Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 29. Aug. 2017 - 8 Sa 45/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:0829.8Sa45.17.00
bei uns veröffentlicht am29.08.2017

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 08.11.2016, Az.: 8 Ca 726/16 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) vom 31.08.1971 sowie über die Rückzahlung von geleisteter Überbrückungsbeihilfe.

2

Der 1954 geborene Kläger war vom 15.06.1977 bis 31.07.2007 bei den Stationierungsstreitkräften als IT-Experte zuletzt mit 4.336,69 Euro brutto monatlich beschäftigt. Auf dieses Arbeitsverhältnis sind bzw. waren die Tarifverträge für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften TVAL-II und der Tarifvertrag Soziale Sicherung (im Folgenden: TV SozSich) anwendbar. Das Arbeitsverhältnis endete wegen Personaleinschränkung im Sinne des § 2 Nr. 1 TV SozSich.

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Die hier maßgeblichen Bestimmungen des TV SozSich lauten:

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㤠2 Anspruchsvoraussetzungen

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Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer, die

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1. wegen Personaleinschränkung

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a) infolge einer Verringerung der Truppenstärke

8

b) … aus militärischen Gründen … entlassen werden, wenn sie

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2. im Zeitpunkt der Entlassung

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a) seit mindestens einem Jahr vollbeschäftigt sind,

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b) mindestens fünf Beschäftigungsjahre … nachweisen können und das 40. Lebensjahr vollendet haben,

c) ..

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d) die Voraussetzungen zum Bezug des Altersruhegeldes oder des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen, und ihnen

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3. keine anderweitige zumutbare Verwendung im Geltungsbereich des TV AL II angeboten worden ist. …

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§ 4 Überbrückungsbeihilfe

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1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:

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a) zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,

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b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit …

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c) zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.

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2.a) (1)..…..

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    (2)….

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b) Für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder Arbeitsunfall   (Ziffer 1c) wird die Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld oder Verletztengeld innerhalb eines Kalenderjahres insgesamt bis zur Dauer von 12 Wochen gezahlt – längstens jedoch bis zum Ablauf des Anspruchszeitraumes gemäß Ziffer 5.

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3. a) (1) Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung (Ziffer 1a) ist die tarifvertragliche Grundvergütung nach § 16 Ziffer 1a TV AL II, die dem Arbeitnehmer aufgrund seiner arbeitsvertraglichen regelmäßigen Arbeitszeit im Zeitpunkt der Entlassung für einen vollen Kalendermonat zustand (Umrechnungsformel: wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit x 13 : 3). Für Arbeitnehmer, deren arbeitsvertragliche regelmäßige Arbeitszeit in den letzten 6 Monaten vor der Entlassung unterschiedlich festgesetzt war, gilt als "arbeitsvertragliche regelmäßige Arbeitszeit im Zeitpunkt der Entlassung" der rechnerische Durchschnitt der letzten 26 Beschäftigungswochen.

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(2) In den dem Jahr der Entlassung folgenden Kalenderjahren ist die Bemessungsgrundlage jeweils um den v.H.-Satz zu erhöhen, um den die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung infolge Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage (§ 1255 Absatz 2, § 1272 RVO) durch Gesetz angepasst werden.

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b) Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Ziffer 1b) und der gesetzlichen Krankenoder Unfallversicherung (Ziffer 1c) ist die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Bemessungsgrundlage nach vorstehendem Absatz a). Bei der fiktiven Berechnung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge ist von den für den Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Zahlung der Überbrückungsbeihilfe maßgeblichen Steuer- und Versicherungsmerkmalen – jedoch ohne Berücksichtigung von auf der Steuerkarte aufgetragenen Freibeträgen – auszugehen.

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4. Die Überbrückungsbeihilfe beträgt:

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Im 1. Jahr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 100 v.H.

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vom 2. Jahr an  90 v.H. des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage (Ziff. 3a oder b) und den Leistungen gemäß vorstehenden Ziff. 1 und 2. …

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5. a) Arbeitnehmer, die am Tage ihrer Entlassung … oder 25 Beschäftigungsjahre (§ 8 TV AL II oder TV B II) und das 50. Lebensjahr vollendet haben, erhalten Überbrückungsbeihilfe nach Maßgabe der Ziffern 1 bis 4 ohne zeitliche Begrenzung.

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Protokollnotiz zu Ziffer 1a Eine "anderweitige Beschäftigung" liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt.

31

….

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§ 7 Antragstellung und Zahlung

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§ 8 Ausschluss der Zahlung und Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfen und Beitragszuschüsse

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1. Überbrückungsbeihilfe und Beitragszuschuss werden nicht gezahlt für Zeiten,

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a) die mehr als drei Monate vor dem Tag liegen, an dem der Antrag bei dem zuständigen Amt für Verteidigungslasten eingegangen ist,

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b) im Anschluss an eine fristlose Kündigung des neuen Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers,

38

c) nach Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Voraussetzungen zum Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfä- higkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt (siehe hierzu Protokollnotiz zu § 2 Ziffer 2d),

39

d) nach Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer sein 65. Lebensjahr vollendet.

40

2. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, der zahlenden Behörde

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a) die zur Feststellung der Anspruchsberechtigung (§ 2) und die zur Berechnung der Leistungen (§§ 4, 6) benötigten Unterlagen innerhalb einer Frist von 3 Monaten vorzulegen, und

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b) jede Änderung der dem Leistungsanspruch zugrunde liegenden Tatbestände unverzüglich mitzuteilen.

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3. Kommt der Arbeitnehmer seinen Verpflichtungen nach vorstehender Ziffer 2a trotz schriftlicher Aufforderung nicht nach, so stehen ihm Leistungen nach diesem Tarifvertrag für die Zeiten nicht zu, für die er seine Nachweispflicht nicht innerhalb der Dreimonatsfrist erfüllt.

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4. Überbrückungsbeihilfe und Beitragszuschüsse, die aufgrund von vorsätzlich oder grobfahrlässig unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben des Antragsberechtigten gezahlt worden sind, hat der zu Unrecht Begünstigte in voller Höhe zurückzuzahlen. Die Rückzahlungspflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Empfänger nicht mehr bereichert ist.“

45

Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld war der Kläger seit dem 10.11.2008 bei der nicht tarifgebundenen Firma G. K. und S. M. GbR Glashandel und Service aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 08.11.2008 (Bl. 49 ff. d. A.) über 22 Stunden als Aushilfsfahrer/Lagerarbeiter mit 450,00 Euro brutto monatlich, die sich ab dem 01.01.2013 auf 490,00 EUR brutto und ab dem 01.09.2014 auf 850,00 EUR brutto erhöhten, beschäftigt. Der Kläger erhielt von Beginn dieses Arbeitsverhältnisses an Überbrückungsbeihilfe gewährt. Im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 einschließlich wurden dem Kläger von der für die Beklagte die Überbrückungsbeihilfe verwaltende Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) insgesamt 131.515,65 EUR brutto an monatlichen Überbrückungsbeihilfen gezahlt.

46

Ab Oktober 2014 stellte die ADD die Zahlungen ein, da sie die Auffassung vertrat, dass insbesondere im Hinblick auf die geringe Vergütung keine „ anderweitige Beschäftigung“ im Sinne des § 4 TV SozSich gegeben sei.

47

Die vom Kläger daraufhin erhobene Klage zur Feststellung der Zahlungsverpflichtung der Beklagten vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern - Az.: 8 Ca 229/15 wurde mit Urteil vom 19.05.2015 abgewiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 06.04.2016 - Az.: 4 Sa 324/15 als unzulässig verworfen.

48

Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Firma G. K. und S. M. GbR endete aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung zum 30.11.2015. Der Kläger erhielt sodann wegen der seit dem 22.09.2015 gegebenen Arbeitsunfähigkeit ab dem 03.11.2015 bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit am 25.05.2016 von der Krankenkasse ein Krankengeld in Höhe von 14,93 EUR netto kalendertäglich ausgezahlt (vgl. Schreiben der Barmer GEK vom 24.11.2015, Bl. 6 d.A.)

49

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Zahlung der Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld für den Monat Dezember 2015 sowie für die Monate Januar 2016 und Februar 2016 und den Zeitraum 01.03.2016 bis 25.03.2016. Nachdem die Beklagte außergerichtlich vergeblich mit Schreiben vom 20.11.2015 den Kläger zur Rückzahlung der im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 gezahlten Überbrückungsbeihilfe aufgefordert hat, verfolgt sie diese Forderung nun im Wege der Widerklage weiter.

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Der Kläger hat vorgetragen,

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er sei seit dem 22.09.2015 arbeitsunfähig infolge eines Darmverschlusses mit sofortiger Notoperation gewesen. Sein damaliger Arbeitgeber habe ihm bis zum 02.11.2015 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet. Es bestehe seitdem ein striktes ärztliches Verbot mehr als 15 Kg zu heben, er habe daher nur noch in sehr geringem Umfang bei seinem Arbeitgeber eingesetzt werden können, weshalb er sich auch nicht gegen die sodann ausgesprochene Kündigung gerichtlich gewehrt habe, zumal - insoweit unstreitig - es sich bei seinem damaligen Arbeitgeber um einen Kleinbetrieb im Sinne des KSchG gehandelt habe. Sein damaliger Arbeitgeber habe ihm wegen des alten Führerscheins, mit dem er bis 7,49 t fahren dürfe, eine Beschäftigung in Teilzeit angeboten. Die vereinbarte Vergütung damals sei üblich und angemessen gewesen. Auch stünde der begehrten Rückzahlung entgegen, dass er entreichert sei, da er die gewährten Überbrückungsbeihilfen monatlich vollständig für seinen Lebensunterhalt verwandt habe. Etwaige Rückzahlungsansprüche seien zudem nach § 49 TVAL-II mangels rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Zudem erhebe er die Einrede der Verjährung, die zumindest hinsichtlich etwaiger Forderungen aus dem Jahr 2012 auch durchgreife.

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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.156,27 Euro (netto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit dem 01. Februar 2016 zu zahlen.

54

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.832,12 Euro (netto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit dem 01. März 2016 zu zahlen.

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3. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.522,37 Euro (netto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit dem 01. April 2016 zu zahlen.

56

4. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.064,92 Euro (netto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit dem 01. Mai 2016 zu zahlen.

57

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

59

Darüber hinaus hat sie widerklagend beantragt,

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den Kläger zu verurteilen, 131.515,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2015 an die Beklagte zu bezahlen.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Widerklage abzuweisen.

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Die Beklagte hat die Meinung vertreten,

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dass schon im Hinblick auf die Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 im Verfahren Az.: 8 Ca 229/15 die Unbegründetheit der Klage und die Begründetheit der Widerklage folge. Es könne nicht sein, dass für die Anknüpfungsleistung aus dem Arbeitsvertrag beim Glashandel der Kläger, wie entschieden, keine Überbrückungsbeihilfe erhalte, dafür aber Krankengeld, das wegen der sittenwidrig zu niedrigen Arbeitsvergütung auch zu niedrig sei. Hilfsweise werde insoweit auch mit der widerklagend geltend gemachten Forderung aufgerechnet. Die Feststellungen aus dem Urteil vom 19.05.2015 Az.: 8 Ca 229/15, dass ein sittenwidriges Arbeitsverhältnis bestanden habe, hätten auch für die Vergangenheit Geltung und führten zu einem Rückzahlungsanspruch nach § 8 Ziff. 4 TV SozSich. Der Kläger habe gewusst, dass die Zahlungen rechtswidrig gewesen seien. Deshalb könne er sich nach § 818 Abs. 3 BGB auch nicht auf Entreicherung berufen. Im Übrigen sei der Kläger aber auch nicht entreichert, da er sich Aufwendungen in gleicher Höhe erspart habe. Mit seiner Verjährungseinrede könne der Kläger keinen Erfolg haben, denn bis zum 08.04.2015 habe die ADD nichts von der Nähe des Klägers zum Mehrheitsgesellschafter der Fa. G. K. und S. M. GbR gewusst und auch nichts von der Vergütungshöhe nach dem einschlägigen Tarifvertrag im Glashandel. Wie das LAG Hessen zutreffend entschieden habe, griffen die Ausschlussfristen aus dem TVAL-II nicht ein.

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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.11.2016 der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, dass der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 c TV SozSich begründet sei, da die Anspruchsvoraussetzungen in Form des Bezugs von Krankengeld erfüllt seien. Der Tarifvertrag verlange nicht darüber hinaus, dass auch vor Bezug von Krankengeld ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe bestanden habe. Hingegen sei die Widerklage unbegründet, da die Voraussetzungen eines Rückzahlungsanspruchs nach § 8 Abs. 4 TV SozSich nicht vorlägen. § 812 BGB fände keine Anwendung. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne der §§ 823, 826 BGB sei nicht erkennbar.

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Die Beklagte hat gegen das am 05.01.2017 zugestellte Urteil mit beim Landesarbeitsgericht am 02.02.2017 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 06.03.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

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Die Beklagte macht insoweit zusammengefasst geltend,

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ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 c) TV SozSich bestehe, nicht. Das Arbeitsgericht habe insoweit verkannt, dass es sich beim Krankengeld um eine Lohnersatzleistung handele. Wer wegen eines sittenwidrigen Lohns keinen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziffer 1 c) TV SozSich habe, dürfe erst recht keinen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zur Lohnersatzleistung Krankengeld haben. Das Arbeitsgericht habe so zudem die rechtskräftige Entscheidung vom 19.05.2015 im Verfahren 8 Ca 229/15 missachtet. Auch hinsichtlich der Widerklage sei das Arbeitsgericht zu Unrecht von deren Unbegründetheit ausgegangen. Dabei habe es gleichfalls die Rechtskraftwirkung des Urteils des Arbeitsgerichts vom 19.05.2015 - Az. 8 Ca 229/15 außer Acht gelassen. Im Übrigen folge die Sittenwidrigkeit der im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 gezahlten Vergütung auch aus dem im Glashandwerk Rheinland-Pfalz jeweils gültigen Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die Betriebe des Glashandwerks, der Glasveredler, der Glasapparatebauer sowie die Glas- und Porzellanmaler vom 01.08.2010, vom 25.05.2012 und vom 02.08.2013.  Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 TV SozSich seien ebenfalls zu Unrecht verneint worden, da der Kläger gewusst habe, dass er sich mit einer aberwitzig niedrigen bzw. sittenwidrigen Vergütung von 4,72 EUR bzw. 5,12 EUR brutto zufrieden gegeben habe. Auch sperre diese tarifliche Regelung nicht § 812 BGB, da es sich um ein aliud handele.

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Die Beklagte beantragt,

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auf die Berufung der Beklagten und Widerklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 08.11.2016 – Az.: 8 Ca 726/16 abgeändert und die Klage des Klägers wird abgewiesen. Auf die Widerklage der Beklagten wird der Kläger verurteilt 131.515,65 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2015 an die Beklagte zu zahlen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und verweist insbesondere darauf, dass sich die Rechtskraft des (nach seiner Ansicht zudem falschen) Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 Az.: 8 Ca 229/15 allein auf Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt bei seiner Beschäftigung im ausgeurteilten Zeitraum vom 02.10.2014 bis 30.11.2015 erstrecke.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II.

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Die Berufung der Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht sowohl der zulässigen Klage zu Recht stattgegeben hat als auch die Widerklage der Beklagten zutreffend abgewiesen hat.

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1. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat nach § 4 Ziff. 1 c TV SozSich einen Anspruch auf die von ihm begehrte Überbrückungsbeihilfe für den geltend gemachten Zeitraum vom 1.12.2015 bis 25.03.2016.

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a) Danach wird Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung gezahlt, wenn - was vorliegend unstreitig ist - die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 TV SozSich gegeben sind.

79

Der Kläger erhielt von der gesetzlichen Krankenkasse wegen seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung ab dem 22.09.2015 seit dem 03.11.2015 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 14,93 EUR netto. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die begehrte Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld vor. Der TV SozSich selbst normiert ausdrücklich keine weiteren einschränkenden Bedingungen. Insbesondere enthält er keinerlei Verweise auf § 4 Ziffer 1a) TV SozSich.

80

b) Entgegen der Auffassung der Berufung folgt vorliegend auch nichts anderes aus der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 Az.: 8 Ca 229/15. In dem damaligen Arbeitsgerichtsprozess begehrte der Kläger die (Weiter-)Bezahlung der Überbrückungsbeihilfe zu seinem anderweitigen Beschäftigungsverhältnis mit der Firma G. K. und S. M. GbR Glashandel und Service ab Oktober 2014 bis zu dessen Beendigung am 30.11.2015, nachdem die Beklagte die Zahlung der bisher gewährten Überbrückungsbeihilfe eingestellt hatte. Mit rechtskräftigen Urteil vom 19.05.2015 - Az.: 8 Ca 229/15 hat das Arbeitsgericht Kaiserslautern diese Klage abgewiesen.

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aa) Rechtskräftige Urteile entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, dass heißt auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26.06.2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Danach besteht eine Bindungswirkung, wenn der Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zum Tatbestand der im neuen Prozess geltend gemachten Rechtsfolge gehört (BAG 20.11.2012 – 1 AZR 611/11- Rn. 90 m.w.N., NZA 2013, 437 ff.). Der rechtskräftig festgestellte Anspruch bildet nach materiellem Recht eine Voraussetzung für die Entscheidung über den Gegenstand des Zweitprozesses (MünchKomm ZPO/Gottwald 5. Aufl. 2016, § 322 Rn. 51). Das Gericht hat die im ersten Prozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese eine Vorfrage darstellt. Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 15.06.2106 – 4 AZR 485/14, NZA 2017, 593 ff. m.w.N.; BGH 24.06.1993 - III ZR 43/92 - zu III 1 der Gründe, NJW 1993, 3204; 6. Oktober 1989 - V ZR 263/86 - zu II 2 b der Gründe, WM 1989, 1897). Im Falle der Abweisung eines Zahlungsanspruchs erwächst danach in Rechtskraft, dass der Kläger am Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess gegen den Beklagten keinen Zahlungsanspruch hatte (BGH 24.06.1993 - III ZR 43/92 - zu III 1 der Gründe m.w.N., NJW 1993, 3204)

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bb) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorliegend allein die Feststellung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 - Az.: 8 Ca 229/15 bindend, dass kein Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte für den eingeklagten Zeitraum Oktober 2014 bis November 2015 bestand. Diese Feststellung ist zwar auch in Folgeprozessen bindend. Da es jedoch für die vorliegende Entscheidung über den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld für die nachfolgenden Monate Dezember 2015 bis 25.03.2016 nach dem Tarifwortlaut überhaupt nicht darauf ankommt, ob auch vor dem Krankengeldbezug ein Zahlungsanspruch auf Überbrückungsbeihilfe bestand, kommt der damaligen Entscheidung vorliegend keinerlei Rechtswirkung für die Begründetheit der vorliegende Klage zu. Zumal es sich auch um völlig unterschiedliche Streitgegenstände handelt.

83

cc) Schließlich verfängt auch nicht der Einwand der Beklagten, dass es sich beim Krankengeld um eine Lohnersatzleistung handelt, so dass es zu einem Wertungswiderspruch käme, wenn, obwohl zuvor zum Arbeitsentgelt nach § 4 Ziffer 1 a TV SozSich keine Überbrückungsbeihilfe geleistet werden müsste, sodann zum Krankengeld ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe bestünde.

84

Denn Anspruchsvoraussetzungen und Umfang des Krankengeldes als sozialrechtliche Lohnersatzleistung sind in den sozialrechtlichen Normen eigenständig geregelt (vgl. § 44 SGB V). Insbesondere bedarf es danach auch nicht eines Beschäftigungsverhältnisses mit einer arbeitsvertraglichen wöchentlichen regelmäßigen Arbeitszeit von mehr als 21 Stunden, wie dies hingegen § 4 Ziffer 1 a) TV SozSich für die Überbrückungsbeihilfe zu einem anderweitigen Beschäftigungsverhältnis vorsieht. Indem der TV SozSich dennoch in § 4 Ziffer 1 c) TV SozSich das Krankengeld als eigene Anknüpfungsleistung für die Überbrückungsbeihilfe normiert, kommt es gerade nicht darauf an, ob der beantragende Arbeitnehmer auch vor dem Krankengeldbezug Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe hatte.

85

Die einzelnen Fallgruppen des § 4 Ziffer 1 TV SozSich stehen unabhängig nebeneinander (vgl. so bereits BAG 22.12.1994 – 6 AZR 337/94 – zu II. 2 der Gründe, NZA 1995, 1168, 1169) und lassen keinerlei Schlüsse darauf zu, dass die Überbrückungsbeihilfe im Falle von Krankengeld nur gewährt werden soll, wenn auch zuvor ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe im anderweitigen Beschäftigungsverhältnis bestand.

86

Hätten die Tarifvertragsparteien Krankengeld als Anknüpfungsleistung nur dann gewollt, wenn zuvor ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt nach § 4 Ziffer 1a) TV SozSich bestand, so hätte dies auch im Tarifwortlaut Anklang finden müssen. Nach der Regelung des § 4 TV SozSich reicht es hingegen aus, dass die gesetzliche Krankenkasse aufgrund Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung Krankengeld zahlt, um einen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe hierzu zu erhalten und zwar unabhängig davon, ob zuvor überhaupt ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziffer 1 a) oder b) TVSozSich bestand. Etwas anderes kann dem Tarifvertrag nicht entnommen werden.

87

c) Die Klageansprüche sind auch der Höhe nach begründet. Nach § 4 Ziff. 3 b) TV SozSich ist Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Bemessungsgrundlage nach § 4 Ziff. 3 a) TV SozSich. Dementsprechend hat der Kläger zutreffend jeweils Nettobeträge eingeklagt. Ferner hat der Kläger auch die Höchstgewährdauer von maximal 12 Wochen innerhalb eines Kalenderjahres bei Überbrückungsbeihilfe zum Krankgeld nach § 4 Ziffer 2 b) TV SozSich beachtet.

88

2. Schließlich besteht auch der von der Beklagten geltend gemachte Gegenanspruch auf Rückzahlung überzahlter Überbrückungsbeihilfe nicht, so dass die von ihr erklärte Aufrechnung - auch soweit die Pfändungsfreigrenze überschritten ist - nicht durchgreift und auch die Widerklage unbegründet ist.

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Die Beklagte hat keinen Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung der im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 geleistete Überbrückungsbeihilfe in Höhe von insgesamt 131.515,65 EUR brutto.

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a) Ein solcher Rückzahlungsanspruch folgt nicht aus § 8 Abs. 4 TV SozSich.

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Gemäß § 8 Abs. 4 TV SozSich hat der zu Unrecht Begünstigte Überbrückungsbeihilfe, die aufgrund von vorsätzlich oder grobfahrlässig unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben des Antragsberechtigten gezahlt worden sind, in voller Höhe zurückzuzahlen. Die Rückzahlungspflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Empfänger nicht mehr bereichert ist.“

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Eine Rückforderung nach dieser tarifvertraglichen Regelung scheitert vorliegend daran, dass der Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht oder solche unterlassen hat. Der Kläger ist seiner Verpflichtung aus den §§ 7 Ziffer 2, 8 Ziffer 2 TV SozSich stets nachgekommen und hat die danach benötigten Angaben zur Feststellung der Anspruchsberechtigung (§ 2) und die zur Berechnung der Leistungen (§§ 4, 6) benötigten Unterlagen eingereicht. So hat er unstreitig insbesondere den Arbeitsvertrag und seine Lohnabrechnungen eingereicht. Die Beklagte bzw. die für sie die Überbrückungsbeihilfe verwaltende ADD konnte daher jederzeit diese Angaben prüfen und auch den vereinbarten Stundenlohn selbst ausrechnen. Daher ist bereits nicht ersichtlich, welche Angaben des Klägers falsch oder unvollständig sein sollen bzw. welche Angaben er pflichtwidrig unterlassen haben soll. Der Kläger und sein damaliger Arbeitgeber, die Firma G. K. und S. M. GbR Glashandel und Service, waren nicht tarifgebunden, auch haben sie nicht die Anwendung von Tarifverträgen vereinbart, so dass für den Kläger keinerlei Verpflichtung bestand, Angaben zu etwaigen Tariflöhnen im Glashandwerk zu machen. Wobei auch völlig offen bleibt, woher ihm überhaupt dieser Tarifvertrag als nicht tarifgebundener Arbeitnehmer geläufig sein sollte. Der Beklagten bzw. der für sie die Überbrückungsbeihilfe verwaltende ADD hingegen stand es jedoch frei, jederzeit Nachfragen zur Art der Tätigkeit zu stellen, wie sie dies sodann auch beginnend im September 2014 getan hat. Zudem stellt die Frage, ob ein sittenwidriger Lohn im Sinne des § 138 BGB gezahlt wird, eine rechtliche Bewertung dar. Es muss bewertet werden, ob der Wert der Arbeitsleistung in einem auffälligen Missverhältnis zu dem für die Arbeit gezahlten Entgelt steht. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind regelmäßig die Tarifentgelte des jeweiligen Wirtschaftszweigs oder – wenn die verkehrsübliche Vergütung geringer ist – das allgemeine Entgeltniveau im Wirtschaftsgebiet (vgl. zu den Einzelheiten std. Rspr z.B. BAG 17.10.2012 – 5 AZR 792/11 – zu I. 3. a) aa), NZA 2013, 266, 267). Beide Ausgangspunkte betreffen bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer schon nicht die nach den §§ 7, 8 TV SozSich zu machenden Angaben zum Erhalt der Überbrückungsbeihilfe, so dass eine Pflichtverletzung des Klägers insoweit nicht in Betracht kommt.

93

Etwas anderes folgt auch nicht aus der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 Az. 8 Ca 229/15. Denn dieses klageabweisende Urteil hat allein verbindlich festgestellt, dass keine Zahlungsverpflichtung der Beklagten für den Zeitraum Oktober 2014 bis November 2015 bestand. Diese Feststellung ist jedoch nicht vorgreiflich für die Frage, ob der Kläger im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 Überbrückungsbeihilfe zu Unrecht, verursacht durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers, erhalten hat. Zumal es sich um einen anderen Streitgegenstand handelt.

94

b) Ebenso wenig konnte die Beklagte ihr Begehren auf § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung stützten.

95

Denn die Tarifvertragsparteien haben nach Auffassung der Kammer in § 8 Abs. 4 TV SozSich die Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfe tariflich geregelt. Das gesetzliche Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) wird hierdurch verdrängt und kommt nicht zur Anwendung (a.M. ohne nähere Begründung Hessisches Landesarbeitsgericht 15.11.2000 – 6 Sa 670/2000, LAG Berlin-Brandenburg 10.07.2007 – 3 Sa 765/07).

96

Ebenso wie individualvertragliche und schuldrechtliche Regelungen zur Rückabwicklung Vorrang vor der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung haben (vgl. hierzu Martinek in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 812 BGB Rn. 172), gehen auch tarifvertraglichen Regelungen zur Rückforderung dem allgemeinen Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) vor (vgl. etwa zu letzterem std. Rspr des BAG zu §§ 22 Abs. 4 S. 2 TVöD, 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT: BAG 12.05.2016 – 6 AZR 365/15 – Rn. 1, 07.02.2007 – 5 AZR 260/06, Rn. 14).

97

(1) Die Tarifvertragsparteien haben vorliegend eine solche tarifvertragliche Rückabwicklungsregelung getroffen.

98

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 28. 8. 2013 – 10 AZR 701/12 – Rn. 13 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 227).

99

Der Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung ist insoweit eindeutig. Für die Rückforderung einer zu Unrecht gezahlten Beihilfe reicht es danach nicht aus, dass anders als nach § 812 BGB kein Rechtsgrund für die Zahlung bestand. Vielmehr verlangt § 8 Abs. 4 TV SozSich für eine Rückforderungsmöglichkeit darüber hinaus, dass der Anspruchsberechtigte die zu Unrecht erfolgte Zahlung auch selbst vorsätzlich oder grob fährlässig durch unrichtige, unvollständige oder unterlassene Angaben mit veranlasst hat. Andererseits wird im Gegenzug bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eine Rückzahlungspflicht auch nicht mehr dadurch ausgeschlossen, dass der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Diese Regelung geht weit über § 819 Abs. 1 BGB hinaus, der allein eine verschärfte Haftung im Falle von Kenntnis des mangelenden Rechtsgrundes vorsieht. Darüber hinaus zeigt der Wortlaut bereits deutlich, dass es den Tarifvertragsparteien eben nicht allein darum ging, den Entreicherungseinwand abweichend von §§ 818 Abs. 3 u. 4, § 819 BGB zu regeln. Denn dann hätte es der ausdrücklichen Regelung der Voraussetzungen der Rückzahlungspflicht in § 8 Ziffer 4 S. 1 TV SozSich nicht bedurft.

100

Der tarifliche Gesamtzusammenhang des TV SozSich bestätigt dies. Die Überbrückungsbeihilfe wird von der Beklagten aufgrund ihrer Verpflichtung aus dem TV SozSich gezahlt. Es handelt sich um einen tarifvertraglichen Anspruch. Dabei geben die Überschriften der Tarifnormen des TV SozSich den jeweiligen Regelungszusammenhang wieder. Enthält eine Tarifnorm mehrere Regelungen, so gibt dies auch die Überschrift wieder. Die Überschrift zu § 8 TV SozSich lautet Ausschluss der Zahlung und Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfen. § 8 TV SozSich regelt danach, wann eine Zahlung der Überbrückungsbeihilfe ausgeschlossen ist (§ 8 Ziffern 1-3 TV SozSich) und wann nach dem tarifvertraglichen Verständnis eine Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfe erfolgt bzw. damit korrespondierend, wann eine Rückzahlungspflicht bei überzahlter Überbrückungsbeihilfe besteht (§ 8 Ziffer 4 TV SozSich).

