 14. Juni 2005 - VI ZR 25/04 - z.V.b.; vgl. allerdings auch Senatsurteil vom 23. April 1985 - VI ZR 91/83 - VersR 1985, 763). Die Anwendung dieser Grundsätze würde jedenfalls voraussetzen, daß zwischen dem Beklagten und einem anderen Schädiger ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne von §§ 421, 840 Abs. 1 BGB besteht. Hiervon kann nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts indes nicht ausgegangen werden. Zwar müßte entgegen seiner Auffassung eine Haftung der B. AG nicht an der Kausalität scheitern, von der das Berufungsgericht selbst ausgegangen ist. Indessen fehlt es nach seinen tatsächlichen Feststellungen an dem für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses im Sinne des § 840 BGB erforderlichen Verschulden der B. AG bei der Herstellung des kontaminierten Blutprodukts. Erst die Erkennbarkeit eines Risikos kann Verpflichtungen des Herstellers im Sinne der Produktsicherung oder der Gefahrenabwehr auslösen. Eine nicht bekannte Entwicklungsgefahr geht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nicht zu Lasten des Herstellers, weil dieser nicht für unbekannte Entwicklungsfehler haftet (vgl. Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza 1526, S. 28 zu FN 145; Kuchinke
in: Festschrift für Laufke, 1971, S. 126; vgl. LG Bonn, AIFO 1994, 419 ff. zur Produzentenhaftung bei Herstellung von PPSB). Bei dieser Sachlage kann eine Verschuldenshaftung für Virusinfektionen durch Blutprodukte erst einsetzen, wenn der Virus erkennbar war und Möglichkeiten zu seiner Abtötung gegeben waren (vgl. Deutsch, VersR 1997, 905, 908; Reinelt, VersR 1990, 565, 571). Das Berufungsgericht hat hierzu revisionsrechtlich bindend festgestellt, daß hinreichend sichere Testverfahren zur Feststellung des Virus erst im Herbst 1985 zur Verfügung standen. Daß die B. AG das 1985 bei der Herstellung von
PPSB verwandte Pasteurisierungsverfahren schon 1984 hätte anwenden müssen , kann hiernach nicht angenommen werden. Die Revision legt auch nicht dar, daß das Berufungsgericht insoweit rechtsfehlerhaft Vortrag des Beklagten oder des Streithelfers zum Verschulden der B. AG übergangen hätte.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 239/06
Verkündet am:
17. Januar 2008
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ein aufgrund des Inserats eines Vermittlungsinstituts mit einer tatsächlich
nicht vermittlungsbereiten Person (Lockvogelangebot) zustande gekommener
Partnervermittlungsvertrag ist grundsätzlich nicht sittenwidrig im Sinne
des § 138 BGB. Er kann aber nach § 123 BGB anfechtbar sein.

b) Weder aus § 656 BGB noch aus der den Kunden eines Partnervermittlungsunternehmens
geschuldeten Diskretion folgt die Unzulässigkeit einer Zeugenvernehmung
des in der Anzeige Beschriebenen über die Behauptung eines
Lockvogelangebots.

c) Die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, Namen und Anschrift eines
nur ihr bekannten Zeugen mitzuteilen, kann nicht als Verletzung sekundärer
Darlegungslast, sondern lediglich als Beweisvereitelung im Rahmen
des § 286 ZPO gewürdigt werden.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - OLG Düsseldorf
LG Mönchengladbach
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter
Dr. Kapsa, Dörr, Dr. Herrmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. September 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Beklagte betreibt eine gewerbliche Partnervermittlung. Sie veröffentlichte am 8. September 2004 eine Zeitungsanzeige, in der eine "Bea" genannte und mit einem "Original-Kundenfoto" vorgestellte "attraktive, rassige" Frau über die Beklagte einen Partner suchte. Der Kläger wandte sich deswegen am 3. Oktober 2004 telefonisch an die Beklagte. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Am 6. Oktober 2004 kam es unter ebenfalls streitigen Umständen zu einem Treffen zwischen dem Kläger und einer Mitarbeiterin der Beklagten in der Wohnung des Klägers. Dabei unterzeichnete dieser ein Vertragsformular, in dem es unter anderem heißt: "Der Auftraggeber beauftragt die Firma D. GmbH mit der Dienstleistung gemäß der nachfolgenden Leistungsbeschreibung:
a) Umfangreiche Beratung durch einen Fachberater im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, in dem die speziellen Wünsche und Vorstellungen des Kunden von dem in Betracht kommenden Partner erfasst, besprochen und auf Stimmigkeit untersucht werden. Hierbei wird ein schriftlicher Personalbogen und Partnerwunschbogen erstellt.
b) Die so herausgearbeiteten Daten werden von dem erfahrenen D.-Team bewertet und nach einem bewährten System sorgfältig mit dem Kundenbestand der Fa. D. GmbH abgeglichen, um eine möglichst weitgehende Übereinstimmung der Partnerwünsche zu gewährleisten.
c) Auf der Grundlage dieses Abgleichs stellt die Fa. D. GmbH innerhalb einer Woche nach Vertragsabschluss 15 Partnervorschläge zusammen. Diese Partnervorschläge werden, soweit sie dem Auftraggeber nicht bereits übersandt worden sind, von der Fa. D. GmbH für die Dauer von sechs Monaten versendungsbereit gehalten. Der Auftraggeber kann diese Partnervorschläge dann jederzeit - auch kurzfristig und in gewünschter Anzahl - bei der Fa. D. GmbH abrufen. Mindestens ein Partnervorschlag wird dem Auftraggeber unaufgefordert übersandt. … Im Übrigen gelten für den Vertrag die folgenden allgemeinen Bedingungen :
1) Nach Übersendung eines Partnervorschlages ist es Sache des Auftraggebers, sich selbst um eine Kontaktaufnahme zu bemühen. Das Arrangieren von Treffen gehört nicht zum Tätigkeitsbereich der Fa. D. GmbH. …
5) Die Fa. D. GmbH übernimmt keine Garantie dafür, dass einzelne Vorschlagspartner an einer Kontaktaufnahme mit dem Auftraggeber interessiert sind. Ebenso wenig übernimmt die Fa. D. GmbH eine Garantie dafür, dass ihre Tätigkeit zu einer Bekanntschaft führt. Insbesondere erwirbt der Kunde durch den Abschluss dieses Vertrags keinen Anspruch auf die Vermittlung bestimmter Personen, etwa aus Inseraten der Fa. D. GmbH. Hinweis: Der Abschlussvertreter der Firma D. ist nicht berechtigt, den Kunden die Kontaktbereitschaft bestimmter Personen verbindlich zuzusichern. Maßgeblich für den Vertragsinhalt ist ausschließlich der schriftliche Vertrag.
6) Aus Gründen der Diskretion, die die Fa. D. GmbH allen ihren Kunden verbindlich zusichert, erscheinen Inserate von Personen grundsätzlich nicht mit eigenem Namen. Dies gilt auch dann, wenn ein übergebenes Bild in einem Inserat verwendet wird. …
2
Der Kläger zahlte das geforderte Honorar von 7.900 €. Von der Beklagten erhielt er drei Adressen potentieller Partnerinnen, jedoch nicht den von ihm gewünschten Kontakt zu der als "Bea" bezeichneten Frau. Daraufhin widerrief er mit Anwaltsschreiben vom 11. Oktober 2004 die Vereinbarung, kündigte sie und focht sie aus allen in Betracht kommenden Gründen an. Mit der Klage fordert er Rückzahlung des geleisteten Honorars.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte, abgesehen von daneben geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten , antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe


4
Die Revision ist begründet.

I.


5
Das Berufungsgericht hält den von den Parteien geschlossenen Partnervermittlungsvertrag für sittenwidrig und nichtig gemäß § 138 BGB, weil er aufgrund eines "Lockvogelangebots" zustande gekommen sei. Es führt dazu aus:
6
Ein sogenanntes Lockvogelangebot liege vor, wenn ein Vermittlungsinstitut mit einer angeblich partnersuchenden Kundin unter Verwendung des Originallichtbildes in der Kenntnis werbe, dass diese Kundin in Wahrheit nicht vermittlungsbereit sei und für eine Kontaktaufnahme von vornherein nicht zur Verfügung stehe. Ein Vertrag, der auf der Grundlage einer solchen Anwerbung geschlossen werde, sei sittenwidrig. Interessenten, die sich auf eine Kontaktanzeige hin mit dem Partnerschaftsvermittlungsinstitut in Verbindung setzten, verbänden damit regelmäßig die Vorstellung, sie hätten die Möglichkeit, mit dieser Kundin Kontakt aufzunehmen und sie kennenzulernen. Der Eindruck, den die in der Anzeige vorgestellte Kundin gerade auch aufgrund des veröffentlichten Originalbildes gemacht habe, sei nach der Beobachtung des Berufungssenats für die meisten Interessenten erst der Grund, sich überhaupt mit dem inserierenden Institut in Verbindung zu setzen. So liege der Fall auch hier. Denn der Kläger habe sich unstreitig bei seinem Anruf nach "Bea" erkundigt, die er unbedingt habe kennenlernen wollen. Die Tatsache, dass der Interessent dabei in dem Glauben gelassen werde, der Abschluss des Partnervermittlungsvertrags und die Zahlung des Honorars gebe ihm die Chance, seine "Traumfrau" kennenzu- lernen, obwohl dies bei fehlender Vermittlungsbereitschaft der Kundin von vornherein ausgeschlossen sei, begründe die Sittenwidrigkeit des Vertrags. Dabei falle insbesondere ins Gewicht, dass die Täuschung des Interessenten darauf gerichtet sei, dessen besondere Lebenssituation als alleinstehende Person und seine konkreten Hoffnungen auf Änderung seiner Situation aus Gewinnstreben auszunutzen. Eine andere Beurteilung sei auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil der Interessent nach dem Vertragsinhalt keinen Anspruch auf die Vermittlung bestimmter Personen habe. Denn diesen Hinweis könne er nur dahin verstehen, dass ihm die Kundin allein dann nicht vermittelt werde, wenn sie entweder aufgrund eigener Wünsche an einer Kontaktaufnahme mit diesem Interessenten nicht interessiert sei oder wenn sich aufgrund dessen eigener Vorstellungen ergebe, dass die Kundin diesen nicht entspreche.
7
Das Berufungsgericht legt ferner seiner Entscheidung die Behauptung des Klägers als unbestritten zugrunde, dass es sich bei der Kundin "Bea" um einen solchen "Lockvogel" gehandelt habe. Das Bestreiten der Beklagten sei nicht zu berücksichtigen und unbeachtlich, weil sie der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast verspätet (§ 296 Abs. 1 ZPO), nämlich trotz Hinweises des Senats vom 12. April 2006 unter Fristsetzung zum 5. Mai 2006 erst im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. August 2006 durch Angabe des Namens und der ladungsfähigen Anschrift der Zeugin genügt habe. Für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers spreche, dass die Beklagte eine Vielzahl von Anzeigen gleichen Inhalts in unterschiedlichen Regionen (Coesfeld, Syke, Bremen) und über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschaltet habe. Angesichts der Tatsache, dass "Bea" nach den Angaben der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung in Belgien wohnen solle, erscheine ihre Bereitschaft, sich an einen Interessenten in Bremen oder Coesfeld vermitteln zu lassen, noch zweifelhafter. Außerdem sei dem Kläger ohne Angabe von Grün- den die Telefonnummer oder Adresse von "Bea" nicht mitgeteilt worden. Dieser sei auf derartige Indizien angewiesen, um beurteilen zu können, ob eine Vermittlungsbereitschaft tatsächlich vorgelegen habe. Die Einführung derart vermuteter Tatsachen als Behauptung in den Rechtsstreit sei grundsätzlich zulässig. Insoweit treffe die Beklagte eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast. Sie habe daher den Verdacht ausräumen müssen, dass es sich bei "Bea" um einen "Lockvogel" gehandelt habe. Hierzu sei es erforderlich gewesen darzulegen, warum dem Kläger trotz seines Interesses die Adresse von "Bea" nicht mitgeteilt worden sei, und weiter, deren ladungsfähige Anschrift mitzuteilen. Dem sei die Beklagte teils nicht, teils erst verspätet nachgekommen.
8
Der Beklagten sei es zumutbar gewesen, Namen und Anschrift der Kundin Bea anzugeben, um dem Kläger einen Beweisantritt zu ermöglichen. Die Unzumutbarkeit der Namensnennung ergebe sich nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur fehlenden Klagbarkeit von Ansprüchen aus einem Partnervermittlungsvertrag. Zwar gälten hiernach die im Hinblick auf Ehemaklerverträge angestellten Überlegungen zu Peinlichkeiten und Unzumutbarkeiten einer andernfalls häufig unumgänglichen Beweisaufnahme über Art und Umfang der Tätigkeit gleichermaßen für die Vermittlung einer Partnerschaft. Soweit jedoch das Oberlandesgericht Koblenz (NJW-RR 2004, 268) hieraus schließe, dass sich infolgedessen eine Beweisaufnahme "zur Befragung der von der Partnervermittlungsagentur der Kundin offerierten Partner" verbiete, folge ihm das Berufungsgericht nicht. Damit würde dem Kunden der Einwand, er sei von dem Partnerschaftsvermittlungsinstitut getäuscht worden, abgeschnitten und er insoweit rechtlos gestellt. Bei der Abwägung zwischen den Interessen eines klagenden Kunden und dem Diskretionsinteresse der zu vermittelnden Kunden trete Letzteres zurück, zumal mittlerweile zumindest in Frage gestellt werde, ob die Regelung des § 656 BGB noch zum Schutze der Intimsphäre unverzichtbar sei. Hinzu komme, dass diejenigen Kunden, die sich mit einer Veröffentlichung ihres Lichtbilds in einer Kontaktanzeige einverstanden erklärt hätten, sich eines Teils des Schutzes selbst begeben hätten. Die Beklagte habe auch keine Umstände genannt, die eine Nennung der ladungsfähigen Anschrift von "Bea" tatsächlich unzumutbar erscheinen ließen. Die von ihr angeregte anonyme Vernehmung der Kundin sehe die Zivilprozessordnung nicht vor. Ebenso wenig habe die Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt. Eine Zulassung des neuen Verteidigungsvorbringens würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern.

II.


