Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2015 einen Notanwalt beizuordnen sowie Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen eines angeblich im Mai 2003 erlittenen Hodentraumas und nachfolgender posttraumatischer Belastungsstörung.

2

Den im April 2013 gestellten Antrag lehnte das beklagte Land ab. Klage und Berufung waren erfolglos. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt, ein tätlicher Angriff sei nicht erwiesen, der vermeintliche Täter bestreite den Angriff. Die Angaben des Klägers seien auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung nicht glaubhaft. Zudem stehe auch der Primärschaden einer Hodenquetschung nicht fest, der nötige Kausalzusammenhang sei ebenfalls nicht gegeben. Der nach § 109 SGG beauftragte Gutachter habe zwar eine schwere wahnhafte Störung festgestellt, diese jedoch nicht als Folge eines tätlichen Angriffs gesehen. Diese Feststellung decke sich mit den Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen. Für ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG sei kein Raum, der Antrag des Klägers verbraucht(Urteil vom 25.6.2015).

3

Der Kläger hat am 30.7.2015, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Der Senat hat die Frist zu deren Begründung bis zum 5.10.2015 verlängert. Am 14.9.2015 hat der Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass er den Kläger nicht mehr vertrete. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 29.9.2015 (sowie seine Schwester am selben Tag fernmündlich) über die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notanwaltes informiert.

4

Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG begehrt der Kläger die Bestellung eines Notanwalts bzw Prozesskostenhilfe (PKH).

5

II. 1. Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das genannte Urteil des LSG einen Notanwalt beizuordnen, ist abzulehnen.

6

Nach § 202 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Daran fehlt es.

7

Der Kläger hat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass er die Niederlegung des Mandats durch den zunächst beauftragten Rechtsanwalt nicht zu vertreten hat.

8

a) Für das Verfahren der Beschwerde zum BSG gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG ist gemäß § 160a SGG eine Vertretung durch Rechtsanwälte oder andere qualifizierte Prozessbevollmächtigte vorgeschrieben(§ 73 Abs 4 S 1 SGG). Zur Beiordnung eines Notanwalts ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer ausreichend darlegt, dass es ihm nicht gelungen ist, einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden. Für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht ist es erforderlich, dass erfolglose Bemühungen um eine Prozessvertretung bei zumindest fünf zugelassenen Prozessbevollmächtigten substantiiert aufgezeigt werden (BSG Beschluss vom 16.10.2007 - B 6 KA 3/07 S - Juris RdNr 2 mwN; BSG Beschluss vom 3.3.1997 - 4 BA 155/96 - Juris RdNr 3). Entsprechende Darlegungen müssen spätestens bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgen, da anderenfalls eine Wiedereinsetzung aufgrund fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung regelmäßig nicht in Betracht kommt (BSG Beschluss vom 10.5.2011 - B 2 U 3/11 BH - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 19.2.2001 - B 11 AL 205/00 B - Juris RdNr 3; BVerwG Beschluss vom 18.4.1991 - 5 ER 611/91 - Juris RdNr 2).

9

Hat ein Beschwerdeführer zunächst einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden und entsprechend mandatiert, so kommt im Falle einer späteren Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat (vgl BGH Beschluss vom 27.11.2014 - III ZR 211/14; vom 18.12.2013 - III ZR 122/13 - mwN). Auch dies ist vom Beschwerdeführer substantiiert aufzuzeigen. Jedenfalls fehlt es hieran, so dass die eingangs genannten weiteren Voraussetzungen des "Nicht-Findens" eines weiteren Prozessbevollmächtigten dahingestellt bleiben können.

10

b) Ungeachtet dessen (vgl 1a) erscheint eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des LSG vom 25.6.2015 bei der gebotenen summarischen Prüfung ähnlich dem Verfahren der PKH (vgl § 73a SGG, § 114 ZPO) jedenfalls aussichtslos. Im Unterschied zur PKH ist der Entscheidungsmaßstab allerdings nicht eine hinreichende Erfolgsaussicht, sondern "Aussichtslosigkeit" als solche. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstigeres Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. Diese Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren. Bei einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen der in § 160 Abs 2 SGG enumerativ geführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - offenbar nicht vorliegen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher nicht deren Erfolgsaussichten begründen (BSG SozR 4-1750 § 78b Nr 1 RdNr 5 mwN).

11

Das Vorliegen eines der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision ist auch nach summarischer Prüfung des Streitstoffes nicht gegeben. Der Kläger wendet sich vor allem gegen die mangelnde Anerkennung eines tätlichen Angriffs und dadurch verursachter psychischer Schädigungsfolgen im Einzelfall. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Beweiserleichterung auch in anderen Fällen der Beweisnot als denen des Verlusts von Unterlagen dem Opfer zugutekommt. Hiervon ist das LSG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, RdNr 41 mwN) ausgegangen. Ebenso sind die Grenzen des Verbrauchs des Antragsrechts nach § 109 SGG nicht klärungsbedürftig(vgl BSG SozR Nr 37 zu § 109 SGG; BSG Beschluss vom 17.3.2010 - B 3 P 33/09 B - RdNr 12). Auch sonst ist nicht ersichtlich, welche grundsätzlichen, fallübergreifenden Rechtsfragen der Fall des Klägers aufwerfen oder warum das LSG von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein sollte.

