Bundessozialgericht Urteil, 02. Nov. 2012 - B 4 AS 97/11 R

bei uns veröffentlicht am02.11.2012

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens sowie die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts.

2

Die Klägerin steht seit 2005 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München GmbH - ARGE - (nunmehr Jobcenter Landeshauptstadt München). Im Mai 2008 wurde für die Klägerin vom AG München eine Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis umfasst ua die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung für den Bereich der Vermögenssorge einschließlich Schuldenregulierung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern.

3

Bereits mit Bescheid vom 17.4.2007 machte die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München GmbH gegenüber der Klägerin eine Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen in Höhe von 351,87 Euro geltend. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die Arbeitsgemeinschaft mit Bescheid vom 9.7.2008 ab.

4

Mit Schreiben vom 20.5.2007, tituliert als "Mahnung", forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung des von der ARGE geltend gemachten Erstattungsbetrages auf und machte in diesem Schreiben zusätzlich Mahngebühren in Höhe von 2,05 Euro geltend. Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass der gegen den Bescheid vom 17.4.2007 erhobene Widerspruch aufschiebende Wirkung habe und die Forderung daher nicht fällig sei.

5

Nachdem die Beklagte am 13.7.2007 die Forderung gegen die Klägerin "mit Widerspruch eingelegt" kennzeichnete, wurde die Mahngebühr storniert. Mit Bescheid vom 13.11.2007 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig und lehnte die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen ab.

6

Auf die Klage änderte das SG den Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 im Tenor unter Ziffer 2 dahingehend ab, dass die Beklagte die notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten habe und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt werde (Gerichtsbescheid vom 5.11.2009). Die hiergegen vom SG zugelassene und von der Beklagten eingelegte Berufung wies das LSG zurück (Urteil vom 12.5.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe die Beklagte zu Recht verurteilt, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten und die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für erforderlich erklärt. Dies folge aus § 63 SGB X. Das Schreiben der Beklagten vom 20.5.2007 enthalte insoweit einen Verwaltungsakt, als gegenüber der Klägerin Mahngebühren festgesetzt worden seien. Es handele sich aufgrund gesetzlicher Grundlage um ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls. Die Regelung bestehe darin, dass der Adressat unmittelbar verpflichtet werde, die Mahngebühr zu zahlen. Der Rechtsgrund für das Entstehen der Mahngebühr werde erst durch die Mahnung selbst begründet, daher teile die Mahngebühr, als von der Mahnung unabhängig, nicht den Rechtscharakter der Mahnung. Der auf Aufhebung gerichtete Widerspruch der Klägerin sei daher zulässig und begründet. Die der Mahngebühr zugrundeliegende Forderung sei nicht fällig gewesen und die Beklagte habe die Mahngebühr aufgehoben. Angesichts dessen komme es auch nicht darauf an, ob die Beklagte überhaupt in eigenem Namen Mahngebühren erheben könne. Die Beklagte habe die Mahngebühr aufgehoben, sodass der Widerspruch erfolgreich gewesen sei und die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Eine ursächliche Verknüpfung zwischen der Widerspruchserhebung und der begünstigenden Entscheidung der Beklagten bestehe insoweit, als die Beklagte die Mahngebühr nach Bestätigung der Widerspruchseinlegung durch die ARGE und entsprechender Kennzeichnung der Forderung aufgehoben habe. Auch sei die Hinzuziehung des Rechtsanwalts notwendig gewesen. Der Klägerin sei aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten nicht zuzumuten gewesen, das Verfahren alleine zu betreiben. Dies habe sich durch die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - die Klägerin sei Analphabetin und stehe zwischenzeitlich sogar unter Betreuung - zur Überzeugung des Senats verfestigt.

