Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 12. Juli 2018 - 5 Sa 77/18

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2018:0712.5Sa77.18.00
bei uns veröffentlicht am12.07.2018

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 31. Januar 2018, Az. 2 Ca 1028/17, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin.

2

Die 1961 geborene Klägerin ist seit dem 15.01.2017 bei den US-Streitkräften in K. als Sachbearbeiterin zu einer Vergütung nach Gehaltsgruppe ZB6/1 beschäftigt. Die Klägerin gibt ihr durchschnittliches Bruttomonatsgehalt mit € 3.050,00 an. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der TVAL II Anwendung.

3

Am 09.06.2017 erhielt die Klägerin von ihrem Vorgesetzten, dem Betriebszentralleiter W., eine E-Mail zum Thema "Manpowerstudie", die er nicht nur an die Klägerin persönlich, sondern an eine Vielzahl weiterer Beschäftigter versandt hatte. Die Klägerin teilte ihrem Vorgesetzten noch am selben Tag in einem Telefongespräch mit, sie sei von diesem Thema nicht betroffen, weil ihre Stelle in der angehängten Liste nicht aufgeführt sei. Auf den Hinweis ihres Vorgesetzten, dass ihre Position sehr wohl im E-Mail-Anhang aufgelistet sei und sie sich als Sachbearbeiterin im Bereich Qualitätsmanagement ohnehin mit den Abläufen der Studie beschäftigen müsse, antwortete ihm die Klägerin: “Sie lügen”. Im Verlauf des Telefonats wiederholte die Klägerin später noch einmal den Vorwurf, dass ihr Vorgesetzter lüge.

4

Mit Schreiben vom 12.06.2017 entschuldigte sich die Klägerin bei ihrem Vorgesetzten für ihre Wortwahl, die nicht "ernst gemeint", aber sicherlich falsch gewesen sei. Am 29.06.2017 mahnte der Vorgesetzte die Klägerin wegen ungebührlichen Verhaltens schriftlich ab.

5

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

6

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 29.06.2017 aus ihrer Personalakte zu entfernen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 31.01.2018 Bezug genommen.

10

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat die Klage abgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, die Abmahnung enthalte keine unzutreffenden Tatsachenbehauptungen, zudem beruhe sie nicht auf einer unzutreffenden Bewertung des Verhaltens der Klägerin. Der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf, die Klägerin habe ihren Vorgesetzten beleidigt, weil sie im Telefonat vom 09.06.2017 zweimal geäußert habe, dass er lüge, sei zutreffend. Darauf, ob die Klägerin bei ihrer Äußerung vorsätzlich gehandelt oder beabsichtigt habe, ihren Vorgesetzten zu beleidigen, komme es nicht an. Das Maß der subjektiven Vorwerfbarkeit sei für die Berechtigung einer Abmahnung ohne Belang. Die Abmahnung sei auch nicht unverhältnismäßig, weil sich die Klägerin mit Schreiben vom 12.06.2017 entschuldigt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 31.01.2018 Bezug genommen.

11

Gegen das am 07.02.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 06.03.2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 04.04.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.

12

Die Klägerin macht geltend, eine Abmahnung wegen Beleidigung sei schon dann ungerechtfertigt, wenn der angeblich Beleidigte eine angemessene Entschuldigung erfahre. Damit sei die Beleidigung nach europäisch-christlicher Sitte aus der Welt geschafft. Die Entschuldigung, dh. die Bitte um Vergebung, dürfe, wenn sie ernsthaft, angemessen und ehrlich sei, nicht abgeschlagen werden. Dies gelte erst recht, wenn der Charakter der beanstandeten Äußerung als Beleidigung zweifelhaft sei. Dann enthalte eine Entschuldigung sogar ein nicht abzulehnendes Vergleichsangebot, in dem die Meinung des angeblich Beleidigten zum Beleidigungscharakter der Äußerung und zur Schuld, anerkannt werde. Beleidigung und Entschuldigung gehörten also unmittelbar zusammen. Die Entschuldigung sei regelmäßig nicht nur geeignet, die Missetat zu heilen, sondern sie verpflichte das Opfer die Kompensation anzunehmen und damit den sozialen Frieden wiederherzustellen. Dies gelte erst recht, wenn in der Entschuldigung zugleich zum Ausdruck komme, dass der Entschuldigende sich unterwerfe. Eine Abmahnung solle die Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten fördern. Wenn keine Verletzung dieser Pflichten vorliege, sei die Abmahnung selbst eine Vertragsverletzung, denn sie sei mehr als nur Kritik oder Unmutsäußerung oder falsche Beanstandung. Die Abmahnung sei eine echte Sanktion. Sie sei neben der Ermahnung und der mündlichen Abmahnung die stärkste Sanktion vor der Kündigung. Damit sei eine unnötige Abmahnung nicht nur eine Verletzung des Arbeitsvertrags für den ansonsten den Vertrag erfüllenden Arbeitnehmer, sondern auch eine Beleidigung, denn sie beinhalte den Vorwurf ungenügende Arbeitsleistung oder einer erheblichen Vertragsverletzung, die nachhaltig bekämpft werden müsse. Dies wiederum ähnle der Behandlung eines Kindes oder Geistesschwachen, der unfähig sei, eine Vertragsverletzung einzusehen und der nicht satisfaktionsfähig sei, dem man also keine Vergebung gewähren könne. Es sei der Vorwurf der Dummheit. Dementsprechend bedürfe es bei solchen Menschen einer Warnung. Die Warnfunktion sei auch wesentlicher Grund der Zulassung dieser herablassenden Behandlung von Erwachsenen. Wenn schon der beiläufig aus einem Anlass heraus vorgebrachte Ausspruch "Sie Lügner" eine Herabsetzung bedeute, dann bedeute aber auch die Verweigerung der Annahme einer Entschuldigung eine solche - mindestens gleichwertige - Ehrverletzung. Während bei dem Ausspruch "Sie Lügner" eine unbedachte fahrlässige Äußerung nicht ausgeschlossen werden könne, sei die Verweigerung der Vergebung blanker Vorsatz, nämlich eine vorsätzliche Herabwürdigung des sich Entschuldigenden. Zwar habe die Beklagte die Entschuldigung nicht ausdrücklich zurückgewiesen. Sie benutze sie aber durch ihre Anwälte als Geständnis und stütze damit die Abmahnung als Strafe. Das sei das Gegenteil der Annahme einer Entschuldigung. Es sei der vorsätzliche Missbrauch und die Ablehnung eine Entschuldigung, wie sie im christlich geprägten Mitteleuropa nicht nur unüblich, sondern als Beleidigung verpönt sei. Die Beklagte zeige sich unfähig, Arbeitnehmer als gleichberechtigte ehrenvolle Individuen zu erkennen, sie neige zum Züchtigen und zur Rache. Dazu komme ein der modernen Zivilgesellschaft fremder Unterwerfungsgedanke, der Respekt nur als Ergebnis von Furcht sehen wolle. Wer seinen Vorgesetzten nicht fürchte, halte auch seine Arbeitspflichten nicht ein. Das möge verschiedenen Orts ein zulässiger Gedanke in der Arbeitswelt sein, aber nicht in Deutschland. Hier werde auch ohne Peitsche gearbeitet und der unberechtigte Vorwurf schlechter Arbeit, sei eine Beleidigung. Jedenfalls erfülle die Entschuldigung den Sinn der Warnfunktion, nämlich Grenzen aufzuzeigen, die der Betroffene nicht erkannt habe oder erkennen wolle. Nur in dem Fall, in dem der Betroffene dies nicht erkennen wolle, liege Vorsatz vor, so dass eine Abmahnung trotz der Entschuldigung notwendig sein könnte. Im anderen Falle nicht. Sie habe die Grenzen erkannt, sogar die Empfindlichkeiten der Männer in ihrer Umgebung. Die Entschuldigung leiste damit alles, was die Abmahnung leisten solle: Rügen und Warnen. Sie kläre darüber hinaus den Streit um die Qualität der Äußerung. Wozu dann noch die Abmahnung? Vor allem, wenn das Arbeitsgericht selbst ausführe, die Abmahnung lasse die Prüfpflicht des Gerichts nicht entfallen. Deshalb seien die Ausführungen des Arbeitsgerichts, die Entschuldigung lasse die Warnfunktion unberührt, nicht vertretbar. Das Arbeitsgericht meine, dass es nach einer Entschuldigung andernfalls unmöglich wäre, im Wiederholungsfall zu kündigen. Das vertrage sich aber nicht mit seiner Ansicht, die Abmahnung lasse die Prüfungen nicht entfallen. Man könne also auch in der Kündigung darauf hinweisen, dass ein Wiederholungsfall vorliege und man könne sogar darauf plädieren, dass trotz der Entschuldigung - also der Vergebung durch das Opfer - erneut in gleicher Weise beleidigt worden sei, was deutlich schlimmer wiege. Das Arbeitsgericht habe sich also keine ausreichenden Gedanken um den Sinn und die Wirkung einer Entschuldigung gemacht. Damit entfalle schon eine ordnungsgemäße Prüfung der Geringfügigkeit. Hier gehe es nicht um die Schuldschwere als Merkmal der Geringfügigkeit. Hier gehe es um die Wirkung der Entschuldigung auf die Beleidigung selbst. Sie lösche sie nämlich aus. Es wäre zu begründen, welche Nachwirkungen dieses Vorfalls durch die Abmahnung noch bekämpft werden sollen. Abmahnen sei keine Willkür oder Machtausübung. Es sei ein Mittel, Vertragstreue wiederherzustellen und für die Zukunft zu bewehren. Hier hätten die Streitparteien aber selbst die Vertragstreue wiederhergestellt und auch für die Zukunft bewehrt. Zusammenfassend könne die mögliche böse Tat nicht ohne die nachfolgende Entschuldigung betrachtet werden. Diese mildere die Sache unter die Geringfügigkeitsgrenze ab, denn die Arbeitnehmerin unterwerfe sich damit dem missverstandenen Verständnis des Empfängers ihrer Äußerung. Sicher seien Entschuldigungen nicht die passende Wiedergutmachung in anderen Fällen, etwa bei der Zerstörung eines Baggers. Bei Beleidigung seien sie aber der typische Ausgleich, der in der Regel weitere Strafe verbiete und den Schaden behebe, sprich die Ehre wiederherstelle.

13

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

14

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 31.01.2018, Az. 2 Ca 1028/17, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 29.06.2017 aus ihrer Personalakte zu entfernen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

19

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden. Mit ihren Ausführungen zeigt die Berufung hinreichend deutlich auf, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann nicht verlangt werden (vgl. BAG 24.01.2017 - 3 AZR 372/15 - Rn. 22 mwN).

II.

20

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die gegen die Abmahnung vom 29.06.2017 gerichtete Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entfernung dieser Abmahnung aus ihrer Personalakte. Sie ist nicht zu Unrecht abgemahnt worden.

21

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der auch die Berufungskammer folgt, können Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (st. Rspr., zB BAG 20.01.2015 - 9 AZR 860/13 - Rn. 31; 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN).

22

2. Keine dieser Voraussetzungen ist im Streitfall erfüllt. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen. Die Berufungskammer folgt den sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts im Ergebnis und der Begründung. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Die Berufungsangriffe der Klägerin bleiben erfolglos.

23

Die Abmahnung vom 29.06.2017 enthält keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie in einem dienstlichen Telefongespräch am 09.06.2017 gegenüber ihrem Vorgesetzten zweimal geäußert hat: "Sie lügen". Der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf, die Klägerin habe ihren Vorgesetzten damit in seiner Ehre verletzt, enthält auch keine unzutreffende rechtliche Würdigung der Äußerungen der Klägerin. Die Bezeichnung als "Lügner" hat einen herabsetzenden Charakter. Als „Lügner“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch abwertend derjenige bezeichnet, der absichtlich Unwahres sagt, um andere zu täuschen. Die Behauptung der Klägerin, die Äußerung "Sie lügen" sei im Scherz erfolgt, sie habe keine Ehrkränkung ihres Vorgesetzten beabsichtigt, steht der Berechtigung der Abmahnung nicht entgegen. Für die Frage, ob eine Abmahnung zu Recht erfolgt ist, kommt es auf die subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers im Sinne eines Verschuldens nicht an. Entscheidend ist allein, ob der Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist (vgl. BAG 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 - Rn. 31 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 29.08.2012 - 8 AZR 126/12 - Rn. 39).

24

Die Abmahnung vom 29.06.2017 verletzt auch nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will. Eine Abmahnung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte, etwa weil dem Arbeitnehmer ein bewusster Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten fern LAG (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 16.11.2017 - 4 Sa 55/17 - Rn. 57 ff). Es war den US-Streitkräften daher vorliegend nicht verwehrt, mit Erteilung der Abmahnung deutlich zu machen, dass sie es nicht hinnehmen, wenn die Klägerin ihren Vorgesetzten in seiner Ehre verletzt.

25

Der Umstand, dass sich die Klägerin am 12.06.2017 bei ihrem Vorgesetzten entschuldigt hat, steht der Berechtigung der Abmahnung nicht entgegen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 29.08.2012 - 8 Sa 126/12 - Rn. 41). Die gegenteilige Ansicht der Klägerin beruht auf der unzutreffenden Annahme, ihr Vorgesetzter sei verpflichtet gewesen, ihre Entschuldigung anzunehmen; ihr Arbeitgeber hätte wegen der Entschuldigung keine Abmahnung mehr aussprechen mehr dürfen. Dem ist nicht so. Die Abmahnung soll dem Arbeitnehmer die Folgen seines vertragswidrigen Verhaltens aufzeigen und ihm deutlich machen, dass das Arbeitsverhältnis im Wiederholungsfall beendet werden kann. Diese Warnung ist nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - ungeachtet einer Entschuldigung - notwendig. Beruht eine Vertragspflichtverletzung - wie hier - auf steuerbarem Verhalten einer Arbeitnehmerin, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus (vgl. BAG 25.10.2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16 mwN). Daraus wird deutlich, dass die US-Streitkräfte ihre arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte ausüben können, obwohl sich die Klägerin bei ihrem Vorgesetzten entschuldigt hat. Das heißt nicht, dass die Entschuldigung - wenn die Abmahnung jemals kündigungsschutzrechtliche Bedeutung erlangen sollte - nicht zu Gunsten der Klägerin gewürdigt werden könnte.

III.

26

Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

27

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 5. Mai 2015 - 12 Sa 1154/14 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte Zinsen erst ab dem zweiten Tag des Folgemonats schuldet und die weiter gehende Berufung des Klägers gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 16. August 2011 - 14 Ca 10177/10 - zurückgewiesen wird.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Betriebsrente.

2

Der am 29. Oktober 1933 geborene Kläger war vom 20. April 1953 bis zum 31. Dezember 1996 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Die Beklagte hatte dem Kläger Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den Richtlinien für die Betriebliche Altersversorgung (Fassung vom 6. Mai 1968) für Arbeiter und Angestellte (im Folgenden Richtlinien 68) zugesagt. Die Richtlinien 68 bestimmen ua.:

        

„I.     

Art der Versorgungsleistungen

                 

Wir gewähren nach Erfüllung der Wartezeit

                 

1.    

Erwerbsunfähigkeitsrente

                 

2.    

Altersrente

                 

3.    

Witwenrente

                 

4.    

Waisenrente

        

II.     