12

Auch ein Verfahrensfehler des LSG ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dafür ist nichts ersichtlich. Der anwaltlich vertretene Kläger hat nicht - wie erforderlich - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag nach § 103 SGG aufrechterhalten(vgl zB BSG Beschluss vom 16.3.2015 - B 9 V 68/14 B). Eine Verletzung des § 109 SGG kann demgegenüber im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht gerügt werden.

13

2. Aus den genannten Gründen kann der Kläger ebenso wenig die von ihm ebenfalls beantragte PKH verlangen, weil PKH nur zu bewilligen ist, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Diese Voraussetzung ist hier aus den oben aufgezeigten Gründen erst recht nicht erfüllt, da schon die Beiordnung eines Notanwalts abzulehnen ist (vgl zum Verhältnis von § 114 und § 78b ZPO nur BGH vom 6.7.1988 - IVb ZB 147/87 - FamRZ 1988, 1152).

14

3. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der am 5.10.2015 endenden Frist durch einen vor dem BSG zugelassenen Bevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) begründet worden ist (§ 160a Abs 2 S 1 iVm § 64 Abs 2, 3 und § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

15

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde statt.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

Tenor

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Senats vom 25. Februar 2011 wird als unzulässig verworfen.

Die Anhörungsrüge gegen den oben genannten Beschluss wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin hat beim BSG die Beiordnung eines "Notanwalts" für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 9.12.2010 beantragt. Sie könne zwar die Kosten für die Vertretung selbst aufbringen, finde aber keinen zur Vertretung bereiten Anwalt. Das BSG hat den Antrag mit (berichtigtem) Beschluss vom 25.2.2011 abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin "sofortige Beschwerde" eingelegt. Sie rügt, die Ablehnung der Beiordnung sei zu Unrecht erfolgt. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts seien überspannt worden. Dadurch sei zugleich ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Der erst am Tag des Ablaufs der Beschwerdefrist kontaktierte Rechtsanwalt sei zur Übernahme eines Verfahrens in dritter Instanz nur in der Lage gewesen, nachdem er Einsicht in die Akten habe nehmen können.

2

II. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Senats vom 25.2.2011 (Ablehnung der Beiordnung eines Notanwalts) ist unzulässig, denn der Rechtsbehelf ist nicht statthaft.

3

Gemäß § 202 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren das GVG und die ZPO entsprechend anzuwenden, soweit dieses Gesetz - das SGG - keine Bestimmung über das Verfahren enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Über das Verfahren gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wird, enthält das SGG keine Bestimmung. Die entsprechende Regelung des § 78b Abs 2 ZPO ist aber nicht entsprechend heranzuziehen, da die grundsätzlichen Unterschiede einerseits des zivilprozessualen Verfahrens und andererseits des sozialgerichtlichen Verfahrens dies ausschließen. Soweit im SGG auf die ZPO verwiesen wird, tritt im sozialgerichtlichen Verfahren an die Stelle der sofortigen Beschwerde die "Beschwerde nach dem SGG" (vgl BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1; SozR 3-1500 § 51 Nr 15; BSGE 79, 80 = SozR 3-1500 § 51 Nr 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG 9. Aufl 2010, Vor § 172 RdNr 2; Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG Vor §§ 172 RdNr 12).

4

Eine Beschwerde ist nach §§ 172 Abs 1, 177 SGG nur gegen erstinstanzliche Entscheidungen (und auch dort nur eingeschränkt) statthaft (Lüdtke in HK-SGG, 3. Aufl 2009, § 172 RdNr 2). Gegen Beschlüsse des BSG ist eine Beschwerde nicht statthaft.

5

III. Die Klägerin hat mit der "Beschwerde" gegen den Beschluss vom 25.2.2011 gerügt, der Senat habe mit der Entscheidung ihr rechtliches Gehör verletzt (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Darin ist eine Anhörungsrüge (§ 178a SGG)zu sehen.

6

Gemäß § 178a Abs 1 SGG ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn erhebliches Vorbringen des Rügeführers vom Gericht nicht in seine Erwägungen miteinbezogen wurde (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Bezieht sich eine Anhörungsrüge auf die Nichtbeachtung von Tatsachen durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts, muss sie darlegen, dass die angeblich übergangenen Tatsachen berücksichtigungsfähig waren (vgl BSG vom 23.10.2009 - B 1 KR 2/09 C - juris RdNr 4).

