Landesarbeitsgericht Köln Urteil, 29. Nov. 2013 - 4 Sa 710/13
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.08.2013 - 1 Ca 2875/13 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten in der Hauptsache darum, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch zusteht. Nachdem ein klagestattgebendes Versäumnisurteil im Gütetermin erlassen worden ist und der Kläger Einspruch und Wiedereinsetzungsantrag eingelegt hat, hat das Arbeitsgericht mit dem in der Berufung angefochtenen Urteil den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 03.06.2013 zurückgewiesen und die am 11.07.2013 und am 12.07.2013 eingegangen Einsprüche des Beklagten gegen das am 19.06.2013 zugestellte Versäumnisurteil vom 03.06.2013 als unzulässig verworfen.
3Im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
4Gegen dieses ihm am 13.08.2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 04.09.2013 Berufung eingelegt und diese am selben Tag begründet. Hinsichtlich der Berufungsgründe wird auf die Berufungsbegründung(Bl. 58/59 d. A.) Bezug genommen.
5Der Beklagte beantragt,
6- in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 03.06.2013 zu gewähren;
- festzustellen, dass der am 11.07.2013 vor dem Arbeitsgericht Köln und am 12.07.2013 vorher per Telefax beim Arbeitsgericht Köln eingegangene Einspruch des Beklagten vom 07.07.2013 und am 12.07.2013 gegen das am 19.06.2013 zugestellten Versäumnisurteils vom 03.06.2013 zulässig ist.
- Die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
8Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung Bezug genommen.
9E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
10Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
11I. Das erstinstanzliche Urteil geht zunächst zu Recht davon aus, dass die Zustellung des Versäumnisurteils vom 03.06.2013 an den Beklagten am 19.06.2013 gemäß § 180 ZPO wirksam erfolgt ist. Das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass dann, wenn die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht ausführbar ist, das Schriftstück gemäß § 180 S. 1 ZPO in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden kann, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist.
12Ausweislich der Zustellungsurkunde hat der Zusteller das Versäumnisurteil in den zur Wohnung des Beklagten gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt, weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung bzw. im Geschäftsraum nicht möglich war.
13Damit ist zugleich bewiesen, dass der Postzusteller das Versäumnisurteil nicht in den Gartenzaun gesteckt hat, sondern in den Briefkasten eingelegt hat. Denn die Zustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde, die den vollen Beweis der hier bezeugten Tatsachen begründet. Besagt die Zustellungsurkunde, das Schriftstück sei in den Briefkasten eingelegt worden, weil seine Übergabe an den Adressat nicht möglich gewesen sei, so muss der Adressat vollen Gegenbeweis führen, dass dieses nicht der Fall gewesen sein (vgl. z.B. BFH 10.07.2013 – VII B 11/13; BFH 14.08.2012 – VII B 108/12). Dieses folgt aus § 182 Abs. 1 S. 2 ZPO i. V. m. § 418 ZPO. Der Gegenbeweis kann gemäß § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden.
14Der Beklagte hat weder in der ersten Instanz noch in der zweiten Instanz Gegenbeweis angetreten. Das Schreiben des Beklagten persönlich vom 07.07.2013 (Bl. 18 d. A.) enthält insoweit nichts. Auch die Einspruchsschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 12.07.2013 enthält insoweit keinen Gegenbeweisantritt. In diesem Schriftsatz wird ausgeführt, der Beklagte sei vom 17.06.2013 bis zum 22.06.2013 von seinem Wohnort abwesend gewesen. Weiter heißt es:
15„Während der Abwesenheit ist ein LKW leicht in das Wohnhaus des Beklagten eingefahren und hat den Briefkasten abgerissen. Die Lebensgefährtin des Beklagten, die Zeugin A , stellte am 22.06.2013 fest, dass die Post auf der Straße und im Garten verteilt war, da der Briefkasten abgefahren war und der Postbote die Post ungeschützt zwischen den Gartenzaun gesteckt hatte.“
16Dass die Sendung mit dem Versäumnisurteil sich nicht in dem Briefkasten befunden habe, wird nicht, nicht einmal allgemein und nicht einmal für den 22.06.2013 behauptet. Insbesondere wird nicht behauptet, dass die Zeugin A in irgendeiner Weise bemerkt habe, dass am 19.06.2013 der Postbote die Sendung nicht in den Briefkasten geworfen habe.