Wartezeit

                 

Die Wartezeit ist erfüllt, wenn der Arbeiter oder Angestellte eine anrechnungsfähige Dienstzeit von 10 Jahren in unserem Unternehmen abgeleistet hat. …

        

III.   

Anrechnungsfähige Dienstzeit

                 

Anrechnungsfähig sind solche Dienstjahre, die der Arbeiter oder Angestellte nach Vollendung seines 20. Lebensjahres und vor Vollendung seines 65. Lebensjahres ununterbrochen in unserem Unternehmen abgeleistet hat. Angefangene Dienstjahre mit einer anrechnungsfähigen Beschäftigungszeit von weniger als 6 Monaten bleiben unberücksichtigt, es sei denn, daß der Arbeiter oder Angestellte dieses Dienstjahr noch voll ableistet. Angefangene Dienstjahre mit einer anrechnungsfähigen Beschäftigungszeit von mehr als 6 Monaten gelten als volle Jahre.

        

IV.     

Voraussetzungen für die einzelnen Leistungsarten

                 

Es werden gewährt

                 

…       

        
                 

2.    

Altersrente,

                          

wenn der Arbeiter oder Angestellte nach Vollendung seines 65. Lebensjahres aus unserem Unternehmen ausscheidet.

                 

…       

        
        

…       

                 
        

VI.     

Zahlungsweise

                 

Die Renten werden monatlich nachträglich gezahlt.

        

…       

        
        

VIII. 

Höhe der Leistungen

                 

…       

        
                 

B)    

Bei Angestellten:

                          

1.    

a)    

Die Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente beträgt bei Ablauf der Wartezeit monatlich 15 % des letzten Grundgehaltes und steigt für jedes nach Erfüllung der Wartezeit im Unternehmen abgeleistete anrechnungsfähige Dienstjahr um monatlich 1 % des letzten Grundgehaltes. Zum Grundgehalt rechnen auch die darüberhinausgehenden, regelmäßigen monatlichen Bezüge; jedoch nicht fallweise bezahlte Überstunden, Sondervergütungen, Abschlußvergütungen, Weihnachtsvergütungen und ähnliche nicht regelmäßige Bezüge.

                                   

…       

        
                          

2.    

a)    

Die Bezüge des Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung werden durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt begrenzt: Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 65 % des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitere Dienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,75 % bis zu höchstens 80 % bei 45 Dienstjahren. Bezüge des Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf freiwilliger Höherversicherung oder freiwilliger Weiterversicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt.

                                   

b)    

Unabhängig von der Bestimmung in 2 a) wird die betriebliche Rente in jedem Falle mit einem Mindestrentenbetrag in Höhe von 40 % der gemäß 1) ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt.

        

…       

        
        

X.    

Wegfall von Ansprüchen

                 

Scheidet ein Begünstigter aus unserem Unternehmen aus, ohne daß ein Leistungsfall gegeben ist, so erlischt jeder Anspruch aus dieser Zusage.“

3

In einem von der Beklagten und dem Betriebsrat unterschriebenen Aushang vom 10. Dezember 1986 wurde Folgendes bekanntgegeben:

        

Gewährung von Betriebsrenten

        

Die C GmbH gewährt abweichend vom Wortlaut der Altersversorgungszusagen die Firmenrente auch schon vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres, ohne versicherungsmathematische Abschläge vorzunehmen. Im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung ist verlangt worden, die Altersversorgungszusagen entsprechend zu ändern. Aus diesem Grunde werden die Richtlinien für die betriebliche Altersversorgung in den Fassungen vom 6. Mai 1968 und 1. Januar 1974 wie folgt ergänzt:

        

IV. 2.

‚Die Altersrente wird gezahlt, wenn der Mitarbeiter nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Dienstverhältnis mit der C ausscheidet.

                 

Sie wird auch gezahlt, wenn der Mitarbeiter vorher ausscheidet und Altersruhegeld oder vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. In diesen Fällen werden keine versicherungsmathematischen Abschläge vorgenommen.‘“

4

Am 4. Dezember 1993 fasste eine betriebliche Einigungsstelle zur Änderung der betrieblichen Altersversorgung bei der Beklagten folgenden Spruch:

        

S P R U C H

        

Die Berechnungsvorschrift in Abschnitt VIII B Ziff. 2a der ‚Richtlinien für die Betriebliche Altersversorgung (Fassung vom 06. Mai 1968) für Arbeiter und Angestellte (TA)‘ wird wie folgt geändert:

        

2.a)   

Die Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung werden durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt begrenzt:

                 

Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 59% des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitere Dienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,6% bis zu höchstens 71% bei 45 Dienstjahren. Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf freiwilliger Höherversicherung oder freiwilliger Weiterversicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt.

        

b)    

Unabhängig von der Bestimmung in 2.a) wird die betriebliche Rente in jedem Falle mit einem Mindestrentenbetrag in Höhe von 40% der gemäß 1. ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt; sie darf jedoch zusammen mit der Sozialversicherungsrente 100% des pensionsfähigen Nettoentgelts nicht überschreiten.

        

…“    

5

Begründet wurde der Spruch der Einigungsstelle ua. mit der eingetretenen planwidrigen Überversorgung, wodurch die Geschäftsgrundlage der Richtlinien 68 weggefallen sei.

6

Seit dem 1. Januar 1997 bezieht der Kläger eine gesetzliche Altersrente und von der Beklagten eine betriebliche Altersrente. Diese belief sich auf 1.937,00 DM brutto monatlich. Dies entspricht 990,37 Euro.

7

Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 teilte die Beklagte dem Kläger Folgendes mit:

        

„Sehr geehrter Herr F,

        

aufgrund der von der C zugesagten Altersversorgung beziehen Sie eine Firmenrente.

        

Diese Zusage, die nur den Personenkreis begünstigen wollte, der mit Erreichung der festen Altersgrenze eine Sozialversicherungsrente bezieht, wurde 1975 durch das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) dahingehend geändert, dass die Firmenrente auch dann zu zahlen ist, wenn z.B. ein vorgezogenes Altersruhegeld bezogen wird, oder wenn ein Mitarbeiter vor dem Erreichen des Renteneintritts ausscheidet und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Berechnung einer unverfallbaren Anwartschaft erfüllt sind.

        

Nach dem BetrAVG kommt es für die Berechnung der Firmenrente darauf an, wann der Renteneintritt erfolgt ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat schon sehr früh den Gesetzestext so interpretiert, dass der Renteneintritt immer identisch ist mit dem Bezug einer Sozialversicherungsrente. Die C ist deshalb bei der Berechnung der Firmenrente stets von diesem Faktum ausgegangen.

        

In neuerer Zeit hat das BAG seine Auslegung der Gesetzesnorm geändert und geht in seiner jetzt ständigen Rechtsprechung davon aus, dass es nach dem Gesetz nicht mehr darauf ankommt, seit wann der Mitarbeiter tatsächlich eine Sozialversicherungsrente bezieht, sondern darauf, welche feste Altersgrenze die ihm vom Arbeitgeber gegebene Versorgungszusage vorsieht.

        

Diese Änderung der Rechtsprechung führt dazu, dass die Berechnungen aller C-Renten nicht mehr dem BetrAVG entsprechen und zu ändern sind. Es muss nunmehr festgestellt werden, wie hoch die Firmenrente beim Erreichen der festen Altersgrenze gewesen wäre. In einem zweiten Rechenschritt ist festzustellen, welcher Teil des so ermittelten Betrages auf die tatsächliche Dienstzeit entfällt (Quotierung).

        

Das Bundesarbeitsgericht hat darüber hinaus in neuerer Zeit erstmals entschieden, wie die anzurechnende Sozialversicherung zu berechnen ist und diese Ansicht in einer Reihe von Urteilen konkretisiert, so dass auch hier nunmehr von einer ständigen Rechtsprechung auszugehen ist.

        

Diese Berechnungsweise ist die verbindliche Interpretation des BetrAVG und wurde von uns bei der Neuberechnung der Firmenrenten berücksichtigt. Die Auswirkungen dieser Neuberechnung und die Höhe Ihrer daraus resultierenden Firmenrente bitten wir, der beigefügten Berechnung zu entnehmen.

        

Aus organisatorischen Gründen, werden wir die Änderungen erst zum 01.09.2009 einführen.

        

…“    

8

Seit dem 1. September 2009 zahlte die Beklagte dem Kläger nur noch eine monatliche Altersrente von 922,00 Euro brutto. Die Reduzierung des Auszahlungsbetrags beruht darauf, dass die Beklagte nunmehr eine mögliche anrechnungsfähige Beschäftigungszeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zugrunde legte, die anrechenbare Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung fiktiv auf die bei einer Inanspruchnahme ab der Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbare Rente hochrechnete und den sich ergebenden Betrag im Verhältnis der tatsächlichen zu der möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 65. Lebensjahr kürzte.

9

Mit seiner Klage hat der Kläger eine monatliche Altersrente iHv. 990,37 Euro sowie die Zahlung rückständiger Altersrente für den Zeitraum vom 1. September 2009 bis zum 30. November 2014 iHv. monatlich 68,37 Euro verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die ursprüngliche Rentenberechnung sei zutreffend gewesen. Die Beklagte sei weder berechtigt, eine zeitanteilige Kürzung der Rente im Verhältnis der tatsächlichen Dienstzeit zu der bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbaren Dienstzeit vorzunehmen, noch eine auf das 65. Lebensjahr hochgerechnete fiktive Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen.

10

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass er über den 1. September 2009 hinaus einen Anspruch auf monatliche Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung iHv. 990,37 Euro hat,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.025,55 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 68,37 Euro seit dem 1. Oktober 2009, 1. November 2009, 1. Dezember 2009, 1. Januar 2010, 1. Februar 2010, 1. März 2010, 1. April 2010, 1. Mai 2010, 1. Juni 2010, 1. Juli 2010, 1. August 2010, 1. September 2010, 1. Oktober 2010, 1. November 2010 und 1. Dezember 2010 zu zahlen,

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 478,59 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz aus jeweils 68,37 Euro seit dem 1. Januar 2011, 1. Februar 2011, 1. März 2011, 1. April 2011, 1. Mai 2011, 1. Juni 2011 und 1. Juli 2011 zu zahlen,

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.640,88 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz aus jeweils 68,37 Euro seit dem 1. August 2011, 1. September 2011, 1. Oktober 2011, 1. November 2011, 1. Dezember 2011, 1. Januar 2012, 1. Februar 2012, 1. März 2012, 1. April 2012, 1. Mai 2012, 1. Juni 2012, 1. Juli 2012, 1. August 2012, 1. September 2012, 1. Oktober 2012, 1. November 2012, 1. Dezember 2012, 1. Januar 2013, 1. Februar 2013, 1. März 2013, 1. April 2013, 1. Mai 2013, 1. Juni 2013 und 1. Juli 2013 zu zahlen,

        

5.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.162,29 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz aus jeweils 68,37 Euro seit dem 1. August 2013, 1. September 2013, 1. Oktober 2013, 1. November 2013, 1. Dezember 2013, 1. Januar 2014, 1. Februar 2014, 1. März 2014, 1. April 2014, 1. Mai 2014, 1. Juni 2014, 1. Juli 2014, 1. August 2014, 1. September 2014, 1. Oktober 2014, 1. November 2014 und 1. Dezember 2014 zu zahlen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers, mit der er seine Klage erweitert hat, festgestellt, dass der Kläger über den 1. September 2009 hinaus einen Anspruch auf eine monatliche Altersrente iHv. 990,37 Euro hat und die Beklagte verurteilt, an den Kläger rückständige Altersrente für den Zeitraum vom 1. September 2009 bis zum 30. November 2014 iHv. insgesamt 4.307,31 Euro (= 68,37 Euro monatlich) nebst Zinsen zu zahlen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und beantragt für den Fall, dass der Kläger mit seiner Hauptforderung ganz oder teilweise unterliegt, widerklagend zuletzt,

        

1.    

den Kläger zu verurteilen, aus der Überzahlung in der Zeit vom 1. September 2009 bis einschließlich 30. November 2014 an sie 4.307,31 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2015 zu zahlen,

        

2.    

den Kläger zu verurteilen, an sie 650,75 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2015 zu zahlen,

        

3.    

den Kläger zu verurteilen, an sie 1.230,66 Euro für den Zeitraum ab Juli 2015 einschließlich bis derzeit einschließlich Dezember 2016 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils monatlich 68,97 Euro, zur Rückzahlung fällig jeweils am Zweiten des Folgemonats, beginnend mit dem 2. August 2015 zu zahlen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Beklagte verpflichtet war, dem Kläger auch ab dem 1. September 2009 weiter eine monatliche Altersrente iHv. 990,37 Euro zu zahlen. Daher schuldet sie dem Kläger für die Monate September 2009 bis einschließlich November 2014 rückständige Betriebsrente iHv. 4.307,31 Euro mit der Maßgabe, dass dem Kläger Zinsen erst ab dem zweiten Tag des jeweiligen Folgemonats zustehen. Die erstmals in der Revision angebrachte Widerklage fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

14

I. Die Berufung des Klägers ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig.

15

1. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Fehlt es an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung der Berufung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht die Revision zurückzuweisen. Das gilt auch, wenn das Landesarbeitsgericht die Berufung als zulässig angesehen hat (vgl. etwa BAG 19. Mai 2016 - 3 AZR 131/15 - Rn. 14 mwN).

16

2. Die Berufungsbegründung des Klägers erfüllt die gesetzlichen Anforderungen.

17

a) Eine Berufungsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen. Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt (sh. etwa BAG 19. Mai 2016 - 3 AZR 131/15 - Rn. 15 mwN).

18

b) Danach zeigt die Berufungsbegründung ausreichend deutlich auf, in welchen Punkten der Kläger das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft hält.

19

aa) Das Arbeitsgericht hat angenommen, ein Arbeitgeber könne im Fall einer lückenhaften und ergänzungsbedürftigen Zusage das betriebliche Ruhegeld eines Arbeitnehmers, der wie der Kläger bis zum Bezug eines vorgezogenen Altersruhegeldes betriebszugehörig war, nur „nach dem Maßstab des § 2 BetrAVG kürzen“ und damit eine ratierliche Kürzung der bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbaren Vollrente entsprechend § 2 BetrAVG vornehmen. Auf den ermittelten Betrag sei die Sozialversicherungsrente fiktiv hochgerechnet auf die feste Altersgrenze anzurechnen. Die Beklagte habe die Berechnungsschritte bei der Neuberechnung der Rente des Klägers rechnerisch zutreffend nachvollzogen.

20

Der Kläger ist in seiner Berufungsbegründung auf diese Erwägungen des Arbeitsgerichts eingegangen. Er hat gemeint, für die Möglichkeit einer Kürzung fehle es bereits an einer Ergänzung der Versorgungsordnung durch die Beklagte nach Einführung des flexiblen Altersruhegeldes. Eine Kürzungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 1 BetrAVG scheitere vorliegend auch daran, dass das für ihn maßgebliche Rentenalter 63 Jahre betragen habe und er deshalb mit seinem Ausscheiden mit 63 Jahren die volle Betriebstreue erbracht habe. Damit hat der Kläger Umstände aufgezeigt, aus denen sich iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts ergeben könnte.

