Landessozialgericht NRW Beschluss, 03. Aug. 2015 - L 19 AS 1284/15 B
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 20.07.2015 geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt und Rechtsanwalt M aus P beigeordnet.
1
Gründe:
2I.
3Der am 00.00.1984 geborene Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er reiste im August 2010 in die Bundesrepublik ein. Seine Mutter und seine Schwester sind in der Bundesrepublik wohnhaft. In Bulgarien hat der Kläger keine Verwandte.
4Nach der Entlassung aus einer Strafhaft ist der Kläger obdachlos. Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 08.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2015 den Antrag des Klägers vom 19.02.2015 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab.
5Dagegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben.
6Durch Beschluss vom 20.07.2015 hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
7Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt.
8II.
9Die zulässige Beschwerde ist begründet.
10Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung - Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.02.2015 - bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ff. ZPO.
11Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer in Ansehung der einschlägigen gesetzlichen Regelung und bereits vorliegenden Rechtsprechung schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (BVerfG, Beschlüsse vom 08.01.2009 - 1 BvR 2733/06 m.w.N. und vom 09.10.2014 - 1 BvR 83/12 m.w.N.). Prozesskostenhilfe braucht allerdings nicht schon dann gewährt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen dürfen im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtschutzgleichheit nicht im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden (siehe ständige Rechtsprechung des BVerfG, Beschluss vom 04.05.2013 - 1 BvR 2096/15 -, NJW 2015, 2173).
12Ausgehend von der Auffassung des Sozialgerichts, dass dem Kläger kein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zusteht, Aufenthaltsrechte aus anderen Gründen nicht in Betracht kommen und es sich bei dem Kläger damit um einen Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht handelt, ist auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache E (Urteil vom 11.11.2014, C- 333/13) höchstrichterlich keineswegs geklärt, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in einem solchen Fall eingreift. Zwar ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Fall von Unionsbürgern, die (ausschließlich) zum Zwecke des Sozialleistungsbezuges einreisen, nicht gegen unionsrechtrechtliche Vorschriften verstößt. Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II allerdings (nach nationalem Recht) auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht überhaupt Anwendung findet, ist in der Rechtsprechung umstritten.
13Zum einen wird vertreten, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung findet, weil der Wortlaut der Vorschrift nur auf das Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche abstelle und wegen des Ausnahmecharakters des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einer erweiternden Auslegung im Wege des "Erst-Recht-Schlusses" nicht zugängig sei (Urteile des Senats vom 01.06.2015 - L 19 AS 1923/14 -, vom 05.05.2014 - L 19 AS 430/13 (Revision anhängig B 14 AS 33/14 R) und vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 (Revision anhängig B 4 AS 64/13 R); Beschluss vom 20.03.2015 - L 19 AS 116/15 B ER m.w.N.; siehe auch LSG Thüringen, Beschluss vom 25.04.2014 - L 4 AS 306/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13, 19.03.2015 - L 31 AS 1268/14 ( Revision anhängig B 14 AS 15/15 R ) und vom 18.06.2015 - L 31 AS 100/14 -, wonach der Leistungsausschluss auch Unionsbürger erfasst, die sich - ohne eine tatsächlich noch andauernde Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt erlangt zu haben - zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalten und bei denen sich - in Abgrenzung zu den Fällen des Sozialleistungsmissbrauchs - die Ernsthaftigkeit dieser Arbeitsuche konkret manifestiert hat; LSG Hessen, Urteile vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12 ( Revision anhängig B 14 AS 15/14 R ) und - L 6 AS 726/12 ( Revision anhängig B 14 AS 18/14 R ); LSG Hessen, Beschlüsse vom 07.04.2015- L 6 AS 62/15 B ER und vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 05.03.2015 - L 7 AS 2376/14 B ER).
14Zum anderen wird vertreten und im Wege teleologischer Auslegung von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II begründet, dass die Vorschrift neben Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht erfasst (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 B ER - ; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 16.07.2015 - L 2 AS 399/15 B ER, LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.11.2014 - L 12 AS 3227/14; siehe auch LSG Hessen Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER, wonach die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen um die ungeschriebene Voraussetzung des Bestehens eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland zu erweitern seien).
15Im Hinblick auf diese obergerichtlich kontroversen Auffassungen zur Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht handelt es sich bei dieser Rechtsfrage nicht um eine der gesetzlichen Regelung nach oder infolge bereits vorliegender einheitlicher Rechtsprechung einfache Rechtsfrage, sondern im Gegenteil um eine schwierige Rechtsfrage.
16Selbst wenn sich aus bereits vorliegender Rechtsprechung ergäbe, dass der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht erfasst, bleibt klärungsbedürftig, ob trotz Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Anspruch auf Sozialhilfe bestehen kann. Auch dies ist in mehrerlei Hinsicht ungeklärt.
17Ob bereits § 21 S. 1 SGB XII Unionsbürger, die von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, auch von Ansprüchen auf Sozialhilfe ausnimmt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen (verneinend Beschlüsse des Senats vom 29.06.2012 - L 19 AS 973/12 B ER m.w.N. und vom 02.10.2012 - L 19 AS 1393/12 B ER m.w.N.; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER m.w.N.; LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 8 SO 129/14 B ER mit Zusammenfassung des Meinungstandes in Rechtsprechung und Literatur; so wohl auch BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr. 1; siehe ferner BSG, Urteil vom 16.05.2011 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 30; bejahend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 B ER - ; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2015 - L 31 AS 100/14 und Beschluss vom 10.12.2014 - L 20 AS 2697/14 B ER; kritisch LSG NRW, Beschluss vom 15.05.2013 - L 9 AS 466/13 B ER).
18Anschlussfragen ergeben sich auch hinsichtlich des zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II parallelen Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 SGB XII. Zwar kann § 23 SGB XII den Anspruch eines Ausländers auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R), jedoch besteht auch bei Eingreifen des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 SGB XII ein Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe im Ermessenswege, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 23 Rn. 75 ff; Greiser in jurisPK-SGB XII Anhang zu § 23 Rn. 119 ff; Armborst in LPK-SGB II, 5 Aufl., § 8 Rn. 30; Birk in LPK-SGB XII, 9. Aufl., § 23 Rn. 21; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand VII/12, § 23 Rn. 50; vgl. auch OVG Berlin Beschluss von 22.04.2003 - 6 S 9.03; BVerwG Urteil vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 zur Vorgängervorschrift des § 120 BSHG; vgl. auch LSG NRW Beschlüsse vom 18.11.2011 - L 7 AS 614/11 B ER und vom 28.11.2012 - L 7 AS 2109/11 B ER; offengelassen: BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R). Hiernach kann eine notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers nach § 75 Abs. 2 SGG geboten sein, wenn ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht besteht.
19Des Weiteren ergibt sich ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nahelegendes Klärungsbedürfnis aus dem Umstand, dass der Antragsgegner auch die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auf der Grundlage von §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 1 S. 1 SGB III ausdrücklich abgelehnt hat. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird es uneinheitlich gesehen, ob § 328 Abs. 1 S. 1 SGB III im Hinblick auf die beiden beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorlageverfahren anzuwenden ist oder nicht (bejahend LSG NRW, Beschlüsse vom 13.05.2015 - L 6 AS 369/15 B ER- und vom 29.01.2015 - L 6 AS 2085/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2014 - L 10 AS 1593/14 B ER; ablehnend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.03.2014 - L 15 AS 16/14 B ER). Insoweit handelt es sich auch hier um eine ungeklärte Rechtsfrage.
20Soweit das Sozialgericht sich hilfsweise darauf beruft, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anzuwenden sei, weil im Schlussantrag des Generalanwalts in der Rechtssache B C-67/14 mehr für als gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit unionsrechtlichen Vorschriften spreche, ist zunächst anzumerken, dass die Stellungnahmen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof keine präjudizielle Bedeutung für die Entscheidung haben. Aus den beiden Schlussanträgen des Generalanwalts in den Rechtssachen C-67/14 und C-299/14 ergibt sich im Übrigen, dass dieser Generalanwalt - Herr N X (Senior) - die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem Unionsrecht keineswegs uneingeschränkt bejaht. Nach Auffassung des Generalanwalts soll vielmehr eine tatsächliche Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat bei Anwendung und Auslegung des Leistungsausschlusses zu berücksichtigen sein. Sie kann sich aus familiärem Kontext (z.B. Schulausbildung der Kinder) oder sonstigen engen Bindungen des Antragstellers zum Aufnahmemitgliedstaat ergeben. Eine zurückliegende Erwerbstätigkeit, die effektive und tatsächliche Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums und auch eine Arbeitsaufnahme nach Stellung des Antrags auf Sozialleistungen sind nach Auffassung des Generalanwalts gleichermaßen geeignet, die tatsächliche Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu indizieren.
21Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 115 ZPO, so dass ihm ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
22Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nach §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattungsfähig.
23Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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Urteil einreichenLandessozialgericht NRW Beschluss, 03. Aug. 2015 - L 19 AS 1284/15 B zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.
(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.
(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
Tenor
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1. Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 14. Dezember 2011 - S 15 SO 251/11 ER - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben, soweit er die Ablehnung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin betrifft. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Bremen zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 16. Dezember 2011 - S 15 SO 268/11 ER RG - insoweit gegenstandslos.
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2. Die Freie Hansestadt Bremen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Rechtsanwalts.
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3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
- 1
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Zurückweisung der anschließenden Anhörungsrüge und Gegenvorstellung.
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1. Die Beschwerdeführerin, die mit ihren drei Kindern eine Mietwohnung bewohnt, steht in ergänzendem Bezug von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII (Sozialhilfe). Von den tatsächlichen Mietkosten in Höhe von monatlich 680 € zuzüglich Heizkosten erkannte der Sozialhilfeträger 600 € an und bewilligte der Beschwerdeführerin ein Viertel dieses Betrags. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch begehrte die Beschwerdeführerin insbesondere die Bewilligung höherer Unterkunftskosten.
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2. Im Folgenden beantragte die Beschwerdeführerin beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Sie machte geltend, für die Bemessung der angemessenen Unterkunftskosten sei auf die Werte des § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % abzustellen und der Leistungsberechnung damit Mietkosten in Höhe von 660 € zugrunde zu legen.
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Das Sozialgericht lehnte beide Anträge ab. Hinsichtlich der geltend gemachten höheren Kosten der Unterkunft sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es verwies hierzu auf ein Urteil des Sozialgerichts, in dem ausgeführt wurde, dass zwar die wohl weitaus herrschende Meinung der Auffassung sei, dass die geltenden Werte des § 12 WoGG um einen Sicherheitszuschlag von 10 % zu erhöhen seien. Dies werde auch von dem für Beschwerden und Berufungen gegen Entscheidungen des Sozialgerichts zuständigen Landessozialgericht vertreten, das Bundessozialgericht habe sich zu dieser Frage jedoch noch nicht eindeutig geäußert. Unabhängig davon vertrete die Kammer die Auffassung, dass die Werte des § 12 WoGG nicht um einen Sicherheitszuschlag zu erhöhen seien. Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag begründete das Sozialgericht mit mangelnder Erfolgsaussicht des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und verwies hierzu auf die vorstehenden Ausführungen.
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Die gegen den unanfechtbaren Beschluss erhobene Anhörungsrüge, hilfsweise Gegenvorstellung, wies das Sozialgericht zurück.
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3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts sowie die diesbezügliche Zurückweisung der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes überspannt.
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4. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
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II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Verfassungsverstoß durch Überspannung der Anforderungen an die Erfolgsaussichten durch das Sozialgericht im Rahmen der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hinreichend substantiiert dargelegt worden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG).
- 11
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Dezember 2011 verkennt hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe den Gehalt des Rechts auf Rechtsschutzgleichheit und verletzt die Beschwerdeführerin dadurch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen mit der Folge, dass die vorverlagerte Entscheidung auch den weiteren Rechtsweg abschneidet. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Auslegung und Anwendung der §§ 114 ff. ZPO obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>; BVerfGK 2, 279 <281>; stRspr).
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Als Fallgruppe, bei welcher regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht Sachlagen herausgearbeitet, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Prozesskostenhilfe muss aber nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>; stRspr).
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b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Sozialgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwiderlaufend überspannt.
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Wie das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2011 darlegt, gingen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht nur verschiedene Sozialgerichte erster Instanz, sondern insbesondere auch das Landessozialgericht, das bei Anfechtbarkeit der Entscheidung für die Beschwerde zuständig gewesen wäre, von der Erforderlichkeit der im Streit stehenden Erhöhung der Werte des § 12 Abs. 1 WoGG aus. Das Bundessozialgericht hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine abschließende Entscheidung zu der Frage getroffen. Dass die streitentscheidende Frage danach zwingend zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu beantworten war, ist nicht begründbar.
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Das Sozialgericht ging nach seinen Ausführungen auch nicht davon aus, es handele sich um eine einfache Rechtsfrage. Zur Begründung der Prozesskostenhilfeentscheidung hat es auf die Entscheidungsgründe bezüglich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Bezug genommen, in der jedoch gerade zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine schwierige und noch nicht geklärte Rechtsfrage handelt.
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3. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Dezember 2011 ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, soweit er die Ablehnung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin betrifft. Die Sache ist insoweit an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss über Anhörungsrüge und Gegenvorstellung wird damit gegenstandslos.
- 18
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4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
- 19
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Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.
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5. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich dadurch, dass die Freie Hansestadt Bremen zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. zur Prozesskostenhilfe BVerfGE 105, 239 <252>).
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.08.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger sowie der Beigeladenen im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Beklagte wendet sich gegen seine Verurteilung, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 15.02.2013 bis zum 30.09.2014 zu gewähren.
3Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1) besuchte in Bulgarien vier Jahre die Schule und arbeitete circa ein halbes Jahr lang als Putzfrau. Nach eigenen Angaben reiste sie am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt verfügte sie über keine deutschen Sprachkenntnisse, sie sprach bulgarisch und etwas serbisch. Sie war bereits mit den Klägern zu 2) und 3) schwanger. Familienangehörige der Klägerin zu 1) halten sich nicht in der Bundesrepublik auf. Bei einer Untersuchung der Klägerin zu 1) am 04.12.2012 stellte das Gesundheitsamt der Stadt L eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko fest und bescheinigte ihr deshalb eine fehlende Reisefähigkeit. Am 09.03.2013 wurden die Kläger zu 2) und 3) geboren. Errechneter Entbindungstermin war der 29.03.2013.
4Am 24.11.2012 wurde die Klägerin zu 1) bei einem Ladendiebstahl aufgegriffen und festgenommen. Bei der polizeilichen Vernehmung gab sie an, sich seit zehn Tagen in der Bundesrepublik aufzuhalten. Grund für die Einreise sei ihre Sorge um ihr ungeborenes Kind gewesen, welches sie gesund zur Welt bringen wolle. Gegenüber dem Ausländeramt sowie im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens vor dem Sozialgericht Köln (S 13 AS 688/13 ER) ergänzte die Klägerin, sie sei in Bulgarien von ihrem Ex-Freund, der nicht der Kindsvater sei, aufgrund ihrer Schwangerschaft bedroht worden und daher zu einer in der Bundesrepublik lebenden Freundin geflohen. Durch Urteil des Amtsgerichts L vom 27.11.2012 - 520 Ds 00/12/ 00 Js 00/12 - wurde die Klägerin zu 1) wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5,00 EUR verurteilt.
5Am 21.12.2012 stellte die Klägerin zu 1) einen Leistungsantrag beim Beklagten. Bei Antragstellung gab sie an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihrem Ex-Freund suchen müssen und erhofft, dass sie Arbeit finde.
6Ab dem 10.01.2013 war die zuvor wohnungslose Klägerin zu 1) durch die Stadt L in Ausübung ihrer ordnungsbehördlichen Aufgaben in einer gewerblichen Unterkunft gegen Unterkunftskosten von 22,00 EUR täglich untergebracht. Nach Geburt der Zwillinge wurde die Familie seitens der Stadt L ab dem 02.04.2013 in der Pension X eingewiesen. Es fielen Unterkunftskosten von 28,00 EUR täglich pro Person an. Zum 02.12.2013 beschlagnahmte die Stadt L die aktuell bewohnte Wohnung der Kläger und wies diese dort ein. Mit Einweisungs- und Nutzungsgebührenbescheiden vom 21.10.2013, 05.03.2014, 30.04.2014, 27.08.2014 und 12.11.2014 wurde die Klägerin zu 1) verpflichtet, der Eigentümerin eine Nutzungsentschädigung in Höhe des Mietwertes zu leisten. Die Eigentümerin, die H Immobilien AG, bezifferte das Nutzungsentgelt mit insgesamt 621,06 EUR monatlich (378,30 EUR Nutzungsentschädigung + 59,76 EUR Zwangseinweisungszuschlag + 141,00 EUR Betriebskosten + 42,00 EUR Heizkosten). Anstelle der Kläger überweis die Stadt L die Nutzungsentschädigung an die Eigentümerin (§§ 19, 39 Abs. 1a OBG NRW), ohne dass die Kläger diese Aufwendungen zwischenzeitlich erstattet hätten (§ 42 Abs. 2 OBG NRW i.V.m. §§ 667 ff. BGB).
7Am 20.02.2013 ging auf dem Konto der Klägerin zu 1) ein von der Bundesstiftung "Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" gewährter Betrag von 470,00 EUR ein.
8Die Ausländerbehörde der Stadt L leitete im April 2013 ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger ein. Die Klägerin zu 1) gab in diesem Verfahren an, dass sie nach dem Tod ihres Adoptivvaters mit 14 Jahren von ihren Adoptivbrüdern in die Niederlande zwangsverheiratet worden sei. Dort habe sie sexuelle Gewalt erfahren und sei nach einer Straffälligkeit im Alter von 16 Jahren schwanger nach Bulgarien ausgewiesen worden. Ihr erstes Kind sei nach einer Unterbringung in einem Jugendheim adoptiert worden. Sie habe dann in Bulgarien fast sieben Jahre mit einem Mann zusammengelebt, mit dem sie drei Kinder habe. Dieser Ex-Freund habe sie gegen Ende der Beziehung geschlagen und beleidigt. Als er erfahren habe, dass sie von einem anderen Mann schwanger sei, habe er sie tätlich angegriffen und ihr gedroht, sie zu töten, wenn sie das Kind nicht abtreibe. Sie habe um ihr Leben und das des ungeborenen Kindes gefürchtet und sei zu einer Freundin in die Bundesrepublik geflüchtet. Nachdem die Klägerin zu 1) ihr Schicksal geschildert hatte, wurde das Verfahren seitens der Behörde seit Mitte 2013 nicht weiter betrieben.
9Mit Bescheid vom 09.04.2013 gewährte die Familienkasse L der Klägerin zu 1) für die Kläger zu 2) und 3) Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 EUR pro Monat. Die Gutschrift des Nachzahlbetrags von 736,00 EUR erfolgte am 15.04.2013 auf dem Konto der Klägerin zu 1).
10Mit Bescheid vom 18.10.2013 wurde der Klägerin zu 1) für den Zeitraum vom 09.03.2013 bis zum 08.03.2014 Elterngeld in Höhe von 600,00 EUR monatlich gewährt. Die sich hieraus ergebende Nachzahlung von 4.800,00 EUR wurde wegen eines angemeldeten Erstattungsanspruchs des Beklagten einbehalten. Ab November 2013 erfolgten die laufenden Zahlungen auf das Konto der Klägerin zu 1).
11Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Eilverfahren vor dem Sozialgericht Köln (S 13 AS 688/13 ER und S 24 AS 3557/13 ER) gewährte der Beklagte der Klägerin zu 1) vorläufig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht seit dem 21.02.2013 bzw. später auch den Klägern zu 2) und 3) für die Zeit bis zum 21.08.2013 die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II einschließlich des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 3 SGB II, darüber hinaus für die Zeit vom 21.02.2013 bis zum 21.08.2013 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie für die Zeit ab dem 16.09.2013 durchgehend die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II unter Anrechnung des Kindergeldes und des Elterngeldes ab November 2013.
12Mit Bescheid vom 14.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin zu 1) vom 21.12.2012 auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Hiergegen haben die Kläger am 12.04.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 24 AS 1392/13) erhoben.
13Am 06.08.2013 stellte die Klägerin zu 1) für die Bedarfsgemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag. Durch Bescheid vom 15.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Hiergegen haben die Kläger am 25.11.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 24 AS 4485/13) erhoben.
14Mit Beschluss vom 19.08.2014 hat das Sozialgericht die Verfahren S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
15Die Kläger haben argumentiert, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greife wegen Verstoßes gegen das europäische Gemeinschaftsrecht nicht zu ihren Ungunsten ein. Ihnen stünden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 21.01.2013 bzw. ab dem 09.03.2013 zu.
16Mit Urteil vom 19.08.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 und Aufhebung des Bescheides vom 15.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 verurteilt, der Klägerin zu 1) Leistungen ab dem 21.01.2013 und den Klägern zu 2) und zu 3) ab dem 09.03.2013 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
17Gegen das ihm am 19.09.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15.10.2014 Berufung eingelegt.
18Einen am 27.10.2014 gestellten Weiterbewilligungsantrag der Kläger lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2015 ab. Hiergegen haben die Kläger am 23.03.2015 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 19 AS 597/15) erhoben.
19Der Beklagte ist der Auffassung, die Kläger seien gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Er weist darauf hin, dass nach der Geburt eines Kindes in der Regel in den drei darauffolgenden Jahren für den betreuenden Elternteil keine Arbeitsvermittlung oder Integration stattfinde, außer der betreuende Elternteil wünsche dies ausdrücklich. Ein solcher Wunsch sei seitens der Klägerin zu 1) nicht geäußert worden.
20Der Beklagte beantragt,
21das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.08.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
22Die Kläger beantragen,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Die Kläger halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie tragen vor, die Klägerin zu 1) sei zwar zur Arbeitsuche, aber auch wegen der Bedrohung durch ihren Ex-Freund in Bulgarien in die Bundesrepublik eingereist. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung am 01.06.2013 ihr Begehren auf den Zeitraum ab dem 15.02.2013 - Klägerin zu 1) - bzw. 09.03.2013 - Kläger zu 2) und 3) - bis zum 30.09.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen.
25Mit Beschluss vom 21.01.2015 hat der Senat die Stadt L als Trägerin der Leistungen nach dem SGB XII nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen. Die Beigeladene ist der Auffassung, den Klägern seien Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, so dass § 21 SGB XII einer Leistungsgewährung durch die Beigeladene entgegenstehe.
26Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
27Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M und Beiziehung der im Internet veröffentlichen IAB-Kurzberichte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 21.03.2014 "Anerkannte Abschlüsse und Deutschkenntnisse lohnen sich" und 11/2014 "Kaum eine Region bietet genügend einfache Jobs". Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.06.0215 Bezug genommen.
28Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Köln - S 36 AS 5106/12 ER, S 13 AS 688/13 ER, S 24 AS 4477/13 ER, S 24 AS 3335/13 ER und S 19 AS 597/15 -, der Akte der Staatsanwaltschaft L 00 Js 00/12, der Ausländerakte der Stadt L und der Akte des Amtes für Soziales und Senioren der Stadt L Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
29Entscheidungsgründe:
30Die zulässige Berufung ist unbegründet.
31Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II an die Klägerin zu 1) ab dem 15.02.2013 bzw. an die Kläger zu 2) und zu 3) ab dem 09.03.2013 bis zum 30.09.2014. Die weitergehende Klage betreffend den Zeitraum vom 21.01.2013 bis zum 14.02.2013 bzw. über den 30.09.2014 hinaus haben die Kläger im Berufungsverfahren zurückgenommen. Damit ist das stattgebende Urteil betreffend die Zeiträume vom 21.01.2013 bis zum 14.02.2013 und ab dem 01.10.2014 hinfällig geworden.
32Das Sozialgericht hat der Klage für den streitbefangenen Zeitraum zu Recht stattgegeben.
33Die Kläger sind beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 15.02.2013 bis zum 30.09.2014 gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II (A.). Die Kläger zu 2) und zu 3) sind anspruchsberechtigt nach §§ 19 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II für die Zeit vom 09.03.2013 bis zum 30.09.2014 (B.).
34A. Die Voraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II lagen bei der Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum dem Grunde nach vor (1.). Ihr Leistungsanspruch ist nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II (2.) oder gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (3.) ausgeschlossen. 1. Im streitbefangenen Zeitraum erfüllte die Klägerin zu 1) die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II).
35Sie war hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die den Klägern im streitbefangenen Zeitraum zugeflossenen Sozialleistungen (Kindergeld und Elterngeld) deckten den monatlichen Gesamtbedarf (Bedarfe nach §§ 20, 21, 22 SGB II) der drei Kläger, die ab dem 09.03.2013 eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bildeten, nur teilweise. Der Bedarf der Klägerin zu 1) betrug vor der Geburt der Zwillinge ab dem 15.02.2013 monatlich insgesamt 1.106,94 EUR (382,00 EUR Regelbedarf + 64,94 EUR Mehrbedarf Schwangere gemäß § 21 Abs. 2 SGB II + 660,00 EUR Unterbringungskosten im Hotel), nach Geburt der Kläger zu 2) und 3) belief sich der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft auf 3.487,52 EUR monatlich (382,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 137,52 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 448,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 2520,00 EUR Unterbringungskosten Pension X). Nach dem Umzug der Kläger in die aktuelle Wohnung zum 02.12.2013 betrug der Gesamtbedarf 1.588,58 EUR monatlich (382,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 137,52 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 448,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 621,06 EUR Nutzungsentschädigung Wohnung). Mit Anhebung der Regelbedarfe zum 01.01.2014 stieg der Gesamtbedarf auf 1.610,82 EUR monatlich (391,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 140,76 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 458,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 621,06 EUR Nutzungsentschädigung Wohnung). Diese Gesamtbedarfe wurden durch das monatliche Einkommen der Kläger aus Kindergeld (2 x 184,00 EUR = 368,00 EUR) und Elterngeld (600,00 EUR) nur teilweise gedeckt. Dies gilt auch für den Monat April 2013, in dem der Klägerin zu 1) eine Nachzahlung von Kindergeld in Höhe von 736,00 EUR zugeflossen ist. Aufgrund der erheblichen Unterbringungskosten deckte diese Nachzahlung den Gesamtbedarf (3.487,52 EUR) nicht vollständig. Über sonstiges anrechenbares Einkommen oder berücksichtigungsfähiges Vermögen verfügten die Kläger nicht. Eine Nachzahlung von Elterngeld aufgrund des Bescheides vom 18.10.2013 wurde einbehalten und stand den Klägern damit tatsächlich nicht als bereites Einkommen zur Verfügung. Die Kläger haben ihren Lebensunterhalt im streitbefangenen Zeitraum durch die aufstockend und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erbrachten Zahlungen des Beklagten sowie der vorschussweisen Übernahme der Unterkunftskosten durch die Fachstelle Wohnen der Beigeladenen bestritten.
36Als bulgarische Staatsangehörige war die Klägerin zu 1) unabhängig von der bis zum 31.12.2013 erforderlichen Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60). Sie war auch erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB II.
37Die Klägerin zu 1) hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. Sie hielt sich im streitbefangenen Zeitraum (und darüber hinaus) zukunftsoffen und ohne erkennbare Anzeichen, dies ändern zu wollen, durchgehend in L auf. Bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU über den Verlust des Rechts zur Einreise und auf Aufenthalt besteht für einen Unionsbürger grundsätzlich ein zukunftsoffener Aufenthalt i.S.v. § 30 SGB I unabhängig davon, ob ein materielles Aufenthaltsrecht gegeben ist (BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.; vgl. auch LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12, wonach das Nichtabstellen auf die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Ausländers bei der Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, 30 SGB I kongruent mit dem in Art. 11 VO (EG) 987/2009 konkretisierten Begriff des Wohnorts ist). Das FreizügG/EU geht von einer Vermutung der Freizügigkeit aus, die einem Unionsbürger bis zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit durch die Ausländerbehörde einen formell rechtmäßigen Aufenthalt vermittelt (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl., § 7 Rn. 10 m.w.N.). Ein Unionsbürger ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU erst nach einer Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU ausreisepflichtig. Ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde von der zuständigen Ausländerbehörde zwar eingeleitet, jedoch seit Mitte 2013 nicht mehr betrieben.
38Die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II normierten Leistungsvoraussetzungen sind nicht um die ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines (materiellen) Aufenthaltsrechts zu erweitern (so aber LSG Hessen, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER). Allein die Tatsache, dass bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Ausländers abgestellt wird (siehe BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.), rechtfertigt nicht die Annahme einer unbeabsichtigten Regelungslücke. Dagegen spricht schon allein die Konzeption der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II sind Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Nach § 1 AsylbLG sind u.a. Ausländer leistungsberechtigt, deren materielles Aufenthaltsrecht noch nicht geklärt ist oder die trotz des Fehlens eines materiellen Aufenthaltsrechts sich in der Bundesrepublik aufhalten. Hierzu zählen u.a. vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), also auch vollziehbar nach § 7 FreizügG/EU ausreisepflichtige Unionsbürger. Die Kodifizierung eines solchen Leistungsausschlusses wäre nicht erforderlich, wenn das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts für einen Ausländer Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wäre. Auch haben die Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache E - C-333/13 - angegeben, die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Unionsbürgers und die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung seien formal nicht miteinander verknüpft (siehe hierzu Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtssache E - C-333/13 - Rn. 125).
392. Die Klägerin zu 1) ist im streitbefangenen Zeitraum nicht von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen.
40Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II greift nicht (mehr) ein. Die Klägerin zu 1) ist spätestens am 15.11.2012 in die Bundesrepublik eingereist. Der Senat stützt sich auf deren Angaben über den Zeitpunkt ihrer Einreise bei der polizeilichen Vernehmung am 25.11.2012, die sie in der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2015 bestätigt hat. Damit ist der gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II maßgebliche Dreimonatszeitraum zu Beginn des streitbefangenen Zeitraums, dem 15.02.2013, bereits abgelaufen gewesen.
413. Entgegen der Auffassung des Beklagten greift auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zu Ungunsten der Klägerin zu 1) nicht ein. Danach sind Ausländer und Ausländerinnen und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw. der Gründe des Aufenthaltsrechts am Maßstab des FreizügG/EU (BSG, Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R - ZFSH/SGB 2014, 58 m.w.N.), welches die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach dem AEUV i.V.m. der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 (RL 2004/38/EG) in nationales Recht umsetzt. Es muss positiv festgestellt werden, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik zusteht (BSG, Urteil vom 30.01.2013 a.a.O., m.w.N.). Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.; siehe auch VG Gießen, Urteil vom 16.04.2013 - 7 K 4111/11.GI mit Wiedergabe des Meinungsstandes zur Bedeutung von § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU im Verhältnis zu den Aufenthaltsrechten nach dem FreizügG/EU) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre. Die Klägerin zu 1) hatte im streitbefangenen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (a) oder ein anderes Aufenthaltsrecht (b) inne. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II findet auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung (c).
42a) Die Klägerin zu 1) hatte im streitbefangenen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.
43Das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsrecht eines Arbeitnehmers zur Arbeitsuche aus Art. 45 Abs. 3 AEUV wird konkretisiert durch die RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 E - Rn. 61), welche mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in der im streitbefangenen Zeitraum gültigen Fassung vom 21.01.2013 (Gesetz vom 21.01.2013, BGBl. I 86 - a.F. -) ihre Umsetzung in nationales Recht gefunden hat (Dienelt, a.a.O., § 2 FreizügG/EU, Rn. 61). Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. sind u.a. Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich zur Arbeitsuche aufhalten wollen. Im gemeinschaftsrechtlichen Sinne arbeitsuchend ist, wer ernsthaft und mit begründeter Aussicht auf Erfolg einen Arbeitsplatz sucht, wobei dies objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muss (vgl. EuGH, Urteile vom 23.03.2004 - C-138/02 - D, vom 20.02.1997 - C-344/95 und vom 26.02.1991 - C-292/89 - B; OVG Sachsen, Beschluss vom 07.08.2014 - 3 B 507/13 m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.06.2014 - 4 LB 22/13; VGH Bayern, Beschluss vom 11.02.2014 - 10 C 13.2241). Vor der Einfügung der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU mit Wirkung zum 09.12.2014 (Gesetz vom 02.12.2014, BGBl I 1922) wurde einem Unionsbürger eine Zeit zur Arbeitsuche von sechs bis neun Monaten eingeräumt (vgl. auch OVG Sachsen, Beschluss vom 20.08.2012 - 3 B 202/12 Rn. 10; VG München, Urteil vom 02.08.2010 - M 12 K 12.1882, M 12 S). Für die Annahme eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche genügt damit nicht allein die Erklärung eines Unionsbürgers, er halte sich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik auf. Auch wenn der Zeitraum zur Arbeitsuche von sechs bis neun Monaten erst im streitbefangene Zeitraum abgelaufen ist, kann sich die Klägerin zu 1) nicht auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche - auch nicht für einen Teilzeitraum - berufen. Denn ihre Arbeitsuche war objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg. Auch hat sich die Klägerin zu 1) nicht ernsthaft um die Erlangung eines Arbeitsplatzes bemüht. Allein die Stellung eines Leistungsantrags beim Beklagten begründet nicht den Status eines Arbeitsuchenden i.S.d. RL 2004/38/EG bzw. des FreizügG/EU (so aber anscheinend BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.)
44Eine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatte die Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum nicht. In der Zeit vom 15.02.2013 bis zum 21.06.2013 bestand für sie wegen der Schwangerschaft bzw. der vorzeitigen Zwillingsgeburt ein Beschäftigungsverbot nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 MuSchG. Auch für den Zeitraum nach dem 21.06.2013 bestand keine begründete Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Die Klägerin zu 1) verfügte lediglich über eine rudimentäre Schulbildung (vier Jahre), nicht aber über eine verwertbare berufliche Ausbildung oder Qualifikation. Ihre Berufserfahrung beschränkte sich auf eine kurzzeitige ungelernte Tätigkeit in Bulgarien. Die Arbeitsuche wurde erheblich dadurch erschwert, dass sie über keine deutschen Sprachkenntnisse - weder aktiv noch passiv - verfügte. Als bulgarische Staatsangehörige benötigte sie zudem bis zum 31.12.2013 eine Arbeitserlaubnis-EU/Arbeitsberechtigung-EU nach § 284 SGB III, die grundsätzlich nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 S. 1 AufenthG, d.h. insbesondere in Abhängigkeit vom Nichtvorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer (§ 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AufenthG), erteilt werden konnte. Erschwerend kommt hinzu, dass sie als alleinerziehendes Elternteil von zwei Kindern zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf eine gesicherte Kinderbetreuung angewiesen war, die im streitbefangenen Zeitraum nicht vorhanden war. Auch verfügte die Klägerin zu 1) nicht über ein soziales Netzwerk, bestehend aus Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten, über das oftmals Tätigkeiten im Bereich der ungelernten Tätigkeiten vermittelt werden. Der Senat stützt sich insoweit auf die Aussage des Zeugen M, der als Leiter eines Teams von Mitarbeitern des Beklagten, das für die Arbeitsvermittlung und die Integration von Leistungsbeziehern zuständig ist, über die Sachkunde verfügt, die Vermittlungsaussichten von Arbeitsuchenden zu beurteilen. Der Zeuge hat nachvollziehbar und in sich schlüssig bekundet, dass die Vermittlungsaussichten eines Ausländers, der über keine Berufsausbildung und keine rudimentären Deutschkenntnisse verfügt, schlecht sind. Allein schon fehlende deutsche Sprachkenntnisse schränkten die Vermittlungsaussichten erheblich ein. Bei Hinzutreten weiterer Vermittlungserschwernisse, wie z.B. mangelnde Ausbildung oder Alleinerziehung, sei die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, äußerst gering. Hinzu komme, dass der Arbeitsmarkt für ungelernte Tätigkeiten dadurch geprägt sei, dass die Nachfrage nach solchen Tätigkeiten erheblich das Angebot von Arbeitsstellen übersteige und deshalb die Arbeitgeber eine große Auswahl hinsichtlich der Qualifikation und zeitlichen Flexibilität der nachfragenden Arbeitskräfte hätten. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolge bei Migranten mit niedrigem Bildungsniveau im ungelernten Bereich oftmals über Tätigkeiten im Haushalt oder im Gewerbe auf der Basis von Minijobs oder Midijobs, die nicht über den Beklagten, sondern über soziale Netzwerke vermittelt würden. Der Senat hat keinen Anlass, an den Aussagen des Zeugen zu zweifeln. Die Aussagen zu den Vermittlungsaussichten von Ausländern mit niedrigem Bildungsniveau, ohne berufliche Kenntnisse und fehlende Deutschkenntnisse stimmen mit den Feststellungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über die Arbeitsmarktsituation von Migranten in den beiden beigezogenen Studien überein.
45Die Klägerin zu 1) hat sich auch nicht ernsthaft um Arbeit bemüht. Eine solche ernsthafte Arbeitsuche ergibt sich nicht allein aus der Tatsache, dass sie sich beim Beklagten arbeitsuchend gemeldet hat.
46Der Zeuge hat glaubhaft ausgeführt, dass der Beklagte bei arbeitslos gemeldeten Alleinerziehenden mit Kindern unter drei Jahren von selbst keine Vermittlungsbemühungen unternimmt, soweit dies nicht ausdrücklich erwünscht wird. Dies steht im Einklang mit der Wertung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II, wonach in solchen Fällen eine Arbeitsaufnahme lediglich bei sichergestellter Kinderbetreuung zumutbar ist. Vorliegend war die Klägerin nach eigenen Angaben zwecks Kinderbetreuung auf die Bereitstellung von Kindergartenplätzen angewiesen, um welche sie sich indes erst ab Vollendung des zweiten Lebensjahres der Kinder (und damit nach Ablauf des streitbefangenen Zeitraums) bemüht hat. Sie fragte Vermittlungsbemühungen des Beklagten nicht nach. Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin zu 1) eingeräumt, sie habe im streitbefangenen Zeitraum nicht verstärkt nach Arbeit gesucht. Sie habe gelegentlich in einem bulgarischen Geschäft nach Arbeit gefragt. Mangels konkreter und aussichtsreicher Arbeitsuche bestand ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1) aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. danach nicht.
47b) Der Klägerin zu 1) standen auch keine anderen Aufenthaltsrechte zu. Die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU lagen nicht vor. Im streitbefangenen Zeitraum war die Klägerin zu 1) weder Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F.) noch selbständig Erwerbstätige (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU a.F.) und hielt sich nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU a.F.). Sie verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU) und ist auch nicht einem freizügigkeitsberechtigten Familienmitglied nachgezogen (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m § 3 FreizügG/EU a.F.). Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht lagen ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU a.F.).
48Ihr stand ferner kein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV zu. Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Klägerin zu 1) übt zwar das alleinige Sorgerecht für zwei minderjährige Unionsbürger aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie aber auch unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebot kein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten.
49Zwar wird in der Literatur vertreten, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG finde aufgrund von Art. 18 AEUV auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (vgl. Dienelt a.a.O., § 11 FreizügG/EU Rn. 38f; a.A. Kösel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107). Es handelt sich aber nicht um eine Diskriminierung wegen Staatsangehörigkeit i.S.v. Art. 18 AEUV, wenn § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht auf Personen angewandt wird, die das Sorgerecht für minderjährige Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht ausüben. Der Inländergleichbehandlungsgrundsatz des Art. 18 AEUV gebietet allenfalls die Gleichbehandlung von minderjährigen Unionsbürgern, die über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen mit minderjährigen Deutschen. Eine ungleiche Behandlung von deutschen Minderjährigen, die sich auf das Freizügigkeitsgrundrecht aus Art. 11 Abs. 1 GG berufen können und minderjährigen Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht verstößt nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV. Anknüpfungspunkt ist in diesem Falle nicht die Staatsangehörigkeit, sondern das materielle Freizügigkeitsrecht der Minderjährigen. Das in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegte Diskriminierungsverbot wird für Unionsbürger, die von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten aufzuhalten und zu bewegen, in Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG konkretisiert (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - E). Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG ordnet an, dass jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates aufhält, vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen im Anwendungsbereich des Vertrags, die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates genießt. Danach findet Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG auf Unionsbürger, die sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie, sondern allenfalls auf die dem FreizügG/EU zugrunde liegende Freizügigkeitsvermutung berufen können, keine Anwendung (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER).
50Darüber hinaus verleiht Art. 11 GG einem minderjährigen Deutschen ein Recht zum Aufenthalt in Deutschland. Er darf grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, mit seinen Eltern im Ausland zusammenzuleben (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2013 - OVG 7 M 36.13, vgl. zum Ehegattennachzug: BVerwG, Urteil vom 04.09.2012 - 10 C 12/12 - BVerwGE 144, 141). Diesem Status entspricht der Status eines minderjährigen Unionsbürgers, der aus gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften (z.B. aus § 3 FreizügG/EU als Familienangehöriger eines nach § 2 FreizügG/EU berechtigten Unionsbürgers, Art. 10 VO 492/11) ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik hat. Der Status eines minderjährigen Unionsbürgers, der sich nur auf die Freizügigkeitsvermutung des FreizügG/EU a.F. berufen kann und sich damit formell, aber nicht materiell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ist mit dem Status eines minderjährigen Deutschen nicht vergleichbar. Denn anders als deutsche Minderjährige können sie ein materielles Aufenthaltsrecht nicht aus Art. 11 Abs. 1 GG herleiten.
51Vorliegend haben die minderjährigen Kläger zu 2) und 3) zwar ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, sie verfügen jedoch über kein materielles Aufenthaltsrecht. Weder steht ihnen ein solches aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU a.F. zu noch handelt es sich bei ihnen um in der Ausbildung befindliche Kinder (ehemaliger) Wanderarbeitnehmer im Sinne von Art. 10 VO 492/11/EU.
52Nach alledem verfügte die Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum über kein materielles Aufenthaltsrecht.
53c) Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II findet auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung.
54Die Formulierung in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II "deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt" verlangt das aktuelle Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts. Es genügt nicht, wenn der Zweck der Arbeitsuche die einzige Möglichkeit ist, aus der sich ein Aufenthaltsrecht ergeben kann. Das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts vor Einleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird auch nicht vermutet (so aber LSG NRW, Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13 ( Revision anhängig B 4 AS 24/14 R ); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 - L 15 AS 202/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2014 - L 20 AS 2697/14 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 14.04.2015 - L 7 AS 225/15 B ER). Gegen eine solche Auslegung spricht schon, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Indikativ und nicht im Konjunktiv gefasst ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 - und vom 19.03.2015 - L 31 AS 1268/14 ( Revision anhängig B 14 AS 15/15 R ); siehe auch LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12). Auch handelt es sich bei dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. bzw. ab 09.12.2014 nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU um einen qualifizierten Tatbestand mit objektivierbaren Kriterien, so dass der Beginn und der Zeitpunkt des Entfallens dieses Aufenthaltsrechts bestimmbar sind (LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12).
55Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats findet der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht vor einer Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts nach §§ 2 Abs.7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU durch die Ausländerbehörde keine Anwendung (vgl. Urteile vom 05.05.2014 - L 19 AS 430/13 (Revision anhängig B 14 AS 33/14 R) und vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 (Revision anhängig B 4 AS 64/13 R); Beschluss vom 20.03.2015 - L 19 AS 116/15 B ER m.w.N.; siehe auch LSG Thüringen, Beschluss vom 25.04.2014 - L 4 AS 306/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 und 19.03.2015 - L 31 AS 1268/14 ( Revision anhängig B 14 AS 15/15 R ); LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12 ( Revision B 14 AS 15/14 R ); LSG Hessen, Beschlüsse vom 07.04.2015- L 6 AS 62/15 B ER und vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 05.03.2015 - L 7 AS 2376/14 B ER).
56Der Senat sieht keinen Anlass seine Rechtsprechung im Hinblick auf die gegen sie erhobenen Einwände aufzugeben. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kann nicht im Wege teleologischer Auslegung dahingehend erweiternd ausgelegt werden, dass sie neben Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht erfasst (so aber LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschlüsse vom 04.02.2015 - L 2 AS 2224/14 B ER, vom 09.01.2015 - L 12 AS 2209/14 B ER und vom 03.12.2014 - L 2 AS 1623/14 B ER, LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER). Gegen eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung spricht schon der Ausnahmecharakter des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (zum Gebot, Ausnahmevorschriften jedenfalls nur in engen Grenzen analog anzuwenden, vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 32/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 61) unter besonderer Gewichtung der verfassungsrechtlichen Garantie der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG.
57§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II stellt den leistungsrechtlichen Grundsatz auf, dass Personen innerhalb der Altersgrenzen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben sowie erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Dieser Grundsatz entspricht der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 und vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134). Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG umfasst bei Ausländern die Sicherstellung des Existenzminimums auch bei kurzer Aufenthaltsdauer oder kurzer Aufenthaltsperspektive in Deutschland in jedem Fall und zu jeder Zeit (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, a.a.O., Rn. 90 f, 120). Dieser Anspruch kann weder aufgrund migrationspolitischer Erwägungen - zur Minimierung von Anreizen für sozialleistungsmotivierte Wanderbewegungen - verringert noch pauschal nach Aufenthaltstiteln differenziert werden. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 SGB II sind ausdrücklich als Ausnahmen konzipiert ("ausgenommen sind."). Ausnahmeregelungen sind insbesondere dann eng auszulegen, wenn sie bestimmte Personengruppen von verfassungsrechtlich geschuldeten Mindeststandards ausschließen (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O., Rn. 26). Die Voraussetzungen für einen "erst recht-Schluss" sind nicht erfüllt, da eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage nicht vorliegen. Für die Ergreifung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wegen Nichtbestehens eines materiellen Aufenthaltsrechts sind ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig (BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 8/13 R).