17Schließlich findet sich ein entsprechender Beweisantritt auch nicht in der Berufungsbegründung des Beklagten. Es wird auch hier nicht einmal allgemein behauptet, dass sich die Sendung nicht in dem Briefkasten befunden habe. Es wird nur behauptet, dass der Beklagte davon ausgegangen sei, dass ein Versäumnisurteil ihm persönlich zugestellt werde und er nicht davon ausgegangen sei, dass eine Zustellung in den Briefkasten erfolgen könne.
18Es steht damit aufgrund des Beweiswertes der Zustellungsurkunde fest, dass am 19.06.2013 die Sendung in den Briefkasten eingeworfen wurde. Das Versäumnisurteil gilt daher gemäß § 180 S. 2 ZPO als zu diesem Zeitpunkt zugestellt.
19II. Dem Kläger war auch Wiedereinsetzung nicht zu gewähren.
20Die Partei muss im Rahmen ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Der Antragsteller muss sich auf einen Sachverhalt festlegen. Er kann nicht alternativ vortragen oder den tatsächlichen Geschehensablauf offen lassen, wenn dabei die Möglichkeit der verschuldeten Versäumung offen bleibt (vgl. z. B. BGH 03.07.2008 – IX ZB 169/07).
21Die Wiedereinsetzungsfrist beträgt gemäß § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO in Fällen wie dem vorliegenden zwei Wochen. Die Frist beginnt nach§ 234 Abs. 1 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
22Das Urteil ist am 19.06.2013 zugestellt worden. Der Schriftsatz vom 12.07.2013 ging am selben Tage zu.
231. Selbst wenn man unterstellt, dass der Beklagte innerhalb der von diesem Tag zurückzurechnenden Fist von zwei Wochen noch keine Kenntnis von dem Versäumnisurteil hatte, so sind die in dem Schriftsatz vom 12.07.2013 angegebenen Gründe keine aus sich heraus verständliche geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergäbe, dass der Beklagte innerhalb der einwöchigen Einspruchsfrist, die bis zum 26.06.2013 lief, schuldlos nicht in der Lage gewesen wäre, von dem Versäumnisurteil Kenntnis zu nehmen:
24Der Beklagte teilt zunächst mit, dass er bis zum 22.06.2013 von seinem Wohnort abwesend gewesen sei. Mithin ist dementsprechend davon auszugehen, dass er spätestens am 23.06.2013 zurückkehrte.
25Sodann wird mitgeteilt, dass in seiner Abwesenheit ein LKW leicht das Wohnhaus angefahren und den Briefkasten abgerissen habe und die Lebensgefährtin am 22.06.2013 festgestellt habe, dass die Post auf der Straße und im Garten verteilt gewesen sei, da der Briefkasten abgefahren gewesen sei und der Postbote die Post ungeschützt zwischen den Gartenzaun gesteckt gehabt habe.
26Es fehlt jedoch irgendein Vorbringen dazu, dass und wann der Beklagte kontrolliert habe, welche Post sich – aus der Zeit vor dem Unfall – noch in den Briefkasten befand. Es wird auch nicht – nicht einmal in pauschaler Form – behauptet, dass der Briefkasten zerstört gewesen sei und dass die Post aus diesen hätte herausgefallen wäre. Aus der Feststellung, dass am 22.06.2013 Post auf der Straße und im Garten verteilt gewesen sei, ergibt sich nicht schlüssig (in geschlossener Schilderung), dass Post, die am 19.06.2013 in den Briefkasten eingeworfen war, sich auf der Straße befand. Vielmehr wird insoweit darauf verwiesen, dass der Postbote die Post ungeschützt zwischen den Gartenzaun gesteckt gehabt habe.