101

Durch die Leistung der Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich erhalten ältere, langjährig beschäftigte Arbeitnehmer, die betriebsbedingt wirksam entlassen worden sind, noch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus Unterstützungsleistungen. Ihr Lebensunterhalt soll gesichert werden. Nachteile, die sich aus einem geringeren Arbeitsverdienst in einem neuen Arbeitsverhältnis oder aufgrund von Arbeitslosigkeit, Krankengeldbezug ergeben, sollen überbrückt werden (std. Rspr. vgl. zuletzt BAG 26.01.2017 – 6 AZN 835/16 – Rn. 7, AP Nr. 7 zu § 4 TVSozSich).

102

Für diese spezielle tarifvertragliche (steuerfinanzierte) soziale Sonderleistung regeln die Tarifvertragsparteien im TV SozSich eigenständig die Anspruchsvoraussetzungen (§ 2 TV SozSich), die Anknüpfungsleistungen sowie die Höhe der Überbrückungsbeihilfe (§ 4 TV SozSich), die Anrechnung von anderen Leistungen (§ 5 TV SozSich), das Erfordernis der Antragsstellung und die Zahlungsmodalitäten (§ 7 TV SozSich) sowie den Ausschluss der Zahlung (trotz Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen) und eben auch die Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfe (§ 8 TV SozSich).

103

Dementsprechend lassen diese Regelungen keinen Raum für die Anwendung des allgemeinen Bereicherungsrechts. Dieses Ergebnis ist nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der Rückforderung (aufgrund eines Antrags) überzahlter Überbrückungsbeihilfe auch interessengerecht, da es zum einen das schutzwürdige Vertrauen des Begünstigten hinsichtlich der gezahlten Überbrückungsbeihilfe, die immerhin wie ein verdientes Arbeitsentgelt auch der Sicherung seines (monatlichen) Lebensunterhalts dient, angemessen berücksichtigt. Und zum anderen aber auch das Interesse der Beklagten an der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Überbrückungsbeihilfe nicht außer Acht lässt, indem es für den Fall, dass die zu Unrecht erfolgte Zahlung nicht allein auf ein Verschulden der für die Beklagte handelnde ADD zurückzuführen ist, sondern vorsätzlich oder grob fahrlässig vom Antragsberechtigten mitverursacht wurde einen Rückzahlungsanspruch in voller Höhe sichert, da der Einwand der Entreicherung bei vorsätzlich oder grobfahrlässig unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben ausgeschlossen ist. Die Risikosphären des Anspruchsberechtigten und der Beklagten hinsichtlich einer Überzahlung werden so zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt der Rückzahlungsverpflichtung. Denn es kommt anders als nach § 812 BGB nicht entscheidend darauf an, dass eine Leistung ohne Rechtsgrund und damit zu Unrecht erfolgte, sondern vielmehr ausschlaggebend darauf an, ob dies auf einen Umstand zurückzuführen ist, der der Beklagten oder dem Anspruchsinhaber zuzurechnen ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Zahlung auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben des Anspruchsinhabers beruht. Hat der Anspruchsberechtigte vorsätzlich oder grob fahrlässig durch seine Angaben die unrechte Leistung (mit)verursacht, so ist er nicht schutzwürdig. Es lassen sich so alle möglichen auftretenden Fälle der Überzahlung sachgerecht lösen.

104

(2) Dementsprechend bedurfte es vorliegend keiner Entscheidung, in welcher Höhe, wenn überhaupt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB bestehen würde, da selbst eine zugunsten der Beklagten unterstellte sittenwidrige Lohnvereinbarung im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB nicht zur Nichtigkeit des gesamten Arbeitsvertrags führt, sondern vielmehr allein einen Anspruch auf die übliche Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB begründet (vgl. hierzu bereits LAG Rheinland-Pfalz 23.03.2012 – 9 Sa 684/12 zu II. 2 a) cc) der Gründe), so dass allenfalls hinsichtlich eines Differenzbetrages eine Überzahlung vorliegen könnte. Ebenso wenig bedurfte es einer Entscheidung, ob vorliegend der Entreicherungseinwand des Klägers nach § 818 Abs. 3 BGB durchgreift, was letztlich davon abhängt, ob hierzu die Rechtsprechungsgrundsätze zur Darlegungs- und Beweislast beim Wegfall der Bereicherung nach Lohnüberzahlungen angewendet werden (dafür LAG Köln 14.03.1996 – 10 Sa 110/95-, BeckRS 1996, 30908461). Schließlich bedurfte es auch keiner Entscheidung, ob die Ausschlussfrist des § 49 TVAL-II für diesen Anspruch einschlägig ist.

105

c) Ferner kamen vorliegend auch keine deliktischen Schadensersatzansprüche aus den §§ 823, 826 BGB in Betracht. Der Kläger hat alle seine nach dem TV SozSich zur Zahlung der Überbrückungsbeihilfe treffenden Pflichten erfüllt. Es war vielmehr Sache der Beklagten selbst, zu prüfen, ob und in welcher Höhe aufgrund dieser Angaben ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem damaligen Arbeitgeber, der Firma G. K. und S. M. GbR Glashandel und Service, bestand. Eine unerlaubte widerrechtliche Handlung des Klägers ist daher nicht gegeben. Ebenso wenig ist ein Vorsatz hinsichtlich einer sittenwidrigen Schädigung der Beklagten anzunehmen.

III.

106

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

107

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 u. Nr. 2 ArbGG.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 812 Herausgabeanspruch


(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mi

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung


Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs


(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 1 Inhalt und Form des Tarifvertrags


(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen könne

Zivilprozessordnung - ZPO | § 322 Materielle Rechtskraft


(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. (2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, da

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 612 Vergütung


(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. (2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 819 Verschärfte Haftung bei Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß


(1) Kennt der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder erfährt er ihn später, so ist er von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit recht

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 44 Krankengeld


(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41)

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Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.5.2015 - 8 Ca 229/15 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV - SozSich).

2

Der am … 1954 geborene Kläger war in der Zeit von 1977 bis 2007 bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Bestimmungen des TVAL II und des TV - SozSich Anwendung.

3

Der TV SozSich enthält u.a. folgende Bestimmungen:

4

"§4
Überbrückungsbeihilfe

5

1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt

6

a) zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit...

7

Protokollnotiz zu Ziffer 1a:

8

Eine „anderweitige Beschäftigung" liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt."

9

Das Arbeitsverhältnis des Klägers bei den US-Stationierungsstreitkräften endete zum 31.07.2007 wegen Personaleinschränkung im Sinne des § 2 Nr. 1 TV - SozSich.

10

Seit dem 10.11.2008 war der Kläger bei der Fa. G. + S., zuletzt auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 01.09.2014, hinsichtlich dessen Inhalts auf Blatt 12 - 14 d. A. Bezug genommen wird, beschäftigt. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Lohnabrechnungen erhielt er in diesem Arbeitsverhältnis ab dem 10.11.2012 eine Arbeitsvergütung vom 450,00 € brutto monatlich, die sich ab dem 01.01.2013 auf 490,00 € und ab dem 01.09.2014 auf 850,00 € brutto monatlich erhöhte.

11

Die Beklagte zahlte bis einschließlich September 2014 an den Kläger Überbrückungsbeihilfe zu dessen Arbeitsentgelt aus seiner Beschäftigung bei der Fa. G. + S. Ab Oktober 2014 hat die Beklagte diese Zahlungen eingestellt, da sie die Auffassung vertritt, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei - insbesondere im Hinblick auf die geringe Arbeitsvergütung - nicht als "anderweitige Beschäftigung" im Sinne von § 4 TV SozSich zu qualifizieren.

12

Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 (Bl. 92 - 96 d.A.).

13

Der Kläger hat beantragt,

14

festzustellen, dass dem Kläger auf Grundlage seines mit der Firma G. + S. G.S., P. bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie auf Grundlage des dortigen Arbeitsverdienstes des Klägers in Höhe von monatlich 850,00 Euro (brutto) rückwirkend für die Zeit ab 1. Oktober 2014 und weiterhin für die Zeit bis 30. September 2017 die Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur Sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) zusteht.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.05.2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe, da sein Arbeitsverhältnis bei der Fa. G. + S. im Hinblick auf die ursprünglich sittenwidrig zu niedrig bemessene Arbeitsvergütung nichtig sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass sich die anfängliche Sittenwidrigkeit infolge der Erhöhung der Arbeitsvergütung auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr auswirke, stehe dem Anspruch des Klägers entgegen, dass er die von ihm abgeleisteten und von der Beklagten bestrittenen Arbeitsstunden nicht substantiiert dargelegt habe. Sein Sachvortrag sei insoweit schon keiner Beweisaufnahme zugänglich, da er selbst von einer schwankenden Arbeitszeit ausgehe und nicht ansatzweise erkläre, wann er die (erforderlichen) 22 Stunden wöchentlich erbracht habe, ob z.B. vormittags oder nachmittags oder ob er an manchen Werktagen in Vollzeit gearbeitet habe. Zur Darstellung aller Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 - 8 (= Bl. 96 - 98 d.A.) des erstinstanzlichen Urteils verweisen.

18

Gegen das ihm am 15.06.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.07.2015 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 17.08.2015 begründet.

19

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung die maßgebliche Rechtslage verkannt. Die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die ihm gezahlte Arbeitsvergütung sittenwidrig zu niedrig sei, könne sich nur auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht beziehen und sei damit schon objektiv unzutreffend, da das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung an anderer Stellte ausdrücklich ausführe, dass die seit September 2014 gezahlte Arbeitsvergütung nicht sittenwidrig sei. Hiermit lasse sich die auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bezogene Feststellung einer sittenwidrigen Vergütung nicht vereinbaren. Ausgehend von seiner Wochenarbeitszeit von 22 Stunden und einem Monatslohn von 850,00 € ergebe sich ein Bruttostundenlohn von 8,92 €. Wie sich aus dem von der Beklagten selbst vorgelegten Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Glaserhandwerk Pfalz ergebe, belaufe sich der dort festgelegte Tariflohn seit dem 01.10.2013 für ungelernte Arbeiter (Hilfskräfte) ab dem fünften Jahr der Betriebszugehörigkeit auf 12,29 € brutto je Arbeitsstunde. Der ihm gezahlte Lohn (8,92 €) betrage damit 72,58 % des bei Anwendung des Tarifvertrages zu zahlenden Stundenlohnes und bewege sich daher deutlich im nicht sittenwidrigen Bereich. Das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis lasse sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, dass er - der Kläger - möglicherweise früher einmal bei der Fa. G. + S. eine sittenwidrig niedrige Vergütung bezogen habe. Vielmehr sei ausschließlich auf die Zeit ab dem 01.10.2014 abzustellen. Unabhängig hiervon führe die Vereinbarung einer sittenwidrigen Vergütung nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses, sondern nur zur Nichtigkeit der getroffenen Entgeltabrede. An deren Stelle trete die Verpflichtung des Arbeitgebers, die übliche Vergütung zu zahlen (§ 612 Abs. 2 BGB). Es sei daher ausgeschlossen, dass eine etwa tatsächlich gegebene Sittenwidrigkeit der Vergütung zum vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe führe. An die Stelle des der Überbrückungsbeihilfe zugrunde zu legenden Arbeitsverdienstes trete keineswegs ein Arbeitsverdienst "null", sondern vielmehr der Arbeitsverdienst, den der Arbeitgeber wegen der Nichtigkeit der getroffenen Entgeltabrede nach Recht und Gesetz schulde.

20

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 17.08.2015 (Bl. 125 - 129 d.A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 24.03.2016 (Bl. 185 - 188 d.A.) Bezug genommen.

21

Nachdem der Kläger im Berufungsverfahren zunächst seinen erstinstanzlichen Klageantrag unverändert weiterverfolgt hat, hat er im Hinblick auf den Umstand, dass sein Arbeitsverhältnis bei der Firma G. und S. zum 30.11.2015 endete, seinen Klageantrag auf die Zeit bis zum 30.11.2015 beschränkt und im Übrigen die Hauptsache für erledigt erklärt.

22

Der Kläger beantragt:

23

In Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Kaiserslautern vom 19. Mai 2015, Aktenzeichen: 8 Ca 229/15, wird festgestellt, dass dem Kläger auf Grundlage seines mit der Firma G. + S. G.S., P., stehenden Arbeitsverhältnisses sowie auf Grundlage des dortigen Arbeitsverdienstes des Klägers in Höhe von monatlich 850,00 € (brutto) rückwirkend für die Zeit ab dem 01. Oktober 2014 und weiterhin für die Zeit bis zum 30. November 2015 die Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) zusteht.

24

Die Beklagte, die sich der (teilweisen) Erledigungserklärung des Klägers angeschlossen hat, beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Die Beklagte macht geltend, die Berufung sei unzulässig, da sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung nicht mit der Hilfsbegründung des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt habe. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 28.09.2013 (Bl. 153 - 170 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

27

Die an sich statthafte Berufung ist unzulässig.

28

Zwar hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese auch fristgerecht begründet. Die Berufungsbegründung genügt jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen.

29

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Diese zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (BAG v. 18.05.2011 - 4 AZR 552/09 - AP Nr. 45 zu § 64 ArbGG 1979). Stützt das Arbeitsgericht sein Urteil bei einem Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, die Entscheidung jeweils selbständig tragende rechtliche Erwägungen, dann muss die Berufungsbegründung alle diese Erwägungen angreifen. Setzt sich die Berufungsbegründung nur mit einer der beiden oder mehreren Erwägungen des Arbeitsgerichts auseinander, ist die Berufung insgesamt unzulässig. Die Begründung muss darlegen, warum jede Erwägung des Vordergerichts die Entscheidung nicht tragen könne. Dies gilt auch für eine Haupt- und die Entscheidung selbständig tragende Hilfsbegründung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Rechtsmittelkläger erstinstanzlich zu allen Komplexen schriftsätzlich Stellung genommen hatte und er ergänzend hierauf verweist. Entscheidend ist, dass die Berufungsbegründung eine Auseinandersetzung mit allen die Entscheidung jeweils selbständig stützenden Erwägungen des Arbeitsgerichts vornimmt (Schwab/Weth, ArbGG, 3. Aufl., § 64 Rd.Ziff. 158 m.N.a.d.R.).

30

Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Zwar setzt sich die Berufungsbegründung eingehend mit der Erwägung des Arbeitsgerichts auseinander, dem Anspruch des Klägers auf Überbrückungsbeihilfe stehe entgegen, dass dessen Arbeitsverhältnis mit der Firma G. + S. infolge einer (ursprünglich) sittenwidrigen Entgeltabrede nichtig sei. Das Arbeitsgericht hat jedoch unter I. 2. seiner Entscheidungsgründe ausgeführt, die Klage sei auch dann unbegründet, wenn sich die Sittenwidrigkeit der ursprünglichen Entgeltabrede nicht auf den streitgegenständlichen Zeitraum auswirke. Dies deshalb (so das Arbeitsgericht), weil der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, dass er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses 22 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Unabhängig von der Frage, ob diese (Hilfs-)begründung des Arbeitsgerichts einer rechtlichen Prüfung standhalten könnte, handelt es sich hierbei jedenfalls um eine selbständig tragende rechtliche Erwägung, auf die das Arbeitsgericht sein Urteil gestützt hat. Hinsichtlich dieser Erwägung enthält die Berufungsbegründung keinerlei Ausführungen. Es fehlt daher insoweit an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, was zur Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig führt.

31

Die Berufung unterliegt auch insoweit der Verwerfung, als die Parteien die Hauptsache übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt haben. Eine übereinstimmende Erledigungserklärung im Rechtsmittelzug setzt nämlich voraus, dass das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist. Das unzulässige Rechtsmittel ist daher trotz beiderseitiger Erledigungserklärung zu verwerfen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 91 a Rd.Ziff. 19 m.N.a.d.R.).

32

Nach alledem war zu entscheiden, wie geschehen.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

34

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 23. März 2011 - 2 Sa 83/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen.

2

Der klagende Arbeitgeberverband ist ein rechtsfähiger Verein mit Sitz in Kiel. Seine Gründung im Jahr 1979 beruhte auf einer Entscheidung der Synode der vormaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK).

3

Nach Art. 19 der Verfassung der NEK vom 12. Juni 1976 (Verfassung NEK, GVOBl. S. 159) gliedert sich das der Kirche anvertraute Amt in verschiedene Dienste. Die in diese Dienste haupt-, neben- und ehrenamtlich Berufenen tragen die Verantwortung dafür, dass jeweils in ihren Aufgabenbereichen der Auftrag der Kirche wahrgenommen wird. Damit dienen sie der Einheit der Kirche. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen im Rahmen ihres besonderen Dienstes verantwortlich an der Ausrichtung von Verkündigung, Seelsorge und Unterweisung teil (Art. 21 Satz 1 Verfassung NEK).

4

Im Bereich der NEK galten seit 1961 mit Gewerkschaften abgeschlossene und als Tarifverträge bezeichnete Vereinbarungen. Die NEK schloss auch nach der im Jahr 1978 ausgesprochenen Empfehlung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den sog. „Dritten Weg“ Tarifverträge ab. In dem Beschluss der Synode der NEK zur Arbeitsrechtsregelung (Vierte Tagung vom 17. - 19. Februar 1978 in Rendsburg) vom 18. Februar 1978 heißt es:

        

„Die ‚Vorbedingungen’

        

…       

        

Gemäß dem Antrag der Kirchenkreissynode Blankenese vom 19.11.1977 und dem Antrag der Kirchenkreissynode Kiel vom 18.1.1978 erklärt die Synode der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche ihr Einverständnis zum Abschluss von Tarifverträgen mit den Arbeitnehmer-Organisationen. Dabei müssen folgende Bedingungen gewährleistet sein:

        

1.    

Gründung eines ‚Verbandes kirchlicher Anstellungsträger’, dem die Nordelbische Kirche selbst beitritt und dem die Kirchengemeinden, Kirchenkreise sowie deren Verbände sowie die selbständigen Dienste und Werke beitreten können.

        

2.    

Erfüllung von Mindestbedingungen, mit denen der Besonderheit des kirchlichen Dienstes Rechnung getragen wird; dazu gehören insbesondere die in den Anlagen IV und V zur Vorlage 3 formulierten Bedingungen.

        

…       

        
        

Anlage IV zu Vorlage 3 der Februar-Synode

        

Vorbedingungen für den Abschluss von Tarifverträgen durch die NEK

        

1.    

…       

        

2.    

Streik und Aussperrung sind ausgeschlossen.

        

3.    

Es wird eine unkündbare im Tarifvertrag verankerte Schlichtungsvereinbarung abgeschlossen.

        

…“    

        
5

Das am 9. Juni 1979 erlassene Kirchengesetz über die Regelung der Rechtsverhältnisse der in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis beschäftigten Mitarbeiter in der NEK (Arbeitsrechtsregelungsgesetz - ARRG-NEK) lautet:

        

        
        

„§ 1   

        

Tarifvertragliche Regelung der Arbeitsbedingungen

        

Die Arbeitsbedingungen der in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis beschäftigten Mitarbeiter der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, ihrer Kirchenkreise, Kirchengemeinden und deren Verbände einschließlich ihrer rechtlich unselbständigen Dienste, Werke und Einrichtungen sind nach den zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien (VKDA-NEK) und den Mitarbeiterorganisationen (Gewerkschaften) abgeschlossenen Tarifverträgen sowie den sonstigen vom VKDA-NEK nach Maßgabe seiner Satzung getroffenen Regelungen zu gestalten. …

                 
        

§ 2     

        

Differenzierungsverbot

        

Die Regelungen nach § 1 sind auf alle Mitarbeiter anzuwenden ohne Rücksicht darauf, ob sie Mitglieder einer Mitarbeiterorganisation sind oder nicht. Eine Prüfung des Bestehens von Mitgliedschaften ist unzulässig.

        

…“    

6

Der Kläger hat ca. 630 Mitglieder und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Nach § 2 seiner Satzung vom 26. September 1979 idF vom 3. Dezember 2009 ist sein Verbandszweck die Wahrung der Interessen der Vereinsmitglieder an der Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen im kirchlichen und diakonischen Dienst. Hierzu schließt der Kläger insbesondere Tarifverträge und Vereinbarungen ab, die dem gleichen Zweck dienen. Er ist dabei an die Entscheidung der Synode im Rahmen des Kirchengesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse der in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis beschäftigten Mitarbeiter in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 9. Juni 1979 in seiner jeweiligen Fassung gebunden. Nach § 6 der Satzung sind die Mitglieder ua. verpflichtet, die vom Verband geschlossenen Tarifverträge durchzuführen. Sie dürfen eigene Tarifverträge und Vereinbarungen nur mit Zustimmung des Gesamtvorstandes des Klägers oder dessen Mitgliederversammlung abschließen.

7

Der Kläger vereinbarte am 5. November 1979 mit den Gewerkschaften ÖTV, DAG, dem Verband kirchlicher Mitarbeiter Nordelbien sowie der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Fortwirtschaft den „Tarifvertrag zur Regelung der Grundlagen einer kirchengemäßen Tarifpartnerschaft“ (Grundlagentarifvertrag). Nach dessen § 1 besteht zwischen den Tarifvertragsparteien für die Dauer des Grundlagentarifvertrags eine absolute Friedenspflicht. Am selben Tag schloss der Kläger mit den vorbenannten Verbänden eine Schlichtungsvereinbarung ab. Darin heißt es:

        

„§ 1   

        

Bereitschaft zur Schlichtung

        

(1)     

Die Tarifvertragsparteien gehen von dem Gedanken aus, dass bei allen Kollektivstreitigkeiten die Verständigung stets das erstrebenswerte Ziel sein muss.

        

(2)     

Die Tarifvertragsparteien vereinbaren daher ein Schlichtungsverfahren, das zur Anwendung kommen muss, wenn die zunächst durchgeführten freien Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien zu keiner Verständigung geführt haben oder aber eine der Tarifvertragsparteien die Aufnahme von Verhandlungen oder Gesprächen überhaupt ablehnt.

        

(3)     

Zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens wird eine Schlichtungsstelle errichtet.

        

§ 2     

        

Zusammensetzung der Schlichtungsstelle

        

(1)     

Die Schlichtungsstelle setzt sich aus einem unparteiischen Vorsitzenden und in der ersten Schlichtungsrunde aus je zwei, in der Schlichtung gemäß § 8 dieser Vereinbarung aus je vier von den Tarifvertragsparteien zu benennenden Beisitzern zusammen. Sie sollen zu kirchlichen Ämtern wählbar sein.

        

(2)     

Der Vorsitzende darf weder haupt-, neben- noch ehrenamtlich im kirchlichen oder gewerkschaftlichen Dienst stehen.

        

…       

        
        

§ 3     

        

Eintritt in die Schlichtung

        

(1)     

Sind die Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien gescheitert oder verweigert eine Tarifvertragspartei die Aufnahme von Verhandlungen, so richtet die betreibende Tarifvertragspartei unter Angabe des Streitfalles, unter Benennung ihrer Beisitzer und unter Vorschlag eines unparteiischen Vorsitzenden an die andere Tarifvertragspartei die schriftliche Aufforderung, innerhalb einer einwöchigen Frist ihre Beisitzer zu benennen und zu dem Vorschlag über den Vorsitzenden Stellung zu nehmen.

        

(2)     

Kommt eine Einigung über den Vorsitzenden nicht zu Stande, so bestellt auf Antrag einer Tarifvertragspartei der Präsident des Landgerichts in Kiel den Vorsitzenden.

        

(3)     

Die Verhandlung gilt als gescheitert, wenn eine Tarifvertragspartei dies der anderen Tarifvertragspartei gegenüber erklärt oder eine Tarifvertragspartei es ablehnt, weiter oder überhaupt zu verhandeln.

        

(4)     

Die Tarifvertragsparteien sind alsdann verpflichtet, sich auf das Schlichtungsverfahren einzulassen.

        

§ 4     

        

Verfahren

        

(1)     

…       

        

(4)     

Die Schlichtungsstelle hat durch Anhörung der Tarifvertragsparteien die Streitpunkte und die für ihre Beurteilung wesentlichen Verhältnisse klarzustellen. Soweit sie es für erforderlich hält, kann sie Auskünfte einholen, den Tarifvertragsparteien die Beibringung von Unterlagen aufgeben sowie Auskunftspersonen und Sachverständige hören.

        

…       

        

§ 6     

        

Entscheidung der Schlichtungsstelle

        

(1)     

Kommt eine Einigung nach § 5 Abs. 1 nicht innerhalb von vier Wochen oder nach Ablauf einer im beiderseitigen Einvernehmen vereinbarten Verlängerung dieser Frist zu Stande, so entscheidet die Schlichtungsstelle mit Mehrheit. Kein Mitglied der Schlichtungsstelle darf sich der Stimme enthalten.

        

…       

        
        

(4)     

Der Vorsitzende verkündet im Anschluss an die Verhandlung nach Beratung mit den Beisitzern die schriftlich abgefasste und von den Mitgliedern der Schlichtungsstelle unterzeichnete Entscheidung. Sie ist - versehen mit einer schriftlichen Begründung - den Tarifvertragsparteien durch einen eingeschriebenen Brief zuzustellen.

        

(5)     

Die Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, innerhalb einer Frist von einem Monat dem Vorsitzenden der Schlichtungsstelle durch eingeschriebenen Brief die Annahme oder Ablehnung der Entscheidung der Schlichtungsstelle bekannt zu geben. Die Frist beginnt mit der Zustellung des schriftlichen Entscheides der Schlichtungsstelle (Absatz 4).

        

(6)     

Die Entscheidung der Schlichtungsstelle hat im Falle der Annahme durch die Tarifvertragsparteien die materielle Wirkung eines Tarifvertrages.

        

§ 7     

        

Aussetzung des Schlichtungsverfahrens

        

(1)     

Lehnt eine Tarifvertragspartei die Entscheidung der Schlichtungsstelle ganz oder teilweise ab, so gilt das Verfahren für die Dauer eines Monats als ausgesetzt. …

        

(2)     

Während dieser Frist sollen die Tarifvertragsparteien versuchen, zu einer Verständigung zu kommen. Erfolgt keine Verständigung, so setzt der Vorsitzende nach Ablauf der Aussetzungsfrist einen weiteren Verhandlungstermin an. Die Schlichtungsstelle ist gemäß § 2 Abs. 1 um je zwei von den Tarifvertragsparteien zu benennende zusätzliche Beisitzer zu ergänzen. Die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle soll im Übrigen unverändert bleiben, es sei denn, die Tarifvertragsparteien wünschen in beiderseitigem Einvernehmen ihre Neubesetzung. Die §§ 3 bis 5 finden Anwendung.

        

§ 8     

        

Erneute Entscheidung der Schlichtungsstelle

        

(1)     

Die Schlichtungsstelle ist an die vorangegangene Entscheidung nicht gebunden. Sie soll erneut frei entscheiden.

        

(2)     

Die Schlichtungsstelle fasst ihre Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit. Im Übrigen findet § 6 Abs. 1 bis 5 entsprechende Anwendung.

        

(3)     

Die Entscheidung hat die materielle Wirkung eines Tarifvertrages.

        

…“    

        
8

Die NEK schloss sich am 27. Mai 2012 mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) zusammen. Die Nordkirche ist eine Landeskirche der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nach § 55 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland vom 7. Januar 2012 (EinführungsG Nordkirche, GVOBl. S. 94) sind Arbeitnehmer, die bei Inkrafttreten der Verfassung in einem privatrechtlichen Anstellungsverhältnis zur NEK standen, Mitarbeitende der Nordkirche. Das ARRG-NEK und der Grundlagentarifvertrag gelten nach Wirksamwerden der Gründung der Nordkirche weiter (§ 56 Abs. 2 EinführungsG Nordkirche). Die Arbeitsrechtssetzung für die rechtlich selbstständigen Diakonischen Werke richtet sich jeweils nach dem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung in den Diakonischen Werken geltenden Recht (§ 56 Abs. 6 EinführungsG Nordkirche). Derzeit sind die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer im Bereich der ehemaligen NEK im Wesentlichen in dem „Kirchlicher Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag“ (KAT) vom 1. Dezember 2006 und dem „Kirchlicher Tarifvertrag Diakonie“ (KTD) vom 15. August 2002 geregelt.

9

Der Beklagte zu 2) ist der Bundesverband des Verbands der angestellten und beamteten Ärzte in Deutschland (Bundesverband). Beklagter zu 1) ist dessen Landesverband Hamburg (Landesverband).

10

Der Bundesverband forderte den Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2007 zu Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags für die Ärzte bei den kirchlichen und diakonischen Anstellungsträgern der NEK auf. In seinem Antwortschreiben vom 15. Juni 2007 machte der Kläger seine Verhandlungsbereitschaft von dem vorherigen Abschluss des Grundlagentarifvertrags abhängig. Im Schreiben vom 19. Dezember 2008 erklärte der Landesverband, dass die Tarifverhandlungen unter den vom Kläger gestellten Bedingungen nicht fortgesetzt würden.