58Hiergegen wird eingewandt, Wortlaut und Aufbau von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II deuteten darauf hin, der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift alle Unionsbürger vom Leistungsbezug ausschließen wollen, die nicht über zusätzliche Aufenthaltsrechte wie das des bis zu dreimonatigen Aufenthaltes oder des Aufenthalts zur Arbeitsuche verfügen und deshalb gelte dieser Leistungsausschluss in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU festgestellt werden könne. Es erscheine sinnwidrig, wenn Unionsbürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht geltend machen könnten, gerade dann Leistungen nach dem SGB II beziehen könnten, wenn sie eine Arbeitsuche nicht einmal beginnen, sie ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben oder sich ihre Arbeitsuche als gescheitert herausstelle. Die leistungsrechtliche Besserstellung von Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht im Vergleich zu arbeitsuchenden Unionsbürgern mit Aufenthaltsrecht verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Auch gebiete Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II - Verhinderung der unangemessenen Belastung der sozialen Sicherungssysteme - Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht in den Leistungsausschluss mit einzubeziehen. Die Anwendung des SGB II auf diese Unionsbürger sei vor dem Hintergrund, dass die Leistung nicht nur zur Unterhaltssicherung, sondern auch zur Integration in den Arbeitsmarkt diene, systemwidrig. Das bis zur Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU bestehende formale Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers könne keine Rechtsposition begründen, die über diejenige eines aufenthaltsberechtigten Unionsbürgers hinausgehe. Allein die Möglichkeit, einer unangemessenen Beanspruchung der Leistungen durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu begegnen, lasse die Erforderlichkeit einer Anwendung des Leistungsausschlusses bis zur tatsächlichen Durchsetzung dieser Maßnahmen nicht zwingend entfallen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschlüsse vom 04.02.2015 - L 2 AS 2224/14 B ER, vom 09.01.2015 - L 12 AS 2209/14 B ER und vom 03.12.2014 - L 2 AS 1623/14 B ER-; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER).
59Diese Ausführungen hält der Senat insoweit für nicht überzeugend, als der Gesetzgeber das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts nicht als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von existenzsichernden Leistungen vorgesehen hat. Diese Möglichkeit der Anspruchsbegrenzung hat der Gesetzgeber im SGB II nicht wahrgenommen (siehe hierzu Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtssache E C-333/13 Rn. 125). Auch ist in die Überlegungen mit einzubeziehen, dass der Gesetzgeber im System des SGB XII im Gegensatz zum System des SGB II neben dem Leistungsausschluss bei einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche (§ 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII ) auch einen Leistungsausschluss im Fall der Einreise zum Zweck des Bezuges von Sozialhilfe (§ 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII; vgl. zur Auslegung dieses Ausschlusstatbestandes BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - SozR 4-3500 § 25 Nr. 5 m.w.N.) vorgesehen hat. Von einer unbewussten Regelungslücke auszugehen, hält der Senat daher - auch unter Berücksichtigung der neueren Gesetzgebungsentwicklung (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschluss vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER) - für nicht gerechtfertigt.
60Auch wenn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger europarechtskonform ist, bleibt die Gesamtregelung des § 7 Abs. 1 SGB II in sich stimmig und ohne Regelungslücke. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bezweckt bei materiell-rechtlich legalem Aufenthalt zur Arbeitsuche, der nicht von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig ist, diesen gesetzlich zu begrenzen, und im Fall des Wegfalls der Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts die aufenthaltsrechtliche Steuerung durch die Herstellung der Ausreisepflicht zu eröffnen.
61Bei einer vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 7 FreizügG/EU wird zum einen ggf. der gewöhnliche Aufenthalt eines Unionsbürgers als Leistungsvoraussetzung beendet (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 11.03.2015 - L 19 AS 141/15 B ER). Zum anderen wird ein solcher Unionsbürger vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II mit einer entsprechenden Überleitung ins Leistungssystem des AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) erfasst (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschlüsse vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER und vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER). Aus welchem Grund Unionsbürger, die sich aufgrund der Freizügigkeitsvermutung im FreizügG/EU formal rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, der Zugang zu einem existenzsichernden System versperrt sein soll, während Unionsbürgern, deren Aufenthalt materiell rechtswidrig ist und die ausreisepflichtig sind, ein Zugang zu einem existenzsichernden System - nämlich des AsylbLG - eröffnet sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Zugang zu den Leistungssystemen des SGB II bzw. des SGB XII besteht nicht abhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, sondern vom gewöhnlichen Aufenthalt bzw. dem tatsächlichen Aufenthalt. Auch ist die subjektive Verfügbarkeit im Sinne der Arbeitsbereitschaft nicht Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld II. Das Fehlen von Arbeitsbereitschaft im SGB II wird ausschließlich durch Sanktionen (§ 30 ff SGB II) sanktioniert (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 m.w.N.). Das System des SGB II erfasst alle erwerbsfähigen Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Durch das Konzept des "Forderns und Förderns" sollen die Integration einer erwerbsfähigen Person in den Arbeitsmarkt gefördert und subjektive sowie objektive Vermittlungshemmnisse überwunden werden. Die Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU verbunden mit einer Ausreisepflicht des Unionsbürgers stellt ein geeignetes Instrument dar, eine unangemessene Belastung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern. Für diese Feststellung sind ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig. Es handelt sich nicht um eine gebundene Entscheidung, sondern um eine einzelfallbezogene Ermessenentscheidung (BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 - BVerwGE 121, 297). Hierbei sind die eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigenden öffentlichen Belange gegen die privaten Belange des Unionsbürgers abzuwägen und das unionsrechtlich begründete Verhältnismäßigkeitsgebot sowie die Abschiebungshindernisse nach §§ 55 ff. AufenthG zu berücksichtigen. Es sind u.a. die Dauer des Aufenthalts, das Alter und der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage sowie die soziale und kulturelle Integration in die Abwägung mit einzubeziehen. Damit sieht das FreizügG/EU vor, dass ein Unionsbürger trotz Nichtbestehens eines materiellen Aufenthaltsrechts sich dauerhaft formell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten kann, also nicht grundsätzlich unterstellt werden kann, dass einem solchen Unionsbürger die Ausreise in seinen Heimatstaat verbunden mit der Inanspruchnahme der existenzsichernden Systeme seines Heimatstaates zumutbar ist. Insoweit ist das vorliegende Verfahren auch dadurch gekennzeichnet, dass die zuständige Ausländerbehörde zwar ein Prüfungsverfahren zur Verlustfeststellung eingeleitet, nach Kenntnis vom Schicksal der Klägerin zu 1) von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen jedoch abgesehen hat.
62Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.11.2014 in der Rechtssache E - C-333/13 - stützt nicht eine erweiternde Auslegung des Leistungsausschlusses. Hiernach ist es Mitgliedstaaten gestattet, nicht erwerbstätige Unionsbürger, denen im Aufenthaltsmitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 der RL 2004/38/EG auszuschließen, wenn der Zugang zum nationalen Sozialhilfesystem nicht von der materiellen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängt und die Unionsbürger von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen.
63Aus diesen Ausführungen ist weder zu entnehmen, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einen solchen Ausschluss regelt, noch dass bei sämtlichen Unionsbürgern, die sich nur formell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, eine solche Zielsetzung - wie sie z.B. § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII voraussetzt - unterstellt werden kann (vgl. hierzu auch LSG Bayern, Beschluss vom 14.01.2015 - L 11 AS 836/14 B ER). Im vorliegenden Fall lässt sich ein solcher finaler Zusammenhang zwischen der Einreise der Klägerin zu 1) und dem Bezug von existenzsichernden Leistungen auch nicht feststellen. Im Vordergrund der Motivation für die Einreise der Klägerin zu 1) standen die Suche nach Schutz vor ihrem gewaltbereiten Partner sowie der Schutz ihres ungeborenen Kindes. Insoweit bestehen keine Zweifel an den Angaben der Klägerin zu ihren im Vordergrund stehenden Einreisegründen - Kenntnis vom Bestehen einer Risikoschwangerschaft, Gefährdung ihrer körperlichen Integrität und der ihres ungeborenen Kindes durch einen Gewalt ausübenden Partner, fehlende familiäre Unterstützung, Flucht in die Anonymität. Allein die Tatsache, dass die Klägerin zu 1) bei ihrer Einreise weder über Einkommen noch Vermögen verfügte und keine realistische Aussicht auf einen Arbeitsplatz hatte, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Einreise zum Zweck des Bezuges existenzsichernder Leistungen erfolgt ist.
64Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass andere Leistungsausschlüsse zu Ungunsten der Klägerin zu 1) eingreifen.
65B. Die Kläger zu 2) und 3) haben nach § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II einen Anspruch auf Sozialgeld. Denn sie lebten mit der Klägerin zu 1), einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (s.o.), in Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II und verfügten nicht über ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen, um ihren Lebensunterhalt (samt Unterkunftskosten und Krankenversicherungsschutz) zu bestreiten. Der Leistungsanspruch der beiden Kläger ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG zu erstatten.
67Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.11.2012 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerinnen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum von 25.09.2010 bis 30.11.2011.
3Die am 00.00.1977 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.1998 geborenen Klägerin zu 2), die im streitigen Zeitraum Schülerin war. Beide sind bulgarische Staatsbürgerinnen. Sie lebten im streitigen Zeitraum zusammen mit den Eltern sowie einem Bruder der Klägerin zu 1) in einer gemeinsamen Wohnung in einem Übergangswohnheim, für die ein Nutzungsentgelt von 1720,04 Euro monatlich erhoben wurde. Der Mietrückstand im streitigen Zeitraum belief sich auf über 20.000,00 Euro. Die Klägerin zu 1) besaß ab dem 16.02.2011 eine unbefristete Arbeitsberechtigung nach § 284 SGB III sowie seit dem 31.08.2011 eine Freizügigkeitsbescheinigung.
4Die Klägerinnen reisten am 09.02.2004 mit weiteren Familienangehörigen unter falschen Namen in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie gaben sich als Personen mit mazedonischer Staatsbürgerschaft aus, erhielten bis zum 13.04.2010 Duldungen und bis Februar 2010 Leistungen nach dem AsylbLG. Die zutreffende Identität der Klägerinnen wurde dem Ausländeramt am 13.07.2010 bekannt.
5Am 10.09.2010 stellten die Klägerinnen einen Leistungsantrag bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend Beklagter) sowie beim Sozialgericht Köln einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung des Beklagten zur einstweiligen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Beschluss vom 21.10.2010 lehnte das Sozialgericht den Antrag ab. Während des laufenden Gerichtsverfahrens stellten die Klägerinnen am 25.09.2010 einen weiteren Leistungsantrag. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2011 ab. Die Klägerinnen seien nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhielten. Gegen diesen Bescheid legten die Klägerinnen am 30.03.2011 Widerspruch ein.
6In einem weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 33 AS 1570/11 ER) verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten vorläufig, den Klägerinnen Leistungen in Gestalt der Regelleistung nach dem SGB II für die Zeit vom 15.04.2011 bis 15.07.2011 zu gewähren. Mit Bescheid vom 16.06.2011 führte der Beklagte diesen Beschluss aus und bewilligte vom 15.04.2011 bis 15.07.2011 Regelleistungen. Darüber hinaus bewilligte er vorläufige Leistungen für Unterkunft und Heizung.
7Am 05.08.2011 beantragten die Klägerinnen Leistungen ab dem 15.07.2011. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.08.2011 ab. Er gewährte jedoch "in weiterer Ausführung des Beschlusses S 33 AS 1570/11 ER" vorläufig für die Zeit vom 01.08.2011 bis zum 31.01.2012 monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 670,00 EUR und Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. 642,09 EUR. Gegen diesen Bescheid legten die Klägerinnen am 05.09.2011 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 18.03.2011 sowie 11.08.2011 als unbegründet zurück.
8Mit Bescheid vom 30.11.2011 bewilligte die Familienkasse L Kindergeld für die Klägerin zu 2) rückwirkend seit 2007. Hieraus resultierten Nachzahlungen, die am 19.09.2011 i.H.v. 1.656,00 EUR sowie am 06.12.2011 i.H.v. 7.972,00 EUR auf das Konto der Klägerin zu 1) verbucht wurden.
9Am 08.12.2011 haben die Klägerinnen Klage gegen die Bescheide vom 18.03.2011 und 11.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 erhoben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach § 7 SGB II seien erfüllt. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verstoße gegen Recht der Europäischen Union, namentlich gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004).
10Die Klägerinnen haben beantragt,
11die Bescheide des Beklagten vom 18.03.2011 und 11.08.2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 aufzuheben und ihnen Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 25.09.2010 bis zum 31.01.2012 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
12Der Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Mit Urteil vom 27.11.2012 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Klägerinnen dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 25.09.2010 bis 30.11.2011 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Klägerinnen könnten sich bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 berufen. Die Nachzahlung von Kindergeld i.H.v. 1.656,00 EUR im September 2011 lasse die Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Erst ab Dezember 2011 entfalle die Hilfebedürftigkeit wegen der Nachzahlung des Kindergeldes i.H.v. 7.972,00 EUR.
15Gegen das dem Beklagten am 12.02.2013 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung vom 08.03.2013. Der Beklagte beruft sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Die Klägerin zu 1) habe kein Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche. Den Klägerinnen stehe insbesondere kein Daueraufenthaltsrecht zu, da sie unter falschem Namen eingereist wären.
16Der Beklagte beantragt,
17das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.11.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
18Die Klägerinnen beantragen,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
21Die Klägerin zu 1) gibt an, in Bulgarien bis zum fünften Schuljahr zur Schule gegangen zu sein. Sie habe anschließend nicht gearbeitet. In der Bundesrepublik habe sie vor etwa drei Jahren einmal arbeiten wollen. Seither sei sie krank gewesen. Um eine Arbeitsstelle beworben habe sie sich nicht. Wenn sie gesundheitlich dazu in der Lage wäre, würde sie gerne einen einfachen Job annehmen.
22Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie der Ausländerakten der Stadt L verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
23Entscheidungsgründe:
24Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
25A. Den Streitgegenstand des Verfahrens bilden Ansprüche der Klägerinnen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 25.09.2010 bis 30.11.2011, über die der Beklagte durch die Bescheide vom 18.03.2011 und 11.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 entschieden hat und zu deren Gewährung das Sozialgericht den Beklagten im Rahmen eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 SGG) verpflichtet hat. Da nur der Beklagte Berufung eingelegt hat, ist der streitige Leistungszeitraum bis November 2011 begrenzt.
26B. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 25.09.2010 bis 30.11.2011.
271) Im streitbefangenen Zeitraum erfüllte die Klägerin zu 1) die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Als bulgarische Staatsangehörige war sie unabhängig von der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. 8 Abs. 2 SGB II (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 13 ff.). Durchgreifende Zweifel an der gesundheitlichen Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) i.S.d. §§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB II ergeben sich weder aus dem Umstand, dass sie im Erörterungstermin am 01.07.2013 ausgeführt hat, es sei ihr in den letzten drei Jahren gesundheitlich nicht gut gegangen noch daraus, dass sie nach einem Aktenvermerk der Bundesagentur für Arbeit vom 12.08.2013 ab August 2013 nach dem Ergebnis einer ärztlichen Begutachtung erwerbsunfähig sei. Denn diese Umstände liegen weit nach dem streitigen Zeitraum, für den Belege für eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Klägerin zu 1) nicht vorhanden sind und auch von den Beteiligten nicht geltend gemacht werden.
28Die Klägerin zu 1) hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 2 S. 3 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Klägerin zu 1) hielt sich im streitigen Zeitraum zukunftsoffen und ohne erkennbare Anzeichen, dies ändern zu wollen, durchgehend in L auf. Ihr aufenthaltsrechtlicher Status als Staatsangehörige eines neuen Unionsstaates, für den noch Übergangsregelungen u.a. mit Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit bis zum 31.12.2013 galten, ist demgegenüber unerheblich. Anknüpfend an die Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, kritisch zu dieser Rechtsprechung SG Darmstadt Beschluss vom 28.10.2013 - S 16 AS 534/13 ER), wonach bei einem EU-Bürger bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 6 FreizügG/EU über den Verlust des Rechts zur Einreise und auf Aufenthalt ein zukunftsoffener Aufenthalt i.S.v. § 30 SGB I unabhängig vom Vorliegen eines Aufenthaltsgrundes bzw. -rechts gegeben ist, bestand im streitbefangenen Zeitraum ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13). Der Verlust des Rechts der Klägerin zu 1) zur Einreise und auf Aufenthalt wurde von der zuständigen Ausländerbehörde im streitbefangenen Zeitraum nicht festgestellt.
29Die Klägerin zu 1) war im streitigen Zeitraum i.S.d. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II hilfebedürftig. Sie verfügte bis zum Zufluss des für die Klägerin zu 2) rückwirkend bewilligten Kindergeldes über kein Einkommen oder Vermögen. Der Zufluss der Kindergeldnachzahlung von 1.656,00 EUR am 20.09.2011 ließ die Bedürftigkeit nicht entfallen. Unter Zugrundelegung des durch § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II auf bis zu sechs Monate begrenzten Verteilzeitraumes ergibt sich ein monatlicher Verteilbetrag i.H.v. 276,00 EUR, der den Bedarf der Klägerinnen nicht deckte.
302) Die Klägerin zu 1) ist nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen sind, steht einem Leistungsanspruch nicht entgegen, weil die Klägerin zu 1) sich im streitigen Zeitraum auf ein solches Aufenthaltsrecht nicht berufen konnten (a). Der Klägerin zu 1) stand auch kein anderweitiges Aufenthaltsrecht zur Verfügung (b). Sie unterfällt als Unionsbürgerinnen ohne (materielles) Aufenthaltsrecht dem Leistungsausschluss nicht (c).
31a) Ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU bestand für die Klägerin zu 1) im streitigen Zeitraum nicht (mehr).
32Das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsrecht eines Arbeitnehmers aus Art. 45 Abs. 3 AEUV, das in § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU konkretisiert wird (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 2 FreizügG/EU, Rn. 61) umfasst auch die Ersteinreise zum Zwecke der Arbeitsuche, ein konkretes Arbeitsverhältnis muss insoweit noch nicht bestehen (EuGH Urteil vom 25.10.2012 - C 367/11 Rechtssache Prète; VGH Bayern, Beschluss vom 16.01.2009 - 19 C 08.3271). Im streitigen Zeitraum hatte die Klägerin jedoch kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr. Denn das Recht eines Arbeitnehmers auf Zugang zum Arbeitsmarkt begründet kein zeitlich unbeschränktes Aufenthaltsrecht. Dieses besteht vielmehr zunächst für drei Monate voraussetzungslos und danach nur so lange, wie ein Arbeitnehmer ernsthaft einen Arbeitsplatz sucht und sein Bemühen nicht objektiv aussichtslos ist (vgl. EuGH Urteile vom 20.02.1997 - C-344/95, vom 26.02.1991 - C-292/89 - Rechtssache Antonissen und 23.03.2004 - C-138/02 - Rechtssache Collins; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 10. Aufl. § 2 FreizügG/EU, Rn. 62; vergl. auch Art. 14 Abs. 4b S. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - ABl. L 158 - im Folgenden: Freizügigkeitsrichtlinie, wonach Arbeitsuchende nicht ausgewiesen werden dürfen, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden).
33Dahinstehen kann, welche Anforderungen an ernsthafte Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu stellen sind. Zur Überzeugung des Senats wären Einstellungsbemühungen im streitbefangenen Zeitraum für die Klägerin zu 1) objektiv ohne jede begründete Aussicht auf Erfolg gewesen. Sie verfügte lediglich über eine rudimentäre Schulausbildung, keine verwertbaren Kenntnisse der deutschen Sprache und keinerlei Berufserfahrung. Nach eigenen Angaben litt sie unter gesundheitlichen Einschränkungen. Als bulgarische Staatsangehörige benötigte sie zudem eine Arbeitserlaubnis/EU oder Arbeitsberechtigung/EU nach § 284 SGB III, die grundsätzlich nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 S. 1 AufenthG, d.h. insbesondere in Abhängigkeit vom Nichtvorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer (§ 39 Abs. 2 S. 1b AufenthG), erteilt werden konnte. Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1) zur Arbeitsuche bestand danach nicht.
34b) Die Klägerin zu 1) konnte sich im streitbefangenen Zeitraum nicht auf ein anderweitiges Aufenthaltsrecht berufen Ein solches Recht besteht weder nach dem FreizügG/EU (aa) noch nach Art. 21 AEUV (bb).
35aa) Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ein Recht zur Einreise und zum Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
36Im streitbefangenen Zeitraum war die Klägerin zu 1) weder als Arbeitnehmerin beschäftigt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU), noch niedergelassene selbständige Erwerbstätige (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU). § 2 Abs. 3 FreizügG/EU, wonach in bestimmten Fällen ein zuvor erworbener Status erhalten bleiben kann, greift zu Gunsten der Klägerin zu 1) nicht ein. Insbesondere hat sie nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik weder eine Beschäftigung unfreiwillig verloren noch eine nach der Einreise aufgenommene selbständige Tätigkeit infolge von Umständen, auf die sie keinen Einfluss gehabt hat, eingestellt (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU).
37Ein Aufenthaltsrecht als nicht erwerbstätiger Unionsbürger nach § 4 FreizügG/EU lag ebenfalls nicht vor, da die Klägerin zu 1) nicht über ausreichende Existenzmittel verfügte.
38Die Klägerin zu 1) hatte im streitbefangenen Zeitraum auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben, da sie sich nicht seit mindestens fünf Jahren materiell rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte und auch die Voraussetzungen von § 4a Abs. 2 FreizügG/EU nicht vorlagen.
39Ein von der Klägerin zu 2) abgeleitetes Aufenthaltsrecht steht der Klägerin zu 1) nicht zu. Auch die Klägerin zu 2) hatte kein Aufenthaltsrecht nach den vorgenannten Vorschriften.
40Die Klägerin zu 1) konnte schließlich aus § 11 Abs. 1 S. 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung vom 19.08.2007 (BGBl I, 1970) kein Aufenthaltsrecht ableiten (vgl. hierzu BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 321). Es lagen keine Gründe vor, die nach den Vorschriften des AufenthG ein Aufenthaltsrecht begründen konnten.
