Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 27. Feb. 2013 - 2 BvR 1872/10

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20130227.2bvr187210
bei uns veröffentlicht am27.02.2013

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts Oldenburg vom 7. April 2010 - 14 T 873 und 792/08 - und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Juli 2010 - 13 W 23/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes, soweit durch sie die Rechtswidrigkeit der einstweiligen Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nicht auch für den Zeitraum seit dem Schluss der Verhandlung vor dem Amtsgericht Geldern am 6. September 2008 bis zum 8. September 2008, 16.00 Uhr, festgestellt worden ist.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verpflichtung der Gerichte zur Anhörung des Betroffenen im Verfahren der einstweiligen Freiheitsentziehung zur Sicherung einer Abschiebung.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist ein 1989 geborener serbischer Staatsangehöriger. Er wurde im Jahr 2006 bestandskräftig aus der Bundesrepublik ausgewiesen und zur Ausreise aufgefordert. Am 7. August 2008 beantragte die Ausländerbehörde die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 11 Abs. 1 des bis zum 31. August 2009 geltenden Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FreihEntzG) sowie der anschließenden Sicherungshaft durch sofort wirksamen Beschluss. Bei einer geplanten Abschiebung im Juni 2008 habe die Polizei den Beschwerdeführer unter seiner Wohnanschrift nicht angetroffen. Sein Aufenthalt sei unbekannt. Er sei daraufhin zur Festnahme ausgeschrieben worden. Um diese durchführen zu können, sei eine Anordnung nach § 11 Abs. 1 FreihEntzG erforderlich. Die Anhörung und die Entscheidung über die Sicherungshaft könnten nach der Festnahme unverzüglich nachgeholt werden.

3

2. Das Amtsgericht Brake ordnete gegen den Beschwerdeführer mit - hier angegriffenem - Beschluss vom 8. August 2008 die einstweilige Freiheitsentziehung an. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer Abschiebehaft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (in der bis zum 25. November 2011 geltenden Fassung) angeordnet werde. Es bestünden Anhaltspunkte, dass sich der Beschwerdeführer der Abschiebung entziehen wolle. Er sei bei einer geplanten Abschiebung im Juni 2008 nicht in seiner Wohnung zu erreichen gewesen. Obwohl seinem Vater am Folgetag mitgeteilt worden sei, der Beschwerdeführer solle sich umgehend bei der Ausländerbehörde melden, habe er dies unterlassen. Trotz einer seit Januar 2008 bestehenden Ausschreibung des Beschwerdeführers zur Festnahme habe dieser bislang nicht festgenommen werden können. Zu einem Anhörungstermin im Juni 2008 seien weder der Beschwerdeführer noch dessen Verlobte erschienen. Die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung sei gemäß § 8 Abs. 1 FreihEntzG für sofort wirksam zu erklären, weil andernfalls die Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer, der sich offenbar im Raum Brake aufhalte, untertauche.

4

3. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Brake ließ der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde erheben. Es bestünden keine dringenden Gründe für die Annahme, er werde in Abschiebehaft genommen werden. Er sei noch nicht persönlich angehört worden. Eine Nachholung der Anhörung erst nach der Festnahme sei unzulässig.

5

4. Am Samstag, den 6. September 2008, wurde der Beschwerdeführer festgenommen und noch an demselben Tag dem Amtsgericht Geldern als ortsnächstem Amtsgericht vorgeführt, welches ihm den Beschluss über die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung verkündete. Aus dem Protokoll über die Vorführung ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte, sich zu der Freiheitsentziehung zu äußern. Am 11. September 2008 hörte das Amtsgericht Brake den Beschwerdeführer persönlich an und ordnete auf Antrag der Ausländerbehörde die Abschiebehaft an. Am 2. Oktober 2008 wurde der Beschwerdeführer aus der Haft heraus abgeschoben.

6

5. Im Verfahren über die sofortige Beschwerde stellte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf ein Feststellungsbegehren um und machte ergänzend geltend, das Amtsgericht Brake habe nicht begründet, warum es den Beschwerdeführer vor Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung nicht persönlich angehört habe. Auch sei der Beschwerdeführer nicht unverzüglich nach seiner Festnahme dem zuständigen Richter vorgeführt worden. Vielmehr habe ihm das Amtsgericht Geldern lediglich den "Haftbefehl" des Amtsgerichts Brake bekanntgegeben. Dem Amtsgericht Brake sei er erst fünf Tage nach seiner Festnahme vorgeführt worden.

7

6. Das Landgericht wies den Feststellungsantrag mit - hier ebenfalls angegriffenem - Beschluss vom 7. April 2010 als unbegründet zurück. Das Amtsgericht Brake habe vor Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 11 Abs. 2 FreihEntzG wegen Gefahr im Verzug von einer Anhörung absehen dürfen. Der Beschwerdeführer sei in dem Verfahren erfolglos zur Anhörung geladen worden. Sein dortiger Verfahrensbevollmächtigter habe keine Angaben zu seinem Aufenthaltsort machen können.

8

7. Mit seiner gegen den Beschluss des Landgerichts gerichteten sofortigen weiteren Beschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, es sei unerheblich, dass er zu einem anberaumten Anhörungstermin nicht erschienen sei. Jedenfalls sei er nicht unverzüglich dem zuständigen Haftrichter vorgeführt worden. Insoweit wiederholte er seinen Vortrag aus der sofortigen Beschwerde. Außerdem machte er geltend, jedenfalls habe ihn das Amtsgericht Geldern nicht ordnungsgemäß angehört.