27Soweit in der Einspruchsschrift im Weiteren mitgeteilt wird, der Beklagte habe das Versäumnisurteil zu keinem Zeitpunkt „auf postalischem Weg“ erhalten, da, wovon auszugehen sei, die Sendung verloren gegangen sei durch den Verlust der Post aufgrund des Unfalles, so wird diese im Übrigen völlig pauschale und nicht substantiierte Behauptung nicht glaubhaft gemacht. Die Behauptung ist auch ohnhin unschlüssig, als auch hieraus sich nicht ergibt, dass der Beklagte in den Briefkasten geschaut habe.
28Es ist daher nach diesen Schilderungen des Beklagten nicht ausgeschlossen, dass das Versäumnisurteil sich noch im Briefkasten befand und dass der Beklage nach seiner Rückkehr, spätestens am 23.06.2013, durch einen Blick in seinen Briefkasten davon hätte Kenntnis nehmen und die Einspruchsfrist hätte wahren können.
29Ein Blick in den Briefkasten aber gehört zu den selbstverständlichen Obliegenheiten einer Person, die nach einer tagelangen Abwesenheit in die Wohnung zurückkehrt. Jedenfalls dieses auch bis zum übernächsten Tag nach der Rückkehr nicht zu tun, ist im Sinne des § 233 ZPO als schuldhaft anzusehen.
30Unabhängig davon kann aus den gleichen Gründen nicht festgestellt werden, dass die Wiedereinsetzungsfrist später als am 23.06.2013 begonnen hätte, sodass auch ihre Einhaltung mit dem am 12.07.2013 eingegangenen Antrag nicht festgestellt werden kann.
312. In der Berufungsbegründung will der Kläger sich offenbar noch auf einen davon unabhängigen Entschuldigungsgrund berufen, wenn es dort heißt:
32„Der Berufungskläger ist selbstständiger Gartenbauer und juristisch nicht vorgebildet.
33Insofern konnte er gar nicht auf die Idee kommen, beim Arbeitsgericht anzurufen und sich nach dem Versäumnisurteil zu erkundigen, da er davon ausging, dass etwas persönlich zugestellt wird.
34Er ging nicht davon aus, dass eine Zustellung in den Briefkasten erfolgen könnte.“
35Abgesehen davon, dass die durch nichts begründete Vorstellung nicht entschuldigend ist, „dass etwas persönlich zugestellt wird“ (wobei offenbar gemeint ist die Vorstellung, dass Gerichtsurteile durch Übergabe an den Adressaten persönlich zugestellt würden), ist dieser Vortrag verspätet.
36Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrages muss nämlich innerhalb der Frist des § 234 ZPO erfolgen. Ein Nachschieben neuer Gründe ist nicht möglich (vgl. statt vieler Zöller/Greger § 236 ZPO Rn. 6a mit Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Dieser in der Berufungsbegründung genannte Grund ist völlig neu. Es handelt sich nicht lediglich um eine Klarstellung oder Ergänzung zu bereits innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gebrachten Gründen.
37Unabhängig von allem aber fehlt es schließlich an jeglicher Glaubhaftmachung dieser behaupteten Vorstellung.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
39RECHTSMITTELBELEHRUNG
40Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
41Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf§ 72a ArbGG verwiesen.
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(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.
(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.
(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden
- 1.
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner, - 2.
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person, - 3.
in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.