9
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht bereits in der Einschätzung, ein aufgrund eines "Lockvogelangebots" (oder "Lockangebots", vgl. OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2001, 1364) geschlossener Partnervermittlungsvertrag sei gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig.
10
1. Der Begriff des "Lockvogelangebots" entstammt, wie die Revision zutreffend anführt, dem Wettbewerbsrecht. Er bezeichnet dort eine besonders preisgünstig angebotene Ware, die nicht oder nur in einer im Verhältnis zur Nachfrage völlig unzureichenden Menge vorhanden ist (Köhler in Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, 26. Aufl. 2008, § 4 Rn. 10.196; Bornkamm, aaO, § 5 Rn. 8.1). Eine solche Werbung ist nach § 5 Abs. 1 und 5 UWG in der Fassung vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414) irreführend und unlauter im Sinne des § 3 UWG. Nach früherem Wettbewerbsrecht konnte sie zugleich auf der Grundlage des § 1 UWG a.F. sittenwidrig sein (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, § 1 UWG Rn. 258).
11
2. Daraus allein lässt sich indes ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB nicht herleiten. Der unbestimmte Rechtsbegriff der guten Sitten hatte in § 1 UWG a.F. mit Rücksicht auf jeweils unterschiedliche Zielsetzung und Rechtsfolgen nicht dieselbe Bedeutung wie in § 138 BGB (BGHZ 110, 156, 174 - HBVFamilien - und Wohnungsrechtsschutz; 117, 280, 286; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - I ZR 10/96 - NJW 1998, 2531, 2532 - Co-Verlagsvereinbarung m.w.N.). Für die Beurteilung als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB ist vielmehr entscheidend, ob das Rechtsgeschäft nach seinem aus Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar ist (BGHZ 110 aaO; 146, 298, 301; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 aaO; Urteil vom 29. Juni 2005 - VIII ZR 299/04 - NJW 2005, 2991, 2992 m.w.N.). Einer solchen Beurteilung steht im Streitfall aber entgegen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch einen durch Täuschung bewirkten Vertragsschluss nicht wie nach § 138 BGB als von vornherein nichtig behandelt, sondern durch die Sonderregelung des § 123 BGB lediglich dessen Anfechtbarkeit bestimmt und es dadurch der Entscheidung des Getäuschten überlässt, ob er nachträglich die Nichtigkeit dieses Rechtsgeschäfts herbeiführen will. Ist daher ein Rechtsgeschäft durch arglistige Täuschung (oder widerrechtliche Drohung) zustande gekommen, so kann § 138 BGB neben § 123 BGB nur dann anwendbar sein, wenn weitere Umstände als die unzulässige Willensbeeinflussung hinzutreten, die das Geschäft seinem Gesamtcharakter nach als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1987 - II ZR 166/87 - NJW 1988, 902, 903; Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 245/86 - NJW 1988, 2599, 2601 zur Drohung; Urteil vom 26. September 1995 - XI ZR 159/94 - NJW 1995, 3315; Versäumnisurteil vom 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01 - NJW 2002, 2774, 2775 ebenfalls zur Drohung). Solche besonderen Umstände zeigt das Berufungsgericht nicht auf; sie sind aus dem festgestellten Sachverhalt auch nicht erkennbar. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene besondere Lebenssituation des Interessenten als alleinstehender Person und dessen konkrete Hoffnungen auf eine Änderung dieser Lage sowie das Gewinnstreben des Vermittlers werden vom Anfechtungstatbestand des § 123 BGB erfasst. Von der Ausbeutung einer Zwangslage oder einem ähnlich gewichtigen , erheblich über den typischen Tatbestand einer arglistigen Täuschung hinausgehenden Vorwurf, mit dem § 138 BGB den Makel der Sittenwidrigkeit verbindet, kann nicht gesprochen werden. Auch für ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (vgl. zum Eheanbahnungsdienstvertrag BGHZ 87, 309, 316 ff.), auf das sich der Kläger in den Tatsacheninstanzen berufen hat und das im landgerichtlichen Urteil geprüft und verneint worden ist, geben die Feststellungen des Berufungsgerichts nichts her. Im Revisionsverfahren werden Rügen hierzu auch nicht erhoben.

III.


12
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich ebenso wenig aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
13
1. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger seine Willenserklärung wirksam gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten hat und das Rechtsgeschäft somit aus diesem Grunde nichtig ist (§ 142 Abs. 1 BGB).
14
a) Eine Anfechtung des Vertrags aus sämtlichen in Betracht kommenden Gründen hat der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 11. Oktober 2004 erklärt. Die erforderliche arglistige Täuschung wäre in der Werbung von Kunden mit einem tatsächlich nicht zur Verfügung stehenden "Lockvogel", nämlich einer angeblich einen Partner suchenden, aber nicht vermittlungsbereiten Person zu sehen. Dass die Beklagte in ihren Vertragsbedingungen einen Anspruch des Kunden auf die Vermittlung bestimmter Personen, etwa aus von ihr geschalteten Inseraten, ausschließt, ist nach der zutreffend am Empfängerhorizont orientierten und auch sonst rechtsfehlerfreien Auslegung des Berufungsgerichts ohne Belang.
15
b) Jedoch durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung die Behauptung des Klägers, bei der in den Anzeigen der Beklagten vorgestellten Kundin "Bea" habe es sich in diesem Sinne um ein "Lockvogelangebot" gehandelt, nicht mit Rücksicht auf die sekundäre Darlegungslast der Beklagten als unbestritten zugrunde legen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
16
aa) Die Beklagte trifft in dieser Beziehung zwar zutreffend eine sekundäre Darlegungslast. Steht ein darlegungspflichtiger Kläger außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Beklagte alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast sein einfaches Bestreiten nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind (BGHZ 86, 23, 29; 100, 190, 196; 140, 156, 158 f.; 163, 209, 214; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Juni 2007 - X ZR 87/06 - NJW 2007, 2549, 2553 Rn. 46). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (vgl. BGHZ 140 aaO S. 159). So liegt es auch hier.

17
bb) Diesen Anforderungen ist die Beklagte jedoch in dem erforderlichen Umfang nachgekommen. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts hat sie eine Kopie des mit Frau S. geschlossenen Partnervermittlungsvertrags vorgelegt und behauptet, bei dieser Kundin handele es sich um die im Inserat beschriebene "Bea". Die Beklagte hat weiter deren "Kundenprofil" mit einer Liste angeblich von "Bea" abgelehnter Kontaktvorschläge zwischen dem 22. Januar 2004 und dem 31. März 2006 vorgelegt. Wenngleich sich auch aus diesem Vorbringen nicht ergibt, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist, weshalb die Beklagte dem Kläger trotz seines Interesses nicht die Adresse oder Telefonnummer von "Bea" mitgeteilt hat, war doch eine grundsätzliche Vermittlungsbereitschaft der Kundin nunmehr durch Tatsachenvortrag untermauert und der gegenteilige Sachvortrag des Klägers hiermit substantiiert bestritten.
18
cc) Zu Unrecht verlangt das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der sekundären Darlegungslast von der Beklagten darüber hinaus die Preisgabe von Namen und ladungsfähiger Anschrift der Zeugin. Die Benennung eines Zeugen mit den nach § 373 ZPO notwendigen Angaben einschließlich dessen ladungsfähiger Anschrift ist nicht mehr Teil des den Parteien obliegenden Tatsachenvortrags, sondern Element der sich daran anschließenden und auf dem Parteivorbringen beruhenden Beweisführung. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast finden darum hierauf keine Anwendung. Die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, einen nur ihr bekannten Zeugen ohne triftigen Grund namhaft zu machen, kann daher nur im Rahmen der Beweiswürdigung als Beweisvereitelung zu deren Lasten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1960 - VI ZR 220/58 - NJW 1960, 821; MünchKomm/ Prütting, ZPO, 3. Aufl., § 286 Rn. 81; Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 28. Aufl., § 286 Rn. 19).

19
c) Ob der Beklagten bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht in diesem Sinne eine schuldhafte Beweisvereitelung zur Last fiel, lässt der Senat offen. Eine solche Beweisvereitelung hätte jedenfalls nicht wie mangelndes (substantiiertes) Bestreiten ohne weiteres dazu geführt, dass nunmehr nach § 138 Abs. 3 ZPO vom Klägervortrag auszugehen wäre. Diese Feststellung wäre vielmehr allein auf der Grundlage des § 286 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände möglich gewesen.
20
aa) Allerdings ist richtig, dass eine Vernehmung der Zeugin "Bea" zu der Behauptung eines Lockvogelangebots prozessual zulässig gewesen wäre. Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es der Beklagten trotz der ihrer Kundin grundsätzlich geschuldeten Diskretion nicht unzumutbar war, deren Namen und Anschrift preiszugeben, und dass einer Beweiserhebung auch nicht diejenigen Gründe entgegenstanden, die den Gesetzgeber zum Ausschluss der Klagbarkeit eines Anspruchs auf Ehemaklerlohn veranlasst haben.
21
(1) Durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zum Eingehen einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe wird nach § 656 Abs. 1 BGB eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das aufgrund des Versprechens Geleistete kann freilich nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Dabei war für die Reichstagskommission, auf deren Vorschlag die Bestimmung zurückgeht , entscheidend, dass das "Nehmen und Geben eines Lohnes für Heiratsvermittlung" mit dem "sittlichen Charakter der Ehe" nicht vereinbar sei (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. Band, 1899, S. 1292 f.) Daneben war die Überlegung maßgebend, dass die Prozesse wegen Heiratsvermittlung "zu den allergrößten Ärgernissen Anlass" gäben (Mugdan aaO; vgl. BGHZ 112, 122, 124 f. = NJW 1990, 2550, 2551 m. Anm. Börstinghaus und Peters). Der Bundesgerichtshof hat den Anwendungsbereich dieser Vorschriften auf ähnliche Vertragsverhältnisse wie Eheanbahnungsdienstverträge (BGHZ 87, 309, 312 ff.) und Partnerschaftsvermittlungs -Dienstverträge (BGHZ 112, 122, 124 ff.; Senatsurteil vom 4. März 2004 - III ZR 124/03 - NJW-RR 2004, 778, 779) erstreckt. Dem lag nicht zuletzt die Vorstellung zugrunde, wie bei der Ehevermittlung und Eheanbahnung bestehe hier ein schützenswertes Diskretionsbedürfnis des Kunden. Die im Urteil vom 4. Dezember 1985 (IVa ZR 75/84 - NJW 1986, 927, 928) angestellten Erwägungen zu Peinlichkeiten und Unzumutbarkeiten einer bei Klagbarkeit häufig unumgänglichen Beweisaufnahme über Art und Umfang der Tätigkeit gälten mindestens ebenso bei der Vermittlung einer Partnerschaft. Das Grundgesetz schütze die Würde des Menschen und dessen freie Persönlichkeitsentfaltung ohne Rücksicht darauf, ob eine Eheschließung angestrebt werde oder nicht (BGHZ 112, 122, 126; Senatsurteil vom 4. März 2004 aaO; siehe auch BVerfGE 20, 31, 33 = NJW 1966, 1211).
22
(2) Aus diesen Überlegungen lässt sich indessen nicht darüber hinaus ein umfassendes Beweiserhebungsverbot (hierzu allgemein Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 284 Rn. 11, § 286 Rn. 15a ff.) über die Leistungen des Vermittlers in Ehemaklersachen oder gleich gelagerten Rechtsstreitigkeiten begründen. Auf den gegenüber Zeugen erforderlichen Persönlichkeitsschutz hat der Gesetzgeber im Regelfall mit den Bestimmungen über das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen oder sachlichen Gründen (§§ 383, 384 ZPO) hinreichend Rücksicht genommen. Liegen deren Voraussetzungen nicht vor, oder beruft sich der Zeuge nicht auf sein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht , so ist die Vernehmung selbst bei einem Eindringen in die an sich ge- schützte Privatsphäre des Zeugen im Interesse der Rechtspflege grundsätzlich unbeschränkt zulässig; notfalls kann zum Schutz des Zeugen auch die Öffentlichkeit nach § 171b GVG ausgeschlossen werden. Von diesen Regelungen macht § 656 Abs. 1 BGB nur mittelbar und insoweit eine Ausnahme, als es allein um die vereinbarte Vergütung aus dem Ehemaklervertrag, Dienstvertrag oder einem ähnlichen Vertragsverhältnis geht. Den dabei zu befürchtenden Unzuträglichkeiten und Peinlichkeiten wollte der Gesetzgeber, ohne in die prozessualen Regeln über die Beweiserhebung einzugreifen, schon - und nur - auf der Ebene des materiellen Rechts mit einem Ausschluss der Klagbarkeit des Maklerlohnanspruchs begegnen. Das begrenzt zugleich den für den Rechtsanwender bestehenden Auslegungsspielraum. Streiten die Parteien um andere Sachoder Rechtsfragen, wie hier um den Vorwurf der arglistigen Täuschung, ist für eine analoge Anwendung des § 656 Abs. 1 BGB und die dort normierte Rechtsfolge - unvollkommene Verbindlichkeit - trotz möglicherweise ähnlicher Schutzbedürftigkeit einzelner Prozessbeteiligter kein Raum. Damit verbietet sich zugleich ein darauf gegründetes Beweiserhebungsverbot im Widerspruch zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden grundsätzlichen Anspruch der Parteien auf Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die gegenteilige Auffassung im Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. Oktober 2003 (NJW-RR 2004, 268, 269 f.) ist ohne gesetzliche Grundlage (ablehnend auch Musielak/Foerste, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 286 Rn. 7; Wichert, ZMR 2007, 241, 245).
23
bb) Eine Beweisvereitelung setzt indessen weiter voraus, dass die Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Das Verschulden muss sich dabei sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegen- wärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 23. November 2005 - VIII ZR 43/05 - NJW 2006, 434, 436 m.w.N.). In Fällen, in denen es um die verweigerte Entbindung eines Zeugen von seiner Schweigepflicht ging, hat der Bundesgerichtshof ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten gefordert (Urteil vom 27. Januar 1988 - IVb ZR 82/86 - NJW-RR 1988, 962, 964; Senatsbeschluss vom 26. September 1996 - III ZR 56/96 - NJW-RR 1996, 1534). Angesichts dessen, dass die Beklagte sich für ihre Rechtsauffassung auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz berufen konnte und die Rechtslage bis dahin ungeklärt war, bestehen bereits gegen einen Schuldvorwurf Bedenken. Das mag aber auf sich beruhen. Als Folge einer Beweisvereitelung kämen lediglich Beweiserleichterungen in Betracht, die zwar bis zu einer Umkehr der Beweislast gehen können (BGH, Urteil vom 23. November 2005 aaO), für die aber alle Umstände des Falles - im Streitfall neben dem allenfalls geringen Verschulden der Beklagten auch, dass diese letztendlich doch die Identität der Zeugin offen gelegt hat - zu berücksichtigen sind. Eine solche Abwägung ist dem Tatrichter vorbehalten; das Revisionsgericht kann sie nicht nachholen.
24
2. Zu der nach dieser Sachlage sich nunmehr stellenden Frage, ob der Kläger den mit der Beklagten geschlossenen Partnervermittlungsvertrag jedenfalls als Haustürgeschäft widerrufen (§ 312 BGB) oder ihn nach § 626 BGB oder § 627 BGB alsbald kündigen konnte (zur Anwendbarkeit des § 627 BGB bei abweichenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen siehe Senatsurteil vom 19. Mai 2005 - III ZR 437/04 - NJW 2005, 2543), hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Für eine rechtliche Beurteilung aus diesem Blickwinkel fehlt es damit an einer Grundlage.

IV.