11

Der Landesverband wandte sich in einem Schreiben vom 19. August 2009 an die Geschäftsführung der Bethesda Allgemeines Krankenhaus gGmbH (Bethesda gGmbH) in Hamburg-Bergedorf. In diesem teilte er mit, dass sich die Ärzte des Krankenhauses in einer Urabstimmung für einen Streik ab dem 31. August 2009 ausgesprochen hätten, um den Kläger zum Abschluss eines arztspezifischen Tarifvertrags zu zwingen. Die Bethesda gGmbH ist aus einem Zusammenschluss des Allgemeinen Krankenhauses Bergedorf mit dem Evangelischen Krankenhaus Bethesda entstanden. Sie ist Mitglied im Diakonischen Werk Hamburg - Landesverband der Inneren Mission e. V. und beschäftigt ca. 500 Arbeitnehmer, davon ca. 90 Ärzte. Die Bethesda gGmbH gehörte zuvor dem Verband der hamburgischen Krankenhausarbeitgeber (KAH) an. Während ihrer dortigen Mitgliedschaft fanden zwischen ihr und dem Landesverband Verhandlungen über die Übernahme des TV-Ärzte KAH statt. Diese blieben erfolglos und führten letztendlich zum Austritt der Bethesda gGmbH aus dem KAH und zu ihrem Beitritt beim Kläger.

12

Der Kläger forderte den Landesverband am 20. August 2009 zur Unterlassung des angekündigten Streiks auf und erklärte erneut Verhandlungsbereitschaft unter den Vorbehalten einer absoluten Friedenspflicht und dem Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung. Da der Landesverband hierauf nicht reagierte, beantragten der Kläger und die Bethesda gGmbH eine einstweilige Verfügung mit dem Antrag, es dem Landesverband zu untersagen, „Kampfmaßnahmen in den Betrieben und Unternehmen der Bethesda gGmbH selbst durchzuführen, zu übernehmen oder durchführen zu lassen, insbesondere die Arbeitnehmer dieses Betriebes zu Arbeitsniederlegungen aufzurufen oder aufrufen zu lassen“. Das Arbeitsgericht Hamburg wies den Antrag durch Urteil vom 27. August 2009 (- 5 Ga 3/09 - ArbuR 2009, 430) ab. Gegen das den Verfügungsklägern am 1. September 2009 zugestellte Urteil haben diese kein Rechtsmittel eingelegt. Der Streik wurde am 31. August 2009 durchgeführt.

13

Der Kläger hat gemeint, das Führen von Arbeitskämpfen in den Einrichtungen seiner Mitglieder sei generell unzulässig. Diese seien entweder unmittelbar oder durch ihre Mitgliedschaft in den Diakonischen Werken der NEK zugeordnet. Die Erfüllung ihres geistig-religiösen Auftrags könne nicht ohne Preisgabe ihres kirchlichen Selbstverständnisses unter den Vorbehalt eines Arbeitskampfes gestellt werden. Der christlich motivierte Dienst am Nächsten dürfe nicht - auch nicht vorübergehend - wegen eines Arbeitskampfes ausgesetzt werden. Diese Entscheidung beruhe auf der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und damit der unmittelbar durch Art. 4 GG geschützten Religionsausübung. Dienststellenleitung und Arbeitnehmer bildeten eine Dienstgemeinschaft, deren Gedanke den gesamten Dienst in den Einrichtungen seiner Mitglieder präge. Durch einen Arbeitskampf werde die Dienstgemeinschaft aufgelöst. Die Mitglieder des Klägers würden wegen ihres christlichen Bekenntnisses unter keinen Umständen zum Mittel der Aussperrung oder anderen Abwehrmaßnahmen greifen. Hierdurch entstehe eine gestörte Arbeitskampfparität. Die mit einem Arbeitskampf verbundenen Beeinträchtigungen des kirchlichen Dienstes stellten einen schwerwiegenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der NEK dar. Art. 9 Abs. 3 GG könne einen solchen nicht rechtfertigen, da die Norm kein „für alle geltendes Gesetz“ sei. Ebenso führe die Abwägung der von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Grundrechtspositionen nicht zur Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen im Bereich der NEK. Deren Selbstbestimmungsrecht würde hierdurch unverhältnismäßig beschränkt und letztlich entwertet. Die Konfliktlösung durch einen Arbeitskampf sei nicht erforderlich. Das erforderliche Verhandlungsgleichgewicht werde durch ein verbindliches Schlichtungsverfahren hergestellt. Bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen überwiege das Interesse der kirchlichen Arbeitgeber an einem Streikverbot gegenüber dem Interesse der Gewerkschaften an einer kampfweisen Durchsetzung ihrer Forderungen.

14

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1a.     

die Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, die Arbeitnehmer in den Mitgliedseinrichtungen des Klägers zu Streiks, Warnstreiks oder sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen sowie Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen in den Mitgliedseinrichtungen des Klägers zu organisieren und durchzuführen,

        

hilfsweise zu 1a.,

        

1b.     

die Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, die Arbeitnehmer in den Mitgliedseinrichtungen des Klägers zu Streiks, Warnstreiks oder sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen sowie Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen in den Mitgliedseinrichtungen des Klägers zu organisieren und durchzuführen, solange und soweit der Kläger zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit den Beklagten auf der Grundlage des ARRG-NEK bei vorherigem Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung, die inhaltsgleich mit der bestehenden Schlichtungsvereinbarung vom 5. November 1979 ist, bereit ist,

        

hilfsweise zu 1b.,

        

1c.     

die Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, das bei den Mitgliedern des Klägers beschäftigte ärztliche Personal zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen, solange und soweit der Kläger zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit den Beklagten auf der Grundlage des ARRG-NEK bei vorherigem Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung, die inhaltsgleich mit der bestehenden Schlichtungsvereinbarung vom 5. November 1979 ist, bereit ist,

        

2.    

den Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 250.000,00 Euro anzudrohen.

15

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

16

Sie haben gemeint, wegen der Entscheidung der NEK für den Abschluss von Tarifverträgen, gelte unmittelbar das Tarifvertragsgesetz. Zur Aufrechterhaltung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie sei der Arbeitskampf unerlässlich. Dass Streiks ein geeignetes Kampfmittel zur Durchsetzung von Arbeitsbedingungen seien, sei unbestritten. Das Führen von Arbeitskämpfen sei nicht unverhältnismäßig. Durch Streikmaßnahmen sowie deren Androhung werde erst ein Verhandlungsgleichgewicht hergestellt. Die Durchführung von Arbeitskämpfen gegenüber den Mitgliedern des Klägers sei auch unter Berücksichtigung ihrer Religionsfreiheit zulässig. Streiks und die damit einhergehende zeitweise Einschränkung der Patientenversorgung müsse sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren. Das kirchliche Verständnis von der Dienstgemeinschaft könne das Streikrecht nicht ausschließen. Es würden zahlreiche Arbeitnehmer im kirchlichen und diakonischen Bereich beschäftigt, die keinen Dienst am Nächsten leisteten. Der freiwillige Aussperrungsverzicht könne den Beklagten nicht das grundrechtlich gewährleistete Streikrecht nehmen. Für die Mitglieder des Klägers bestünden alternative Mittel der Streikabwehr. Die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer werde durch die paritätische Besetzung der Schlichtungsstelle nicht ausgeglichen. Dort könnten die Arbeitnehmer nicht den gleichen Druck aufbauen wie im Arbeitskampf. Wie die staatliche sei auch eine kirchliche Zwangsschlichtung mit der Koalitionsfreiheit unvereinbar.

17

Das Arbeitsgericht hat die erstinstanzlich allein gestellten Anträge zu 1a und 1b sowie den Antrag zu 2 abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und seine Anträge um den Hilfsantrag zu 1c erweitert. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision ist unbegründet.

19

A. Die Klage ist zulässig.

20

I. Die Anträge bedürfen der Auslegung.

21

1. Die Anträge zu 1a und 1b sind nach ihrem Wortlaut auf die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern gerichtet, die in den Einrichtungen der beim Kläger organisierten Mitglieder beschäftigt sind. Eine Beschränkung auf das ärztliche Personal enthält nur der Hilfsantrag zu 1c. Dies entspricht dem Antragsverständnis des Klägers. Dieser hat in den Vorinstanzen zur Begründung der Anträge zu 1a und 1b angeführt, Spartengewerkschaften seien berechtigt, auch die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer anderer Berufsgruppen zum Streik aufzurufen. Von den Anträgen zu 1a und 1b wird daher jeder Aufruf sowohl an die bei den Beklagten organisierten Mitglieder als auch an anders oder nicht organisierte Arbeitnehmer erfasst.

22

2. Mit dem Antrag zu 1c verlangt der Kläger von den Beklagten die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber dem bei den Mitgliedern des Klägers beschäftigten ärztlichen Personal. Von diesem Begriff werden die Arbeitnehmer erfasst, die als Arzt in den Mitgliedseinrichtungen des Klägers tätig sind. Der Antrag erfasst nicht nur die in Hamburg gelegenen Einrichtungen, soweit deren Träger beim Kläger organisiert sind. Eine Beschränkung auf Träger im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg enthält das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers nicht. Dieser wollte mit seinem Antrag zu 1c nach seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 28. Februar 2011 auch Arbeitskampfmaßnahmen des bei der Heinrich Sengelmann Krankenhaus gGmbH in Bargfeld-Stegen und der Fachkliniken Nordfriesland gGmbH in Bredstedt beschäftigten ärztlichen Personals erfassen. Ein entsprechendes Antragsverständnis hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf Nachfrage bestätigt.

23

3. Soweit sich die Anträge gegen den Bundesverband richten, sind sie dahin gehend zu verstehen, dass dessen Unterlassungspflichten unabhängig von denen des Landesverbands gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern gelten sollen, die in Einrichtungen der Mitglieder des Klägers beschäftigt sind. Nach den Ausführungen in der Klageschrift soll hierdurch verhindert werden, dass die von einem obsiegenden Urteil nicht erfassten Landesverbände die von dem Bundesverband eingeleiteten Arbeitskampfmaßnahmen fortführen.

24

II. Die so verstandenen Klageanträge sind hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

25

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind Anträge, mit denen die Unterlassung von Handlungen verlangt wird, so genau zu bezeichnen, dass der Inanspruchgenommene im Falle einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen was von ihm verlangt wird. Für ihn muss aufgrund des Unterlassungstitels erkennbar sein, welche Handlungen er künftig zu unterlassen hat, um sich rechtmäßig verhalten zu können(BAG 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 9, EzA SGB IX § 95 Nr. 4). Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dementsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Allerdings dürfen die Anforderungen insoweit auch nicht überspannt werden, da andernfalls effektiver Rechtsschutz vereitelt würde. Dementsprechend sind die Gerichte auch verpflichtet, Anträge nach Möglichkeit so auszulegen, dass eine Sachentscheidung ergehen kann (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 ABR 11/11 - Rn. 15, DB 2012, 2351). Zukunftsgerichtete Verbote lassen sich häufig nur generalisierend formulieren. Die Notwendigkeit gewisser Subsumtionsprozesse im Rahmen einer etwa erforderlich werdenden Zwangsvollstreckung steht daher der Verwendung ausfüllungsbedürftiger Begriffe in einem Unterlassungstitel und dem darauf gerichteten Antrag nicht generell entgegen (BAG 22. September 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 11, BAGE 132, 140).

26

2. Diesen Anforderungen genügen die Anträge.

27

a) Bei den vom Kläger gestellten Unterlassungsanträgen handelt es sich zwar um Globalanträge, die eine unbestimmte Vielzahl möglicher zukünftiger Fallgestaltungen erfassen. Dies steht ihrer Bestimmtheit nicht entgegen, weil sie auf ausnahmslos alle denkbaren Fälle gerichtet sind. Ob die Anträge für sämtliche Fälle berechtigt sind, betrifft ihre Begründetheit und nicht deren Zulässigkeit (BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 25, BAGE 122, 134).

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b) Die Anträge zu 1a und 1b lassen mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, welche Aufrufe den Beklagten jeweils untersagt werden sollen. Sie beziehen sich ihrem Wortlaut nach nicht nur auf Aufrufe zu den im Antrag genannten Arbeitskampfmaßnahmen mit einem bestimmten Streikziel. Was Streiks und Warnstreiks sind, ist im Einzelfall ohne Weiteres feststellbar. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit. Mit dem Merkmal „sonstige Arbeitsniederlegungen“ will der Kläger erkennbar sonstige Arbeitskampfformen in den Antrag einbeziehen, die von einem gewerkschaftlichen Kampfaufruf erfasst sind. Mit dem Begriff „Aufruf“ wird eine nach Zeitpunkt, Ort und Teilnehmerkreis näher bezeichnete Aufforderung zu einer bestimmten konkreten Arbeitskampfmaßnahme bezeichnet.

29

c) Ebenso ist der Begriff „Mitgliedseinrichtung“ hinreichend konkret. Hierunter sind organisatorische Einheiten in kirchlicher oder diakonischer Trägerschaft zu verstehen, in denen Mitarbeiter aufgrund von Dienstverträgen tätig sind. Er erfasst alle Organisationseinheiten kirchlicher und karitativer Art, wie etwa Krankenhäuser, Heime, Betreuungseinrichtungen, soweit deren Träger zum Zeitpunkt des Arbeitskampfes Mitglied des Klägers sind.

30

d) Mit dem Antrag zu 1b will der Kläger Arbeitskampfmaßnahmen der Beklagten verhindern, solange und soweit er selbst zu Tarifverhandlungen bereit ist, die Beklagten aber den vorherigen Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung verweigern. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger beiden Beklagten die Aufnahme der Tarifverhandlungen nach dem Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung angeboten. Deren Inhalt ergibt sich aus der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 2. Januar 1980 (GVOBl. 1980 S. 12). Die im Antrag formulierte Bedingung ist nur von dem Willen der jeweiligen Beklagten abhängig. Diese können also beurteilen, ob sie gegen eine etwaige ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung verstoßen. Im Vollstreckungsverfahren kann auch festgestellt werden, ob die Bereitschaft des Klägers bei der Durchführung der im Antrag beschriebenen Arbeitskampfmaßnahmen fortbestanden hat oder nicht und die Beklagten das Angebot auf Abschluss der Schlichtungsvereinbarung angenommen haben.

31

B. Die Anträge sind unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegenüber den Beklagten auf eine gerichtliche Untersagung von Arbeitskämpfen in den Einrichtungen seiner Mitglieder. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Beklagten rechtsfehlerhaft für berechtigt gehalten, Arbeitskämpfe in den der NEK zugeordneten Einrichtungen durchzuführen. Die Klage erweist sich dennoch als unbegründet, weil die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vorliegen.

32

I. Der Kläger besitzt die erforderliche Aktivlegitimation. Ein tarifvertragsschließender Arbeitgeberverband hat gegen eine Gewerkschaft nach § 1004 Abs. 1 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG einen eigenen Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen gegen seine Mitglieder(BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 54, BAGE 122, 134). Eine solche Verletzung seiner aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstellung macht der Kläger geltend. Nach seiner Auffassung sind Arbeitskampfmaßnahmen gegen die der NEK zugeordneten Einrichtungen seiner Mitglieder ausnahmslos rechtswidrig.

33

II. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, ein generelles Streikverbot in den bei dem Kläger organisierten Einrichtungen der NEK sei nicht durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Die Entscheidung der NEK, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten solcher Einrichtungen durch Tarifvertrag zu regeln, soweit sich die Gewerkschaft einer Schlichtung unterwirft und damit auf Arbeitskampfmaßnahmen verzichtet, dient dem Schutz des religiösen Bekenntnisses und schränkt die Koalitionsbetätigungsfreiheit der Beklagten verfassungskonform ein.

34

1. Der Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erfasst die individualrechtliche wie kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer.

35

a) Nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Hierzu gehören alle Maßnahmen, die in Verfolgung der vom kirchlichen Grundauftrag her bestimmten Aufgaben zu treffen sind, wie zB Vorgaben struktureller Art, aber auch die Personalauswahl und die mit diesen Entscheidungen untrennbar verbundene Vorsorge zur Sicherstellung der „religiösen Dimension“ des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses. Dies schließt die rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss privatrechtlicher Arbeitsverträge ein (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 1 b bis c der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche nicht auf. Sie darf deshalb die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen. Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt daher für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 1 d der Gründe, aaO).

36

b) Erstreckt sich der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts auf die Entscheidung, die Arbeitsverhältnisse kirchlicher Arbeitnehmer einheitlich auszugestalten, also das „Ob“, kann die Religionsgesellschaft auch das „Wie“ der Ausgestaltung bestimmen. Dazu gehört die Entscheidung über die Art und Weise der kollektiven Arbeitsrechtssetzung, also der Gestaltungsmittel. Danach kann eine Religionsgesellschaft grundsätzlich darüber befinden, ob sie die Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen regelt oder in Arbeitsrechtlichen Kommissionen und Schiedskommissionen vereinbart (von Campenhausen/de Wall Staatskirchenrecht 4. Aufl. S. 184; Kästner in Bonner Kommentar zum Grundgesetz Stand November 2012 Art. 140 Rn. 326; Korioth in Maunz/Dürig Komm. z. GG Stand November 2012 Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 42; Robbers Streikrecht in der Kirche S. 27 ff.; Schubert RdA 2011, 270, 274).

37

2. Entscheidet sich eine christliche Religionsgesellschaft dazu, das Verfahren zur kollektiven Arbeitsrechtssetzung am Leitbild der Dienstgemeinschaft auszurichten, wird auch diese Entscheidung vom Selbstbestimmungsrecht umfasst. Das gilt unabhängig davon, ob der Begriff der Dienstgemeinschaft in seinem theologischen Ursprung völlig geklärt oder im Bereich der Evangelischen Kirche einheitlich ist oder nicht (vgl. dazu Jurina ZevKR 1984, 171 ff.; Heinig ZevKR 2009, 62, 72 f.; Joussen RdA 2007, 328, 331; Lührs Die Zukunft der Arbeitsrechtlichen Kommissionen S. 115 ff.; Robbers Streikrecht in der Kirche S. 34 ff.).

38

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, dass diese der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft ihrer Mitarbeiter zugrunde legen können (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Dienstgemeinschaft wurzelt nach dem Selbstverständnis der Kirche einerseits im Priestertum aller Gläubigen, in dem mit der Taufe einhergehenden Auftrag, Gott in geistiger Einkehr und Zuwendung an die Welt zu dienen, andererseits knüpft sie funktional an den Missionsauftrag der Kirche an (Heinig ZevKR 2009, 62, 73; Robbers Streikrecht in der Kirche S. 35). Sie verbindet alle am kirchlichen Auftrag Teilnehmenden unabhängig davon, auf welcher vertraglichen Grundlage und in welcher Einrichtung sie tätig sind (Joussen RdA 2007, 328, 333). Mit Dienstgemeinschaft wird damit das theologisch geprägte Selbstverständnis des Dienstes der Gläubigen in der Kirche und durch die Kirche an der Welt umschrieben, nach dem jede Arbeitsleistung ein Stück kirchlichen Auftrags in der Welt verwirklicht. Ausfluss dessen ist eine gemeinsame Verantwortung der jeweiligen Dienstgeber und der Dienstnehmer für das gedeihliche Wirken der Kirche und ihrer Diakonie (vgl. KGH-EKD 9. Oktober 2006 - II-0124/M35-06 - Rn. 58, NZA 2007, 761).

39

b) Danach verlangt das Bestehen einer Dienstgemeinschaft keine konfessionelle Gebundenheit aller Beschäftigten zu einer christlichen - hier zur evangelischen - Kirche. Es ist vielmehr Ausdruck des kirchlichen Dienstes selbst, der durch den Auftrag bestimmt wird, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden. Hieran wirken alle Beschäftigten durch ihre Tätigkeit und demnach ungeachtet ihres individuellen Glaubens oder ihrer weltanschaulichen Überzeugungen mit (Art. 19 Satz 2, Art. 21 Verfassung NEK; allgemein Hammer Kirchliches Arbeitsrecht S. 175; Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 6. Aufl. § 4 Rn. 24). Die Dienstgemeinschaft hängt deshalb nicht davon ab, ob oder in welchem Umfang nicht evangelische Christen oder Nichtchristen in einer kirchlichen Einrichtung beschäftigt sind. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die jeweiligen Arbeitsverhältnisse verkündigungsnahe oder verkündigungsferne Tätigkeiten betreffen. Auch insoweit entscheidet die Kirche darüber, was Teil ihres Bekenntnisses ist, ob eine solche Differenzierung ihrem Bekenntnis entspricht und sich auf die Dienstgemeinschaft auswirkt (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 70, 138).

40

3. Das Selbstbestimmungsrecht erfasst auch die Ausgestaltung des Verfahrens, in dem die kollektiven Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in diakonischen Einrichtungen zustande kommen. Zu den eigenen Angelegenheiten iSd. Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV gehört nach kirchlichem Selbstverständnis das diakonische Wirken als Ausdruck des christlichen Bekenntnisses(vgl. BVerfG 25. März 1980 - 2 BvR 208/76 - [KrankenhausG-NRW] zu C I 3 der Gründe, BVerfGE 53, 366). Dabei kommt es nicht darauf an, in welcher Weise eine Einrichtung ihren diakonischen Auftrag wahrnimmt. Erfasst sind vielmehr alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 70, 138). Ohne Bedeutung ist deshalb, ob sich der Betrieb einer diakonischen Einrichtung substanziell von dem nichtkirchlicher Träger unterscheidet. Die Religionsgesellschaft hat grundsätzlich die Kompetenz zur Qualifizierung einer Angelegenheit als eigene (Hesse in HdbStKirchR 2. Aufl. Bd. 1 S. 521, 541 f.; Kästner in Bonner Kommentar zum Grundgesetz Stand November 2012 Art. 140 Rn. 304). Sie entscheidet darüber, wie sie ihr Glaubensbekenntnis lebt. Da sie ihr Wirken in diakonischen Einrichtungen als tätige Nächstenliebe und sozialen Dienst am Menschen begreift, ist dies zugleich Ausdruck ihres Glaubensbekenntnisses (Schubert RdA 2011, 270, 273). Dies gilt auch dann, wenn die Religionsgesellschaft beim Betrieb diakonischer Einrichtungen im Wettbewerb mit nichtkirchlichen Trägern steht.

41

4. Die Ausrichtung der kollektiven Arbeitsrechtsordnung der NEK am Leitbild der Dienstgemeinschaft ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

42

a) Die Behauptung einer Religionsgesellschaft, eine Angelegenheit sei ihre eigene, unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Plausibilitätskontrolle. Genügen die einzelnen Vorgaben einer derartigen Kontrolle, sind staatliche Gerichte hieran gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), sowie den guten Sitten iSd. § 138 BGB oder dem sog. ordre public ihren Niederschlag gefunden haben (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 70, 138).

43

b) Danach betrifft die Entscheidung der NEK, ihre kollektive Arbeitsrechtsordnung auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes zu regeln und dieses entsprechend dem Leitbild der Dienstgemeinschaft zu modifizieren, eine eigene Angelegenheit iSd. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV. Es ist nachvollziehbar, dass es nach ihrem in Art. 19, Art. 21 Verfassung NEK zum Ausdruck gekommenen Selbstverständnis Auftrag des kirchlichen Dienstes ist, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden, hierbei Dienstgeber und Dienstnehmer eine Dienstgemeinschaft bilden und darin versuchen, die nicht zu leugnenden Interessenkonflikte kooperativ und nicht konfrontativ zu lösen. Das Leitbild der Dienstgemeinschaft und seine Auswirkungen auf das Verfahren zur kollektiven Arbeitsrechtsordnung stehen auch nicht im Widerspruch zu sonstigen Prinzipien der Rechtsordnung. Die grundrechtlichen Gewährleistungen und damit auch Art. 9 Abs. 3 GG sind nicht ohne Weiteres Teil des ordre public(so aber Kühling AuR 2001, 241, 243 f.). Ein solches Verständnis führte zu einer unmittelbaren Grundrechtsbindung der Kirchen. Diese könnten ihr Selbstbestimmungsrecht nur insoweit in Anspruch nehmen, wie andere grundrechtliche Gewährleistungen hiervon nicht beeinträchtigt werden. Eine derartige Grundrechtsbindung käme einer von Art. 1 Abs. 3 GG für die staatliche Gewalt angeordneten Grundrechtsbindung weitgehend gleich und ginge darüber hinaus, als sie bereits den Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts begrenzte. Konflikte des Selbstbestimmungsrechts mit anderen grundrechtlichen Gewährleistungen betreffen jedoch nicht den Schutzbereich, sondern dessen Beschränkbarkeit (vgl. dazu BVerfG 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - [Zeugen Jehovas] zu C V 1 b der Gründe, BVerfGE 102, 370).

44

5. Die Entscheidung der NEK, bei einem Scheitern von Tarifverhandlungen durch ein obligatorisches Schlichtungsverfahren den Interessenkonflikt zu lösen, schließt den Arbeitskampf zur Durchsetzung der wechselseitigen Tarifforderungen der Dienstgeberseite und der Gewerkschaften aus.

45

a) Nach der am Leitbild der Dienstgemeinschaft orientierten Verfahrenskonzeption des von der NEK angewandten Tarifvertragssystems werden die Tarifverträge grundsätzlich durch die Gewerkschaften und den Kläger als Vertreter der Dienstgeberseite ausgehandelt. Lediglich im Konfliktfall obliegt es einer Schlichtungsstelle nach Maßgabe der Schlichtungsvereinbarung (SchlV), anstelle der Tarifvertragsparteien eine normative Regelung zu beschließen. Entsprechend dem Leitbild der Dienstgemeinschaft sollen damit die Interessenkonflikte zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern nicht im Wege wechselseitiger Konfrontation, sondern durch Kooperation unter Wahrung des Gebots der Parität verbindlich zum Ausgleich gebracht werden (Joussen RdA 2007, 328, 333). Diese Konzeption beruht auf der Überzeugung, dass nach dem Selbstverständnis der Kirchen jede Arbeitsleistung ein Stück kirchlichen Auftrags in der Welt verwirklicht und in einer darauf gerichteten Dienstgemeinschaft Interessengegensätze durch Verhandlungen und wechselseitiges Nachgeben ggf. mit Hilfe eines neutralen Dritten überwunden werden.

46

b) Das bei der NEK bestehende Schlichtungsstellenverfahren kann von jeder Tarifvertragspartei eingeleitet werden, wenn die zunächst durchgeführten freien Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien zu keiner Verständigung geführt haben oder aber eine der Tarifvertragsparteien die Aufnahme von Verhandlungen oder Gesprächen überhaupt ablehnt (§ 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 SchlV). Diese setzt sich aus einem unparteiischen Vorsitzenden und einer jeweils gleichen Zahl von den Tarifvertragsparteien zu benennenden Beisitzer zusammen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SchlV). Auf den unparteiischen Vorsitzenden müssen sich die Tarifvertragsparteien einigen, ansonsten wird er auf Antrag einer Tarifvertragspartei vom Präsidenten des Landgerichts Kiel bestellt (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 SchlV). Die Schlichtungsstelle entscheidet im Konfliktfall mit Stimmenmehrheit, bei der Abstimmung darf sich kein Mitglied der Schlichtungsstelle der Stimme enthalten (§ 6 Abs. 1 SchlV). Diese Entscheidung wird verbindlich, sofern nicht eine Tarifvertragspartei die Entscheidung der Schlichtungsstelle ganz oder teilweise ablehnt (§ 7 Abs. 1 SchlV). Wird binnen eines Monats zwischen den Tarifvertragsparteien keine Einigung über den Gegenstand der abgelehnten Entscheidung erzielt, trifft die Schlichtungsstelle eine erneute Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 SchlV).

47

c) Das für den Fall einer Nichteinigung der Tarifvertragsparteien von der NEK bestimmte Verfahren schließt den Arbeitskampf zur Durchsetzung der wechselseitigen Tarifforderungen aus. Dieser ist darauf gerichtet, durch das Vorenthalten von Arbeitskraft und einen hierdurch ausgelösten wirtschaftlichen Schaden Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, damit diese über die Arbeitsbedingungen überhaupt verhandelt und somit jenes Kräftegleichwicht geschaffen wird, das ein Zustandekommen einer Regelung und die sachgerechte Lösung des zugrunde liegenden Interessenkonflikts erst ermöglicht. Diese Kampfmöglichkeit widerspricht jedoch dem Grundgedanken der Dienstgemeinschaft. Die damit verbundene Arbeitsniederlegung würde nicht nur den kirchlichen Dienst am Nächsten suspendieren und damit die Erfüllung des Missionsauftrags hindern, sondern aus Sicht der Kirchen auch eine bestehende Gemeinsamkeit von Dienstnehmern und Dienstgebern auflösen (vgl. Joussen RdA 2007, 328, 333).

48

6. Ein Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft, mit dem Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder kollektiv im Wege von Tarifverträgen auszuhandeln und hierfür Arbeitskämpfe zu führen.

49

a) Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet nicht nur die Bildung und den Bestand einer Arbeitnehmerkoalition, sondern auch deren koalitionsmäßige Betätigung. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist dabei nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungen beschränkt, die für die Sicherung des Bestands der Koalitionen unerlässlich sind, er erstreckt sich vielmehr auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (BVerfG 6. Februar 2007 - 1 BvR 978/05 - Rn. 21, BVerfGK 10, 250). Dazu gehört auch die Tarifautonomie als das Recht, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mit der Arbeitgeberseite auszuhandeln und durch Verträge verbindlich für die Mitglieder zu regeln. Die Regelung der Arbeitsbedingungen in Kollektivverträgen dient der Verwirklichung der Interessen der strukturell unterlegenen Arbeitnehmer. Eine wirkungsvolle Interessendurchsetzung ist den Gewerkschaften nur möglich, wenn sie ihren Forderungen durch Streiks Nachdruck verleihen können. Der Arbeitskampf ist deshalb funktional auf die Tarifautonomie bezogen und insoweit grundrechtlich geschützt (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 84, 212; 10. September 2004 - 1 BvR 1191/03 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGK 4, 60). Ein Grundrecht auf Streik, losgelöst von seiner funktionalen Bezugnahme auf die Tarifautonomie, gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG nicht.