9

8. Das Oberlandesgericht stellte mit - hier ebenfalls angegriffenem - Beschluss vom 6. Juli 2010 die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung im Zeitraum vom 8. September 2008, 16.00 Uhr, bis zur Anordnung der Abschiebehaft durch das Amtsgericht Brake am 11. September 2008 fest. Im Übrigen wies es die sofortige weitere Beschwerde zurück. Eine Anhörung vor Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung habe wegen Gefahr im Verzug unterbleiben dürfen, nachdem sich der Beschwerdeführer der Abschiebung entzogen und sein Bevollmächtigter mitgeteilt habe, ihm sei nur die Anschrift bekannt, unter der eine Abschiebung gescheitert sei. Trotz Aufforderung der Ausländerbehörde an seinen Vater, der auf Veranlassung des Beschwerdeführers bei der Behörde vorgesprochen habe, habe der Beschwerdeführer sich nicht gestellt. Daher habe eine Ladung zur Anhörung keinen Erfolg versprochen. Dem amtsgerichtlichen Beschluss lasse sich hinreichend deutlich entnehmen, dass von der Ladung wegen des unbekannten Aufenthalts abgesehen worden sei. Allerdings sei die Anhörung nicht im Sinne des § 11 Abs. 2 FreihEntzG unverzüglich nachgeholt worden. Das Amtsgericht Geldern habe den Beschwerdeführer nicht in der Sache angehört. Die Anhörung durch das Amtsgericht Brake am 11. September 2008 sei nicht mehr als unverzüglich zu werten. Zwar sei eine Anhörung noch nicht sogleich nach der Festnahme am 6. September 2008 geboten gewesen, weil es sich um einen Samstag gehandelt habe und dem richterlichen Eildienst die Akten nicht vorgelegen hätten. Jedoch hätte der Beschwerdeführer spätestens bis zum darauffolgenden Montag, den 8. September 2008, um 16.00 Uhr, angehört werden müssen. Die Anhörung hätte erforderlichenfalls das Amtsgericht Geldern im Rahmen seiner Eilzuständigkeit nach § 4 Abs. 2 FreihEntzG durchführen können.

II.

10

Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geltend, das Amtsgericht Brake habe in dem die einstweilige Freiheitsentziehung anordnenden Beschluss bereits nicht ausreichend begründet, weshalb es von einer vorherigen Anhörung des Beschwerdeführers abgesehen habe. Darin liege ein grundrechtlich relevanter Verfahrensfehler. Die Anhörung sei außerdem nicht unverzüglich nachgeholt worden. Die Nachholung der Anhörung sei umso dringlicher, wenn der Betroffene nicht bereits vor Anordnung der Freiheitsentziehung angehört worden sei. Unvermeidbare Verzögerungen seien außerdem zu dokumentieren. Der Beschwerdeführer hätte bereits unmittelbar nach seiner Festnahme am 6. September 2008, spätestens jedoch am Folgetag angehört werden müssen. Dass dem richterlichen Eildienst die Akte nicht vorgelegen habe, sei unerheblich. Die Vorhaltung eines richterlichen Eildienstes sei verfassungsrechtlich geboten. Damit gehe auch die Verpflichtung zur Einrichtung eines korrespondierenden Bereitschaftsdienstes derjenigen Behörden einher, die eine Haft beantragten. Diese hätten außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten die Akten zur Verfügung zu stellen, weil sonst der Richtervorbehalt ins Leere liefe. Die Ausländerbehörde habe hier im Übrigen am Tag der Festnahme einen Haftantrag in der Hauptsache an das Amtsgericht Geldern übersandt. Daher hätte auch die Möglichkeit bestanden, dem richterlichen Eildienst die Akte zu übermitteln. Es sei nicht dokumentiert, weshalb dies unterblieben sei. Eine inhaltliche Anhörung durch das Amtsgericht Geldern sei möglich und zulässig gewesen. Eine dem § 115a Abs. 2 Satz 4 StPO vergleichbare Regelung bestehe für die Abschiebehaft nicht.

III.

11

Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich das Niedersächsische Justizministerium im Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport geäußert: Der Beschwerdeführer sei nicht in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt. Von einer Anhörung des Betroffenen vor Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung dürfe bei Gefahr im Verzug abgesehen werden. In den angegriffenen Entscheidungen sei die Annahme von Gefahr im Verzug hinreichend begründet worden. Die Anhörung des Beschwerdeführers sei unverzüglich nachgeholt worden. Auch wenn man diesbezüglich von einer Eilzuständigkeit des Amtsgerichts Geldern ausgehe, bestünden erhebliche Zweifel, ob das Gericht die Anhörung hätte durchführen können. Die richterliche Pflicht zur Sachaufklärung gebiete die Beiziehung der vollständigen Akte der Ausländerbehörde. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Einrichtung eines Eildienstes bei der Ausländerbehörde bestehe nicht. Die Ausländerbehörde sei daher nicht verpflichtet gewesen, dem Amtsgericht Geldern die Ausländerakte vor dem 8. September 2008 zur Verfügung zu stellen. Erst dann habe die Akte dem Amtsgericht Geldern auch tatsächlich vorgelegen.

12

Die Ausländerakte sowie die Akte des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

B.

13

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, in einer die Kammerzuständigkeit begründenden Weise offensichtlich begründet. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde insoweit zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93b Satz 1 BVerfGG).

I.

14

Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Amtsgericht Brake habe den Verzicht auf eine Anhörung vor Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung nicht ausreichend begründet, sind die Annahmevoraussetzungen nicht erfüllt. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer setzt sich nicht ausreichend mit dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts auseinander, in welchem das Gericht zwar grundsätzlich von einer Begründungspflicht ausgeht, diese jedoch als erfüllt ansieht. Den diesbezüglichen Erwägungen des Gerichts tritt der Beschwerdeführer, der auch nicht ausführt, wie mangels bekannten Aufenthaltsorts eine Anhörung hätte durchgeführt werden können, nicht entgegen. Für die von ihm angenommene weiterreichende Begründungspflicht gibt er keine hinreichende verfassungsrechtliche Begründung. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

II.