41bb) Allein aus dem Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV kann die Klägerin zu 1) kein materielles Aufenthaltsrecht ableiten.
42Nach Art. 21 AEUV hat zwar jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Vorschrift begründet ein subjektiv öffentliches Recht, das dem Unionsbürger unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme unmittelbar zusteht und gewährleistet das Recht, aus einem Mitgliedstaat auszureisen, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort ohne zeitliche und grundsätzlich ohne inhaltliche Begrenzung aufzuhalten. Das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten, ohne dort einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen, besteht jedoch nicht uneingeschränkt, sondern vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Hinsichtlich dieser Beschränkungen und Bedingungen ist Art. 7 Abs. 1 b) der Freizügigkeitsrichtlinie zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten verlangen können, dass die Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet für einen Zeitraum von über drei Monaten wahrnehmen wollen, ohne eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, für sich und ihre Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat und über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12 - Rechtsache Brey; vergl. zur Konkretisierung des Freizügigkeitsrechts durch die Freizügigkeitsrichtlinie auch EuGH Urteil vom 21.12.2011 - C 424/10, Rn. 38 f.; BVerwG Urteil vom 13.07.2010 - 1 C 14/09, Rn. 24 ff.).
43c) Mithin lässt sich das Vorliegen eines Aufenthaltsrechtes nach dem FreizügG/EU bzw. der Freizügigkeitsrichtlinie nicht positiv feststellen. Dies gilt namentlich hinsichtlich eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche. Der Aufenthaltszweck der Arbeitsuche stellt keinen Auffangstatbestand dar, der zur Anwendung gelangt, wenn ein anderer Zweck nicht feststellbar ist (vgl. Dienelt, a.a.O., § 2 FreizügG/EU Rn. 59, Hessisches LSG Beschluss vom 30.09.2010 - L 6 AS 433/13 B ER). Es handelt sich bei den Klägerinnen um EU-Bürgerinnen ohne Aufenthaltsgrund bzw. ohne materielles Aufenthaltsrecht (zu dieser Personengruppe vgl. auch BVerwG Urteil vom 31.05.2012 - 10 C 8/12; VG Dresden Beschluss vom 01.08.2013 - 3 L 300/13).
44Auf EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht findet der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keine Anwendung (ebenso bereits Urteil des Senats vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13, Revision B 4 AS 64/13 R; LSG Thüringen Beschluss vom 25.04.2014 - L 4 AS 306/14 B ER; Hessisches LSG Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12, Revision B 14 AS 15/14 R; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13, Revision B 4 AS 24/14 R; kritisch Kador/Greiser ZFSH/SGB 2014, 152 ff.; zu der in mehrerlei Hinsicht ungeklärten Rechtslage betreffend diese Personengruppe weiter Thym, NZS 2014, 81, 89)
45aa) Der Wortlaut der Vorschrift stellt nur auf das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ab (Hessisches LSG Beschluss vom 30.09.2013 - L 6 AS 433/13 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.03.2013 - L 31 AS 362/13 B ER; Kingreen, SGb 2013, 132 ff.; zum im Wortlaut identischen Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 54d).
46bb) Die Vorschrift kann nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Leistungsausschluss bei EU-Bürgern, deren Aufenthaltsrecht allein auf Arbeitsuche beruht, "erst recht" für EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht gilt (ebenso Hessisches LSG Beschluss vom 30.09.2013 - L 6 AS 433/13 B ER, Rn. 24, LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.03.2013 - L 31 AS 362//13 B ER; Kingreen SGb 2013 S. 132, 134; für das SGB XII LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B, Rn. 17; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER, Rn. 16; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 54d; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13, LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.07.2012 - L 12 AS 511/11; Hessisches LSG Beschluss vom 14.10.2009 - L 7 AS 166/09 B ER; SG Leipzig Vorlagebeschluss vom 03.06.2013 - S 17 AS 2198/12).
47Gegen eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung spricht schon der Ausnahmecharakter des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (zum Gebot, Ausnahmevorschriften jedenfalls nur in engen Grenzen analog anzuwenden vergl. BSG Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 32/12 R) unter besonderer Gewichtung der verfassungsrechtlichen Garantie der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II stellt den leistungsrechtlichen Grundsatz auf, wonach Personen innerhalb der Altersgrenzen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben sowie erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Dieser Grundsatz entspricht der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (hierzu BVerfG Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 und 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG umfasst bei Ausländern die Sicherstellung des Existenzminimums auch bei kurzer Aufenthaltsdauer oder kurzer Aufenthaltsperspektive in Deutschland in jedem Fall und zu jeder Zeit (vgl. hierzu BVerfG Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11, Rn. 90 f, 120).
48Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 SGB II sind ausdrücklich als Ausnahmen von diesem Grundsatz konzipiert ("ausgenommen sind."). Ausnahmeregelungen sind insbesondere dann eng auszulegen, wenn sie bestimmte Personengruppen von verfassungsrechtlich geschuldeten Mindeststandards ausschließen (so ausdrücklich BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 26; zustimmend Janda ZFSH/SGB 2013, 453 f.). Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Betroffene sich dem Leistungsausschluss entziehen und in das Sicherungssystem seines Heimatlandes begeben kann, indem er ausreist. Dies darf nicht verlangt werden, denn Unionsbürger sind erst dann zur Ausreise verpflichtet, wenn der Verlust ihres Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde festgestellt worden ist (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 20).
49Auch nach der Rechtsprechung des BSG ist § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II als Regelung, die von existenzsichernden Leistungen ausschließt, eng auszulegen in dem Sinne, dass ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik allein zur Arbeitsuche positiv festzustellen ist, bevor der Leistungsausschluss angewendet werden kann (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 26 m.w.N.).
50Unabhängig von diesem Gesichtspunkt liegen die Voraussetzungen für einen methodisch zulässigen "erst-recht" - Schluss nicht vor. Richterliche Rechtsfortbildung mittels eines "erst recht" - Schlusses (argumentum a majore ad minus), der mit der Analogie nahe verwandt ist (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991 S. 390), setzt - ebenso wie diese - voraus, dass die Norm, deren Anwendungsbereich ausgedehnt werden soll, analogiefähig ist. Dies erfordert, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt dem geregelten Sachverhalt vergleichbar ist. Eine planwidrige Regelungslücke liegt dabei nur vor, wenn das Gesetz nach der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht für eine bestimmte Fallgestaltung eine Regelung hätte erwarten lassen, diese jedoch unbeabsichtigt nicht erfolgt ist. Weiter muss der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber hätte bei einer Interessenabwägung unter Beibehaltung der bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift beachteten Grundsätze eine identische Regelung gewählt. Denn Analogie und "erst recht" Schluss beruhen gleichermaßen auf der Forderung normativer Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln (BSG Urteil vom 25.08.2011 - B 11 AL 30/10 R m.w.N.). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gewahrt.
51Aus den Gesetzesmaterialien zur Einführung von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ergibt sich eine unbeabsichtigte Regelungslücke nicht. Die Vorschrift wurde eingefügt durch Art. 1 Nr. 2a des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze (SGB II-ÄndG) vom 24.03.2006 (BGBl. I 558 ff.) in der Absicht, die Option des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie zu nutzen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum SGB II-ÄndG; BT-Drs. 16/688 S. 13). Art. 24 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie erlaubt die Einschränkung der Verpflichtung des Aufnahmemitgliedstaates zur Gewährung von Sozialhilfe während der ersten drei Monate eines Aufenthaltes sowie dann, wenn wegen nachgewiesener Arbeitsuche bei begründeter Einstellungsaussicht (Art. 14 Abs. 4 b der Freizügigkeitsrichtlinie) noch Ausweisungsschutz besteht. Dementsprechend sollten durch Einführung von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II diejenigen, die ihr Freizügigkeitsrecht über drei Monate hinaus in Anspruch nehmen, nicht nur von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII, sondern auch von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen werden (zu diesem Gesetzeszweck auch BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R Rn. 25; Hessisches LSG Beschluss vom 14.10.2009 - L 7 AS 166/09 B ER Rn. 21). Der Gesetzgeber hat damit nur eine Regelung für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger treffen wollen, ohne andere Personengruppen versehentlich nicht einbezogen zu haben.
52Auch unterscheiden sich Unionsbürger ohne Aufenthaltsgrund wesentlich von den vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, so dass der insoweit zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht gerade nicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat (Unionsbürger mit Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche), dass angenommen werden muss, er wäre bei einer Interessenabwägung zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.
53Personen, die sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in einem anderen Unionsstaat aufhalten, müssen nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht - nach Ablauf einer dreimonatigen Frist eines voraussetzungslosen Aufenthaltes - grundsätzlich über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen (vgl. EuGH Urteil vom 19.09.2013 C-140/12 - Rechtssache Brey, Rn. 53 ff.). Nach Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist (a) oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen (b). Dieses Aufenthaltsrecht steht gem. Art. 14 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen (nur) zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen. Arbeitsuchende sind keine Arbeitnehmer i.S.d. Art. 7 Abs. 1 a der Freizügigkeitsrichtlinie. Zwar umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 3 AEUV auch das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen. Dennoch ist der Stellensuchende (noch) kein Arbeitnehmer (EuGH Urteile vom 18.06.1987 - C-316/85 - Rechtssache Lebon und 21.12.2011 - C-424/10, C-425/10 zur Inanspruchnahme sozialer Vergünstigungen durch Arbeitsuchende; ebenso Khan in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 45, Rn. 24). Dies verdeutlicht auch die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern oder Selbständigen einerseits und Arbeitsuchenden andererseits im Erwägungsgrund 21 der Freizügigkeitsrichtlinie. Das Gemeinschaftsrecht geht damit grundsätzlich davon aus, dass Personen, die sich über einen längeren Zeitraum zur Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten wollen, über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen und deshalb das soziale Sicherungssystem des Aufnahmestaates nicht in Anspruch nehmen müssen. Dieses Erfordernis soll verhindern, dass die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch genommen werden (vgl. auch den Erwägungsgrund 10 der Freizügigkeitsrichtlinie). Mit diesen Regelungen setzt die Freizügigkeitsrichtlinie den Vorschlag der Kommission vom 23.05.2001 um, wonach es für Erwerbstätige zur Ausübung der Freizügigkeit nur eine Voraussetzung - die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit - geben und für Nichterwerbstätige die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel und einer Krankenversicherung während der ersten vier Jahre des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat beibehalten bleiben solle, damit die Betreffenden nicht zu einer unangemessen hohen finanziellen Belastung für den Aufnahmemitgliedstaat werden (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten vom 23.05.2001 - Kom (2001) 257 2001/0111 (COD)).
54Allerdings begründet das Gemeinschaftsrecht für Unionsbürger, die in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist sind, um Arbeit zu suchen, einen Ausweisungsschutz. Um diesen in Anspruch nehmen zu können, müssen die Unionsbürger - sofern nicht von der Arbeitsuche unabhängige Aufenthaltsgründe bestehen - nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (Art. 14 Abs. 4b der Freizügigkeitsrichtlinie; diesen Aspekt in der Annahme eines Vollzugsdefizites betonend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13, vgl. auch VG München Urteil vom 02.08.2012 - M 12 K 12.1882, M 12 S). Diese Regelung setzt auch das FreizügG/EU um, wenn es in § 2 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 zwischen Unionsbürgern, die sich zur Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhalten wollen einerseits und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern andererseits unterscheidet und nur für die letztgenannte Personengruppe durch die Verweisung in § 2 Abs. 2 Nr. 5 auf § 4 ausreichende Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutz fordert.
55Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II betrifft also Unionsbürger, die entweder selbst über ausreichende Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen (und ist insoweit unproblematisch) oder die wenigstens die begründete Aussicht haben, in absehbarer Zeit eingestellt zu werden. Beide für die Bewertung des sozialen Sicherungsbedürfnisses relevanten Gesichtspunkte treffen auf die Klägerin zu 1) nicht zu, weshalb auf die gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht erhobenen Bedenken hier nicht einzugehen ist (zur Frage der europarechtlichen Zulässigkeit vgl. BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 26, LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13; Hessisches LSG Urteil vom 20.09.2013 - L 7 AS 474/13; Bayerisches LSG Urteil vom 19.06.2013 - L 16 AS 847/12; SG Leipzig Vorlagebeschluss vom 03.06.2013 - S 17 AS 2198/12; siehe aber auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 16.05.2012 - L 3 AS 1477/11; die europarechtliche Zulässigkeit des Leistungsausschlusses bejahend Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 20.05.2014 in der Rechtssache C-333/13 - Dano, zugänglich unter www.curia.europa.eu/juris). Offen bleiben kann vor diesem Hintergrund auch, ob die Klägerin zu 1) als im streitbefangenen Zeitraum wirtschaftliche inaktive Unionsbürgerin aufgrund tatsächlicher Bindungen nach Deutschland als Aufenthaltsstaat aus primärem Gemeinschaftsrecht (Art. 18, 20, 21 AEUV) einen Teilhabeanspruch auf existenzsichernde Leistungen der sozialen Sicherheit ableiten kann (hierzu Janda ZFSH/SGB 2013, 453 ff., 455; Hofmann/Kummer ZESAR 2013, 199 ff.).
563) Ob der Bezug von Leistungen nach dem SGB II Anlass zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gibt, obliegt allein der Prüfung durch die Ausländerbehörde. Nach Auffassung des BVerwG (BVerwG Urteil vom 31.05.2012 - 10 C 8/12) spricht viel dafür, dass es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts um aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen i.S.d. Freizügigkeitsrichtlinie handelt. Dafür sei nicht entscheidend, ob finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, als Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie angesehen werden könnten (hierzu EuGH Urteil vom 04.06.2009 - C-22/08, C-23/08 - Rechtssache Vatsouras/Koupatanze; zur aufenthaltsrechtlichen Definition EuGH Urteil vom 19.09.2013 C-140/ 12 - Rechtssache Brey, Rn. 60 f.). Der aufenthaltsrechtliche und der leistungsrechtliche Begriff der "Sozialhilfe" in der Freizügigkeitsrichtlinie müssen nach Auffassung des BVerwG nicht zwingend identisch sein. Denn die aufenthaltsrechtliche Fragestellung, ob ein Unionsbürger wegen der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen ausgewiesen werden darf, sei von der Frage zu trennen, in welchem Umfang der Aufnahmemitgliedstaat nach dem Gebot der Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit Angehörigen der Mitgliedstaaten gehindert ist, Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten von dem Bezug bestimmter steuerfinanzierter Leistungen auszuschließen (kritisch hierzu BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R). Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12 - Rechtssache Brey, Rn. 60) bezieht sich der in Art. 7 der Freizügigkeitsrichtlinie verwendete Begriff der "Sozialhilfe" auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssysteme, die auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss.
57Nach dem Erwägungsgrund Nr. 16 der Freizügigkeitsrichtlinie soll keine Ausweisung erfolgen, solange die Aufenthaltsberechtigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12 - Rechtsache Brey, Rn. 69) hat der Aufnahmemitgliedstaat in diesem Zusammenhang zum einen zu prüfen, ob der Betreffende vorübergehende Schwierigkeiten hat und zum anderen die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und den Umfang der bereits gewährten Sozialhilfe.
583) Die Klägerin zu 2) hat nach § 7 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (jetzt § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II) als Nichterwerbsfähige einen Anspruch auf Sozialgeld. Sie bildet mit der Klägerin zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Sie verfügte nicht über ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen, aus dem sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beschaffen konnte.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
60Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013.
- 2
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Der 1993 geborene Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er reiste - nach seinen vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Angaben - im Oktober 2011 nach Deutschland und wohnt gemeinsam mit seiner Mutter und zeitweise seiner Schwester sowie deren Kindern in einer Wohnung in W. Am 2.3.2012 meldete er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe an und am 20.5.2012 wieder ab, ohne in diesem tätig geworden zu sein. Nach seinen Angaben war er im April 2012 fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt, habe sich wegen Aussichtslosigkeit aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht auf Stellenangebote beworben und verfüge über kein Einkommen oder Vermögen.
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Den vom Kläger am 30.1.2012 beim beklagten Jobcenter - einem zugelassenen kommunalen Träger - gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II lehnte dieses unter Hinweis auf § 8 Abs 2 SGB II ab(Bescheid vom 23.2.2012), ebenso den am 28.3.2012 gestellten Antrag auf Überprüfung dieses Bescheides (Bescheid vom 10.4.2012). Der eingelegte Widerspruch wurde vom Kläger auf die Zeit vom 30.1.2012 bis zum 30.4.2012 beschränkt und vom Beklagten unter Verweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zurückgewiesen(Widerspruchsbescheid vom 4.5.2012). Hiergegen ist Klage erhoben worden zum Sozialgericht (SG) Wiesbaden (Az: S 11 AS 382/12).
- 4
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Für die Zeit ab dem 1.5.2012 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Leistungen nach dem SGB II, der vom Beklagten abgelehnt wurde (Bescheid vom 15.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 20.6.2012). Auch hiergegen ist Klage erhoben worden zum SG Wiesbaden (Az: S 11 AS 483/12).
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Das SG hat die Klagen verbunden und abgewiesen (Urteil vom 12.10.2012). Das LSG hat unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide des Beklagten diesen verurteilt, dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 "Leistungen nach dem SGB II zu gewähren" (Urteil vom 27.11.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, insbesondere sei er mangels eigenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig gewesen und auch das Vermögen seiner Mutter sei Ende des Jahres 2011 erschöpft gewesen. Er habe aufgrund der erforderlichen Zukunftsoffenheit einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Der Kläger sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Er könne sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) berufen, denn er habe nicht mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht, zumal er keine dahin gehenden "Ambitionen" entfaltet habe. Er könne sich auch nicht auf ein anderes Aufenthaltsrecht zB aus den Nachwirkungen der Tätigkeit im April 2012 oder als Dienstleistungserbringer berufen (§ 2 Abs 2 Nr 1, 2 iVm Abs 3 FreizügG/EU). § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II könne nicht als Auffangausschlusstatbestand im Weg eines "Erst-Recht"-Schlusses erweiternd dahin gehend ausgelegt werden, dass er auch einen "nur" (formal-)legalen Aufenthalt umfasse, selbst wenn die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen über den Wegfall der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts getroffen habe.
- 6
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Mit seiner Revision rügt der Beklagte unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano) die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Nach diesem Urteil hätten wirtschaftlich inaktive EU-Ausländer wie der Kläger keinen Anspruch auf Sozialleistungen im Aufnahmestaat.
- 7
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Oktober 2012 zurückzuweisen.
- 8
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Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
- 9
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rügt hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.
Entscheidungsgründe
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Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 27.11.2013 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) .
- 11
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide des Beklagten verurteilt hat, den Bescheid vom 23.2.2012 zurückzunehmen und dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und letztlich das Begehren des beklagten Jobcenters, die Klage abzuweisen.
- 12
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2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der vom Kläger hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.
- 13
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3. Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten und vom LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" für die strittige Zeit ist neben § 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - hinsichtlich des ersten Zeitraums, in dem der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 23.2.2012 zu überprüfen ist, und neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.
- 14
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Der Kläger erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was beim Kläger der Fall ist (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für den Kläger kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die vom Kläger hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).
- 15
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4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte der 1993 geborene Kläger in der strittigen Zeit vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 nach den Feststellungen des LSG.
- 16
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Er war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für ihn als bulgarischen Staatsangehörigen die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(Bundessozialgericht
Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff) , worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.
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Der Kläger war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil er selbst kein Einkommen oder Vermögen hatte und das Vermögen seiner Mutter, mit der er in einem Haushalt lebte und mangels eigenen Einkommens oder Vermögens eine Bedarfsgemeinschaft bildete(§ 7 Abs 3 Nr 1, 4 SGB II), nach den Feststellungen des LSG Ende des Jahres 2011 erschöpft war. Mögliches Einkommen oder Vermögen seiner Schwester, die zeitweise auch in dem Haushalt der Mutter lebte, wäre allenfalls nach § 9 Abs 5 SGB II zu berücksichtigen; dass dieses eine Höhe erreichte (vgl zur Berechnung § 1 Abs 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung), die zu einer entsprechenden Vermutung führt, hat das LSG verneint.
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Der Kläger hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in W. (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -), weil er dort nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen verweilte (vgl nur BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 18 ff mwN).
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5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf den Kläger anzuwenden, weil dieser sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.
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Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei diese letzte Variante beim Kläger von vornherein ausscheidet.
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Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.
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Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).
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6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich der Kläger für die strittige Zeit nicht berufen.
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a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU setzt die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als Arbeitnehmer voraus, die nicht nur von geringem Umfang oder völlig untergeordneter oder unwesentlicher Bedeutung ist, wobei das erzielte Arbeitsentgelt aber nicht das Existenzminimum der betreffenden Person und ihrer Familienangehörigen vollständig abdecken muss(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26).
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Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er im strittigen Zeitraum von mehreren Monaten nur fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
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b) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU setzt voraus, dass eine erwerbsorientierte Tätigkeit als Selbstständiger mittels einer bestimmten Einrichtung oder Organisation auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausgeübt wird, ohne dass der erzielte Gewinn das Existenzminimum abdecken muss; die bloße Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 19; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 28).
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Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe zwar vorübergehend angemeldet hatte, in diesem aber nicht tätig war.
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c) Eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder selbstständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU scheidet aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen aus.
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d) Für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU - der 1993 geborene Kläger war zu Beginn des strittigen Zeitraums am 30.1.2012 erst 19 Jahre alt - spricht nach den Feststellungen des LSG nichts. Dasselbe gilt für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach dessen Nr 3 oder Nr 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts).
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e) Ein Aufenthaltsrecht des Klägers nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.
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7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen(vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn der Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.
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Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.
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8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).
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9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für den Kläger Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.
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Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte der Kläger nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).
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Der Kläger war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).
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Ob einem Anspruch des Klägers auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).
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Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.
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10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs des Klägers gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die der Kläger hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.
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Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.
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Der Beiladung der Stadt W. als Sozialhilfeträger steht nicht entgegen, dass sie als zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger des beklagten Jobcenters ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein solcher "In-sich-Prozess", der auch das Verhältnis eines Hauptbeteiligten zu einem notwendig Beizuladenden betreffen kann, zulässig und insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist sowie die entsprechenden Folgen für die Beteiligtenstellung zu ziehen sind, wenn die betroffenen Behörden oder Einrichtungen desselben Rechtsträgers eine gewisse Verselbstständigung erfahren haben und Inhaber eigener Rechte und Pflichten im Verhältnis zueinander sind, über die im Streitfall von der gemeinsamen Spitze nicht verbindlich entschieden werden kann (BSG Urteil vom 23.4.1975 - 9 RV 136/74 - BSGE 39, 260 = SozR 3100 § 52 Nr 1; BSG Urteil vom 28.1.2004 - B 6 KA 4/03 R - SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 18 ff; letztens etwa BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 4/14 R - SozR 4-2500 § 80 Nr 1 RdNr 18 f; vgl nur Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 56a; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 15; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 63 RdNr 7; Redeker/ von Oertzen, VwGO, 16. Aufl 2014, § 63 RdNr 8 f).