21

bb) Das Arbeitsgericht hat weiter angenommen, dem Kläger stehe die von der Beklagten zunächst berechnete Rente weder aus einer anlässlich seines Ausscheidens von der Beklagten erteilten Zusage noch aus betrieblicher Übung zu. Die dem Kläger bei seinem Ausscheiden übermittelte Berechnung sei eine reine Wissenserklärung ohne Bindungswirkung und daher keine konkrete Zusage. Der Kläger habe keine Umstände für eine den Vertrauenstatbestand begründende betriebliche Übung dargelegt. Die Beklagte habe weder durch besondere Zusagen noch durch Handlungen den Anschein erweckt, sie wolle mehr tun, als die Versorgungszusage an den Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu erfüllen. Sie habe die Betriebsrenten jahrelang lediglich irrtümlich falsch berechnet und ausgezahlt.

22

Der Kläger hat sich in seiner Berufungsbegründung mit der vom Arbeitsgericht herangezogenen Rechtsprechung zu der Frage, ob es sich bei der übermittelten Rentenberechnung um eine konkrete Zusage oder um eine Wissenserklärung handelt, auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb der dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden Streitfall nicht vergleichbar sei. Damit hat er die Bewertung des Arbeitsgerichts hinreichend in Frage gestellt. Weiter hat der Kläger vorgetragen, die Versorgungsrichtlinien vom 6. Mai 1968 enthielten keine ins Einzelne gehende Berechnungsregel. Daher sei für die betroffenen Arbeitnehmer ein Widerspruch zwischen den Vorgaben der Versorgungsrichtlinien und der tatsächlichen und jahrelangen Handhabung der Rentenberechnung durch die Beklagte, der dem Vertrauensschutz der Rentenempfänger entgegenstünde, nicht erkennbar. Vielmehr fülle die langjährige Verfahrensweise der Beklagten die Regelungslücke hinsichtlich der Berechnungsregeln in den Richtlinien vom 6. Mai 1968 für die Fälle des Bezugs vorgezogener Altersleistungen aus. Darin liege für die Rentenberechtigten ein ausreichender Anhaltspunkt für einen Verpflichtungswillen der Beklagten. Mit diesen Ausführungen zeigt die Berufung hinreichend deutlich auf, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann nicht verlangt werden (vgl. BAG 19. Juli 2016 - 2 AZR 637/15 - Rn. 18 mwN).

23

II. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Klageantrag zu 1. Die Voraussetzungen des § 256 ZPO sind erfüllt.

24

1. Der Antrag ist auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 ZPO gerichtet. Zwar können nach dieser Bestimmung nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht hingegen bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich allerdings nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich vielmehr auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie - wie vorliegend - auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (vgl. BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 16; 15. Mai 2012 - 3 AZR 11/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 141, 259).

25

2. Soweit sich der Feststellungsantrag auf die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 30. November 2014 bezieht, handelt es sich um eine Zwischenfeststellungsklage iSv. § 256 Abs. 2 ZPO, für die ein besonderes Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO nicht erforderlich ist.

26

III. Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger über den 31. August 2009 hinaus eine monatliche Altersrente iHv. 990,37 Euro zu zahlen. Die Neuberechnung der Altersrente des Klägers entspricht nicht den Vorgaben der Richtlinien 68 in der Fassung des Aushangs vom 10. Dezember 1986, der - wie sich aus seiner Einleitung ergibt - die Regelung in IV Nr. 2 Richtlinien 68 abändert, und des Einigungsstellenspruchs vom 4. Dezember 1993 (im Folgenden Richtlinien 93). Die Beklagte ist nicht berechtigt, bei der Berechnung der Altersrente des Klägers nach IV Nr. 2 Satz 2 Richtlinien 93 iVm. § 6 BetrAVG die fiktiv auf die Vollendung des 65. Lebensjahres hochgerechnete Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen und eine Quotierung entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG durchzuführen. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

27

1. Die Altersrente des Klägers berechnet sich nach den in IV Nr. 2 Satz 2 iVm. VIII B Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. b Richtlinien 93 getroffenen Regelungen und entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts unter entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG.

28

Zwar wird bei vorgezogener Inanspruchnahme der Betriebsrente nach § 6 BetrAVG in das Äquivalenzverhältnis zwischen der zugesagten Versorgungsleistung und der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Gegenleistung stets zweifach eingegriffen, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer vorzeitig ausgeschieden ist oder das Arbeitsverhältnis bis zur vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente bestanden hat. Zum einen wird in das Gegenseitigkeitsverhältnis, das der Berechnung der Vollrente zugrunde liegt, dadurch eingegriffen, dass der Arbeitnehmer die Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze nicht vollständig erbracht hat. Zum anderen erfolgt eine Verschiebung des in der Versorgungszusage festgelegten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung dadurch, dass er die Betriebsrente mit höherer Wahrscheinlichkeit, früher und länger als mit der Versorgungszusage versprochen in Anspruch nimmt (vgl. etwa BAG 19. Juni 2012 - 3 AZR 289/10 - Rn. 24 mwN). Dies führt jedoch vorliegend nicht zur Berechnung der Altersrente des Klägers nach allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts entsprechend § 2 BetrAVG.

29

a) Die vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 23. Januar 2001 (- 3 AZR 164/00 -) entwickelten allgemeinen Grundsätze des Betriebsrentenrechts, nach denen der Arbeitgeber berechtigt ist, eine Quotierung entsprechend § 2 BetrAVG wegen der fehlenden Betriebszugehörigkeit und ggf. eine weitere Kürzung wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme vorzunehmen, finden bereits deshalb keine Anwendung, weil sie nur für die Berechnung der Höhe der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bei vorgezogener Inanspruchnahme der Betriebsrente nach vorzeitigem Ausscheiden gelten. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Der Kläger ist nicht vorzeitig, sondern erst mit Eintritt des in IV Nr. 2 Satz 2 Richtlinien 93 geregelten Versorgungsfalls mit Ablauf des 31. Dezember 1996 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden und hat ab dem 1. Januar 1997 im Alter von 63 Jahren die gesetzliche Altersrente als Vollrente und die betriebliche Altersrente nach den Richtlinien 93 vorgezogen in Anspruch genommen (vgl. etwa BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 22).

30

b) Eine entsprechende Anwendung von § 2 BetrAVG ist auch nicht aus anderen Gründen veranlasst. Die Berechnung der nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente eines bis dahin betriebszugehörigen Arbeitnehmers entsprechend § 2 BetrAVG kommt nur dann in Betracht, wenn die Versorgungsordnung selbst keine Regelung zur Berechnung der Betriebsrente bei deren vorgezogener Inanspruchnahme enthält. Regelt die Versorgungsordnung die Höhe der nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente hingegen selbst, ist für eine entsprechende Anwendung von § 2 BetrAVG kein Raum(st. Rspr., vgl. etwa BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 23; 10. Dezember 2013 - 3 AZR 726/11 - Rn. 16). Letzteres ist vorliegend der Fall. Die Höhe der betrieblichen Altersrente bei vorgezogener Inanspruchnahme der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist in IV Nr. 2 Satz 2 und VIII B Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. b Richtlinien 93 eigenständig und abschließend geregelt. Dies ergibt die Auslegung der Richtlinien 93.

31

aa) Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Richtlinien 93 um eine Betriebsvereinbarung oder um eine Gesamtzusage handelt. Zwar hängt es vom Rechtscharakter der Richtlinien 93 ab, welche Auslegungsgrundsätze anzuwenden sind. Beide Auslegungsmethoden führen jedoch zu demselben Ergebnis.

32

(1) Betriebsvereinbarungen sind nach den für Gesetze und Tarifverträge geltenden Grundsätzen auszulegen. Dabei ist vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Betriebsparteien geben kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. etwa BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 25; 9. Oktober 2012 - 3 AZR 539/10 - Rn. 21; 14. Dezember 2010 - 3 AZR 939/08 - Rn. 18 mwN).

33

(2) Eine Gesamtzusage ist als an eine Vielzahl von Arbeitnehmern gerichtete Erklärung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Für das Auslegungsergebnis von Bedeutung ist auch der von den Vertragspartnern verfolgte typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Regelungszweck (vgl. etwa BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 26; 15. Mai 2012 - 3 AZR 610/11 - Rn. 51, BAGE 141, 222).

34

bb) Die Auslegung der Richtlinien 93 führt nach beiden Grundsätzen zu dem Ergebnis, dass die Bestimmungen in IV Nr. 2 Satz 2, VIII B Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. b Richtlinien 93 die Berechnung der Altersrente auch für den Fall ihrer vorgezogenen Inanspruchnahme nach § 6 BetrAVG abschließend regeln.

35

(1) Hierfür spricht bereits die sprachliche Fassung von IV Nr. 2 Satz 2 Richtlinien 93. Danach wird die Altersrente („Sie“) auch gezahlt, wenn der Mitarbeiter vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausscheidet und gesetzliche Rente in Anspruch nimmt. Diese Formulierung verdeutlicht, dass es sich auch bei der vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente um „die Altersrente“ iSd. I Nr. 2 Richtlinien 93 handelt, deren Höhe sich - trotz Inanspruchnahme vor Vollendung des 65. Lebensjahres - nach den Bestimmungen in VIII Richtlinien 93 richtet.

36

(2) Der systematische Zusammenhang der Richtlinien 93 bestätigt dieses Verständnis.

37

In I Richtlinien 93 sind die vier Arten von Versorgungsleistungen aufgeführt, die nach den Richtlinien 93 gewährt werden. Hierbei handelt es sich um die Erwerbsunfähigkeitsrente, die Altersrente, die Witwenrente und die Waisenrente. Die Voraussetzungen für die Gewährung der verschiedenen Versorgungsleistungen sind in IV Richtlinien 93 benannt. Die in I Nr. 2 Richtlinien 93 enthaltene Altersrente wird demnach nicht nur bei Vollendung des 65. Lebensjahres, sondern auch gezahlt, wenn der Mitarbeiter vorher ausscheidet und Altersruhegeld oder vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Die Höhe der Versorgungsleistungen ist in VIII Richtlinien 93 bestimmt. Danach berechnet sich die „Altersrente“ bei Angestellten nach VIII B Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 Richtlinien 93. Die Regelungen erfassen damit sowohl die Berechnung der mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommenen Altersrente iSv. IV Nr. 2 Satz 1 Richtlinien 93 als auch die nach § 6 BetrAVG vorgezogene Altersrente iSv. IV Nr. 2 Satz 2 Richtlinien 93.

38

(3) Der mit dem Aushang vom 10. Dezember 1986 erkennbar verfolgte Regelungszweck unterstützt diese Auslegung.

39

Die aus der Zeit vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3610) stammenden Richtlinien 68 waren durch die Einführung von § 6 BetrAVG zum 22. Dezember 1974 lückenhaft geworden. IV Nr. 2 Richtlinien 68 bestimmte lediglich, dass der Arbeitnehmer eine Altersrente erhält, wenn er nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Unternehmen ausscheidet. Nach VIII B Nr. 1 Richtlinien 68 hing die Höhe dieser Altersrente von der Anzahl der anrechnungsfähigen Dienstjahre ab. Danach betrug die mit Vollendung des 65. Lebensjahres zu zahlende Altersrente nach Ablauf der Wartezeit 15 vH des letzten Grundgehalts und stieg für jedes weitere anrechnungsfähige Dienstjahr um 1 vH. Demgegenüber regelten die Richtlinien 68 nicht, wie sich die nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch genommene Altersrente des gleichzeitig aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausscheidenden Arbeitnehmers berechnete(vgl. zur Lückenhaftigkeit von Versorgungsordnungen aus der Zeit vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes ausführlich: BAG 1. Juni 1978 - 3 AZR 216/77 - zu I 2 der Gründe, BAGE 30, 333; 26. März 1985 - 3 AZR 236/83 - zu II der Gründe). Die Beklagte war daher - unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats - befugt, die wegen des vorzeitigen und möglicherweise längeren Rentenbezugs in der Versorgungsordnung entstandene Lücke an die geänderte Rechtslage anzupassen (vgl. zur Anpassungsbefugnis des Arbeitgebers infolge der Lückenhaftigkeit der Versorgungsordnung: BAG 11. September 1980 - 3 AZR 185/80 - zu I 2 und zu II 3 c der Gründe; 1. Juni 1978 - 3 AZR 216/77 - zu I 2 der Gründe, aaO). Dies ist durch den Aushang vom 10. Dezember 1986 geschehen.

40

Wie sich aus dem Aushang ergibt, sollte durch die Ergänzung der Richtlinien 68 der in § 6 BetrAVG geregelte Versorgungsfall ausdrücklich in IV Nr. 2 Richtlinien 68 aufgenommen werden. Gleichzeitig wurde dadurch die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Altersrente nach § 6 BetrAVG - einschließlich des Verzichts auf versicherungsmathematische Abschläge in diesen Fällen - in den Richtlinien 68 geregelt und damit die bis dahin vorhandene Lücke in den Richtlinien 68 geschlossen. Dem Umstand der verkürzten Betriebszugehörigkeit sowie dem längeren Bezug der Altersrente bei deren vorgezogener Inanspruchnahme nach § 6 BetrAVG wurde damit nicht durch eine entsprechende Anwendung von § 2 BetrAVG und Einführung versicherungsmathematischer Abschläge, sondern dadurch abschließend Rechnung getragen, dass die Jahre zwischen dem Ausscheiden des Arbeitnehmers und dem 65. Lebensjahr als anrechnungsfähige Dienstjahre unberücksichtigt bleiben (sh. nur BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 32).

41

Dies steht - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht im Widerspruch zu den Urteilen des Senats vom 12. August 2014 (- 3 AZR 194/12 - Rn. 54) und vom 10. Dezember 2013 (- 3 AZR 832/11 - Rn. 65). Diesen Entscheidungen lag nicht nur eine vorgezogene Inanspruchnahme der Altersrente, sondern auch ein vorzeitiges Ausscheiden der Kläger zugrunde. Die Richtlinien 93 enthalten jedoch keine Regelungen für die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Altersrente eines vorzeitig - vor dem Eintritt des Versorgungsfalls - aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Aushang vom 10. Dezember 1986. Sollten die Ausführungen des Senats zur Auslegung des Aushangs anders zu verstehen sein, wird daran nicht festgehalten.

42

c) Da die betriebliche Altersrente auch bei deren vorgezogener Inanspruchnahme nach VIII B Richtlinien 93 zu berechnen ist, kann im Rahmen der vorgesehenen Gesamtversorgung lediglich die vom Kläger tatsächlich bezogene, nach den Richtlinien 93 anrechenbare Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden. Eine Anrechnung der fiktiven Rente, die der Kläger erhielte, wenn er die gesetzliche Rente erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen hätte, scheidet aus. Die Berücksichtigung der fiktiven, auf die feste Altersgrenze hochgerechneten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung kommt nur dann in Betracht, wenn die Versorgungsordnung dies vorsieht oder wenn im Rahmen der Quotierung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG die fiktive Vollrente zu ermitteln ist. Enthält die Versorgungsordnung eine abschließende eigenständige Regelung, die die Anrechnung einer fiktiven, auf die feste Altersgrenze hochgerechneten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorsieht und die einer entsprechenden Anwendung des § 2 Abs. 1 BetrAVG entgegensteht, scheidet eine Hochrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die fiktive, bei Inanspruchnahme ab der festen Altersgrenze zustehende Rente aus(vgl. BAG 11. November 2014 - 3 AZR 191/12 - Rn. 33; 10. Dezember 2013 - 3 AZR 726/11 - Rn. 23).