7

Die Anhörungsrüge ist statthaft, denn gegen den Beschluss des Senats über die Ablehnung der Beiordnung eines Notanwalts ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (s oben II). Die Anhörungsrüge ist aber unzulässig, denn die Gehörsverletzung ist entgegen § 178a Abs 2 Satz 5 SGG nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden(zu den Begründungsanforderungen vgl auch BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 2).

8

Die Klägerin hat kein Vorbringen bezeichnet, das das Gericht nicht in seine Erwägungen einbezogen habe. Soweit sie sinngemäß vorträgt, der Senat habe ihr Vorbringen zwar berücksichtigt, die Anforderungen an die Darlegungen der Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts aber überspannt, macht sie nur geltend, weshalb aus ihrer Sicht der Senat zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen müssen. Sie setzt sich also inhaltlich mit dem Beschluss auseinander. Eine inhaltliche Auseinandersetzung kann nicht Gegenstand der Anhörungsrüge sein (vgl BSG vom 29.11.2005 - B 1 KR 94/05 B).

9

Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass die von einem vor dem BSG postulationsfähigen Bevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) eingelegte Beschwerde beim BSG bis zum Ablauf der Einlegungsfrist vorliegen musste. Vorliegend musste der Klägerin bis zum 17.1.2011 ein Notanwalt beigeordnet worden sein und dieser die Beschwerde eingelegt haben. Dies konnte nur geschehen, wenn die Klägerin das Scheitern ausreichender eigener Bemühungen um einen Anwalt bis zu diesem Zeitpunkt glaubhaft gemacht hatte (zu Glaubhaftmachung bzw Nachweis der Voraussetzungen des § 78b Abs 1 ZPO vgl BSG vom 15.10.1999 - B 13 RJ 129/99 B; BFH vom 11.5.2007 - III S 37/06 ; BFH vom 14.10.2002 - VI B 105/02 - BFH/NV 2003, 77; BGH vom 7.12.1999 - VI ZR 219/99 - MDR 2000, 412), da für zeitaufwändige gerichtliche Ermittlungen in der Einlegungsfrist kein Raum ist.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZR 211/14
vom
27. November 2014
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2014 durch
den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter Dr. Herrmann, Wöstmann,
Seiters und Reiter

beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Notanwalts wird abgelehnt.

Gründe:


I.


1
Der Kläger, ein ehemaliger Rechtsanwalt, nimmt den Beklagten aus Amtshaftung auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Der Kläger hat durch seinen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels wurde auf Antrag bis zum 3. November 2014 verlängert. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Mandat niedergelegt. Der Kläger hat daraufhin am 22. Oktober 2014 beantragt, seinen früheren Prozessbevollmächtigten als Notanwalt zu bestellen. Hierauf hat dieser mitgeteilt, er habe das Mandat niedergelegt, "da zu meinem Bedauern mit dem Kläger trotz großer Anstrengungen meinerseits keine gemeinsame Basis für eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu erzielen war. Der Kläger sah sich nicht in der Lage, meinen Empfehlungen zu folgen, sondern verlangte in zahlreichen Telefonanrufen, Emails und Telefax-Sendungen, von ihm (teils wörtlich) vorgegebene Argumente vorzutragen, die nach meiner Einschätzung im vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren weder sachgerecht noch erfolgversprechend sind. Er hat seine Forderungen zuletzt mit der Ankündigung verbunden, mich anderenfalls in die Haftung zu nehmen". Der Kläger hat zuletzt beantragt, ihm Rechtsanwalt Dr. M. als Notanwalt beizuordnen. Dieser hatte zuvor die Übernahme des Mandats aus Zeitgründen abgelehnt.

II.