(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nach § 69 der Abgabenordnung (AO) für rückständige Umsatzsteuern einer Kommanditgesellschaft (KG) als Geschäftsführer der Komplementärin der KG in Haftung genommen. Den ersten Haftungsbescheid vom 3. Februar 2009 nahm das FA gemäß § 130 Abs. 1 AO zurück. Am 31. März 2009 erließ das FA einen neuen Haftungsbescheid, in dem es die Ermessensausübung näher begründete. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger erst mit Schreiben vom 2. Juni 2010 Einspruch ein; gleichzeitig beantragte er vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, den Haftungsbescheid erst in der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2010, bei der es um die Anfechtung einer vom FA erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ging, erhalten zu haben. Unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwarf das FA den Einspruch als unzulässig. Die daraufhin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Bekanntgabe des Haftungsbescheids sei nach § 122 Abs. 5 AO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes am 4. April 2009 durch Zustellung mittels Postzustellungsurkunde erfolgt. Den erforderlichen Gegenbeweis durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen habe der Kläger nicht führen können. Sein bloßes Bestreiten des Zugangs reiche hierfür nicht aus. Die Angaben in der Postzustellungsurkunde seien zur Identifizierung des Schriftstücks ausreichend. Neben der Steuernummer enthalte die Kennzeichnung die Bezugnahme auf den Haftungsbescheid vom 31. März 2009 über Umsatzsteuer.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Da er im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen habe, sich an die Übergabe eines Schriftstücks durch einen Zusteller der Post nicht erinnern zu können, hätte das FG den Zusteller als Zeugen vernehmen müssen. Diese Sachaufklärung sei insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil die "persönliche Übergabe" eher einen Ausnahmefall darstelle. Darüber hinaus beruhe das Urteil nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens. In der Klageschrift seien gravierende Umstände dargelegt worden, die gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids sprechen würden. Zur vermeintlichen Pflichtverletzung, zum Verschulden und zur fehlerhaften Betätigung des Auswahlermessens durch das FA sei hinreichend vorgetragen worden. Da die Sachprüfung zur Nichtigkeit des Haftungsbescheids geführt hätte, könne es auf die Zustellung des Haftungsbescheids nicht ankommen.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision liegen die von der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel jedenfalls nicht vor.
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1. Entgegen der Auffassung des Klägers hätte sich dem FG eine Vernehmung des Zustellers als Zeugen für die Zustellung des Haftungsbescheids vom 31. März 2009 nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. Den Sachverhalt hat es hinreichend aufgeklärt. Dabei durfte es sich mit der Würdigung des Inhalts der Zustellungsurkunde nach § 182 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen erbringt (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, BFH/NV 2007, 1158) begnügen. Die Beweiskraft, die der Urkunde nach § 418 ZPO zukommt, erstreckt sich auch auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der Zustellungsurkunde genannte Person (Senatsbeschluss vom 16. Juni 2005 VII B 138/04, BFH/NV 2005, 1869). Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden (Senatsurteil vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170, m.w.N.). Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger vor dem FG nicht ansatzweise geführt, sondern sich lediglich darauf berufen, den Haftungsbescheid nicht erhalten zu haben und sich an die Zustellung nicht erinnern zu können. Zu Recht hat das FG darauf hingewiesen, diesem Vorbringen könne eine erforderliche Substantiierung nicht entnommen werden. Eine weitere Sachaufklärung musste es aus seiner maßgeblichen Sicht nicht betreiben.
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Im Übrigen hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls keine Beweisanträge gestellt und damit sein Rügerecht verloren. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust --z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge. Eine vom FG unterlassene Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die mangelhafte Sachaufklärung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
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2. Soweit der Kläger rügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt und damit gegen § 96 Abs. 1 FGO verstoßen, liegt auch dieser Verfahrensmangel nicht vor. Aus Sicht des FG kam es auf die rechtliche Würdigung der vom Kläger gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vorgebrachten Argumente nicht mehr an, nachdem es die Verfristung des Einspruchs festgestellt hatte. Infolge der Unzulässigkeit des Einspruchs musste es sich nicht mehr mit den Fragen der Pflichtverletzung oder der Ermessensausübung befassen. Daran ändert auch nichts, dass sich der Kläger erstmalig im Beschwerdeverfahren auf die vermeintliche Nichtigkeit des Haftungsbescheids beruft, ohne Nichtigkeitsgründe schlüssig zu belegen.
Tatbestand
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I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater wegen Vermögensverfalls (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes --StBerG--) abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil der Kläger die einmonatige Klagefrist versäumt habe. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Kläger die für den Wiedereinsetzungsantrag vorgeschriebene Frist ebenfalls versäumt habe.
- 2
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Zwar liegt ein Verfahrensmangel vor, wenn das FG die Zulässigkeit der Klage zu Unrecht verneint. Im Streitfall hat das FG jedoch zu Recht angenommen, dass die gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Steuerberaterkammer) gerichtete Klage verspätet erhoben und damit unzulässig ist.