43

So verhält es sich hier. Weder ist die vorgezogene Altersrente in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 1 BetrAVG zu ermitteln noch sehen die Richtlinien 93 die Anrechnung einer fiktiven, auf das 65. Lebensjahr hochgerechneten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor. Der Einigungsstellenspruch vom 4. Dezember 1993 ändert lediglich die Obergrenze der Bezüge des Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung in VIII B Nr. 2 Buchst. a der Richtlinien 86 ab und beschränkt in Nr. 2 Buchst. b die Summe aus diesen beiden Altersbezügen auf 100 vH des pensionsfähigen Nettoentgelts.

44

2. Danach hat die Beklagte dem Kläger bis zum 31. August 2009 zu Recht eine monatliche Altersrente iHv. 990,37 Euro gezahlt. Dieser Betrag stand ihm auch über den 31. August 2009 hinaus zu. Der Kläger hatte bei Eintritt des Versorgungsfalls am 1. Januar 1997 gemäß IV Nr. 2 Satz 2 Richtlinien 93 einen Anspruch auf eine Altersrente iHv. (aufgerundet) 1.937,00 DM.

45

Der Kläger hat vom 20. April 1953 bis zum 31. Dezember 1996 insgesamt 43 anrechnungsfähige Dienstjahre iSd. III Satz 1 und Satz 2 Richtlinien 93 bei der Beklagten zurückgelegt. Damit belief sich seine Altersrente nach VIII B Nr. 1 Buchst. a Richtlinien 93 bei Zugrundelegung eines pensionsfähigen Gehalts iHv. 7.575,00 DM auf 48 vH dieses Betrags, mithin auf 3.636,00 DM (15 vH für die ersten zehn Jahre, je 1 vH für jedes weitere Jahr). Ausgehend von 43 Dienstjahren ergab sich nach VIII B Nr. 2 Buchst. a Richtlinien 93 eine Gesamtversorgungsobergrenze iHv. 69,8 vH (59 vH für die ersten 25 Dienstjahre und 0,6 vH für jedes weitere Dienstjahr), mithin ein Betrag von 5.287,35 DM (69,8 vH von 7.575,00 DM). Bei Eintritt in den Ruhestand am 1. Januar 1997 hat der Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente iHv. 3.351,18 DM bezogen. Auf die maximale Gesamtversorgung von 5.287,35 DM ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von 3.351,18 DM anzurechnen. Daraus ergibt sich bei Eintritt des Versorgungsfalls am 1. Januar 1997 eine Altersrente iHv. 1.936,17 DM (aufgerundet 1.937,00 DM), mithin ein Betrag von 990,37 Euro monatlich. Da die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 30. November 2014 nur noch einen Betrag iHv. 922,00 Euro monatlich gezahlt hat, kann der Kläger für diese Zeit eine Nachzahlung iHv. insgesamt 4.307,31 Euro beanspruchen.

46

3. Die mit den Klageanträgen zu 2. bis 5. geltend gemachte Zinsforderung ist überwiegend begründet. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB iVm. VI Richtlinien 93. Die monatlichen Zahlungsansprüche sind jeweils ab dem zweiten Tag des Folgemonats mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

47

4. Die „Verfahrensrüge“ der Beklagten bleibt erfolglos.

48

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht ersichtlich. Die insoweit erhobenen Rügen der Beklagten befassen sich lediglich mit vermeintlichen Auslegungsfehlern des Landesarbeitsgerichts. Im Ergebnis laufen sie allein darauf hinaus, das Landesarbeitsgericht habe bei seinen Erwägungen in den Entscheidungsgründen den Sachvortrag der Beklagten nicht ausreichend oder angemessen gewürdigt. Damit beruft sich die Beklagte in der Sache lediglich darauf, dass das Landesarbeitsgericht ihrer Rechtsansicht nicht gefolgt sei. Da es sich bei den von der Revision aufgeworfenen Gesichtspunkten ausschließlich um Rechts- und Auslegungsfragen handelt, die vom Senat bei seiner Entscheidung über das Berufungsurteil und die Revisionsangriffe ohnehin heranzuziehen waren, bleibt diese „Verfahrensrüge“ schon deshalb ohne Erfolg (vgl. BAG 13. April 2016 - 4 AZR 13/13 - Rn. 47).

49

IV. Die auf die Rückzahlung der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Beträge gerichtete Widerklage ist von der Beklagten nur für den Fall erhoben worden, dass der Kläger mit seiner Hauptforderung ganz oder teilweise unterliegt. Diese innerprozessuale Bedingung ist nicht eingetreten.

50

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

        

    Zwanziger    

        

    Spinner    

        

    Wemheuer    

        

        

        

    Schüßler    

        

    Möller    

                 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 30. Mai 2013 - 8 Sa 109/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Umfang der Arbeitszeit der Klägerin, die Verpflichtung der Beklagten, eine der Klägerin erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen, und die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

2

Die Beklagte, ein Unternehmen der Wohnungswirtschaft mit ca. 45 Mitarbeitern, beschäftigt die Klägerin seit 2005 als Assistenzkraft gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 2.654,00 Euro. Nach der Geburt ihrer Tochter befand sich die Klägerin in Elternzeit.

3

Am 21. September 2011 richtete die Klägerin eine E-Mail an die Chefsekretärin T des Geschäftsführers der Beklagten B. Der Text der Nachricht lautet auszugsweise wie folgt:

        

„…    

        

nach reiflicher Überlegung sind wir nun zu dem Entschluss gekommen, dass ich 5 x 6 Stunden, also von 8:00 bis 14:00 Uhr arbeiten möchte. Eine Pause würde ich dann nicht machen (braucht man ja nicht, wenn man nur 6 Stunden arbeitet).

        

Bezüglich der Elternzeitverlängerung habe ich momentan vor, am 11. Juni 2012 wiederzukommen.

        

Ich hoffe, dass das auch Bs Vorstellungen entspricht und warte auf seine/Ihre Rückmeldung.“

4

Unter dem 3. Februar 2012 übersandte die Klägerin der Beklagten ein für den Antrag auf einen Platz in einer Kindertagesstätte bestimmtes Formular („Arbeitszeitbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber der Eltern zwecks Betreuung von Kindern in einer Kindertagesstätte/Tagespflegestelle“) mit der Bitte um Unterschrift. In den fünf Feldern, die unter der Überschrift „Die tägliche Arbeitszeit … beträgt“ neben den jeweiligen Wochentagen angeordnet sind, war für Montag bis Freitag jeweils die Arbeitszeit „8 Uhr - 14 Uhr“ eingetragen. In einem Gespräch mit der Klägerin lehnte der Geschäftsführer der Beklagten B den Teilzeitwunsch ab. Am 13. März 2012 unterzeichnete er das von der Klägerin eingereichte Formular, nachdem er jeweils die Uhrzeit 14:00 Uhr durchgestrichen und handschriftlich durch die Uhrzeit 17:00 Uhr (montags bis donnerstags) bzw. 15:00 Uhr (freitags) ersetzt hatte, und übersandte dieses an die Klägerin.

5

Am 11. Juni 2012 kehrte die Klägerin aus der Elternzeit zurück. Mit Schreiben vom selben Tage forderte die Beklagte die Klägerin auf, ab Montag, den 18. Juni 2012, in Vollzeit tätig zu werden. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das persönliche Gespräch im März 2012, in dessen Verlauf der Klägerin mitgeteilt worden sei, es müsse bei der 40-Stundenwoche verbleiben. Am 18. Juni 2012 verließ die Klägerin ihren Arbeitsplatz um 14:00 Uhr.

6

Mit Schreiben vom 19. Juni 2012, das der Klägerin um 13:20 Uhr desselben Tages zuging, forderte die Beklagte die Klägerin auf, an diesem Tag Mehrarbeit zu leisten. Das Schreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„…    

        

unabhängig von der Frage der Länge der Arbeitszeit besteht heute mehr Arbeitsbedarf.

        

Im Hinblick … weise ich Sie deshalb an, folgende Arbeiten (ggf. im Rahmen der Mehrarbeit) heute zu erledigen:

        

…       

        

Sollten Sie für diese Arbeiten eine Mehrarbeit leisten müssen, so wäre diese bis um 16:00 Uhr zu erbringen, danach dürfen Sie … nach Hause.“

7

Nachdem sie erfolglos versucht hatte sicherzustellen, dass ihre Tochter von Dritten aus der Kindertagesstätte abgeholt werde, teilte die Klägerin dem Geschäftsführer B mit, sie könne die angeordnete Mehrarbeit nicht leisten, und verließ um 14:00 Uhr ihren Arbeitsplatz. Unter dem 19. Juni 2012 mahnte die Beklagte die Klägerin ab. In dem Schreiben heißt es ua. wie folgt:

        

„Am 18.06.2012 endete Ihre Arbeitszeit nach Arbeitsbeginn um 08:00 Uhr um 17:00 Uhr. Ohne Zustimmung der Geschäftsführung beendeten Sie einseitig um 14:00 Uhr Ihre Arbeit und verließen unentschuldigt das Unternehmen vor Ende der angewiesenen Arbeitszeit.

        

Ihr Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung dar. Wir fordern Sie auf, sich zukünftig vertragsgetreu zu verhalten. Bei wiederholten arbeitsrechtlichen Verstößen müssen Sie mit Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen.“

8

Mit Schreiben vom 28. Juni 2012 erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2012 und bot der Klägerin gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Oktober 2012 in Vollzeit fortzusetzen. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt sei.

9

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre wöchentliche Arbeitszeit betrage seit dem 11. Juni 2012 30 Stunden. Die Beklagte habe ihren Teilzeitantrag vom 21. September 2011, der ihr nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht zugegangen sei, nicht spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Arbeitszeitverringerung schriftlich abgelehnt. Da ihre Arbeitszeit täglich um 14:00 Uhr ende, habe sie weder am 18. noch am 19. Juni 2012 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt.

10

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass ihre Arbeitszeit sich gemäß § 8 Abs. 2 TzBfG auf 30 Stunden pro Woche verringert hat und die geschuldete Arbeit an fünf Arbeitstagen jeweils sechs Stunden in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu leisten ist,

        

2.    

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, der Verringerung der Arbeitszeit der Klägerin auf 30 Stunden pro Woche bei einer Verteilung dieser Arbeitszeit auf montags bis freitags von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zuzustimmen,

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung mit Datum vom 19. Juni 2012 aus ihrer Personalakte zu entfernen, und

        

4.    

festzustellen, dass eine Änderung der Arbeitsbedingungen durch die ordentliche Änderungskündigung vom 28. Juni 2012 zum 30. September 2012 sozial ungerechtfertigt ist.

11

Die Beklagte, die die Abweisung der Klage beantragt hat, ist der Ansicht gewesen, die Voraussetzungen einer Fiktion nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG lägen nicht vor. Die E-Mail der Klägerin vom 21. September 2011 enthalte ein an sie gerichtetes Angebot, in Gespräche bezüglich der Arbeitszeit zu treten, nicht aber einen auf die Begründung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses gerichteten Antrag. Frau T als Adressatin der E-Mail sei keine taugliche Empfangsvertreterin. Ihr Geschäftsführer B habe den vermeintlichen Teilzeitantrag abgelehnt, als er Eintragungen auf dem von der Klägerin eingereichten Formular vorgenommen habe. Sie habe die Klägerin zu Recht abgemahnt, da die Klägerin ihren Arbeitsplatz am 19. Juni 2012 um 14:00 Uhr trotz einer entgegenstehenden Weisung verlassen habe. Das Abmahnungsschreiben enthalte ein unbeachtliches „Datumsversehen“. Die Änderungskündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Im Bereich der Assistenz lasse ihr betriebliches Organisationskonzept die Beschäftigung von Teilzeitkräften nicht zu. Es sei ihr Bestreben, sich durch ständige Präsenz als kompetenter Ansprechpartner während der Kernarbeitszeit von der Konkurrenz auf dem Markt der Wohnungswirtschaft abzusetzen. Die Arbeit der Assistenzkräfte, die jeweils einem Verwalter zugeordnet seien, sei von den aktuellen Anforderungen der Kunden und der Bewohner der Mietobjekte abhängig und deshalb weitgehend nicht planbar. Es sei ihr nicht möglich, eine geeignete Ersatzkraft einzustellen. Die bei Teilung der Stelle erforderliche Übergabe binde die beteiligten Arbeitnehmer täglich eine halbe Stunde.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das - soweit für die Revision von Bedeutung - klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

14

I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag zu 1. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO daran, dass durch richterliche Entscheidung festgestellt wird, ob sich die Arbeitszeit in dem von ihr gewünschten Umfang gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG verringert hat(vgl. HaKo-TzBfG/Boecken 3. Aufl. § 8 Rn. 154).

15

II. Die Klage ist in den Hauptanträgen begründet.

16

1. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin beträgt 30 Wochenstunden, die sie an fünf Arbeitstagen in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu leisten hat. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde mit Wirkung zum 11. Juni 2012 entsprechend geändert. Die Beklagte hat den Teilzeitantrag der Klägerin vom 21. September 2011 nicht binnen der in § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG genannten Monatsfrist schriftlich abgelehnt mit der Folge, dass ihre Zustimmung zu dem Teilzeitbegehren gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG fingiert wird.

17

a) Die allgemeinen Voraussetzungen, an die § 8 TzBfG einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit knüpft, lagen zum Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihr Teilzeitverlagen äußerte, vor. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand länger als sechs Monate (§ 8 Abs. 1 TzBfG). Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 15 Arbeitnehmer (§ 8 Abs. 7 TzBfG).

18

b) Das Landesarbeitsgericht hat die von der Klägerin am 21. September 2011 gesendete E-Mail ausgelegt und die Erklärung als Angebot, die regelmäßige Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden zu reduzieren bei einer Verteilung auf fünf Arbeitstage in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr, verstanden. Die nur beschränkt revisible Auslegung dieser atypischen Erklärung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht hat die Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB nicht verletzt. Es hat auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, außer Acht gelassen (vgl. BAG 18. August 2009 - 9 AZR 517/08 - Rn. 21).

19

aa) Das Verringerungsverlangen eines Arbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 TzBfG ist eine auf die Änderung des Arbeitsvertrags gerichtete Willenserklärung iSd. Rechtsgeschäftslehre des BGB. Das Änderungsangebot (§ 145 BGB), das dem Arbeitgeber spätestens drei Monate vor Beginn der begehrten Arbeitszeitreduzierung zugehen muss (§ 8 Abs. 2 Satz 1 TzBfG), muss nach allgemeinem Vertragsrecht regelmäßig so konkret sein, dass der Adressat des Angebots dieses mit einem einfachen „Ja“ annehmen kann. Der Inhalt eines zwischen den Parteien zustande kommenden Änderungsvertrags muss feststehen (vgl. BAG 16. Oktober 2007 - 9 AZR 239/07 - Rn. 20 mwN, BAGE 124, 219). Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer sein Änderungsangebot ausdrücklich als Teilzeitantrag bezeichnet.