25
Nach alledem kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Schlick Kapsa Dörr
Herrmann Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 05.08.2005 - 11 O 36/05 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.09.2006 - I-15 U 148/05 -

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZR 82/06
vom
16. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Beglaubigungsabkommen Deutschland - Frankreich vom 13. September 1971

a) Die beglaubigte Abschrift einer französischen Akte erbringt regelmäßig den vollen
Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen.

b) Das Gericht darf die beglaubigte Abschrift einer französischen Akte nicht deshalb
außer Betracht lassen, weil sie in französischer Sprache verfasst ist.
BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VIII ZR 82/06 - OLG Karlsruhe
LG Heidelberg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger,
den Richter Dr. Koch und die Richterin Dr. Hessel

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. Februar 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.567 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Kläger nimmt - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch von Interesse - den Beklagten zu 2 auf Kaufpreisrückzahlung und Schadensersatz in Anspruch, weil dieser ihm ein Auto verkauft hat, das - nach der Behauptung des Klägers - zuvor in Frankreich gestohlen worden war.
2
Der Kläger erwarb von dem Beklagten zu 2 mit Kaufvertrag vom 17. Juli 2001 einen gebrauchten R. . Anschließend verkaufte er das Fahr- http://www.juris.de/jportal/portal/t/8gk/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE013400314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8gk/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE313362005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8gk/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE313362005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 3 - zeug seinem Bruder, der es wiederum an einen in Frankreich lebenden Onkel veräußerte.
3
Der Kläger behauptet, das Auto sei in Frankreich gestohlen worden, bevor der Beklagte zu 2 es ihm verkauft habe. Nachdem sein Bruder das Fahrzeug an den Onkel weiterverkauft habe, sei es von der französischen Polizei beschlagnahmt worden. Der Beklagte zu 2 habe ihm deshalb kein Eigentum an dem Auto verschafft und hafte ihm wegen anfänglichen Unvermögens.
4
Der Kläger verlangt von dem Beklagten zu 2 die Zahlung von 20.576 € nebst Zinsen.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger seinen Klageantrag gegen den Beklagten zu 2 weiterverfolgt.

II.

6
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, § 544 Abs. 6 und 7 ZPO; Art. 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat und deshalb die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 5. April 2005 - VIII ZR 160/04 , NJW 2005, 1950, unter I).
7
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: http://www.juris.de/jportal/portal/t/7yf/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE013400314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/7yf/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=KVRE274599701&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 4 -
8
Dem Kläger sei der Beweis, dass das Fahrzeug in Frankreich gestohlen worden sei, bevor der Beklagte zu 2 es ihm verkauft habe, nicht gelungen. Aufgrund der Aussage des Zeugen E. sei keine Überzeugung davon zu gewinnen , dass das Fahrzeug gestohlen worden sei. Auch aus dem Zusammenwirken der vom Kläger vorgelegten Ablichtungen und der Aussage des Zeugen E. folge nicht der Beweis des Diebstahls. Die vom Kläger vorgelegten Ablichtungen von Urkunden seien selbst nicht als Urkunden anzusehen. Sie seien damit kein zulässiges Beweismittel, sondern nur Gegenstand der freien Beweiswürdigung. Zweifel an der Übereinstimmung der Ablichtungen mit den Originalen seien begründet, weil es bei der Zulassung des Fahrzeugs in Deutschland keine Suchmeldung gegeben habe. Hinzu komme, dass der Kläger trotz entsprechender Hinweise des Landgerichts nicht in der Lage gewesen sei, Originale der Kopien vorzulegen. Durch die Aussage des Zeugen E. seien die durch diese Umstände begründeten Zweifel an der Übereinstimmung der Ablichtungen mit den Urkunden nicht ausgeräumt worden.
9
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das Grundrecht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 96, 205, 216 m.w.Nachw.). Das Berufungsgericht hat hiergegen verstoßen, indem es entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers außer Acht gelassen hat.
10
Das Berufungsgericht hat zwar nicht übersehen, dass der Kläger die von ihm zum Beweis seiner Behauptung, das Fahrzeug sei in Frankreich gestohlen worden, in erster Instanz vorgelegten Ablichtungen in der Berufungsinstanz durch weitere Fotokopien ergänzt hat. Es hat aber nicht berücksichtigt, dass der Kläger vorgetragen hat, bei diesen in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2005 vorgelegten Ablichtungen handele es sich - anders als bei den in erster Instanz vorgelegten unbeglaubigten Fotokopien - um beglaubigte Abschriften der französischen Ermittlungsakte, durch sie werde nachgewiesen, dass das Fahrzeug in Frankreich gestohlen worden sei.
11
Das Berufungsurteil beruht auf diesem Verfahrensfehler, da nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte. Hätte das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers berücksichtigt, er habe eine beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte vorgelegt, und sich damit auseinandergesetzt, dass eine solche beglaubigte Abschrift den vollen Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen erbringt, dann hätte es die Behauptung des Klägers, das Fahrzeug sei in Frankreich gestohlen worden, möglicherweise als erwiesen angesehen.
12
a) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen nach § 415 Abs. 1 ZPO, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs.
13
Die Bestimmung des § 415 Abs. 1 ZPO gilt, wie sich aus § 438 ZPO ergibt , auch für ausländische öffentliche Urkunden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., § 415 Rdnr. 3, § 438 Rdnr. 2; BVerwG, NJW 1987, 1159, m.w.Nachw.). Bei der Urschrift der nach dem Vorbringen des Klägers in beglaubigter Abschrift vorgelegten Ermittlungsakte einschließlich der darin enthaltenen Strafanzeige des M. A. und des Abschlussberichts der Polizei M. handelt es sich um französische öffentliche Urkunden. Nach Art. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Befreiung öffentlicher Urkunden von der Legalisation vom 13. September 1971 (ratifiziert durch Gesetz vom 30. Juli 1974, BGBl. II S. 1074 ff.; im folgenden : "Abkommen") sind für die Anwendung dieses Abkommens unter anderem Urkunden einer Staatsanwaltschaft bei einem Gericht (Art. 2 Nr. 1 Alt. 2 des Abkommens) und Urkunden einer Verwaltungsbehörde (Art. 2 Nr. 2 des Abkommens) als öffentliche Urkunden anzusehen. Um solche Urkunden handelt es sich hier. Die Ermittlungsakte ist eine Urkunde der Staatsanwaltschaft ("Procureur de la République") bei dem Tribunal de Grande Instance de Lyon. Die in der Ermittlungsakte enthaltene Strafanzeige und der Abschlussbericht sind Urkunden der Polizei M. , die - wie aus dem Vermerk auf der Strafanzeige "MINISTERE DE L'INTERIEUR" hervorgeht - dem französischen Innenminister nachgeordnet ist und bei der es sich demnach um eine Verwaltungsbehörde handelt.
14
Eine öffentliche Urkunde kann gemäß § 435 Satz 1 Halbs. 1 ZPO nicht nur in Urschrift, sondern auch in einer beglaubigten Abschrift, die hinsichtlich der Beglaubigung die Erfordernisse einer öffentlichen Urkunde an sich trägt, vorgelegt werden. Die nach Darstellung des Klägers von ihm vorgelegte beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte genügt diesen Anforderungen. Der auf dem ersten Blatt des Konvoluts aufgestempelte Vermerk, der die Übereinstimmung der beglaubigten Abschrift mit dem Original bestätigt ("COPIE CERTIFIÉE CONFORME A L’ORIGINAL"), ist von einem "Greffier en Chef", also einem französischen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, ausgestellt. Nach Art. 4 i.V.m. Art. 2 Nr. 1 Alt. 4 des Abkommens sind Beglaubigungen von Abschriften, die ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle erteilt hat, als öffentliche Urkunden anzusehen.
15
Voraussetzung für die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde ist ferner deren Echtheit und Unversehrtheit (Zöller/Geimer, aaO, vor § 415 Rdnr. 1). Die Echtheit ausländischer öffentlicher Urkunden hat das Gericht grundsätzlich nach den Umständen des Falles zu ermessen, wobei zum Beweis der Echtheit die Legalisation genügt (§ 438 ZPO). Da es sich bei der Beglaubigung des französischen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle allerdings um eine in Frankreich errichtete und mit einem amtlichen Stempel versehene öffentliche Urkunde handelt, bedarf sie zum Gebrauch in Deutschland nach Art. 1 des Abkommens keiner Legalisation. Sie hat daher entsprechend § 437 Abs. 1 ZPO die Vermutung der Echtheit für sich (vgl. Zöller/Geimer, aaO, § 438 Rdnr. 1).
16
b) Die nach dem Vorbringen des Klägers von ihm vorgelegte beglaubigte Abschrift der Ermittlungsakte begründet demnach gemäß § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen. An diese gesetzliche Beweisregel, die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) weitgehend einschränkt (Zöller/Geimer, aaO, vor § 415 Rdnr. 1), ist das Gericht zwar nicht gebunden, wenn eine Anordnung des Gerichts, dass der Beweisführer die Urschrift vorlege oder die Tatsachen angebe und glaubhaft mache, die ihn an der Vorlegung der Urschrift verhindern, erfolglos bleibt; dann entscheidet das Gericht gemäß § 435 Satz 2 ZPO nach freier Überzeugung, welche Beweiskraft der beglaubigten Abschrift beizulegen ist. Eine solche Anordnung hat das Berufungsgericht hinsichtlich der in der Berufungsinstanz vorgelegten Abschriften jedoch nicht getroffen, so dass es bei der gesetzlichen Beweisregel des § 415 Abs. 1 ZPO bleibt.
17
Die - wie für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu unterstellen ist - beglaubigte Abschrift der Ermittlungsakte erbringt demnach vollen Beweis zwar nicht für die inhaltliche Richtigkeit (innere oder materielle Beweiskraft ), jedoch für die Abgabe (äußere oder formelle Beweiskraft) der darin beur- kundeten Erklärungen (Zöller/Geimer, aaO, § 415 Rdnr. 5; BGH, Beschluss vom 14. August 1986 - 4 StR 400/86, JZ 1987, 522; Urteil vom 6. Juli 1979 - I ZR 135/77, NJW 1980, 1000, unter II 2). Die in ihr enthaltene Strafanzeige des M. A. beweist demnach, dass M. A. am 8. April 2000 Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls erstattet und dabei bekundet hat, am 8. April 2000 um 17.05 Uhr sei ein etwa 20jähriger Mann mit schwarzer Hautfarbe in den der Firma A. gehörenden grauen R. , der in einer Garage in M. geparkt gewesen sei und an dem die Schlüssel noch gesteckt hätten, eingestiegen und sei damit in Richtung der "p. " weggefahren. Sie erbringt ferner Beweis dafür, dass M. A. eine Fahrgestellnummer des gestohlenen Fahrzeugs angegeben hat, die - wie aus einem Vergleich mit dem Kaufvertrag des Klägers und des Beklagten zu 2 vom 17. Juli 2001 hervorgeht - mit der Fahrgestellnummer des verkauften Fahrzeugs übereinstimmt. Der gleichfalls in der beglaubigten Abschrift der Ermittlungsakte enthaltene Abschlussbericht der Polizei M. beweist schließlich , dass die Polizei M. aufgrund der Strafanzeige des M. A. von einem Diebstahl des Fahrzeugs ausgegangen ist.
18
Das Berufungsgericht hätte, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, prüfen müssen, ob in den Erklärungen des M. A. und den Feststellungen der Polizei M. Anhaltspunkte zu sehen sind, die darauf schließen lassen, dass das Fahrzeug, wie der Kläger behauptet hat, in Frankreich gestohlen worden war.
19
Das Berufungsgericht durfte die beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte auch nicht etwa deshalb außer Betracht lassen, weil sie in französischer Sprache verfasst ist. Das Berufungsgericht hätte die Ermittlungsakte auch ohne Übersetzung berücksichtigen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1988 - IVb ZB 10/88, NJW 1989, 1432, unter II 2). Andernfalls hätte es http://www.juris.de/jportal/portal/t/8me/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=8&numberofresults=59&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE063903301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 9 - nach § 142 Abs. 3 Satz 1 ZPO anordnen können, dass der Kläger eine Übersetzung beibringt, oder es hätte entsprechend § 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO eine Übersetzung von Amts wegen einholen müssen (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 142 Rdnr. 6).

III.

20
Das Revisionsgericht kann in Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 544 Abs. 7 ZPO in dem der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschluss unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Koch Dr. Hessel
Vorinstanzen:
LG Heidelberg, Entscheidung vom 27.07.2005 - 5 O 2/05 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 21.02.2006 - 1 U 172/05 -

Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 169/04 Verkündet am:
21. Oktober 2005
Wilms
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 242 Ce, 862 Abs. 1, 906, 1004 Abs. 1

a) Sollen mit dem aus Besitz bzw. Eigentum abgeleiteten Unterlassungsanspruch
wiederholte gleichartige Störungen abgewehrt werden, die zeitlich unterbrochen
auftreten, löst jede neue Einwirkung einen neuen Anspruch aus; die im Rahmen
des Einwands der Verwirkung für die Beurteilung des Zeitmoments maßgebliche
Frist beginnt jeweils neu zu laufen.

b) Das Fehlen einer notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigung stellt für die
Frage der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung nur ein Kriterium von mehreren
dar. Entscheidend ist eine Würdigung aller Umstände, ausgerichtet am Empfinden
eines "verständigen Durchschnittsmenschen", insbesondere unter Berück-
sichtigung der nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB maßgeblichen Grenz- oder
Richtwerte.
BGH, Urteil vom 21. Oktober 2005 - V ZR 169/04 - OLG Stuttgart
LG Rottweil
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die
Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Czub und Dr. Roth

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. Juli 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin zu 2 ist Nießbrauchsberechtigte eines Hausgrundstücks, welches sie seit 1991 mit dem Kläger zu 1, ihrem Ehemann, bewohnt. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich das Grundstück der Beklagten , die dort ein von ihrem verstorbenen Ehemann übernommenes Fuhrunternehmen betreibt.
2
Der Ehemann der Beklagten erhielt 1970 die Genehmigung zum Bau eines Wohnhauses mit zwei Pkw-Garagen und zwei Lkw-Garagen „als Fuhrgeschäft“ sowie für eine oberirdische Heizöllagerung von 12.000 Litern. Das Wohnhaus mit den zwei Pkw-Garagen wurde erstellt, die beiden Lkw-Garagen hingegen nicht. Statt dessen legte der Ehemann der Beklagten Abstellplätze für bis zu drei Lkw an. Er errichtete zudem eine 1972 nachträglich zugelassene Eigenverbrauchstankstelle, die inzwischen stillgelegt wurde. Von einer 1978 erteilten Genehmigung für den Neubau einer Montagegrube machte er keinen Gebrauch. Heute besteht der Fuhrpark aus zwei oder drei Lastkraftwagen, davon mindestens zwei Tanklastzügen, die als Gefahrguttransporter eingesetzt werden.
3
Seit 1998 wenden sich die Kläger mit zahlreichen Eingaben an Behörden und an den Petitionsausschuss des Landtags Baden-Württemberg sowie mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage vergeblich gegen den - zeitweilig bis zu acht Lastkraftwagen umfassenden - Fuhrbetrieb. Sie fühlen sich durch Anund Abfahrten der Lastzüge, durch Dieselabgase und insbesondere durch an Samstagen ausgeführte Wartungs- und Reparaturarbeiten beeinträchtigt.
4
Das Landgericht hat die vorliegende Klage, mit der die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung der Benutzung ihres Grundstücks als Fuhrbetrieb mit Tanklastzügen und Hängerzügen sowie für die Durchführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten verlangen, abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Klage stattgegeben. Mit ihrer von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


I.