2
Der Antrag hat keinen Erfolg. Nach § 78b ZPO kann einer Partei ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Hat eine Partei zunächst einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden und entsprechend mandatiert, so kommt im Falle einer späteren Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat (vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2013 - III ZR 122/13, NJW-RR 2014, 378 Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 12. März 2014 - V ZR 253/13, juris Rn. 1 und vom 24. Juni 2014 - VI ZR 226/13, VersR 2014, 1150 Rn. 2). Auslöser der Mandatsniederlegung waren hier die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und seinem (vormaligen) Prozessbevollmächtigten überdie Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Eine Partei hat aber keinen An- spruch auf Einreichung einer inhaltlich ihren Vorstellungen entsprechenden, mit den Vorstellungen ihres Prozessbevollmächtigten aber nicht in Einklang stehenden Rechtsmittelbegründung. Dies würde dem Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung beim Bundesgerichtshof zuwider laufen und stünde im Widerspruch zur Eigenverantwortung des Rechtsanwalts (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 - VI ZR 255/05, VersR 2007, 132 Rn. 3; vom 18. Dezember 2012 - VIII ZR 239/12, NJW 2013, 1011 Rn. 4; vom 12. März 2014 aaO Rn. 2; Senat aaO Rn. 12).
3
Im Übrigen setzt die Beiordnung eines Notanwalts voraus, dass eine Partei alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden. Im Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesgerichtshof muss eine Partei deshalb - innerhalb der Rechtsmittelfrist (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. August 2011 - V ZA 14/11, WuM 2011, 699 Rn. 3; vom 12. Juni 2012 - VIII ZB 80/11, juris Rn. 9 und vom 18. Dezember 2012 aaO Rn. 3) - substantiiert darlegen und nachweisen, sich ohne Erfolg zumindest an mehr als vier Rechtsanwälte gewandt zu haben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - IV ZR 290/03, NJW-RR 2004, 864; vom 25. Januar 2007 - IX ZB 186/06, FamRZ 2007, 635; vom 28. Juni 2010 - IX ZA 26/10, WuM 2010, 649 Rn. 1 und vom 19. Januar 2011 - IX ZA 2/11, WuM 2011, 323 Rn. 2). Zu dieser Voraussetzung verhält sich der Kläger nicht näher. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich lediglich, dass sich der Kläger nach der Man- datsniederlegung seines (vormaligen) Prozessbevollmächtigten noch an einen weiteren Rechtsanwalt gewandt hat.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanzen:
LG Hof, Entscheidung vom 14.11.2013 - 14 O 617/12 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 19.05.2014 - 4 U 178/13 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZR 122/13
vom
18. Dezember 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Hat eine Partei zunächst einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt
gefunden und entsprechend mandatiert, so kommt im Falle einer späteren
Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts beziehungsweise eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn die Partei
die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat (Anschluss an BGH, Beschluss
vom 12. Juli 1993 - II ZB 6/93).

b) Dass die Beendigung des Mandats nicht auf ein Verschulden der Partei zurückzuführen
ist, hat diese darzulegen (Anschluss an BGH, Beschluss vom
11. April 2003 - XI ZB 5/03, BGHR § 78b Abs. 1 ZPO Anstrengungen, zumutbare
2 - Mandatsniederlegung; Senatsbeschluss vom 27. April 1995
- III ZB 4/95, NJW-RR 1995, 1016).

c) Mit dem Ziel, die Einreichung einer inhaltlich den Vorstellungen der Partei
oder ihres Instanzanwalts entsprechenden Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdebegründung
zu erreichen, kann die Bestellung eines Notanwalts
gemäß § 78b ZPO nicht verlangt werden. Dies würde dem Sinn und Zweck
der Zulassungsbeschränkung zuwiderlaufen und stünde im Widerspruch zur
Eigenverantwortung des Rechtsanwalts (Anschluss an BGH, Beschlüsse
vom 22. November 1994 - XI ZR 96/94, NJW 1995, 537 und vom 25. November
1997 - VI ZR 174/97, NJW-RR 1998, 575).
BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2013 - III ZR 122/13 - OLG Düsseldorf
LG Krefeld
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2013 durch
den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters
und Reiter

beschlossen:
Der Antrag der Kläger, ihnen gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. März 2013 - I-18 U 162/12 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. März 2013 wird als unzulässig verworfen.
Die Kläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 42.738,75 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Die Kläger begehren von der Beklagten Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Höhe von 42.738,75 €.