50

b) In den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist grundsätzlich auch die koalitionsmäßige Betätigung in diakonischen Einrichtungen einbezogen. Dieses Grundrecht entfaltet gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG unmittelbare Drittwirkung gegenüber privatrechtlich als eingetragener Verein oder gemeinnützige GmbH oder in sonstiger Weise organisierte kirchliche Einrichtungen(Richardi in HdbStKirchR 2. Aufl. Bd. 2 S. 929 f.; Schubert RdA 2011, 270, 272). Bedienen sich diese zur Begründung von Arbeitsverhältnissen des Privatrechts, nehmen sie grundsätzlich in Bezug auf ihre Beschäftigten eine Arbeitgeberstellung ein. Insoweit gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG den Gewerkschaften auch das Recht, mit der Arbeitgeberseite über Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verhandeln, verbindliche Abreden vor allem durch den Abschluss von Tarifverträgen zu treffen und ihren Forderungen nach der Aufnahme von Verhandlungen und der Durchsetzung bestimmter Regelungen mit Streik Nachdruck zu verleihen.

51

7. Für die Auflösung dieser Kollisionslage ist es ohne Belang, ob Art. 9 Abs. 3 GG wegen seiner unmittelbaren Drittwirkung den Anforderungen des Schrankenvorbehalts aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV genügt oder nicht. Diese im Schrifttum kontrovers diskutierte Frage bedarf keiner Entscheidung des Senats (ablehnend Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 6. Aufl. § 9 Rn. 30 f.; Robbers Streikrecht in der Kirche S. 55 f.; auch Korioth in Maunz/Dürig Komm. z. GG Stand November 2012 Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 45; zweifelnd offenbar Richardi/Thüsing AuR 2002, 94, 96; dies befürwortend Oswald Streikrecht im kirchlichen Dienst und in anderen karitativen Einrichtungen S. 88; Czycholl Anm. LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 88; Kühling AuR 2001, 241, 247; Gamillscheg FS Zeuner S. 39, 45; Waldhoff GS Heinze S. 995, 1004). In beiden Fällen wären die Arbeitsgerichte wegen ihrer durch Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten Grundrechtsbindung gehindert, bei einer - wie vorliegend - Auslegung und Anwendung einer zivilrechtlichen Unterlassungsnorm das völlige Zurückweichen eines Grundrechts zugunsten eines anderen hinzunehmen. Sie sind vielmehr gehalten, im Wege einer Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz einen Ausgleich der jeweils konfligierenden grundrechtlichen Gewährleistungen herbeizuführen. Diese Pflicht entfällt nicht schon deswegen, weil es sich bei Art. 9 Abs. 3 GG ebenso wie bei Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG um vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte handelt. Das hindert ein Zurückweichen einer grundrechtlichen Gewährleistung zum Schutz einer anderen nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können auch vorbehaltlos gewährte Grundrechte zum Schutz anderer Grundrechte oder grundrechtlicher Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfG 24. November 2010 - 1 BvF 2/05 - Rn. 147, BVerfGE 128, 1). In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht etwa die Kollision des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit der durch Art. 5 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit unter Heranziehung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz aufgelöst(BVerfG 28. Oktober 2008 - 1 BvR 462/06 - [Lüdemann] Rn. 47, 65, BVerfGE 122, 89).

52

8. Der Grundsatz praktischer Konkordanz verlangt nach einem schonenden Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung (BVerfG 7. März 1990 - 1 BvR 266/86 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 81, 278). Die durch die Rücksichtnahme auf kollidierende Verfassungswerte notwendig werdende Annäherung kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall durch Güterabwägung vorgenommen werden. Eine damit einhergehende Begrenzung verfassungsrechtlich geschützter Interessen darf dabei nicht weiter gehen, als es notwendig ist, um die Konkordanz konfligierender Rechtsgüter herzustellen (Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 20. Aufl. Rn. 72; ebenso Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. III/2 S. 656). Das Zurückweichen einer grundrechtlichen Gewährleistung muss zum Schutz der anderen geboten sein (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth GG 11. Aufl. Vorb. vor Art. 1 Rn. 52). Für die erforderliche Abwägung gibt die Verfassung kein bestimmtes Ergebnis vor, verwehrt aber pauschale Vorrangentscheidungen, wie sie die Parteien des Verfahrens jeweils für sich in Anspruch nehmen (für den Kläger insbesondere Robbers Streikrecht in der Kirche S. 26 ff.; Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 6. Aufl. § 10 Rn. 20 f.; Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1 [2006] S. 2091; Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck GG Bd. I 6. Aufl. Art. 9 Abs. 3 Rn. 200; Manterfeld KuR 2011, 86, 100; für die Gewerkschaftsseite Kühling AuR 2001, 241 ff.).

53

9. Die hiernach vorzunehmende Güterabwägung betrifft nicht den gesamten Bereich der jeweiligen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, sondern ist auf den Ausgleich der konkreten Kollisionslage beschränkt. Das Selbstbestimmungsrecht einer Religionsgesellschaft und die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft schließen sich nicht wechselseitig völlig aus. Zur Kollision führt vielmehr erst die Ausübung einer bestimmten verfassungsrechtlichen Gewährleistung. Das ist hier die Entscheidung für ein bestimmtes Verfahren zur kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten, die auf der Grundlage privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse in der Diakonie oder im kirchlichen Dienst tätig sind und für die staatliches Arbeitsrecht gilt (Schubert RdA 2011, 270, 274). Hierbei wollen sich Kirche wie Gewerkschaft des staatlichen Tarifrechts bedienen. In diesem sichert die Möglichkeit zum Arbeitskampf denjenigen Verhandlungsdruck, der Angemessenheit und Richtigkeit der Verhandlungsergebnisse garantiert. Diesen will die NEK entsprechend dem Leitbild der Dienstgemeinschaft durch ein Schlichtungsverfahren und einen damit verbundenen Verzicht auf Arbeitskampfmaßnahmen erreichen, von dessen vorheriger Vereinbarung sie die Aufnahme von Tarifverhandlungen abhängig macht. Demgegenüber setzt die Gewerkschaft darauf, durch Androhung und Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen zu einem fairen Interessenausgleich zu kommen. Das Gebot praktischer Konkordanz verlangt daher nur einen Vergleich dieser beiden Konzepte und deren schonenste Annäherung.

54

a) Sowohl das Regelungsverfahren der Kirche als auch das der Gewerkschaft ist darauf gerichtet, durch autonom ausgehandelte Tarifverträge den von der staatlichen Rechtsordnung frei gelassenen Raum des Arbeitslebens sinnvoll zu ordnen und für die Tarifgebundenen verbindlich zu regeln. Dazu bedienen sie sich des staatlichen Tarifrechts, das den Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Tarifgebundenen betreffen, unmittelbare und zwingende Wirkung verleiht (§ 4 Abs. 1 TVG). Ausnahmen hiervon lässt § 4 TVG nur zu, soweit der Tarifvertrag sie gestattet oder es sich um Änderungen zugunsten des Arbeitnehmers handelt(§ 4 Abs. 3 TVG). Das garantiert die Verbindlichkeit von Tarifabschlüssen als Mindestarbeitsbedingung. Abweichungen zulasten tarifgebundener Arbeitnehmer sind dem Dienstgeber verwehrt. Die Nutzung dieses Konzepts ermöglicht also der Gewerkschaft eine koalitionsspezifische Betätigung zugunsten ihrer Mitglieder. Damit können sie sich in einem durch Art. 9 Abs. 3 GG zentral gewährleisteten Bereich betätigen. Ihre Attraktivität und die damit einhergehende Möglichkeit zur Mitgliederwerbung sind weniger schwer betroffen als im Verfahren des sog. Dritten Weges (dazu BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 -). Sie können zudem Tarifverhandlungen durch die von ihnen bestimmten Personen führen und müssen dafür nicht Delegierte einschalten.

55

b) Ein fairer und angemessener Ausgleich widerstreitender Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen verlangt aber nach annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 3 b aa der Gründe, BVerfGE 84, 212). Diese lassen sich weder formal und situationsungebunden feststellen noch normativ anordnen (BAG 10. Juni 1980 - 1 AZR 822/79 - zu A IV 1 a der Gründe, BAGE 33, 140). Im System der Tarifautonomie werden sie durch die Androhung oder den Einsatz von Kampfmaßnahmen gesichert. Abweichend hiervon will die Kirche entsprechend ihrem Leitbild der Dienstgemeinschaft den Arbeitskampf zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts ausschließen und durch ein Schlichtungsverfahren ersetzen, das ihrem durch Art. 4 GG geschützten Bekenntnis Rechnung trägt. Eine damit verbundene Modifikation des staatlichen Tarifrechts ist zwar zum Schutz religiöser Betätigungsfreiheit zu akzeptieren. Doch muss die Kirche Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG nehmen. Ihr Schlichtungsmodell darf das Konzept der Tarifautonomie nur insoweit verändern, wie es für die Wahrung ihres Leitbildes erforderlich ist und ein Verhandlungsgleichgewicht ermöglicht. Nur insoweit ist es mit dem sozialstaatlichen Gesamtkonzept, das Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde liegt, vereinbar.

56

aa) Zum Ausgleich der strukturellen Verhandlungsschwäche der Arbeitnehmer bedarf es - soweit der Arbeitskampf hierfür nicht zur Verfügung steht - weiterer Instrumente, die geeignet sind, Verhandlungsblockaden zu lösen und die Kompromissbereitschaft der Gegenseite zu fördern. Das damit verbundene Ziel, ein „kollektives Betteln“ der Arbeitnehmer zu vermeiden, kann durch eine paritätisch und zwingend vereinbarte Schlichtung erreicht werden. Allerdings ist eine Zwangsschlichtung zur Vermeidung von Arbeitskämpfen mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsbetätigungsfreiheit unvereinbar. Das gilt jedoch nur für staatlich angeordnete Schlichtungsverfahren (vgl. BVerfG 6. Mai 1964 - 1 BvR 79/62 - zu B III 2 a der Gründe, BVerfGE 18, 18). Es hindert Tarifvertragsparteien nicht daran, sich im Rahmen der ihnen zustehenden Tarifautonomie darauf zu verständigen, dass im Konfliktfall an die Stelle einer Einigung ein Schlichtungsspruch tritt (ErfK/Dieterich 13. Aufl. Art. 9 GG Rn. 286).

57

bb) Ein Schlichtungsverfahren ist dem Grunde nach zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts geeignet, da die mit dieser Entscheidungsstruktur verbundenen Unwägbarkeiten sowie die Verlagerung der Konfliktlösung auf eine andere Verhandlungsebene bei den vorgelagerten Tarifverhandlungen die Bereitschaft zum Kompromiss fördert und die Gewerkschaft nicht in die Rolle eines Bittstellers zwingt. Das setzt allerdings voraus, dass die Arbeitgeberseite die Aufnahme von Verhandlungen nur von der Einwilligung der Gewerkschaft in eine obligatorische Schlichtung abhängig machen kann und für diesen Fall das Führen von Tarifverhandlungen nicht verweigert. Schließlich kann eine Schlichtung ihren Zweck auch nur erreichen, wenn die Anrufung der Schlichtungskommission und die Überleitung des Verfahrens in dieses Gremium der Gewerkschaft uneingeschränkt offen steht und im Falle einer Nichteinigung beider Seiten die Unabhängigkeit und Neutralität des Vorsitzenden auch durch das Bestellungsverfahren gewahrt wird.

58

10. Danach hat das Streikrecht der Beklagten gegenüber dem im Zweiten Weg zum Ausdruck kommenden Selbstbestimmungsrecht der NEK zurückzutreten.

59

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts folgt die Zulässigkeit von Streik und anderen Arbeitskampfmaßnahmen nicht schon aus der Entscheidung der NEK, die Arbeitsbedingungen der in ihren Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer durch Tarifverträge auszugestalten. Allerdings ist diese im Jahr 1978 nicht der Empfehlung der EKD für die Einführung des Dritten Weges gefolgt und schließt - anders als die anderen Evangelischen Landeskirchen in Deutschland - weiterhin Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Zwar fallen die abgeschlossenen Vereinbarungen als Folge der Rechtswahl der NEK in den Geltungsbereich des Tarifvertragsgesetzes. Dies führt aber nicht zu einer uneingeschränkten Anwendung des für die Erstreikbarkeit von Tarifverträgen geltenden Arbeitskampfrechts. Vielmehr sind die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes zu beachten. Die NEK ist nicht gehalten, sich entweder für das Zustandekommen von Kollektivvereinbarungen auf dem Dritten Weg oder der uneingeschränkten Übernahme des aus ihrer Sicht „weltlichen“ Tarifvertragssystems zu entscheiden. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist ungeachtet der getroffenen Rechtswahl auch bei der Frage, wie Tarifverträge für die der NEK zugeordneten Einheiten zustande kommen, von Bedeutung. Es ist daher von Verfassungs wegen geboten, den Kirchen nicht nur den Abschluss von zunächst unverbindlichen kollektiven Vereinbarungen auf dem Dritten Weg zu ermöglichen, sondern auch die normative Regelung von Arbeitsbedingungen mit den tarifzuständigen Gewerkschaften unter Berücksichtigung der Besonderheiten des kirchlichen Dienstes (vgl. BAG 25. März 2009 - 7 AZR 710/07 - Rn. 30, BAGE 130, 146). Die Frage, ob schon der arbeitskampfrechtliche Grundsatz der Kampfparität zur Rechtswidrigkeit von Streiks führt (verneinend BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - zu B III 11 a cc der Gründe), stellt sich danach nicht.

60

b) Die in der SchlV vorgesehene Konfliktlösung durch die Tarifvertragsparteien und einen neutralen Schlichter erweist sich als ein verfassungsrechtlich gebotenes Verfahren, um zwischen den Tarifvertragsparteien ein Verhandlungsgleichgewicht herzustellen, an dem es ansonsten wegen der Unzulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen fehlen würde. Der nach der SchlV an die Stelle einer Tarifeinigung tretende Spruch der Schlichtungsstelle ist dazu bestimmt, Pattsituationen bei den Tarifverhandlungen im Bereich der NEK aufzulösen. Der Spruch muss die gegenseitigen Interessen der kirchlichen Dienstgeber und der Gewerkschaftsmitglieder angemessen berücksichtigen und zu einem billigen Ausgleich bringen. Zur Vorbereitung ihrer Entscheidung hat die Schlichtungsstelle nach Maßgabe des § 4 Abs. 4 SchlV den hierfür maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären. Es ist weder ersichtlich noch von den Beklagten dargetan, dass das von der NEK geregelte Verfahren ungeeignet ist, im Konfliktfall eine befriedigende Lösung der bestehenden Interessengegensätze zwischen der Dienstgeber- und der Arbeitnehmerseite herbeizuführen. Der Spruch hat grundsätzlich keinen anderen Rechtscharakter als eine von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifnorm. Die Entscheidung der Schlichtungsstelle ist einer Einflussnahme durch die Tarifvertragsparteien nicht entzogen. Die Geltung der durch Spruch zustande gekommenen Regelung kann durch eine Kündigung beendet oder durch eine nachfolgende Tarifnorm ersetzt werden.

61

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Verhandlungsparität zwischen den Tarifvertragsparteien auch nicht deshalb gestört, weil für die Durchsetzung der arbeitnehmerseitig erhobenen Tarifforderungen im Konfliktfall eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein soll. Dies ist nicht der Fall. Nach der SchlV kann die nach § 6 Abs. 1 SchlV mit einfacher Mehrheit getroffene Entscheidung nur durch eine anderslautende erneute Entscheidung der Schlichtungsstelle nach § 8 SchlV abgeändert werden. Kommt bei der Abstimmung die nach § 8 Abs. 2 SchlV erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande, bleibt es bei der zuvor von der Schlichtungsstelle nach § 6 Abs. 1 SchlV getroffenen Entscheidung. Nur wenn die Schlichtungsstelle eine aufhebende oder abändernde Sachentscheidung trifft, tritt diese an die Stelle der vorangegangenen Entscheidung der Schlichtungsstelle. Die Arbeitgeberseite kann daher nicht durch eine Ablehnung der mit Stimmenmehrheit getroffenen Entscheidung der Schlichtungsstelle und dem Erfordernis einer erneuten Entscheidung der Schlichtungsstelle mit Zweidrittelmehrheit eine Blockade der arbeitnehmerseitig erhobenen Tarifforderungen erreichen.

62

d) Ferner begegnet weder die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle noch das Verfahren zur Bestellung ihres unabhängigen Vorsitzenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach § 2 SchlV obliegt die Benennung der Beisitzer allein den Tarifvertragsparteien. Zwar sollen die Beisitzer und damit auch die von der Gewerkschaft zu benennenden zu kirchlichen Ämtern wählbar sein. Das schränkt jedoch die Auswahlbefugnis der Gewerkschaft nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandener Weise ein. Dieses Qualifikationserfordernis soll die Sachnähe der Beisitzer sichern. Als Sollvorschrift erlaubt sie es der Gewerkschaft in begründeten Fällen abzuweichen. Hinsichtlich der Person des Vorsitzenden sichert § 2 Abs. 2 SchlV dessen Unabhängigkeit. Die darin geregelte Unvereinbarkeit mit kirchlichen oder gewerkschaftlichen Aufgabenstellungen schließt eine darauf bezogene Abhängigkeit aus. Soweit sich die Tarifvertragsparteien nicht auf die Person des Vorsitzenden einigen können, hindert § 3 Abs. 2 SchlV, dass sich eine Tarifvertragspartei gegen die andere durchsetzt. Dazu wird einem - von den Tarifvertragsparteien unabhängigen - Repräsentanten der staatlichen Gerichtsbarkeit ein einseitiges Bestellungsrecht zugewiesen.

63

11. Diese Güterabwägung steht im Einklang mit Unions- und Völkerrecht.

64

a) Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(GRC) ist vorliegend nicht anwendbar.

65

aa) Nach dieser Vorschrift haben alle Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen (dazu Bryde SR 2012, 2, 9 ff.; Thüsing/Traut RdA 2012, 65). Allerdings ist der Geltungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet. Die Europäische Union hat gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV keine Kompetenz zur Regelung des Koalitionsrechts, Streikrechts sowie des Aussperrungsrechts. Gemäß Art. 51 Abs. 2 GRC dehnt die Grundrechtecharta den Geltungsbereich des Unionsrechts auch nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union und ändert auch nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Der Gerichtshof der Europäischen Union überprüft lediglich im Licht der Grundrechtecharta das Unionsrecht in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten (EuGH 15. November 2011 - C-256/11 - [Dereci ua.] Rn. 71, NVwZ 2012, 97).

66

bb) Eine Anwendungspflicht für Unionsrecht wird auch nicht durch Art. 6 Abs. 3 EUV eröffnet. Zwar sind nach Art. 6 Abs. 3 EUV die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention und die darin geregelte Religions- und Vereinigungsfreiheit als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Doch regelt diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht das Verhältnis zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und bestimmt auch nicht, welche Konsequenzen ein nationales Gericht aus einem Widerspruch zwischen den durch die Konvention gewährleisteten Rechten und einer Regelung des nationalen Rechts zu ziehen hat. Die in Art. 6 Abs. 3 EUV enthaltene Verweisung auf die Europäische Menschenrechtskonvention gebietet einem nationalen Gericht nicht, im Falle eines Widerspruchs zwischen einer Regelung des nationalen Rechts und der Konvention deren Bestimmungen unmittelbar anzuwenden und eine mit ihr unvereinbare nationale Regelung unangewendet zu lassen(EuGH 24. April 2012 - C-571/10 - Rn. 62 f., NVwZ 2012, 950).

67

cc) Zur Anwendbarkeit der GRC und des EUV ist kein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV durchzuführen. Aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 16. Januar 2008 (- C-361/07 - [Polier] Slg. 2008, I-6) ist hinreichend geklärt, dass ein nationaler Sachverhalt ohne Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht den Geltungsbereich der GRC nicht eröffnet. Gleiches gilt für die aus Art. 6 EUV folgenden Anwendungspflichten nationaler Gerichte(vgl. EuGH 24. April 2012 - C-571/10 - Rn. 62 f., NVwZ 2012, 950).

68

b) Die gebotene völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes fordert ebenfalls kein anderes Ergebnis.

69

aa) Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle sind ebenso wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes als Auslegungshilfe heranzuziehen. Dies verlangt allerdings keine schematische Gleichsetzung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen der Wertungen der Konvention, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist. Das Grundgesetz setzt der völkerrechtsfreundlichen Auslegung allerdings auch Grenzen: Diese darf nicht zu einer Beschränkung des durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechtsschutzes führen. Das schließt auch Art. 53 EMRK aus(BVerfG 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 ua. - [Sicherungsverwahrung] Rn. 93 f. mwN, BVerfGE 128, 326).

70

bb) Vorliegend sind die durch Art. 9 EMRK gewährleistete Religionsfreiheit und die durch Art. 11 EMRK geschützte Versammlung- und Vereinigungsfreiheit zu berücksichtigen.

71

(1) Gemäß Art. 9 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Diese Freiheitsrechte dürfen nach Abs. 2 dieser Bestimmung nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die in Art. 9 EMRK garantierte Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit einer der Grundpfeiler der „demokratischen Gesellschaft” im Sinne der Konvention. Sie ist in ihrer religiösen Dimension eines der wichtigsten Elemente, das die Identität der Gläubigen und ihre Auffassung vom Leben bestimmt. Aus dem Recht des Gläubigen auf Religionsfreiheit einschließlich des Rechts, seine Religion in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen, folgt die Erwartung, dass Gläubige sich frei und ohne willkürliche staatliche Eingriffe zusammenschließen können. Das unabhängige Bestehen von Religionsgemeinschaften ist unabdingbare Voraussetzung für den Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft und damit Kernstück des durch Art. 9 EMRK gewährten Schutzes(EGMR [I. Sektion] 5. April 2007 - 18147/02 - [Scientology Kirche Moskau/Russland] Rn. 71 f., NJW 2008, 495). Das Recht auf Religionsfreiheit schließt dabei jede Beurteilung der Legitimität der religiösen Überzeugungen oder deren Ausdrucksformen durch den Staat aus (EGMR [III. Sektion] 31. Januar 2012 - 2330/09 - [Sindicatul Pastorul cel Bun] Rn. 74).

72

(2) Nach Art. 11 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung darf die Ausübung dieser Rechte nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Das Recht, Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein wesentliches Element des in Art. 11 EMRK garantierten Rechts(dazu EGMR [Große Kammer] 12. November 2008 - 34503/97 - [Demir u. Baykara] Rn. 144 und 154, NZA 2010, 1425; EGMR [III. Sektion] 21. April 2009 - 68959/01 - [Enerji Yapi-Yol Sen] Rn. 24, NZA 2010, 1423; dazu Claudia Schubert AöR 137 [2012] S. 92 ff.). Allerdings kann ein Arbeitgeber, dessen Berufsethos auf der Religion beruht, von seinen Angestellten besondere Loyalitätspflichten verlangen, soweit diese nach einer Abwägung der maßgeblichen Interessen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten (EGMR 23. September 2010 - 1620/03 - [Schüth] Rn. 69, NZA 2011, 279).

73

cc) Die Koalitionsbetätigungsfreiheit der Beklagten wird auch nicht durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der NEK ausgeschlossen (ebenso Joussen in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 46 [2012] S. 53, 89 f.; Walter ZevKR 2012, 233, 259 f.). Der Gerichtshof hat mit seinen Entscheidungen zu Art. 11 EMRK vielmehr verdeutlicht, dass an die Rechtfertigung einer Einschränkung der Vereinigungsfreiheit und des damit verbundenen Streikrechts nicht unerhebliche Anforderungen zu stellen sind. Gleichwohl kann auch der jüngst ergangenen Entscheidung in der Sache „Sindicatul Pastorul cel Bun“ (EGMR [III. Sektion] 31. Januar 2012 - 2330/09 -) sowie den zum Streikrecht im öffentlichen Dienst ergangenen Urteilen (EGMR [Große Kammer] 12. November 2008 - 34503/97 - [Demir u. Baykara] NZA 2010, 1425 und EGMR [III. Sektion] 21. April 2009 - 68959/01 - [Enerji Yapi-Yol Sen] NZA 2010, 1423) nicht die uneingeschränkte Zulässigkeit von Streiks in diakonischen Einrichtungen entnommen werden. Anders als der öffentliche Dienst können sich Kirchen ihrerseits auf die durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützte Religionsfreiheit berufen. Dementsprechend fordert der Gerichtshof bei einer Kollision dieser beiden Rechte eine verhältnismäßige Abwägung (EGMR [III. Sektion] 31. Januar 2012 - 2330/09 - [Sindicatul Pastorul cel Bun] Rn. 79 f.). Das geht über die Anforderungen einer Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz für die Auflösung einer konkreten Grundrechtskollision nicht hinaus.

74

c) Der Beschränkung des Streikrechts der Beklagten in diakonischen Einrichtungen steht schließlich weder die Europäische Sozialcharta (ESC, BGBl. II 1964 S. 1262) noch das ILO-Abkommen Nr. 87 entgegen.

75

aa) Die ESC stellt eine von der Bundesrepublik Deutschland eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung dar, deren Regeln die Gerichte beachten müssen, wenn sie die im Gesetzesrecht bezüglich der Ordnung des Arbeitskampfes bestehenden Lücken anhand von Wertentscheidungen der Verfassung ausfüllen (BAG 10. Dezember 2002 - 1 AZR 96/02 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 104, 155; Bepler FS Wißmann S. 97, 106). Eine Einschränkung oder Begrenzung des in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC anerkannten Streikrechts ist nach Teil V Art. 31 Abs. 1 ESC nur zulässig, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit notwendig sind(BAG 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 46, 322). Rechte und Freiheiten anderer, die geeignet sind, das Streikrecht einzuschränken, ergeben sich aus der verfassungsrechtlich und völkerrechtlich anerkannten Religionsfreiheit. Insoweit bedarf es auch hier einer verhältnismäßigen Abwägung beider Gewährleistungen.

76

bb) Auch das Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes vom 9. Juli 1948 lässt eine Beschränkung des Streikrechts der Beklagten in diakonischen Einrichtungen zu. Es gehört zum einfachen innerstaatlichen Recht (Zustimmungsgesetz vom 20. Dezember 1956, BGBl. II S. 2072, in Kraft seit dem 20. März 1958, laut Bekanntmachung vom 2. Mai 1958, BGBl. II S. 113). Seine Gewährleistungen gehen jedoch nicht über die Grundsätze hinaus, die ohnehin durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gelten(BVerfG 20. Oktober 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 5 c der Gründe, BVerfGE 58, 233).

77

III. Gleichwohl erweist sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis als richtig. Der Kläger hat keine durch Tatsachen begründete Besorgnis dargetan, dass die Beklagten durch Streiks oder sonstige Arbeitsniederlegungen zukünftig das kirchliche Selbstbestimmungsrecht von Mitgliedern des Klägers verletzen werden. Die Beklagten haben weder rechtswidrig gehandelt noch ist solches künftig zu befürchten.

78

1. Der Anspruch des Arbeitgeberverbands auf Unterlassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen gegen seine Mitglieder setzt das Bestehen einer Wiederholungs- oder einer Erstbegehungsgefahr voraus.

79

a) Eine auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB,Art. 9 Abs. 3 GG gestützte Verurteilung der Beklagten kommt in Betracht, wenn diese bereits durch Arbeitskampfmaßnahmen eine geschützte Rechtsposition des Klägers verletzt haben und die Gefahr der Wiederholung, dh. die auf Tatsachen gegründete ernstliche Besorgnis weiterer Störungen, besteht. Der allgemeine Unterlassungsanspruch setzt - im Gegensatz zur vorbeugenden Unterlassungsklage - voraus, dass eine Rechtsverletzung bereits stattgefunden hat und eine Wiederholungsgefahr besteht. Ein zukunftsbezogener Unterlassungsantrag ist begründet, wenn das beanstandete Verhalten des Störers rechtswidrig in eine geschützte Rechtsposition des Berechtigten eingegriffen hat und dieses auch schon zum Zeitpunkt seiner Begehung rechtswidrig war (vgl. BGH 14. April 2011 - I ZR 50/09 - Rn. 13, MDR 2011, 1059). Dies folgt aus § 1004 Abs. 2 BGB, wonach der Abwehranspruch ausgeschlossen ist, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Die Rechtswidrigkeit bezieht sich dabei nicht auf die Handlung, die zur Beeinträchtigung führt, sondern auf den durch sie geschaffenen Störungszustand (Bamberger/Roth/Fritzsche BGB 3. Aufl. Bd. 2 § 1004 Rn. 53). Wiederholungsgefahr ist die objektive Gefahr der erneuten Begehung einer konkreten Verletzungshandlung. Die Wiederholungsgefahr beschränkt sich dabei nicht auf die identische Verletzungsform, sondern umfasst alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen (BGH 9. September 2004 - I ZR 93/02 - zu II 4 b der Gründe, GRUR 2005, 443).