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Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zwischen dem Jobcenter eines zugelassenen kommunalen Trägers und dessen Stellung als Sozialhilfeträger erfüllt. Denn ein zugelassener kommunaler Träger muss sich verpflichten, das Jobcenter als besondere Einrichtung zu errichten und zu unterhalten (§ 6a Abs 2 Satz 1 Nr 2, Abs 5 SGB II), der Bund trägt bestimmte Aufwendungen dieses zugelassenen kommunalen Trägers einschließlich der Verwaltungskosten (§ 6b Abs 2 Satz 1 SGB II), kann für die Bewirtschaftung der Mittel bestimmte Vorgaben machen (§ 6b Abs 2, § 46 Abs 1 Satz 4, Abs 2 SGB II) und hat seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesrechnungshofs bestimmte Aufsichts- und Kontrollrechte (§ 6b Abs 3, 4 SGB II). Letztlich muss der zugelassene kommunale Träger gegenüber dem Bund die Verwendung der erhaltenen Mittel im Rahmen des SGB II belegen (§ 6b Abs 5 SGB II; vgl letztens BSG Urteil vom 12.11.2015 - B 14 AS 50/14 R).
- 43
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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Im Streit ist die Erstattung von Kosten der Unterkunft für die Zeit der Inhaftierung des Klägers (vom 1.2.2008 bis zum 23.1.2009).
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Der 1948 geborene alleinstehende Kläger leidet unter einer anhaltenden wahnhaften Störung im Sinne eines Querulantenwahns. Bis zum 9.1.2008 bezog er Arbeitslosengeld (Alg) II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und befand sich anschließend vom 10.1.2008 bis zum 23.1.2009 in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung. Vor seiner Inhaftierung und danach lebte er in einer von ihm angemieteten Wohnung in O, für die eine Miete in Höhe von insgesamt 311,05 Euro und eine Stromkostenvorauszahlung in Höhe von 18 Euro monatlich zu leisten waren. Seinen Antrag (vom 15.1.2008) auf Übernahme der ab 1.2.2008 fällig werdenden monatlichen Mietzahlungen lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 9.6.2008); der Widerspruch - nunmehr gerichtet auf die Kostenübernahme ab dem 10.1.2008 - blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 10.11.2008).
- 3
-
Die hiergegen beim Sozialgericht (SG) Detmold erhobene Klage und die beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegte Berufung hatten keinen Erfolg (Gerichtsbescheid des SG vom 27.1.2010; Urteil des LSG vom 12.5.2011). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne von der Beklagten die Übernahme von Miete und Nebenkosten für die Zeit vom 10.1.2008 bis zum 23.1.2009 nicht nach den Regelungen des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) beanspruchen. Die Voraussetzungen nach § 67 Satz 1 und § 68 Abs 1 Satz 1 SGB XII seien nicht erfüllt. Aufgrund der Haft möge er sich zwar in "besonderen Lebensverhältnissen" befunden haben; es sei aber nicht ersichtlich, dass diese hinsichtlich seiner Verpflichtung zur Zahlung der Miete mit "sozialen Schwierigkeiten" einhergegangen seien, weil der Erhalt seiner Wohnung wegen der Zahlung der Miete durch die Schwester zu keiner Zeit gefährdet gewesen sei. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 67 SGB XII unterstelle, sei die Beklagte bei ihrer (Auswahl-)Ermessensentscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass inhaftierte Hilfesuchende im Ergebnis (nur) dann einen Anspruch auf Übernahme der Mietzinszahlungen hätten, wenn sie eine kurzzeitige Haftstrafe von unter einem Jahr verbüßten.
- 4
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Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung von §§ 67 ff und § 34 SGB XII(in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) und macht zugleich Verfahrensfehler geltend. Das LSG habe die bei ihm seit Jahren bestehende Persönlichkeitsstörung nicht beachtet, wie sie sich aus dem forensisch-psychiatrischen Gutachten nach Aktenlage vom 27.5.2012 zur Frage der Prozessfähigkeit, eingeholt vom Verwaltungsgericht Minden, ergebe. Da aus dieser Störung seine partielle Prozessunfähigkeit folge, habe das LSG mit seiner Entscheidung seine Fürsorgepflicht und den Grundsatz auf rechtliches Gehör (§ 62 Sozialgerichtsgesetz
) verletzt. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstörung hätte es zudem zur Auffassung kommen müssen, dass besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten vorgelegen hätten. Die Annahme des LSG, soziale Schwierigkeiten seien vorliegend tatsächlich nicht aufgetreten, weil die Miete durchgehend habe gezahlt werden können, sei rechtsfehlerhaft. Bei den Zahlungen aus dem Familienkreis habe es sich um ein Darlehen gehandelt. Auch die vom LSG angenommene Jahresgrenze sei nicht überschritten worden, weil eine Übernahmeverpflichtung erst mit der Miete für Februar 2008 geltend gemacht werde.
- 5
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 9.6.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.11.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.2.2008 bis zum 23.1.2009 die Miete und Nebenkosten für seine Wohnung zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter (vgl § 72 SGG) eingelegte Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensverstoß, weil das LSG zu Unrecht von der uneingeschränkten Prozessfähigkeit des Klägers ausgegangen ist und er deshalb im Verfahren nicht wirksam vertreten war (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung
) ; hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht (zu dieser Voraussetzung siehe § 162 SGG). Abgesehen davon, dass bei absoluten Revisionsgründen § 170 Abs 1 Satz 2 SGG regelmäßig keine Anwendung findet(vgl BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 6 S 11; SozR 3-1750 § 551 Nr 5 S 14 und Nr 7 S 24; SozR 2200 § 368a Nr 21 S 74 f; SozR 3-1500 § 164 Nr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 170 RdNr 5a mwN zur Rspr), kann vorliegend auf der Grundlage der übrigen Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden, ob ein Anspruch des Klägers in der Sache besteht oder ausscheidet, wie das LSG meint.
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Der Kläger ist (partiell) prozessunfähig. Ihm ist eine sachgerechte Prozessführung bezogen auf die vorliegend angegriffene Entscheidung der Beklagten nicht möglich. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).
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Beim Kläger liegt nach den überzeugenden Feststellungen der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S in dem beigezogenen forensisch-psychiatrischen Gutachten nach Aktenlage vom 27.5.2012 seit mehreren Jahren eine anhaltende wahnhafte Störung im Sinne eines Querulantenwahns vor, die zu einer partiellen Prozessunfähigkeit führt. Die Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass seine überwertigen Ideen eines komplexen, gegen ihn gerichteten juristischen Unrechtssystems unkorrigierbar, starr, keinem Lern- und Überprüfungsprozess zugänglich seien und damit im Sinne einer inhaltlichen Denkstörung maßgeblich den kritischen Reflexionsprozess darüber beeinträchtigten, ob es sinnvoll und notwendig sei, Strafanzeigen zu erstatten und zu prozessieren.
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Diese Einschätzung, die die Sachverständige nur aufgrund der damaligen Aktenlage (darunter ein Gutachten zur - im Ergebnis der Begutachtung vom dortigen Sachverständigen verneinten - Frage der Schuldfähigkeit des Klägers vom 20.3.2009 wegen begangener Beleidigungen ua zu Lasten der Bürgermeisterin der Beklagten) treffen konnte, weil der Kläger eine persönliche Untersuchung verweigert hat (zur Zulässigkeit einer Überzeugungsbildung auf Grundlage von Gutachten nach Aktenlage in diesem Fall: BGH, Beschluss vom 5.8.2009 - VI ZR 344/08 -, juris RdNr 4), wird durch die bisherige Prozessführung im Klage- und Berufungsverfahren bestätigt. Obwohl sein Klagebegehren für sich genommen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den ursprünglich zwischen ihm und dem Landkreis L in verschiedenen Verwaltungsrechtsstreitigkeiten aufgeworfenen Fragen steht und die Geltendmachung der Ansprüche auf Übernahme von Unterkunftskosten im vorliegenden Rechtsstreit für sich genommen keine "querulatorischen" Züge hat, ist sein Vortrag von unsachlichen Anschuldigungen gegen die Beklagte geprägt. So hat er insbesondere die Klage im Schriftsatz vom 11.3.2008 damit begründet, die Verweigerung der Übernahme der Mietkosten sei die Fortsetzung des "schändlichen Treibens" der Oberbürgermeisterin der Beklagten, und mit der Berufung im Schriftsatz vom 1.10.2010 weiter ausgeführt, diese habe ein besonderes Interesse daran, dass er seine Wohnung verliere, weil er als Obdachloser die zahlreichen zu seinen Lasten begangenen Straftaten dann nicht weiter verfolgen könne. Dem entspricht es, wenn die Sachverständige ausführt, die jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen hätten zu einer Ausuferung der Zielpersonen geführt, die als kriminell und korrupt wahrgenommen würden. Dem Kläger ist deshalb eine sachgerechte Prozessführung bezogen auf eine Entscheidung der Beklagten nicht möglich. Da schon von Beginn des Verwaltungsverfahrens an die von der Sachverständigen beschriebenen Defizite erkennbar sind, ist mit Klageerhebung von partieller Prozessunfähigkeit auszugehen; ein Fall der Unterbrechung nach § 202 SGG iVm § 241 ZPO liegt deshalb nicht vor.
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Gegenstand des mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 9.6.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.11.2008 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Unterkunft des Klägers für die Dauer seiner Inhaftierung abgelehnt hat. Im Revisionsverfahren macht er lediglich Kosten ab dem 1.2.2008 geltend. Diesem Begehren entspricht sein ursprünglich bei der Beklagten gestellter Antrag, mit dem er künftige Mietzahlungen beantragt und dazu vorgetragen hat, die letzte Mietzahlung für Januar 2008 sei noch erfolgt.
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Neben der partiellen Prozessunfähigkeit des Klägers liegen weitere von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel nicht vor. Das Jobcenter L als für die Leistungserbringung nach dem SGB II zuständiger Träger war nicht nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG beizuladen (sog echte notwendige Beiladung). Dies wäre (soweit nicht ohnehin der Kreis der zur Leistung nach dem SGB XII Verpflichtete ist, was seiner Beiladung als zugelassener kommunaler Träger nach dem SGB II entgegenstehen würde) nur der Fall, wenn Dritte an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann; diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zum Jobcenter nicht erfüllt. Über eine Beiladung des Jobcenters L auf Grundlage des § 75 Abs 2 2. Alt SGG (sog unechte notwendige Beiladung) war mangels Rüge im Revisionsverfahren (s zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN) nicht zu befinden.
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Ob die Stadt O verfahrensrechtlich der zur Leistung Verpflichtete ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit für die Sozialhilfe richtet sich nach § 3 SGB XII iVm § 97 SGB XII, § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII und § 98 Abs 4 SGB XII. Der Kläger hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Vollzugsanstalt im Gebiet des Landkreises L, der damit als örtlicher Sozialhilfeträger (§ 1 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt für die Hilfeleistungen während der Dauer der Haft als Träger der Sozialhilfe nicht nur örtlich, sondern auch sachlich zuständig war (§§ 1, 2 AG-SGB XII NRW iVm § 2 Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 - GVBl NRW 816). Auch wer in einer JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf (dazu BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 24). Ob der Kreis L allerdings gemäß § 99 SGB XII von der Ermächtigung in § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW Gebrauch gemacht und durch Satzung für diese Aufgaben die kreisangehörige Beklagte herangezogen hat, die dann in eigenem Namen entscheidet, mag das LSG nach Zurückverweisung klären.NRW 816)
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Als Grundlage des geltend gemachten Anspruchs kommen (vorrangig) §§ 67, 68 SGB XII in Betracht. Nach § 67 Satz 1 SGB XII haben Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, einen Anspruch auf Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Weder die in Bezug genommenen "besonderen Lebensverhältnisse" noch die damit verbundenen "sozialen Schwierigkeiten" sind in § 67 SGB XII näher beschrieben oder definiert; es handelt sich um von den Gerichten voll überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe. Zur Abgrenzung des danach berechtigten Personenkreises ist die noch auf Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 72 Abs 5 Bundessozialhilfegesetz(
; seit 1.1.2005 § 69 SGB XII) erlassene Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.1.2001 (BGBl I 179, zuletzt geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) heranzuziehen. Nach deren § 1 Abs 1 Satz 1 leben Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten, wenn besondere Lebensverhältnisse derart mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass die Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse auch die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten erfordert.
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Das Tatbestandsmerkmal der "besonderen Lebensverhältnisse" bezieht sich auf die soziale Lage des Betroffenen, die durch eine besondere Mangelsituation - etwa an Wohnraum - gekennzeichnet sein muss (Strnischa in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 67 SGB XII RdNr 6, Stand März 2013; Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 67 RdNr 9, Stand Februar 2013; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 67 SGB XII RdNr 7) und wird in § 1 Abs 2 Satz 1 der VO durch eine abstrakte Beschreibung verschiedener typischer Situationen konkretisiert, in denen aus Sicht des Verordnungsgebers von solchen besonderen Lebensverhältnissen ausgegangen werden kann. Demgegenüber geht es bei den "sozialen Schwierigkeiten" nicht in erster Linie um wirtschaftliche Schwierigkeiten (vgl Scheider in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 67 SGB XII RdNr 8), sondern um die Beeinträchtigung der Interaktion mit dem sozialen Umfeld und damit um die Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (vgl § 1 Abs 3 der VO und dazu Strnischa in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 67 SGB XII RdNr 15, Stand März 2013; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 67 SGB XII RdNr 5). Es muss sich insoweit um soziale Schwierigkeiten handeln, die typischerweise mit besonderen Lebensverhältnissen einhergehen und die über solche sozialen Schwierigkeiten hinausgehen, die bereits für die Inanspruchnahme anderer Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII vorausgesetzt werden.
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Der vom Kläger geltend gemachte drohende Wohnungsverlust nach der Haftentlassung gehört danach im Grundsatz zu den "besonderen Lebensumständen mit sozialen Schwierigkeiten" iS des § 67 SGB XII, weil der Verlust der Wohnung ähnlich dem Verlust des Arbeitsplatzes für einen Haftentlassenen deutlich schwerer zu kompensieren ist als für andere Bürger, selbst dann, wenn der aus der Haft Entlassene nicht auf existenzsichernde Leistungen angewiesen ist. Die vom Kläger schon im Verwaltungsverfahren geäußerte, auf seiner krankhaften Störung beruhende Befürchtung, mit der Inhaftierung, die auf verschiedene Verurteilungen wegen Beleidigungen im Zusammenhang mit den von ihm geführten Verwaltungsstreitverfahren zurückgeht, sei beabsichtigt, ihn weiterhin zu schädigen (bis hin zur Behauptung der zielgerichteten Herbeiführung seiner Obdachlosigkeit), gibt ferner Anlass zu der weiter gehenden Überprüfung, ob bei ihm wegen seiner Persönlichkeitsstruktur und bezogen auf die Verbüßung dieser Haftstrafe nach der Haftentlassung prognostisch besondere soziale Schwierigkeiten für den Fall eines Verlusts der innegehabten Wohnung zu erwarten waren.
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Zwar besteht vorliegend die von § 67 SGB XII erfasste Bedarfslage (soziale Schwierigkeiten bei Entlassung) nicht schon im Zeitpunkt der beantragten Leistung, sondern erst zukünftig; vorbeugende Sozialhilfeleistungen zum Erhalt der Wohnung für die Zeit nach der Haftentlassung können aber ggf nach § 15 SGB XII beansprucht werden. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift, die nicht zu Leistungen eigener Art berechtigt, sondern rechtlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Hilfeart steht, soll die Sozialhilfe vorbeugend gewährt werden, wenn prognostisch dadurch eine dem Einzelnen drohende Notlage ganz oder teilweise abgewendet werden kann (vgl: BVerwGE 87, 31, 36; BVerwG Buchholz 436.0 § 72 BSHG Nr 2). Auch im Rahmen des § 67 SGB XII ist der Träger der Sozialhilfe ermächtigt und verpflichtet zu prüfen, ob der Zweck dieser Art von Sozialhilfe (Vermeidung von Wohnungslosigkeit bei Haftentlassung) nicht dadurch besser erreicht werden kann, dass die danach in Betracht kommenden Leistungen bereits vor Eintritt der Notlage gewährt werden. Ob danach prognostisch angenommen werden konnte, eine Notlage werde nicht eintreten, weil die Schwester die Miete während der Inhaftierung endgültig (und nicht nur darlehensweise) tragen würde, wird das LSG zu überprüfen haben.
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Ein möglicher Anspruch scheitert jedenfalls nicht von vornherein an der Haftdauer. Die Ausführungen des LSG, ein Anspruch auf Übernahme von Mietkosten scheide vorliegend aus, weil die (Auswahl-)Ermessensentscheidung der Beklagten, bei einer Haftdauer von über einem Jahr (10.1.2008 bis 23.1.2009) keine Übernahme von Mietschulden zu gewähren, nicht zu beanstanden sei, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Eine solche abstrakte Beurteilung für alle Fälle findet einen Anknüpfungspunkt weder im Gesetz noch in der Verordnung. Da die "besonderen Lebensumstände" verbunden mit "sozialen Schwierigkeiten" in Fällen wie dem vorliegenden eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Situation bei Haftentlassung notwendig machen (siehe oben), ist eine Abgrenzung der Fallgruppen voneinander in zeitlicher Hinsicht vorgegeben: Je näher die Haftentlassung bevorsteht, desto konkreter kann sich die Notwendigkeit von Geldleistungen anstelle sonstiger Hilfen ergeben. Umgekehrt kann eine ausreichend sichere Prognose dann nicht erstellt werden, wenn die Umstände nach Haftentlastung schon wegen der noch bevorstehenden Haftdauer noch nicht eingeschätzt werden können. Jedenfalls ist aber entgegen der Auffassung des LSG bei dieser Prognoseentscheidung an die verbleibende Restdauer der Haft bis zum möglichen Eintritt der Notlage anzuknüpfen.
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Ob sich auf Grundlage des § 29 SGB XII(hier in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670; alte Fassung
) ein Anspruch des Klägers auf Übernahme von (künftigen) laufenden Kosten der Unterkunft (und Heizung) ergibt, bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen. Soweit der Kläger - was nahe liegt - dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören sollte, ist er während seiner Inhaftierung (unabhängig von gewährten Vollzugslockerungen) nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen(dazu BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 24). Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II unterfallen, können deshalb Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten(vgl nur Eicher in juris PraxisKommentar SGB XII, § 21 SGB XII RdNr 28). Die Übernahme von laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung kommt nach § 29 SGB XII aF aber nur für eine Wohnung in Betracht, die den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt(vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 19). Dass der Kläger die Wohnung überhaupt genutzt hat, ist bislang nicht festgestellt. Ob bei Nutzung der Wohnung tagsüber im Rahmen von Vollzugslockerungen ein Anspruch nach § 29 SGB XII aF bestehen kann, braucht im derzeitigen Stand des Verfahrens nicht entschieden werden.
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Ein Anspruch nach § 34 SGB XII aF(seit dem 1.1.2011 § 36 SGB XII) scheidet hier aus. Die Abgrenzung von Schulden zu laufenden Leistungen nach § 29 SGB XII aF ist danach vorzunehmen, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen, im Zeitpunkt der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe(vgl § 18 Abs 1 SGB XII) von der Notwendigkeit der weitergehenden Sicherung der Unterkunft in der Vergangenheit liegenden und bisher noch nicht vom Sozialhilfeträger gedeckten Bedarf handelt (vgl zum Recht des SGB II: BSGE 106, 190 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41). Zwar hat die Vorgängervorschrift des § 15a BSHG dem Wortlaut nach auch künftig fällig werdende Verbindlichkeiten erfasst. Seit dem 1.1.2005 ist die Übernahme aber ausdrücklich auf "Schulden" eingegrenzt worden; die sonstigen Hilfen zur Sicherung der Unterkunft sind damit auf den bereits zuvor im Vordergrund stehenden Fall der Übernahme von bestehenden Verbindlichkeiten begrenzt. Dass nach der Gesetzesbegründung diese Änderung lediglich der Verständlichkeit dienen, ohne dass eine inhaltliche Änderung eintreten sollte (vgl BT-Drucks 15/1514 S 59), steht dem nicht entgegen. Eine einheitliche Auslegung zu § 15a BSHG durch die Verwaltung und die Gerichte, aus der sich anderes ergibt und an die insoweit hätte angeknüpft werden können, bestand nicht. Ob in Fällen, in denen ein Anspruch nach § 29 SGB XII aF nicht besteht, ausnahmsweise Raum für eine Anwendung des § 34 SGB XII aF auch für erst nach Kenntnis des Sozialhilfeträgers entstehende Schulden (ggf bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltung) verbleibt, kann hier jedenfalls offenbleiben. Wenn vorliegend im Ergebnis der Ermittlungen des LSG wegen der fehlenden Nutzung der Wohnung ein Anspruch auf laufende Kosten der Unterkunft nicht besteht, scheidet auch eine Übernahme von Schulden zur Sicherung der Unterkunft aus. Auch die "Sicherung der Unterkunft" als Ziel der Hilfen nach § 34 Abs 1 SGB XII aF bezieht sich nur auf eine konkret genutzte Wohnung.
- 22
-
Das LSG wird ggf über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.
(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.
(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn
- 1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder - 3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
- 1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, - 2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7, - 3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und - 4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.
(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.
(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro als Nothelfer.
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Die Klägerin betreibt das Evangelische Krankenhaus in K-Ka Am 23.3.2010, um 17:56 Uhr, wurde der polnische Staatsangehörige S P B (B), der bereits am 22.3.2010 wegen einer an diesem Tag (bei seiner Verhaftung) erlittenen Schädelbasisfraktur als Notfall in einem anderen K Krankenhaus behandelt worden war, dieses aber gegen ärztlichen Rat wieder verlassen hatte, durch die Polizei in das Krankenhaus der Klägerin eingeliefert und dort bis zum 3.4.2010 behandelt. Der heroinabhängige B war nicht erwerbstätig und verfügte weder über Einkommen noch über Vermögen. Entsprechende Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machte er bei seiner Aufnahme; einen Krankenversicherungsschutz verneinte er.