15

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die vorläufige Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers verletzte diesen bereits seit dem Schluss der Verhandlung vor dem Amtsgericht Geldern in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG.

16

1. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>). Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfGE 58, 208 <222, 230>; 70, 297 <308>).

17

Zu den Verfahrensgarantien, die Art. 104 Abs. 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht, gehört auch die in § 5 Abs. 1 Satz 1 und in § 11 Abs. 2 FreihEntzG vorgesehene richterliche Pflicht, den Betroffenen vor Anordnung der Haft grundsätzlich mündlich anzuhören (vgl. BVerfGK 9, 132 <138>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. März 1996 - 2 BvR 927/95 -, juris, Rn. 16). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist im späteren Verfahren nicht mehr mit Wirkung für die Vergangenheit zu heilen (vgl. BVerfG, a.a.O., juris, Rn. 18 ff.). Die mündliche Anhörung des Betroffenen dient darüber hinaus auch der Wahrung des Richtervorbehalts nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG (vgl. BVerfGK 9, 132 <140>). Der Richter darf sich bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde vorgetragenen Gründe beschränken, sondern muss eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen. Hierfür ist die persönliche Anhörung des Betroffenen, namentlich bei eilbedürftigen Entscheidungen, ein geeignetes Mittel (vgl. BVerfGE 83, 24 <34>; BVerfGK 9, 132 <142>).

18

2. Nach diesen Maßstäben hätte das Amtsgericht Geldern den Beschwerdeführer bei der Vorführung am 6. September 2008 anhören und über die Fortdauer der Freiheitsentziehung entscheiden müssen. Da es dies unterlassen hat, war die gegen den Beschwerdeführer vollzogene Freiheitsentziehung seit Schluss der Verhandlung vor dem Amtsgericht Geldern nicht mehr mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG vereinbar.

19

a) Auch bei Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung ist der Betroffene grundsätzlich vorher anzuhören (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG; nunmehr § 427 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Nur bei Gefahr im Verzug kann die Anhörung ausnahmsweise zunächst unterbleiben; sie ist dann jedoch unverzüglich nachzuholen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG; nunmehr § 427 Abs. 2 1. Halbsatz FamFG). Die verfahrensrechtliche Pflicht zur unverzüglichen Nachholung der Anhörung nimmt über Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG an dem Schutz durch das Freiheitsgrundrecht teil. Mit der Nachholung der Anhörung ist auch die Verpflichtung verbunden, den getroffenen vorläufigen Beschluss über die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung dahingehend zu überprüfen, ob er angesichts der vervollständigten Entscheidungsgrundlage aufrechterhalten werden kann oder ob er der Abänderung oder Aufhebung bedarf.

20

b) Zur Nachholung der Anhörung ist grundsätzlich jedes Gericht verpflichtet, das nach dem Gesetz für Entscheidungen über die einstweilige Freiheitsentziehung zuständig ist. Dies betrifft zunächst das Gericht, das die einstweilige Freiheitsentziehung selbst angeordnet hat. Die Verpflichtung trifft daneben jedoch auch das Gericht, dem - wie hier über § 4 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG (nunmehr § 50 Abs. 2 Satz 1, § 416 Satz 1 FamFG) - die einstweilige Zuständigkeit für eilige Anordnungen zugewiesen ist. Wird der Betroffene diesem Gericht vorgeführt, so muss es die Anhörung nachholen, um anschließend eine Entscheidung auf vollständiger Tatsachengrundlage treffen zu können. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG ist die Anhörung "unverzüglich" nachzuholen. Dies bedeutet, dass die Anhörung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachzuholen ist (so für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung als solcher BVerfGE 105, 239 <249>), sobald der Grund für das Unterbleiben der Anhörung entfallen ist. Dies ist mit der Vorführung des Betroffenen vor ein zur Entscheidung über die Freiheitsentziehung berufenes Gericht regelmäßig der Fall. Die Verpflichtung auch des nach § 4 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG zuständigen Gerichts, die Anhörung nachzuholen, folgt aus der gesetzgeberischen Entscheidung, diesem Gericht eine - wenngleich auf eilbedürftige Anordnungen beschränkte - eigenständige inhaltliche Entscheidungs- und Prüfungskompetenz einzuräumen, anders als dies etwa bei der Verkündung eines Haftbefehls durch das nächste Amtsgericht nach § 115a Abs. 2 Satz 4 StPO der Fall ist.

21

c) Das Amtsgericht Geldern hätte den Beschwerdeführer daher von Verfassungs wegen anhören müssen, als dieser ihm am Samstag, dem 6. September 2008, vorgeführt wurde. Es handelte als das nach § 4 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG für Eilentscheidungen zuständige Gericht. Daher oblag ihm die Prüfung, ob die (einstweilige) Freiheitsentziehung weiter aufrecht zu erhalten war. Hierfür hätte es die Tatsachengrundlage, auf der die Anordnung basierte, vervollständigen und zu diesem Zweck die Anhörung des Beschwerdeführers nachholen müssen. Dies hat es unterlassen. Ausweislich des Protokolls über die Sitzung des Amtsgerichts wurde dem Beschwerdeführer lediglich die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung bekanntgegeben und eine Abschrift des Beschlusses des Amtsgerichts Brake vom 8. August 2008 - vom Amtsgericht Geldern fälschlicherweise als Haftbefehl bezeichnet - ausgehändigt. Eine Befragung zur Sache und insbesondere zu den Umständen des Aufenthalts des Beschwerdeführers unterblieb.