80

b) Ein auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB,Art. 9 Abs. 3 GG gestützter Unterlassungsanspruch besteht auch, soweit ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Beklagten in naher Zukunft rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber Mitgliedern des Klägers durchführen. Der auf eine erstmalige Begehung gestützte vorbeugende Unterlassungsanspruch besteht, wenn ein rechtswidriger Eingriff in ein absolutes Recht oder ein sonst vom Recht geschütztes Gut oder Interesse unmittelbar drohend bevorsteht. Es muss zu befürchten sein, dass der Anspruchsgegner die zu unterlassende Handlung demnächst vornehmen wird. Die sie begründenden Umstände müssen die drohende Verletzungshandlung so konkret erkennen lassen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind (BGH 13. März 2008 - I ZR 151/05 - Rn. 17, NJW-RR 2009, 184). Eine Erstbegehungsgefahr kann auch begründen, wer sich des Rechts berühmt, bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen. Eine solche Berühmung kann unter Umständen auch in Erklärungen zu sehen sein, die im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben werden. Eine Rechtsverteidigung begründet eine Erstbegehungsgefahr nicht schon dann, wenn allein der eigene Rechtsstandpunkt vertreten wird, um sich die Möglichkeit eines entsprechenden Verhaltens für die Zukunft offenzuhalten, sondern erst dann, wenn den Erklärungen bei Würdigung der Einzelumstände des Falles auch die Bereitschaft zu entnehmen ist, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in dieser Weise zu verhalten (BGH 17. August 2011 - I ZR 57/09 - Rn. 44, BGHZ 191, 19). Anders als bei der Wiederholungsgefahr spricht für das Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr keine Vermutung, so dass derjenige, der sie geltend macht, alle Umstände darlegen und beweisen muss, aus denen sie sich im konkreten Fall ergeben soll (Teplitzky 10. Aufl. Kapitel 10 Rn. 8).

81

c) Bei der Wiederholungs- und der Erstbegehungsgefahr handelt es sich um materielle Anspruchsvoraussetzungen des Unterlassungsanspruchs (vgl. BGH 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - zu II 3 a der Gründe, NJW 2005, 594). Stützt sich der Kläger zur Begründung seines Unterlassungsbegehrens sowohl auf eine Wiederholungsgefahr wegen einer behaupteten Verletzungshandlung als auch auf eine Erstbegehungsgefahr wegen bestimmter Erklärungen der Beklagten, handelt es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände, da die einheitliche Rechtsfolge aus unterschiedlichen Lebenssachverhalten hergeleitet wird (vgl. BGH 23. Februar 2006 - I ZR 272/02 - Rn. 25, BGHZ 166, 253).

82

d) Die Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist ebenso wie die einer Erstbegehungsgefahr im Wesentlichen tatsächlicher Natur und in der Revisionsinstanz nur beschränkt darauf nachprüfbar, ob das Berufungsgericht von richtigen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist und keine wesentlichen Tatumstände außer Acht gelassen hat ( vgl. BGH 14. Oktober 1994 - V ZR 76/93 - zu II 4 b der Gründe, NJW 1995, 132).

83

2. Nach diesen Grundsätzen ist die gegen den Bundesverband gerichtete Unterlassungsklage abzuweisen. Es fehlt bereits an einer Wiederholungsgefahr. Der Bundesverband hat in der Vergangenheit weder selbst Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber Mitgliedern des Klägers durchgeführt noch sich an Streikmaßnahmen des Landesverbands beteiligt. Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass solche Handlungen des Bundesverbands konkret zu befürchten sind. Darüber hinaus besteht auch keine Erstbegehungsgefahr. Allein die Möglichkeit, dass der Bundesverband rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen des Landesverbands als eigene fortführt, begründet nicht die Annahme einer solchen Gefahr.

84

3. Die gegen den Landesverband gerichteten Globalanträge bleiben schon deshalb ohne Erfolg, weil es sowohl an einer Wiederholungs- wie auch Erstbegehungsgefahr in Bezug auf in Schleswig-Holstein gelegenen Mitgliedseinrichtungen des Klägers fehlt. Der Organisationsbereich des Landesverbands ist auf das Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg beschränkt. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 der Satzung des Landesverbands vom 11. Februar 1976 idF vom 3. April 2006. Danach organisiert dieser die in Hamburg tätigen und dort angestellten Ärzte. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Landesverband Arbeitskämpfe in Einrichtungen außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs durchgeführt hat oder solche Maßnahmen unmittelbar bevorstehen.

85

4. Die Voraussetzungen eines deliktischen Unterlassungsanspruchs gegenüber dem beklagten Landesverband liegen auch deshalb nicht vor, weil der Kläger bisher nicht in einer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechtsposition beeinträchtigt worden ist. Der Senat hat aufgrund der sich aus der Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. August 2009 (- 5 Ga 3/09 - ArbuR 2009, 430) ergebenden Bindungswirkung davon auszugehen, dass der Landesverband den am 31. August 2009 von ihm organisierten Streik im Bethesda Allgemeinen Krankenhaus durchführen durfte. Insoweit fehlt es an einer Wiederholungsgefahr.

86

a) Die Rechtskraft eines früheren Urteils über denselben Streitgegenstand ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten. Aber auch dann, wenn eine im Vorprozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfrage lediglich Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits ist, hat das Revisionsgericht die sich aus der Rechtskraft der früheren Entscheidung ergebende Bindungswirkung auch ohne Rüge eines Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 9, NJW 2008, 1227).

87

b) Die Grundsätze über die Rechtskraft und die Bindungswirkung von Unterlassungsurteilen (§ 322 Abs. 1 ZPO) gelten auch in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

88

aa) Bei den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt es sich um Erkenntnisverfahren. Auf diese finden die Vorschriften des Ersten und Zweiten Buchs der ZPO Anwendung. Diese werden lediglich verdrängt, soweit die Bestimmungen in §§ 916 ff. ZPO über den Arrest und die einstweilige Verfügung Sonderregelungen enthalten. Danach gilt der in § 322 Abs. 1 ZPO für das Erkenntnisverfahren normierte Grundsatz der materiellen Rechtskraft auch für das einstweilige Verfügungsverfahren. Die §§ 927, 936 ZPO stehen einer solchen Sichtweise nicht entgegen(Stürner ZZP 2012, 3, 14). Die Vorschriften regeln nur die besonderen Voraussetzungen für die Aufhebung des Arrestes und der einstweiligen Verfügung und ergänzen funktional die Bestimmungen über die Abänderung (§ 323 ZPO) sowie die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO). Diese setzen aber gerade die Bestandskraft der zuvor erwirkten Entscheidungen in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes voraus. Für die materielle Rechtskraft von einstweiligen Verfügungen spricht auch die sich aus § 929 Abs. 1 ZPO ergebende Verweisung auf die Titelumschreibung(§ 727 ZPO) und die damit verbundene Rechtskraftregelung in § 325 ZPO(Baur FS Schiedermair S. 19, 25 f.). Entscheidungen in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind daher einer - allerdings durch den Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit durch das Gericht (§ 927 ZPO) beschränkten - Rechtskraft fähig (BGH 9. Dezember 2004 - III ZR 200/04 - zu I 6 der Gründe, BGHZ 161, 298). Dass auch eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene Entscheidung Bindungswirkung entfalten kann, ist anerkannt (vgl. BGH 31. Mai 2012 - I ZR 45/11 - Rn. 36, MDR 2012, 982; Baur Studien zum einstweiligen Rechtsschutz S. 80 f.; Stürner ZZP 2012, 3, 19).

89

bb) Rechtskräftige Urteile entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Danach besteht eine Bindungswirkung, wenn der Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zum Tatbestand der im neuen Prozess geltend gemachten Rechtsfolge gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 154 Rn. 8). Der rechtskräftig festgestellte Anspruch bildet nach materiellem Recht eine Voraussetzung für die Entscheidung über den Gegenstand des Zweitprozesses (MünchKomm ZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 50). Das Gericht hat die im ersten Prozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese eine Vorfrage darstellt. Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BGH 24. Juni 1993 - III ZR 43/92 - zu III 1 der Gründe, NJW 1993, 3204; 6. Oktober 1989 - V ZR 263/86 - zu II 2 b der Gründe, WM 1989, 1897).

90

cc) Bei einer Unterlassungsklage besteht die begehrte Rechtsfolge in dem Verbot einer bestimmten - als rechtswidrig angegriffenen - Verhaltensweise (Verletzungsform), die der Kläger in seinem Antrag abstrahierend beschreiben muss. Die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung wird durch den Klageantrag sowie die vom Antragsteller vorgetragene und vom Gericht dieser Entscheidung zugrunde gelegte Verletzungshandlung begrenzt. Diese stellt den Klagegrund dar, durch den der Streitgegenstand der Unterlassungsklage neben dem Klageziel bestimmt wird. In Rechtskraft erwächst der in die Zukunft gerichtete Verbotsausspruch nicht als solcher, sondern nur in seinem Bezug auf die vom Gericht festgestellte Verletzungshandlung (BGH 23. Februar 2006 - I ZR 272/02 - Rn. 29, BGHZ 166, 253). Bei einem Unterlassungsanspruch wird eine Entscheidung über dessen Bestehen oder Nichtbestehen zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung getroffen, auf die das Urteil ergeht (BGH 31. Mai 2012 - I ZR 45/11 - Rn. 36, MDR 2012, 982). Wird die Klage abgewiesen, steht damit zugleich die Berechtigung des Beklagten zu dem vom Antrag umfassten Handeln fest (BGH 14. Oktober 1964 - V ZR 249/62 - NJW 1965, 42).

91

c) Für den vom Kläger auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruch fehlt es an einer vorangegangenen Verletzungshandlung.

92

aa) Der Kläger hat sich als Zuwiderhandlung allein auf den vom Landesverband am 31. August 2009 im Bethesda Allgemeinen Krankenhaus durchgeführten Streik berufen. Das Arbeitsgericht hat den dagegen gerichteten Unterlassungsantrag abgewiesen. Seine Entscheidung ist in formelle Rechtskraft erwachsen. In seinen Gründen hat das Gericht den Unterlassungsanspruch aus Rechtsgründen verneint und sämtliche von den Verfügungsklägern gegen die Zulässigkeit des Arbeitskampfes angeführten Gründe gewürdigt. Zu diesen gehörte auch die Unzulässigkeit der angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen wegen des damit verbundenen Eingriffs in die durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte Rechtsposition des Krankenhausträgers. Das arbeitsgerichtliche Urteil ist nicht mit der fehlenden Glaubhaftmachung oder einem fehlenden Verfügungsgrund begründet. Bei dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt es sich nicht um eine solche, die als Regelungs- oder Sicherungsverfügung nur zu einer vorübergehenden Sicherung des von den Verfügungsklägern geltend gemachten Anspruchs führen sollte. Vielmehr war sie als Leistungsverfügung auf eine Untersagung des ab dem 31. August 2009 beabsichtigten Streiks und damit auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet.

93

bb) Mit der Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung steht als die aus dem vorgetragenen Sachverhalt sich für die Parteien ergebende Rechtsfolge bindend fest, dass der Landesverband am 31. August 2009 zur Durchführung des angekündigten Streiks berechtigt war. Dies steht einer erneuten Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit im vorliegenden Verfahren entgegen. Der Unterlassungsanspruch war im Vorprozess ausgeurteilter Streitgegenstand und nicht nur eine Vorfrage für den Entscheidungsausspruch, die nicht in Rechtskraft erwächst. Dies entspricht der Rechtslage bei Leistungsurteilen. So entfaltet die rechtskräftige Verurteilung zur Herausgabe Bindungswirkung in einem Folgeprozess, für den es als Vorfrage darauf ankommt, ob die zur Herausgabe verurteilte Partei die Herausgabe verweigern darf (BGH 31. Mai 2012 - I ZR 45/11 - Rn. 37, MDR 2012, 982). Die Berücksichtigung der vom Landesverband am 31. August 2009 durchgeführten Arbeitskampfmaßnahme als rechtswidrige Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts des betroffenen Krankenhausträgers scheidet danach aus.

94

cc) Die vorstehenden Grundsätze zur Tatbestandswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren stehen nicht im Widerspruch zu den Rechtssätzen in der Senatsentscheidung vom 10. Dezember 2002 (- 1 AZR 96/02 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 104, 155). In dieser hat der Senat das Verschulden der kampfführenden Gewerkschaft für einen rechtswidrigen Streik um einen Firmentarifvertrag bejaht, obwohl ein dagegen gerichteter Unterlassungsantrag des Unternehmens im einstweiligen Verfügungsverfahren rechtskräftig abgewiesen worden ist. Der Senat hat den von der Gewerkschaft geführten Arbeitskampf für rechtswidrig gehalten, weil diese die gegenüber dem bestreikten Unternehmen bestehende relative Friedenspflicht verletzt hatte. Dieser rechtliche Gesichtspunkt war nicht Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens. Die Verfügungsklägerin hatte ihr Unterlassungsbegehren nicht auf das Bestehen von einschlägigen tariflichen Regelungen gestützt. Auch die im einstweiligen Verfügungsverfahren angerufenen Gerichte sind auf die Friedenspflicht nicht eingegangen.

95

5. Für einen auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG gestützten(vorbeugenden) Unterlassungsanspruch fehlt es an einer Erstbegehungsgefahr. Anhaltspunkte, aus denen sich eine ernsthafte und greifbare Gefahr ergeben könnte, dass der Landesverband in Zukunft zu rechtswidrigen Arbeitskämpfen in Mitgliedseinrichtungen des Klägers aufrufen wird, sind weder ersichtlich noch von diesem vorgetragen. Ebenso hat sich der Kläger nicht auf verfahrensgegenständliche Ausführungen des Landesverbands bezogen, die das Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr nahelegen.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch     

        

        

        

    Schwitzer    

        

    Hann    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. November 2013 - 6 Sa 105/13 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012.

2

Die Beklagte ist Trägerin eines Zwei-Sparten-Theaters in F und D. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Bühnenverein, Bundesverband der Theater und Orchester.

3

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1982 als Beleuchter/Stellwerksbeleuchter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 27. April 1994 heißt es ua.:

        

㤠2

        

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften (BMT-G-O vom 10. Dezember 1990) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.

        

Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

        

…       

        

§ 4

        

Die Eingruppierung und die Vergütung richten sich nach der Vergütungsordnung zum BMT-G-O für den Bereich der VKA.

        

BMT-G-O L 4

Tätigkeit: Beleuchter

        

plus TBZ“

4

Am 28. Februar 1996 änderten die Parteien den Arbeitsvertrag hinsichtlich der Eingruppierung.

5

Ab 1996 schloss die Beklagte für die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des BAT-O und BMT-G-O fielen, Haustarifverträge, ua. den „Betriebs-Tarifvertrag entsprechend § 15c Abs. 2 BAT-O/§ 14c BMT-G-O ‚Besondere regelmäßige Arbeitszeit‘“ (BTV) ab, mit dem die wöchentliche Arbeitszeit zeitlich befristet auf 37 Stunden herabgesetzt wurde.

6

Am 18. Januar 2005 vereinbarte die Beklagte mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Haustarifvertrag (HTV), in dem es ua. heißt:

        

„…    

        

§ 1 Tarifanwendung

        

Die Tarifparteien vereinbaren die Anwendung des BAT-O/BMT-G-O einschließlich der sie ergänzenden, ändernden oder an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Der NV Bühne kommt für die Mitglieder der ver.di nicht zur Anwendung.

        

…       

        

§ 3 Besondere Regelungen zur Arbeitszeit / Blockfreizeit

        

1.    

Für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008 wird die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit der Beschäftigten … auf durchschnittlich 37 Stunden verkürzt. …

        

§ 6 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

        

1.    

Der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ist erstmals ab 1.8.2008 zulässig.

        

…       

        

§ 7 Vergütung

        

…       

        

3.    

Die linearen Tarifsteigerungen und strukturellen Angleichungen im BAT-O/BMT-G-O bleiben von diesem Tarifvertrag unberührt.

        

…       

        

§ 9 Inkrafttreten / Geltungsdauer

        

1.    

Dieser Tarifvertrag tritt am 1.8.2005 in Kraft. Er kann unter Einhaltung einer Frist von einem halben Jahr erstmals zum 31.7.2008 gekündigt werden.

        

2.    

Die §§ 3 und 7 treten automatisch zum 31.7.2008 ohne Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes außer Kraft.

        

…“    

7

Die Beklagte kündigte am 4. März 2008 den HTV zum 5. September 2008.

8

Im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 zahlte die Beklagte an den Kläger ein regelmäßiges monatliches Entgelt in Höhe von 2.474,80 Euro brutto. Der Betrag entspricht dem Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 6 Stufe 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA) im Kalenderjahr 2009.

9

Mit Schreiben vom 27. Mai 2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Tarifentgelterhöhungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 geltend, die die Beklagte zurückwies. Mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage (Arbeitsgericht Chemnitz - 10 Ca 41/11 -) machte er bezifferte Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 geltend und beantragte zuletzt,

        

„…    

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrech-nungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

4.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig, beginnend mit dem Monat Juni 2011, an den Kläger ein um 1,8 % und ab dem 1. August 2011 ein um weitere 0,5 % erhöhtes Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

…       

        

6.    

die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

7.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab 1. Juni 2011 für das Jahr 2011 ein um 0,25 % auf 1,50 %, für das Jahr 2012 ein um 0,25 % auf 1,75 % und für das Jahr 2013 ein um 0,25 % auf 2,00 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen.“

10

Das Arbeitsgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 als teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen heißt es:

        

„1.     

Die Klage ist nur teilweise zulässig.

                 

Die Klageanträge zu 3. und 6. sind wegen §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mangels Bestimmtheit unzulässig. Mit diesen Hauptanträgen begehrt der Kläger Zahlung von der Beklagte[n], ohne aber mit den Leistungsanträgen anzugeben, in welcher konkreten Höhe die geltend gemachten Forderungen bestehen sollen.

                 

Soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen verfolgt, sind diese ebenfalls unzulässig, da hier das nach § 256 Abs. 1 ZPO besondere Feststellungsinteresse nicht gegeben ist. …

        

2.    

Die Klage ist aber insgesamt unbegründet. …“

11

Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) ein und stellte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 anstelle der erstinstanzlich geltend gemachten Feststellungsanträge nunmehr bezifferte Zahlungsanträge. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 bereits die „Zurückweisung der Berufung einschließlich der Klageerweiterung“ beantragt hatte, nahm der Kläger dann die Berufung zurück. Die Beklagte widersprach der Berufungsrücknahme. Das Landesarbeitsgericht erließ daraufhin einen Beschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO.

12

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag verweise dynamisch auf die jeweiligen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Er habe deshalb für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 Anspruch auf Zahlung der Entgeltdifferenzen in Höhe der seit 2009 erfolgten Erhöhungen des Tabellenentgelts des TVöD/VKA.

13

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.056,06 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in näher bestimmtem Umfang und zeitlicher Staffelung zu zahlen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Antrag sei schon aufgrund der rechtskräftigen Abweisung der Ansprüche im Vorprozess oder jedenfalls anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Der Kläger habe den Zahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 bereits im Berufungsverfahren des Vorprozesses im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht. Die Berufungsrücknahme im Vorprozess erfasse die Klageerweiterung nicht. Sie habe ihre Zustimmung zur Rücknahme ausdrücklich verweigert. In der Sache finde der TVöD/VKA für das Arbeitsverhältnis nur noch statisch Anwendung. Der Arbeitsvertrag verweise auf den HTV. Aus § 7 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 HTV ergebe sich, dass nach dem 31. Juli 2008 keine Pflicht zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen mehr bestehe. Jedenfalls sei die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel als „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ zu verstehen. Die Ansprüche seien im Übrigen nicht rechtzeitig geltend gemacht worden.

15

Die Vorinstanzen haben der Klage - soweit für die Revision von Belang - stattgegeben. Mit der vom Senat beschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision ist unbegründet. Zwar durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht mit der von ihm gegebenen Begründung stattgeben (I.). Die Entscheidung stellt sich gleichwohl aus anderen Gründen als richtig dar (II.). Deshalb war die Revision gem. § 561 ZPO zurückzuweisen.

17

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts enthält § 2 des Arbeitsvertrags keine Bezugnahme auf den HTV.

18

1. Der HTV ist kein den TVöD/VKA „ergänzender, ändernder oder ersetzender“ Tarifvertrag iSv. § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags. Nach dem Wortlaut der Bezugnahmeregelung ist das Arbeitsverhältnis den Tarifbestimmungen des öffentlichen Dienstes „für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ unterstellt worden. Damit sollten nur die von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossenen (Verbands-)Tarifverträge in Bezug genommen werden. Dies können zwar auch firmenbezogene Sanierungstarifverträge sein. Sie müssen dann aber unter Beteiligung des Kommunalen Arbeitgeberverbands geschlossen worden sein. Nicht von der Bezugnahmeklausel erfasst sind hingegen Haustarifverträge eines privaten Arbeitgebers. Diese sind - jedenfalls arbeitgeberseitig - nicht von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossen worden (vgl. BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 15).

19

2. Eine Bezugnahme auf den HTV ergibt sich auch nicht aus § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags, wonach „[a]ußerdem … die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden sollen.

20

a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Der Begriff „außerdem“ bedeutet „daneben“, „des Weiteren“, „im Übrigen“, „zusätzlich“ (Duden Das Bedeutungswörterbuch 4. Aufl.). Aus der Wortwahl ergibt sich, dass mit dieser ergänzenden Bezugnahmeregelung Tarifverträge erfasst werden sollten, die „neben“ dem TVöD oder „zusätzlich“ zu diesem zur Anwendung kommen können. Dabei kann es sich nur um Tarifverträge handeln, deren inhaltliche Regelungsbereiche sich nicht mit denen des TVöD überschneiden. Andernfalls wären sie nicht „neben“ dem, sondern vielmehr „anstelle“ des TVöD anwendbar (sh. zur Auslegung einer nahezu identischen Klausel BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 17 mwN).

21

b) Dieses Verständnis wird durch die Bezugnahme auf die „sonstigen“ einschlägigen Tarifverträge bestätigt. Ein verständiger Vertragspartner des Arbeitgebers durfte diese Formulierung als inhaltliche Einschränkung der Verweisung, dh. dahingehend verstehen, dass es sich insoweit nur um solche Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von denen der Tarifverträge des TVöD/VKA unterscheiden und diese nicht „verdrängen“. Andernfalls käme der Regelung in § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags - was die Beklagte offenbar annimmt - die Funktion einer Tarifwechselklausel zu. Eine kleine dynamische Verweisung kann jedoch über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt (vgl. nur BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 45 mwN, BAGE 138, 269). Solche sind dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel im Entscheidungsfall nicht zu entnehmen (vgl. auch BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 18).

22

II. Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar.

23

1. Die Klage ist zulässig. Die geltend gemachten Ansprüche sind weder anderweitig rechtshängig noch steht die Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 ihrer Zulässigkeit entgegen.

24

a) Der in die Revision gelangte Streitgegenstand ist nicht anderweitig rechtshängig iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Zwar hat der Kläger in dem Berufungsverfahren vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) einen Zahlungsantrag für denselben Zeitraum (Januar 2011 bis Mai 2012) gestellt. Durch die Berufungsrücknahme im Vorprozess ist dessen Rechtshängigkeit jedoch insgesamt entfallen.

25

aa) Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 vor dem Landesarbeitsgericht, er „nehme die Berufung zurück“ bezieht sich auf das gesamte im Berufungsverfahren verfolgte Begehren. So haben auch sowohl die Parteien als auch das Landesarbeitsgericht die Erklärung verstanden. Dieses hat auf Antrag der Beklagten daraufhin einen Kostenbeschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO erlassen.

26

bb) Die Rücknahme der Berufung war auch wirksam. Der Zustimmung der Beklagten bedurfte es nicht.

27

(1) Gem. § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils ohne Zustimmung des Berufungsbeklagten zurücknehmen. Die Vorschrift stellt gegenüber § 269 ZPO eine Sonderregelung für die Rücknahme des Rechtsmittels dar(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann ZPO 74. Aufl. § 269 Rn. 1). Die Rücknahme der Klage im Berufungsverfahren bedarf demgegenüber grundsätzlich der Zustimmung des Beklagten. § 269 Abs. 1 ZPO gilt auch im Berufungsverfahren(zB Zöller/Heßler ZPO 31. Aufl. § 516 Rn. 1). Das Zustimmungserfordernis erfasst grundsätzlich auch die teilweise Klagerücknahme. Dies setzt aber voraus, dass sich diese auf einen abtrennbaren Teil des Klagebegehrens bezieht (MüKoZPO/Becker-Eberhard 5. Aufl. § 264 Rn. 23). Bei einer lediglich qualitativen Klagebeschränkung - zB einem Übergang von einem Leistungs- zu einem Feststellungsantrag - ist § 269 Abs. 1 ZPO unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um einen Fall des § 264 Nr. 2 ZPO handelt, nicht anzuwenden. Eine solche Beschränkung des Berufungsantrags bedarf daher nicht der Zustimmung des Prozessgegners (vgl. BAG 14. Dezember 2010 - 9 AZR 642/09 - Rn. 21).

28

(2) Danach findet § 269 Abs. 1 ZPO im Streitfall keine Anwendung. Der Kläger hat seine Klage in der Berufungsinstanz des Vorprozesses nicht etwa um einen selbständigen - abtrennbaren - Streitgegenstand erweitert. Er hat vielmehr lediglich teilweise einen unbezifferten in einen bezifferten und teilweise den ursprünglich gestellten Feststellungsantrag hinsichtlich der zwischenzeitlich fällig gewordenen Ansprüche in einen - bezifferten - Leistungsantrag umgestellt. Seine Erklärung der Berufungsrücknahme, die ersichtlich auf die Rücknahme des gesamten Berufungsbegehrens gerichtet war, ist entsprechend dahingehend zu verstehen, dass er seinen Antrag zunächst - soweit ein Übergang vom Feststellungs- zum Zahlungsantrag erfolgt war - wieder auf das Feststellungsbegehren beschränken und das Rechtsmittel sodann zurücknehmen wollte. Beides war ohne Zustimmung der Beklagten möglich. Die Frage, ob und ggf. in welchen Fällen eine in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung allein nach § 516 Abs. 1 ZPO ohne Zustimmung des Prozessgegners zurückgenommen werden kann, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

29

b) Der Zulässigkeit der Zahlungsklage steht auch nicht eine Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 entgegen. Die materielle Rechtskraft eines Urteils führt in einem späteren Rechtsstreit nur dann zur Unzulässigkeit der neuen Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 22). Das ist hier nicht der Fall. Gegenstand des rechtskräftig gewordenen - erstinstanzlichen - Urteils im Vorprozess war für den hier streitgegenständlichen Zeitraum eine Feststellung, während hier ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - aaO).

30

2. Die Klage ist begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Entgeltdifferenzansprüche zu.

31

a) Der Anspruch des Klägers auf die begehrten Tarifentgelterhöhungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 ergibt sich aus § 2 Satz 1 iVm. § 4 des Arbeitsvertrags. Die genannten Vertragsklauseln enthalten eine zeitdynamische Verweisung auf den TVöD/VKA in seiner jeweiligen Fassung.

32

aa) § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 27. April 1994 verweist auf den BMT-G-O vom 10. Dezember 1990 sowie ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge in der für den Bereich der VKA jeweils geltenden Fassung. Diese arbeitsvertragliche Verweisungsklausel ist eine zu dieser Zeit typische zeitdynamische Inbezugnahme des BMT-G-O in seiner jeweiligen Fassung (vgl. BAG 15. Juni 2011 - 4 AZR 563/09 - Rn. 29). Sie erfasst nach der Tarifsukzession auch den TVöD/VKA. Bei diesem handelt es sich um einen den BMT-G-O ersetzenden Tarifvertrag im Sinne der Klausel (vgl. ausführlich BAG 22. April 2009 - 4 ABR 14/08 - Rn. 21 ff., BAGE 130, 286).

33

bb) Die Bezugnahmeklausel ist keine Gleichstellungsabrede im Sinne der Senatsrechtsprechung. Die von der Rechtsprechung angenommenen Voraussetzungen liegen nicht vor (vgl. dazu zuletzt BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 21; 13. Mai 2015 - 4 AZR 244/14 - Rn. 20 mwN).

34

(1) Zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel am 27. April 1994 war die Beklagte nicht an den in Bezug genommenen BMT-G-O gebunden. Sie war zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Mitgliedsverbands der VKA.

35

(2) Der Abschluss des BTV vom 30. Juni 1996 führt entgegen der Auffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis.

36

(a) Der BTV hat, anders als der HTV, keine Gebundenheit der Beklagten an den BMT-G-O zur Folge. In § 1 des BTV wurde lediglich der Geltungsbereich entsprechend dem Geltungsbereich des BMT-G-O festgelegt. Dies stellt keinen Verweis auf die Inhaltsnormen des BMT-G-O dar. Tarifgebunden an den BMT-G-O war die Beklagte damit auch im Jahre 1996 nicht.

37

(b) Überdies wurde der BTV erst mehr als zwei Jahre nach der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel vereinbart. Selbst die von der Beklagten angeführte Arbeitsvertragsänderung vom Februar 1996 lag zeitlich vor dem Abschluss des BTV. Eine „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ - wie die Beklagte meint - gibt es nicht. Die Tarifgebundenheit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist für die Annahme einer Gleichstellungsabrede in einem „Altvertrag“ zwingende Voraussetzung.

38

b) Dem Anspruch des Klägers steht auch die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsanträge zu 3. (Hilfsantrag) und 4. durch das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 nicht entgegen.

39

aa) Für die Bestimmung des Rechtskraftumfangs eines klageabweisenden Urteils ist von maßgebender Bedeutung, ob es sich um ein bloßes Prozessurteil handelt, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist, oder um ein die Begründetheit verneinendes Sachurteil. Lediglich letzterem kann eine präjudizielle Wirkung hinsichtlich der materiellen Sachprüfung im nachfolgenden Verfahren zukommen (vgl. BGH 25. November 1966 - V ZR 30/64 - zu II a der Gründe, BGHZ 46, 281).

40

Der Umfang der materiellen Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen(BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 40, BAGE 152, 1). Erforderlichenfalls kann auch das wechselseitige Parteivorbringen ergänzend herangezogen werden (vgl. BGH 4. April 2014 - V ZR 275/12 - Rn. 29, BGHZ 200, 350). Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 29).