- 3
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Am 29.3.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie B behandele. Am 28.4.2010 beantragte sie dann bei dieser die Erstattung der Kosten für die Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 23.3. bis zum 3.4.2010 auf der Grundlage einer Fallpauschale in Höhe von 2403,08 Euro (Rechnung vom 27.4.2010). Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, weil B als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) nach § 5 Abs 1 Nr 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert gewesen sei(Bescheid vom 2.6.2010; Widerspruchsbescheid vom 13.12.2010).
- 4
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Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte zur Erstattung von Kosten in Höhe von 1841,44 Euro verurteilt und die Klage wegen der übrigen Kosten (Höhe des geltend gemachten Langliegerzuschlags) abgewiesen (Urteil vom 7.9.2011). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen (Urteil vom 28.1.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Klägerin seien die Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro als Nothelfer nach § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu erstatten. Am Tag der Einlieferung des B habe ein Eilfall vorgelegen, weil eine unverzügliche stationäre Aufnahme und Behandlung außerhalb der üblichen Dienstzeiten der Beklagten zwingend erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der Eilfall bereits am 24.3.2010 beendet gewesen sei. Die Behandlungskosten seien nämlich nach dem für das SGB V geltenden Vergütungssystem als Pauschale abzurechnen; eine zeitanteilige Aufteilung der Behandlungskosten scheide aus, weil sich die von der Fallpauschale erfasste Behandlung als Einheit darstelle. Für B habe im Zeitpunkt des Eilfalls keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 Buchst b SGB V bestanden. Aufenthaltsberechtigt habe er nämlich nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) sein können; denn nach seinen ersichtlichen Lebensumständen sowie seinen damit übereinstimmenden Angaben gegenüber der Klägerin habe er in Deutschland nicht gearbeitet und auch keine Arbeit gesucht. Damit sei der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V erfüllt, und eine vorrangige Versicherungspflicht nach dem SGB V scheide aus. B habe schließlich nicht über hinreichendes, seine Hilfebedürftigkeit beseitigendes Einkommen oder Vermögen verfügt. Eine Krankenversicherung in Polen habe ebenfalls nicht bestanden. Der Anspruch sei am 29.3.2010, damit auch in angemessener Frist, geltend gemacht worden.
- 5
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Mit ihrer Revision macht die Beklagte eine Verletzung von § 25 SGB XII geltend. Die Entscheidung des LSG verstoße gegen den Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII. Es sei bereits fraglich, ob B tatsächlich ohne Krankenversicherungsschutz in Deutschland gelebt habe. Auch die Annahme des LSG, dass sich B nicht zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in Deutschland aufgehalten habe, sei durch nichts belegt. Eine mögliche Unaufklärbarkeit der Aufenthalts- und wirtschaftlichen Verhältnisse treffe die Klägerin, die sich während des stationären Aufenthalts des B nicht um eine Sachaufklärung bemüht habe. Der Umfang der nach § 25 Satz 1 SGB XII zu erstattenden Aufwendungen sei jedenfalls "pro rata temporis", also nach der tatsächlich für die Fallpauschale in Anspruch genommenen Zahl der Krankenhaustage, zu bemessen.
- 6
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben sowie das Urteil des SG abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
- 7
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 8
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Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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-
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) .
- 10
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Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 2.6.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2010 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG) wendet. Dabei ist der Anspruch auf Erstattung betragsmäßig auf Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro begrenzt, nachdem sich die Klägerin gegen die erstinstanzliche Abweisung der Klage in Höhe von 561,64 Euro nicht gewandt hat. Einer Beiladung des B nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) bedurfte es nicht (vgl dazu nur Bundessozialgericht
, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 12).
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Ein Anspruch der Klägerin als Nothelfer - andere Anspruchsgrundlagen scheiden aus - kann sich nur gegen die Stadt K als den sachlich und örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe am Ort des tatsächlichen Aufenthalts des B richten (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 3 SGB XII iVm § 3 Abs 2 SGB XII, §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt . Für die örtliche Zuständigkeit ist nämlich wegen der Eilbedürftigkeit der Leistungserbringung durch den Nothelfer der tatsächliche Aufenthalt des B im Zeitpunkt der Aufnahme maßgeblich; § 25 Satz 2 SGB XII begründet keine eigene Zuständigkeit für die Fälle der Nothilfe, sondern knüpft an die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen wegen der Leistungen an, die der Träger der Sozialhilfe in Kenntnis seiner Leistungspflicht hätte erbringen müssen. Maßgeblich ist in Eilfällen, die eine Aufnahme in einer stationären Einrichtung notwendig machen, die in § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII (tatsächlicher Aufenthalt) geregelte Zuständigkeit(so bereits BVerwGE 114, 326, 329 ff), selbst wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt des Hilfebedürftigen in einem anderen Zuständigkeitsbereich besteht, der - den Eilfall hinweggedacht - die örtliche Zuständigkeit des dortigen Trägers begründen würde (vgl § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Diese Auslegung entspricht dem Zweck des 25 SGB XII, die Bereitschaft Dritter zur Hilfeleistung im Interesse des Hilfebedürftigen zu erhalten (dazu nur BSGE 114, 161 ff RdNr 19 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1); der Nothelfer soll nicht mit der Frage nach Zuständigkeitsregelungen innerhalb der Sozialverwaltung belastet werden. Die Erstattungsregelungen für stationäre Hilfe in Eilfällen (vgl § 106 Abs 1 SGB XII)stellen ausreichend sicher, dass dem vorläufig eintretenden Träger am Ort der stationären Einrichtung aus der Vorleistung keine finanziellen Nachteile entstehen. Ob sich B in K gewöhnlich aufgehalten hat, bedarf damit keiner Überprüfung.- und der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl 817)
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Ob die Klägerin allerdings einen Anspruch nach § 25 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht entscheiden. Nach § 25 SGB XII sind demjenigen, der in einem Eilfall einem anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, auf Antrag die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat(Satz 1). Der Anspruch richtet sich gegen den für die Sozialhilfeleistung zuständigen Sozialhilfeträger. Dies gilt nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird (Satz 2).
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In materiellrechtlicher Hinsicht setzt ein Anspruch nach § 25 SGB XII zunächst voraus, dass ein beim Nothilfeempfänger bestehender unabwendbarer Bedarf nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII unmittelbar durch den Dritten gedeckt wird. Dieses bedarfsbezogene Moment beschreibt die Eilbedürftigkeit des Eingreifens selbst (BSGE 114, 161 ff RdNr 17 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 16).
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Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass maßgeblich für die Beurteilung des Eilfalls zunächst der Zeitpunkt der Aufnahme (23.3.2010) am Tag nach der Verletzung (22.3.2010) war, nachdem die (erste) Hilfeleistung am Tag zuvor mit Entlassung des B aus der Behandlung beendet worden war. Mit jedem weiteren Eingreifen eines Dritten als Nothelfer kann insoweit ein weiterer Eilfall entstehen (zu einer jeweils "aktualisierten Eilfallzuständigkeit" schon BVerwGE 114, 326, 329 ff). Ob und in welchem Umfang vorliegend aber im Zeitpunkt der (erneuten) Aufnahme, am 23.3.2010, ein Bedarf des B bestand, den die Beklagte als Hilfe bei Krankheit (vgl § 19 Abs 3, § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 48 Satz 1 SGB XII) sofort hätte decken müssen, kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Seine Feststellungen (durch Bezugnahme auf die Feststellungen des SG) ermöglichen nicht die rechtliche Entscheidung, ob zu diesem Zeitpunkt eine unaufschiebbare Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bestand. Aus der mitgeteilten Diagnose (Schädelbasis-bruch) und den durchgeführten Behandlungen (Schädel-Hirntrauma-Überwachung und neurologisches Konzil) allein lässt sich weder ersehen, inwieweit solche Behandlungen überhaupt medizinisch notwendig waren, noch, ob es (durchgehend) der besonderen sächlichen und personellen Ausstattung des Krankenhauses bedurfte. Das LSG wird nach Zurückverweisung daher ggf anhand des § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 39 SGB V, auf die § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 52 SGB XII wegen der Leistungen zur Krankenhausbehandlung Bezug nimmt, zu überprüfen haben, ob und an welchen Tagen bei B ein unabweisbarer Bedarf in Form der Krankenhausbehandlung bestand.
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Ergeben die weiteren Feststellungen des LSG, dass am 23.3.2010 eine sofortige Behandlung in einem Krankenhaus notwendig war, muss zu diesem bedarfsbezogenen Moment ein sozialhilferechtliches hinzukommen; eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers darf objektiv nicht zu erlangen gewesen sein. Der Anspruch des Nothelfers besteht nämlich in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur dann, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht. Ein Eilfall liegt damit nicht vor, wenn Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibt (zum Ganzen BSGE 114, 161 ff RdNr 18 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 17 mwN). Nach den unangegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG war es der Klägerin objektiv unmöglich, den zuständigen Sozialhilfeträger noch am 23.3.2010 über den Hilfefall zu unterrichten, weil die Aufnahme erst nach Dienstschluss der Beklagten erfolgt ist.
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Am 24.3.2010 wäre ein Eilfall aber entfallen; denn die Klägerin hat der an diesem Tag (einem Mittwoch) wieder dienstbereiten Beklagten keine Kenntnis vom Hilfefall verschafft und auf diese Weise ihre Obliegenheiten verletzt, weil B zuvor ihr - der Klägerin - gegenüber das Bestehen eines Versicherungsschutzes ebenso wie ausreichendes Einkommen und Vermögen als Selbstzahler ausdrücklich verneint hatte. Die Obliegenheit eines Krankenhauses, den Sozialhilfeträger zu unterrichten, wird regelmäßig dann ausgelöst, wenn der Patient - wie hier - einen Versicherungsschutz in der GKV nicht durch Vorlage einer Versichertenkarte (vgl § 15 Abs 6 SGB V) nachweisen kann (im Einzelnen BSGE 114, 161 ff RdNr 23 ff = SozR 4-5910 § 121 Nr 1)und sich auch ansonsten keine Umstände ergeben, aus denen die notwendige Kostensicherheit für das Krankenhaus hervorgeht (dazu BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 19). Sollte - wie das SG ausgeführt hat - die Klägerin am 24.3.2010 die erforderliche Mitteilung per Fax abgesandt, hierbei aber versehentlich eine fehlerhafte Nummer eingegeben haben, würde dies zu keiner anderen Beurteilung führen; die Klägerin würde insoweit das Risiko tragen.
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Zu weiter gehenden Ermittlungen nach dem Ende des Eilfalls war die Klägerin aber - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht verpflichtet. Da eine Durchbrechung des öffentlich-rechtlichen Systems für die Gewährung der Sozialhilfe (insbesondere des speziell hierfür normierten Verwaltungsverfahrens und der "Vergütungsstruktur") durch den Nothelfer regelmäßig nicht im öffentlichen Interesse liegt (BSGE 114, 161 ff RdNr 20 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), treffen ihn nach dem Ende des Eilfalls im Verhältnis zum Sozialhilfeträger auch keine zusätzlichen Pflichten zur Ermittlung, ob wegen des Hilfebedarfs, den er als Nothelfer gedeckt hat, Ansprüche nach dem SGB XII im Einzelnen tatsächlich bestehen. Verschafft der Nothelfer dem Sozialhilfeträger die Kenntnis vom Eilfall, obliegt vielmehr diesem - nicht anders als im Falle der Vermittlung der Kenntnis durch den Hilfebedürftigen selbst - die weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -
) , auch wenn der Nothelfer die materielle Beweislast dafür trägt, dass der geltend gemachte Anspruch besteht (vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 24 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1). Erforderlich ist nur die Stellung eines Antrags auf Kostenerstattung innerhalb angemessener Frist (vgl § 25 Satz 2 SGB XII). Diese Frist, die aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität regelmäßig einen Monat nach Ende des Eilfalls beträgt (vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 28 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), ist vorliegend mit dem Eingang des Antrags bei der Beklagten am 29.3.2010 eingehalten.
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Zur Durchführung der dann notwendigen Ermittlungen darf der Träger der Sozialhilfe im Falle der medizinischen Nothilfe die Gesundheitsdaten des Patienten erheben (§ 67a Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB X), auch wenn dieser - wie hier - nicht mehr erreichbar ist und ein entsprechendes Einverständnis nicht erteilen kann. Denn das Krankenhaus, das wegen einer medizinischen Notfallbehandlung einen Anspruch auf Nothilfe nach § 25 SGB XII geltend macht, ist zur Übermittlung der Angaben an den Sozialhilfeträger verpflichtet, der es zur Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung einer Krankenhausbehandlung auf Grundlage des § 48 Satz 1 SGB XII bedarf(vgl § 52 Abs 3 Satz 3 SGB XII iVm § 301 Abs 1 SGB V). Es gelten insoweit die bereichsspezifischen Regelungen des SGB V für die Übertragung von Daten auch für die Fälle der Nothilfe (vgl BSGE 102, 134 ff RdNr 38 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2 für die Behandlung durch nicht zugelassene Leistungserbringer in Fällen des sog Systemversagens nach dem SGB V).
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Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG war B jedenfalls finanziell hilfebedürftig. Er verfügte im Zeitpunkt der Aufnahme bei der Klägerin über keinerlei Einkommen oder Vermögen und war damit nicht in der Lage, die Kosten für eine notwendige Krankenbehandlung selbst aufzubringen. Diese Feststellungen sind von der Beklagten nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen; sie sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Soweit die Beklagte vorträgt, die Schlussfolgerungen des LSG aus dem zugrunde gelegten Sachverhalt seien nicht nachvollziehbar und spekulativ, bemängelt sie ohne eine entsprechende Verfahrensrüge (nur) die Beweiswürdigung durch das LSG, die der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert ihre Leistungspflicht nicht am Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs 1 SGB XII). Insbesondere bestand für B kein Versicherungsschutz in der GKV, sodass keine Krankenkasse vorrangig für die Erbringung der Leistung zuständig war und diese Leistung (ggf im Kontext des § 25 SGB XII) als Sachleistung - ohne Rücksicht auf die Kenntnis davon - bereits erbracht wäre(vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 26 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1). Nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V(in der Normfassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 26.3.2007 - BGBl I 378) - andere Versicherungstatbestände scheiden von vornherein aus - sind pflichtversichert in der sog Auffangversicherung Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert (Buchst a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs 5 SGB V genannten hauptberuflich Selbstständigen oder zu den nach § 6 Abs 1 oder 2 SGB V versicherungsfreien Personen oder hätten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland zu ihnen gehört(Buchst b). Ob diese Voraussetzungen im Einzelnen bei B vorlagen, kann aber offen bleiben.
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Im Zeitpunkt der Behandlung war B nämlich als nicht erwerbstätiger polnischer Staatsangehöriger von diesem Versicherungspflichttatbestand ohnedies ausgeschlossen (vgl § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V ebenfalls in der Normfassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes). § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V bestimmt, dass ua Angehörige eines anderen Mitgliedstaates der EU von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht erfasst werden, wenn die Voraussetzung für die Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU ist. Die in Bezug genommene Regelung des § 4 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (hier in der Normfassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) bestimmt wiederum ua, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) nur dann haben, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Für den Personenkreis der Unionsbürger, der nur unter der Voraussetzung eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ein Recht auf Einreise und Aufenthalt hat, besteht keine Auffangversicherung in der GKV. Allein die entsprechende Verpflichtung nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU schließt dabei die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V aus; auf eine tatsächliche Absicherung für den Krankheitsfall kommt es nicht an (vgl BT-Drucks 16/3100, S 95 zu Nr 2 Buchst d; im Einzelnen Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 5 SGB V RdNr 117, Stand Oktober 2014).
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Nach den Feststellungen des LSG unterfällt B diesem Personenkreis, der aufenthaltsberechtigt nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU sein konnte. Insbesondere seine Feststellung, dass B die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht angestrebt hat und sich also nicht als Arbeitnehmer oder zur Arbeitsuche und auch nicht als Erbringer von Dienstleistungen in Deutschland aufhalten wollte, sondern die Einreise und der Aufenthalt in Deutschland vor dem Hintergrund seiner Heroinabhängigkeit und der in Polen im Zusammenhang damit begangenen Straftaten der Beschaffung von Drogen und dem Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung diente, ist für den Senat bindend. Auch insoweit greift die Beklagte mit der Revision lediglich die Beweiswürdigung des LSG an, was keinen Erfolg haben kann. Damit war B aber nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder Nr 3 Freizügigkeitsgesetz/EU; die anderen Tatbestände nach der Nr 1, 2 und 4 scheiden von vornherein aus. Dass er die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt auf der Grundlage des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ebenfalls nicht erfüllte, ist für den Ausschluss von der Versicherungspflicht unerheblich.
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Ein Anspruch des B gegen den Sozialhilfeträger auf Hilfen zur Gesundheit besteht auch ansonsten unabhängig von einer Krankenversicherung in Polen. Insoweit greift der Nachrang des § 2 Abs 1 SGB XII von vornherein nicht, sodass offen bleiben kann, ob die tatsächlichen Feststellungen des LSG für dessen rechtliche Würdigung ausreichen, eine polnische Krankenversicherung sei nicht aufrechterhalten geblieben. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei § 2 Abs 1 SGB XII nicht um eine isolierte Ausschlussnorm; entscheidend für den Nachrang ist nicht das Bestehen anderer Leistungsansprüche, sondern grundsätzlich erst der Erhalt dieser anderen Leistungen (vgl BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1). Eine Krankenversicherung im Ausland böte aber keinen dem Recht der GKV vergleichbaren unmittelbaren Schutz durch die Inanspruchnahme von Sachleistungen im Inland; ein Kostenerstattungsanspruch, der - insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen Koordinationsprobleme - erst noch durchgesetzt werden müsste, reicht für die Anwendung des § 2 Abs 1 SGB XII nicht aus. Anhaltspunkte dafür, dass durch Aushändigung einer Versicherungskarte über das Vorliegen eines Versicherungsschutzes im Wege der Sachleistungsaushilfe ein Sachleistungsanspruch entsprechend Art 17 ff der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vermittelt worden wäre (zum notwendigen Verfahren und den Entscheidungskompetenzen insoweit vgl nur Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Art 17 VO(EG) Nr 883/2004, RdNr 21 ff und Art 19 VO(EG) Nr 883/2004, RdNr 11 ff; zu den tatsächlichen Problemen ders, aaO, Vorbem Art 17 ff RdNr 24), bestehen auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht.
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Auch mögliche Ansprüche gegen die Schädiger, die B die Kopfverletzungen zugefügt haben, oder Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz
) führen aus diesem Grund nicht zu einem Ausschluss von Sozialhilfe unter dem Gesichtspunkt des Nachrangs; auf Ausgleichsansprüche kann der Leistungsberechtigte insoweit nicht verwiesen werden (BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1). Ansprüche gegen den Schädiger wären nach § 116 SGB X ohnehin auf die Beklagte übergegangen; im Fall des Bestehens von Ansprüchen nach dem OEG kommt ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X in Betracht.
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Ein Anspruch war für B als Ausländer auch nicht nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670) ausgeschlossen. Danach haben zum einen keinen Anspruch auf Sozialhilfe Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen (1. Alt). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist B nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (vgl BVerwGE 90, 212, 214). Nach den vom LSG bindend festgestellten Einreisezwecken (Beschaffung von Drogen und Leben in der Anonymität der Großstadt) besteht ein solcher finaler Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug nicht. Damit braucht nicht entschieden zu werden, ob hier ein Fall der Nothilfe vorliegen könnte, der als Krankenbehandlung vom Sozialhilfeträger unter den engen Voraussetzungen des § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XII zu erbringen gewesen wäre.
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Zum anderen scheiden Ansprüche für Ausländer aus, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (2. Alt). Nach den bindenden Feststellungen des LSG war B nicht auf der Suche nach Arbeit und konnte deshalb - wie bereits dargestellt - kein Aufenthaltsrecht aus einer Arbeitssuche herleiten. Ob jeder erwerbsfähige Ausländer, dem das Recht zur Arbeitssuche grundsätzlich zusteht, der von diesem Recht aber keinen Gebrauch macht, mit § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII im Wege eines "Erst-Recht-Schlusses" von den Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB XII ausgeschlossen ist, braucht nicht abschließend entschieden zu werden(vgl dazu LSG NRW, Urteil vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 -, ZFSH/SGB 2014, 167 ff; differenzierend auch Coseriu in juris PraxisKommentar
SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 SGB XII RdNr 68; Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 23 SGB XII RdNr 47b, Stand August 2013; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 23 RdNr 54d, Stand Juni 2012) .
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Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11.11.2014, wonach ein Mitgliedstaat der EU gemäß Art 7 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen die Möglichkeit haben muss, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern Sozialleistungen zu versagen, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - RdNr 78), ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - kein anderes Verständnis von § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII. Denn die innerstaatliche Rechtsordnung sieht mit § 23 Abs 3 Satz 1 1. Alt SGB XII eine solche Regelung vor, die - wie dargestellt - allerdings einen finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug fordert.
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Einer abschließenden Festlegung bedarf es aber nicht, sodass auch offen bleiben kann, ob B trotz seiner Drogensucht überhaupt erwerbsfähig war. Vorliegend wäre ihm nämlich, selbst wenn der Leistungsausschluss des § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII Anwendung fände, bei Notwendigkeit einer unaufschiebbaren Krankenbehandlung Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII auf der Grundlage von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren gewesen. Auch dem Ausländer, der dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 1. Alt SGB XII unterfällt, kann der Träger der Sozialhilfe in Ausübung von Ermessen Sozialhilfe gewähren, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (so bereits BVerwGE 78, 314, 317); dies gilt gleichermaßen für den (möglichen) Leistungsausschluss für Ausländer nach § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII. Insbesondere wenn wegen der Notwendigkeit von unaufschiebbaren Krankenbehandlungsmaßnahmen das Recht auf Leben (Gesundheit) und körperliche Unversehrtheit gemäß Art 2 Abs 2 Grundgesetz berührt ist (zur Bedeutung dieses Grundrechts im Sozialrecht vgl insbesondere BVerfGE 115, 25 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5), muss die Erbringung von entsprechenden Leistungen bei Mittellosigkeit gewährleistet sein; das Ermessen ist dann auf Null reduziert. Inwieweit der weiter gehende Ausschluss von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt im Bereich der Existenzsicherung mit Verfassungsrecht vereinbar wäre, ist nicht entscheidungserheblich (zu verfassungsrechtlichen Bedenken Coseriu, aaO, RdNr 73 ff und Greiser in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, Anhang zu § 23 SGB XII RdNr 119 ff).