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Nach § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat und beginnt in den Fällen, in denen --wie im Streitfall-- ein außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht gegeben ist, mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
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Im Streitfall hat die Steuerberaterkammer die Bekanntgabe des Widerrufsbescheids vom 27. September 2011 im Wege der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde angeordnet (§ 164a StBerG, § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung, § 3 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG--). Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Widerrufsbescheid dem Kläger am 28. September 2011 durch Einlegen des Schriftstücks in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung zugestellt, weil seine Übergabe an den Adressaten nicht möglich war. Der Widerrufsbescheid galt daher mit seiner Einlegung als zugestellt (§ 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 180 Satz 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).
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Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, gilt nach § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO für die Zustellungsurkunde § 418 ZPO. Es handelt sich daher um eine öffentliche Urkunde, die den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet. Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen, des Gegenteils also, geführt werden. Die Ansicht des FG, der Kläger habe allein durch die Behauptung, am angegebenen Tag der Zustellung keinen auswärtigen Termin gehabt, sondern sich ganztägig im Büro aufgehalten und zudem seinerzeit 10 Angestellte beschäftigt zu haben, den Gegenbeweis nicht in der Weise erbracht, dass die Richtigkeit der durch die Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen ausgeschlossen sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Urteil kann insoweit verwiesen werden.
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Ist somit von der Bekanntgabe des Widerrufsbescheids am 28. September 2011 auszugehen, ist die einmonatige Klagefrist mit der erst am 19. Dezember 2011 erhobenen Klage versäumt worden.
- 9
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Die vom Kläger mit der erhobenen Klage beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FG zu Recht abgelehnt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das FG hat zu Recht angenommen, das der Klageerhebung entgegenstehende Hindernis sei jedenfalls am 11. November 2011 mit dem Zugang des Schreibens der Steuerberaterkammer vom 8. November 2011 weggefallen, mit dem der Kläger über den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater durch Bescheid vom 27. September 2011 unterrichtet worden war.
- 10
-
Die von der Beschwerde vertretene Ansicht, über die beantragte Wiedereinsetzung hätte nicht das FG, sondern das Verwaltungsgericht entscheiden müssen, trifft nicht zu. Im Übrigen ist die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ohnehin nicht zu prüfen (§ 17a Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes).
(1) Zum Nachweis der Zustellung nach den §§ 171, 177 bis 181 ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen. Für diese Zustellungsurkunde gilt § 418.
(2) Die Zustellungsurkunde muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Person, der zugestellt werden soll, - 2.
die Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben wurde, - 3.
im Falle des § 171 die Angabe, dass die Vollmachtsurkunde vorgelegen hat, - 4.
im Falle der §§ 178, 180 die Angabe des Grundes, der diese Zustellung rechtfertigt und wenn nach § 181 verfahren wurde, die Bemerkung, wie die schriftliche Mitteilung abgegeben wurde, - 5.
im Falle des § 179 die Erwähnung, wer die Annahme verweigert hat und dass der Brief am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender zurückgesandt wurde, - 6.
die Bemerkung, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist, - 7.
den Ort, das Datum und auf Anordnung der Geschäftsstelle auch die Uhrzeit der Zustellung, - 8.
Name, Vorname und Unterschrift des Zustellers sowie die Angabe des beauftragten Unternehmens oder der ersuchten Behörde.
(3) Die Zustellungsurkunde ist der Geschäftsstelle in Urschrift oder als elektronisches Dokument unverzüglich zurückzuleiten.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung von Rechtsanwaltshonorar durch Urteil vom 21. Dezember 2006 abgewiesen und die Klägerin auf Widerklage verurteilt, an die Beklagte zu 1 Unterlagen herauszugeben. Gegen das am 22. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Januar 2007 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung vom 22. Februar 2007 ist bei Gericht am 23. Februar 2007 eingegangen.
- 2
- Mit Verfügung vom 23. April 2007 wurde die Klägerin darauf hingewiesen , dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Hierzu nahm die Klägerin Stellung; die Beklagten beantragten die Zurückweisung der Berufung. Nach einer weiteren Stellungnahme der Klägerin wurde Termin zur Berufungsverhandlung bestimmt, aber mit Verfügung vom 25. Juni 2007 wieder abgesetzt, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Juni 2007 die Unzulässigkeit der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gerügt hatte. Die Klägerin wurde am 25. Juni 2007 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung zu verwerfen.