22

Von einer Anhörung durfte das Amtsgericht Geldern nicht etwa deshalb absehen, weil ihm bei der Vorführung des Beschwerdeführers dessen Ausländerakte nicht vorlag. Ungeachtet der Frage, inwieweit ein Gericht vor einer abschiebehaftrechtlichen Entscheidung im Einzelfall die Ausländerakte beizuziehen hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 <305>, und vom 9. Februar 2012 - 2 BvR 1064/10 -, juris, Rn. 19), lagen dem Amtsgericht Geldern ausweislich der beigezogenen Akte des Freiheitsentziehungsverfahrens bei der Vorführung des Beschwerdeführers alle für eine Entscheidung über die Fortdauer der einstweiligen Freiheitsentziehung wesentlichen Unterlagen vor. So waren dem Gericht vor der Vorführung des Beschwerdeführers insbesondere der Haftantrag der Ausländerbehörde vom 6. September 2008 sowie der Beschluss des Amtsgerichts Brake vom 8. August 2008 übermittelt worden. Hieraus ergaben sich die Umstände, aufgrund derer das Amtsgericht Brake zu dem Ergebnis gelangt war, dass für den Beschwerdeführer kein aktueller Aufenthaltsort bekannt war. Daneben hatte das Amtsgericht Geldern auch Dokumente erhalten, aus denen sich der wesentliche aufenthaltsrechtliche Sachverhalt ersehen ließ, wie insbesondere die gegen den Beschwerdeführer ergangene Ausweisungsverfügung vom 9. Februar 2006 sowie der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 19. Februar 2008 (11 A 1513/06), mit dem die Klage des Beschwerdeführers gegen seine Ausweisung abgewiesen worden war. Diese dem Amtsgericht Geldern bei der Vorführung des Beschwerdeführers am 6. September 2008 vorliegenden Unterlagen versetzten das Gericht in die Lage, nach Anhörung des Beschwerdeführers auch ohne Beiziehung der vollständigen Ausländerakte über die weitere Freiheitsentziehung zu entscheiden. Für einen Aufschub der richterlichen Anhörung bis zum folgenden Montag, den 8. September 2008 um 16.00 Uhr - wie im Beschluss des Oberlandesgerichts zugrunde gelegt -, war angesichts der verfahrensrechtlichen Gewährleistungen des Freiheitsgrundrechts kein Raum. Da der Beschwerdeführer am 6. September 2008 tatsächlich dem Amtsgericht Geldern vorgeführt wurde, dem alle zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen vorlagen, kommt es nicht auf die Frage an, ob es an einem gerichtlichen oder behördlichen Eildienst gefehlt haben könnte.

C.

23

Indem die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts eine Rechtswidrigkeit der einstweiligen Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nicht bereits seit dem Schluss der Verhandlung vor dem Amtsgericht Geldern am 6. September 2008 annehmen, verkennen sie die Reichweite des Freiheitsgrundrechts und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Kammer hebt den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Juli 2010 auf und verweist die Sache an dieses Gericht zurück (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

24

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

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(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Kann der Beschuldigte nicht spätestens am Tag nach der Ergreifung dem zuständigen Gericht vorgeführt werden, so ist er unverzüglich, spätestens am Tage nach der Ergreifung, dem nächsten Amtsgericht vorzuführen.

(2) Das Gericht hat den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tage, zu vernehmen. Bei der Vernehmung wird, soweit möglich, § 115 Abs. 3 angewandt. Ergibt sich bei der Vernehmung, dass der Haftbefehl aufgehoben, seine Aufhebung durch die Staatsanwaltschaft beantragt (§ 120 Abs. 3) oder der Ergriffene nicht die in dem Haftbefehl bezeichnete Person ist, so ist der Ergriffene freizulassen. Erhebt dieser sonst gegen den Haftbefehl oder dessen Vollzug Einwendungen, die nicht offensichtlich unbegründet sind, oder hat das Gericht Bedenken gegen die Aufrechterhaltung der Haft, so teilt es diese dem zuständigen Gericht und der zuständigen Staatsanwaltschaft unverzüglich und auf dem nach den Umständen angezeigten schnellsten Wege mit; das zuständige Gericht prüft unverzüglich, ob der Haftbefehl aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen ist.

(3) Wird der Beschuldigte nicht freigelassen, so ist er auf sein Verlangen dem zuständigen Gericht zur Vernehmung nach § 115 vorzuführen. Der Beschuldigte ist auf dieses Recht hinzuweisen und gemäß § 115 Abs. 4 zu belehren.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

Die Kammer kann die Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen oder die Verfassungsbeschwerde im Falle des § 93c zur Entscheidung annehmen. Im übrigen entscheidet der Senat über die Annahme.

(1) Anträge, die das Verfahren einleiten, sind schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie sind zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben.

(2) Der Vorsitzende oder, wenn eine Entscheidung nach § 93c in Betracht kommt, der Berichterstatter stellt den Antrag dem Antragsgegner, den übrigen Beteiligten sowie den Dritten, denen nach § 27a Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, unverzüglich mit der Aufforderung zu, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern.

(3) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann jedem Beteiligten aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist die erforderliche Zahl von Abschriften seiner Schriftsätze und der angegriffenen Entscheidungen für das Gericht und für die übrigen Beteiligten nachzureichen.

In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.

(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.

(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Zuständig ist das Gericht, das für die Hauptsache im ersten Rechtszug zuständig wäre. Ist eine Hauptsache anhängig, ist das Gericht des ersten Rechtszugs, während der Anhängigkeit beim Beschwerdegericht das Beschwerdegericht zuständig.