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Der mögliche Anspruch der Klägerin als Nothelfer ist allerdings der Höhe nach auf die Erstattung von Aufwendungen "in gebotenem Umfang" begrenzt (vgl § 25 Satz 1 SGB XII). Maßstab für die gebotene Höhe der Aufwendungen sind (im Grundsatz) die Kosten, die die Beklagte bei rechtzeitiger Kenntnis ihrerseits hätte aufwenden müssen (so bereits BSGE 114, 161 ff RdNr 29 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1); soweit bei Hilfebedürftigkeit und in Kenntnis der Notlage von der Beklagten Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII hätte gewährt werden müssen, gelten für die Erbringung dieser Leistungen die Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) entsprechend(vgl § 52 Abs 3 Satz 1 SGB XII). Auch für den Bereich der Nothilfe richtet sich das Kostenerstattungsbegehren - wovon auch das LSG ausgegangen ist - also nach den Vorschriften des SGB V; eine Zulassung des Nothelfers als Leistungserbringer nach dem SGB V (hier also als Krankenhaus nach § 108 SGB V) ist allerdings nicht erforderlich. Zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe die Klägerin nach den krankenversicherungsrechtlichen Regelungen Vergütungsansprüche gehabt hätte, hat das LSG jedenfalls nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen. Um "Aufwendungen in gebotenem Umfang" iS des § 25 SGB XII handelt es sich jedenfalls dann, wenn die geltend gemachte Vergütung der nach dem SGB V und den sonstigen Normen und Verträgen entspricht.
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Der Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses nach dem SGB V bestimmt sich hier allerdings nach einer Fallpauschale, die alle dabei in Anspruch genommenen Behandlungsmaßnahmen zu einer Abrechnungseinheit zusammenfasst, ohne dass es grundsätzlich auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts ankommt (vgl § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V in der Normfassung des Fallpauschalengesetzes vom 23.4.2002 - BGBl I 1412 - iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz, § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz, jeweils in den Normfassungen des Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes vom 15.12.2004 - BGBl I 3429 -; vgl dazu nur: BSGE 109, 236 ff RdNr 15 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2; Wahl in jurisPK SGB V, § 109 RdNr 119 ff mwN).
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Als "Aufwendungen in gebotenem Umfang" hat die Beklagte ausgehend von der maßgeblichen Fallpauschale eine tagesbezogene anteilige Vergütung ("pro rata temporis") zu erstatten. Eine solche Abrechnung gewährleistet einerseits den Zweck der Nothilfe, die Hilfsbereitschaft Dritter im Interesse in Not geratener Menschen zu erhalten und zu stärken (BSGE 114, 161 ff RdNr 19 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), ohne dass andererseits eine vom Gesetzgeber unerwünschte Durchbrechung des öffentlich-rechtlichen Systems für die Gewährung der Sozialhilfe (dazu BSG, aaO, RdNr 22) gefördert würde. Für den Nothelfer verbleibt so der Anreiz, seiner Obliegenheit entsprechend den Sozialhilfeträger möglichst schnell vom Eilfall zu unterrichten; hierfür bestünde aus Sicht des Nothelfers bei einer Erstattung der gesamten Fallpauschale als "Aufwendung in gebotenem Umfang" für den ersten Tag des Eilfalls keine Notwendigkeit mehr. Ein Krankenhaus als Nothelfer, das sich seinen Obliegenheiten entsprechend verhält, erlangt auch bei einer Abrechnung "pro rata temporis" einen umfassenden Kostenerstattungsanspruch für die gesamte Behandlung. Soweit Hilfebedürftigkeit des Patienten tatsächlich besteht und das Krankenhaus rechtzeitig Kenntnis vom Eilfall gegeben hat, trägt der Sozialhilfeträger auch die Kosten der Behandlung im Anschluss daran.
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Insbesondere wegen des Eintritts einer sog "Quasiversicherung" für die Zeit nach Kenntniserlangung durch den Sozialhilfeträger (vgl § 264 Abs 2 bis 7 SGB V und dazu im Einzelnen BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 5) entsteht schließlich mit der Kenntnisnahme durch den Sozialhilfeträger eine dem Wechsel der Krankenkasse während eines Behandlungsfalls vergleichbare Lage. Für diese Fälle hat der 1. Senat des BSG entschieden, dass mit dem Ende der Mitgliedschaft die Leistungszuständigkeit der abgebenden Krankenkasse auch dann endet, wenn der Versicherte Krankenhausbehandlung erhält, die mit einer Fallpauschale vergütet wird, und die Aufteilung entsprechend tageweise vorzunehmen ist. Dies ermögliche eine gerechte, klare, verwaltungspraktikable und leicht handhabbare Lastenverteilung (vgl nur: BSGE 99, 102 ff RdNr 15 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 19 Nr 10 RdNr 18). Für den Bereich der Nothilfe schließt sich der Senat dieser Rechtsprechung an. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers (bzw die Obliegenheitsverletzung durch das Krankenhaus) bildet die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen; allein die Nothilfe macht die Vergütung nicht zu einer untrennbaren Einheit. Von der Gesamtzahl an Tagen, für die die Beklagte in Kenntnis der Sozialhilfebedürftigkeit Hilfe zur Krankheit zu erbringen gehabt hätte, steht dem Nothelfer deshalb eine Kostenerstattung nur für die Anzahl von Tagen zu, an denen ein Eilfall iS des § 25 SGB XII vorlag.
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Das LSG wird als Gesamtkosten, deren Aufteilung tageweise erfolgt, die gesamten von einem Krankenhaus nach dem SGB V abrechenbaren Kosten für den jeweiligen Behandlungsfall zu ermitteln haben, für den Sozialhilfe zu erbringen gewesen wäre; auch Zuschläge, die nach den jeweiligen Vergütungsregelungen abgerechnet werden können (etwa Systemzuschläge oder Zuschläge aufgrund der Besonderheiten des behandelnden Krankenhauses oder des Behandlungsfalles), gehören hierzu. Dies ist schon deshalb folgerichtig, weil es letztlich von Zufälligkeiten abhängt, an welchem Tag der Schwerpunkt der Behandlung liegt; ob etwa eine erforderliche Operation noch an Tagen, an denen ein Eilfall vorlag, oder erst später durchgeführt wird.
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Der sog Langliegerzuschlag, der nach den Vergütungsvereinbarungen im vorliegend maßgeblichen Fallpauschalenkatalog bei zulässiger Überschreitung der vereinbarten oberen Grenzverweildauer anfällt, ist mithin nicht vorab deshalb in Abzug zu bringen, weil an den Tagen, an denen die Grenzverweildauer überschritten war, ein Eilfall nicht mehr vorlag. Ein solcher Zuschlag bildet vielmehr das Risiko ab, dass sich der jeweilige Behandlungsfall als besonders aufwändig erweist. Im Grundsatz hat sich für das Krankenhaus dieses Risiko bereits mit Aufnahme des Patienten als Eilfall verwirklicht. Auch insoweit stärkt die Berücksichtigung dieses Zuschlages bei den aufzuteilenden Gesamtkosten im Interesse der Hilfebedürftigen die Bereitschaft bei Krankenhäusern, im Eilfall Hilfebedürftige ohne weiter gehende finanzielle Überlegungen, etwa im Hinblick auf die Schwere des Falles, aufzunehmen. Das rechtfertigt es, den Langliegerzuschlag nicht lediglich an den Tagen zu berücksichtigen, an denen die Grenzverweildauer tatsächlich überschritten war. Auch die Aufteilung des Langliegerzuschlages führt nicht zuletzt - ebenso wie die Aufteilung der Behandlungskosten im Übrigen - zu einer praktikablen und möglichst einfachen Handhabung durch den Sozialhilfeträger.
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Ergeben die Feststellungen des LSG, dass B nach dem 24.3.2010 aus der Behandlung des Krankenhauses entlassen wurde, später aber erneut aufgenommen werden musste (wofür sich nach den bisherigen Feststellungen gewisse Anhaltspunkte ergeben), kann erneut ein Eilfall eingetreten sein, der zu einem (weiteren) Anspruch als Nothelfer nach den soeben dargelegten Grundsätzen führen kann. Ein Anspruch als Nothelfer kommt für die Klägerin schließlich auch in Betracht, wenn zwar keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorlag, aber vorstationäre Behandlungsmaßnahmen zur Abklärung einer solchen Behandlungsnotwendigkeit (§ 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 39 Satz 1, § 115a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V) unverzüglich durchgeführt werden mussten; uU wird das LSG auch zu überprüfen haben, ob unaufschiebbare ambulante Notfallleistung auf der Grundlage des § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und §§ 28, 76 Abs 1 Satz 2 SGB V erbracht worden sind. Allerdings sind Maßstab für die gebotene Höhe der Aufwendungen dann die Kosten, die die Beklagte für eine ambulante Behandlung hätte aufwenden müssen (vgl § 52 Abs 3 Satz 2 SGB XII). Wie diese im Einzelfall zu bestimmen wären, wird das LSG ggf zu ermitteln haben.
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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.
(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.
(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn
- 1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder - 3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
- 1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, - 2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7, - 3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und - 4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.
(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.
(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro als Nothelfer.
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Die Klägerin betreibt das Evangelische Krankenhaus in K-Ka Am 23.3.2010, um 17:56 Uhr, wurde der polnische Staatsangehörige S P B (B), der bereits am 22.3.2010 wegen einer an diesem Tag (bei seiner Verhaftung) erlittenen Schädelbasisfraktur als Notfall in einem anderen K Krankenhaus behandelt worden war, dieses aber gegen ärztlichen Rat wieder verlassen hatte, durch die Polizei in das Krankenhaus der Klägerin eingeliefert und dort bis zum 3.4.2010 behandelt. Der heroinabhängige B war nicht erwerbstätig und verfügte weder über Einkommen noch über Vermögen. Entsprechende Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machte er bei seiner Aufnahme; einen Krankenversicherungsschutz verneinte er.
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Am 29.3.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie B behandele. Am 28.4.2010 beantragte sie dann bei dieser die Erstattung der Kosten für die Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 23.3. bis zum 3.4.2010 auf der Grundlage einer Fallpauschale in Höhe von 2403,08 Euro (Rechnung vom 27.4.2010). Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, weil B als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) nach § 5 Abs 1 Nr 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert gewesen sei(Bescheid vom 2.6.2010; Widerspruchsbescheid vom 13.12.2010).
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Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte zur Erstattung von Kosten in Höhe von 1841,44 Euro verurteilt und die Klage wegen der übrigen Kosten (Höhe des geltend gemachten Langliegerzuschlags) abgewiesen (Urteil vom 7.9.2011). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen (Urteil vom 28.1.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Klägerin seien die Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro als Nothelfer nach § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu erstatten. Am Tag der Einlieferung des B habe ein Eilfall vorgelegen, weil eine unverzügliche stationäre Aufnahme und Behandlung außerhalb der üblichen Dienstzeiten der Beklagten zwingend erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der Eilfall bereits am 24.3.2010 beendet gewesen sei. Die Behandlungskosten seien nämlich nach dem für das SGB V geltenden Vergütungssystem als Pauschale abzurechnen; eine zeitanteilige Aufteilung der Behandlungskosten scheide aus, weil sich die von der Fallpauschale erfasste Behandlung als Einheit darstelle. Für B habe im Zeitpunkt des Eilfalls keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 Buchst b SGB V bestanden. Aufenthaltsberechtigt habe er nämlich nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) sein können; denn nach seinen ersichtlichen Lebensumständen sowie seinen damit übereinstimmenden Angaben gegenüber der Klägerin habe er in Deutschland nicht gearbeitet und auch keine Arbeit gesucht. Damit sei der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V erfüllt, und eine vorrangige Versicherungspflicht nach dem SGB V scheide aus. B habe schließlich nicht über hinreichendes, seine Hilfebedürftigkeit beseitigendes Einkommen oder Vermögen verfügt. Eine Krankenversicherung in Polen habe ebenfalls nicht bestanden. Der Anspruch sei am 29.3.2010, damit auch in angemessener Frist, geltend gemacht worden.
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Mit ihrer Revision macht die Beklagte eine Verletzung von § 25 SGB XII geltend. Die Entscheidung des LSG verstoße gegen den Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII. Es sei bereits fraglich, ob B tatsächlich ohne Krankenversicherungsschutz in Deutschland gelebt habe. Auch die Annahme des LSG, dass sich B nicht zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in Deutschland aufgehalten habe, sei durch nichts belegt. Eine mögliche Unaufklärbarkeit der Aufenthalts- und wirtschaftlichen Verhältnisse treffe die Klägerin, die sich während des stationären Aufenthalts des B nicht um eine Sachaufklärung bemüht habe. Der Umfang der nach § 25 Satz 1 SGB XII zu erstattenden Aufwendungen sei jedenfalls "pro rata temporis", also nach der tatsächlich für die Fallpauschale in Anspruch genommenen Zahl der Krankenhaustage, zu bemessen.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben sowie das Urteil des SG abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) .
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Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 2.6.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2010 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG) wendet. Dabei ist der Anspruch auf Erstattung betragsmäßig auf Aufwendungen in Höhe von 1841,44 Euro begrenzt, nachdem sich die Klägerin gegen die erstinstanzliche Abweisung der Klage in Höhe von 561,64 Euro nicht gewandt hat. Einer Beiladung des B nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) bedurfte es nicht (vgl dazu nur Bundessozialgericht
, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 12).
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Ein Anspruch der Klägerin als Nothelfer - andere Anspruchsgrundlagen scheiden aus - kann sich nur gegen die Stadt K als den sachlich und örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe am Ort des tatsächlichen Aufenthalts des B richten (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 3 SGB XII iVm § 3 Abs 2 SGB XII, §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt . Für die örtliche Zuständigkeit ist nämlich wegen der Eilbedürftigkeit der Leistungserbringung durch den Nothelfer der tatsächliche Aufenthalt des B im Zeitpunkt der Aufnahme maßgeblich; § 25 Satz 2 SGB XII begründet keine eigene Zuständigkeit für die Fälle der Nothilfe, sondern knüpft an die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen wegen der Leistungen an, die der Träger der Sozialhilfe in Kenntnis seiner Leistungspflicht hätte erbringen müssen. Maßgeblich ist in Eilfällen, die eine Aufnahme in einer stationären Einrichtung notwendig machen, die in § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII (tatsächlicher Aufenthalt) geregelte Zuständigkeit(so bereits BVerwGE 114, 326, 329 ff), selbst wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt des Hilfebedürftigen in einem anderen Zuständigkeitsbereich besteht, der - den Eilfall hinweggedacht - die örtliche Zuständigkeit des dortigen Trägers begründen würde (vgl § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Diese Auslegung entspricht dem Zweck des 25 SGB XII, die Bereitschaft Dritter zur Hilfeleistung im Interesse des Hilfebedürftigen zu erhalten (dazu nur BSGE 114, 161 ff RdNr 19 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1); der Nothelfer soll nicht mit der Frage nach Zuständigkeitsregelungen innerhalb der Sozialverwaltung belastet werden. Die Erstattungsregelungen für stationäre Hilfe in Eilfällen (vgl § 106 Abs 1 SGB XII)stellen ausreichend sicher, dass dem vorläufig eintretenden Träger am Ort der stationären Einrichtung aus der Vorleistung keine finanziellen Nachteile entstehen. Ob sich B in K gewöhnlich aufgehalten hat, bedarf damit keiner Überprüfung.- und der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl 817)
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Ob die Klägerin allerdings einen Anspruch nach § 25 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht entscheiden. Nach § 25 SGB XII sind demjenigen, der in einem Eilfall einem anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, auf Antrag die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat(Satz 1). Der Anspruch richtet sich gegen den für die Sozialhilfeleistung zuständigen Sozialhilfeträger. Dies gilt nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird (Satz 2).
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In materiellrechtlicher Hinsicht setzt ein Anspruch nach § 25 SGB XII zunächst voraus, dass ein beim Nothilfeempfänger bestehender unabwendbarer Bedarf nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII unmittelbar durch den Dritten gedeckt wird. Dieses bedarfsbezogene Moment beschreibt die Eilbedürftigkeit des Eingreifens selbst (BSGE 114, 161 ff RdNr 17 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 16).
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Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass maßgeblich für die Beurteilung des Eilfalls zunächst der Zeitpunkt der Aufnahme (23.3.2010) am Tag nach der Verletzung (22.3.2010) war, nachdem die (erste) Hilfeleistung am Tag zuvor mit Entlassung des B aus der Behandlung beendet worden war. Mit jedem weiteren Eingreifen eines Dritten als Nothelfer kann insoweit ein weiterer Eilfall entstehen (zu einer jeweils "aktualisierten Eilfallzuständigkeit" schon BVerwGE 114, 326, 329 ff). Ob und in welchem Umfang vorliegend aber im Zeitpunkt der (erneuten) Aufnahme, am 23.3.2010, ein Bedarf des B bestand, den die Beklagte als Hilfe bei Krankheit (vgl § 19 Abs 3, § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 48 Satz 1 SGB XII) sofort hätte decken müssen, kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Seine Feststellungen (durch Bezugnahme auf die Feststellungen des SG) ermöglichen nicht die rechtliche Entscheidung, ob zu diesem Zeitpunkt eine unaufschiebbare Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bestand. Aus der mitgeteilten Diagnose (Schädelbasis-bruch) und den durchgeführten Behandlungen (Schädel-Hirntrauma-Überwachung und neurologisches Konzil) allein lässt sich weder ersehen, inwieweit solche Behandlungen überhaupt medizinisch notwendig waren, noch, ob es (durchgehend) der besonderen sächlichen und personellen Ausstattung des Krankenhauses bedurfte. Das LSG wird nach Zurückverweisung daher ggf anhand des § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 39 SGB V, auf die § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 52 SGB XII wegen der Leistungen zur Krankenhausbehandlung Bezug nimmt, zu überprüfen haben, ob und an welchen Tagen bei B ein unabweisbarer Bedarf in Form der Krankenhausbehandlung bestand.
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Ergeben die weiteren Feststellungen des LSG, dass am 23.3.2010 eine sofortige Behandlung in einem Krankenhaus notwendig war, muss zu diesem bedarfsbezogenen Moment ein sozialhilferechtliches hinzukommen; eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers darf objektiv nicht zu erlangen gewesen sein. Der Anspruch des Nothelfers besteht nämlich in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur dann, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht. Ein Eilfall liegt damit nicht vor, wenn Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibt (zum Ganzen BSGE 114, 161 ff RdNr 18 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 17 mwN). Nach den unangegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG war es der Klägerin objektiv unmöglich, den zuständigen Sozialhilfeträger noch am 23.3.2010 über den Hilfefall zu unterrichten, weil die Aufnahme erst nach Dienstschluss der Beklagten erfolgt ist.
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Am 24.3.2010 wäre ein Eilfall aber entfallen; denn die Klägerin hat der an diesem Tag (einem Mittwoch) wieder dienstbereiten Beklagten keine Kenntnis vom Hilfefall verschafft und auf diese Weise ihre Obliegenheiten verletzt, weil B zuvor ihr - der Klägerin - gegenüber das Bestehen eines Versicherungsschutzes ebenso wie ausreichendes Einkommen und Vermögen als Selbstzahler ausdrücklich verneint hatte. Die Obliegenheit eines Krankenhauses, den Sozialhilfeträger zu unterrichten, wird regelmäßig dann ausgelöst, wenn der Patient - wie hier - einen Versicherungsschutz in der GKV nicht durch Vorlage einer Versichertenkarte (vgl § 15 Abs 6 SGB V) nachweisen kann (im Einzelnen BSGE 114, 161 ff RdNr 23 ff = SozR 4-5910 § 121 Nr 1)und sich auch ansonsten keine Umstände ergeben, aus denen die notwendige Kostensicherheit für das Krankenhaus hervorgeht (dazu BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R - RdNr 19). Sollte - wie das SG ausgeführt hat - die Klägerin am 24.3.2010 die erforderliche Mitteilung per Fax abgesandt, hierbei aber versehentlich eine fehlerhafte Nummer eingegeben haben, würde dies zu keiner anderen Beurteilung führen; die Klägerin würde insoweit das Risiko tragen.
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Zu weiter gehenden Ermittlungen nach dem Ende des Eilfalls war die Klägerin aber - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht verpflichtet. Da eine Durchbrechung des öffentlich-rechtlichen Systems für die Gewährung der Sozialhilfe (insbesondere des speziell hierfür normierten Verwaltungsverfahrens und der "Vergütungsstruktur") durch den Nothelfer regelmäßig nicht im öffentlichen Interesse liegt (BSGE 114, 161 ff RdNr 20 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), treffen ihn nach dem Ende des Eilfalls im Verhältnis zum Sozialhilfeträger auch keine zusätzlichen Pflichten zur Ermittlung, ob wegen des Hilfebedarfs, den er als Nothelfer gedeckt hat, Ansprüche nach dem SGB XII im Einzelnen tatsächlich bestehen. Verschafft der Nothelfer dem Sozialhilfeträger die Kenntnis vom Eilfall, obliegt vielmehr diesem - nicht anders als im Falle der Vermittlung der Kenntnis durch den Hilfebedürftigen selbst - die weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -
) , auch wenn der Nothelfer die materielle Beweislast dafür trägt, dass der geltend gemachte Anspruch besteht (vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 24 mwN = SozR 4-5910 § 121 Nr 1). Erforderlich ist nur die Stellung eines Antrags auf Kostenerstattung innerhalb angemessener Frist (vgl § 25 Satz 2 SGB XII). Diese Frist, die aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität regelmäßig einen Monat nach Ende des Eilfalls beträgt (vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 28 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), ist vorliegend mit dem Eingang des Antrags bei der Beklagten am 29.3.2010 eingehalten.
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Zur Durchführung der dann notwendigen Ermittlungen darf der Träger der Sozialhilfe im Falle der medizinischen Nothilfe die Gesundheitsdaten des Patienten erheben (§ 67a Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB X), auch wenn dieser - wie hier - nicht mehr erreichbar ist und ein entsprechendes Einverständnis nicht erteilen kann. Denn das Krankenhaus, das wegen einer medizinischen Notfallbehandlung einen Anspruch auf Nothilfe nach § 25 SGB XII geltend macht, ist zur Übermittlung der Angaben an den Sozialhilfeträger verpflichtet, der es zur Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung einer Krankenhausbehandlung auf Grundlage des § 48 Satz 1 SGB XII bedarf(vgl § 52 Abs 3 Satz 3 SGB XII iVm § 301 Abs 1 SGB V). Es gelten insoweit die bereichsspezifischen Regelungen des SGB V für die Übertragung von Daten auch für die Fälle der Nothilfe (vgl BSGE 102, 134 ff RdNr 38 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2 für die Behandlung durch nicht zugelassene Leistungserbringer in Fällen des sog Systemversagens nach dem SGB V).