41

(1) Lassen die Urteilsgründe eines klageabweisenden Urteils die Zulässigkeit der Klage - verfahrensfehlerhaft - dahinstehen, ist es der uneingeschränkten materiellen Rechtskraft fähig, wenn aus dessen Tenor und Entscheidungsgründen ersichtlich ist, dass das Gericht ungeachtet seiner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage kein Prozessurteil erlassen, sondern eine Sachentscheidung getroffen hat (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 -). Dasselbe soll in den Fällen gelten, in denen das Gericht im Vorprozess ausnahmsweise eine Zulässigkeitsfrage dahinstehen lassen und eine Klage als „jedenfalls unbegründet“ abweisen darf (sh. dazu im Allgemeinen Zöller/Greger aaO Vor § 253 Rn. 10; zur Prüfung des Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO BAG 12. Februar 2003 - 10 AZR 299/02 - zu II 1 der Gründe mwN, BAGE 104, 324).

42

(2) Wird hingegen in einem Urteil die Zulässigkeit einer Klage ausdrücklich verneint und die Entscheidung tragend hierauf gestützt, sind die zusätzlichen Ausführungen zur Begründetheit als unverbindlich zu betrachten und so zu behandeln, als wären sie nicht vorhanden (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 14).

43

bb) Danach hat das Arbeitsgericht Chemnitz die damaligen Anträge zu 3. und 4. tragend als unzulässig abgewiesen. Die Ausführungen zur Begründetheit sind daher insoweit unverbindlich.

44

(1) Hinsichtlich des den Zeitraum Januar bis Mai 2011 betreffenden Antrags zu 3. hat das Arbeitsgericht im Vorprozess ausgeführt, dieser sei - neben dem Antrag zu 6. - „mangels Bestimmtheit unzulässig“. Diese Aussage hat es zwar im Folgesatz zunächst auf die Hauptanträge in den Anträgen zu 3. und 6. bezogen. Es hat jedoch sodann ausgeführt, die Klage sei - mangels besonderen Feststellungsinteresses - ebenfalls unzulässig, „soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen“ verfolge. Angesichts der namentlichen Nennung des Antrags zu 3. und der Verknüpfung „im Übrigen“ bezieht sich die Entscheidung über die Unzulässigkeit jedenfalls auch auf den im Antrag zu 3. - hilfsweise - enthaltenen Feststellungsantrag.

45

(2) Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Zulässigkeit der Feststellungsanträge beziehen sich überdies auch auf den Antrag zu 4., welcher den Zeitraum ab Juni 2011 betrifft. Hierfür spricht schon der Wortlaut der Urteilsbegründung.

46

(a) Das Arbeitsgericht beschränkt die Abweisung der Anträge als unzulässig nicht auf die Anträge zu 3. und 6. Vielmehr spricht es insoweit ohne jede Beschränkung von der „[Anspruchsverfolgung] im Wege von Feststellungsanträgen“. Unter diesen Wortlaut fällt auch der Antrag zu 4.

47

(b) Entgegen der Auffassung der Revision spricht auch der letzte Satz der Zulässigkeitsprüfung des Arbeitsgerichts nicht für, sondern vielmehr gegen eine Beschränkung der Ausführungen auf die in den Anträgen zu 3. und 6. enthaltenen Hilfsanträge. Dort führt das Arbeitsgericht aus, der Kläger müsse „in einem solchen Fall … dann fällige Ansprüche jeweils beziffern“. Dies trifft nicht nur auf die mit dem Antrag zu 3. geltend gemachten fälligen und bezifferbaren Ansprüche, sondern gleichermaßen auf die zukünftig („dann“) fällig werdenden Ansprüche zu, die mit dem Antrag zu 4. verfolgt wurden.

48

c) Der Anspruch ist nicht nach § 37 Abs. 1 TVöD/VKA verfallen.

49

aa) Der Kläger hat jedenfalls mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage eine dynamische Bezugnahme auf den TVöD/VKA und die daraus folgende Pflicht der Beklagten zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen behauptet und seine Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 konkret beziffert. Damit hat er nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA auch für die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Entgeltdifferenzen die Ausschlussfrist gewahrt.

50

bb) Die nachfolgende Rücknahme der Berufung in zweiter Instanz ändert daran nichts. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD/VKA enthält lediglich eine Obliegenheit zur schriftlichen Geltendmachung. Ist diese - wie vorliegend - im Zuge einer Klageerhebung erfolgt, hat die spätere Klagerücknahme oder Berufungsrücknahme nach Unterliegen in erster Instanz auf die Wirksamkeit der Geltendmachung keine Auswirkungen (BAG 20. April 2011 - 4 AZR 368/09 - Rn. 64).

51

d) Die vom Kläger zuletzt geltend gemachten Ansprüche stehen ihm auch der Höhe nach zu. Insoweit hat die Beklagte in der Revision keine Rügen erhoben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

52

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Eylert    

        

    Creutzfeldt    

        

    Rinck    

        

        

        

    Rupprecht    

        

    Schuldt    

                 

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden.

(2) Keinen Anspruch auf Krankengeld haben

1.
die nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a, 5, 6, 9, 10 oder 13 sowie die nach § 10 Versicherten; dies gilt nicht für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 Versicherten, wenn sie Anspruch auf Übergangsgeld haben, und für Versicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 13, sofern sie abhängig beschäftigt und nicht nach den §§ 8 und 8a des Vierten Buches geringfügig beschäftigt sind oder sofern sie hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und eine Wahlerklärung nach Nummer 2 abgegeben haben,
2.
hauptberuflich selbständig Erwerbstätige, es sei denn, das Mitglied erklärt gegenüber der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld umfassen soll (Wahlerklärung),
3.
Versicherte nach § 5 Absatz 1 Nummer 1, die bei Arbeitsunfähigkeit nicht mindestens sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts auf Grund des Entgeltfortzahlungsgesetzes, eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung oder anderer vertraglicher Zusagen oder auf Zahlung einer die Versicherungspflicht begründenden Sozialleistung haben, es sei denn, das Mitglied gibt eine Wahlerklärung ab, dass die Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld umfassen soll. Dies gilt nicht für Versicherte, die nach § 10 des Entgeltfortzahlungsgesetzes Anspruch auf Zahlung eines Zuschlages zum Arbeitsentgelt haben,
4.
Versicherte, die eine Rente aus einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe oder von anderen vergleichbaren Stellen beziehen, die ihrer Art nach den in § 50 Abs. 1 genannten Leistungen entspricht. Für Versicherte nach Satz 1 Nr. 4 gilt § 50 Abs. 2 entsprechend, soweit sie eine Leistung beziehen, die ihrer Art nach den in dieser Vorschrift aufgeführten Leistungen entspricht.
Für die Wahlerklärung nach Satz 1 Nummer 2 und 3 gilt § 53 Absatz 8 Satz 1 entsprechend. Für die nach Nummer 2 und 3 aufgeführten Versicherten bleibt § 53 Abs. 6 unberührt. Geht der Krankenkasse die Wahlerklärung nach Satz 1 Nummer 2 und 3 zum Zeitpunkt einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu, wirkt die Wahlerklärung erst zu dem Tag, der auf das Ende dieser Arbeitsunfähigkeit folgt.

(3) Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit richtet sich nach arbeitsrechtlichen Vorschriften.

(4) Versicherte haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Maßnahmen nach Satz 1 und die dazu erforderliche Verarbeitung personenbezogener Daten dürfen nur mit schriftlicher oder elektronischer Einwilligung und nach vorheriger schriftlicher oder elektronischer Information des Versicherten erfolgen. Die Einwilligung kann jederzeit schriftlich oder elektronisch widerrufen werden. Die Krankenkassen dürfen ihre Aufgaben nach Satz 1 an die in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen übertragen.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. August 2011 - 3 Sa 809/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Vergütung nicht - gesondert - bezahlter Arbeitsstunden.

2

Der Kläger war von Juni 1989 bis September 2011 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug im März 2009 12,28 Euro brutto. Unter dem 27. März 2009 trafen eine Vielzahl von Arbeitnehmern - darunter auch der Kläger - mit der Beklagten gleichlautende Vereinbarungen (fortan: Änderungsvereinbarung) folgenden Inhalts:

        

„Es wird hiermit ab dem 01.04.2009 folgendes vereinbart:

        

1.    

Der Stundenlohn erhöht sich um 3 %.

        

2.    

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich, von denen 35 Stunden wöchentlich vergütet werden. Für die Differenz zur bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden wird keine gesonderte Vergütung gezahlt. Überstunden, die über 40 Stunden wöchentlich hinausgehen, werden als solche weiterhin regulär vergütet. Die Verrechnung der Stunden wird monatsweise durchgeführt, die angeordneten Mehrarbeitsstunden müssen in jedem Fall in dem aktuellen Monat erbracht werden.

        

3.    

Die Anordnung zur monatlichen Arbeitszeit erfolgt für den Folgemonat immer am Monatsende.“

3

Entsprechend verfuhr die Beklagte in der Folgezeit.

4

Mit der am 28. Dezember 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger restliche Vergütung für die Monate April 2009 bis November 2010 in Höhe von 3.482,60 Euro brutto begehrt und geltend gemacht, das Verlangen nach unbezahlter Arbeit sei sittenwidrig. Zudem habe er binnen kürzester Frist ohne Gelegenheit zur Überlegung einer Modifizierung des Arbeitsvertrags zustimmen müssen. Ihm sei signalisiert worden, die Beklagte stecke in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ohne drastische Kostenreduzierungen drohe die Insolvenz. Auch sei angedeutet worden, die Maßnahme wäre zeitlich begrenzt und der Kläger müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn er der Kürzung nicht zustimme.

5

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.482,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2011 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Änderungsvereinbarung sei wirksam.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG, § 233 ZPO) zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

9

I. Die Beklagte hat den Vergütungsanspruch des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB. Auf eine gesonderte Vergütung der 36. bis 40. Arbeitsstunde in der Woche hat der Kläger keinen Anspruch, Ziff. 2 Satz 2 Änderungsvereinbarung. Diese Klausel ist wirksam.

10

1. Die Änderungsvereinbarung ist nicht aufgrund wirksamer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen, § 142 Abs. 1 iVm. § 123 Abs. 1 BGB. Unbeschadet der Frage, ob der Kläger die Anfechtung überhaupt binnen der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erklärt hat, fehlt es jedenfalls an einem Anfechtungsgrund.

11

Der Kläger hat keine ausreichend konkreten Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt, aus denen sich ergeben könnte, er sei zur Annahme der von der Beklagten angebotenen Änderungsvereinbarung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden.

12

2. Ziff. 2 Satz 2 Änderungsvereinbarung benachteiligt den Kläger nicht unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

13

a) Bei der Klausel, für die Differenz zwischen der bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden und einer solchen von 40 Wochenstunden werde keine gesonderte Vergütung gezahlt, handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klausel ist unstreitig von der Beklagten für eine Vielzahl von Änderungsvereinbarungen vorformuliert und den Arbeitnehmern einseitig gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, die Klausel sei zwischen den Parteien „ausgehandelt“ iSv. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegen nicht vor. Die Beklagte hat selbst nicht vorgebracht, dem Kläger die Möglichkeit der Einflussnahme auf die streitgegenständliche Klausel eingeräumt zu haben (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 25 f. mwN, AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10).

14

b) Einer über die Prüfung der - vom Kläger nicht in Frage gestellten - Transparenz hinausgehenden Inhaltskontrolle unterliegt die Klausel in Ziff. 2 der Änderungsvereinbarung nicht, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.

15

aa) Nach dieser Vorschrift unterfallen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten Inhaltskontrolle nur dann, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Dazu gehören Klauseln, die (nur) den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistung festlegen, nicht. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über die §§ 305 ff. BGB den „gerechten Preis“ zu ermitteln (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 331/11 - Rn. 25 mwN, NZA 2012, 908).

16

bb) Eine Klausel, nach der eine gesonderte Vergütung für die 36. bis 40. Arbeitsstunde pro Woche ausgeschlossen wird, betrifft allein die (Mit-)Vergütung dieser Arbeitsleistung und ist damit eine Hauptleistungsabrede. Sie regelt die Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung und unterliegt als Bestimmung des Preis-/Leistungs-Verhältnisses vorbehaltlich verbindlicher Mindestentgelte bis zur Grenze der Gesetz- und Sittenwidrigkeit der Parteivereinbarung.

17

3. Die Änderungsvereinbarung ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, § 138 BGB. Ein (zusätzlicher) Vergütungsanspruch des Klägers aus § 612 Abs. 1 BGB scheidet damit aus.

18

a) Der objektive Tatbestand sowohl des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) als auch des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB)setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Das ist vorliegend nicht der Fall.

19

aa) Ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Höhe ihrer Vergütung vorliegt, bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind regelmäßig die Tarifentgelte des jeweiligen Wirtschaftszweigs oder - wenn die verkehrsübliche Vergütung geringer ist - das allgemeine Entgeltniveau im Wirtschaftsgebiet. Das Missverhältnis ist auffällig, wenn es einem Kundigen, ggf. nach Aufklärung des Sachverhalts, ohne Weiteres ins Auge springt. Dafür hat das Bundesarbeitsgericht - in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH 22. April 1997 - 1 StR 701/96 - BGHSt 43, 53) - einen Richtwert entwickelt. Erreicht die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts, liegt eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht hinnehmbare Abweichung vor, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedarf (BAG 18. April 2012 - 5 AZR 630/10 - Rn. 11, EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6; 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 17, BAGE 130, 338, jeweils mwN).

20

bb) Ein auffälliges Missverhältnis folgt nicht bereits daraus, dass einzelne Arbeitsstunden - scheinbar - unentgeltlich zu erbringen sind. Ob der Wert der Arbeitsleistung in einem auffälligen Missverhältnis zur versprochenen Vergütung steht, kann nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vom Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung und des vom Arbeitgeber dafür zu zahlenden Entgelts beurteilt werden (siehe zum Erfordernis der Gesamtbetrachtung auch BAG 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 20, BAGE 130, 338). § 138 BGB soll verhindern, dass der Arbeitnehmer für seine Gesamtarbeitsleistung keine angemessene Vergütung erhält. Dabei ist die Vertragsgestaltung im Einzelnen unerheblich. Es kommt für die Sittenwidrigkeit nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer für jede erbrachte Arbeitsstunde ein gleichbleibendes Stundenentgelt, für einzelne Arbeitsstunden ein besonders hohes, für andere aber ein niedriges Stundenentgelt erhält oder - wie bei der Pauschalvergütung von Überstunden (zu deren Voraussetzungen vgl. etwa BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 331/11 - NZA 2012, 908) - mit der vereinbarten Vergütung weitere Arbeitsstunden „abgegolten“ sind. Entscheidend für die Bestimmung eines auffälligen Missverhältnisses ist vielmehr der Vergleich zwischen dem objektiven Wert der Arbeitsleistung und der „faktischen“ Höhe der Vergütung, die sich aus dem Verhältnis von geschuldeter Arbeitszeit und versprochener Vergütung für eine bestimmte Abrechnungsperiode ergibt.

21

cc) Im Streitfall haben die Parteien die Abrechnungsperiode Kalendermonat gewählt. Maßgeblich ist damit das „faktische“ Stundenentgelt pro Monat. Dieses betrug im Streitzeitraum unter Berücksichtigung der in der Änderungsvereinbarung vorgesehenen Erhöhung des Stundenlohns um 3 % und bezogen nicht nur auf die „vergüteten“ 35, sondern auf die zu leistenden 40 Wochenstunden 11,07 Euro brutto. Dass er damit weniger als zwei Drittel der (tarif-)üblichen Vergütung erhalten hätte, hat der Kläger nicht behauptet. Legt man als Vergleichsmaßstab den ab 1. Mai 2010 geltenden Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die Polstermöbel- und Matratzenindustrie in Nordrhein-Westfalen zugrunde, hat der Kläger immer noch 81 % des Stundenlohns der höchsten Lohngruppe für gewerbliche Arbeitnehmer bezogen.

22

b) Fehlt es in objektiver Hinsicht an einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, kommt es nicht darauf an, ob die vom Kläger nur pauschal behaupteten, von der Beklagten bestrittenen Umstände bei Abschluss der Änderungsvereinbarung überhaupt die subjektiven Voraussetzungen des Lohnwuchers bzw. des wucherähnlichen Geschäfts (vgl. dazu BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 268/11 - Rn. 25 ff., EzA BGB 2002 § 138 Nr. 7; 27. Juni 2012 - 5 AZR 496/11 - Rn. 11 mwN) erfüllen könnten (zum Verhältnis der §§ 123, 138 BGB siehe etwa BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 11, NJW 2008, 982; MüKoBGB/Armbrüster 6. Aufl. § 138 BGB Rn. 6; Palandt/Ellenberger 72. Aufl. § 138 BGB Rn. 15, jeweils mwN).

23

c) Solange der Wert der Arbeitsleistung nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu dem für die Arbeit gezahlten Entgelt steht (zur Berücksichtigung der weiteren Entwicklung der Verhältnisse nach Vertragsschluss vgl. BAG 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 10, BAGE 130, 338), findet die Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Revision, schon die fehlende Befristung der Änderungsvereinbarung könne die Sittenwidrigkeit begründen, in § 138 BGB keine Stütze. Den Arbeitsvertragsparteien steht es grundsätzlich frei, eine verschlechternde Änderung der Vergütung zeitlich - etwa auf einen „Sanierungszeitraum“ - zu befristen oder unbefristet zu vereinbaren. Lässt sich der Arbeitnehmer auf eine unbefristete Vertragsänderung ein, muss er sich daran festhalten lassen, sofern er nicht durch widerrechtliche Drohung oder arglistige Täuschung dazu bestimmt wurde. Das Erfordernis dringender betrieblicher Erfordernisse besteht nur für die einseitige Entgeltsenkung durch Änderungskündigung (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), nicht jedoch für eine einvernehmliche Verschlechterung der Vergütungsregelung.

24

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    R. Rehwald    

        

    Bürger    

                 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. April 2015 - 7 Sa 1242/14 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten zur Rückforderung von Krankengeldzuschüssen und einer anteiligen Jahressonderzahlung.

2

Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt seit dem 1. Juli 1993 als Angestellte beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den Regelungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13. September 2005 im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). § 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD-AT sieht vor, dass Beschäftigte, die schuldlos durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert werden, bis zur Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung nach der in § 21 TVöD-AT geregelten Bemessungsgrundlage erhalten. Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-AT erhalten die Beschäftigten nach Ablauf dieses Zeitraums für die Zeit, für die ihnen Krankengeld oder entsprechende gesetzliche Leistungen gezahlt werden, einen Krankengeldzuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers und dem Nettoentgelt. Der Krankengeldzuschuss wird nach § 22 Abs. 3 Satz 1 TVöD-AT bei einer Beschäftigungszeit von mehr als drei Jahren längstens bis zum Ende der 39. Woche seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit gezahlt. § 22 Abs. 4 TVöD-AT regelt in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 den Anspruch auf Krankengeldzuschuss mit Wirkung ab dem 1. Juli 2008 weiterhin wie folgt:

        

„(4)   

1Entgelt im Krankheitsfall wird nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus gezahlt; § 8 EFZG bleibt unberührt. 2Krankengeldzuschuss wird zudem nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an Beschäftigte eine Rente oder eine vergleichbare Leistung auf Grund eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aus einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung oder aus einer sonstigen Versorgungseinrichtung erhalten, die nicht allein aus Mitteln der Beschäftigten finanziert ist. … 4Überzahlter Krankengeldzuschuss und sonstige Überzahlungen gelten als Vorschuss auf die in demselben Zeitraum zustehenden Leistungen nach Satz 2; die Ansprüche der Beschäftigten gehen insoweit auf den Arbeitgeber über. 5Der Arbeitgeber kann von der Rückforderung des Teils des überzahlten Betrags, der nicht durch die für den Zeitraum der Überzahlung zustehenden Bezüge im Sinne des Satzes 2 ausgeglichen worden ist, absehen, es sei denn, die/der Beschäftigte hat dem Arbeitgeber die Zustellung des Rentenbescheids schuldhaft verspätet mitgeteilt.“

3

Die Klägerin ist schwerbehindert (GdB 60). Sie war seit dem 14. April 2010 wegen Krankheit arbeitsunfähig. Für die Zeit bis zum 22. Oktober 2010 erhielt sie Krankengeldzuschuss und eine anteilige Jahressonderzahlung iHv. insgesamt 2.882,51 Euro. Die Jahressonderzahlung ist in § 20 TVöD-AT geregelt. § 20 Abs. 4 TVöD-AT lautet in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 auszugsweise wie folgt:

        

„(4)   

1Der Anspruch nach den Absätzen 1 bis 3 vermindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben. 2Die Verminderung unterbleibt für Kalendermonate,

                 

…       

        
                 

2.    

in denen Beschäftigten Krankengeldzuschuss gezahlt wurde oder nur wegen der Höhe des zustehenden Krankengelds ein Krankengeldzuschuss nicht gezahlt worden ist.“

4

Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 20. Dezember 2010 wurde der Klägerin rückwirkend zum 1. Juli 2010 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt. Die Beklagte verlangte daraufhin auf der Grundlage des Forderungsübergangs nach § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 TVöD-AT von der Deutschen Rentenversicherung Bund die Erstattung der an die Klägerin als Krankengeldzuschuss und anteilige Jahressonderzahlung insgesamt geleisteten 2.882,51 Euro. Unter dem 1. März 2011 teilte die Rentenversicherung der Beklagten mit, dass für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2010 zwar eine Rentennachzahlung iHv. 2.981,34 Euro zu erfüllen sei. Wegen des vorrangigen Anspruchs der Krankenversicherung könnten jedoch nur 160,29 Euro erstattet werden. Die für die Zusatzversorgung zuständigen Rheinischen Versorgungskassen erklärten mit Schreiben vom 6. April 2011, es liege kein Erstattungsgrund vor.

5

Am 17. Mai 2011 informierte die Beklagte die Klägerin mit einer E-Mail darüber, dass ihr wegen der Rentenbewilligung der seit dem 1. Juli 2010 bezogene Krankengeldzuschuss sowie die anteilige Jahressonderzahlung nicht zugestanden hätten. Da die Überzahlung 2.882,51 Euro betrage und durch die Rentenversicherung nur 160,29 Euro erstattet worden seien, belaufe sich der Rückforderungsanspruch auf 2.722,22 Euro. Hierauf Bezug nehmend verlangte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Juni 2011 nochmals erfolglos die Zahlung dieser Summe. Mit Schreiben vom 5. Juni 2012 erneuerte sie ihre Forderung und erklärte die Aufrechnung mit den Entgeltansprüchen der Klägerin. Durch Schreiben ihrer Gewerkschaft vom 14. Juni 2012 lehnte die Klägerin eine Zahlungsverpflichtung dem Grunde nach ab. Ab Juli 2012 behielt die Beklagte in Vollzug der erklärten Aufrechnung monatlich 100,00 Euro von dem Nettoentgelt der Klägerin ein.

6

Mit ihrer am 22. Mai 2014 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Rückzahlung der bezogen auf die Zeit von Juli 2012 bis einschließlich April 2014 insgesamt einbehaltenen 2.200,00 Euro netto verlangt. Nach ihrer Ansicht steht der Beklagten kein Rückforderungsanspruch zu. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei keine Rente iSd. § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT. Dieser erfasse entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch nur Altersrenten oder vergleichbare Versorgungen. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung werde dagegen bewilligt, weil aufgrund des Gesundheitszustandes nicht die volle Arbeitsleistung erbracht werden könne. Der teilweise Verlust der Erwerbsfähigkeit solle auf diese Weise ausgeglichen werden. Dies stehe nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.

7

Anderenfalls verstoße § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT gegen das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen. Wer die Voraussetzungen der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI erfülle, sei langzeitkrank und damit behindert iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden Richtlinie 2000/78/EG). § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT würde, falls eine Rente wegen Erwerbsminderung von ihm erfasst würde, in unzulässiger Weise zwischen nicht behinderten arbeitsunfähigen Arbeitnehmern und behinderten arbeitsunfähigen Arbeitnehmern unterscheiden. Erkrankte Beschäftige, die nicht so erheblich erkrankt seien, dass eine Behinderung gegeben sei, würden in den Grenzen des § 22 Abs. 3 TVöD-AT einen Krankengeldzuschuss erhalten. Demgegenüber verliere ein arbeitsunfähiger Beschäftigter, der so erheblich erkrankt sei, dass er als Behinderter eine teilweise Erwerbsminderungsrente erhalte, allein aufgrund des Umstandes seiner Behinderung den weiteren Anspruch auf Krankengeldzuschuss. Für diese Differenzierung gebe es keinen Rechtfertigungsgrund. Die Leistungen dienten unterschiedlichen Zwecken. Der Anspruch auf die Rentenleistung dürfe den Krankengeldzuschuss nicht verringern. Dies werde durch folgende Kontrollüberlegung bestätigt: Nehme der Arbeitnehmer nach seiner Genesung seine Tätigkeit wieder auf, erhalte er weiterhin eine teilweise Erwerbsminderungsrente neben seinem Entgelt. Dabei handle es sich nicht um eine ungerechtfertigte Besserstellung, sondern um einen sozialen Ausgleich für die erlittenen Gesundheitsschäden und damit für die Behinderung.

8

Die Klägerin hat daher beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.200,00 Euro netto nebst Zinsen in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe aus monatlich jeweils 100,00 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit den Regelungen des § 22 Abs. 4 TVöD-AT begründet, welche die Rückforderung der genannten Beträge und damit auch die streitgegenständliche Aufrechnung zuließen. § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT erfasse schon seinem Wortlaut nach eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Dies entspreche auch Sinn und Zweck der Tarifnorm, welche die Leistung des Krankengeldzuschusses nur so lange gewähren wolle, bis ein anderes soziales Sicherungssystem, ua. die gesetzliche Rentenversicherung, den Einkommensverlust ausgleiche. Dabei würden Behinderte nicht benachteiligt.

10

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Ergänzend führt sie an, die Ansprüche auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gingen ohnehin auf die gesetzliche Krankenversicherung über, so dass tatsächlich keine Auszahlungen erfolgten. Gleichzeitig seien Betroffene der Rückforderung des nunmehr als Vorschuss geltenden Krankengeldzuschusses ausgesetzt. Ein Arbeitnehmer, der im gleichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten habe, behalte demgegenüber ungemindert den Krankengeldzuschuss und müsse Rückforderungen nicht fürchten.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen.

12

I. Die Klage ist unbegründet. Die streitgegenständlichen Lohnforderungen der Klägerin sind durch Aufrechnung gemäß § 389 BGB erloschen. Zum Zeitpunkt des jeweiligen monatlichen Einbehalts ab 1. Juli 2012 bestand eine Aufrechnungslage iSd. § 387 BGB. Den Lohnansprüchen der Klägerin standen die ihrem Gegenstand nach gleichartigen und höheren Ansprüche der Beklagten auf Rückzahlung des von Juli bis Oktober 2010 geleisteten Krankengeldzuschusses und der im November 2010 zur Auszahlung gekommenen anteiligen Jahressonderzahlung gegenüber. Dies folgt aus § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD-AT.

13

1. Wegen der zum 1. Juli 2010 rückwirkend bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gilt der für die Monate Juli bis einschließlich Oktober 2010 gemäß § 22 Abs. 2 und Abs. 3 TVöD-AT gezahlte Krankengeldzuschuss nach § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD-AT als Vorschuss auf die Rentenzahlung für diesen Zeitraum. Folglich ist die Klägerin zur Rückzahlung des Krankengeldzuschusses gemäß § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 TVöD-AT verpflichtet, soweit die Beklagte keine Erstattung durch die Rentenversicherung erhielt.

14

a) § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT erfasst auch eine Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI(Clausen in Burger TVöD/TV-L 3. Aufl. § 22 Rn. 97; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Juli 2009 § 22 Rn. 323; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand August 2015 E § 22 Rn. 109; Karb öAT 2015, 237; Fritz in Sponer/Steinherr TVöD Stand September 2013 § 22 Rn. 242).

15

aa) Dies ergibt sich aus seinem eindeutigen Wortlaut. Die Tarifregelung kennt keine Beschränkung auf bestimmte Arten gesetzlicher Renten. Dementsprechend ist auch die gesetzliche Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung erfasst (vgl. zu § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 7. Februar 2007 - 5 AZR 260/06 - Rn. 13; zustimmend Marschner EzTöD 100 § 22 Abs. 4 TVöD-AT Nr. 2).

16

bb) Dies entspricht dem Zweck des § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT und seinem tariflichen Zusammenhang.

17

(1) Die Norm will einen Doppelbezug von Krankengeldzuschuss und Rentenleistung für denselben Zeitraum ausschließen (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Januar 2016 § 22 Rn. 181; BecKOK TVöD/Guth Stand 1. Oktober 2012 TVöD-AT § 22 Rn. 33). Sie ist in Zusammenhang mit § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 TVöD-AT zu sehen. Mit der dort angeordneten Vorschussfiktion berücksichtigen die Tarifvertragsparteien, dass der Rentenversicherungsträger oft zu einem viele Monate zurückliegenden Zeitpunkt den Eintritt einer Erwerbsminderung anerkennt und erst von diesem Zeitpunkt an rückwirkend die Rentenversicherungsleistung erbringt. In einem solchen Fall soll der Krankengeldzuschuss dem Arbeitnehmer nicht neben dem Rentenanspruch verbleiben (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Juli 2009 § 22 Rn. 327; vgl. zu § 37 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 29. Juni 2000 - 6 AZR 50/99 - zu B II 1 b der Gründe; zu § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT: BAG 11. Oktober 2006 - 5 AZR 755/05 - Rn. 17; 30. September 1999 - 6 AZR 130/98 - zu 1 a der Gründe). Durch die Qualifizierung der überzahlten Krankengeldzuschüsse als Vorschüsse verlieren diese ihren ursprünglichen Entgeltcharakter (Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck aaO Rn. 182.18; zu § 37 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 25. Februar 1993 - 6 AZR 334/91 - zu II 1 der Gründe, BAGE 72, 290). Die Leistung des Krankengeldzuschusses wird rückabgewickelt (Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand August 2015 E § 22 Rn. 109). Dies ist nur wegen der rückwirkenden Rentenbewilligung erforderlich. Bei sofortiger Rentenbewilligung wäre keine Rückforderung veranlasst.