- 3
- Am 9. Juli 2007 hat die Klägerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren. Die Versäumung der Frist sei unverschuldet. Der Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung am 22. Februar 2007 sei sowohl auf dem Urteil wie im Fristenkalender notiert worden. Aufgrund der Büroorganisation sei gewährleistet, dass Fristsachen termingerecht bei Gericht eingingen. Für den detaillierten Ablauf am 22. Februar 2007 fehle es aufgrund der zwischenzeitlich vergangenen Zeit an einer detailgetreuen Erinnerung.
- 4
- Einmal habe die Klägerin Tagespost in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Dabei sei die Post fast beim Einwurfsschlitz hängen geblieben ; sie sei erst beim Nachstochern mit einem Stock durchgefallen. Sie vermute daher, dass hin und wieder bei Einwurf in den Nachtbriefkasten dieser hake und sich daraus der Anschein ergebe, es sei erst am folgenden Tag der Einwurf erfolgt.
- 5
- Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung weicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gegenbeweis gemäß § 418 Abs. 2 ZPO ab.
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- 1. Das Berufungsgericht hat in der Vermutung der Klägerin, dass der Schriftsatz fristgerecht in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden sei und dieser nicht ordnungsgemäß funktioniert habe, zutreffend die Behauptung gesehen , das fristgebundene Schriftstück sei rechtzeitig in den Gerichtseinlauf gebracht worden. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin ausdrücklich ausgeführt hat, dies sei (im Grunde) die einzig mögliche Erklärung für den auf dem Schriftsatz angebrachten Eingangsstempel des 23. Februar 2007.
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- Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht die Feststellung der fristgerechten Einreichung des Schriftsatzes bereits an einem fehlenden Beweisangebot der Klägerin scheitern lassen.
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- a) Das Berufungsgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob glaubhaft gemacht ist, dass die Berufungsbegründungsschrift von der Klägerin am 22. Februar 2007 geschrieben und unterschrieben worden sei. Hiervon ist je- denfalls in der Rechtsbeschwerdeinstanz zugunsten der Klägerin auszugehen. Es liegt im Übrigen nahe, dass sich die Glaubhaftmachung der Klägerin durch eidesstattliche Versicherung auch hierauf bezog, was von ihr gegebenenfalls noch klargestellt werden kann (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Alt. 2 ZPO).
- 10
- b) Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier der Einreichung der Berufungsbegründung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem entsprechenden Schriftstück nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis ist aber zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Er erfordert mehr als bloße Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO). Notwendig ist vielmehr die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang (BGH, Beschl. v. 27. November 1996 - XII ZB 177/96, NJW 1997, 1312; Urt. v. 30. März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872, 1873; v. 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04, NJW-RR 2005, 75; Beschl. v. 15. September 2005 - III ZB 81/04, NJW 2005, 3501; v. 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069 Rn. 12).
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- c) Auf der anderen Seite dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie des Verfahrens bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Berufungsgericht war deshalb verpflichtet, dienstliche Äußerungen der für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständigen Beamten über seine Funktionstüchtigkeit im fraglichen Zeitraum einzuholen (BGH, Urt. v. 30. März 2000 aaO; v. 14. Oktober 2004 aaO; v. 8. Mai 2007 aaO; vgl. auch BGH, Beschl. v.
- 12
- Erst nach Ausschöpfung der nahe liegenden innerdienstlichen Erkenntnisquellen bezüglich der gerichtsinternen Vorgänge kann sodann entscheidend darauf abgestellt werden, dass die Klägerin für den rechtzeitigen Einwurf in den Nachtbriefkasten keinen Beweis angetreten hat.
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- Die 2. Rechtsbeschwerde rügt dagegen zu Unrecht, dass das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist als unzulässig angesehen hat.
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- a) Das Berufungsgericht hat, ohne die Frage allerdings zu vertiefen, richtig gesehen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag auch hilfsweise zu der behaupteten Zulässigkeit des Rechtsmittels geltend gemacht werden kann. Es steht der Partei frei, die rechtzeitige Einlegung zu behaupten und zugleich für den Fall, dass das Gericht den Gegenbeweis des § 418 Abs. 2 ZPO nicht als geführt ansieht, Wiedereinsetzung gegen die dann anzunehmende Fristversäumnis zu beantragen (BGH, Beschl. v. 27. November 1996 aaO S. 1313; v. 16. März 2000 aaO; Urt. v. 2. November 2006 - III ZR 10/06, NJW 2007, 603 Rn. 6).