2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Fristgerecht erhoben die Kläger durch ihre beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil. Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2013 zeigte die beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte an, dass sie die Kläger nicht mehr vertrete und beantragte zugleich die am 29. Juli 2013 ablaufende Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um einen Monat zu verlängern. Mit Verfügung vom 19. Juli 2013 wurde die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde antragsgemäß bis zum 29. August 2013 verlängert.
3
Am 30. Juli 2013 haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten in der zweiten Instanz einen Antrag auf Bestellung eines Notanwalts gestellt, weil sie einen anderen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt, der zu ihrer Vertretung bereit gewesen wäre, nicht hätten finden können. Zur Begründung haben die Kläger ausgeführt, dass ihre vormalige, beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte an ihren zweitinstanzlich tätigen Prozessbevollmächtigten im Juni 2013 Rechtsausführungen und den Entwurf einer Beschwerdebegründung von 18 Seiten übermittelt habe. Für die Bearbeitung sei dem Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die beginnende Ferienzeit eine Frist bis zum 9. Juli 2013 gesetzt worden. Dieser habe daraufhin Informationen und Rechtsausführungen nachgeliefert. Am 9. Juli 2013 habe er die beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin gefragt, wie sie bis zum 29. Juli 2013, dem Tag des Fristablaufs zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde , deren Bearbeitung sicherstellen wolle. Hierauf habe diese geantwortet, dass sie von ihren Mandanten und den Prozessbevollmächtigten einen anderen Ton gewöhnt sei. Wenn der Prozessbevollmächtigte zweiter In- stanz mit ihr nicht zusammenarbeiten wolle, solle dies offen geäußert werden. In diesem Fall würde sie das Mandat niederlegen. Hierauf erwiderte dieser, dass noch eine Vielzahl von tatsächlichen und rechtlichen Fragen offen seien, die noch geklärt werden müssten. Er habe auf zusätzliche prozessrechtliche Probleme im Hinblick auf § 544 Abs. 7 ZPO und § 547 Nr. 6 ZPO hingewiesen. Außerdem habe er verlangt, dass im Zusammenhang mit der Anwendung der vorstehenden Vorschriften die Mängel im Tatbestand des Berufungsgerichts für das Revisionsgericht verständlich zum Ausdruck gebracht werden müssten. Mit Fax vom 17. Juli 2013 habe die beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte von den in zweiter Instanz tätigten Prozessbevollmächtigten gefordert, ihren bereits beanstandeten zweiten Entwurf einer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung bis zum 18. Juli 2013 zu akzeptieren. Andernfalls werde sie das Mandat niederlegen. Schon eine Beanstandung der kurzen Frist durch den zweitinstanzlich tätigen Prozessbevollmächtigten habe dazu geführt, dass die beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte das Mandat niedergelegt habe.
4
Danach habe er bei sechs Sozietäten von beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälten vergeblich angefragt, ob sie zu einer Übernahme des Mandats bereit seien.
5
Mit Senatsbeschluss vom 12. September 2013 ist der Antrag der Kläger auf Bestellung eines Notanwalts abgelehnt worden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint. Dieser Beschluss ist den in zweiter Instanz tätigen Prozessbevollmächtigten der Kläger am 19. September 2013 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2013 haben die Kläger durch ihren nunmehr tätigen, beim Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist gestellt.
6
Die Kläger machen geltend, sie seien schuldlos an der Einhaltung der Begründungsfrist gehindert gewesen, weil sich nach der Mandatsniederlegung ihrer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin kein anderer beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt gefunden habe, der bereit gewesen sei, die Kläger zu vertreten. Sie hätten auf die Beiordnung eines Notanwalts vertrauen dürfen, weil die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheine.

II.


7
Das rechtzeitig angebrachte und begründete Wiedereinsetzungsgesuch bleibt ohne Erfolg. Die Kläger waren nicht, wie es nach § 233 ZPO erforderlich ist, ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 Satz 1 ZPO) einzuhalten. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei ihrem eigenen gleich.
8
1. Einer Partei, welche trotz der Vornahme zumutbarer Bemühungen keinen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden hat, kann Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Rechtsmittel(Begründungs-)Frist gewährt werden, wenn sie vor Fristablauf einen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts bei Gericht gestellt und dabei die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notanwalts substantiiert dargelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2011 - IX ZA 2/11, WuM 2011, 323 Rn. 4; Beschluss vom 12. Juni 2012 - VIII ZB 80/11, juris Rn. 9).