18

(2) Die Tarifvertragsparteien haben in den Sätzen 4 und 5 des § 22 Abs. 4 TVöD-AT die Rückforderung tariflich geregelt. Das gesetzliche Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) kommt damit nicht zur Anwendung (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Januar 2016 § 22 Rn. 182). Die Neuregelung knüpft insoweit an ihre Vorgänger an (vgl. zu § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 7. Februar 2007 - 5 AZR 260/06 - Rn. 14; zu § 37 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT vgl. BAG 25. Februar 1993 - 6 AZR 334/91 - zu II 1 der Gründe, BAGE 72, 290).

19

b) Mit § 22 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 Halbs. 1 TVöD-AT haben die Tarifvertragsparteien ihre Regelungskompetenz im Hinblick auf zwingende sozialrechtliche Vorgaben nicht überschritten. Das Bundessozialgericht hat zwar mit Urteil vom 29. Januar 2014 (- B 5 R 36/12 R - Rn. 23 f., BSGE 115, 110) entschieden, dass der in § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 TVöD-AT vorgesehene Forderungsübergang wegen eines Verstoßes gegen die zwingenden gesetzlichen Vorgaben für die Übertragbarkeit von Sozialleistungsansprüchen (§ 53 SGB I) unwirksam ist. Dies beschränkt sich jedoch auf den tariflich vorgesehenen Forderungsübergang und steht nicht im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des § 22 Abs. 4 TVöD-AT. Diese gestalten nur den Inhalt des Arbeitsverhältnisses, indem sie einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss schaffen und begrenzen. Dies entspricht der Kompetenz der Tarifvertragsparteien (§ 1 Abs. 1 TVG).

20

c) Der Ausschluss der Doppelzahlung von Krankengeldzuschuss und Rente nach § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT ist nicht wegen einer Diskriminierung behinderter Menschen nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

21

aa) Nach § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG dürfen Beschäftigte ua. nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Darunter fallen auch tarifliche Regelungen (BAG 18. Februar 2016 - 6 AZR 700/14 - Rn. 27). Dies entspricht den Vorgaben des Unionsrechts (vgl. BAG 14. Mai 2013 - 1 AZR 44/12 - Rn. 25, BAGE 145, 113). Nach Art. 16 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG, deren Umsetzung die Regelungen des AGG dienen, finden die Diskriminierungsverbote der Richtlinie auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung (vgl. BAG 25. März 2015 - 5 AZR 458/13 - Rn. 41).

22

bb) § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT bewirkt keine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen einer Behinderung.

23

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt demnach vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Von § 3 Abs. 1 AGG wird auch eine sog. verdeckte unmittelbare Ungleichbehandlung erfasst. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft(vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 46 mwN, BAGE 147, 60).

24

(2) § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT knüpft nicht an das Merkmal der Behinderung an, sondern an den Erhalt ua. einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI. Es kann hier offenbleiben, ob die Erwerbsminderung in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer Behinderung iSd. § 1 AGG steht(vgl. BAG 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 42). Selbst wenn dies zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, führt § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT zu keiner unmittelbaren Benachteiligung wegen einer Behinderung.

25

(a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann(BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 57 f., BAGE 147, 60). Auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an. Voraussetzung ist nicht eine Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX(BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 25). Dieses Verständnis der Behinderung steht im Einklang mit der Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. Richtlinie 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union (BAG 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 42). Erfasst sind danach Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können (EuGH 18. Dezember 2014 - C-354/13 - [FOA] Rn. 53). Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. Richtlinie 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring ua.] Rn. 41 f., 47, 75; BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 59, BAGE 147, 60).

26

(b) Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Außerdem liegt volle Erwerbsminderung vor, wenn der Versicherte nach seinem Leistungsvermögen zwar noch zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, aber dafür der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist (sog. Arbeitsmarktrente gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB VI, vgl. BAG 17. März 2016 - 6 AZR 221/15 - Rn. 22; 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 32). Danach ist ein Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erfüllt, auch in der Teilhabe am Berufsleben längere Zeit eingeschränkt(BAG 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 42). Dies spricht für einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Erwerbsminderung und Behinderung, auch wenn § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nur auf die Fähigkeiten am Arbeitsmarkt abstellt(vgl. hierzu BVerfG 25. März 2015 - 1 BvR 2803/11 - Rn. 9).

27

(c) Zu Gunsten der Klägerin kann auch unterstellt werden, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von einer Behinderung auszugehen ist. Eine solche Rente erhalten Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, die aber unter diesen Bedingungen noch mehr als drei Stunden täglich erwerbstätig sein können (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

28

(d) Selbst bei Annahme eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen Erwerbsminderung und Behinderung liegt aber keine unmittelbare Benachteiligung Behinderter vor, da erwerbsgeminderte Beschäftigte nicht gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt werden.

29

(aa) § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG verlangt eine vergleichbare Situation. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG, die ebenfalls eine vergleichbare Situation voraussetzt, unverändert umgesetzt. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass eine unmittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn sich die betroffenen Personen in einer vergleichbaren Lage befinden. Die Situationen müssen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt sein, sondern muss spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen (EuGH 10. Mai 2011 - C-147/08 - [Römer] Rn. 41 f., Slg. 2011, I-3591). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist daher fallbezogen anhand des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen (BAG 17. November 2015 - 1 AZR 938/13 - Rn. 24 mwN).

30

(bb) Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass sich behinderte und nichtbehinderte Beschäftigte bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit anfangs in derselben Lage befinden. Sie erhalten zunächst nach § 22 Abs. 1 iVm. § 21 TVöD-AT Entgeltfortzahlung(vgl. hierzu BAG 20. Januar 2010 - 5 AZR 53/09 - Rn. 13 ff., BAGE 133, 101) und anschließend Krankengeld gemäß §§ 44 bis 51 SGB V. Hierzu leistet der Arbeitgeber gemäß § 22 Abs. 2 und Abs. 3 TVöD-AT einen Krankengeldzuschuss in der tariflich bestimmten Höhe. Sinn und Zweck des Krankengeldzuschusses liegen darin, die Lücke zwischen dem nach § 47 SGB V zu berechnenden Krankengeld und dem Nettoverdienst zu schließen(vgl. BAG 18. August 2004 - 5 AZR 518/03 - zu II 3 der Gründe). Der Krankengeldzuschuss ist fortgezahltes Arbeitsentgelt, das lediglich in seiner Höhe auf eine Differenzzahlung beschränkt ist (Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand Januar 2015 E § 22 Rn. 88).

31

(cc) Die Gruppe der Beschäftigten, die Krankengeldzuschuss beziehen, kann sich aufteilen in diejenigen, welche (rückwirkend) eine Rente wegen Erwerbsminderung erhalten, und diejenigen, bei denen dies nicht der Fall ist. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die vormals homogene Gruppe der wegen Krankheit Arbeitsunfähigen sich damit nicht mehr in einer vergleichbaren Situation befindet, weil die Rentenbezieher nun eine eigenständige finanzielle Unterstützung erhalten. Zudem unterfällt nur das Arbeitsverhältnis eines Erwerbsgeminderten den Regelungen des § 33 Abs. 2 und Abs. 3 TVöD-AT. Dadurch kommt es zu verschiedenen Konstellationen im Hinblick auf die soziale Sicherung durch Krankengeld, Krankengeldzuschuss, Erwerbsminderungsrente und ggf. Entgelt bei einer Weiterbeschäftigung.

32

(aaa) Bei Arbeitsunfähigkeit ohne Rentenbezug bestehen Ansprüche auf Krankengeld und Krankengeldzuschuss, wobei § 22 Abs. 3 TVöD-AT für diesen eine zeitliche Begrenzung vorsieht. Nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit entfällt der Anspruch auf Krankengeld und damit auch auf Krankengeldzuschuss (§ 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-AT).

33

(bbb) Bezieht der Beschäftigte bei Arbeitsunfähigkeit eine Rente, bedarf es zu seiner finanziellen Absicherung insoweit weder des Krankengeldes noch des Krankengeldzuschusses. Der Anspruch auf Krankengeld endet folglich nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V von Beginn der Leistung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung an bzw. wird nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V um den Zahlbetrag einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gekürzt. § 50 SGB V soll den Doppelbezug von Leistungen verhindern, die wie das Krankengeld den Ersatz von Arbeitsentgelt bezwecken(Eichenhofer/Wenner/SGB V/Just § 50 Rn. 1; Joussen in Becker/Kingreen SGB V 4. Aufl. § 50 Rn. 1).

34

Hinsichtlich des Krankengeldzuschusses gilt § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD-AT. Der damit bewirkte Ausschluss des Doppelbezugs von Rente und Krankengeldzuschuss entspricht sowohl dem Charakter des Krankengeldzuschusses, der die Aufrechterhaltung, aber nicht die Steigerung des Lebensstandards ermöglichen soll, wie auch der Zielsetzung der Erwerbsminderungsrente. Diese soll ebenfalls nur einen Lohnausgleich darstellen (BAG 17. März 2016 - 6 AZR 221/15 - Rn. 30; 22. Januar 2013 - 6 AZR 392/11 - Rn. 30; Kamprad in Hauck/Noftz SGB VI Stand Mai 2008 K § 43 Rn. 1). Dies verkennt die Klägerin, wenn sie davon ausgeht, die Erwerbsminderungsrente wolle erlittene Gesundheitsschäden und die Belastung einer Behinderung ausgleichen.

35

(ccc) Soweit die Klägerin darauf hinweist, ein Beschäftigter könne nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit weiterhin eine teilweise Erwerbsminderungsrente beziehen, spricht dies nicht dafür, dass ein Anspruch auf diese Rentenleistung den Krankengeldzuschuss nicht verringern darf. Eine Weiterbeschäftigung trotz teilweiser Erwerbsminderung ist zwar gemäß § 33 Abs. 3 TVöD-AT möglich(zu dessen Verfassungskonformität unter Berücksichtigung der Rechte Behinderter vgl. BAG 17. März 2016 - 6 AZR 221/15 - Rn. 16 ff.). Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird jedoch nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach § 96a SGB VI nicht überschritten wird(vgl. hierzu BAG 22. Januar 2013 - 6 AZR 392/11 - Rn. 28). Wird ein Beschäftigter im Rahmen der Weiterbeschäftigung wegen Krankheit arbeitsunfähig, hat er ggf. wiederum Anspruch auf Krankengeld und Krankengeldzuschuss (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Januar 2016 § 22 Rn. 185.3).

36

(ddd) Kommt keine Weiterbeschäftigung nach § 33 Abs. 3 TVöD-AT zustande, kann es gemäß § 33 Abs. 2 TVöD-AT zum Ruhen und bei voraussichtlich dauerhaftem Rentenbezug wegen Erwerbsminderung sogar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen(vgl. hierzu BAG 17. März 2016 - 6 AZR 221/15 - Rn. 41 ff.; 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 30; 23. Juli 2014 - 7 AZR 771/12 - Rn. 51 f., BAGE 148, 357).

37

(dd) Da sich die eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehenden Beschäftigten hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung nicht in einer mit den anderen Beschäftigten vergleichbaren Situation befinden, durften die Tarifvertragsparteien auch nur den Rentenbeziehern die Rückzahlung des Krankengeldzuschusses nach § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD-AT auferlegen. Die daraus folgende Belastung ist nicht zu verkennen. § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT setzt keine bestimmte Höhe der Rente voraus(Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand August 2015 E § 22 Rn. 109), so dass die Rückforderung des Krankengeldzuschusses die Rentennachzahlung übersteigen kann. Die Tarifvertragsparteien haben für diesen Fall jedoch durch § 22 Abs. 4 Satz 5 TVöD-AT die Möglichkeit des Verzichts des Arbeitgebers auf den entsprechenden Betrag eröffnet. Zudem durften sie im Rahmen der ihnen zustehenden Einschätzungsprärogative bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass die soziale Absicherung der Beschäftigten nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD-AT) primär und ausreichend durch sozialversicherungsrechtliche Leistungen erfolgt. Sie mussten nicht für alle Konstellationen das bisherige Nettoentgelt durch eine tarifliche Leistung wie den Krankengeldzuschuss sichern. Es ist daher ohne Belang, dass ein Beschäftigter trotz der ihm grundsätzlich zustehenden sozialrechtlichen Dispositionsbefugnis (vgl. hierzu BAG 17. März 2016 - 6 AZR 221/15 - Rn. 23; 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 34) von der Krankenkasse gemäß § 51 SGB V iVm. § 116 Abs. 2 SGB VI letztlich zur Beantragung der Rente angehalten werden kann(zur Einschränkung der Dispositionsbefugnis vgl.: BSG 26. Juni 2008 - B 13 R 37/07 R - Rn. 23, BSGE 101, 86; 26. Juni 2008 - B 13 R 141/07 R - Rn. 23 f.; BeckOK SozR/Kreikebohm/Kuszynski Stand 1. Dezember 2015 SGB VI § 116 Rn. 5a; KassKomm/Brandts Stand August 2012 § 51 SGB V Rn. 19).

38

(ee) Die von der Revision angeführte Unterlassung der Rentenauszahlung an den Beschäftigten wegen vorrangiger Ansprüche der Krankenkasse weist keinen Bezug zum diskriminierungsrechtlichen Benachteiligungsverbot auf. Die Krankenkasse kann bei nachträglicher Rentenbewilligung zwar gemäß § 103 Abs. 1 SGB X eine Erstattung des Krankengeldes von der Rentenversicherung verlangen(KassKomm/Kater Stand April 2015 § 103 SGB X Rn. 62 f. mwN). In dieser Höhe erfolgt keine Rentenauszahlung an den betroffenen Beschäftigten, denn dessen Rentenanspruch gilt insoweit als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X). Er hat die entsprechende Summe aber bereits erhalten, wenn auch als Krankengeld. Bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung darf den Rentenbetrag übersteigendes Krankengeld gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht zurückgefordert werden.

39

cc) Es liegt auch keine unzulässige mittelbare Diskriminierung iSd. § 3 Abs. 2 AGG vor. Das Verbot mittelbarer Diskriminierung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, so dass eine mittelbare Diskriminierung nur vorliegen kann, wenn die benachteiligten und die begünstigten Personen vergleichbar sind (BAG 6. Oktober 2011 - 6 AZN 815/11 - Rn. 10, BAGE 139, 226; 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 33, BAGE 137, 80; ErfK/Schlachter 16. Aufl. § 3 AGG Rn. 9; AR/Kappenhagen 7. Aufl. § 3 AGG Rn. 5 f.; HWK/Rupp 7. Aufl. § 3 AGG Rn. 6 f.). Dies ist hier aus den genannten Gründen nicht der Fall.

40

d) Mangels nachteiliger Ungleichbehandlung behinderter Menschen verstößt § 22 Abs. 4 Satz 2 TVöD-AT auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG(vgl. BVerfG 25. März 2015 - 1 BvR 2803/11 - Rn. 5; 19. Januar 1999 - 1 BvR 2161/94 - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 99, 341).

41

e) Demnach ist die Klägerin gemäß § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 iVm. Satz 2 TVöD-AT zur Rückzahlung des in den Monaten Juli bis einschließlich Oktober 2010 erhaltenen Krankengeldzuschusses verpflichtet. Sie erhielt ab dem 1. Juli 2010 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch wenn diese wegen vorrangiger Erstattungsansprüche der Krankenkasse tatsächlich nicht zur Auszahlung kam. Maßgeblich ist der Tag, der im Bescheid des Rentenversicherungsträgers als der des Rentenbeginns bezeichnet ist. Unbedeutend ist dabei, welches Datum der Rentenbescheid trägt, wann er dem Beschäftigten zugegangen ist und ob ihm die Rente tatsächlich ausgezahlt worden ist (vgl. BSG 29. Januar 2014 B 5 R 36/12 R - Rn. 22, BSGE 115, 110; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Januar 2016 § 22 Rn. 182.5; BecKOK TVöD/Guth Stand 1. Oktober 2012 TVöD-AT § 22 Rn. 33; zu § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 11. Oktober 2006 - 5 AZR 755/05 - Rn. 17).

42

2. Die Klägerin ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 TVöD-AT auch zur Rückzahlung der anteiligen Jahressonderzahlung verpflichtet.

43

a) Die in dieser Tarifnorm enthaltene Vorschussregelung bezieht sich nicht nur auf überzahlten Krankengeldzuschuss, sondern auch auf „sonstige Überzahlungen“. Damit sind tarifliche Nebenleistungen wie die Jahressonderzahlung gemeint, soweit die Überzahlung auf das Zusammentreffen mit den angeführten Versorgungsleistungen zurückzuführen ist (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Juli 2009 § 22 Rn. 328 und Stand März 2011 § 20 Rn. 162; zu § 37 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 29. Juni 2000 - 6 AZR 50/99 - zu B II 1 g der Gründe; zu § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT BAG 11. Oktober 2006 - 5 AZR 755/05 - Rn. 19). Dies kann bezüglich der Jahressonderzahlung wegen der gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 iVm. Satz 2 Nr. 2 TVöD-AT bestehenden Verknüpfung mit dem Krankengeldzuschuss der Fall sein.

44

b) Die Klägerin hatte zunächst für die Monate von Juli bis einschließlich Oktober 2010 gemäß § 22 Abs. 2 TVöD-AT einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss, welcher auch erfüllt wurde. Dementsprechend unterblieb eine Verminderung der Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 TVöD-AT. Wegen der rückwirkenden Rentenbewilligung gilt die Zahlung dieser anteiligen Jahressonderzahlung nach § 22 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 TVöD-AT nunmehr als Vorschuss, da die Jahressonderzahlung sich nach Wegfall der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 TVöD-AT gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TVöD-AT vermindert.

45

3. Der Rückforderungsbetrag von insgesamt 2.882,51 Euro steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Von dieser Summe hat die Beklagte die ebenfalls unstreitige Erstattung durch die Rentenversicherung von 160,29 Euro zum Abzug gebracht. Es verbleibt eine Forderung von 2.722,22 Euro. Mit dieser hat die Beklagte gegen die Entgeltansprüche der Klägerin von insgesamt 2.200,00 Euro netto im streitgegenständlichen Zeitraum zu Recht aufgerechnet. Ein Aufrechnungsverbot wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

46

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    M. Jostes    

        

    Sieberts    

                 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juni 2012 - 8 Sa 97/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über das Ausmaß der Absenkung einer tariflichen Sonderzahlung.

2

Der Kläger trat im Jahre 1990 in die Dienste der Beklagten, eines Automobilzulieferer-Unternehmens. Er ist bei ihr als Musterbauer beschäftigt. Sein monatliches Entgelt belief sich im maßgeblichen Zeitraum auf 2.678,50 Euro brutto.

3

Auf das Arbeitsverhältnis der beiderseits tarifgebundenen Parteien findet ua. der Einheitliche Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18. Dezember 2003 (ETV 13. ME) Anwendung. Nach § 2 Nr. 2.2 dieses Tarifvertrags steht dem Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 vH eines Monatsentgelts zu. In dem am 13. Dezember 2010 abgeschlossenen Standortsicherungstarifvertrag ist eine vorübergehende Absenkung dieses 13. Monatseinkommens für die Jahre 2010 bis 2014 vorgesehen. Der Tarifvertrag enthält, soweit von Belang, folgende Regelungen:

        

3.1   

Tarifliche Einmalzahlungen

        

3.1.1.

Die tariflichen Ansprüche auf

                 

die betriebliche Sonderzahlung gemäß § 2 des einheitlichen Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden im Jahr 2010 um 10 Prozent sowie im Jahr 2011 um 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.

        

3.1.2.

Die tariflichen Ansprüche auf

                 

die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 14 Nr. 1. des einheitlichen Manteltarifvertrages (EMTV) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden in den Jahren 2011 und 2012 um jeweils 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.

        

…       

        
        

3.2     

Kompensation der reduzierten tariflichen Einmalzahlungen durch zusätzliche Arbeitszeit

                 

Die Beschäftigten können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis zur Kompensation der Reduzierung der tariflichen Einmalzahlungen (betriebliche Sonderzahlung und zusätzliche Urlaubsvergütung) gemäß Ziffer 3.1 wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit leisten.

                 

…       

                 

Macht der Beschäftigte von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch, werden die tariflichen Einmalzahlungen gemäß Ziff. 3.1 über die angeführten Zeiträume hinaus bis zur Beendigung dieses Standortsicherungstarifvertrages weiterhin um jeweils 40 Prozent abgesenkt.

                 

…       

        

3.8     

AT-/ÜT-Beschäftigte, leitende Angestellte

                 

…       

                 

Die persönlichen Arbeitszeitkonten dieser Beschäftigten werden während der Laufzeit dieser Vereinbarung wie folgt mit Minusstunden belastet:

                          

2010   

15 Minusstunden

                          

2011   

40 Minusstunden

                          

2012   

40 Minusstunden

                          

2013   

40 Minusstunden

                          

2014   

20 Minusstunden.

                 

Soweit außertarifliche bzw. übertarifliche Beschäftigte Anspruch auf Zahlung eines Bonus haben, wird der Bonus um 40 % des individuellen regelmäßigen Bruttomonatsentgelts abgesenkt.

                 

Zur Kompensation der Reduzierung der Bonuszahlung können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit geleistet werden.

                 

...“   

4

Die Beklagte versteht die Regelungen des Standortsicherungstarifvertrags dahin, dass die tarifliche Sondervergütung im Jahr 2010 um 10 % bezogen auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), demnach also - um 10 Prozentpunkte - von 55 vH eines Monatsentgelts auf 45 vH eines Monatsentgelts gesenkt wird. Sie hat deshalb für das Jahr 2010 den auf dieser Grundlage zutreffend errechneten Betrag von 1.205,32 Euro an den Kläger ausgezahlt.

5

Der Kläger vertritt demgegenüber eine Kürzung der Sonderzahlung um einen Prozentsatz von 10 vH bezogen auf einen Grundwert von 55 vH des Monatseinkommens, folglich um 5,5 vH auf 49,5 vH eines Monatsentgelts und verlangt hiernach 1.325,86 Euro abzüglich der gezahlten 1.205,32 Euro.

6

Nach Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass die Tarifvertragsparteien ihrer Vereinbarung  das Verständnis zugrunde gelegt haben, das die Beklagte als maßgebend ansieht.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut der Regelungen im Standortsicherungstarifvertrag sei eindeutig. Angesichts der Grundsätze der Tarifauslegung sei der entgegenstehende Wille der Tarifvertragsparteien unbeachtlich.

8

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 1. März 2012 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung ihrer Auffassung hat sie sich auf den vom Tarifwortlaut abweichenden übereinstimmenden Regelungswillen der Tarifparteien berufen. Dieser finde hinreichenden Ausdruck in Ziff. 3.2 des Standortsicherungstarifvertrags, wonach die Absenkung der tariflichen Leistungen wertgleich durch unbezahlte Mehrarbeit kompensiert werden könne. Eine annähernd wertgleiche Kompensation werde allein auf der Grundlage des übereinstimmenden Regelungswillens erreicht.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden. Die Klage ist unbegründet.

12

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die verlangte Zahlung von 120,54 Euro brutto. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nämlich § 2 Nr. 2.2 des ETV 13. ME in Verbindung mit Ziff. 3.1.1 des Standortsicherungstarifvertrags lägen nur dann vor, wenn der Tarifvertrag eine Absenkung des 13. Monatseinkommens auf 49,5 % eines Monatseinkommens vorsähe. Die Absenkung beträgt jedoch 10 vH bezogen auf das Monatseinkommen als Grundwert, sodass sich der Zahlungsanspruch auf den bereits geleisteten Betrag beschränkt. Das ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Norm.

13

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 19. September 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BAGE 124, 110; 7. Juli 2004 - 4 AZR 433/03 - zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 111, 204; 8. September 1999 - 4 AZR 661/98 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 92, 259) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat (BAG 8. März 1995 - 10 AZR 27/95 - zu II 2 a der Gründe). Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 11. Juli 2012 - 10 AZR 488/11 - Rn. 13).

14

2. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass sich die im Standortsicherungstarifvertrag enthaltene Angabe der Prozentsätze 10 und 40, um die das 13. Monatseinkommen abgesenkt werden soll, auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), nicht aber auf das 13. Einkommen bezieht. Angegeben sind mit den im Tarifvertrag angeführten Zahlenwerten die Prozentpunkte. Diese zeigen die Differenz der Relationen zwischen ungekürzter und gekürzter betrieblicher Sonderzahlung auf (55 vH -  10 vH = 45 vH bzw. 55 vH -  40 vH = 15 vH), nicht die Relation der Differenz, also das Verhältnis zwischen der vollen und der abgesenkten betrieblichen Sonderzahlung.

15

a) Der Wortlaut der Tarifnorm ist allerdings mehrdeutig. Er scheint auf den ersten Blick in die dem Kläger günstige Richtung zu weisen, weil die Vorschrift anordnet, die Absenkung solle 10 bzw. 40 Prozent „des jeweiligen individuellen Anspruchs“ betragen. Mit dem „individuellen Anspruch“ wird die betriebliche Sonderzahlung angesprochen. Indes unterscheidet bereits die Umgangssprache nicht immer deutlich zwischen „Prozent“ und „Prozentpunkt“. Auch in der Rechtspraxis schwankt der Sprachgebrauch; so wird in Klageschriften gelegentlich der Ausdruck „Prozent“ im Sinne des vom Gesetzgeber (vgl. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) gewählten Ausdrucks „Prozentpunkt“ benutzt (vgl. BAG 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - zu VII 2 der Gründe, BAGE 109, 369). Der Wortlaut schließt damit eine Auslegung im Sinne des von der Beklagten für richtig gehaltenen Verständnisses nicht vollständig aus. Er ordnet nicht mit der vom Kläger in Anspruch genommenen Ausschließlichkeit an, eine andere Deutung komme unter keinen Umständen in Betracht.

16

b) Der Zusammenhang von Ziff. 3.1 des Standortsicherungstarifvertrags mit den weiteren Vorschriften macht deutlich, dass die Absenkung 10 bzw. 40 Prozentpunkte betragen soll. Ziff. 2 gibt den betroffenen Arbeitnehmern für die Zeit ab Juli 2012 die Möglichkeit, die Absenkung des 13. Monatseinkommens durch unentgeltliche Mehrarbeit zu kompensieren. Die Kompensation soll dabei „wertgleich“ erfolgen. Bei der Absenkung des Urlaubsgeldes und des 13. Monatseinkommens um jeweils 40 vH vom Monatsentgelt wird genau der Betrag erreicht, der dem Wert der zur Kompensation vorgesehenen wöchentlichen Mehrarbeit von 2,5 Stunden in einem Zeitraum von zwölf Monaten entspricht. Die Absenkung wird also im Falle der Leistung unbezahlter zusätzlicher Arbeit exakt kompensiert. Die Kompensation ist daher „wertgleich“, wie der Tarifvertrag verlangt. Die vom Kläger bevorzugte Auslegung würde dagegen zu einer deutlichen Überkompensation führen. Die Arbeitnehmer müssten zB bei einem Monatsgehalt von 2.000,00 Euro Arbeitsstunden im Wert von 1.600,00 Euro erbringen, um eine Kürzung von 1.016,00 Euro auszugleichen.

17

c) Bei derartiger Lage spricht die Tarifgeschichte für das hier gewonnene Ergebnis (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 10 AZR 1035/08 - Rn. 29). Maßgeblich ist insoweit die vom Landesarbeitsgericht festgestellte, ausdrücklich erklärte Absicht der Tarifvertragsparteien, die Regelung so zu treffen, wie sie von der Beklagten angewandt worden ist.

18

d) Die Einwände der Revision gegen dieses Auslegungsergebnis greifen nicht durch. Dass der Kläger in den Jahren 2010 und 2011 keine Kompensation der Absenkung durch unbezahlte Mehrarbeit erreichen konnte, ist im Tarifvertrag ausdrücklich so geregelt. Es ändert an den für die Auslegung entscheidenden Gesichtspunkten nichts. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien könnten bei identischem Wortlaut für die Jahre 2010 und 2011 eine andere Regelung als für die Jahre 2012 bis 2014 getroffen haben, liegt fern.

19

e) Die Ausführungen der Revision zum Zustandekommen des Standortsicherungstarifvertrags enthalten im Wesentlichen neuen Vortrag, der im Revisionsverfahren nicht berücksichtigungsfähig ist. Abgesehen davon sind die Ausführungen auch unbehelflich. Aus ihnen geht allenfalls hervor, dass eine geringere Absenkung im Gespräch war. Der Kläger räumt aber selbst ein, dass eine Vereinbarung auf dieser Grundlage nicht zustande gekommen ist und in einer gemeinsamen Information von Betriebsrat und Werksleitung vom 10. Dezember 2010 - also drei Tage vor Abschluss des Tarifvertrags - eine Absenkung des 13. Monatseinkommens ausdrücklich auf „45 % des regelmäßigen Entgelts“ angekündigt wurde.

20

II. Die Kosten der Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

        

    Mikosch    

        

    Mestwerdt    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Schürmann    

        

    R. Bicknase    

                 

(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.