20

bb) Die Einleitung der von der Klägerin verfassten E-Mail („nach reiflicher Überlegung sind wir nun zu dem Entschluss gekommen“) spricht dafür, dass die Klägerin eine rechtserhebliche Erklärung abgeben wollte und sie nicht - wie die Revision meint - beabsichtigte, Gespräche über den Abschluss einer Teilzeitvereinbarung anzustoßen. Für die Beklagte war hinreichend erkennbar, dass die Klägerin ihre Willensbildung bezüglich einer Teilzeitbeschäftigung abgeschlossen hatte und die E-Mail schrieb, um ihren Willen, das Arbeitsverhältnis ab dem 11. Juni 2012 als Teilzeitarbeitsverhältnis fortzuführen, kundzutun. Der Annahme, es liege eine Willenserklärung vor, steht nicht entgegen, dass die Klägerin am Ende der Nachricht der Hoffnung Ausdruck gibt, dass ihre Vorstellungen denen des Geschäftsführers der Beklagten B entsprechen. Es handelt sich dabei um einen allgemeinen Ausdruck der Höflichkeit, der nicht den Schluss zulässt, die vorstehenden Ausführungen seien unverbindlich.

21

cc) Das form- und fristgerechte Angebot der Klägerin ist hinreichend bestimmt. Es nennt neben dem Beginn der Teilzeittätigkeit den verbleibenden Umfang der Arbeitszeit und deren gewünschte Verteilung. Der Antrag der Klägerin, der keiner besonderen Form bedurfte, ging der Beklagten mehr als drei Monate vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit zu. Nach dem Vortrag der Beklagten, auf den das Landesarbeitsgericht im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen hat, übersandte die Klägerin der Beklagten am 3. Februar 2012 das für die Beantragung eines Platzes in einer Kindertagesstätte bestimmte Formular, „obwohl der Geschäftsführer vorher die sachlich begründete Zurückweisung diesbezüglich erklärt“ hatte. Dies belegt, dass der Geschäftsführer der Beklagten B spätestens zu diesem Zeitpunkt und damit mehr als drei Monate vor dem Beginn der beabsichtigten Teilzeit Kenntnis von dem Teilzeitverlangen der Klägerin hatte.

22

c) Die Beklagte lehnte den Teilzeitantrag nicht spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeitbeschäftigung ab, sodass sich die Arbeitszeit in dem von der Klägerin gewünschten Umfang verringerte (§ 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG) und die von ihr begehrte Verteilung der Arbeitszeit als festgelegt gilt (§ 8 Abs. 5 Satz 3 TzBfG). Infolge der Fiktion muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als hätte sie der angetragenen Vertragsänderung zugestimmt (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 729/07 - Rn. 30 mwN).

23

aa) Die Ablehnung des Teilzeitwunschs, die der Geschäftsführer der Beklagten B zu einem vom Landesarbeitsgericht nicht näher festgestellten Zeitpunkt der Klägerin gegenüber mündlich zum Ausdruck brachte, ist wegen Formmangels nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Sie entspricht nicht der vom Gesetz in § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG angeordneten Schriftform(§ 126 Abs. 1 BGB).

24

bb) Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, den Eintragungen, die der Geschäftsführer der Beklagten B auf der Arbeitszeitbescheinigung unter dem 13. März 2012 vornahm, sei nicht die Bedeutung beizumessen, er lehne das Teilzeitverlangen der Klägerin ab.

25

(1) Die Ablehnung des Arbeitgebers, dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers zuzustimmen, ist eine empfangsbedürftige, an den Arbeitnehmer gerichtete Willenserklärung (vgl. HaKo-TzBfG/Boecken 3. Aufl. § 8 Rn. 121; MüKoBGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 8 TzBfG Rn. 22; aA Hanau NZA 2001, 1168, 1171). Ob der Arbeitgeber eine solche Erklärung abgegeben hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Will der Arbeitgeber den Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG verhindern, erfordert das Gebot der Rechtsklarheit und Transparenz, dass er den Teilzeitwunsch des Arbeitnehmers hinreichend deutlich ablehnt. Denn der Arbeitnehmer muss Gewissheit haben, ob der Arbeitsvertrag seinem Angebot entsprechend geändert wurde (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 729/07 - Rn. 30).

26

(2) Die Eintragungen auf dem Formular sind nicht darauf gerichtet, den Teilzeitantrag der Klägerin zurückzuweisen. Sie haben keinen Bezug zum Teilzeitwunsch. Dies ergibt sich bereits daraus, dass mit der Arbeitszeitbescheinigung nicht die zukünftige, sondern die zum Zeitpunkt der Einreichung geltende Arbeitszeit abgefragt wurde. Der Formulartext („Die tägliche Arbeitszeit … beträgt“) ist im Präsens abgefasst, also in der Zeitform, mit der ein Geschehen als gegenwärtig charakterisiert wird. Am 13. März 2012 erklärte der Geschäftsführer der Beklagten B wahrheitsgemäß, die Klägerin befinde sich in einem Vollzeitarbeitsverhältnis. Es handelt sich um eine reine Wissenserklärung, die als solche nicht dahin gehend ausgelegt werden kann, sie diene dem Zweck, den Antrag der Klägerin auf Vertragsänderung abzulehnen. Auf diesen Gesichtspunkt hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

27

(3) Aus Sicht der Beklagten gab es am 13. März 2012 keinen Grund, den Teilzeitantrag der Klägerin zurückzuweisen. Noch in der Berufungsinstanz ist die Beklagte davon ausgegangen, es sei bereits „vorher die sachlich begründete Zurückweisung … erklärt“ worden. Aus diesem Grund spricht alles für die Annahme, dass die Beklagte in dem irrigen Glauben, den Antrag der Klägerin bereits rechtswirksam abgelehnt zu haben, keine erneute Willenserklärung abgeben wollte, es zum maßgeblichen Zeitpunkt mithin auch an dem erforderlichen inneren Tatbestand einer Willenserklärung fehlte.

28

cc) Die Ablehnung, die die Beklagte in ihrem Schreiben vom 11. Juni 2012 erklärte, erfolgte verspätet. Zum Zeitpunkt, zu dem der Klägerin das Schreiben zuging, war die Monatsfrist des § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG bereits abgelaufen.

29

2. Der hilfsweise gestellte Leistungsantrag zu 2. fällt nicht zur Entscheidung an.

30

3. Die Beklagte ist verpflichtet, die der Klägerin erteilte Abmahnung vom 19. Juni 2012 aus der Personalakte zu entfernen.

31

a) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Er besteht auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 142, 331).

32

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

33

aa) Dem Wortlaut der Abmahnung zufolge hält die Beklagte der Klägerin vor, ihre Arbeitsstelle am 18. Juni 2012 pflichtwidrig vor 17:00 Uhr verlassen zu haben. Dieser Vorwurf beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Klägerin. Denn die Klägerin war nicht verpflichtet, an diesem Tag in der Zeit von 14:00 bis 17:00 Uhr zu arbeiten. Infolge der mit Wirkung zum 11. Juni 2012 eingetretenen Vertragsänderung endete die Arbeitszeit der Klägerin um 14:00 Uhr. Weder nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nach dem Vortrag der Beklagten war die Klägerin zuvor angewiesen worden, am 18. Juni 2012 Überstunden zu leisten.

34

bb) Hat die Beklagte nicht das Verhalten der Klägerin am 18. Juni 2012, sondern am Folgetag abmahnen wollen, erweist sich die Abmahnung als inhaltlich unrichtig. Zum einen nimmt das Abmahnungsschreiben auf ein unzutreffendes Datum Bezug. Zum anderen endete die Arbeitszeit der Klägerin am 19. Juni 2012 nicht um 17:00 Uhr. Zugunsten der Beklagten unterstellt, sie habe an diesem Tag rechtswirksam Überstunden angeordnet, endete die Arbeitspflicht der Klägerin bereits um 16:00 Uhr. Die schriftliche Anweisung der Beklagten vom 19. Juni 2012 weist als Arbeitsende nicht 17:00 Uhr, sondern 16:00 Uhr aus.

35

4. Die der Klägerin mit der Kündigung vom 28. Juni 2012 angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

36

a) Eine betriebsbedingte Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG ist sozial nur gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer Änderung der bestehenden Vertragsbedingungen zu überprüfen. Das Änderungsangebot des Arbeitgebers ist daran zu messen, ob es durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist und sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder - wie im Streitfall die Klägerin - unter Vorbehalt angenommen hat (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - Rn. 16).

37

b) Beabsichtigt der Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer Änderungskündigung, den Rechtszustand herbeizuführen, der vor der Reduzierung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG bestand, sind die Wertungen des TzBfG zu beachten.

38

aa) Ziel des Gesetzes ist es, Teilzeitstellen zu schaffen und auf diese Weise Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren (vgl. BT-Drs. 14/4374 S. 11). Zu diesem Zweck gewährt das TzBfG Beschäftigten unter den in § 8 im Einzelnen genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit und auf die Neuverteilung der reduzierten Arbeitszeit entsprechend ihren Wünschen. Der Arbeitgeber ist nur dann berechtigt, einen Teilzeitantrag des Beschäftigten abzulehnen, wenn betriebliche Gründe der gewünschten Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Lehnt der Arbeitgeber das Änderungsangebot des Beschäftigten ab, kann dieser Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen erheben. In dem Klageverfahren prüft das Gericht, ob betriebliche Gründe iSd. § 8 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 TzBfG vorliegen. Hat der Arbeitgeber die Zustimmung zu Unrecht nicht erklärt, gilt diese mit Rechtskraft des klagestattgebenden Urteils als erteilt (§ 894 Satz 1 ZPO). Wäre es dem Arbeitgeber im Nachhinein möglich, den Teilzeitarbeitsvertrag durch den Ausspruch einer Änderungskündigung unter Berufung auf die vom Gericht bereits geprüften Gründe einseitig erneut zu ändern, bestände die Gefahr, dass das Ziel des TzBfG, Teilzeitarbeit zu fördern, verfehlt wird. Die Rechtsposition, die der Arbeitnehmer durch die gerichtliche Entscheidung erlangt hat, würde entwertet, wenn der Arbeitgeber denselben betrieblichen Gründen, die er dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers zu Unrecht entgegengehalten hat, nachträglich Geltung verschaffen könnte. Beschäftigte, die sich entschließen, ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit unter Inkaufnahme einer abgesenkten Vergütung zu reduzieren, sind im Regelfall aus persönlichen Gründen darauf angewiesen, ihr Teilzeitverlangen zeitnah durchzusetzen. Durch einen nachfolgenden Kündigungsschutzprozess würde die Realisierung des Teilzeitanspruchs - nach Ablauf der Kündigungsfrist - jedenfalls in den Fällen erneut verzögert, in denen der Beschäftigte die Kündigung unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist, annimmt. Aus diesem Grunde kann der Arbeitgeber die mit der Kündigung bezweckte Änderung der Arbeitsbedingungen im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nur mit solchen Tatsachen rechtfertigen, die er nicht bereits dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers hätte entgegenhalten können.

39

bb) Kommt der Änderungsvertrag, der die Verringerung und Neuverteilung der festgelegten Arbeitszeit vorsieht, nicht nach § 894 ZPO zustande, sondern im Wege der Fiktion nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG, gilt nichts anderes. Das TzBfG regelt in § 8 Abs. 2 bis Abs. 5 ein spezielles Verfahren, das ua. Erörterungspflichten sowie detaillierte Frist- und Formvorschriften vorsieht. So hat der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer die von ihm gewünschte Verringerung der Arbeitszeit mit dem Ziel zu erörtern, zu einer Vereinbarung zu gelangen (§ 8 Abs. 3 Satz 1 TzBfG), und Einvernehmen über die Verteilung der reduzierten Arbeitszeit zu erzielen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG). Will der Arbeitgeber den Teilzeitantrag unter Berufung auf betriebliche Gründe ablehnen, hat er dies sowohl hinsichtlich der Verringerung der Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Verteilung der reduzierten Arbeitszeit spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit dem Arbeitnehmer gegenüber schriftlich zu erklären (§ 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG). Ein Arbeitgeber, der diese Obliegenheiten missachtet, darf nicht besserstehen, als ein Arbeitgeber, der seine Belange wahrnimmt, dessen Zustimmung zum Änderungsvertrag aber durch die gerichtliche Entscheidung nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben gilt.

40

c) Die Beklagte begründet die Kündigung ausschließlich mit dem Hinweis, sie wolle ihr bisheriges Organisationskonzept, das die Beschäftigung von Teilzeitkräften nicht zulasse, beibehalten. Dieses Organisationskonzept hatte die Beklagte bereits vor Ablauf der Zurückweisungsfrist des § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG dem Teilzeitverlangen der Klägerin - erfolglos - entgegenzuhalten versucht. Tatsachen, die erst nach Fristablauf bzw. dem Eintritt der Fiktion entstanden sind oder von denen sie erst später Kenntnis erlangte, hat die Beklagte nicht vorgetragen; im Übrigen sind sie nicht ersichtlich.

41

III. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Suckow     

        

        

        

    Vogg    

        

    Wullhorst     

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 23. November 2010 - 7 Sa 427/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin.

2

Der beklagte Landkreis ist Träger einer Volkshochschule, die organisatorisch dem Schulverwaltungsamt zugeordnet ist. Zu der Volkshochschule gehört ein Planetarium, für das eine Zahlstelle der Kreiskasse eingerichtet ist.

3

Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem Jahre 2000 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Ihr wurde mit Wirkung zum 1. Dezember 2006 die Tätigkeit einer Haushaltssachbearbeiterin der Volkshochschule übertragen. Sie war verantwortlich für die Zahlstelle des Planetariums.

4

Die Einnahme- und Auszahlungsanordnungen für das Planetarium wurden anlässlich einer Dienstberatung Anfang März 2007 zur Entlastung der Klägerin ihrer Vertreterin - Frau H - übertragen. Mit einem Schreiben an die Dezernentin vom 25. Mai 2007 beantragte der Leiter der Volkshochschule, die Verantwortlichkeit für die Zahlstellenverwaltung dahin zu ändern, dass Frau H als Hauptverantwortliche eingesetzt werde, die Klägerin nurmehr im Vertretungsfall.

5

Mitte Juli 2007 übergab die Klägerin die Zahlstelle anlässlich ihres bevorstehenden Urlaubs an den Leiter der Volkshochschule. Anstelle des Originalkassenbuchs händigte sie ihm eine von ihr gefertigte Zweitfassung mit nur ein oder zwei Eintragungen aus, in die Quittungen eingelegt waren. Der Leiter bemerkte das Fehlen des Originalbuchs, ohne Schritte zur Aufklärung seines Verbleibs zu unternehmen. Bei einer im August 2007 durchgeführten Kontrolle durch die Leiterin der Kreiskasse wurde es nicht mehr aufgefunden. Die Klägerin gab bei einer Anhörung an, sie habe das Kassenbuch am 26. April 2007 an Frau H übergeben. Sie sei nur noch deren Vertreterin gewesen. Sie habe das Kassenbuch im Vertretungsfall nicht zurückerhalten. Sie habe deshalb ein zweites angelegt.

6

Mit Schreiben vom 16. April 2008 mahnte der Beklagte die Klägerin ab. Er beanstandete, dass das Kassenbuch in der Zeit abhanden gekommen sei, zu der sie für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich gewesen sei. Sie habe dadurch gegen ihre Pflicht zur sorgfältigen Führung der Zahlstelle verstoßen. Zudem habe sie durch ihre Erklärungen den Eindruck erweckt, die Verantwortung für die nicht ordnungsgemäße Führung der Zahlstelle und das Abhandenkommen des Kassenbuchs treffe die Vertreterin.