9
Hat die Partei - wie hier - zunächst einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden und entsprechend mandatiert, so kommt im Falle einer späteren Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts beziehungsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 1993 - II ZB 6/93, n.v.; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 233 Rn. 23 "Niederlegung des Mandats"; Musielak/Weth, ZPO, 10. Aufl., § 78b Rn. 5; Musielak/Grandel aaO § 233 Rn. 38). Wird der Verkehr zwischen der Partei und dem beim Rechtsmittelgericht tätigen Rechtsanwalt - wie hier - durch den Instanzanwalt geführt, so ist der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO auch ein Verschulden des Instanzanwalts zuzurechnen. Dass die Beendigung des Mandats nicht auf ein Verschulden der Partei zurückzuführen ist, hat diese ebenfalls noch innerhalb der laufenden Frist darzulegen (BGH, Beschluss vom 11. April 2003 - XI ZB 57/03, BGHR § 78b Abs. 1 ZPO Anstrengungen, zumutbare 2 - Mandatsniederlegung; Senatsbeschluss vom 27. April 1995 - III ZB 4/95, NJW-RR 1995, 1016).
10
2. Ausgehend hiervon ist den Klägern keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
11
Die Kläger können sich nicht darauf berufen, sie hätten keinen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt gefunden, der bereit gewesen wäre, bis zum Ablauf der Frist eine Beschwerdebegründung zu fertigen. Sie hatten bereits eine beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte gefunden, die ihre Vertretung übernommen sowie die Beschwerde eingelegt hatte und die grundsätzlich auch bereit war, diese zu begründen. Gescheitert ist dies lediglich daran, dass diese das Mandat niederlegte, nachdem es - wie die Kläger ausgeführt haben - zwischen ihr und dem zweitinstanzlich für die Kläger tätigen Prozessbevollmächtigten zu Differenzen über den Inhalt der Beschwerdebegründung gekommen war.
12
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtfertigen allein Differenzen einer Partei über die von ihrem Prozessbevollmächtigten und beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt avisierten Nichtzulassungsbeschwerdebegründung und die darauf folgende Mandatsniederlegung nicht die Bestellung eines Notanwalts. Mit dem Ziel, die Einreichung einer inhaltlich seinen Vorstellungen entsprechenden Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zu erreichen, kann die Bestellung eines Notanwalts gemäß § 78b ZPO nicht verlangt werden. Nach den gesetzlichen Vorschriften dürfen diese Rechtsmittel nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt begründet werden. Dieser trägt auch die Verantwortung für die Fassung. Eine Beiordnung allein zu dem Zweck, die von einer nicht postulationsfähigen Person verfasste Rechtsmittelbegründung in das Verfahren einzuführen , würde dem Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung zuwiderlaufen und stünde im Widerspruch zur Eigenverantwortung des Rechtsanwalts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 1994 - XI ZR 96/94, NJW 1995, 537 und vom 25. November 1997 - VI ZR 174/97, NJW-RR 1998, 575). Scheitert die Einreichung einer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung daran, dass der beauftragte postulationsfähige Rechtsanwalt nicht bereit ist, den rechtlichen Überlegungen der Partei zu folgen und sie zur Grundlage eines Begründungsschriftsatzes zu machen, rechtfertigt dies für sich genommen nicht die Beiordnung eines Notanwalts nach § 78b Abs. 1 ZPO. Hierauf hat eine Partei nämlich kein Recht. Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung für Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof ist, die Rechtspflege durch eine leistungsfähige und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft zu stärken. Die Rechtsuchen- den sollen kompetent beraten werden und im Vorfeld von aussichtslosen Rechtsmitteln Abstand nehmen können, was ihnen Kosten erspart. Zugleich soll der Bundesgerichtshof von unzulässigen Rechtsmitteln entlastet werden. Dem liefe es zuwider, wenn der Kläger einen Anspruch darauf hätte, seine Rechtsansicht gegen den Anwalt durchzusetzen (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZR 255/05, VersR 2007, 132).
13
b) Gemessen hieran reichen die Ausführungen der Kläger in ihrem Antrag nicht aus, um die Notwendigkeit der Bestellung eines Notanwalts zu begründen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger zweiter Instanz hat für diese vorgetragen, dass die Mandatskündigung der beim Bundesgerichtshof postulationfähigen Prozessbevollmächtigten der Kläger dadurch hervorgerufen wurde, dass über den Inhalt der einzureichenden Nichtzulassungsbeschwerdebegründung Differenzen entstanden waren. Zur Mandatskündigung kam es, weil der Prozessbevollmächtigte der Kläger in zweiter Instanz nicht bereit war, die von der beim Bundesgerichtshof postulationsfähigen Rechtsanwältin gefertigte Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zu genehmigen, sondern zunächst um Fristaufschub bat. Eine Notanwaltsbestellung zum Zwecke der inhaltlichen Veränderung der einzureichenden Nichtzulassungsbeschwerdebegründung kommt jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht in Betracht. Aufgrund des Vortrags der Kläger kann deshalb die Versäumung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungsfrist nicht als unverschuldet angesehen werden.
14
3. Davon abgesehen führte die vorgelegte Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zu keiner abweichenden Beurteilung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels. In der Sache könnten deshalb die Kläger auch unbeschadet der Frage der Wiedereinsetzung im Ergebnis keinen Erfolg mit der Nichtzulassungsbeschwerde haben.

III.


15
Da die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt und die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung erst nach Ablauf der Frist zu ihrer Einreichung am 29. August 2013 bei Gericht eingegangen ist, ist die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanzen:
LG Krefeld, Entscheidung vom 07.11.2012 - 2 O 175/12 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.03.2013 - I-18 U 162/12 -

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des 2004 geborenen Klägers auf Leistungen mindestens nach der Pflegestufe I.

2

Nach Antragstellung durch die Eltern des Klägers veranlasste die beklagte Pflegekasse eine Begutachtung durch eine Pflegefachkraft des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Im Gutachten vom 21.8.2006 wird der Kläger als altersentsprechend entwickelt geschildert, ein Hilfebedarf bei der Mobilität und der Körperpflege bestehe nicht. Wegen seiner Diabetes-Erkrankung müsse allerdings auf eine zeitgerechte und ausreichende Nahrungsaufnahme geachtet werden; der Hilfebedarf hierfür betrage nach Abzug des auch bei einem gesunden Kind anfallenden Zeitaufwandes insgesamt 44 Minuten pro Tag. Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung von Pflegeleistungen ab (Bescheid vom 22.8.2006, Widerspruchsbescheid vom 8.2.2007).

3

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) von Amts wegen ein Pflegegutachten vom 19.6.2007 und gemäß § 109 SGG ein weiteres Pflegegutachten vom 5.11.2007 eingeholt. Mit Urteil vom 24.9.2008 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, Pflegebedürftigkeit nach dem SBG XI bestehe nicht. Das von Amts wegen eingeholte Gutachten sei überzeugend und habe lediglich einen Grundpflegebedarf von 15 Minuten täglich ergeben; die engagierte und zeitaufwendige Behandlungspflege durch die Eltern sei nicht pflegestufenrelevant. Das zusätzlich eingeholte Pflegegutachten vom 5.11.2007 könne hingegen nicht überzeugen, weil es die Pflegeangaben der Eltern ungeprüft übernommen habe und auch ansonsten zu falschen Schlüssen gekommen sei.