7

Die Beklagte rügt - nach Zulassung der Revision durch den Senat mit Beschluss vom 6.4.2011 (B 4 AS 160/10 B) - nur noch die Verletzung materiellen Rechts - des § 63 Abs 2 SGB X. Zwar habe das BSG mit Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - inzwischen entschieden, dass es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren um einen Verwaltungsakt handele, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden könne. Die Rechtsauffassung des LSG zu diesem Punkt sei daher nicht zu beanstanden. Unabhängig von der Frage, ob der Widerspruch vorliegend "erfolgreich" iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X gewesen sei, sei jedenfalls die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht "notwendig" iS des § 63 Abs 2 SGB X gewesen. Der Klägerin sei zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen. So habe sie noch vor Widerspruchserhebung durch ihren Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten telefonisch eine Ratenzahlungsvereinbarung, die auch die Mahngebühr beinhaltet habe, geschlossen. Dies zeige, dass sie durchaus auch ohne anwaltliche Beratung imstande gewesen sei, ihre Rechte eigenständig wahrzunehmen. Zudem impliziere bereits das Verhältnis der Höhe der Mahngebühr an sich als auch im Verhältnis zur Hauptforderung, dass bei objektiver Betrachtung ein vernünftiger Bürger sich keines Rechtsanwalts bedient hätte.

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2010 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 5. November 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Eine Verletzung des § 63 SGB X durch das LSG sei nicht ersichtlich. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt müsse nicht hingenommen werden. Auch die Geringfügigkeit der Mahngebühr rechtfertige nicht, von einem Kostenübernahmeerfordernis abzusehen. Allenfalls sei denkbar, im Rahmen der Entscheidung bezüglich der Höhe der geltend gemachten Anwaltsgebühr Abstriche zu machen, nicht jedoch dem Grunde nach.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

12

Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin die für den Widerspruch mit Schreiben vom 18.6.2007 entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat.

13

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler liegen nicht vor. An der Prozessfähigkeit der Klägerin bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Jedenfalls wäre ein etwaiger Mangel in der Prozessführung durch ausdrückliche Genehmigung der Betreuerin geheilt.

14

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 für das Vorverfahren gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit Schreiben vom 20.5.2007. Die Klägerin hat ihr Begehren ausdrücklich hierauf beschränkt. Sie verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG).

15

3. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat.

16

Nach § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

17

Der Anwendungsbereich des § 63 Abs 1 S 1 SGB X ist eröffnet, weil die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig durch die Beklagte zu Unrecht erfolgte. Vielmehr handelt es sich bei der in der Mahnung enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 14. Senats des BSG, die Festsetzung von Mahngebühren enthalte eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung, ausdrücklich an (s zur Verwaltungsaktqualität der Festsetzung von Mahngebühren und zur Unzulässigkeit der Übertragung der Aufgabe "Forderungseinzug" auf die BA: BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3). Es kann deshalb unentschieden bleiben, ob die Rechtsprechung des BSG, dass die Geltendmachung einer Forderung selbst durch Mahnung kein Verwaltungsakt sei (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 8) auch Fallgestaltungen erfasst, bei denen die Mahnung durch eine unzuständige Behörde erfolgt (hierzu BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, jeweils RdNr 18 ff).

18

Der Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben der Beklagten vom 20.5.2008 war auch erfolgreich. Erfolg iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Widerspruch dann, wenn die Behörde ihm stattgibt(vgl zuletzt BSG Urteil vom 19.6.2012 - B 4 AS 142/11 R sowie BSG Urteile vom 21.7.1992 - 4 RA 20/91 - SozR 3-1300 § 63 Nr 3, S 13; vom 17.10.2006 - B 5 RJ 66/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 5 RdNr 14; vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6 RdNr 30; vom 2.5.2012 - B 11 AL 23/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei ist der Erfolg oder Misserfolg eines eingelegten Widerspruchs am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 78 ff SGG zu messen. Die Beklagte hat ihm dadurch stattgegeben, dass sie die Mahngebühr storniert hat und dies gegenüber der Klägerin verlautbart hat. Unerheblich ist insoweit, aus welchen Gründen der Widerspruch in der Sache Erfolg hatte.

19

4. Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte hinsichtlich der Gebühren und Auslagen des bevollmächtigten Rechtsanwalts mit Rücksicht auf die geringe Höhe der Mahngebühr ausscheide. Insoweit ist mit den Tatsacheninstanzen zu erkennen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig iS des § 63 Abs 2 SGB X gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig ist. Es ist insoweit auf die Sicht eines verständigen Beteiligten im Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl nur Roos in von Wulffen, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 26; Feddern in jurisPK-SGB X § 63 RdNr 33 f).