7

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rücknahme der Abmahnung verlangt. Sie hat behauptet, Frau H sei am 5. März 2007 mit der Arbeitsaufgabe „Planetarium“ beauftragt worden.

8

Die Klägerin hat beantragt

        

den Beklagten zu verurteilen, die ihr mit Schreiben vom 16. April 2008 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

9

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, die Klägerin sei weiterhin für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich gewesen. Am 5. März 2007 seien zu ihrer Entlastung lediglich die Einnahme- und Auszahlungsanordnungen auf Frau H übertragen worden. Bis zur Kassenprüfung im August 2007 sei die Planung, diese zur Kassenverantwortlichen zu bestellen, nicht umgesetzt worden. Die Angabe der Klägerin, sie habe Ende April 2007 das Originalkassenbuch übergeben und nicht mehr zurückerhalten, treffe nicht zu.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, steht noch nicht fest (II.).

12

I. Das Landesarbeitsgericht hat auf Basis der bisherigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe einen Anspruch auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte.

13

1. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 - Rn. 10, AP GG Art. 4 Nr. 8; 27. November 2008 - 2 AZR 675/07 - Rn. 13 - 17 mwN, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 33 = EzA BGB 2002 § 314 Nr. 4).

14

2. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht zwischen einem Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und einem solchen auf ihre Entfernung aus der Personalakte differenziert hat.

15

a) Das Begehren auf Rücknahme einer Abmahnung wird neben dem auf ihre Entfernung aus der Personalakte zumeist nicht eigenständig verfolgt. Eine mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung ist dann als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu verstehen (vgl. BAG 27. Januar 1988 - 5 AZR 604/86 - RzK I 1 Nr. 26; Hessisches LAG 22. Juni 2010 - 12 Sa 829/09 - Rn. 17; LAG Köln 15. Juni 2007 - 11 Sa 243/07 - Rn. 26 f.). Kann der Klagebegründung dagegen entnommen werden, der Kläger begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte beispielsweise den Widerruf darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf Rücknahme der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (vgl. LAG Nürnberg 14. Juni 2005 - 6 Sa 582/04 - zu 3 der Gründe, AR-Blattei ES 20 Nr. 41; Hessisches LAG 22. Juni 2010 - 12 Sa 829/09 - aaO).

16

b) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin neben der Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte einen weiteren Anspruch verfolgt. Sie hat sich nicht dagegen gewandt, dass die Vorinstanzen den Klageanspruch als ein einheitliches Begehren auf Rücknahme der Abmahnung eben durch ihre Entfernung aus der Personalakte verstanden haben.

17

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte sei zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin verpflichtet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Abhandenkommen des Originalkassenbuchs falle zwar in die Zeit der Verantwortlichkeit der Klägerin, der Beklagte habe aber kein schutzwürdiges Interesse mehr daran, dass die Abmahnung in deren Personalakte verbleibe.

18

a) Personalakten sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über diese Verhältnisse geben ( BAG 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - RzK I 1 Nr. 47; 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - zu II 2 der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 83 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 21). Ein Arbeitnehmer kann deshalb nur in Ausnahmefällen die Entfernung auch solcher Aktenvorgänge verlangen, die auf einer richtigen Sachverhaltsdarstellung beruhen ( BAG 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - zu II 2 der Gründe, aaO; 7. September 1988 - 5 AZR 625/87  - zu III der Gründe, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 17; 13. April 1988 - 5 AZR 537/86  - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 100 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 47). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Interessenabwägung im Einzelfall ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen könnte, obwohl der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (BAG 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34; 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - aaO; 7. September 1988 - 5 AZR 625/87 - aaO).

19

b) Diesen Maßstab hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

20

aa) Es hat angenommen, eine Abmahnung könne nach längerem einwandfreien Verhalten des Arbeitnehmers ihre Wirkung verlieren, wofür die Umstände des Einzelfalls maßgeblich seien (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Dies trifft zwar zu. So kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - aaO). Berücksichtigt worden ist damit aber nur die Warnfunktion einer Abmahnung. Mit einer Abmahnung übt ein Arbeitgeber dagegen seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus. Zum einen weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu I der Gründe, BAGE 100, 70; 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34; 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 4 a der Gründe, BAGE 79, 176).

21

bb) Ein Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung setzt demnach nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren hat. Der Arbeitgeber darf auch kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation der gerügten Pflichtverletzung haben. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte nur dann verlangen, wenn sie für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses unter keinem rechtlichen Aspekt mehr eine Rolle spielen kann. Das durch die Abmahnung gerügte Verhalten muss für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden sein. Das ist nicht der Fall, solange eine zu Recht erteilte Abmahnung etwa für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung oder Beförderung und die entsprechende Eignung des Arbeitnehmers, für die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder für die im Zusammenhang mit einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende Interessenabwägung von Bedeutung sein kann. Darüber hinaus kann es im berechtigten Interesse des Arbeitgebers liegen, die Erteilung einer Rüge im Sinne einer Klarstellung der arbeitsvertraglichen Pflichten weiterhin dokumentieren zu können. Demgegenüber verlangen die schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers nicht, einen Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung schon dann zu bejahen, wenn diese zwar ihre Warnfunktion verloren hat, ein Dokumentationsinteresse des Arbeitgebers aber fortbesteht. Auch wenn sich eine Abmahnung noch in der Personalakte befindet, ist im Rahmen eines möglichen Kündigungsrechtsstreits stets zu prüfen, ob ihr noch eine hinreichende Warnfunktion zukam (vgl. etwa BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4).

22

cc) Diese Voraussetzungen eines Entfernungsanspruchs hat das Landesarbeitsgericht nicht sämtlich geprüft.

23

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Abmahnung sei wegen Zeitablaufs nicht mehr wirksam und deshalb aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Mit der Verwaltung der Zahlstelle sei die Klägerin offensichtlich überfordert gewesen. Ihr seit der Abmahnung beanstandungsfreies Verhalten lasse den Schluss zu, sie werde künftig ihre Arbeitspflichten ordnungsgemäß erfüllen.

24

(2) Die Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, an welchem Maßstab es sich orientiert und diese Einzelfallumstände gewürdigt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es geprüft hätte, ob die Abmahnung für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle rechtlichen Gesichtspunkte erwogen und ausgeschlossen, unter denen der Beklagte ein berechtigtes Interesse an dem weiteren Verbleib der Abmahnung in der Personalakte der Klägerin haben könnte. Es hat insbesondere nicht gewürdigt, ob das gerügte Fehlverhalten der Klägerin weiterhin von Bedeutung für eine Beurteilung ihrer Fähigkeiten und Leistungen als Haushaltssachbearbeiterin sein konnte. Dagegen spricht nicht schon der Umstand, dass nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Gefahr einer erneuten Pflichtverletzung nicht mehr bestand. Sollte mit dem Landesarbeitsgericht anzunehmen sein, die Klägerin sei mit der Verwaltung der Zahlstelle überfordert gewesen, spricht dies mit Blick auf künftige Einsatzmöglichkeiten eher für ein berechtigtes Interesse des Beklagten an einer Beibehaltung der Dokumentation.

25

II. Ob der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, steht danach noch nicht fest.

26

1. Eine solche Verpflichtung besteht auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht deshalb, weil die Abmahnung eine falsche Tatsachenbehauptung oder unzutreffende rechtliche Wertung insoweit enthielte, wie der Beklagte rügt, die Klägerin habe Frau H bezichtigt, für das Verschwinden des Kassenbuchs die Verantwortung zu tragen.

27

a) Der Beklagte hat sowohl im Text der Abmahnung als auch im Rechtsstreit angegeben, worauf er diesen Vorwurf stützt. Die Klägerin habe bei ihrer Anhörung angegeben, der Kollegin am 26. April 2007 das Originalkassenbuch übergeben und es von ihr nicht wieder zurückerhalten zu haben. Dies treffe nicht zu.

28

b) Entspräche die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe das Originalkassenbuch Ende April 2007 nicht ihrer Kollegin übergeben, der Wahrheit, enthielte seine Rüge, die Klägerin habe dadurch die Kollegin bezichtigt, für das Verschwinden des Kassenbuchs verantwortlich zu sein, weder eine falsche Tatsachenbehauptung, noch beruhte sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung. Es ginge dann nicht nur um eine möglicherweise von der Klägerin missverstandene Beschlusslage von Anfang März 2007, wie das Arbeitsgericht gemeint hat. Die Klägerin hätte vielmehr selbst unzutreffende Angaben zu einer tatsächlichen Übergabe des Kassenbuchs mit der Folge gemacht, dass ihre Kollegin als verantwortlich für das Verschwinden des Kassenbuchs erscheinen musste.

29

2. Sonstige Gründe für einen Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung sind auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht gegeben. Die Abmahnung ist weder inhaltlich zu unbestimmt noch verstößt sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

30

3. Umgekehrt ist ein Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung vom 16. April 2008 nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil die Abmahnung für die bei einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende Interessenabwägung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses ihre Bedeutung behielte. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

31

a) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, der Arbeitgeber habe ein dauerhaftes Interesse an dem Verbleib einer zu Recht erteilten Abmahnung in der Personalakte des Arbeitnehmers (vgl. Kleinebrink BB 2011, 2617, 2622; Ritter DB 2011, 175, 176 f.; Schrader NZA 2011, 180, 181). Die Abmahnung möge zwar nach einem gewissen Zeitablauf ihre Warnfunktion verlieren, im Rahmen der Interessenabwägung müsse sich der Arbeitgeber aber weiterhin auf sie berufen dürfen (Schrader aaO). Durch bloßen Zeitablauf könne die Abmahnung nicht bedeutungslos werden, weil für die Abwägung der beiderseitigen Interessen erheblich sein könne, ob das Arbeitsverhältnis während seines - gesamten - Bestands störungsfrei gewesen sei (Ritter DB 2011, 175, 176). Der Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, Unterlagen, die einen Vertrauenszuwachs verhindern könnten, dauerhaft in der Personalakte zu belassen (Kleinebrink aaO).

32

b) Zutreffend ist, dass eine Abmahnung für eine spätere Interessenabwägung auch dann noch Bedeutung haben kann, wenn sie ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion verloren hat. So kann in die Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung ein zuvor störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses einzubeziehen sein (vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 20, AP BGB § 626 Nr. 237 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 38; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 34, BAGE 134, 349). An einem solchen kann es fehlen, wenn der Arbeitnehmer schon einmal abgemahnt wurde. Gleichwohl besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Dokumentation einer Pflichtverletzung nicht zwangsläufig für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. So kann ein hinreichend lange zurückliegender, nicht schwerwiegender und durch beanstandungsfreies Verhalten faktisch überholter Pflichtenverstoß seine Bedeutung für eine später erforderlich werdende Interessenabwägung gänzlich verlieren. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich wird demgegenüber eine erhebliche Zeit von Bedeutung sein.

33

III. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die folgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

34

1. Bislang ist nicht aufgeklärt, ob die Abmahnung vom 16. April 2008 eine unrichtige Tatsachenbehauptung oder falsche rechtliche Bewertung enthält. Die Klägerin hat zwar nicht bestritten, bei ihrer Anhörung angegeben zu haben, sie habe ihrer Kollegin schon Ende April 2007 die Zahlstelle übergeben. Eine Pflichtverletzung läge darin aber nur, wenn dies nicht der Wahrheit entspräche. Hierzu haben die Parteien widerstreitend vorgetragen.

35

2. Ebenso wenig wie für das Fortbestehen der Warnfunktion einer Abmahnung (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4)gibt es eine fest bemessene Frist für die Dauer, für welche ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an ihrem Verbleib in der Personalakte des Arbeitnehmers anzuerkennen ist. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwere des gerügten Fehlverhaltens. Je schwerer eine Pflichtverletzung wiegt, desto länger kann sie für die Beurteilung der Führung, der Leistungen und der Fähigkeiten des Arbeitnehmers und ggf. für seine Vertrauenswürdigkeit von Bedeutung sein. Ein auf nur geringer Nachlässigkeit beruhender Ordnungsverstoß kann seine Bedeutung für das Arbeitsverhältnis deutlich eher verlieren (vgl. dazu BAG 27. Januar 1988 - 5 AZR 604/86 - zu III der Gründe, RzK I 1 Nr. 26) als ein Fehlverhalten, welches geeignet ist, das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers erheblich zu beeinträchtigen. Auch eine schwere Pflichtverletzung im Leistungsbereich wird ein Interesse des Arbeitgebers an einem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte angesichts der Möglichkeit, die Qualität der Arbeitsleistung und die Befähigung des Arbeitnehmers für höherwertige oder andere Tätigkeiten beurteilen zu müssen, für längere Zeit begründen können.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 21.12.2016 - 4 Ca 843/16 - wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.

2

Der Kläger ist seit dem 01.01.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Kundendiensttechniker beschäftigt und betreut als solcher den Großraum Trier sowie den Großraum Saarbrücken. Zur Ausübung seiner Tätigkeit fährt er in der Regel morgens direkt von seinem Wohnort zum ersten Kunden fährt und abends vom letzten Kunden zurück zu seinem Wohnsitz.

3

Bei der Beklagten findet eine gekündigte, aber noch nachwirkende Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst (im Folgenden: GBV-Arbeitszeit) Anwendung. Diese enthält u. a. folgende Bestimmungen:

4

"§ 4 Anfahrts- und Rückfahrtszeit/ Beginn der Arbeitszeit

5

a) Anfahrtszeit vom Wohnort zum ersten Kunden:

6

Es sind bis zu 30 Minuten ab Fahrtbeginn vom Wohnort des Mitarbeiters zum eingeteilten ersten Kunden als zumutbar anzusehen. Die angefallene Anfahrtszeit von bis zu 30 Minuten wird daher nicht als Arbeitszeit erfasst. Bei einer Anfahrtszeit zum ersten eingeteilten Kunden vom Wohnort des Mitarbeiters, die länger als 30 Minuten in Anspruch nimmt, beginnt die Arbeitszeit folglich ab der 31. Minute. Bei einer kürzeren Anfahrtszeit beginnt die Arbeitszeit entsprechend früher.

7

b) Rückfahrtszeit vom letzten Kunden zum Wohnort:

8

Es sind bis zu 30 Minuten ab Fahrtbeginn vom eingeteilten letzten Kunden zum Wohnort des Mitarbeiters als zumutbar anzusehen. Die angefallene Abfahrtszeit bis zu 30 Minuten wird daher nicht als Arbeitszeit erfasst. Die Arbeitszeit endet mit Beginn der Heimfahrt zum Wohnort, d. h. nach Abschluss der Tätigkeit (Reportzeit = Arbeitsende). Bei einer Fahrzeit vom letzten eingeteilten Kunden zum Wohnort des Mitarbeiters, die länger als 30 Minuten in Anspruch nimmt, wird die Zeit ab der 31. Minute als Arbeitszeit erfasst. Bei einer Unterbrechung der direkten Heimfahrt endet die Arbeitszeit zum Zeitpunkt der Unterbrechung.