4

Das Landessozialgericht (LSG) hat sich der Rechtsauffassung des SG angeschlossen und die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 18.11.2009). Den Hilfsantrag des Klägers, die Akte eines weiteren Verfahrens beizuziehen, um ein dort für einen anderen Kläger erstelltes Gutachten zu verwerten, hat das LSG mit der Begründung abgelehnt, dies könne keine neuen Erkenntnisse für den hier zu entscheidenden Einzelfall bringen. Den Antrag gemäß § 109 SGG auf Einholung eines weiteren Pflegegutachtens hat das LSG unter Hinweis auf das bereits erstinstanzlich eingeholte Gutachten vom 5.11.2007 abgelehnt; damit sei das Antragsrecht verbraucht.

5

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, wobei er sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft und zudem das Vorliegen von Divergenz sowie von Verfahrensfehlern rügt.

Entscheidungsgründe

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2, 160a Abs 2 Satz 3 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 1, 169 Satz 1 bis 3 SGG).

7

1. Der Kläger behauptet zunächst das Vorliegen von Divergenz, weil die Vorinstanzen das Händewaschen vor der Nahrungsaufnahme nicht als Grundpflegemaßnahme berücksichtigt hätten. Eine Divergenz des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist damit aber nicht formgerecht dargelegt worden. Dazu hätte vorgetragen werden müssen, dass das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem anderen Rechtssatz aufgestellt hat, den eines der vorgenannten Gerichte entwickelt und angewandt hat, und dass die Entscheidung des LSG auf dieser Divergenz beruht. Hierzu ist notwendig, den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten und die Unvereinbarkeit mit einem Rechtssatz des BSG aufzuzeigen. Eine Abweichung liegt indes nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Der Kläger hat zwar eine Entscheidung des erkennenden Senats vom 28.5.2003 zitiert und auch einen Rechtssatz des BSG herausgearbeitet, diesem aber keine konkreten Rechtssätze des LSG gegenübergestellt, mit dem das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen sein soll. Er wendet sich vielmehr gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, weil diese seiner Meinung nach den Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme unzutreffend festgestellt und trotz der sich im leistungsrechtlichen Grenzbereich angesiedelten Minutenwerte keine weiteren Verrichtungen berücksichtigt haben. Ob dies zutreffend ist und ob das LSG den Zeitaufwand für das Händewaschen in seiner Hilfserwägung (Urteilsumdruck S 10) zu niedrig angesetzt hat, kann dahinstehen, denn eine zulässige Divergenzrüge iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG lässt sich damit nicht begründen. Es reicht nämlich nicht aus, dass die angebliche Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung im Hinblick auf anderslautende BSG-Urteile dargelegt wird; entscheidend wäre vielmehr die Darlegung einer Nichtübereinstimmung in den abstrakten Rechtsaussagen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, IX. Kap, RdNr 196 mwN). Daran fehlt es vorliegend.

8

Entsprechendes gilt für die Rüge, das LSG habe zu Unrecht die Überwachung der Essensaufnahme und das Füttern des Klägers nicht als pflegestufenrelevant beurteilt und sei damit von einer Entscheidung des BSG vom 27.8.1998 - B 10 KR 4/97 R - abgewichen. Auch hierzu fehlt die Gegenüberstellung zweier divergierender Rechtssätze; die Beschwerde rügt lediglich eine im Lichte der BSG-Rechtsprechung falsche Rechtsanwendung. Dies reicht für die Zulassung einer Divergenzrüge indes nicht aus.

9

2. Der Kläger macht weiterhin geltend, die angegriffene Entscheidung betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist es erforderlich, die grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 und 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51, § 160a Nr 13 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8) oder sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt (Krasney/Udsching, aaO, RdNr 66 mwN). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

10

Der Kläger hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob bei einem an Diabetes erkrankten Kind ein mit dem Sachverhalt bei der Entscheidung des BSG vom 27.8.1998 - B 10 KR 4/97 R - vergleichbarer Fall vorliegt". Damit ist schon keine klare Rechtsfrage formuliert, anhand derer die weiteren Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geprüft werden könnten. Außerdem mangelt es an der Darlegung, dass es sich um eine über den hier konkret zu entscheidenden Einzelfall hinausgehende Problematik handelt. Im Übrigen fehlen jedwede Ausführungen zur Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit dieser angeblichen Rechtsfrage, so dass auch keine Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit durch den Senat möglich ist.