5
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist es bei der Prüfung der Wesentlichkeit und der Ortsüblichkeit von Immissionen ein sachgerechter Ansatz, ob die emittierende Anlage mit oder ohne behördliche Genehmigung betrieben wird. Ein nicht genehmigter Betrieb könne nicht ortsüblich sein. Das Fehlen der notwendigen Genehmigung spreche zudem so lange für eine Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks, wie nicht feststehe, dass die Anlage ohne Einschränkungen genehmigungsfähig sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in einem zwischen den Klägern und der Gemeinde geführten Rechtsstreit sei der gesamte Fuhrbetrieb der Beklagten materiell baurechtswidrig und in seiner Ausprägung nicht genehmigungsfähig. Damit sei nach den von dem Bundesgerichtshof aufgestellten Darlegungs - und Beweisregeln vorgegeben, dass von dem Betrieb der Beklagten Einwirkungen ausgingen, welche die Benutzung des Grundstücks der Kläger wesentlich beeinträchtigten. Da die Genehmigungsfähigkeit einer typisierenden Betrachtung folge, komme es nicht darauf an, ob hier Lärmschutzvorschriften eingehalten seien. Ob Immissionsunterlassungsansprüche verwirkt werden könnten, brauche nicht entschieden zu werden, denn die Voraussetzungen für eine Verwirkung lägen nicht vor.
6
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.


7
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, dass das Berufungsgericht eine Überraschungsentscheidung getroffen und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 139 ZPO verstoßen habe. Entgegen ihrer Ansicht war es nicht verpflichtet, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der möglichen Verwirkung des Unterlassungsanspruchs ihren Vortrag zu dem sogenannten Umstandsmoment für nicht ausreichend hielt.
8
Zwar trifft es zu, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen kann, dass das Berufungsgericht ihr rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO gibt, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (BGH, Urt. v. 27. April 1994, XII ZR 16/93, WM 1994, 1823, 1824 m.w.N.). Aber diese Situation war hier nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht, wie die Beklagte meint, die Klageabweisung (auch) damit begründet, die Kläger müssten sich den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen. Vielmehr hat es den Gesichtspunkt der Verwirkung lediglich angesprochen, ohne darüber eine Entscheidung zu treffen. Zudem bestand für das Berufungsgericht auch deshalb keine Hinweispflicht , weil das Problem der Verwirkung von Beginn an eine der zentralen Fragen des Rechtsstreits und auch Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht war; dabei hat es den Parteien den weiteren Verfahrenslauf aufgezeigt, falls der Gesichtspunkt der Verwirkung nicht zum Tragen kommen sollte. Bei dieser Sachlage war die Beklagte auch ohne richterlichen Hinweis gehalten, umfassend zu den beiden Elementen der Verwirkung, dem Zeit- und dem Umstandsmoment, vorzutragen. Außerdem schließt die Vorgehensweise des Berufungsgerichts die Annahme aus, es habe eine Überraschungsentscheidung zu Lasten der Beklagten getroffen.
9
2. Ebenfalls erfolglos macht die Revision geltend, der Anspruch der Kläger gegen die Beklagte sei verwirkt. Allerdings kann hier offen bleiben, ob - wie das Berufungsgericht gemeint hat - das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nicht erfüllt ist; denn es fehlt an dem ebenfalls notwendigen Zeitmoment.
10
a) Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (ständige Rechtsprechung, siehe nur Senat, BGHZ 122, 308, 315 m.w.N.; BGH, Urt. v. 14. November 2002, VII ZR 23/02, NJW 2003, 824). Die Verwirkung ist somit ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB); sie kann im gesamten Privatrecht eingewendet werden (Senat, BGHZ 122, 308, 314). Verwirkt werden können nur subjektive Rechte, weil nur bei ihnen davon gesprochen werden kann, ihre Ausübung stehe in Widerspruch zu der länger andauernden Nichtausübung, die bei dem Schuldner einen entsprechenden Vertrauenstatbestand begründet hat (BGH, Beschl. v. 1. Juli 1994, BLw 95/93, WM 1994, 1944, 1945). Der Verwirkung unterliegen dingliche Rechte nicht, wohl aber die daraus folgenden Ansprüche (Bamberger /Roth/Grüneberg, BGB, § 242 Rdn. 163; MünchKomm-BGB/Roth, 4. Aufl., § 242 Rdn. 298; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 242 Rdn. 107; Soergel /Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdn. 335; Staudinger/J. Schmidt, BGB [1995], § 242 Rdn. 538). Mithin bestehen keine Bedenken, auch die aus Besitz bzw. Eigentum abgeleiteten Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach §§ 862 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB dem Einwand der Verwirkung auszusetzen (vgl. Senat, Urt. v. 22. Juni 1990, V ZR 3/89, NJW 1990, 2555, 2556).
11
b) Bei Unterlassungsansprüchen der hier vorliegenden Art ist zu unterscheiden : Sollen wiederholte gleichartige Störungen abgewehrt werden, die zeitlich unterbrochen auftreten, löst jede neue Einwirkung einen neuen Anspruch aus (Bamberger/Roth/Grüneberg, aaO; Palandt/Heinrichs, aaO; ebenso RG JW 1935, 1775 für den Schadensersatzanspruch). Die für die Beurteilung des Zeitmoments maßgebliche Frist beginnt jeweils neu zu laufen, so dass es in der Regel - mit Ausnahme besonders langer Unterbrechungen - an dem Zeitmoment fehlt. Ob das auch für die Abwehr ununterbrochen andauernder Einwirkungen gilt (vgl. Senat, Urt. v. 14. Oktober 1994, V ZR 76/93, WM 1995, 300, 301 für den Beginn der Ausschlussfrist des § 864 Abs. 1 BGB), kann offen bleiben. Solche Immissionen sind nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
12
3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch eine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks durch Immissionen angenommen, die von dem Grundstück der Beklagten herrühren. Die Feststellungen in dem Berufungsurteil rechtfertigen das nicht.
13
a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht - stillschweigend - davon ausgegangen, dass den Klägern ein Unterlassungsanspruch nach §§ 862 Abs. 1 Satz 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 1065 BGB gegen die Beklagte als Betreiberin des störenden Fuhrunternehmens zustehen kann; richtig ist auch, dass ein solcher Anspruch nicht nach § 864 Abs. 1 BGB durch Fristablauf erloschen und die Zulässigkeit der Immissionen am Maßstab des § 906 BGB zu messen ist (vgl. Senat, Urt. v. 14. Oktober 1994, V ZR 76/93, WM 1995, 300, 301).
14
b) Fehlerhaft hat das Berufungsgericht aber den Vortrag der Beklagten für unerheblich gehalten, die von ihrem Grundstück ausgehenden Lärmemissionen lägen unterhalb der in den Vorschriften der TA-Lärm für Mischgebiete enthaltenen Grenzwerte. Das zeigt, dass das Berufungsgericht die für seine Ansicht herangezogene Rechtsprechung des Senats missverstanden hat. Es hat die für den Erfolg des Unterlassungsanspruchs notwendige Unterscheidung zwischen einer wesentlichen Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks und einer ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB) verkannt. In seinem Urteil vom 30. Oktober 1998 hat der Senat nicht den Grundsatz aufgestellt, dass die von einem Betrieb auf ein Nachbargrundstück einwirkenden Immissionen als wesentlich anzusehen sind, wenn dieser bauplanungsrechtlich nicht genehmigt und auch nicht genehmigungsfähig ist; vielmehr hat er es lediglich für rechtlich unbedenklich gehalten, bei der Erheblichkeitsprüfung die Tatsache mit zu berücksichtigen, dass die für den Betrieb notwendige behördliche Genehmigung fehlt (BGHZ 140, 1, 6 f.). Hinsichtlich der ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks hat der Senat entschieden, dass eine vorhandene Genehmigung nicht automatisch die Ortsüblichkeit begründet, sondern dafür nur einen Anhalt bietet; das Fehlen einer notwendigen Genehmigung schließt allerdings die Ortsüblichkeit aus (BGHZ 140, 1, 9), jedenfalls dann, wenn es auch an der Genehmigungsfähigkeit fehlt (vgl. Wenzel, NJW 2005, 241, 245). Das verdeutlicht, dass bei der für die Feststellung der Wesentlichkeit erforderlichen Würdigung der Gesamtumstände das Fehlen der öffentlich-rechtlichen Genehmigung nur ein einzelnes Kriterium ist. Es kann zu dem Ergebnis führen, dass die von dem Betriebsgrundstück ausgehenden Emissionen die Benutzung des Nachbargrundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen und deshalb kein Unterlassungsanspruch des Nachbarn besteht. Dass der Betrieb aus öffentlich-rechtlichen Gründen wegen fehlender Genehmigung nicht aufrechterhalten bleiben dürfte, ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks somit nicht von alleiniger Bedeutung. Maßgeblich bleibt, ob im konkreten Fall von dem Betrieb Immissionen ausgehen, die sich nach dem Empfinden eines "verständigen Durchschnittsmenschen" als wesentlich darstellen (Senat BGHZ 148, 261, 264 m.w.Nw.). Dabei können die nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB maßgeblichen Regelwerke, in denen Grenz- oder Richtwerte für Immissionen festgelegt sind, nicht außer Betracht gelassen werden.
15
4. Unter diesen Gesichtspunkten wird das Berufungsgericht dem Vortrag der Beklagten nachzugehen haben, die von ihrem Grundstück ausgehenden Lärmemissionen lägen unterhalb der maßgeblichen Grenzwerte.
16
a) Trifft das zu, ist zunächst von der Unwesentlichkeit der Lärmbeeinträchtigung für die Benutzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks auszugehen (§ 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB); es ist dann Sache der Kläger, Umstände darzulegen und zu beweisen, welche diese Indizwirkung erschüttern (Senat, Urt. v. 13. Februar 2004, V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1318). Dazu haben sie bisher nichts vorgetragen, weil sie zu Unrecht davon ausgegangen sind, von der Beklagten wegen der fehlenden baurechtlichen Genehmigung die Unterlassung der Benutzung des Grundstücks zum Befahren, Abstellen sowie zur Reparatur und Wartung von Lastkraftwagen verlangen zu können. Insoweit müssen die Kläger gegebenenfalls Gelegenheit zu weiterem Vortrag erhalten.
17
b) Bestätigt sich der Vortrag der Beklagten nicht, werden die maßgeblichen Grenz- oder Richtwerte also überschritten, rechtfertigt das allerdings nicht ohne weiteres die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks , sondern indiziert lediglich das Vorliegen einer solchen (Senat, grundstücks, sondern indiziert lediglich das Vorliegen einer solchen (Senat, Urt. v. 13. Februar 2004, V ZR 217/03, aaO). Der Beklagten wird damit nicht die Möglichkeit abgeschnitten, eine nur unwesentliche Beeinträchtigung darzulegen und zu beweisen.
18
c) Die indizielle Bedeutung der Einhaltung oder Nichteinhaltung von Grenz- oder Richtwerten muss das Berufungsgericht beachten. Es kann im Rahmen seines Beurteilungsspielraums unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung des Empfindens eines verständigen Durchschnittsmenschen von dem Regelfall abweichen und trotz Unterschreitens der Werte eine wesentliche Beeinträchtigung annehmen oder eine solche trotz Überschreitens der Werte verneinen.
19
5. Das Berufungsgericht wird auch Feststellungen zu der Wesentlichkeit der von den Klägern ebenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen durch das Einsickern von Schweröl in den Boden und durch die Abgase der LkwMotoren treffen müssen. Falls es wegen einer oder mehrerer Immissionen eine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks feststellt, wird es aufzuklären haben, ob sie durch eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks der Beklagten herbeigeführt wird und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Verneint es die Ortsüblichkeit, muss es den Klägern die Möglichkeit zu einer Anpassung ihres Unterlassungsantrags geben. Die Parteien und das Berufungsgericht haben nämlich bisher übersehen, dass der Störer regelmäßig zwischen verschiedenen zur Abhilfe geeigneten Maßnahmen wählen kann, es also grundsätzlich ihm überlassen bleibt, auf welchem Weg er die Beeinträchtigung abwendet; daher kann der Beeinträchtigte in der Regel lediglich die Vornahme geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung der Beeinträchtigung verlangen und der Urteilsausspruch nur allgemein auf Unterlassung von Störungen bestimmter Art lauten (Senat, Urt. v. 12. Dezember 2003, V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037 m.w.N.). Hier haben die Kläger jedoch bisher die Verurteilung der Beklagten zu einer konkreten Maßnahme beantragt, die das Berufungsgericht auch ausgesprochen hat. Das ist aber nur dann zulässig, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet oder wenn weitere Maßnahmen zwar möglich sind, vernünftigerweise jedoch nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden können (Senat, Urt. v. 12. Dezember 2003, V ZR 98/03, aaO). Dazu fehlt es bisher an Parteivortrag und an Feststellungen des Berufungsgerichts.

III.


20
Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Krüger Klein Lemke
Czub Roth
Vorinstanzen:
LG Rottweil, Entscheidung vom 02.02.2004 - 3 O 351/03 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 22.07.2004 - 2 U 27/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
ZWISCHENURTEIL
X ZR 159/05 Verkündet am:
13. Oktober 2009
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2009 durch
den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning, Dr. Berger,
Dr. Grabinski und Dr. Bacher im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum
21. September 2009 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:
Das Verfahren ist unterbrochen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte, ein zum US-amerikanischen S. -Konzern gehörendes Unternehmen, ist eingetragene Inhaberin des am 18. Oktober 1994 angemeldeten , auch für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 723 516 (Streitpatents), das einen Tankdeckel für Kraftfahrzeuge betrifft und 17 Patentansprüche umfasst. Die Klägerin wird aus dem Streitpatent in Anspruch genommen. Das Landgericht Düsseldorf hat den Verletzungsprozess mit Blick auf das vorliegende Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt. Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, dessen Lehre sei nicht neu und ergebe sich jedenfalls für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Tech- nik. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.
2
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in geänderten Fassungen.
3
Während des Berufungsverfahrens, mit Anträgen vom 27. Juli 2009, haben die Konzern-Muttergesellschaft - S. P. Corp. - und mehrere Konzernunternehmen , darunter die Beklagte, sich an den "United State Bankruptcy Court, District of Delaware" gewandt, um in das Verfahren nach Kapitel 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code (im Folgenden: Chapter 11 B.C.) einzutreten. Mit Entscheidung vom 29. Juli 2009 hat das Gericht die Verfahren der einzelnen Unternehmen zu prozessualen Zwecken verbunden.
4
Die Beklagte meint, infolge ihres Antrags nach Chapter 11 B.C. sei das Berufungsverfahren unterbrochen. Die Klägerin widerspricht dem, fordert die Beklagte im Übrigen auf, den Rechtsstreit aufzunehmen und erklärt dessen Aufnahme schließlich selbst.