(2) In besonders dringenden Fällen kann auch das Amtsgericht entscheiden, in dessen Bezirk das Bedürfnis für ein gerichtliches Tätigwerden bekannt wird oder sich die Person oder die Sache befindet, auf die sich die einstweilige Anordnung bezieht. Es hat das Verfahren unverzüglich von Amts wegen an das nach Absatz 1 zuständige Gericht abzugeben.

Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht. Befindet sich die Person bereits in Verwahrung einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt.

(1) Kann der Beschuldigte nicht spätestens am Tag nach der Ergreifung dem zuständigen Gericht vorgeführt werden, so ist er unverzüglich, spätestens am Tage nach der Ergreifung, dem nächsten Amtsgericht vorzuführen.

(2) Das Gericht hat den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tage, zu vernehmen. Bei der Vernehmung wird, soweit möglich, § 115 Abs. 3 angewandt. Ergibt sich bei der Vernehmung, dass der Haftbefehl aufgehoben, seine Aufhebung durch die Staatsanwaltschaft beantragt (§ 120 Abs. 3) oder der Ergriffene nicht die in dem Haftbefehl bezeichnete Person ist, so ist der Ergriffene freizulassen. Erhebt dieser sonst gegen den Haftbefehl oder dessen Vollzug Einwendungen, die nicht offensichtlich unbegründet sind, oder hat das Gericht Bedenken gegen die Aufrechterhaltung der Haft, so teilt es diese dem zuständigen Gericht und der zuständigen Staatsanwaltschaft unverzüglich und auf dem nach den Umständen angezeigten schnellsten Wege mit; das zuständige Gericht prüft unverzüglich, ob der Haftbefehl aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen ist.

(3) Wird der Beschuldigte nicht freigelassen, so ist er auf sein Verlangen dem zuständigen Gericht zur Vernehmung nach § 115 vorzuführen. Der Beschuldigte ist auf dieses Recht hinzuweisen und gemäß § 115 Abs. 4 zu belehren.

Tenor

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hannover vom 26. November 2009 - 44 XIV 143/09 B - und des Landgerichts Hannover vom 9. April 2010 - 8 T 7/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Reichweite des in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebots eigenverantwortlicher richterlicher Sachprüfung im Verfahren der vorläufigen Freiheitsentziehung nach § 427 Abs. 1 FamFG zur Sicherung einer Abschiebung.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahre 1974 geborener georgischer Staatsangehöriger. Anfang des Jahres 2008 reiste er aus der Slowakischen Republik kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 6. Februar 2008 einen Asylantrag stellte. Diesen wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 5. März 2008 als unzulässig zurück und ordnete auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Amtsblatt Nr. L 50 S. 1 ff. - Dublin II-Verordnung) die Zurückschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakische Republik an.

3

2. Nach mehreren gescheiterten Abschiebungsversuchen und nach Ablauf der Überstellungsfrist nahm das Bundesamt das Asylverfahren wieder auf, lehnte den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihm die Abschiebung an. Ausweislich einer Mitteilung an die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen vom 3. November 2009 ging das Bundesamt davon aus, dass der Bescheid am 12. Oktober 2009 zugestellt wurde oder als zugestellt gelte und seit dem 20. Oktober 2009 vollziehbar sei.

4

3. Auf Antrag der Ausländerbehörde ordnete das Amtsgericht mit - hier angegriffenem - Beschluss vom 26. November 2009 gegen den zwischenzeitlich in die Niederlande ausgereisten Beschwerdeführer, dessen Rücküberstellung in die Bundesrepublik für den 30. November 2009 vorgesehen war, gemäß § 427 Abs. 1 FamFG die einstweilige Freiheitsentziehung an. Der von der Ausländerbehörde zugleich gestellte Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft, deren Sicherung die vorläufige Freiheitsentziehung diene, sei nach bisheriger Prüfung offensichtlich begründet. Der Beschwerdeführer sei ausweislich des gestellten Antrages verpflichtet, aus der Bundesrepublik auszureisen. Dessen ungeachtet sei der Beschwerdeführer untergetaucht und komme seinen aufenthaltsrechtlichen Pflichten nicht nach. Es bestehe der begründete Verdacht, dass er nicht freiwillig ausreisen werde, sondern sich der Abschiebung entziehen wolle. Im Übrigen nahm das Amtsgericht auf den Antrag der Ausländerbehörde Bezug.

5

4. Nach Überstellung des Beschwerdeführers aus den Niederlanden ordnete das Amtsgericht mit - hier nicht angefochtenem - Beschluss vom 30. November 2009 gegen den Beschwerdeführer die Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG an. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb erfolglos. Der Rechtsbeschwerde gab der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22. Juli 2010 statt und stellte dabei darauf ab, der Haftantrag sei nicht ordnungsgemäß begründet gewesen, weil sich aus ihm die Grundlage der Ausreisepflicht nicht ergeben habe.

6

5. Seine gegen die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung gerichtete Beschwerde begründete der Beschwerdeführer damit, es sei nicht ersichtlich, dass er zum Zeitpunkt der Haftanordnung ausreisepflichtig gewesen sei. Aus den Akten ergebe sich nicht, dass ihm der Bescheid vom 7. Oktober 2009 ordnungsgemäß zugestellt worden sei; er habe von diesem Bescheid keine Kenntnis. Die Zustellung werde auch nicht über § 10 AsylVfG fingiert. Die Fiktion des § 10 Abs. 2 AsylVfG gelte nach § 10 Abs. 1 AsylVfG nur während der Dauer des Asylverfahrens, nicht mehr nach dessen Beendigung. Das Asylverfahren sei jedoch mit der Zurückweisung des Asylantrages als unzulässig beendet gewesen. Voraussetzung der Fiktion nach § 10 Abs. 2 AsylVfG sei außerdem ein tatsächlicher Zustellungsversuch; an einem solchen fehle es hier. Zudem sei der Beschwerdeführer entgegen § 10 Abs. 7 AsylVfG nicht darüber belehrt worden, dass eine Ersatzzustellung auch dann möglich sei, wenn er sich einer Überstellung in die Slowakische Republik entziehe und das Verfahren - wie hier - nach Ablauf der Überstellungsfrist von der Bundesrepublik übernommen werde.