9

10

§ 9 Zeiterfassung und Kontrolle

11

Jeder Mitarbeiter muss seiner Pflicht im Reporting nachkommen. Die Zeiten sind wahrheitsgemäß und zeitnah mit Hilfe der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel/Systeme zu dokumentieren. Die Führungskraft ist berechtigt, die Zeiterfassung einzusehen und ist ebenso verpflichtet, bei Differenzen sowie Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz einzugreifen. Der Betriebsrat erhält Zugriff auf die Arbeitszeitkonten der einzelnen Mitarbeiter".

12

Die Fahrtzeiten des Klägers von seinem Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zu seinem Wohnsitz wurden in der Vergangenheit nur insoweit als zu vergütende Arbeitszeit berücksichtigt, als sie jeweils eine Dauer von 30 Minuten überschritten.

13

Ebenso wie die anderen Außendienstmitarbeiter führt der Kläger ein Arbeitszeitjournal. Dieses enthält u. a. folgende, vom Kläger auszufüllende Spalten: "Abfahrt", "AZ von", "AZ bis", "Ankunft". Zur Darstellung der Form der Arbeitszeitjournale wird ergänzend auf Blatt 44 d. A. Bezug genommen.

14

Bis einschließlich 16.03.2016 füllte der Kläger das Arbeitszeitjournal dergestalt aus, dass er, so wie in dem betreffenden Formular vorgesehen, seine Fahrtzeiten durch Ausfüllen der Spalten "Abfahrt" und "Ankunft" gesondert von den in den Spalten "AZ von" und "AZ bis" eintrug. Ab dem 17.03.2016 ging der Kläger dazu über, seine Fahrtzeiten nicht mehr gesondert im Arbeitszeitjournal auszuweisen, sondern in den Spalten "Abfahrt" und "AZ von" einerseits und in den Spalten "AZ bis" und "Ankunft" andererseits jeweils dieselben Zeiten einzutragen und zwar jeweils unter Zugrundelegung des Zeitpunkts seiner Abfahrt von seinem Wohnort bzw. seiner Rückkehr. Für den 17.03.und den 18.03.2016 trug er in der Spalte "Bemerkungen" ein: "Siehe Gerichtsurteil C-266/14". Bei Einreichung des Journals für den Monat März 2016 teilte der Kläger der Beklagten per E-Mail vom 01.04.2016 folgendes mit:

15

"Guten Morgen D.,

16

anbei das Zeitjournal für den Monat März 2016.

17

Ich habe ab Mitte des Monats, auf Rat von meinem Anwalt, das Zeitjournal so geführt, dass Fahrzeit gleichgestellt mit der Arbeitszeit ist.

18

Ich berufe mich auf ein BAG Urteil vom 22.04.2009, Az 5 AZR 29208 und selbstverständlich auf die Bestätigung EuGH vom 10.09.2015 - Az C-266-14.

19

Die BV Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst vom 18.12.2008 ist somit seit April 2009 in Frage gestellt."

20

Mit Schreiben vom 21.04.2016 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung die - auszugsweise - wie folgt lautet:

21

"Sehr geehrter Herr A.,

22

Ihr Verhalten gibt uns Veranlassung, Sie aus folgenden Gründen abzumahnen und zukünftig zur Einhaltung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten aufzufordern:

23

Sie sind verpflichtet, Ihre Arbeits- und Fahrtzeiten in einem Arbeitszeitjournal zu erfassen. Dieses haben Sie mehrfach eigenmächtig fehlerhaft ausgefüllt, indem sie Fahrtzeiten am Morgen von ihrem Wohnort zu einem Kunden und am Abend von einem Kunden zu Ihrem Wohnort vollständig als Arbeitszeit erfasst haben.

24

Für die folgenden Daten haben Sie die gesamte Anfahrts- und Rückfahrtszeit in dem Arbeitszeitjournal als Arbeitszeit erfasst

17.03.2016

18.03.2016

21.03.2016

22.03.2016

23.03.2016

24.03.2016

29.03.2016

30.03.2016

31.03.2016

25

Nach § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst gilt für die Anfahrtszeit vom Wohnort zu ersten Kunden sowie die Rückfahrtszeit vom letzten Kunden zum Wohnort, dass eine angefallene Anfahrts- und Rückfahrtszeit von jeweils bis zu 30 Minuten als zumutbar anzusehen ist und die angefallene Anfahrts- und Rückfahrtszeit von jeweils 30 Minuten somit nicht als Arbeitszeit erfasst wird".

26

Der Kläger hat erstinstanzlich u. a. geltend gemacht, die Abmahnung enthalte eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung.

27

Der Kläger hat beantragt,

28

die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 21.04.2016 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

29

Die Beklagte hat beantragt,

30

die Klage abzuweisen.

31

Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Klage sei bereits unzulässig. Zudem sei die Abmahnung berechtigterweise ausgesprochen worden. Die Mitarbeiter seien nach der GBV verpflichtet, das Zeitjournal wahrheitsgemäß auszufüllen. Hiergegen habe der Kläger verstoßen. Insofern schildere und bewerte die Abmahnung den Sachverhalt zutreffend.

32

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.12.2016, auf dessen Tatbestand (Bl. 91 - 93 d. A.) gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ergänzend zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 - 7 dieses Urteils (= Bl. 93 - 96 d. A.) verwiesen.

33

Gegen das ihr am 10.01.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.02.2017 Berufung eingelegt und diese der innerhalb ihr mit Beschluss vom 09.03.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.04.2017 begründet.

34

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, die Klage sei mangels Bestimmtheit unzulässig, da weder in der Klageschrift noch im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19.10.2016 die Tatsachen beschrieben seien, aufgrund derer der Kläger die Entfernung der Abmahnung begehre. Vielmehr beschränke sich die Klageschrift auf den Hinweis, der Sachverhalt sei unrichtig dargestellt, so dass der Kläger keine Pflichtwidrigkeit begangen habe. Die Klage sei jedoch auch unbegründet. Die Abmahnung gebe den zugrundeliegenden Sachverhalt zutreffend wieder. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hätte die Rechtsauffassung des Klägers, Arbeitszeiten im Anschluss an eine Entscheidung des EuGH abweichend von den bestehenden Regelungen aufzeichnen zu dürfen, nicht in die Abmahnung aufgenommen werden müssen. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Abmahnung lasse an den Vorwurf eines versuchten Arbeitszeitbetruges denken, entbehre jeder Grundlage. Die Abmahnung stelle vielmehr ausdrücklich und ausschließlich darauf ab, dass der Kläger die Arbeitszeitjournale eigenmächtig fehlerhaft ausgefüllt habe, indem er die gesamten Anfahrts- und Rückfahrtszeit als Arbeitszeit erfasst habe. Die rechtliche Bewertung, die in der Abmahnung zum Ausdruck komme, sei zutreffend. Jedenfalls habe sie - die Beklagte - die Aufzeichnungen von Arbeitszeiten entgegen den Bestimmungen in der Gesamtbetriebsvereinbarung als Pflichtverletzung bewerten dürfen. § 4 der GBV sei wirksam. Im Übrigen sei der Kläger nicht berechtigt gewesen, eigenmächtig - d. h. ohne Rücksprache und Vereinbarung mit der Beklagten - seine Arbeitszeiteinträge anders als in § 4 der GBV festgelegt, vorzunehmen. Eine abweichende und im Übrigen auch unzutreffende Rechtsauffassung, basierend auf einer Entscheidung des EuGH in anderer Sache, rechtfertige keinen Verstoß gegen die Handlungsanweisungen aus der GBV. Auch aus sonstigen Gründen ergebe sich vorliegend keine Berechtigung des Klägers zur abweichenden Aufzeichnung seiner Arbeitszeiten. Schließlich sei die Abmahnung auch verhältnismäßig. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, der Kläger habe mit der Art und Weise des Ausfüllens des Arbeitszeitsjournals letztlich nur Ansprüche geltend gemacht, die er für gegeben halte, verkenne, dass der Kläger mit dem Ausfüllen des Zeitjournals keine Ansprüche geltend gemacht, sondern gegen die Bestimmungen der GBV verstoßen habe. Insoweit handele es sich nicht um eine Geltendmachung, sondern bereits um eine Selbsthilfe im Wege einer Umsetzung seiner Rechtsauffassung. Wenn jeder Mitarbeiter die Arbeitszeitjournale nach eigenem Gutdünken ausfülle, so seien diese für die weitere personalbuchhalterische Verarbeitung nicht mehr verwendbar. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass zwischen dem 01.03 und 01.04.2016 der Vorgesetzte des Klägers diesen mehrfach darauf hingewiesen habe, dass die Arbeitszeitjournale entsprechend den Bestimmungen der GBV auszufüllen seien.

35

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 21.11.2016 (Bl. 72 - 75 d. A.) Bezug genommen.

36

Die Beklagte beantragt,

37

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

38

Der Kläger beantragt,

39

die Berufung zurückzuweisen.

40

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 16.05.2017 (Bl. 150 - 152 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

41

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

42

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

43

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere - entgegen der Ansicht der Beklagtenhinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich fest.

2.

44

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 21.04.2016 aus seiner Personalakte.

45

Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an dem Verbleib in der Personalakte besteht (BAG v. 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abmahnung, m. w. N.). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (BAG v. 30.05.1996 - 6 AZR 537/95 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit).

46

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Klage als unbegründet.

a)

47

Die Abmahnung vom 21.04.2016 ist inhaltlich bestimmt. Sie beschreibt einen konkreten Sachverhalt und enthält auch den Vorwurf einer konkreten Pflichtverletzung, nämlich einen Verstoß gegen die in der GBV enthaltenen Bestimmungen zur Dokumentation von Arbeits- und Fahrtzeiten.

b)

48

Die Abmahnung enthält keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Der dort wiedergegebene Sachverhalt ist unstreitig insgesamt zutreffend. Die Sachverhaltsschilderung ist auch nicht deshalb unvollständig, weil der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der Erstellung des Arbeitszeitsjournals für den Monat März 2016 gegenüber der Beklagten die Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht hat, seine Fahrtzeiten seien als Arbeitszeiten zu bewerten. Eine vom Arbeitnehmer zur Rechtfertigung eines etwaigen Pflichtenverstoßes vertretene Rechtsansicht, sei sie zutreffend oder unzutreffend, gehört nicht zum notwendigen Bestandteil einer Abmahnung.

c)

49

Die Abmahnung beruht nicht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers.

50

Dabei kann offen bleiben, ob die Fahrtzeiten von seinem Wohnort zum ersten Kunden und für die Rückfahrt vom letzten Kunden zu seinem Wohnort in vergütungsrechtlicher Hinsicht als Arbeitszeit zu bewerten sind. In diesem Zusammenhang wäre jedoch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des EuGH vom 10.09.2015 - C-266/14 -, auf die der Kläger seine Rechtsansicht stützt, ausschließlich die Bewertung von Fahrtzeiten in arbeitsschutzrechtlicher, nicht hingegen in vergütungsrechtlicher Hinsicht betrifft, und dass - jedenfalls bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - die Anrechnung einer Zeitersparnis durchaus dann in Betracht kommt, wenn sich der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus unmittelbar zu einem außerhalb gelegenen Arbeitsplatz begeben kann, anstatt den Umweg über den Betrieb nehmen zu müssen (BAG v. 22.04.2009 - 5 AZR 292/08 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Wegezeit). Darüber kann auch durch Arbeitsvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrtzeiten zu auswärtigen Arbeitsstellen getroffen werden (BAG v. 12.12.2012 - 5 AZR 355/12 - AP Nr. 41 zu § 611 BGB Arbeitszeit).

51

Die Beklagte rügt im Abmahnungsschreiben einen Verstoß gegen die in der GBV-Arbeitszeit enthaltenen Vorschriften zur Dokumentation von Arbeits- und Fahrtzeiten. Sie beruht insoweit auf einer zutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers.

52

Nach § 4 der GBV-Arbeitszeit werden Anfahrtszeiten von bis zu 30 Minuten zum ersten Kunden sowie Rückfahrtszeiten von bis zu 30 Minuten vom letzten Kunden zum Wohnort des Arbeitnehmers nicht als Arbeitszeit erfasst. Ob die betreffende Regelung in der GBV-Arbeitszeit insoweit wirksam ist, als sie Fahrtzeiten in einem bestimmten Umfang von der Vergütungspflicht ausnimmt, ist vorliegend ohne Belang. Sie ist jedenfalls insoweit wirksam, als sie die getrennte Erfassung von An- und Rückfahrtszeiten einerseits und der dazwischenliegenden Zeiten andererseits vorsieht und die Mitarbeiter in § 9 verpflichtet, die betreffenden Zeiten wahrheitsgemäß mit Hilfe der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel/Systeme zu dokumentieren. Als "Arbeitsmittel" bzw. "System" im Sinne dieser Vorschrift hat die Beklagte ihren Außendienstmitarbeitern als Zeitjournal bezeichnete Tabellen zur Verfügung gestellt, in welche der Mitarbeiter sowohl seine Fahrtzeit zum ersten Kunden als auch seine Rückfahrt vom letzten Kunden gesondert zu dokumentieren hat. Es obliegt im Übrigen ohnehin grundsätzlich dem Arbeitgeber, darüber zu entscheiden, in welcher Art und Weise der Arbeitnehmer seine Zeiten zu dokumentieren und welche Angaben er dabei zu machen hat.

53

Gegen diese Dokumentationspflicht hat der Kläger, wie im Abmahnungsschreiben gerügt, verstoßen, indem er bezüglich der in der Abmahnung im Einzelnen genannten Daten die maßgeblichen Fahrtzeiten nicht mehr gesondert dokumentiert, sondern sie im Ergebnis den unter den Spalten "AZ von" und "AZ bis" einzutragenden Zeiten zugeschlagen hat.

54

Das in der Abmahnung gerügte Fehlverhalten des Klägers war auch nicht gerechtfertigt. Soweit der Kläger die Rechtsansicht vertritt, bei den Fahrtzeiten handele es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit, so berechtigte ihn dies nicht, seine Zeitangaben - quasi nach eigenem Gutdünken - abweichend von den Vorgaben der GBV-Arbeitszeit und des ihm zur Verfügung gestellten Formulars zu tätigen.

55

Die Abmahnung enthält auch kein über den gerügten Pflichtenverstoß hinausgehendes Unwerturteil in Gestalt des Vorwurf eines Arbeitszeitbetruges. Dieser Vorwurf kommt in der Abmahnung nicht ansatzweise zum Ausdruck. Vielmehr hat die Beklagte ausschließlich den Verstoß des Klägers gegen seine Dokumentationspflicht gerügt.

d)

56

Die Abmahnung ist auch nicht unverhältnismäßig.

57

Bei Abmahnungen im Arbeitsverhältnis ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebensogut Rechnung getragen hätten oder zumindest zumutbar gewesen wären. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden. Hiernach hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will (BAG v. 13.11.1991 - 5 AZR 74/91 - AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung, m. w. N.).

58

Die schriftliche Abmahnung der Beklagten ist nicht unverhältnismäßig im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten. Dass die Beklagte die Abmahnung in die Personalakte des Klägers aufgenommen hat, ist sachgerecht. Es muss ihr überlassen bleiben, ob sie dies aus Beweisgründen für erforderlich hält oder nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass der Gläubiger - hier also die Beklagte - zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten wählen kann (Ausweichprinzip). Es ginge zu weit, der Beklagten die Abmahnung und deren Aufnahme in die Personalakte des Klägers zu untersagen, weil man über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Damit würde die Beklagte zwangsläufig zu erkennen geben, sie nehme an der Verletzung der Dokumentationspflicht keinen Anstoß.