Entscheidungsgründe:


5
Nachdem die Unterbrechungswirkung zwischen den Parteien streitig ist, ist durch Zwischenurteil auszusprechen, dass der Rechtsstreit unterbrochen ist (§ 303 ZPO; vgl. dazu BGHZ 82, 209, 218). Das kann mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren geschehen (§ 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
6
I. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Unterbrechungswirkung infolge eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens sind in den §§ 352 und 343 InsO geregelt. Nach § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO wird durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens ein im Inland anhängiger Rechtsstreit unterbrochen , der zur Zeit der Eröffnung anhängig ist und die Insolvenzmasse betrifft. Unter welchen Voraussetzungen die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Einzelfall nicht anerkannt werden kann, ergibt sich aus § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 InsO. Danach ist die Anerkennung zu versagen , wenn die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zuständig sind oder die Anerkennung gegen den deutschen ordre public verstößt.
7
II. Die nach beiden Vorschriften für den Eintritt der Unterbrechungswirkung erforderlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Das von der Beklagten eingeleitete Verfahren nach Chapter 11 B.C. ist, was näher auszuführen sein wird, ein Insolvenzverfahren i.S. der §§ 352, 343 InsO. Der Anerkennung seiner Eröffnung stehen keine Gründe nach § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 InsO entgegen. Das vorliegende Nichtigkeitberufungsverfahren betrifft die Insolvenzmasse, weil durch seinen Ausgang darüber entschieden wird, ob der Masse mit dem Streitpatent ein Vermögensgegenstand entzogen wird oder erhalten bleibt.
8
1. Der Eintritt der Unterbrechung (§ 352 Abs. 1 Satz 1 InsO) bzw. die Anerkennung des ausländischen Verfahrens nach § 343 InsO setzen voraus, dass ein "Insolvenzverfahren" vorliegt. Als ein solches Verfahren werden Auslandsverfahren nicht völlig schrankenlos anerkannt, sondern nur, wenn damit in etwa die gleichen Ziele verfolgt werden wie mit den in der Insolvenzordnung vorgesehenen Verfahren (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts, BT-Drucks. 15/16, S. 21). Den in § 1 InsO for- mulierten Zielen des Insolvenzverfahrens dienen neben Verfahren, die in erster Linie auf alsbaldige Liquidation des Schuldnervermögens angelegt sind, auch solche, durch die - wie bereits im früheren deutschen Vergleichsverfahren - der Bestand eines Unternehmens trotz des Vorliegens von Insolvenzgründen erhalten werden soll, sofern mit diesen Verfahren auch das Ziel der Befriedigung der Gläubiger verfolgt wird (vgl. insoweit die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für eine Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 236; ferner BAG, Urt. v. 27.2.2007 - 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047 Tz. 19). In der Insolvenzordnung ist diese Zielsetzung durch Anerkennung solcher Verfahren als Insolvenzverfahren verwirklicht, bei denen die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger nicht nur in der Weise bewirkt wird, dass das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird, sondern auch dadurch, dass in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. InsO).
9
2. Dieser zuletzt genannten Zielsetzung entspricht das Verfahren nach Chapter 11 B.C. - dem das deutsche Insolvenzplanverfahren im Übrigen in wesentlichen Bereichen nachgebildet ist (vgl. Smid/Rattunde, Der Insolvenzplan, S. 44 2.35; BAG, aaO Tz. 20).
10
a) Das Verfahren nach Chapter 11 B.C. zielt - worauf die Überschrift hindeutet ("reorganization", vgl. vor § 1101 B.C.) - auf die Reorganisierung und Sanierung eines Unternehmens dadurch, dass ein Reorganisationsplan ausgearbeitet wird, der von den Gläubigern angenommen und vom Gericht bestätigt werden muss und der Teilerlass und/oder Stundung zum Inhalt hat (vgl. §§ 1121 ff. B.C. und dazu Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit "Chapter 11", S. 11 ff.; Habscheid, Grenzüberschreitendes (internationales) In- solvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, S. 92 f.; Jander, RIW 1993, 547, 551 ff.).
11
b) Auch der gesetzliche Zweck der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger (§ 1 InsO) ist im Verfahren nach Chapter 11 B.C. verwirklicht. Das Verfahren mag, wie die Klägerin ausführt, durch die Art und Weise, wie die Eröffnung des Verfahrens den Handlungsspielraum des antragstellenden Unternehmens am Markt beeinflussen kann, insbesondere unter Wettbewerbsgesichtspunkten Kritik ausgesetzt sein. Es ist entgegen der Ansicht der Klägerin gleichwohl ein auch dem Schutz der Gläubiger in ihrer Gesamtheit dienendes Verfahren. Es sieht zur Vermeidung einer Schmälerung der Insolvenzmasse durch den Zugriff derjenigen Gläubiger, die bereits Rechtshandlungen (Prozesse , Vollstreckungs- bzw. sonstige Beitreibungshandlungen) eingeleitet haben, um individuell Befriedigung aus dem Schuldnervermögen zu erlangen, vom Zeitpunkt der Antragstellung an eine Aussetzung ("automatic stay") solcher Rechtshandlungen vor (vgl. zum Gläubigerschutzzweck des "automatic stay" Kemper, aaO, S. 90). Wird das Verfahren, wie vorliegend, vom Schuldner eingeleitet (voluntary case, § 301 Satz 1 B.C.), so bewirkt die bloße Antragstellung Rechtsschutz (order for relief, § 301 Satz 2 B.C.) in Gestalt des "automatic stay", der alle in § 362 Subsection (a), Nr. (1) - (8) B.C. aufgeführten Rechtshandlungen gegen den Schuldner erfasst. Hinzu kommt, dass in einem gemäß §§ 1121 ff. B.C. aufzustellenden Insolvenzplan die gegen das Schuldnervermögen gerichteten Forderungen bzw. die dieses Vermögen betreffenden Anteilsrechte in verschiedene Klassen aufzuteilen sind und zu spezifizieren ist, wie diese (anteilig) behandelt werden sollen, wobei außerdem sicherzustellen ist, dass die jeweils einer Forderungs- bzw. Anteilsklasse zugeordneten Rechte ohne Weiteres dieselbe Behandlung erfahren (vgl. § 1122, § 1123 a (1)-(4) B.C.; zur Planaufstellung auch Kemper, aaO, S. 151 ff.; Hinrichs, Insolvenzbewältigung durch Optionen?, S. 61 ff.).
12
c) Die Abweichungen im Verfahrensablauf und in der Rechtstellung der Beteiligten im Verfahren nach Chapter 11 B.C. gegenüber dem deutschen Insolvenzverfahren rechtfertigen es nicht, die Einordnung als Insolvenzverfahren i.S. von §§ 352, 343 InsO zu verneinen.
13
aa) Dass der Schuldner im amerikanischen Reorganisationsverfahren prinzipiell die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behält (debtor in possession , § 1101 (1) B.C.) und ein Verwalter ("trustee") nur ausnahmsweise ernannt wird (vgl. Kemper, aaO, S. 56; Habscheid, aaO, S. 111 unter 4), entspricht zwar insoweit nicht der Ausgestaltung des Insolvenzbeschlags nach deutschem Recht, als hier das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig auf den Insolvenzverwalter übergeht (vgl. Mohrbutter /Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., § 6 Rdn. 161 ff.). Ein solcher Übergang ist jedoch auch im nationalen Recht nicht ausnahmslos vorgesehen, sondern der Schuldner kann unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 270 InsO), wenn auch unter Bestellung eines Sachwalters (vgl. § 270 Abs. 3, §§ 274, 275 InsO), zur Eigenverwaltung berechtigt sein. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens mit Eigenverwaltung des Schuldners gleichwohl die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO nach sich zieht (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.2006 - V ZB 93/06, ZIP 2007, 249). Den Eintritt der Unterbrechungswirkung nach § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO anzuzweifeln, wenn bzw. solange die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach dem ausländischen Recht prinzipiell beim Schuldner verbleibt, ist danach nicht gerechtfertigt. Aus den Regelungen in § 352 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 343 Abs. 2 InsO folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nichts Abweichendes, sondern lediglich, dass ein Rechtsstreit schon dann unterbrochen ist, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Das rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass die Unterbrechungswirkung ausgeschlossen sein soll, wenn diese Befugnisse nicht übergehen.
14
bb) Auch andere Besonderheiten des Verfahrens nach Chapter 11 B.C. rechtfertigen es nicht, ihm den Charakter eines Insolvenzverfahrens i.S. des deutschen Rechts abzusprechen.
15
(1) Allerdings bedarf es bei der hier gegebenen Antragstellung durch den Schuldner nach § 301 Satz 1 B.C. (voluntary petition) nicht des Nachweises eines Insolvenzeröffnungsgrundes, es reicht dafür vielmehr im Allgemeinen aus, dass (geringe) Verbindlichkeiten des Schuldners bestehen. Darin mag ein signifikanter Unterschied zum früheren deutschen Konkursrecht zu sehen sein. Nach dem geltenden Insolvenzrecht ist indes im Falle der Antragstellung durch den Schuldner bereits die drohende Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund anerkannt, wodurch sich die Abweichungen des amerikanischen Rechts als zwar graduell durchaus erheblich, aber nicht prinzipiell erweisen und der Charakter des Verfahrens nach Chapter 11 als Insolvenzverfahren deshalb nicht infrage gestellt werden kann.
16
(2) Die Eröffnung des amerikanischen Reorganisationsverfahrens setzt ferner nicht voraus, dass darüber eine förmliche Gerichtsentscheidung, etwa nach Art eines Eröffnungsbeschlusses nach deutschem Recht, ergeht, sondern die Eröffnung des Verfahrens wird durch die bloße Antragstellung bewirkt (vgl. Kemper, aaO, S. 24; BAG ZIP 2007, 207 Tz. 15). Ungeachtet dessen ist das Verfahren in der Folge als ein gerichtliches ausgestaltet, insbesondere im Zusammenhang mit der Bestätigung des Reorganisierungsplans. Soweit außerdem allein die Antragstellung die Rechtsfolge der Aussetzung anhängiger Verfahren (automatic stay) nach § 362 (a) B.C. nach sich zieht, wird dies dadurch kompensiert, dass der Verfahrensstillstand, worauf zurückzukommen sein wird, auf der Grundlage von § 362 (d) - (g) B.C. aufgehoben werden kann (vgl. dazu Kemper, aaO, S. 99 ff.).
17
Gründe dafür, dem Verfahren nach Chapter 11 B.C. die Anerkennung als Insolvenzverfahren i.S. der §§ 352 und 343 InsO zu verweigern, liegen danach nicht vor (ebenso BAG ZIP 2007, 2047; OLG Frankfurt am Main ZIP 2007, 932). Damit ist gemäß § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO das Nichtigkeitsberufungsverfahren unterbrochen.
18
3. Ob hinsichtlich dieser gesetzlichen Unterbrechung ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn nach der lex fori concursus keine vergleichbare Wirkung eintritt und danach eine Aufnahme nicht in Betracht kommt, bedarf keiner Erörterung. Die Klägerin will zwar geltend machen, der "automatic stay" nach § 362 B.C. erfasse nur Passivprozesse des Schuldners, während die Beklagte im Berufungsrechtszug als (Berufungs-)Klägerin agiere. Die Stellung der Beklagten im Berufungsrechtszug ändert jedoch nichts daran, dass es sich für sie um einen Passivprozess handelt. Dafür ist die erstinstanzliche Parteirolle maßgeblich. Aus der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des United State Bankruptcy Appellate Panel of the Ninth Circuit vom 8. Dezember 1994 (Anl. CMS 4) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dem Verständnis der Klägerin wurde dort die Berufung des Schuldners gegen die Abweisung seiner Klage nicht dem "automatic stay" unterstellt, weil es sich um eine Klage des Schuldners und nicht um eine solche gegen ihn handelte (Schriftsatz v.
26.8.2009, S. 6 f.). Eine solche Konstellation liegt im Streitfall nicht vor, weil der Patentinhaberin im Nichtigkeitsverfahren die Beklagtenrolle zugewiesen ist. Selbst wenn aus weiteren Ausführungen des Gerichts ("… Given this freedom for the debtor or the trustee to prosecute the debtor's claims, an equitable principle of fairness requires a defendant to be allowed to defend himself from the attack without imposing on him a gratuitous impediment in dealing with an adversary who suffers no correlative constraint. The automatic stay should not tie the hands of a defendant while the plaintiff debtor is given freedom rein to litigate …", vgl. S. 5 f. der Entscheidung unter *338), die Schlussfolgerung gezogen würde, dass ein Aktivprozess des Schuldners nicht im Berufungsverfahren als Passivprozess dem "automatic stay" unterfällt, wenn der verurteilte Prozessgegner Berufung einlegt, ergäbe sich daraus vorliegend nichts zugunsten der Klägerin, weil das Nichtigkeitsverfahren für die Beklagte, wie ausgeführt, erstinstanzlich kein Aktivprozess ist.
19
4. Die Voraussetzungen für die Anerkennung des von der Beklagten eingeleiteten Verfahrens nach Chapter 11 B.C. als Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens nach § 343 Abs. 1 InsO liegen vor.
20
a) Unschädlich ist, dass die Verfahrenseröffnung, wie ausgeführt, allein durch den Antrag des Schuldners, ohne Hinzutreten einer gerichtlichen Entscheidung darüber, bewirkt wird. Die förmliche Eröffnung durch ein Gericht ist nach § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO nicht erforderlich (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts, BT-Drucks. 15/16, S. 21; BAG ZIP 2007, 2047 Tz. 23). Die Anerkennung wäre insoweit lediglich ausgeschlossen, wenn das mit dem Insolvenzverfahren befasste Gericht nach deutschem Recht international nicht zuständig wäre. Die Zuständigkeit amerikanischer Insolvenzgerichte (Bankruptcy Courts) ist jedoch in Anlehnung an § 3 InsO zu bejahen (vgl. zur internationalen Zuständigkeit in Insolvenzfällen BAG ZIP 2007, 2047 Tz. 24). Die Beklagte hat ihren Sitz in den Vereinigten Staaten und es liegen - auch wenn es im Streitfall um die Vernichtung eines ihr erteilten europäischen Patents geht - keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO zu verneinen sein könnte, zumal die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag auch in den Vereinigten Staaten von der Beklagten wegen Patentverletzung in Anspruch genommen worden ist.
21
b) Die Anerkennung führt im Streitfall auch nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre, also gegen den deutschen ordre public verstieße (vgl. BT-Drucks. 15/16, S. 21). Ob mit der Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens Ordrepublic -Verstöße einhergehen, ist auf zwei Ebenen zu prüfen (vgl. MünchKomm.InsO-Reinhart, § 343 Rdn. 19 ff., 45).
22
aa) In erster Linie ist nach § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO darauf abzustellen , ob bereits die Eröffnung selbst aufgrund verfahrensrechtlicher Mängel gegen den deutschen ordre public verstößt. In einem solchen Fall entfaltet das ausländische Verfahren im Inland keinerlei Wirkungen (Reinhart, aaO Rdn. 45). Entsprechende Mängel des von der Beklagten eingeleiteten Verfahrens nach Chapter 11 B.C. sind weder dargetan noch ersichtlich. Zwar ist Gegenstand der Anerkennung regelmäßig ein Eröffnungsbeschluss (vgl. Reinhart, aaO Rdn. 10; vgl. auch BGHZ 134, 79 ff.), der hier fehlt, weil das ausländische Recht ihn nicht vorsieht (siehe oben II 2 c bb [2]). Die Eröffnung gleichwohl anzuerkennen, ist nach inländischen Vorstellungen jedenfalls aber kein untragbares Ergebnis (vgl. zu den Voraussetzungen für die Bejahung von Ordre-public-Verstößen BGHZ 123, 268, 270).
23
Die Klägerin erachtet es allerdings für verfehlt, die Unterbrechungswirkung bei einem Prozess eintreten zu lassen, der nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, würde er dort geführt, selbst nicht unterbrochen wäre. In den Vereinigten Staaten würde über die Nichtigkeit eines Patents nicht in einem gegen den Patentinhaber geführten Passivprozess entschieden, sondern lediglich aufgrund eines zu erhebenden Nichtigkeitseinwand in einem von diesem geführten Verletzungsprozess. Aktivprozesse eines Antragstellers nach Chapter 11 B.C. seien aber vom "automatic stay" von vornherein nicht erfasst. Mit dieser Erwägung lässt sich die Anerkennung der Eröffnung des die Beklagte betreffenden Insolvenzverfahrens nicht verneinen. Der Prüfung, ob ein im Inland geführter Rechtsstreit unter den "automatic stay" nach §§ 301, 362 B.C. fällt und deshalb unterbrochen ist, kann nur der tatsächlich - nach deutschem Zivilprozessrecht - geführte Prozess zugrunde gelegt werden und nicht ein im Staat der Verfahrenseröffnung als geführt gedachter. Ob das US-amerikanische Recht ein dem deutschen Patentnichtigkeitsverfahren unmittelbar vergleichbares Verfahren nicht vorsieht, sondern dessen Ziele dort unter anderem in einem Verfahren mit umgekehrten Parteirollen verfolgt werden können, das infolgedessen nicht vom "automatic stay" erfasst wäre, kann dahinstehen. Selbst wenn es so wäre, rechtfertige dies nicht ohne Weiteres, dem amerikanischen Insolvenzverfahren die Anerkennung zu versagen.
24
bb) Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public kann ferner dadurch begründet sein, dass die Anwendung ausländischen Rechts aufgrund von Kollisionsnormen nachgeordnete Folgewirkungen erzeugt, die zwar nicht der Anerkennung der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens insgesamt die Grundlage entziehen, die aber nach der allgemeinen Kollisionsregel (Art. 6 EGBGB) zur Nichtanwendung ausländischer Rechtsnormen führen (vgl. Reinhart , aaO Rdn. 19).
25
Im Streitfall geht es insoweit darum, ob das anzuwendende Insolvenzrecht der Aufnahme des Nichtigkeitsberufungsverfahrens im Inland entgegensteht.
26
(1) Anzuwenden ist sowohl hinsichtlich des für die Aufnahme des Rechtsstreits in Betracht kommenden Personenkreises als auch für alle Voraussetzungen für die Aufnahme eines inländischen Rechtsstreits die lex fori concursus, also das US-amerikanische Recht (§ 352 Abs. 1 Satz 2 InsO); lediglich die Form der Aufnahme richtet sich nach deutschem Recht (BAG ZIP 2007, 2047 Tz. 31 f.).
27
(2) Die Klägerin sieht es als unzumutbare Rechtsfolge an, dass der Nichtigkeitsprozess unterbrochen ist, während aus dem im Verletzungsprozess ergangenen Urteil, dessen Bestand vom Bestand des Patents abhängt, weiter vollstreckt werden kann. Dieser Einwand betrifft zwar Folgewirkungen der Anerkennung und damit den allgemeinen kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB). Er ist im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht erheblich, weil der Verletzungsprozess schon in erster Instanz ausgesetzt worden und kein Urteil gegen die Klägerin ergangen ist.
28
(3) Der Einwand wäre aber auch in der Sache nicht stichhaltig. Er trägt nicht dem Umstand Rechnung, dass das amerikanische Recht Instrumentarien vorsieht, um aus dem "automatic stay" herrührenden Härten zu begegnen, und zwar durch Anträge auf dessen Aufhebung bzw. Modifikation im Einzelfall (relief from the stay, § 362 (d) - (g) B.C.). Der Ansicht der Klägerin, dort finde sich keine Regelung, die ihr die Aufnahme des vorliegenden Verfahrens erlauben würde , vermag der Senat nicht beizutreten. Die Regelung in § 362 (d) (1) B.C. erlaubt einer "party in interest", um Befreiung vom "automatic stay" nachzusuchen , und zwar "for cause, including the lack of adequate protection of an interest in property of such party in interest". Zum berechtigten Personenkreis sind allgemein diejenigen zu zählen, denen ein gegen den Schuldner geltend zu machendes Recht zusteht (vgl. Holleran & Corr., Bankruptcy Code Manual 2002 Ed., § 362.4.1, S. 254). Der Begriff "cause" ist generalklauselartig zu verstehen (vgl. Kemper, aaO, S. 100 ff.) und von den Gerichten im Einzelfall auszufüllen (Holleran, aaO, § 362.4.8, S. 255) und bietet deshalb einen plausiblen Ansatzpunkt für einen Antrag der Klägerin, ihr "relief from the stay" etwa dadurch zu gestatten, dass sie das unterbrochene Nichtigkeitsverfahren aufnehmen kann. Dass die Klägerin einen solchen Antrag beim zuständigen USamerikanischen Insolvenzgericht anbringen muss, erscheint in Anbetracht des Umstands, dass sie sich als weltweit tätige Herstellerin und Lieferantin von Tankdeckeln bezeichnet und auch auf dem amerikanischen Markt tätig ist, als keine unzumutbare Behinderung bei der Erlangung effektiven Rechtsschutzes.
29
(4) Unter der Prämisse, dass, was höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, dem aus einem Patent in Anspruch genommenen Verletzer in der Insolvenz des Patentinhabers hinsichtlich des Klagepatents ein Aussonderungsrecht (§ 47 InsO) zugebilligt würde (vgl. dazu Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren Rdn. 326 a.E.) und er demzufolge zur (sofortigen) Aufnahme des Nichtigkeitsverfahrens befugt wäre (§ 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO), wäre die Aufnahme nach deutschem Recht zwar deutlich erleichtert, weil der Kläger hiernach nicht erst die gerichtliche Berechtigung zur Aufnahme benötigt, sondern das aussonderungsfähige Recht sofort verfolgen kann. Die aus der Abweichung des amerikanischen Rechts resultierende Verzögerung kann aber jedenfalls nicht ohne Weiteres als so gravierend angesehen werden, dass diese aus Gründen des deutschen ordre public sofort beendet werden müsste. Ob dies gänzlich unabhängig von den Zeiträumen gilt, in denen eine Entscheidung der zuständigen amerikanischen Gerichte über eine Befreiung vom "automatic stay" erreicht werden kann, und unabhängig von deren Inhalten, bedarf gegenwärtig keiner Entscheidung.
30
Die von der Klägerin erklärte Aufnahme des Verfahrens geht nach allem jedenfalls gegenwärtig ins Leere.
Scharen Gröning Berger
Bacher Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.06.2005 - 1 Ni 3/04 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 178/11
vom
8. März 2012
in dem Verfahren auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EuInsVO Art. 3 Abs. 2
Für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist ohne Rücksicht auf den
Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen allein maßgeblich, ob der Schuldner eine
inländische Niederlassung hat.
BGH, Beschluss vom 8. März 2012 - IX ZB 178/11 - AG Wuppertal
LG Wuppertal
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 8. März 2012