7

Am 20. Februar 2010 wurde der Beschwerdeführer nach Georgien abgeschoben.

8

6. Das Landgericht wies die auf einen Feststellungsantrag umgestellte Beschwerde mit - hier angegriffenem - Beschluss vom 9. April 2010 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 427 FamFG seien zum Zeitpunkt der Haftanordnung erfüllt gewesen. Nach dem Antrag der Ausländerbehörde hätten bei summarischer Prüfung Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, dass gegen den Beschwerdeführer Abschiebungshaft würde angeordnet werden können. Dem Amtsgericht habe der bestandskräftige Bescheid des Bundesamts vorgelegen, wonach der Asylantrag des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet abgelehnt und der Beschwerdeführer zur Ausreise binnen einer Woche aufgefordert worden sei. Aus der Abschlussmitteilung des Bundesamts habe sich ergeben, dass der Bescheid als am 12. Oktober 2009 zugestellt gelte. Im Rahmen einer summarischen Überprüfung ergäben sich keine Zweifel an einer wirksamen Bekanntgabe gemäß § 10 AsylVfG.

II.

9

Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG geltend. Eine Freiheitsentziehung sei danach nur unter Einhaltung der einfachrechtlichen Vorgaben zulässig. Voraussetzung der Abschiebungshaft sei in jedem Fall, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei. Dies habe der Haftrichter in eigener Verantwortung zu prüfen. Eine vollziehbare Ausreisepflicht könne sich hier nicht aus der Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet ergeben, weil der betreffende Bescheid dem Beschwerdeführer nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Eine Zustellung ergebe sich weder aus dem Haftantrag, noch sei eine Zustellungsurkunde vorhanden. Der Hinweis auf die Abschlussmitteilung des Bundesamts vom 3. November 2009 ersetze den Zustellungsnachweis nicht. Indem das Amtsgericht die Haftanordnung ausschließlich auf den Haftantrag gestützt habe, ohne eigenverantwortlich eine ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides zu hinterfragen, sei es seiner verfassungsrechtlichen Prüfungspflicht nicht nachgekommen. Für eine Prüfung wäre bis zur erwarteten Überstellung aus den Niederlanden auch ausreichend Zeit gewesen. Jedenfalls das Landgericht hätte sich nicht auf eine summarische Prüfung beschränken dürfen, sondern abschließend klären müssen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich vollziehbar ausreisepflichtig war.

III.

10

Das Niedersächsische Justizministerium hat sich im Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport dahingehend geäußert, Grundrechte des Beschwerdeführers seien nicht verletzt worden. Das Haftgericht habe zu berücksichtigen, dass es sich dem Charakter nach um ein Eilverfahren handele, und könne sich daher regelmäßig nur auf die glaubhaft gemachten Umstände stützen. Diese Einschränkung werde durch die zeitliche Begrenzung der vorläufigen Freiheitsentziehung aufgewogen. Die vollziehbare Ausreisepflicht habe das Amtsgericht zutreffend aus dem Bescheid des Bundesamts vom 7. Oktober 2009 hergeleitet, dessen Bestandskraft sich aus der in den Akten dokumentierten Zustellungsfiktion ergebe.

11

Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Äußerung des Vorsitzenden des V. Zivilsenats übermittelt. Dieser hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die Pflicht zur Begründung des Haftantrages erstrecke sich nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG auch auf die Ausreisepflicht des Betroffenen. Dabei habe die den Haftantrag stellende Behörde die wirksame Zustellung des zugrunde liegenden Bescheides darzulegen. Dem genügten der Haftantrag und der Antrag auf vorläufige Freiheitsentziehung nicht. Der Abschlussmitteilung des Bundesamts lasse sich nicht entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder einer Zustellungsfiktion ausgegangen worden sei. Zu Unrecht hätten die Gerichte daher Zweifel an einer wirksamen Zustellung gemäß § 10 AsylVfG verneint. Die Anforderungen an die Darlegung und Feststellung der Ausreisepflicht seien nicht deshalb geringer, weil es sich um ein einstweiliges Anordnungsverfahren handele. Angesichts des zwischen der Antragstellung und der angekündigten Rückführung des Beschwerdeführers aus den Niederlanden liegenden Zeitraums von mehreren Tagen hätte es dem Amtsgericht oblegen, weitere Ermittlungen anzustellen.

12

Die Ausländerakte sowie die Akte des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

B.

13

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

14

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG schützt die Freiheit der Person als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 65, 317 <322>). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195>; 58, 208 <220>).

15

Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (BVerfGE 103, 142 <151 ff.>; 105, 239 <248>). Das gerichtliche Verfahren muss darauf angelegt sein, dem Betroffenen vor dem Freiheitsentzug diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung kann eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, darf aber die unabhängige, aufgrund der Justizförmigkeit des Verfahrens besonders verlässliche Entscheidungsfindung nicht gefährden (BVerfGE 83, 24 <32>; BVerfGK 7, 87 <99>).