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- b) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe , aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht (BGH, Beschl. v. 14. Juni 1978 - VIII ZB 6/78, VersR 1978, 942; Urt. v. 7. März 2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108; Beschl. v. 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW 2004, 2525; 2526; v. 14. März 2005 - II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793, 794). Der Antragsteller muss sich auf einen Sachverhalt festlegen. Er kann nicht alternativ vortragen oder den tatsächlichen Geschehensablauf offen lassen, wenn dabei die Möglichkeit der verschuldeten Fristversäumung offen bleibt (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 1981 - VII ZB 17/81, VersR 1982, 144; Musielak/Grandel, ZPO 6. Aufl. § 236 Rn. 4; Hk-ZPO/ Saenger, 2. Aufl. § 236 Rn. 4).
- 16
- Es kann zwar nicht verlangt werden, dass Details vorgetragen werden, die nicht mehr aufklärbar sind, etwa wie es zu einer versehentlich falschen Handhabung durch eine sonst zuverlässige und regelmäßig überwachte Anwaltsgehilfin gekommen ist. Insoweit wird die Ursache häufig ohnehin nur vermutet werden können, weil die Feststellung des Fehlers bei der falschen Handhabung selbst den Fehler häufig vermieden hätte (BGH, Beschl. v. 8. Oktober 1998 - X ZB 33/97, NJW-RR 1999, 428, 429). Zur Darlegung eines Versehens gehören demgemäß nicht die Gründe, die das Versehen erklären können (BGH, Beschl. v. 16. November 2004 - VIII ZB 32/04, NJW-RR 2005, 1006, 1007).
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- Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wurde die erforderliche Darstellung aber nicht dadurch entbehrlich, dass der Klägerin nach ihrer Behauptung vier Monate nach Einreichung der Berufungsbegründung und dem erstmaligen Hinweis auf die Verfristung eine genaue Erinnerung an die Vorgänge im Zusammenhang mit der Einreichung der Berufungsbegründung fehlte. Mag auch im Regelfall auf eine derartige Fristversäumnis vom Gericht früher hingewiesen werden, ist es doch Aufgabe der Partei selbst, fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig einzureichen. Wiedereinsetzung kann nur gewährt wer- den, wenn das fehlende Verschulden der Partei an der Fristversäumnis dargelegt und glaubhaft gemacht ist, § 236 Abs. 2 ZPO. Kann eine Partei einen derartigen Sachverhalt nicht darlegen, geht dies auch dann zu ihren Lasten, wenn ihr Unvermögen durch den Zeitablauf mitbedingt ist. Dies ist ihr auch zumutbar, weil sie sich zeitnah über den rechtzeitigen Eingang des fristwahrenden Schriftsatzes unterrichten oder in anderer Weise Vorsorge treffen kann.
- 18
- c) Aus dem Sachvortrag der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, worauf die Fristversäumnis konkret beruht haben soll, aber auch nicht, warum insoweit ein Verschulden der Klägerin für die Fristversäumnis nicht vorgelegen haben soll. Die Schilderung der allgemein in der Kanzlei der Klägerin getroffenen Vorkehrungen genügt dem Erfordernis des Sachvortrages nicht. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass insbesondere offen geblieben ist, ob die Fristversäumnis auf einem eigenen Verschulden der Klägerin beruhte.
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- 3. Da nicht in der erforderlichen Weise festgestellt ist, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, kann die Verwerfung der Berufung keinen Bestand haben. Ist sie rechtzeitig eingegangen, war über den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entscheiden. Der angefochtene Beschluss ist deshalb insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO.
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Landshut, Entscheidung vom 21.12.2006 - 8 C 1432/06 -
LG Landshut, Entscheidung vom 07.08.2007 - 14 S 59/07 -
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:
- 1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit, - 2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder - 3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.
(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.