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 9. Mai 2011 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Der Schuldner war Notar mit Amtssitz in V. (NordrheinWestfalen ). Die weitere Beteiligte (fortan: Gläubigerin) kündigte im Dezember 2008 die Geschäftsverbindung zu ihm und forderte Rückzahlung von 3.256.555,09 €. Der Schuldner meldete daraufhin Anfang Februar 2009 in Birmingham (England) ein Gewerbe als Sportfotograf an, entfaltete zunächst aber keinerlei gewerbliche Tätigkeit.

2
Mit Verfügung vom 9. Juni 2009 teilte die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf dem Schuldner mit, sie beabsichtigte, ihn seines Amtes zu entheben, weil er in Vermögensverfall geraten sei und seine wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten. Zugleich enthob sie ihn vorläufig seines Amtes, mit dessen Wahrnehmung ein Notariatsverwalter betraut wurde. Dagegen eingelegte Rechtsmittel des Schuldners blieben ohne Erfolg (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2010 - NotZ 6/10, ZVI 2011, 370). Der Schuldner wurde am 4. Januar 2011 endgültig seines Amtes als Notar enthoben.
3
Am 17. Juni 2010 eröffnete der County Court Birmingham auf Antrag des Schuldners - ein früherer Eröffnungsbeschluss vom 21. Mai 2009 war auf ein Rechtsmittel des englischen Insolvenzverwalters hin aufgehoben worden - das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen.
4
Am 10. November 2010 hat die Gläubigerin die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners beantragt. Der Antrag ist als unzulässig abgewiesen worden. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners erreichen.

II.


5
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 1, §§ 6, 7 InsO aF, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens im Ergebnis zutreffend deshalb abgelehnt, weil der Schuldner im Inland keine Niederlassung hat.
6
1. Nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) setzt die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens voraus, dass der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet desjenigen Mitgliedsstaates unterhält, in welchem das Zweitverfahren eröffnet werden soll. Eine Niederlassung ist nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. h EuInsVO jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, welche den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Dass die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dieser Definition mit dem Vorhandensein von Personal verknüpft wird, zeigt, dass ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität erforderlich sind. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten grundsätzlich nicht den Erfordernissen für eine Qualifizierung als "Niederlassung" genügt (EuGH, NZI 2011, 990, Rn. 62; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - IX ZB 227/09, NZI 2011, 120 Rn. 4).
7
2. Am 10. November 2010, dem maßgebenden Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. EuGH, ZIP 2006, 188 Rn. 23 ff; NZI 2011, 990 Rn. 55; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 - IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529 Rn. 6 ff; vom 2. März 2006 - IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 Rn. 10; vom 22. März 2007 - IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 Rn. 5; vom 15. November 2010 - NotZ 6/10, ZVI 2011, 370 Rn. 10), unterhielt der Schuldner keine Niederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO.

8
a) Zu diesem Zeitpunkt war der Schuldner allerdings noch Notar. Das gegen ihn geführte Amtsenthebungsverfahren richtete sich gemäß § 118 Abs. 3 BNotO nach § 50 Abs. 3 BNotO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf beabsichtigte, ihn seines Amtes zu entheben, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse und die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten (§ 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO). Auf seinen Antrag hin musste die Entscheidung darüber , ob die Voraussetzungen für die Amtsenthebung vorlagen, durch das Disziplinargericht getroffen werden (§ 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO aF). Die Amtsenthebung setzte den rechtskräftigen Abschluss dieses Vorschaltverfahrens voraus ; sie erfolgte erst am 4. Januar 2011.
9
b) Bereits die vorläufige Amtsenthebung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRAO) und die Bestellung eines Notariatsverwalters (§ 56 Abs. 4 BNotO) am 9. Juni 2009 hatten jedoch zur Folge, dass das in eigenen Räumen des Schuldners belegene Notariat nicht mehr als dessen inländische Niederlassung angesehen werden kann.
10
aa) Der Schuldner konnte von der vorläufigen Amtsenthebung an aus Rechtsgründen keine auf das Notariat bezogene wirtschaftliche Aktivität mehr entfalten. Während der Dauer der vorläufigen Amtsenthebung hat der Notar sich jeder Amtshandlung zu enthalten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Amtsgeschäfte nach § 23 BNotO kann er nicht mehr vornehmen (§ 55 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Damit kann er keine Einnahmen aus der Notartätigkeit mehr erzielen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die sich auf den Bericht des Sachverständigen vom 11. Februar 2011 bezogen haben, hat sich der Schuldner an das Verbot gehalten. Die Tätigkeit des Notariatsverwalters kann dem Schuldner nicht zugerechnet werden. Der Notariatsverwalter ist kein Angestellter des Notars. Er wird von der Landesjustizverwaltung bestellt (§ 57 Abs. 2 BNotO) und führt sein Amt auf Rechnung der Notarkammer gegen eine von dieser festzusetzende angemessene Vergütung (§ 59 Abs. 1 BNotO). Ihm, nicht dem Notar stehen die Kostenforderungen aus den Amtsgeschäften zu (§ 58 Abs. 2 BNotO). Überschüsse werden an die Notarkammer ausgekehrt (§§ 59, 60 BNotO).
11
bb) Daraus folgt zugleich, dass der Notariatsverwalter nicht als "Personal" des Schuldners angesehen werden kann (Art. 3 Abs. 2, Art. 2 lit. h EuInsVO ). Gleiches gilt für dessen ehemalige Angestellte. Soweit der seines Amtes vorläufig enthobene Notar Angestellte hatte, werden diese nicht kraft Gesetzes zu Angestellten des Notariatsverwalters. Ein Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den bestellten Notariatsverwalter ist nicht vorgesehen. Dieser übernimmt nach § 58 Abs. 1 BNotO (nur) die Akten und Bücher des Notars, an dessen Stelle er bestellt ist, sowie die dem Notar amtlich übergebenen Urkunden und Wertgegenstände. Über die Nutzung der Geschäftsräume und die weitere Beschäftigung der Mitarbeiter müssen privatrechtliche Verträge geschlossen werden (vgl. Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 6. Aufl., § 58 Rn. 5; Wilke in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 58 BNotO Rn. 8). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die sich auch insoweit auf den Bericht des Sachverständigen bezogen haben, hat der Notarverwalter im vorliegenden Fall neue Verträge mit den ehemaligen Arbeitnehmern des Schuldners geschlossen.
12
cc) Dass im Zeitpunkt der Antragstellung noch offen war, ob die vorläufige Amtsenthebung in eine endgültige Amtsenthebung münden würde, ändert im Ergebnis nichts. Hätte der Notarsenat des Bundesgerichtshofs auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO nicht erfüllt waren, wäre der Schuldner Notar geblieben und hätte das Notariat in V. wieder übernehmen können. Bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners wäre dieser Umstand zu würdigen gewesen, wenn das Amtsenthebungsverfahren im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Hier geht es jedoch um Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, insbesondere um das Vorhandensein einer Niederlassung (Art. 2 lit. h EuInsVO) im Zeitpunkt der Antragstellung. Das Amt des Notariatsverwalters endet nicht mit der Aufhebung der vorläufigen Amtsenthebung, sondern erst mit der tatsächlichen Übernahme des Amts durch den Notar (§ 64 Abs. 1 BNotO; vgl. Bracker in Schippel/Bracker, BNotO, 8. Aufl., § 64 Rn. 6). Die hierauf gerichtete Hoffnung des vorläufig seines Amtes enthobenen Notars vermag eine Niederlassung im Sinne von Art. 2 lit. h EuInsVO nicht zu begründen.
13
dd) Das Notariat wird in Räumen fortgeführt, die dem Schuldner gehören. Ob und in welcher Höhe der Schuldner dafür eine Nutzungsentschädigung oder Miete erhält, ist nicht festgestellt. Inländisches Vermögen allein begründet jedoch auch dann keine Zweigniederlassung im Sinne der Verordnung, wenn hieraus Einkünfte erzielt werden.
14
3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde können die Voraussetzungen , die Art. 3 Abs. 2 EuInsVO für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens aufstellt, nicht durch diejenigen ersetzt werden, die nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens ermöglichen.
15
a) Die Rechtsbeschwerde verweist insbesondere auf ein Urteil des Amtsgerichts Köln, nach welchem die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens am Sitz des Schuldners möglich sein soll, wenn zuvor in einem anderen Mitgliedsstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist (NZI 2004, 151; ähnlich HK-InsO/Stephan, 6. Aufl., Art. 2 EuInsVO Rn. 14; Sabel, NZI 2004, 126, 127; Vallender, KTS 2005, 283, 302 f; ders., InsVO 2005, 41, 43). Vorausgesetzt wird hier jedoch, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 3 Abs. 2 und des Art. 2 lit. h EuInsVO erfüllt sind. Der Schuldner muss also einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgehen, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Ist dies der Fall, soll es nicht darauf ankommen, ob die "Niederlassung" zugleich den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners bildet (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO), das Hauptverfahren in dem anderen Mitgliedstaat also nicht hätte eröffnet werden dürfen. Im vorliegenden Fall unterhielt der Schuldner, wie gezeigt, im Zeitpunkt der Antragstellung gerade keine Niederlassung im Inland.
16
b) Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO können nicht durch diejenigen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ersetzt werden. Dagegen spricht schon der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, der eine Niederlassung in dem anderen Mitgliedsstaat verlangt und nicht an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) anknüpft. Überdies kann es nur einen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners im Sinne dieser Vorschrift geben. Wenn das Gericht eines anderen Mitgliedsstaats in der Annahme, der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners liege in seinem Gebiet, das Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet hat, wird diese Entscheidung in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 16 Abs. 1 EuInsVO). Auch wenn die Wirkungen des Zweitverfahrens auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt wären, würde ein allein auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gestützter Eröffnungsbeschluss der Sache nach bedeuten, dem englischen Insolvenzverfahren entgegen Art. 16, 17 Abs. 1 EuInsVO im Inland seine Wirkungen abzusprechen. Aus Art. 17 Abs. 1 aE EuInsVO ergibt sich, dass die Wirkungen der Anerkennung nur begrenzt sind, wenn die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO vorliegen.
17
c) Der Senat hat die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem Fall für gegeben erachtet, in welchem der Insolvenzantrag wenige Tage nach der Amtsentlassung des bis dahin als Notar bestellten Schuldners gestellt worden war. In der Entscheidung heißt es, bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts sei auf den Ort der wirtschaftlichen oder freiberuflichen Tätigkeit des Schuldners abzustellen, die im zu entscheidenden Fall zwar beendet sei, die aber noch abgewickelt werden müsse (BGH, Beschluss vom 17. September 2009 - IX ZB 81/09, nv, Rn. 3). Im vorliegenden Fall geht es um Art. 3 Abs. 2 EuInsVO. Im Zeitpunkt der Antragstellung war der Schuldner nicht mehr als Notar tätig; weil ein Notariatsver- walter eingesetzt worden war, stellt sich die Frage der vom Schuldner zu verantwortenden Abwicklungstätigkeiten hier nicht.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer

Vorinstanzen:
AG Wuppertal, Entscheidung vom 14.03.2011 - 145 IE 5/10 -
LG Wuppertal, Entscheidung vom 09.05.2011 - 6 T 246 und 248/11 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 103/07
vom
29. Mai 2008
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann
und den Richter Dr. Fischer
am 29. Mai 2008

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Mai 2007 aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Die Kosten beider Rechtsmittelzüge hat der Gläubiger zu tragen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.230,33 € festgesetzt.

Gründe:


I.

1
Der High Court of Justice zu Leeds/England eröffnete am 16. Mai 2003 auf Antrag vom gleichen Tage das Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der I. GmbH (fortan: Insolvenzschuldnerin). Auf einen am nächsten Tag im Inland gestellten Antrag bestellte das Amtsgericht Düsseldorf den Schuldner am 19. März 2003 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Am 10. Juli 2003 eröffnete es das Insolvenzverfahren und ernannte den Schuldner zum Insolvenzverwalter. Die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England war zu diesem Zeitpunkt bekannt.
2
Im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung schloss der Schuldner mit dem Gläubiger am 2. Februar 2004 einen Vergleich, in dem es heißt, "1. Die Parteien sind darüber einig, dass der … (Gläubiger) gegen den … (Schuldner) einen Anspruch auf Entgeltzahlung für den Monat Juli 2003 in Höhe von insgesamt 835,64 € … brutto hat als Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 2 InsO unter Beschränkung auf die Befriedigungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren.
2. Die Parteien sind ferner darüber einig, dass der … (Gläubiger) gegen den … (Schuldner) einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 3.451,90 € … brutto als Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 2 InsO unter Beschränkung auf die Befriedigungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren hat."
3
Mit Beschluss vom 7. April 2004 wurde das inländische Insolvenzverfahren vom Rechtspfleger des Insolvenzgerichts eingestellt. Am gleichen Tage wurde durch den Insolvenzrichter ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und der Schuldner zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem der Gläubiger seine Forderung aus dem gerichtlichen Vergleich zur Tabelle angemeldet hatte, erklärte der Schuldner, der Vergleich bleibe für ihn wirksam.
4
Auf Grund des Vergleichs hat der Gläubiger den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2006 erwirkt. Der Beschluss betrifft bei den Drittschuldnern geführte Konten. Er ist auf die Erinnerung des Schuldners aufgehoben worden. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat zur Wiederherstellung des Beschlusses vom 18. Oktober 2006 geführt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren weiter.

II.