16

b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfGE 58, 208 <222, 230>; 70, 297 <308>). In Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Haftanordnung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Bei der Anordnung von Abschiebungshaft wie auch bei der Entscheidung über ihre Fortdauer verpflichtet er die Gerichte insbesondere, zu überprüfen, ob die Ausreisepflicht (fort)besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2009 - 2 BvR 538/07 -, juris, Rn. 19).

17

c) Diese Anforderungen sind auf die einstweilige Freiheitsentziehung nach § 427 FamFG jedenfalls insoweit übertragbar, als deren Zweck durch die Sachprüfung nicht gefährdet wird.

18

Eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung kann das Gericht nach § 427 Abs. 1 Satz 1 FamFG anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer vorläufigen Unterbringung sind damit deckungsgleich mit denjenigen, die für die endgültige Maßnahme gelten (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 427 Rn. 2). Verfahrensrechtlich kann eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme nach § 427 Abs. 1 Satz 1 FamFG bereits dann getroffen werden, wenn die für den Erlass der endgültigen Maßnahme erforderlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, soweit konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Freiheitsentziehung erfüllt sind; dabei wird eine summarische Prüfung für ausreichend erachtet (vgl. Budde, a. a. O.).

19

Dies entbindet die Gerichte jedoch allenfalls insoweit von den zur rechtlichen Prüfung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen erforderlichen Ermittlungen, als ansonsten das Verfahrensziel der Freiheitsentziehung gefährdet wäre. Den Charakter eines Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht verliert eine Freiheitsentziehung nicht dadurch, dass sie in einem summarischen Verfahren angeordnet wird. Die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung gelten daher im Grundsatz auch bei der vorläufigen Freiheitsentziehung. Abstriche sind jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn erforderliche Ermittlungen ohne Gefährdung des Verfahrensziels ohne Weiteres durchführbar sind.

20

Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist auch nicht im Hinblick auf die Begrenzung der vorläufigen Freiheitsentziehung auf die Dauer von sechs Wochen (§ 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG) reduziert. Diese Begrenzung dient der Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer vorläufigen Freiheitsentziehung, ändert jedoch nichts an deren Anordnungsvoraussetzungen und der gerichtlichen Verpflichtung, diese festzustellen.

21

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht im Einklang. Die Gerichte sind ihrer Verpflichtung zu einer eigenverantwortlichen Sachaufklärung nicht in dem von der Verfassung gebotenen Umfang nachgekommen, weil sie nicht hinreichend untersucht haben, ob der Beschwerdeführer vollziehbar ausreisepflichtig war.

22

a) Das Amtsgericht ist vor der Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung nicht der Frage nachgegangen, ob dem Beschwerdeführer der Bescheid des Bundesamts vom 7. Oktober 2009 wirksam bekannt gegeben worden ist, obwohl hieran unter mehreren Gesichtspunkten Anlass zu Zweifeln bestand, die der Aufklärung bedurft hätten.

23

aa) Eine eigenverantwortliche Prüfung, ob der Beschwerdeführer vollziehbar ausreisepflichtig ist, war dem Amtsgericht auf der Grundlage der ihm vorgelegten Unterlagen verwehrt. Weder in dem Antrag auf Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung noch in dem parallel übersandten Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft waren die Tatsachen dargelegt, aus denen sich eine Ausreisepflicht des Beschwerdeführers ergab. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen. Die Anordnung von Zurückschiebungshaft setzt nach § 417 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 FamFG einen begründeten Antrag voraus, der Darlegungen enthalten muss, aus welchen Gründen der Betroffene zweifelsfrei ausreisepflichtig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09 -, juris, Rn. 14). Die vorläufige Freiheitsentziehung darf nach § 427 Abs. 1 FamFG nur angeordnet werden, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung einer Freiheitsentziehung erfüllt sind. Auch dem Antrag auf vorläufige Haftanordnung muss daher zu entnehmen sein, dass und aus welchen Gründen der Beschwerdeführer ausreisepflichtig ist.

24

Dies war hier nicht der Fall. In dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG war ohne Angabe von Gründen lediglich ausgeführt, der Beschwerdeführer sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der die Grundlage der Ausreisepflicht bildende Bescheid vom 7. Oktober 2009 sowie Zeitpunkt, Art und Weise seiner Bekanntgabe waren nicht bezeichnet. Diese Informationen ergaben sich auch nicht aus dem dem Amtsgericht zugleich übersandten Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft. Aus diesem ging lediglich hervor, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 5. März 2008 als unzulässig zurückgewiesen worden war; nicht genannt war hingegen der Bescheid vom 7. Oktober 2009, aus dem eine Ausreisepflicht des Beschwerdeführers allenfalls folgte. Dieser Begründungsmangel hat den Bundesgerichtshof bewogen, festzustellen, dass die Anordnung der Zurückschiebungshaft und deren Bestätigung den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt haben (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10 -, juris). Dass die Ausländerbehörde ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG auch den Bescheid vom 7. Oktober 2009 beigefügt hat, ersetzt dessen Inbezugnahme im Antrag nicht. Nur durch eine ausdrückliche Nennung des Bescheides ist hinreichend gewährleistet, dass erkennbar ist, auf welche konkreten Grundlagen die Behörde ihren Antrag stützt, und dass die Übermittlung des Antrages an den Betroffenen dessen Recht auf rechtliches Gehör wahrt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 12). Vor allem aber ergibt sich weder aus dem Bescheid noch aus den anderen dem Amtsgericht vorgelegten Unterlagen, ob und in welcher Form eine Bekanntgabe an den Beschwerdeführer erfolgt ist. So fehlen Dokumente wie etwa eine Zustellungsurkunde oder ein Vermerk über die Anschrift, unter der die Zustellung erfolgt oder versucht worden ist.