59

Gegen die Verhältnismäßigkeit der streitbefangenen Abmahnung kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, das Verhalten des Klägers stelle sich letztlich (nur) als Geltendmachung eines Rechts auf Zahlung von Arbeitsvergütung für Fahrtzeiten dar. Der Kläger hatte jederzeit die Möglichkeit, seine etwaigen diesbezüglichen Ansprüche geltend zu machen, ohne hierbei zugleich seine Dokumentationspflichten zu verletzen. Überdies war der Kläger mit E-Mail seines Vorgesetzten vom 19.03.2016 ausdrücklich angehalten worden, die Bestimmungen der GBV-Arbeitszeit bei der Führung seiner Arbeitszeitjournale einzuhalten.

e)

60

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse mehr hat am Verbleib der zu Recht erteilten Abmahnung in der Personalakte des Klägers, sind - auch im Hinblick darauf, dass seit deren Erteilung erst ca. 1,5 Jahre vergangen sind - nicht gegeben.

III.

61

Nach alledem war die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

62

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

63

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 31.01.2012, Az.: 6 Ca 597/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.

2

Der Kläger ist seit dem 01.04.1985 bei den US-Streitkräften, derzeit in der Dienststelle Defense Logistics Agency (DLA) Distribution Europe, in G. als Sachbearbeiter beschäftigt. Er ist Vorsitzender der dortigen Betriebsvertretung.

3

Mit Schreiben des Dienststellenleiters vom 22.06.2011 wurde dem Kläger eine Abmahnung erteilt. Diese hat folgenden Inhalt:

4

"Sehr geehrter Herr A.,

5

hiermit erhalten Sie eine schriftliche Abmahnung, deren Begründung Sie den folgenden Absätzen entnehmen können:

6

Am Donnerstag, den 26. Mai 2011 haben Sie als Vorsitzender der Betriebsvertretung zwei Teilversammlungen bzw. Personalversammlungen geleitet.

7

In der ersten Versammlung waren außer mir als Dienststellenleiter auch mein Stellvertreter, Herr Brian G. Z anwesend, sowie Herr Y vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, Mainz, der seinen Hund mit in den Saal gebracht hatte. Sie fragten, ob jemand etwas gegen den Verbleib des Hundes einzuwenden habe und äußerten dann: "Der Kommandeur hat ja auch seinen Stellvertreter, Herrn Z, mitgebracht, dann gleicht sich das ja aus". Trotz der Tatsache, dass einige Versammlungsteilnehmer hierauf laut lachten, setzten Sie die Versammlung ohne weitere Bemerkung hierzu fort. Nachdem ich Ihnen in einer Stellungnahme bei Beginn der zweiten Teilversammlung an diesem Tag darlegte, dass Ihre Formulierung nach meiner Einschätzung eine Ehrverletzung darstellt, äußerten Sie sich trotzdem erneut, nachdem ich die Versammlung verlassen hatte, in ähnlicher Weise. Gerichtet an die versammelten Arbeitnehmer und Gäste meinten Sie: "Der Manfred ( Y) hat seinen Hund dabei, LTC W hat seinen Z dabei.

8

Als arbeitsvertragliche Nebenpflicht obliegt Ihnen - unabhängig von Ihrer Funktion als Betriebsvertretungsvorsitzender und Leiter der Personalversammlung die Pflicht, die persönliche Ehre anderer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zu wahren. Diese Pflicht zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte anderer gilt uneingeschränkt auch während ihrer Amtsausübung gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden, in besonderem Maße und gerade aber bei Äußerungen in der Betriebsöffentlichkeit.

9

Dadurch, dass Sie im Rahmen der Personalversammlung den stellvertretenden Kommandeur/Dienststellenleiter mit einem von Herrn Y mitgebrachten Hund gleichgesetzt haben, haben Sie ihn in seiner persönlichen Ehre herabgewürdigt. Des Weiteren haben Sie auch unterstellt, dass ich als Dienststellenleiter Herrn Z wie ein in meinem Eigentum stehendes Haustier mit mir führe bzw. behandele. Dies stellt auch eine Ehrverletzung mir gegenüber dar.

10

In einer Anhörung am 22.06.2011 konnten Sie Ihr Fehlverhalten nicht ausreichend rechtfertigen.

11

Zukünftig erwarte ich von Ihnen, dass Sie im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Persönlichkeitsrechte von Vorgesetzten und anderen Kollegen achten, insbesondere die persönliche Ehre nicht durch Äußerungen verletzen.

12

Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass ich gleiches oder ähnliches Fehlverhalten zukünftig nicht mehr hinnehmen werde und Ihr Arbeitsverhältnis gefährdet ist, wenn sich ein derartiger Vorfall wiederholt.

13

Sollten Sie die Berechtigung dieser Abmahnung bestreiten, so können Sie sich innerhalb von 15 Kalendertagen nach Erhalt im Rahmen des in der USAFE Vorschrift 36-1201 Beschwerdeverfahren äußern. Eine solche Beschwerde kann mündlich oder schriftlich vorgetragen werden und ist an Colonel Derek Smith, DLA Europe and Africa Regional Commander, DSN 430-7039 zu richten. Sollten Sie bezüglich Ihres Beschwerderechts Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Frau Bettina X, Personalbüro, Telefon ... oder ....

14

Wenn Sie von einer Stellungnahme absehen, wird diese Abmahnung für die Dauer von zwei Jahren in Ihren Personalunterlagen aufbewahrt. Das gleiche gilt, wenn durch Entscheidung im Beschwerdeverfahren die Berechtigung der Abmahnung bestätigt wird".

15

Die in diesem Abmahnungsschreiben dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen sind zwischen den Parteien unstreitig. Vor Erhalt der Abmahnung am 30.06.2011 hatte sich der Kläger mit schriftlichen Stellungnahmen vom 08.06. und 22.06.2011 zu den Vorwürfen geäußert. Hinsichtlich des Inhalts dieser Stellungnahmen wird auf Bl. 9 und Bl. 10 d. A. Bezug genommen.

16

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 31.01.2012 (Bl. 59-61 d. A.).

17

Der Kläger hat beantragt,

18

die Beklagte zu verurteilen, auf die US-Streitkräfte, Dienststelle DLA, Distribution Europe, US Depot, Gebäude 75 25, ... G., vertreten durch den Dienststellenleiter, dahingehend einzuwirken, dass diese die dem Kläger unter dem Datum 22.06.2011 erteilte Abmahnung unverzüglich aus dessen Personalakte entfernen.

19

Die Beklagte hat beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 31.01.2012 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 7 dieses Urteils (= Bl. 62-64 d. A.) verwiesen.

22

Gegen das ihm am 14.02.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.03.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 04.04.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 09.05.2012 begründet.

23

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das Abmahnungsschreiben sei bereits deshalb aus seiner Personalakte zu entfernen, weil es an einem Pflichtenverstoß fehle. Er - der Kläger - habe den stellvertretenden Dienststellenleiter durch seine Äußerungen nicht mit einem Hund gleichgesetzt. Bereits zu Beginn der betreffenden Versammlung habe er zwei Besonderheiten festgestellt, nämlich dass zum einen ein Besucher seinen Hund mitgebracht habe, zum anderen der Dienststellenleiter auch seinen Stellvertreter. Beides entspreche nicht den Üblichkeiten bei Personalversammlungen. Diese Besonderheiten herauszustellen sei der Sinn seiner Äußerungen gewesen. Dabei sei keinerlei ehrverletzender Vergleich des stellvertretenden Dienststellenleiters mit einem Hund erfolgt. Vielmehr habe er bereits zu Beginn der Personalversammlung wörtlich festgestellt: "Herr Y hat seinen Hund mitgebracht." Sodann habe er die Anwesenden gefragt, ob jemand eine Hundeallergie habe. Nachdem es hierzu keine Wortmeldungen gegeben habe, habe er gesagt : "Herr Oberstleutnant W hat Herrn Z mitgebracht." Nach einer kurzen Pause, in der keiner der Teilnehmer Einwände erhoben habe, habe er sodann gesagt: "Dann gleicht sich das ja aus." Dass einige der Anwesenden daraufhin gelacht hätten, habe er nicht zu vertreten. Der Vergleich einer Person mit einem Hund habe ihm jedenfalls fern gelegen. Dies habe er in seinen Stellungnahmen vom 08.06. und 22.06.2011 sowie auch gesprächsweise gegenüber dem Dienststellenleiter klargestellt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass er sich für seine missverständlichen Äußerungen entschuldigt habe. Die Abmahnung verstoße jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

24

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 09.05.2012 (Bl. 92-96 d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 03.08.2012 (Bl. 117-120 d. A.) Bezug genommen.

25

Der Kläger beantragt,

26

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die ihm unter dem Datum 22.06.2011 erteilte Abmahnung aus seiner Personalakte zu entfernen.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Die Beklagte macht geltend, die Berufung sei unzulässig, da der im Berufungsverfahren geänderte Klageantrag nicht geeignet sei, die im erstinstanzlichen Urteil liegende Beschwer zu beseitigen. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 18.06.2012 (Bl. 11-116 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

30

Die Berufung ist zulässig.

31

Das an sich statthafte Rechtsmittel ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auch ansonsten bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken. Der Kläger ist durch das erstinstanzliche Urteil beschwert, wobei der Wert des Beschwerdegegenstandes die in § 64 Abs. 2b ArbGG normierte Grenze von 600,00 € deutlich übersteigt. Der Berufungsantrag ist auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - darauf gerichtet, diese Beschwer zu beseitigen. Der Kläger verfolgt mit dem geänderten Antrag nämlich, ebenso wie mit dem erstinstanzlich abgewiesenen Antrag, das Ziel, dass die Beklagte eine Entfernung des Abmahnungsschreibens vom 22.06.2011 aus seiner Personalakte herbeiführt.

32

Die im Berufungsverfahren vorgenommene Klageänderung ist gemäß § 533 ZPO ebenfalls zulässig. Soweit der Kläger mit der Neuformulierung seines Antrages nicht mehr, wie in erster Instanz, ein auf die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte gerichtetes Einwirken der Beklagten auf die US-Streitkräfte begehrt, sondern die Beklagte nunmehr selbst auf Entfernung der Abmahnung in Anspruch nimmt, so entspricht dies der Rechtslage (vgl. BAG v. 29.01.1986 - 4 AZR 479/84, AP Nr. 2 zu § 48 TVAL 2) und ist daher sachdienlich. Darüber hinaus wird die Klage, auch in ihrer geänderten Fassung, lediglich auf solche Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht nach § 529 ZPO ohnehin seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat.

II.

33

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg.

34

Die auf Entfernung des Abmahnungsschreibens vom 22.06.2011 gerichtete Klage ist nicht begründet.

35

Der Arbeitnehmer kann in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Bei der Abmahnung, die in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankert wurde, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen. Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (BAG v. 23.06.2009 - 2 AZR 606/08 - NZA 2009, 1111). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (BAG v. 07.09.1988 - 5 AZR 625/87 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung). Allerdings ist eine Abmahnung auch dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie statt eines konkret bezeichneten Fehlverhaltens nur pauschale Vorwürfe enthält (BAG v. 09.08.1984 - 2 AZR 400/83 - AP Nr. 12 zu § 1 Kündigungsschutzgesetz 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

36

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Entfernung des Abmahnungsschreibens vom 22.06.2011 aus seiner Personalakte.

37

Die Abmahnung enthält keine unzutreffenden Tatsachenbehauptungen. Die Richtigkeit der dort wiedergegebenen Tatsachen, insbesondere auch bezüglich der vom Kläger anlässlich der Personalversammlung vom 26.05.2011 getätigten Äußerungen hat der Kläger nicht in Abrede gestellt. Demnach hat der Kläger zu Beginn der ersten Teilversammlung im Anschluss auf seine Frage, ob jemand etwas gegen den Verbleib des von einem Vertreter des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung mitgebrachten Hundes einzuwenden habe, geäußert: "Der Kommandeur hat ja auch seinen Stellvertreter, Herrn Z mitgebracht". Sodann hat der Kläger weiter erklärt: "Dann gleicht sich das ja aus". Im Laufe der zweiten Teilversammlung hat der Kläger, obwohl er vom Dienststellenleiter darauf hingewiesen worden war, dass dieser seine vorherigen Äußerungen als Ehrverletzung empfand, an die versammelten Arbeitnehmer und Gäste gerichtet erklärt: "Der Manfred (der Vertreter des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung) hat seinen Hund dabei, LTC W (der Dienststellenleiter) hat seinen Z dabei".

38

Die Abmahnung beruht auch nicht auf einer fehlerhaften Bewertung des Verhaltens des Klägers. Der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf, der Kläger habe mit seinen Äußerungen den stellvertretenden Dienststellenleiter in seiner persönlichen Ehre herabgewürdigt, indem er ihn mit einem von Herrn Y mitgebrachten Hund gleichgesetzt habe, trifft ebenso zu, wie der Vorwurf, auch der Dienststellenleiter selbst sei in seiner Ehre verletzt, weil durch diese Äußerungen auch der Eindruck vermittelt werde, dieser behandele seinen Stellvertreter wie ein Haustier. Zutreffend wird in der Abmahnung auch darauf hingewiesen, dass das Verhalten des Klägers eine Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten darstellt.

39

Soweit der Kläger geltend macht, eine Beleidigung des Dienststellenleiters und dessen Stellvertreters sei von ihm in keiner Weise beabsichtigt gewesen, so steht dies der Berechtigung der Abmahnung nicht entgegen. Es reicht nämlich insoweit aus, dass der Arbeitgeber in der Abmahnung den vorliegend zweifellos gegebenen objektiven Verstoß des Klägers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt. Darauf, ob der Kläger hinsichtlich des Pflichtenverstoßes vorsätzlich gehandelt hat oder gar beabsichtigte, den Dienststellenleiter sowie dessen Stellvertreter zu beleidigen, kommt es nicht an. Das Maß der subjektiven Vorwerfbarkeit ist für die Berechtigung einer Abmahnung ohne Belang.

40

Letztlich verstößt die streitbefangene Abmahnung auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will. Eine Abmahnung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte, etwa weil dem Arbeitnehmer ein bewusster Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten fern lag. Es ist dem Arbeitgeber daher vorliegend nicht verwehrt, mit Erteilung der Abmahnung deutlich zu machen, dass er es nicht hinnimmt, wenn der Kläger Vorgesetzte in deren Ehre verletzt.

41

Der Umstand, dass sich der Kläger im Nachhinein für sein Fehlverhalten entschuldigt hat, steht der Berechtigung der Abmahnung ebenfalls nicht entgegen.

III.

42

Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

43

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.

*

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

1.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
2.
der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder
3.
im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.

(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.

(4) Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.

(5) Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

(6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

3

In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:

        

„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

4

Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

5

Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.

6

Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.

8

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.

10

Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.

14

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

15

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

16

2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).

17

II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.

19

a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.

20

b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.

21

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.

22

bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.

23

(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.

24

(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.

25

(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.

26

(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.

27

(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

28

cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.

29

dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.

30

2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.

31

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.

33

aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.

34

bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.

35

cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

36

(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).

37

(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.

38

B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

39

C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

40

D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.