20

Ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig ist, kann nicht allein anhand des im Widerspruchsverfahren geltend gemachten Betrages beurteilt werden. Insoweit kann sinngemäß zur weiteren Ausfüllung des Merkmals auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die das BVerfG zum Merkmal der Erforderlichkeit von Prozesskostenhilfe entwickelt hat (BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 2493/10 - NZS 2011, 775; BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Entscheidender Maßstab ist hiernach nicht das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko, sondern die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit. Da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen, kann die Notwendigkeit einer Zuziehung nur ausnahmsweise verneint werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen regelmäßig erfolgt, wenn im Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht.

21

Die vorstehenden Grundsätze werden durch das Urteil des 14. Senats des BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - zur Veröffentlichung vorgesehen - nicht infrage gestellt. Zwar ist mit dieser Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis für ein Klagebegehren in der Hauptsache verneint worden, das aus Sicht des Klägers denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II gestützt werden konnte. Gleichwohl hat der 14. Senat jedoch ausgeführt, dass die Höhe der geltend gemachten Forderung nicht "schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses" führe. Vielmehr fehle es am Rechtschutzbedürfnis nur dann, wenn besondere Umstände vorlägen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen ließen. Derartige besondere Umstände hat der 14. Senat bei einem isolierten Streit über die Anwendung der Rundungsregelung angenommen, die nicht aus Gründen der Existenzsicherung sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe geschaffen worden sei. Eine Abkehr vom "Grundsatz der Waffengleichheit" kann aus dieser Entscheidung folglich nicht hergeleitet werden.

22

Die hier vorliegenden Gesamtumstände rechtfertigen die Annahme einer Ausnahme nicht. Ein derartiger - hier jedoch nicht vorliegender - Ausnahmefall kann in Fällen der vorliegenden Art zB erwogen werden, wenn es um die Klärung tatsächlicher Fragen geht oder aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich ist, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruht, das vom Widersprechenden leicht aufzuklären ist. Die Klägerin konnte der Mahnung insbesondere nicht entnehmen, dass die Geltendmachung der Forderung einschließlich der Mahngebühren auf der Vorstellung beruhte, dass kein Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid eingelegt worden war.

23

Der zu beurteilende Sachverhalt ist im Übrigen dadurch gekennzeichnet, dass sich die Klägerin der Geltendmachung des gesamten Rückforderungsbetrages zuzüglich der fraglichen Mahngebühren durch eine unzuständige Behörde ausgesetzt sah. In einer derartigen Situation lag die Einschaltung eines Rechtsanwalts für einen verständigen Betroffenen jedenfalls nahe.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Tenor

Die Sprungrevisionen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. Juli 2011 werden zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens.

2

Die Kläger - Vater und seine 1990 geborene Tochter - beziehen mit Unterbrechungen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 25.3.2010 beantragten sie die Weiterbewilligung der Leistungen. Dem kam der Beklagte durch Bescheid vom 26.3.2010 für den Zeitraum vom 1.5. bis 31.10.2010 nach. Diesen Bescheid änderte der Beklagte in der Folgezeit mehrfach ab. Am 23.7.2010 stellte der Beklagte die Höhe der Leistungen des Klägers zu 1 im Zeitraum vom 1.8. bis 31.10.2010 unter Berücksichtigung eines Einkommens der Klägerin zu 2 in Höhe von 500 Euro monatlich neu fest, wogegen der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 6.8.2010 Widerspruch einlegte. Durch Bescheid vom 18.8.2010 änderte der Beklagte die Höhe der Leistungen für den Monat August unter Berücksichtigung der Abrechnung des Verdienstes der Klägerin zu 2 im Monat Juli 2010 und bewilligte der Klägerin zu 2 Leistungen für Unterkunft und Heizung. Am 9.9.2010 verfügte der Beklagte eine erneute Änderung der Leistungshöhe, dieses Mal für den Monat Oktober 2010, weil die Klägerin zu 2 durch die Aufnahme eines Studiums zum 18.10.2010 nunmehr von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 17.9.2010 Widerspruch ein. Am 7.10.2010 bewilligte der Beklagte den Klägern eine Nachzahlung für den Monat September 2010, nachdem die Klägerin zu 2 eine weitere Entgeltabrechnung vorgelegt hatte. Die Leistungsbewilligung für den Kläger zu 1 im Monat Oktober 2010 änderte er durch Bescheid vom 25.10.2010 unter Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin zu 2 erneut ab. Sämtlichen zuvor benannten Bescheiden war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, in der auf die Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs hingewiesen wurde. Durch Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 17.9.2010 als unzulässig, weil der Bescheid vom 9.9.2010 Gegenstand des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 23.7.2010 sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 9.9.2010 sei insoweit unzutreffend gewesen. Die Erstattung von notwendigen Aufwendungen für dieses Widerspruchsverfahren lehnte er ab. Den Widerspruch gegen die Bescheide vom 23.7., 18.8., 9.9., 7.10. und 25.10.2010 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 als unbegründet zurück und verfügte eine Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 7/10 auf entsprechenden Antrag.