(2) Tarifverträge bedürfen der Schriftform.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Kennt der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder erfährt er ihn später, so ist er von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre.

(2) Verstößt der Empfänger durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten, so ist er von dem Empfang der Leistung an in der gleichen Weise verpflichtet.

Tenor

1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. April 2016 - 3 Sa 310/15 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 34.929,60 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

I. Die Grundsatzbeschwerde (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) ist unbegründet.

3

1. Die von der Beschwerde unter C I 1 a, b, c, e, f, i, l, m, q und s aufgeworfenen Rechtsfragen haben bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie geklärt sind.

4

a) Eine Frage ist nur dann klärungsbedürftig, wenn sie entweder noch nicht höchstrichterlich entschieden ist oder zwar entschieden ist, aber gewichtige Gesichtspunkte gegen diese Entscheidung vorgebracht werden. Klärungsbedürftigkeit setzt damit voraus, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage zweifelhaft ist (BVerfG 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 - Rn. 19; BAG 13. Juni 2006 - 9 AZN 226/06 - Rn. 7, BAGE 118, 247).

5

b) Die Beantwortung der og., von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen ist nicht zweifelhaft.

6

aa) Die Rechtsfragen unter C I 1 a, b, i und s betreffen in unterschiedlicher Formulierung die Frage, welche Bedeutung die in § 3 Ziff. 2 TV SozSich normierte Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich nach der Kündigung beim Arbeitsamt arbeitsuchend und nach der Entlassung arbeitslos zu melden, für einen nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich geforderten Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe hat. Durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist geklärt, dass Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich bereits dann zusteht, wenn der Arbeitnehmer eine Beschäftigung von mehr als 21 Stunden ausübt, sofern kein Scheinarbeitsverhältnis vorliegt. Weitere Voraussetzungen für diesen Anspruch sind tariflich nicht normiert. Damit ist zugleich geklärt, dass der Arbeitnehmer, der eine anspruchsauslösende Beschäftigung ausübt, sich nicht noch zusätzlich arbeitsuchend bzw. arbeitslos melden muss, um den Anspruch auf die Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich zu erlangen. Dies ist zudem offenkundig.

7

(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Überbrückungsbeihilfe eine steuerfinanzierte soziale Sonderleistung. Mit ihr sollen Nachteile, die sich aus einem geringeren Arbeitsverdienst in einem neuen Arbeitsverhältnis außerhalb der Stationierungsstreitkräfte oder aufgrund von Arbeitslosigkeit ergeben, überbrückt werden. Zugleich soll ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass der Arbeitnehmer durch die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte im Arbeitsprozess verbleibt (zuletzt BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 15). Der Senat hat weiter wiederholt und noch in jüngster Vergangenheit entschieden, dass sich die Anreizwirkung des § 4 TV SozSich vor allem durch die Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich entfaltet. Diese hält den Arbeitnehmer dazu an, im tariflich festgelegten Mindestbeschäftigungsumfang von mehr als 21 Stunden zu arbeiten. Der Senat hat dabei klargestellt, dass sich die Tarifvertragsparteien bewusst für eine Begrenzung auf eine Mindestarbeitszeit, nicht aber für eine Mindesthöhe des anderweitigen Entgelts entschieden haben. Ihnen kam es offenkundig nicht darauf an, sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Einkommen erzielt, um so die Leistungen des Bundes zu mindern. Sie wollten lediglich erreichen, dass der Arbeitnehmer eine Erwerbstätigkeit in einem Umfang ausübte, mit dem er nicht mehr als arbeitslos galt, und sich so wieder in den Arbeitsmarkt eingliederte; zugleich wollten sie eine Abgrenzung von dem Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe als Aufstockung zu den Leistungen der Arbeitsverwaltung bei Arbeitslosigkeit gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich vornehmen. Der Senat hat außerdem ausdrücklich klargestellt, dass weitere Voraussetzungen für den Anspruch nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich nicht bestehen und die Tarifvertragsparteien zwar das Problem einer Begrenzung des Tarifanspruchs erkannt haben, sie gleichwohl aber die anspruchsauslösende anderweitige Beschäftigung nur an eine Mindestarbeitszeit, nicht aber an einen Mindestlohn geknüpft haben. Schließlich hat er deutlich gemacht, dass die Gerichte an diese von der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien geschützte Entscheidung gebunden sind (BAG 31. Juli 2014 - 6 AZR 993/12 - Rn. 21 f.; 22. Dezember 1994 - 6 AZR 337/94 - zu II 1 und 2 der Gründe).

8

(2) Entgegen der auf S. 39 und S. 43 f. der Beschwerdebegründung geäußerten Ansicht der Beklagten beziehen sich vorstehend zusammengefasste Aussagen des Senats nicht nur auf die „Qualität der anderweitigen Tätigkeit“, ohne andere Anspruchsvoraussetzungen zu klären. Sie enthalten vielmehr fallübergreifende und nach wie vor gültige Aussagen zum Bedeutungsgehalt der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich und zu den sich daraus ergebenden Anforderungen an eine Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte, die einen Anspruch des früheren Arbeitnehmers der Stationierungsstreitkräfte auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich auslöst.

9

(3) Durch diese Rechtsprechung ist geklärt, jedenfalls aber offenkundig, dass die den zu C I 1 a, b, i und s formulierten Fragen zugrunde liegende Annahme der Beklagten nicht zutrifft, aus § 3 Ziff. 2 TV SozSich lasse sich als weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich die Verpflichtung des Arbeitnehmers entnehmen, sich arbeitsuchend zu melden.

10

(a) Die Beklagte nimmt dabei bereits den Wortlaut des § 3 Ziff. 2 TV SozSich nicht zur Kenntnis. Danach hat sich der Arbeitnehmer nach der Kündigung arbeitsuchend, nach der Entlassung aber arbeitslos zu melden. Die von der Beklagten der tariflichen Regelung entnommene Verpflichtung, sich noch nach der Entlassung, dh. nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 15. Dezember 2016 - 6 AZR 478/15 -; 20. Mai 1999 - 6 AZR 601/97 - zu II 1 a der Gründe) „arbeitsuchend“ zu melden, besteht schon nach dem unzweideutigen Tarifwortlaut des § 3 Ziff. 2 TV SozSich nicht.

11

(b) Darüber hinaus ist durch die Rechtsprechung des Senats sowie des Bundessozialgerichts geklärt, dass ein Arbeitnehmer, der eine Beschäftigung im vom TV SozSich verlangten Mindestumfang von mehr als 21 Stunden ausübt, nicht arbeitslos ist und sich darum auch nicht mehr gemäß § 3 Ziff. 2 TV SozSich nach seiner Entlassung arbeitslos melden kann. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 1 SGB III nur dann, wenn er beschäftigungslos ist (Nr. 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Nr. 2), und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Nr. 3). Aus § 138 Abs. 1 Nr. 1 iVm. Abs. 3 Satz 1 SGB III folgt im Umkehrschluss, dass eine Erwerbstätigkeit von 15 Stunden wöchentlich und mehr die Beschäftigungslosigkeit ausschließt (BSG 3. Dezember 2009 - B 11 AL 28/08 R - Rn. 11 zur Vorgängerbestimmung § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF; vgl. auch BAG 31. Juli 2014 - 6 AZR 993/12 - Rn. 24). Ein Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis mit einer vereinbarten Arbeitszeit von mehr als 21 Stunden ist darum nicht arbeitslos.

12

(c) Vor diesem höchstrichterlich entschiedenen sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund ist geklärt, jedenfalls aber offenkundig, dass der Anspruch nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich nicht davon abhängt, dass der Arbeitnehmer sich gemäß § 3 Ziff. 2 TV SozSich nach der Kündigung arbeitsuchend und nach seiner Entlassung arbeitslos meldet. Daraus folgt zugleich, dass das von der Beschwerde auf S. 109 der Beschwerdebegründung aufgeworfene Gleichheitsproblem nicht besteht. Entgegen den Ausführungen auf S. 58 f. der Beschwerdebegründung folgt aus dem weit gefassten Zumutbarkeitsbegriff des § 2 Ziff. 3 Satz 2 TV SozSich iVm. § 1 Ziff. 3 ff. KSch TV und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt 17. März 2016 - 6 AZR 92/15 - Rn. 18 f.) nichts anderes. Diese Bestimmungen sollen so weit als möglich sicherstellen, dass Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz gerade nicht verlieren. Darum sollen sie eher weiter entfernt tätig werden müssen, als aus dem Arbeitsprozess ausscheiden (BAG 17. März 2016 - 6 AZR 92/15 - Rn. 19). Dagegen soll der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe den Besitzstand der Arbeitnehmer sichern, die gleichwohl ihren Arbeitsplatz verloren haben. Dieser unterschiedliche Bedeutungsgehalt ist offenkundig und bedarf daher keiner Klärung durch die Zulassung der Revision.

13

(d) § 3 Ziff. 2 TV SozSich hat damit nur Bedeutung für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich. Dies hat im Übrigen die Beklagte in der Ausgangsfassung ihrer Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zur Durchführung des TV SozSich als Anlage zum Schreiben des BMWF vom 31. August 1971 (- F/Z B 5 - P 2300 - 36/71 -) selbst so verstanden. Darin heißt es zu § 3 Ziff. 2:

        

„Die Meldung des entlassenen Arbeitnehmers beim Arbeitsamt und seine Verfügbarkeit zur Arbeitsvermittlung sind Voraussetzung zur Erlangung der Leistungen nach dem AFG; sie sind insoweit auch Voraussetzung eines Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe zu diesen Leistungen.

        

…“    

14

bb) Auch die von der Beschwerde unter C I 1 c, f, l und m aufgeworfenen Rechtsfragen, die in unterschiedlich formulierter Weise die Frage betreffen, wann das außerhalb der Stationierungsstreitkräfte begründete Arbeitsverhältnis rechtsmissbräuchlich gestaltet ist, so dass kein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich besteht, sind geklärt.

15

(1) Durch die in Rn. 7 dieses Beschlusses genannten Entscheidungen ist geklärt, dass sich die Anreizwirkung des § 4 TV SozSich vor allem durch den Mindestbeschäftigungsumfang entfaltet, der sich aus der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich ergibt. Die Beklagte mag diese Anreizwirkung für zu schwach ausgeprägt halten, sie übersieht jedoch bei ihren Ausführungen, insbesondere auf S. 17 bis S. 23 der Beschwerdebegründung, dass der Tarifvertrag weitere Anreize unzweideutig nicht schafft. Die Gleichwertigkeit zwischen dem neuen Arbeitsplatz und dem bei den Stationierungsstreitkräften weggefallenen Arbeitsplatz steht entgegen der von der Beschwerde auf S. 19 vertretenen Auffassung gerade nicht im Vordergrund. Die Tarifvertragsparteien haben lediglich einen Mindestbeschäftigungsumfang festgelegt, ohne ein bestimmtes Entgelt oder ein bestimmtes Beschäftigungsniveau zu verlangen. Sie wollten nicht sicherstellen, dass der Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Einkommen erzielt, um so die Leistungen des Bundes zu mindern (BAG 31. Juli 2014 - 6 AZR 993/12 - Rn. 22).

16

(2) Die von der Beschwerde auf S. 63 der Begründung zitierte Passage aus der Entscheidung des Senats vom 31. Juli 2014 (- 6 AZR 993/12 - Rn. 24) ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ihr lässt sich, anders als die Beschwerde annimmt, keineswegs entnehmen, dass der Vorgang der Wiedereingliederung „verschiedene Ausbaustufen“ haben kann und es verschiedenartige Tätigkeiten gebe, die das Ziel der Wiedereingliederung in unterschiedlichen Maßen verwirklichten. Die von der Beschwerde herangezogene Passage bezieht sich vielmehr unzweideutig nur auf die Frage, ob die Differenzierung zwischen Teilzeitbeschäftigten, die mehr oder weniger als 21 Stunden wöchentlich arbeiten, im Hinblick auf die seit Abschluss des TV SozSich im Jahre 1971 eingetretenen Änderungen im Sozialversicherungsrecht weiterhin gerechtfertigt ist. Wäre das vom Senat verneint worden, hätte dies nicht „verschiedene Ausbaustufen der Wiedereingliederung“, sondern unter Umständen die Unwirksamkeit der von der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich geforderten Mindestbeschäftigungsdauer zur Folge gehabt, so dass jede noch so geringfügige Beschäftigung den Anspruch nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich auslösen würde.

17

(3) Der Hinweis auf S. 20 der Beschwerdebegründung auf die „amtlichen Erläuterungen zum TV SozSich“ begründet ebenso wenig einen Klärungsbedarf wie der Hinweis auf das auf S. 40 f. der Beschwerdebegründung zitierte Bulletin sowie auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, auf das sich die Beschwerde ua. auf S. 41 und S. 56 der Beschwerdebegründung stützt. Einseitige Auslegungen der Beklagten als Tarifvertragspartei sind wie die Rundschreiben einer Tarifvertragspartei kein Hilfsmittel der Auslegung für tarifliche Normen, wenn ihr Inhalt in diesen wie vorliegend keinen Ausdruck findet (vgl. BAG 23. September 2010 - 6 AZR 338/09 - Rn. 18, BAGE 135, 318). Das gilt erst recht, wenn sich der Hinweis, auf den sich die Beschwerde auf S. 20 der Beschwerdebegründung im zweiten Absatz stützt, lediglich aus einem von der Beklagten erstellten Merkblatt ergibt. Der in diesem Merkblatt zum Ausdruck kommende, von den wirtschaftlichen Interessen der Beklagten getragene Wunsch hat im Tarifvertrag keinen Niederschlag gefunden.

18

(4) Bei ihren Ausführungen auf S. 21 bis S. 23 der Beschwerdebegründung, dass die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der Mindestbeschäftigungsdauer von den Gegebenheiten und Auffassungen der frühen 70er Jahre ausgegangen seien, übersieht die Beklagte, dass die Tarifvertragsparteien die von der Klägerin in Anspruch genommene Gestaltungsmöglichkeit auch schon im Jahr 1971 bei Abschluss des Tarifvertrags hätten unterbinden können, aber nicht unterbunden haben, sondern nur einen Mindestbeschäftigungsumfang von mehr als 21 Stunden verlangt haben.

19

(5) Die von der Beschwerde auf S. 47 der Begründung herangezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Juni 2006 (- 9 AZR 229/05 - BAGE 118, 252) betrifft die gänzlich andersgelagerte Frage der Anforderungen an eine stufenweise Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers in das Erwerbsleben nach § 28 SGB IX. Die Ausführungen aus der Entscheidung vom 13. Juni 2006 können für die Frage, ob eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt im Sinne des TV SozSich vorliegt, nicht herangezogen werden und deshalb einen Klärungsbedarf ebenfalls nicht begründen.

20

(6) Die Beschwerde übersieht bei ihrer auf die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der arbeitsrechtlichen Ausgestaltung der Arbeitsverträge, die von den Stationierungsstreitkräften entlassene Arbeitnehmer schließen, zielenden Argumentation, dass in der Ausnutzung rechtlich eröffneter Gestaltungsmöglichkeiten keine unzulässige Umgehung von Rechtsnormen liegt (BAG 27. November 2008 - 6 AZR 632/08 - Rn. 28 f., BAGE 128, 317). Arbeitnehmer, die Arbeitsverträge mit einer Beschäftigungsdauer von mehr als 21 Stunden schließen, nutzen - anders als ein zuvor arbeitsloser Arbeitnehmer, der im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit seiner Rentenberechtigung ein Arbeitsverhältnis begründet, um sich weiterhin den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zu sichern - lediglich tariflich eröffnete Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen von den Tarifvertragsparteien eingeräumt worden sind (vgl. zur nicht eröffneten Gestaltungsmöglichkeit bei Wegfall der Anspruchsgrundlage nach § 4 Ziff. 1 TV SozSich BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 14 f.). Ein Rechtsmissbrauch liegt darum entgegen der Ansicht der Beschwerdebegründung nicht bereits dann vor, wenn der Arbeitnehmer weniger Wochenstunden arbeitet als zuvor bei den Stationierungsstreitkräften oder der Arbeitnehmer unterhalb seines Qualifikationsniveaus bzw. seiner Berufserfahrung arbeitet. Insbesondere liegt eine Rechtsmissbräuchlichkeit nicht bereits dann vor, wenn der Arbeitnehmer „punktgenau“ die tarifliche Mindestbeschäftigungsdauer vereinbart.

21

cc) Die von der Beschwerde unter C I 1 e formulierte Frage zur Erreichung des Ziels der Eingliederung in den Arbeitsprozess iSv. § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich ist durch die Entscheidungen des Senats vom 31. Juli 2014 (- 6 AZR 993/12 - Rn. 22 f.) sowie vom 22. Dezember 1994 (- 6 AZR 337/94 -) aus vorstehend genannten Gründen geklärt.

22

dd) Auch die unter C I 1 q aufgeworfene Rechtsfrage zur Beweislast für ein rechtsmissbräuchliches Arbeitsverhältnis ist nicht klärungsbedürftig. Diese Beweislast richtet sich nach den allgemeinen Beweislastverteilungsgrundsätzen. Wer sich auf ein Scheingeschäft beruft, trägt dafür die Beweislast. Das gilt auch für die Behauptung, bei einem Arbeitsvertrag handele es sich um ein Scheingeschäft (BAG 18. September 2014 - 6 AZR 145/13 - Rn. 23). Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt, wer den Anspruch erhebt, ist derjenige, der sich auf einen Rechtsmissbrauch oder die Sittenwidrigkeit beruft, für das Vorliegen von Umständen, die eine solche Einschätzung rechtfertigen, darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 27. Juni 2012 - 5 AZR 496/11 - Rn. 13). Nichts anderes gilt für die Frage der Sittenwidrigkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit eines von einem ehemaligen Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte begründeten Arbeitsverhältnisses (BAG 22. Dezember 1994 - 6 AZR 337/94 - zu II 3 der Gründe).

23

c) Die Tatsache, dass die unter I 1 b dieses Beschlusses erörterten Rechtsfragen geklärt sind, wird dadurch bestätigt, dass die Erwägung der Beklagten zu der von ihr für richtig gehaltenen Auslegung des TV SozSich weit überwiegend dem tarifpolitischen Bereich oder anderen, mit dem TV SozSich nicht vergleichbaren Regelungen entnommen sind. Sie betreffen eine aus Sicht der Beklagten verfehlte Anreizwirkung, die den Arbeitnehmer, wie sie auf S. 48 der Beschwerdebegründung ausführt, „ermunterten“, sich auf ihre Kosten „auszuruhen“. Dass die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung außer von ihr noch von Gerichten oder im Schrifttum in Zweifel gezogen wird, legt sie dagegen nicht dar. Die Beklagte will lediglich ihre Interpretation vom Begriff der Überbrückungsbeihilfe, wie sie sie auf S. 66 ff. entwickelt, und den sich daraus ergebenden Anspruchsvoraussetzungen für eine solche Zahlung an die Stelle der tariflichen Ausgestaltung dieser steuerfinanzierten Sonderzahlung in ihrer Interpretation durch den Senat setzen. Ihr Ziel eines Tarifinhalts, der ihre wirtschaftlichen Interessen besser berücksichtigt, kann sie jedoch nicht durch den Einwand erreichen, der langjährige Bezug von Überbrückungsbeihilfe in Fällen wie denen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich, sondern nur durch Tarifvertragsverhandlungen. Darum stellt sich die auf S. 30 der Beschwerdebegründung im dritten Absatz angesprochene Frage nicht.

24

2. Die unter C I 1 d, o und p aufgeworfenen Fragen, die die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts auf S. 28 f., eher im Gegenteil sei davon auszugehen, dass das Verhalten der Beklagten widersprüchlich sei, betreffen, sind nicht entscheidungserheblich. Diese Überlegungen sind nicht tragend, sondern vom Landesarbeitsgericht lediglich ergänzend angestellt worden. Entgegen der auf S. 38 der Beschwerdebegründung geäußerten Auffassung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dadurch nicht die an die Klägerin zu stellenden Anforderungen relativiert. Auf die auf S. 51 f. der Begründung angesprochene Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Tätigwerden der Beklagten zu verlangen ist, kommt es darum nicht an.

25

3. Auch die unter C I 1 g, h, j und k sowie r formulierten Rechtsfragen sind nicht entscheidungserheblich. Die Rechtsfragen zu C I 1 g, h, j und k können zudem nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls beantwortet werden und sind bereits darum nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

26

a) Die unter C I 1 g und h formulierten Fragen sind nicht entscheidungserheblich. Das Landesarbeitsgericht hat es entgegen der auf S. 42 der Beschwerdebegründung dargelegten Annahme der Beklagten nicht für das Vorliegen der tariflich erforderlichen Stundenzahl bzw. arbeitsvertraglichen Leistungen ausreichen lassen, dass der Arbeitgeber vermute, dass derartige Leistungen erbracht werden. Das Landesarbeitsgericht hat lediglich nicht beanstandet, dass der Zeuge nicht minuziös angeben konnte, wie viele Stunden die Klägerin an welchen Tagen tatsächlich gearbeitet habe.

27

b) Den unter C I 1 j und k formulierten Rechtsfragen fehlt ebenfalls die Entscheidungserheblichkeit. Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der auf S. 45 der Beschwerdebegründung geäußerten Annahme der Beklagten nicht die Prüfung eines Rechtsmissbrauchs immer dann abgelehnt, wenn Rechtsmissbrauch nicht tatbestandlich erwähnt wird. Es ist auf S. 27 der anzufechtenden Entscheidung, anders als die Beklagte auf S. 46 der Beschwerdebegründung annimmt, auch nicht davon ausgegangen, es liege eine bewusste Regelungslücke vor. Aus der Gesamtschau der Ausführungen des Landesarbeitsgerichts auf S. 26 unten bis S. 28 oben ergibt sich vielmehr, dass es die Möglichkeit einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Überbrückungsbeihilfe nicht generell ausgeschlossen und auch keine diesbezügliche Regelungslücke im TV SozSich angenommen hat. Es hat lediglich einzelfallbezogen - und rechtlich zutreffend - ausgeführt, dass aufgrund der tarifvertraglichen Ausgestaltung des Anspruchs auf die Überbrückungsbeihilfe die von der Beklagten angeführten tatsächlichen Umstände, namentlich die „unterwertige“ Tätigkeit sowie die Nichtteilnahme an Lohnerhöhungen, eine Sittenwidrigkeit bzw. einen Rechtsmissbrauch nicht begründen könnten. Das zeigt der Schlusssatz auf S. 27 unten/S. 28 oben, wonach es „insgesamt“ nicht zu beanstanden sei, wenn ein Arbeitnehmer sich auf ein Teilzeitarbeitsverhältnis mit mehr als 21 Wochenarbeitsstunden einlasse, um die tarifvertraglichen Voraussetzungen für die Überbrückungsbeihilfe zu erfüllen, so dass der Klägerin „insoweit“ ein rechtlich erheblicher Vorwurf nicht gemacht werden könne.

28

c) Die unter C I 1 r formulierte Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich. Mit der Frage, ob ein sittenwidriges bzw. rechtsmissbräuchliches Arbeitsverhältnis zum vollkommenen Wegfall der Überbrückungsbeihilfe führt, hat sich das Landesarbeitsgericht, wie die Beschwerde auf S. 54 der Begründung erkennt, nicht befasst. Ausgehend von seinem Lösungsansatz musste es auf diese Rechtsfrage nicht eingehen. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit die aufgeworfene Frage gleichwohl entscheidungserheblich ist. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu dieser Frage keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, so dass das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung des Rechts nicht berührt ist und die Entscheidung insoweit auch deshalb keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (vgl. BVerfG 25. März 2010 - 1 BvR 882/09 - Rn. 19, BVerfGK 17, 196).

29

4. Unter C I 1 n zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, sondern bittet um eine Interpretation der Entscheidung des Senats vom 22. Dezember 1994 (- 6 AZR 337/94 -).

30

II. Auch die Divergenzbeschwerde (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG) ist unbegründet.

31

1. Die unter C II 1 a, 2 a und 3 a angenommene Divergenz zwischen der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und der Rechtsprechung des Senats hinsichtlich der Frage, ob weitere Anforderungen als die anderweitige Beschäftigung an den Anspruch auf die Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich zu stellen sind, liegt nicht vor.

32

a) Das Landesarbeitsgericht hat den von der Beschwerde auf S. 96 gebildeten und auf S. 99 modifizierten abstrakten Rechtssatz nicht aufgestellt. Die Beschwerde will aus den dort genannten Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ableiten, dass dieses den abstrakten Obersatz aufgestellt habe, dass alle übrigen Voraussetzungen des TV SozSich, insbesondere das in § 3 normierte Erfordernis der Arbeitsuchendmeldung, nicht mehr zu prüfen seien und allgemein anspruchseinschränkende Tatbestandsmerkmale für die Geltendmachung des tarifvertraglichen Anspruchs nicht möglich seien(S. 100 f. der Beschwerdebegründung). Ein derartiger Rechtssatz ist jedoch den zitierten Passagen des Landesarbeitsgerichts nicht zu entnehmen. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht auf S. 24 unten in der anzufechtenden Entscheidung ausgeführt, dass die Klägerin weitere tatbestandliche Voraussetzungen „nach Maßgabe der hier anzuwendenden Tarifnorm“ nicht habe einhalten müssen. Daraus folgt, dass sich das Landesarbeitsgericht mit den von der Beschwerde zitierten Passagen lediglich an die von ihm zuvor ausführlich im Wortlaut wiedergegebene Entscheidung des Senats vom 22. Dezember 1994 (- 6 AZR 337/94 -) hat anschließen wollen. Deshalb wären nähere Darlegungen der Beschwerde dazu erforderlich gewesen, dass das Landesarbeitsgericht mit der zitierten Passage nicht lediglich die von ihm in der angeführten Weise verstandene Rechtsprechung des Senats zusammenfassen, sondern einen eigenen, davon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufstellen wollte.

33

b) Darüber hinaus hat der Senat mit den auf S. 97 f. der Beschwerdebegründung zitierten Passagen keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, sondern im Tatbestand nur den Tarifwortlaut wiedergegeben sowie das Ergebnis der Entscheidung genannt.

34

2. Die von der Beschwerde unter C II 1 b, 2 b und 3 b angenommene Divergenz zwischen der anzufechtenden Entscheidung und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Frage des Rechtsmissbrauchs liegt ebenfalls nicht vor. Wie in Rn. 32 ausgeführt, hat das Landesarbeitsgericht den von der Beschwerde auf S. 97 der Begründung gebildeten Rechtssatz nicht aufgestellt, sondern lediglich einzelfallbezogen einen Rechtsmissbrauch verneint.

35

III. Es liegt auch keine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG).

36

1. Die unter C IV 1 a erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe die Klage zu Unrecht als schlüssig angesehen, obwohl die Klägerin nicht einmal behauptet habe, sich arbeitsuchend gemeldet zu haben, betrifft lediglich vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts. Soweit die Beschwerde auf S. 108 der Beschwerdebegründung rügt, das Landesarbeitsgericht habe insoweit keinen Hinweis erteilt, fehlt es am erforderlichen Vortrag, was die Beklagte bei Erteilung des vermissten Hinweises vorgetragen hätte (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - BAGE 114, 67), und damit an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.

37

2. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den Pflichten der Beklagten sind, wie in Rn. 24 ausgeführt, nicht tragend. Deshalb liegt in der vermeintlichen Verletzung der Hinweispflicht, die die Beschwerde unter C IV 1 b der Beschwerdebegründung rügt, keine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör. Zudem fehlt auch insoweit die Darlegung, was die Beklagte bei Erteilung des vermissten Hinweises konkret vorgetragen hätte. Die pauschalen Ausführungen unter C IV 2 b der Beschwerdebegründung sind nicht ausreichend.

38

3. Auch die unter C IV 1 c der Beschwerdebegründung gerügte Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör durch die Verletzung der richterlichen Fragepflicht durch das Landesarbeitsgericht liegt nicht vor. Wie ausgeführt, trifft bereits die Grundannahme der Beschwerde, das Landesarbeitsgericht habe es ausreichen lassen, dass der Arbeitgeber der Klägerin deren Anwesenheit nur vermutet habe, nicht zu. Zum anderen hat die Beklagte ihrer Pflicht, sich selbst Gehör zu verschaffen, nicht genügt und kann darum einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht geltend machen(BVerfG 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07 - Rn. 28, BVerfGK 17, 479; BAG 14. Dezember 2010 - 6 AZN 986/10 - Rn. 25). Die Beklagte behauptet nicht, dass sie die Fragen, die nach ihrer Auffassung das Landesarbeitsgericht an den Zeugen hätte richten müssen, nicht selbst hätte stellen können.

39

IV. Der unter C III der Beschwerdebegründung geltend gemachte absolute Revisionsgrund (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG, § 547 Nr. 1 ZPO) ist nicht ordnungsgemäß dargelegt. Es ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die ehrenamtlichen Richter der Spruchkammer nicht ordnungsgemäß zugeordnet worden sein sollen. Gemäß Ziff. II.3.a des der Beschwerdebegründung beiliegenden Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts vom 10. Dezember 2014 ergibt sich die Zuteilung der ehrenamtlichen Richter an die einzelnen Kammern „aus den anliegenden Listen“. Diese Listen waren jedoch weder der per Fax noch der per EGPV übermittelten Fassung der Beschwerdebegründung beigefügt. Eine Verletzung des gesetzlichen Richters ist nicht aufgezeigt.

40

V. Der Senat sieht nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG von einer weiteren Begründung ab.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    M. Jostes    

        

    Augat     

                 

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.

(3) (weggefallen)

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)