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Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG war B jedenfalls finanziell hilfebedürftig. Er verfügte im Zeitpunkt der Aufnahme bei der Klägerin über keinerlei Einkommen oder Vermögen und war damit nicht in der Lage, die Kosten für eine notwendige Krankenbehandlung selbst aufzubringen. Diese Feststellungen sind von der Beklagten nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen; sie sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Soweit die Beklagte vorträgt, die Schlussfolgerungen des LSG aus dem zugrunde gelegten Sachverhalt seien nicht nachvollziehbar und spekulativ, bemängelt sie ohne eine entsprechende Verfahrensrüge (nur) die Beweiswürdigung durch das LSG, die der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert ihre Leistungspflicht nicht am Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs 1 SGB XII). Insbesondere bestand für B kein Versicherungsschutz in der GKV, sodass keine Krankenkasse vorrangig für die Erbringung der Leistung zuständig war und diese Leistung (ggf im Kontext des § 25 SGB XII) als Sachleistung - ohne Rücksicht auf die Kenntnis davon - bereits erbracht wäre(vgl BSGE 114, 161 ff RdNr 26 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1). Nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V(in der Normfassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 26.3.2007 - BGBl I 378) - andere Versicherungstatbestände scheiden von vornherein aus - sind pflichtversichert in der sog Auffangversicherung Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert (Buchst a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs 5 SGB V genannten hauptberuflich Selbstständigen oder zu den nach § 6 Abs 1 oder 2 SGB V versicherungsfreien Personen oder hätten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland zu ihnen gehört(Buchst b). Ob diese Voraussetzungen im Einzelnen bei B vorlagen, kann aber offen bleiben.
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Im Zeitpunkt der Behandlung war B nämlich als nicht erwerbstätiger polnischer Staatsangehöriger von diesem Versicherungspflichttatbestand ohnedies ausgeschlossen (vgl § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V ebenfalls in der Normfassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes). § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V bestimmt, dass ua Angehörige eines anderen Mitgliedstaates der EU von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht erfasst werden, wenn die Voraussetzung für die Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU ist. Die in Bezug genommene Regelung des § 4 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (hier in der Normfassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) bestimmt wiederum ua, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) nur dann haben, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Für den Personenkreis der Unionsbürger, der nur unter der Voraussetzung eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ein Recht auf Einreise und Aufenthalt hat, besteht keine Auffangversicherung in der GKV. Allein die entsprechende Verpflichtung nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU schließt dabei die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V aus; auf eine tatsächliche Absicherung für den Krankheitsfall kommt es nicht an (vgl BT-Drucks 16/3100, S 95 zu Nr 2 Buchst d; im Einzelnen Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 5 SGB V RdNr 117, Stand Oktober 2014).
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Nach den Feststellungen des LSG unterfällt B diesem Personenkreis, der aufenthaltsberechtigt nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU sein konnte. Insbesondere seine Feststellung, dass B die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht angestrebt hat und sich also nicht als Arbeitnehmer oder zur Arbeitsuche und auch nicht als Erbringer von Dienstleistungen in Deutschland aufhalten wollte, sondern die Einreise und der Aufenthalt in Deutschland vor dem Hintergrund seiner Heroinabhängigkeit und der in Polen im Zusammenhang damit begangenen Straftaten der Beschaffung von Drogen und dem Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung diente, ist für den Senat bindend. Auch insoweit greift die Beklagte mit der Revision lediglich die Beweiswürdigung des LSG an, was keinen Erfolg haben kann. Damit war B aber nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder Nr 3 Freizügigkeitsgesetz/EU; die anderen Tatbestände nach der Nr 1, 2 und 4 scheiden von vornherein aus. Dass er die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt auf der Grundlage des § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ebenfalls nicht erfüllte, ist für den Ausschluss von der Versicherungspflicht unerheblich.
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Ein Anspruch des B gegen den Sozialhilfeträger auf Hilfen zur Gesundheit besteht auch ansonsten unabhängig von einer Krankenversicherung in Polen. Insoweit greift der Nachrang des § 2 Abs 1 SGB XII von vornherein nicht, sodass offen bleiben kann, ob die tatsächlichen Feststellungen des LSG für dessen rechtliche Würdigung ausreichen, eine polnische Krankenversicherung sei nicht aufrechterhalten geblieben. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei § 2 Abs 1 SGB XII nicht um eine isolierte Ausschlussnorm; entscheidend für den Nachrang ist nicht das Bestehen anderer Leistungsansprüche, sondern grundsätzlich erst der Erhalt dieser anderen Leistungen (vgl BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1). Eine Krankenversicherung im Ausland böte aber keinen dem Recht der GKV vergleichbaren unmittelbaren Schutz durch die Inanspruchnahme von Sachleistungen im Inland; ein Kostenerstattungsanspruch, der - insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen Koordinationsprobleme - erst noch durchgesetzt werden müsste, reicht für die Anwendung des § 2 Abs 1 SGB XII nicht aus. Anhaltspunkte dafür, dass durch Aushändigung einer Versicherungskarte über das Vorliegen eines Versicherungsschutzes im Wege der Sachleistungsaushilfe ein Sachleistungsanspruch entsprechend Art 17 ff der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vermittelt worden wäre (zum notwendigen Verfahren und den Entscheidungskompetenzen insoweit vgl nur Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Art 17 VO(EG) Nr 883/2004, RdNr 21 ff und Art 19 VO(EG) Nr 883/2004, RdNr 11 ff; zu den tatsächlichen Problemen ders, aaO, Vorbem Art 17 ff RdNr 24), bestehen auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht.
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Auch mögliche Ansprüche gegen die Schädiger, die B die Kopfverletzungen zugefügt haben, oder Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz
) führen aus diesem Grund nicht zu einem Ausschluss von Sozialhilfe unter dem Gesichtspunkt des Nachrangs; auf Ausgleichsansprüche kann der Leistungsberechtigte insoweit nicht verwiesen werden (BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1). Ansprüche gegen den Schädiger wären nach § 116 SGB X ohnehin auf die Beklagte übergegangen; im Fall des Bestehens von Ansprüchen nach dem OEG kommt ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X in Betracht.
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Ein Anspruch war für B als Ausländer auch nicht nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670) ausgeschlossen. Danach haben zum einen keinen Anspruch auf Sozialhilfe Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen (1. Alt). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist B nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (vgl BVerwGE 90, 212, 214). Nach den vom LSG bindend festgestellten Einreisezwecken (Beschaffung von Drogen und Leben in der Anonymität der Großstadt) besteht ein solcher finaler Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug nicht. Damit braucht nicht entschieden zu werden, ob hier ein Fall der Nothilfe vorliegen könnte, der als Krankenbehandlung vom Sozialhilfeträger unter den engen Voraussetzungen des § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XII zu erbringen gewesen wäre.
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Zum anderen scheiden Ansprüche für Ausländer aus, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (2. Alt). Nach den bindenden Feststellungen des LSG war B nicht auf der Suche nach Arbeit und konnte deshalb - wie bereits dargestellt - kein Aufenthaltsrecht aus einer Arbeitssuche herleiten. Ob jeder erwerbsfähige Ausländer, dem das Recht zur Arbeitssuche grundsätzlich zusteht, der von diesem Recht aber keinen Gebrauch macht, mit § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII im Wege eines "Erst-Recht-Schlusses" von den Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB XII ausgeschlossen ist, braucht nicht abschließend entschieden zu werden(vgl dazu LSG NRW, Urteil vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 -, ZFSH/SGB 2014, 167 ff; differenzierend auch Coseriu in juris PraxisKommentar
SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 SGB XII RdNr 68; Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 23 SGB XII RdNr 47b, Stand August 2013; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 23 RdNr 54d, Stand Juni 2012) .
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Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11.11.2014, wonach ein Mitgliedstaat der EU gemäß Art 7 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen die Möglichkeit haben muss, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern Sozialleistungen zu versagen, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - RdNr 78), ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - kein anderes Verständnis von § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII. Denn die innerstaatliche Rechtsordnung sieht mit § 23 Abs 3 Satz 1 1. Alt SGB XII eine solche Regelung vor, die - wie dargestellt - allerdings einen finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug fordert.
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Einer abschließenden Festlegung bedarf es aber nicht, sodass auch offen bleiben kann, ob B trotz seiner Drogensucht überhaupt erwerbsfähig war. Vorliegend wäre ihm nämlich, selbst wenn der Leistungsausschluss des § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII Anwendung fände, bei Notwendigkeit einer unaufschiebbaren Krankenbehandlung Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII auf der Grundlage von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren gewesen. Auch dem Ausländer, der dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 1. Alt SGB XII unterfällt, kann der Träger der Sozialhilfe in Ausübung von Ermessen Sozialhilfe gewähren, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (so bereits BVerwGE 78, 314, 317); dies gilt gleichermaßen für den (möglichen) Leistungsausschluss für Ausländer nach § 23 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB XII. Insbesondere wenn wegen der Notwendigkeit von unaufschiebbaren Krankenbehandlungsmaßnahmen das Recht auf Leben (Gesundheit) und körperliche Unversehrtheit gemäß Art 2 Abs 2 Grundgesetz berührt ist (zur Bedeutung dieses Grundrechts im Sozialrecht vgl insbesondere BVerfGE 115, 25 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5), muss die Erbringung von entsprechenden Leistungen bei Mittellosigkeit gewährleistet sein; das Ermessen ist dann auf Null reduziert. Inwieweit der weiter gehende Ausschluss von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt im Bereich der Existenzsicherung mit Verfassungsrecht vereinbar wäre, ist nicht entscheidungserheblich (zu verfassungsrechtlichen Bedenken Coseriu, aaO, RdNr 73 ff und Greiser in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, Anhang zu § 23 SGB XII RdNr 119 ff).
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Der mögliche Anspruch der Klägerin als Nothelfer ist allerdings der Höhe nach auf die Erstattung von Aufwendungen "in gebotenem Umfang" begrenzt (vgl § 25 Satz 1 SGB XII). Maßstab für die gebotene Höhe der Aufwendungen sind (im Grundsatz) die Kosten, die die Beklagte bei rechtzeitiger Kenntnis ihrerseits hätte aufwenden müssen (so bereits BSGE 114, 161 ff RdNr 29 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1); soweit bei Hilfebedürftigkeit und in Kenntnis der Notlage von der Beklagten Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII hätte gewährt werden müssen, gelten für die Erbringung dieser Leistungen die Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) entsprechend(vgl § 52 Abs 3 Satz 1 SGB XII). Auch für den Bereich der Nothilfe richtet sich das Kostenerstattungsbegehren - wovon auch das LSG ausgegangen ist - also nach den Vorschriften des SGB V; eine Zulassung des Nothelfers als Leistungserbringer nach dem SGB V (hier also als Krankenhaus nach § 108 SGB V) ist allerdings nicht erforderlich. Zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe die Klägerin nach den krankenversicherungsrechtlichen Regelungen Vergütungsansprüche gehabt hätte, hat das LSG jedenfalls nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen. Um "Aufwendungen in gebotenem Umfang" iS des § 25 SGB XII handelt es sich jedenfalls dann, wenn die geltend gemachte Vergütung der nach dem SGB V und den sonstigen Normen und Verträgen entspricht.
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Der Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses nach dem SGB V bestimmt sich hier allerdings nach einer Fallpauschale, die alle dabei in Anspruch genommenen Behandlungsmaßnahmen zu einer Abrechnungseinheit zusammenfasst, ohne dass es grundsätzlich auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts ankommt (vgl § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V in der Normfassung des Fallpauschalengesetzes vom 23.4.2002 - BGBl I 1412 - iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz, § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz, jeweils in den Normfassungen des Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes vom 15.12.2004 - BGBl I 3429 -; vgl dazu nur: BSGE 109, 236 ff RdNr 15 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2; Wahl in jurisPK SGB V, § 109 RdNr 119 ff mwN).
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Als "Aufwendungen in gebotenem Umfang" hat die Beklagte ausgehend von der maßgeblichen Fallpauschale eine tagesbezogene anteilige Vergütung ("pro rata temporis") zu erstatten. Eine solche Abrechnung gewährleistet einerseits den Zweck der Nothilfe, die Hilfsbereitschaft Dritter im Interesse in Not geratener Menschen zu erhalten und zu stärken (BSGE 114, 161 ff RdNr 19 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1), ohne dass andererseits eine vom Gesetzgeber unerwünschte Durchbrechung des öffentlich-rechtlichen Systems für die Gewährung der Sozialhilfe (dazu BSG, aaO, RdNr 22) gefördert würde. Für den Nothelfer verbleibt so der Anreiz, seiner Obliegenheit entsprechend den Sozialhilfeträger möglichst schnell vom Eilfall zu unterrichten; hierfür bestünde aus Sicht des Nothelfers bei einer Erstattung der gesamten Fallpauschale als "Aufwendung in gebotenem Umfang" für den ersten Tag des Eilfalls keine Notwendigkeit mehr. Ein Krankenhaus als Nothelfer, das sich seinen Obliegenheiten entsprechend verhält, erlangt auch bei einer Abrechnung "pro rata temporis" einen umfassenden Kostenerstattungsanspruch für die gesamte Behandlung. Soweit Hilfebedürftigkeit des Patienten tatsächlich besteht und das Krankenhaus rechtzeitig Kenntnis vom Eilfall gegeben hat, trägt der Sozialhilfeträger auch die Kosten der Behandlung im Anschluss daran.
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Insbesondere wegen des Eintritts einer sog "Quasiversicherung" für die Zeit nach Kenntniserlangung durch den Sozialhilfeträger (vgl § 264 Abs 2 bis 7 SGB V und dazu im Einzelnen BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 5) entsteht schließlich mit der Kenntnisnahme durch den Sozialhilfeträger eine dem Wechsel der Krankenkasse während eines Behandlungsfalls vergleichbare Lage. Für diese Fälle hat der 1. Senat des BSG entschieden, dass mit dem Ende der Mitgliedschaft die Leistungszuständigkeit der abgebenden Krankenkasse auch dann endet, wenn der Versicherte Krankenhausbehandlung erhält, die mit einer Fallpauschale vergütet wird, und die Aufteilung entsprechend tageweise vorzunehmen ist. Dies ermögliche eine gerechte, klare, verwaltungspraktikable und leicht handhabbare Lastenverteilung (vgl nur: BSGE 99, 102 ff RdNr 15 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 19 Nr 10 RdNr 18). Für den Bereich der Nothilfe schließt sich der Senat dieser Rechtsprechung an. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers (bzw die Obliegenheitsverletzung durch das Krankenhaus) bildet die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen; allein die Nothilfe macht die Vergütung nicht zu einer untrennbaren Einheit. Von der Gesamtzahl an Tagen, für die die Beklagte in Kenntnis der Sozialhilfebedürftigkeit Hilfe zur Krankheit zu erbringen gehabt hätte, steht dem Nothelfer deshalb eine Kostenerstattung nur für die Anzahl von Tagen zu, an denen ein Eilfall iS des § 25 SGB XII vorlag.
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Das LSG wird als Gesamtkosten, deren Aufteilung tageweise erfolgt, die gesamten von einem Krankenhaus nach dem SGB V abrechenbaren Kosten für den jeweiligen Behandlungsfall zu ermitteln haben, für den Sozialhilfe zu erbringen gewesen wäre; auch Zuschläge, die nach den jeweiligen Vergütungsregelungen abgerechnet werden können (etwa Systemzuschläge oder Zuschläge aufgrund der Besonderheiten des behandelnden Krankenhauses oder des Behandlungsfalles), gehören hierzu. Dies ist schon deshalb folgerichtig, weil es letztlich von Zufälligkeiten abhängt, an welchem Tag der Schwerpunkt der Behandlung liegt; ob etwa eine erforderliche Operation noch an Tagen, an denen ein Eilfall vorlag, oder erst später durchgeführt wird.
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Der sog Langliegerzuschlag, der nach den Vergütungsvereinbarungen im vorliegend maßgeblichen Fallpauschalenkatalog bei zulässiger Überschreitung der vereinbarten oberen Grenzverweildauer anfällt, ist mithin nicht vorab deshalb in Abzug zu bringen, weil an den Tagen, an denen die Grenzverweildauer überschritten war, ein Eilfall nicht mehr vorlag. Ein solcher Zuschlag bildet vielmehr das Risiko ab, dass sich der jeweilige Behandlungsfall als besonders aufwändig erweist. Im Grundsatz hat sich für das Krankenhaus dieses Risiko bereits mit Aufnahme des Patienten als Eilfall verwirklicht. Auch insoweit stärkt die Berücksichtigung dieses Zuschlages bei den aufzuteilenden Gesamtkosten im Interesse der Hilfebedürftigen die Bereitschaft bei Krankenhäusern, im Eilfall Hilfebedürftige ohne weiter gehende finanzielle Überlegungen, etwa im Hinblick auf die Schwere des Falles, aufzunehmen. Das rechtfertigt es, den Langliegerzuschlag nicht lediglich an den Tagen zu berücksichtigen, an denen die Grenzverweildauer tatsächlich überschritten war. Auch die Aufteilung des Langliegerzuschlages führt nicht zuletzt - ebenso wie die Aufteilung der Behandlungskosten im Übrigen - zu einer praktikablen und möglichst einfachen Handhabung durch den Sozialhilfeträger.
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Ergeben die Feststellungen des LSG, dass B nach dem 24.3.2010 aus der Behandlung des Krankenhauses entlassen wurde, später aber erneut aufgenommen werden musste (wofür sich nach den bisherigen Feststellungen gewisse Anhaltspunkte ergeben), kann erneut ein Eilfall eingetreten sein, der zu einem (weiteren) Anspruch als Nothelfer nach den soeben dargelegten Grundsätzen führen kann. Ein Anspruch als Nothelfer kommt für die Klägerin schließlich auch in Betracht, wenn zwar keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorlag, aber vorstationäre Behandlungsmaßnahmen zur Abklärung einer solchen Behandlungsnotwendigkeit (§ 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 39 Satz 1, § 115a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V) unverzüglich durchgeführt werden mussten; uU wird das LSG auch zu überprüfen haben, ob unaufschiebbare ambulante Notfallleistung auf der Grundlage des § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und §§ 28, 76 Abs 1 Satz 2 SGB V erbracht worden sind. Allerdings sind Maßstab für die gebotene Höhe der Aufwendungen dann die Kosten, die die Beklagte für eine ambulante Behandlung hätte aufwenden müssen (vgl § 52 Abs 3 Satz 2 SGB XII). Wie diese im Einzelfall zu bestimmen wären, wird das LSG ggf zu ermitteln haben.
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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
(1) Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. In Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ist die Bundesrepublik Deutschland auf Antrag beizuladen.
(2) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, daß bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, so sind sie beizuladen.
(2a) Kommt nach Absatz 2 erste Alternative die Beiladung von mehr als 20 Personen in Betracht, kann das Gericht durch Beschluss anordnen, dass nur solche Personen beigeladen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Der Beschluss ist unanfechtbar. Er ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Er muss außerdem in im gesamten Bundesgebiet verbreiteten Tageszeitungen veröffentlicht werden. Die Bekanntmachung kann zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten Informations- und Kommunikationssystem erfolgen. Die Frist muss mindestens drei Monate seit der Bekanntgabe betragen. Es ist jeweils anzugeben, an welchem Tag die Antragsfrist abläuft. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis gilt § 67 entsprechend. Das Gericht soll Personen, die von der Entscheidung erkennbar in besonderem Maße betroffen werden, auch ohne Antrag beiladen.
(2b) In Verfahren gegen Entscheidungen nach § 7a Absatz 1 Satz 3, § 28h Absatz 2 und § 28p Absatz 1 Satz 5 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind andere Versicherungsträger abweichend von Absatz 2 nur auf deren Antrag beizuladen. Das Gericht benachrichtigt die anderen Versicherungsträger über die Erhebung einer entsprechenden Klage und über die Möglichkeit der Beiladung auf Antrag. Das Gericht setzt den anderen Versicherungsträgern für die Antragstellung eine angemessene Frist. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis gilt § 67 entsprechend. Das Gericht kann Versicherungsträger auch von Amts wegen beiladen.
(3) Der Beiladungsbeschluß ist allen Beteiligten zuzustellen. Dabei sollen der Stand der Sache und der Grund der Beiladung angegeben werden. Der Beschluß, den Dritten beizuladen, ist unanfechtbar.
(4) Der Beigeladene kann innerhalb der Anträge der anderen Beteiligten selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen. Abweichende Sachanträge kann er nur dann stellen, wenn eine Beiladung nach Absatz 2 vorliegt.
(5) Ein Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land kann nach Beiladung verurteilt werden.
(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass
- 1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird, - 2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über
- 1.
(weggefallen) - 2.
(weggefallen) - 3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4); - 4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen; - 5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.
(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes
- 1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder - 2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.
(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.
(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.
(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.
(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.
(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.
(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.
(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn
- 1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist, - 2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist oder - 3.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.
(2) Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag der berechtigten Person für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.
(3) Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten; auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachtes Kurzarbeitergeld und Wintergeld ist vom Arbeitgeber zurückzuzahlen.
(4) Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 und 3, Absatz 2 sowie Absatz 3 Satz 1 und 2 sind für die Erstattung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.
(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.
(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Die Partei hat ihr Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Von ihm sind abzusetzen:
- 1.
- a)
die in § 82 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Beträge; - b)
bei Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen, ein Betrag in Höhe von 50 vom Hundert des Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten vom Bund gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist;
- 2.
- a)
für die Partei und ihren Ehegatten oder ihren Lebenspartner jeweils ein Betrag in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten vom Bund gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist; - b)
bei weiteren Unterhaltsleistungen auf Grund gesetzlicher Unterhaltspflicht für jede unterhaltsberechtigte Person jeweils ein Betrag in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für eine Person ihres Alters vom Bund gemäß den Regelbedarfsstufen 3 bis 6 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist;
- 3.
die Kosten der Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen; - 4.
Mehrbedarfe nach § 21 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und nach § 30 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch; - 5.
weitere Beträge, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist; § 1610a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend.
(2) Von dem nach den Abzügen verbleibenden Teil des monatlichen Einkommens (einzusetzendes Einkommen) sind Monatsraten in Höhe der Hälfte des einzusetzenden Einkommens festzusetzen; die Monatsraten sind auf volle Euro abzurunden. Beträgt die Höhe einer Monatsrate weniger als 10 Euro, ist von der Festsetzung von Monatsraten abzusehen. Bei einem einzusetzenden Einkommen von mehr als 600 Euro beträgt die Monatsrate 300 Euro zuzüglich des Teils des einzusetzenden Einkommens, der 600 Euro übersteigt. Unabhängig von der Zahl der Rechtszüge sind höchstens 48 Monatsraten aufzubringen.
(3) Die Partei hat ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. § 90 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.
(4) Prozesskostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn die Kosten der Prozessführung der Partei vier Monatsraten und die aus dem Vermögen aufzubringenden Teilbeträge voraussichtlich nicht übersteigen.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.
(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.
(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.