11

3. Ein Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist nur dann formgerecht bezeichnet, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und - in sich verständlich - den behaupteten Verfahrensfehler ergeben; außerdem muss dargelegt werden, dass und warum die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Darüber hinaus muss der behauptete Verfahrensmangel auch tatsächlich vorliegen (so schon BSGE 1, 150, 151 f; allg. Meinung - vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 136 mit zahlreichen Nachweisen) . Diesen Anforderungen wird die Beschwerde ebenfalls nicht gerecht.

12

a) Die Rüge, das LSG hätte einem erneuten Beweisantrag nach § 109 SGG nachgehen müssen, kann im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbsatz SGG nicht erhoben werden. Zudem weist der Senat darauf hin, dass § 109 SGG als Ausnahmevorschrift (§ 103 Satz 2 SGG) eng auszulegen ist und sich nur auf die gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes bezieht. Für das Impfschadensrecht hat das BSG allerdings die Möglichkeit einer Anhörung von Bakteriologen zugelassen (BSG SozR zu § 109 SGG Nr 41) ; ob daran auch heute noch festzuhalten ist, lässt der Senat offen. Das Antragsrecht gemäß § 109 SGG umfasst darüber hinaus jedenfalls keine weiteren Berufsgruppen und somit auch keine nichtärztlichen Pflegefachkräfte (ebenso Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 109 RdNr 5; vgl auch Tintner, MedSach 2007, 102) , so dass das LSG diesem Beweisantrag - unbeschadet des Verbrauchs in erster Instanz - gar nicht hätte entsprechen dürfen. Nur wenn der Sachverhalt noch nicht ausreichend geklärt gewesen wäre, hätte das LSG im dem Antrag des Klägers eine Beweisanregung sehen müssen, die im Rahmen des richterlichen Ermessens gemäß §§ 103 Satz 1, 128 Abs 1 Satz 1 SGG hätte Berücksichtigung finden können. Gerade das war hier jedoch nicht der Fall (vgl Urteilsumdruck S 12).

13

b) Die Rüge, das LSG hätte die Akten eines anderen Verfahrens beiziehen müssen, wäre als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) nur zulässig und begründet, wenn das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre (§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbsatz SGG) . Dies ist nicht der Fall, denn das LSG hat seine Ablehnung mit dem Charakter jeder Leistungsbewilligung als Einzelfallentscheidung begründet. Diese Rechtsauffassung ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu beanstanden, denn sie verletzt nicht die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, vgl auch Krasney/Udsching, aaO, RdNr 134) .

14

c) Der dem gesamten Beschwerdevorbringen immanente Vorwurf, das LSG habe die erstinstanzlich eingeholten Gutachten unzutreffend gewürdigt und deshalb in der Sache falsch entschieden, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Mit dem ersteren Vorbringen rügt der Kläger die Beweiswürdigung des SG und ihm folgend des LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) ; hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbsatz SGG nicht gestützt werden. Mit dem weiteren Vorwurf, das LSG habe eine unzutreffende Rechtsanwendung vorgenommen und in der Sache falsch entschieden, möchte der Kläger offensichtlich das Berufungsurteil vom BSG inhaltlich überprüfen lassen. Dies ist jedoch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde über die in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe hinaus grundsätzlich nicht möglich. Das BSG ist keine weitere Tatsacheninstanz; es geht auch nicht darum, die sachliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG rechtlich in vollem Umfang erneut zu überprüfen (Krasney/Udsching, aaO, RdNr 182 mwN).

15

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 28.10.2014 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf eine höhere Grundrente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 40 sowie auf einen Berufsschadensausgleich ab 9.5.2006 verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

3

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) zu begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

4

Der Kläger rügt im vorliegenden Verfahren eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) durch das LSG. Dazu muss die Beschwerdebegründung im Hinblick auf § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung, (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können(BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen ist der Kläger nicht gerecht geworden.

5

Der im Berufungsverfahren bereits rechtskundig vertretene Kläger hat zwar behauptet, im Rahmen des Berufungsverfahrens mit Schriftsatz vom 15.4.2014 beantragt zu haben, eine Auskunft des zuständigen Amtsarztes der D sowie des Schwerbehindertenbeauftragten der D darüber einzuholen, dass er aufgrund der erlittenen Beschädigungen nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Tätigkeit als Briefzusteller oder auch die Tätigkeiten im Innendienst auszuführen. Er hat es aber unterlassen darzulegen, woraus sich ergebe, dass er diesen Beweisantrag vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten habe. Hierzu hätte es insbesondere der weiteren Ausführungen bedurft, dass er einen derartigen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 28.10.2014 zu Protokoll ausdrücklich aufrechterhalten habe (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Ebenso fehlt es an einer näheren Begründung, weshalb sich das LSG zu den vom Kläger angestrebten weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen.

6

Tatsächlich greift der Kläger die Beweiswürdigung des LSG iS des § 128 Abs 1 S 1 SGG an. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde allerdings von vornherein nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

7

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

8

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde statt.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.

(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.

(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.