25

Gegen eine wirksame Bekanntgabe spricht vor diesem Hintergrund der Hinweis in dem Antrag auf Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung, der Beschwerdeführer habe sich seiner für den 8. Oktober 2009 geplanten Abschiebung in die Slowakische Republik entzogen und sei seitdem unbekannten Aufenthalts gewesen. Die Annahme einer wirksamen Zustellung bei unbekanntem Aufenthalt hätte zumindest näherer Erläuterung bedurft. Zweifel an einer Ausreisepflicht ergaben sich schließlich auch aus dem Vermerk des Bundesamts vom 3. November 2009, welcher dem Amtsgericht zum Zeitpunkt der einstweiligen Haftanordnung vorlag. Danach ging das Bundesamt davon aus, dass der Bescheid über die Ablehnung des Asylantrages vom 7. Oktober 2009 dem Beschwerdeführer am 12. Oktober 2009 zugestellt worden sei oder als an diesem Datum zugestellt gelte. Damit blieb offen, ob das Bundesamt von einer Zustellung oder einer Zustellungsfiktion ausging und aufgrund welcher Tatsachen es zu seiner Annahme gelangte. Anhaltspunkte für die Klärung dieser Fragen lassen sich den dem Amtsgericht vorgelegten Dokumenten nicht entnehmen.

26

bb) Daher hätte Anlass zur Klärung der Frage der Ausreisepflicht bestanden. Nachforschungen hierzu hat das Amtsgericht jedoch nicht vorgenommen. Die zuständige Richterin verfügte lediglich die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung. Dabei geht aus dem verwendeten Textvordruck hervor, dass (allein) aufgrund des gestellten Haftantrages von einer Ausreisepflicht ausgegangen wurde. Das Amtsgericht ist damit nicht im Ansatz seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung nachgekommen, eigenverantwortlich zu prüfen, ob eine Ausreisepflicht des Beschwerdeführers bestand.

27

Eine Prüfung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine eilbedürftige Entscheidung über eine vorläufige Freiheitsentziehung handelte. Angesichts des zwischen dem Antrag der Ausländerbehörde vom 25. November 2009 und der erst für den 30. November 2009 angekündigten Rückführung aus den Niederlanden liegenden Zeitraums von mehreren Tagen wäre es dem Amtsgericht ohne Weiteres möglich gewesen, durch Beiziehung der Akten der Ausländerbehörde und des Bundesamts oder durch telefonische Rückfrage bei den Behörden eigenständig nachzuprüfen, ob und auf welcher Grundlage von einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Beschwerdeführers ausgegangen werden konnte.

28

cc) Da bereits das Unterlassen von Nachforschungen trotz ersichtlich unzureichender Entscheidungsgrundlage einen Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts darstellt, kann dahinstehen, ob eine Ausreisepflicht tatsächlich bestand. Ein Verstoß gegen Verfahrens- oder Formvorschriften wäre auch dann nicht unbeachtlich, wenn die materiellen Haftvoraussetzungen erfüllt wären. Eine solche hypothetische Betrachtungsweise widerspräche dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2008 - 2 BvR 1438/07 -, juris, Rn. 13).

29

dd) Der Verfassungsverstoß entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil die Ausländerbehörde den Beschwerdeführer nach § 62 Abs. 4 AufenthG in der bis zum 25. November 2011 geltenden Fassung möglicherweise auch ohne vorherige richterliche Anordnung hätte festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen können. Die Behörde hat nicht diese Vorgehensweise gewählt, sondern sich dafür entschieden, einen Antrag nach § 427 Abs. 1 FamFG zu stellen. Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen, muss der Eingriff den Voraussetzungen der konkret gewählten Rechtsgrundlage entsprechen.

30

b) Auch der Beschluss des Landgerichts genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine eigenverantwortliche richterliche Sachprüfung nicht, ohne dass es darauf ankommt, ob in dem keiner Eilbedürftigkeit mehr unterliegenden landgerichtlichen Feststellungsverfahren erleichterte Anforderungen an die Sachverhaltsfeststellung zur Geltung kommen. Das Landgericht stellte darauf ab, dass dem Amtsgericht der Bescheid des Bundesamts vorgelegen habe, aus dem sich die Ausreisepflicht des Beschwerdeführers ergeben habe. Den Bescheid erachtete das Landgericht ohne weitere Nachprüfung als bestandskräftig, wobei es auf die Abschlussmitteilung des Bundesamts abhob, aus der sich eine Zustellungsfiktion ergebe. Damit überging das Landgericht, dass aus der Mitteilung des Bundesamts bereits nicht eindeutig hervorgeht, ob der Bescheid zugestellt worden oder ob das Bundesamt von einer Zustellungsfiktion ausgegangen ist. Den sich hieraus ergebenden Zweifeln ist das Landgericht nicht weiter nachgegangen. Der Hinweis auf das Erfordernis einer nur summarischen Prüfung, die "keine Zweifel an einer wirksamen Zustellung gemäß § 10 AsylVfG" ergebe, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Angesichts der Möglichkeit einer eigenen Tatsachenfeststellung anhand der Ausländerakte und der Asylakte oder einer fernmündlichen Rückfrage bei den Behörden und einer darauf basierenden eigenen Prüfung durfte sich das Landgericht nicht darauf beschränken, die - zumal mehrdeutige und nicht begründete - Annahme des Bundesamts zu übernehmen. Vielmehr hätte es, sofern es von einer Zustellungsfiktion ausgehen wollte, deren in § 10 AsylVfG näher geregelte Voraussetzungen erörtern und deren Vorliegen aufklären müssen.

C.

31

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.