5
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Zwangsvollstreckung unzulässig ist (nachstehend unter 2).
6
1. Die Zwangsvollstreckung ist allerdings nicht deshalb unzulässig, weil der Vergleich als Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO etwa nicht hinreichend bestimmt wäre. Die Formulierung, der Gläubiger habe gegen den Schuldner eine Masseforderung "unter Beschränkung auf die Befriedigungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren", ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts auf Wunsch des Schuldners in den Vergleich aufgenom- men worden und sollte klarstellen, dass der Gläubiger nur vollstrecken kann, wenn Masse vorhanden ist.
7
2. In der Sache selbst ist die Zwangsvollstreckung des Gläubigers unzulässig ; deshalb hat das Amtsgericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit Recht aufgehoben.
8
a) Das Beschwerdegericht meint, der Schuldner sei als Partei kraft Amtes die im Titel als Insolvenzverwalter der I. GmbH bezeichnete Person. Eine Parteiänderung habe durch die Einstellung des inländischen Insolvenzverfahrens und die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens unter Berufung desselben Insolvenzverwalters nicht stattgefunden. Auch als Sekundärinsolvenzverwalter sei der Erinnerungsführer immer noch Insolvenzverwalter über das Vermögen der I. GmbH; seine Bezeichnung laute immer noch wie im Titel ausgewiesen. Mit Einstellung des inländischen Verfahrens werde das Vermögen des Schuldners vom Beschlag des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens und sodann des Sekundärinsolvenzverfahrens erfasst. Die vor Einstellung des deutschen Insolvenzverfahrens eingetretenen Wirkungen, also auch die vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen , blieben im Sekundärinsolvenzverfahren erhalten. Der inländische Insolvenzverwalter bleibe weiter Partei kraft Amtes für dieselbe im Inland belegene Vermögensmasse und müsse die im Inland begründeten Masseverbindlichkeiten berichtigen. Die einmal begründete Masseforderung wandele sich nicht zur reinen Insolvenzforderung im Sekundärinsolvenzverfahren um.
9
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in wichtigen Punkten nicht stand. Das Zwangsvollstreckungsverfahren richtet sich allein gegen den Schuldner in der Rechtsstellung als Verwalter in dem inländischen Insolvenz- verfahren (nachfolgend b). Dieses Verfahren ist jedoch nicht rechtswirksam eröffnet worden (c). Der Schuldner als Scheinverwalter kann daher im Wege der Vollstreckungserinnerung die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung geltend machen (d).
10
b) Gemäß § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann die Zwangsvollstreckung nur gegen eine Person begonnen werden, die im Titel oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel als Schuldner bezeichnet ist. Die dort bezeichnete Person muss diejenige sein, gegen die das Vollstreckungsorgan auf Grund des Vollstreckungsantrags Zwangsmaßnahmen ergreifen soll (MünchKomm-ZPO/ Heßler, 3. Aufl. § 750 Rn. 16; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl. Vorbem. § 704 Rn. 11; Wieczorek/Schütze/Salzmann, ZPO 3. Aufl. § 750 Rn. 3). Die Identität des Titelschuldners ist erforderlichenfalls im Wege der Auslegung dem Titel selbst zu entnehmen (Thomas/Putzo, aaO Vorbem. § 704 Rn. 22; vgl. ferner BGHZ 165, 223, 228). Gewährleistet wird damit, dass staatlicher Zwang nur für und gegen die im Titel genannten Personen durchgesetzt wird. Diese allgemeine Voraussetzung jeder Zwangsvollstreckung kann nicht durch materiellrechtliche Erwägungen oder gar solche der Billigkeit außer Kraft gesetzt werden (BGH, Beschl. v. 18. Juli 2003 - IXa ZB 116/03, NJW-RR 2003, 1450, 1451). Für oder gegen andere als in Titel oder Klausel bezeichnete Personen darf die Zwangsvollstreckung auch dann nicht erfolgen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass sie Gläubiger oder Schuldner sind (Zöller/Stöber, aaO § 750 Rn. 3).
11
Hier richtet sich die Zwangsvollstreckung allein gegen den Schuldner als im arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 21. Januar 2004 bezeichneter inländischer Insolvenzverwalter.
12
aa) In dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist der Schuldner - ohne einen auf das Sekundärinsolvenzverfahren hindeutenden Zusatz - als Insolvenzverwalter der I. GmbH bezeichnet. Demgemäß ist auch die Erinnerung ausdrücklich im Namen des Schuldners "als Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen der I. GmbH" eingelegt worden. Diese Parteibezeichnung ist im weiteren Verfahren beibehalten worden.
13
bb) Die Vollstreckung gegen den Sekundärinsolvenzverwalter wäre auch unzulässig, weil sich weder der Titel noch die Vollstreckungsklausel auf ihn bezieht. Zu Unrecht hält das Beschwerdegericht den Schuldner als Sekundärinsolvenzverwalter für dieselbe Partei kraft Amtes wie als Verwalter in dem inländischen Insolvenzverfahren. Unbeschadet der Frage, ob es sich bei dem inländischen Insolvenzverfahren zugleich um ein zweites Hauptinsolvenzverfahren handelt, sind Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich als unterschiedliche Verfahren anzusehen (Kemper ZIP 2001, 1609, 1618; Staak NZI 2004, 480; Duursma-Kepplinger ZIP 2007, 752, 753). Zwischen der Rechtsstellung des Verwalters im Hauptinsolvenzverfahren und im Sekundärinsolvenzverfahren ist daher grundsätzlich auch in Fällen der Personenidentität zu trennen.
14
cc) Für das vorliegende Verfahren ist es ohne Bedeutung, ob der zum inländischen Insolvenzverwalter ernannte Rechtsanwalt später in der Eigenschaft als Sekundärinsolvenzverwalter die Masseforderung bestätigt hat; denn diese materiell-rechtliche Frage ist im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu prüfen.
15
c) Der rechtswirksamen Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens und damit auch der Begründung einer Masseforderung durch den Schuld- ner als Verwalter steht die vorherige Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England entgegen.
16
aa) Gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (EuInsVO) vom 29. Mai 2000 (ABl. EG Nr. L 160, S. 1; fortan: Europäische Insolvenzverordnung) wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Die Eröffnung eines Verfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entfaltet gemäß Art. 17 Abs. 1 EuInsVO in jedem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung beilegt, sofern die Verordnung nichts Anderes bestimmt.
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bb) Hat das Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, so ist, solange dieses Insolvenzverfahren anhängig ist, ein bei einem inländischen Insolvenzgericht gestellter Antrag auf Eröffnung eines solchen Verfahrens über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 1 EGInsO unzulässig. Ein entgegen dieser Bestimmung eröffnetes Verfahren darf nach Satz 2 der Vorschrift nicht fortgesetzt werden. Es ist gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1 EGInsO von Amts wegen zugunsten der Gerichte des anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union einzustellen. Allerdings ist hier die Einstellung des inländischen Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht Düsseldorf gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG unwirksam, weil sie durch den Rechtspfleger erfolgt ist. Die Einstellung eines Insolvenzverfahrens zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 102 § 4 EGInsO bleibt gemäß § 19a Nr. 1 RPflG dem Richter vorbehalten (Pannen/Frind, EuInsVO Art. 102 EGInsO Rn. 1; Bassenge /Roth, RPflG 11. Aufl. § 19a Rn. 2; Rellermeyer Rpfleger 2003, 391, 393).
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cc) Nach der Bestimmung des Art. 102 § 4 Abs. 2 Satz 1 EGInsO bleiben Wirkungen des Insolvenzverfahrens, die vor dessen Einstellung bereits eingetreten und nicht auf die Dauer dieses Verfahrens beschränkt sind, auch dann bestehen, wenn sie Wirkungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffneten Insolvenzverfahrens widersprechen, die sich nach der Europäischen Insolvenzverordnung auf das Inland erstrecken. Dies gilt gemäß Art. 102 § 4 Abs. 2 Satz 2 EGInsO auch für Rechtshandlungen, die während des eingestellten Verfahrens vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber in Ausübung seines Amtes vorgenommen worden sind.
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(1) Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, der deutsche Insolvenzverwalter müsse in entsprechender Anwendung des § 209 InsO im Inland begründete Masseverbindlichkeiten berichtigen (FK-InsO/Wimmer, 4. Aufl. Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 13; Pannen/Riedemann NZI 2004, 301, 303; Pannen/ Frind, aaO Art. 102 EGInsO Rn. 7; HK-InsO/Stephan, 4. Aufl. Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 7; HmbKomm-InsO/Undritz, 2. Aufl. Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 2; Andres/Leithaus/Dahl, InsO Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 2; Paulus, EuInsVO 2. Aufl. Art. 28 Rn. 5). Der deutsche Gesetzgeber sei frei gewesen, eine Entscheidung zugunsten der Wirkungen des eingestellten Verfahrens zu treffen, weil die EuInsVO zu dem möglichen Widerspruch zwischen den fortbestehenden Wirkungen des eingestellten Verfahrens und den nun im Inland uneingeschränkt geltenden Wirkungen des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens schweige und sich aus Sinn und Zweck der Verordnung nichts Gegenteiliges ergebe. Insofern müsse die Sicherheit des inländischen Rechtsverkehrs mit den Interessen des ausländischen Verfahrens in Einklang gebracht werden. Vor dem Hintergrund, dass im Inland häufig ein Sekundärinsolvenzverfahren hätte eröffnet werden können, in dem die gleichen Wirkungen eingetreten wären, widerspreche die nun gefundene Lösung nicht dem Geiste der Europäischen Insolvenzverordnung (FK-InsO/Wimmer, aaO Art. 102 § 4 EuInsVO Rn. 7; i. Erg. ebenso Kübler/Prütting/Kemper, InsO Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 11). Die Berichtigung erfolge im Interesse der deutschen Massegläubiger, weil sie ihre Vorzugsstellung im ausländischen Verfahren (nach der dort geltenden lex fori concursus ) eventuell nicht geltend machen könnten (Wimmer in Festschrift für Kirchhof, S. 521, 527; Pannen/Riedemann, aaO). Auch wenn das eingestellte Verfahren nunmehr als Sekundärinsolvenzverfahren neu eröffnet werde, blieben die bisher verursachten Masseverbindlichkeiten gegenüber der gesamten Masse bestehen. Für die ab der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens begründeten Masseverbindlichkeiten hafte nur noch dessen Masse (Pannen /Frind, aaO Art. 102 EGInsO Rn. 6; Duursma-Kepplinger ZIP 2007, 752, 755).
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Abweichend davon wird vertreten, die Wirkungen des in einem anderen Mitgliedstaat früher eröffneten Verfahrens seien maßgebend, soweit sie sich nach der Europäischen Insolvenzverordnung auf das Inland erstreckten. Die in Deutschland bereits eingetretenen Wirkungen blieben grundsätzlich aber zunächst selbst dann bestehen, wenn das ausländische Insolvenzrecht diese Wirkungen nicht kenne oder eine dem deutschen Recht widersprechende Wirkung vorsehe. Es werde Aufgabe der nach dem Recht des ausländischen Insolvenzverfahrens zuständigen Organe sein, die Wirkungen zu harmonisieren und dabei zu entscheiden, welche Maßnahmen nach dem anwendbaren Recht aufzuheben seien (Nerlich/Römermann/Mincke, InsO Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 4).
21
(2) Soweit ersichtlich bezweifelt nur Weller (IPRax 2004, 412, 417), ob die bis zur Einstellung vorgenommenen Rechtshandlungen gemäß Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO wirksam bleiben können. Das deutsche Gesetz gehe offenbar von der möglicherweise europarechtswidrigen Annahme aus, ein zweites, im Inland eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren vermöge trotz des Verstoßes gegen das Prioritätsprinzip eine Sperrwirkung in Bezug auf das ausländische Hauptinsolvenzverfahren zu entwickeln, die erst mit Einstellung ex nunc entfalle. Da der zeitlich früher erlassene Eröffnungsbeschluss kraft Anwendungsvorrangs des Europarechts universelle Beschlagswirkung über das gesamte Schuldnervermögen entfalte, bleibe jedoch keine Masse übrig, hinsichtlichderer dem zweiten Hauptinsolvenzverwalter durch nationales Recht eine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt werden könnte. Daher könne der zweite Insolvenzverwalter auch im Zeitraum zwischen Eröffnung und Einstellung des zweiten Hauptinsolvenzverfahrens nicht als Berechtigter für die Masse handeln oder verfügen.
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(3) Nach Auffassung des Senats kann jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - das zweite Insolvenzverfahren im Inland nicht irrtümlich, sondern in Kenntnis des ersten Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland eröffnet worden ist, Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO keine Anwendung finden. Diese Einschränkung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut, folgt aber aus dem Anwendungsvorrang des EG-Rechts und den Gesetzesmaterialien zu Art. 102 EGInsO.
23
Art. 102 § 4 EGInsO wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14. März 2003 (BGBl I 2003, S. 345) mit Wirkung vom 20. März 2003 eingefügt, weil der Gesetzgeber es als klärungsbedürftig ansah, wie die Wirkungen des ausländischen Verfahrens, die sich nach Wegfall der Sperrwirkung des Inlandsinsolvenzverfahrens auch auf das inländische Vermögen erstreckten, mit den Wirkungen des eingestellten Verfahrens zu harmonisieren seien. Ein solches Regelungsbedürfnis bestehe auch für Rechtshandlungen des inländischen Insolvenzverwalters, die dieser bis zur Einstellung des Verfahrens vorgenommen habe (BT-Drucks. 15/16, S. 15).
24
Auf Grund der unmittelbar geltenden Verordnung und des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts können einem unter Verstoß gegen die Europäische Insolvenzverordnung eröffneten zweiten Insolvenzverfahren keine Rechtswirkungen beigemessen werden, die die inländische, vom ersten Hauptinsolvenzverfahren umfasste Masse betreffen und den Grundgedanken der Europäischen Insolvenzverordnung zuwiderlaufen.
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Die der Einfügung des Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO zu Grunde liegende Annahme, das inländische Insolvenzverfahren könnte gegenüber dem zuvor in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren Sperrwirkungen entfalten, lässt die Rechtswirkungen des Art. 17 Abs. 1 EuInsVO außer Betracht. Nach dieser Vorschrift belegt das in einem anderen Mitgliedstaat früher eröffnete Hauptinsolvenzverfahren die inländische Masse mit einer Sperrwirkung. Die universale Geltung des Hauptinsolvenzverfahrens und die Befugnis des vom zuerst befassten Gericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters, Maßnahmen zur Sicherung und Erhaltung von Schuldnervermögen, das sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, zu beantragen, stellen bedeutsame Garantien dar, die den maximalen Zugriff auf das Vermögen des Schuldners ermöglichen (EuGH ZIP 2006, 188, 189 Rn. 28).
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Die Europäische Insolvenzverordnung geht davon aus, dass es nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren gibt (EuGH ZIP 2006, 907, 910 Rn. 52); sie enthält keine ausdrückliche Regelung, wie im Falle der Eröffnung mehrerer Hauptinsolvenzverfahren mit kollidierenden universellen Wirkungsansprüchen zu verfahren ist (Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren Rn. 79, abgedruckt in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, S. 32, 63; W. Lüke ZZP 111 (1998), 275, 289; Leible/ Staudinger KTS 2000, 533, 545; Smid DZWIR 2003, 397, 401). Allerdings liegt Art. 3 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 EuInsVO das Prioritätsprinzip zu Grunde, wonach dasjenige Verfahren als Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen ist, das als Erstes eröffnet wurde (EuGH ZIP 2006, 907, 909 Rn. 38, 39 und 49; MünchKomm -InsO/Reinhart, 1. Aufl. Art. 102 EGInsO Anhang I Art. 3 EuInsVO Rn. 3; Huber ZZP 114 (2001), 133, 144 f.). Dementsprechend soll sich die Anerkennung der Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten nach Nr. 22 Satz 3 der Erwägungsgründe zur Europäischen Insolvenzverordnung auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stützen. Weiter soll nach Satz 6 dieses Erwägungsgrundes die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden; diese sollen die Entscheidung dieses Gerichts keiner Überprüfung unterziehen dürfen. Die universellen Beschlagswirkungen des ersten Beschlusses gemäß Art. 17 EuInsVO entziehen das Vermögen des Schuldners einer weiteren Verfahrenseröffnung mit universalistischem Anspruch. Ein zweiter Beschluss eines anderen Gerichts ist insoweit zumindest schwebend unwirksam und kann allenfalls bei Aufhebung des zunächst ergangenen Eröffnungsbeschlusses Wirkung zeigen (W. Lüke, aaO, S. 290; Smid DZWIR 2003, 397, 401; i. Erg. ebenso Staak, Der deutsche Insolvenzverwalter im europäischen Insolvenzrecht S. 25 f.). Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt solange, als im Anerkennungsstaat kein Partikularverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eröffnet worden ist (Huber, aaO, S. 147). Gegenstand der Anerkennung gemäß Art. 17 Abs. 1 EuInsVO ist die Gestaltungswirkung des Eröffnungsbeschlusses, d.h. die Unterwerfung des Schuldnerver- mögens unter die Sachvorschriften des Insolvenzrechts (MünchKomm-InsO/ Reinhart, aaO Art. 17 EuInsVO Rn. 1). Im Hauptinsolvenzverfahren regelt gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b, f und g EuInsVO das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, welche Vermögenswerte zur Masse gehören (Buchst. b), wie sich das Insolvenzverfahren auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt (Buchst. f) und welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind (Buchst. g). Die Aktivmasse des Hauptverfahrens erfasst demnach grundsätzlich sämtliche innerhalb der Gemeinschaft belegenen Vermögenswerte des Schuldners (Duursma-Kepplinger ZIP 2007, 752, 753).
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Die Berichtigung von Forderungen im Interesse inländischer Massegläubiger im Sinne des § 55 InsO die ihre Vorzugstellung im anderen Mitgliedstaat nicht geltend machen könnten, findet in der Verordnung keine Stütze. Vielmehr regelt das nach Art. 4 Abs. 2 EuInsVO anzuwendende Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, d.h. hier englisches Konkursrecht, die Berichtigung der Insolvenzforderungen einschließlich der Behandlung von Masseforderungen (Pannen/Riedemann in Pannen, aaO Art. 4 EuInsVO Rn. 58; Paulus, aaO Art. 4 Rn. 30). Daran ändert nichts der Umstand, dass auf ein später eröffnetes Sekundärinsolvenzverfahren in Deutschland gemäß Art. 28 EuInsVO deutsches Insolvenzrecht anzuwenden ist.
28
Falls zwischen dem unmittelbar anwendbaren Recht der Europäischen Gemeinschaften und dem nationalen deutschen Recht - wie hier - ein Widerspruch auftritt, kommt dem EG-Recht nach Art. 24 Abs. 1 GG ein Anwendungsvorrang zu (BVerfGE 73, 339, 375; 75, 223, 244; 85, 191, 204; BGHZ 173, 103 112 Rn. 27).
29
(4) Darüber hinaus ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zu Art. 102 § 4 EGInsO, dass die Vorschrift der Ausführungsbestimmung des § 3 DöKVAG zum Vertrag vom 25. Mai 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs- (Ausgleichs -)rechts (BGBl. 1985 II S. 410; fortan: deutsch-österreichischer Konkursvertrag ) nachgebildet worden ist (BT-Drucks. 15/16, S. 15). Indessen beruht § 3 DöKVAG auf einer mit Art. 102 EGInsO nicht zu vergleichenden Rechtslage.
30
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 DöKVAG bleiben Wirkungen des Konkursverfahrens , die vor dessen Einstellung bereits eingetreten und nicht auf die Dauer des Verfahrens beschränkt sind, auch dann bestehen, wenn sie Wirkungen eines in Österreich eröffneten Konkurses widersprechen, die sich nach Maßgabe der Bestimmungen des deutsch-österreichischen Konkursvertrags auf den Geltungsbereich des Ausführungsgesetzes erstrecken. Nach Satz 2 gilt das Gleiche für Rechtshandlungen, die der Konkursverwalter in Ausübung seines Verwaltungs - und Verfügungsrechts während des eingestellten Verfahrens vorgenommen hatte. Im Rahmen des deutsch-österreichischen Konkursvertrags sollte , wie aus dem Gemeinsamen Bericht der Verhandlungsdelegationen zu dem Vertrag (abgedruckt bei Arnold, Der deutsch-österreichische Konkursvertrag S. 48) hervorgeht, sich nach innerstaatlichem Recht der Vertragsstaaten bestimmen, wie ein Konkursverfahren zu beenden ist, das wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit nicht mehr fortgesetzt werden darf. Dem innerstaatlichen Gesetzgeber blieb es überlassen, festzulegen, ob die Wirkungen des unzulässigen Konkursverfahrens mit rückwirkender Kraft oder nur für die Zukunft entfallen sollten (BT-Drucks. 10/1628, S. 11).
31
Einen solchen Regelungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber sieht die Europäische Insolvenzverordnung nicht vor. Diese dient vielmehr dazu, im Interesse der Gläubigergleichbehandlung in allen Mitgliedstaaten die Vermögenswerte des Schuldners denselben Regeln zu unterwerfen (Kemper ZIP 2001, 1609, 1610). Dementsprechend hat nach dem Erwägungsgrund Nr. 12 Satz 2 zur Europäischen Insolvenzverordnung das Hauptinsolvenzverfahren universale Geltung mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen; nach Satz 6 dieses Erwägungsgrundes tragen zwingende Vorschriften für die Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren dem Gebot der Einheitlichkeit des Verfahrens in der Gemeinschaft Rechnung. Folgerichtig wirkt nach Art. 17 Abs. 1 EuInsVO die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat unmittelbar auch für die im Inland belegene Masse.
32
Hinzu kommt, dass auch § 3 DöKVAG nur für ein infolge eines Irrtums, etwa in Unkenntnis von dem Verfahren im anderen Staat, eröffnetes Verfahren geschaffen worden ist (BT-Drucks. 10/1628, S. 11). Damit ist der Fall, dass die inländischen Gerichte sich bewusst über ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Verfahren hinwegsetzen und ein weiteres Insolvenzverfahren im Inland eröffnen, nicht zu vergleichen. Hier hatte das Amtsgericht, wie aus dem Beschluss vom 6. Juni 2003 hervorgeht, noch vor dem Eröffnungsbeschluss Kenntnis von dem bereits am 19. Mai 2003 in England eröffneten Hauptinsolvenzverfahren ; es hat allerdings zu Unrecht und ohne nachvollziehbare Begründung angenommen, das englische Gericht habe die Vorschriften der EuInsVO weder erwähnt noch beachtet.
33
d) Fehlt es damit an einem wirksam eröffneten inländischen Insolvenzverfahren , ist der nur als Scheinverwalter anzusehende Schuldner gleichwohl zur Geltendmachung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung berechtigt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die nicht existente Partei in einem gegen sie angestrengten Prozess insoweit als parteifähig zu behandeln ist, als sie ihre Nichtexistenz geltend macht (BGHZ 24, 91, 94; BGH, Beschl. v. 13. Juli 1993 - III ZB 17/93, NJW 1993, 2943, 2944). Durch diese Fiktion soll erreicht werden, dass die Partei die Frage ihrer Existenz selbst klären lassen kann (BGH, Beschl. v. 12. Mai 2004 - XII ZB 226/03, NJW-RR 2004, 1505, 1506). Durch Erinnerung gegen die Zwangsvollstreckung gemäß § 766 ZPO kann geltend gemacht werden, dass der Titel in Verkennung der Nichtexistenz der Partei ergangen ist. Auch für das Rechtsmittelverfahren gilt die nicht existente Partei als existent (Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO 3. Aufl. vor § 50 Rn. 24; MünchKomm-ZPO/Lindacher, aaO vor §§ 50 ff. Rn. 26; Zöller/Vollkommer, aaO vor § 50 Rn. 11).

III.


34
Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil nach dem festgestellten Sachverhältnis die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer

Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.10.2006 - 661 M 1591/06 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.05.2007 - 25 T 206/07 -

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.