3

Mit ihrer Klage vor dem SG haben die Kläger eine Änderung der Kostenentscheidung in dem Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 betreffend den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.9.2010 geltend gemacht. Das SG hat die Klagen unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch scheitere an dem fehlenden Erfolg des Widerspruchs iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X. Auch aus § 63 Abs 1 S 2 SGB X könnten die Kläger keinen Anspruch herleiten. Eine erweiternde Auslegung dieser Regelung unter Erstreckung auf eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung scheide aus. Ebenso wenig könne der Anspruch auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegründet werden. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen, weil Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch nicht Gegenstand einer derartigen Kostenentscheidung gewesen seien, es jedoch im SGB II sehr häufig dem hier zu entscheidenden Fall vergleichbare Fallkonstellationen gebe.

4

Die Kläger vertreten im Revisionsverfahren die Auffassung, dass der 13. Senat des BSG unzutreffend eine analoge Anwendung des § 63 Abs 1 S 2 SGB X für den Fall der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung verneint habe. Die vom 13. Senat unter Bezug genommene Vergleichbarkeit der Regelungen des § 63 SGB X und § 80 VwVfG sei nicht nachvollziehbar. Auch müsse der besonderen Situation im SGB II Rechnung getragen werden, in der es der Regelfall und nicht die Ausnahme sei, dass die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse mehrfach in einem Bewilligungsabschnitt die Änderung des Ausgangsbescheides erforderlich machten.

5

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. Juli 2011 aufzuheben und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. Oktober 2010 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, den Klägern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens gegen den Bescheid des Beklagten vom 9. September 2010 zu erstatten.

6

Der Beklagte beantragt,
die Sprungrevisionen zurückzuweisen.

7

Er hält die Ausführungen des 13. Senats des BSG im Urteil vom 20.10.2010 für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist unbegründet.

9

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid des Beklagten vom 9.9.2010. Die Kostenentscheidung des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 ist rechtmäßig.

10

1. Die Klage unmittelbar gegen die Entscheidung des Jobcenters im Widerspruchsbescheid über die Kosten des Widerspruchsverfahrens war zulässig (zur Trennung von Sach- und Kostenentscheidung vgl zuletzt BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 35/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; s auch BSG Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 66/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 5, RdNr 13). Eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs 1 SGG hinsichtlich der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht(vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 63 RdNr 25, Stand: August 2011). Das Jobcenter war als Behörde, die über den Widerspruch entschieden hat, auch für die Kostenentscheidung zuständig.

11

2. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 für das Vorverfahren gegen den Ausgangsbescheid vom 9.9.2010 betreffend die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Monat Oktober 2010. Gegen diesen Widerspruchsbescheid wenden sich die Kläger mit ihrem Begehren auf Erstattung der Aufwendungen für das Vorverfahren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.

12

3. Die Voraussetzungen für den begehrten Aufwendungsersatz nach § 63 Abs 1 S 1 SGB X sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, wenn der Widerspruch erfolgreich ist. Erfolg iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Widerspruch nur dann, wenn die Behörde ihm stattgibt(vgl SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 13; SozR 4-1300 § 63 Nr 5, RdNr 15; SozR 4-1500 § 193 Nr 6, RdNr 30, vgl zuletzt Entscheidung des erkennenden Senats vom 16.5.2012 - B 4 AS 168/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.9.2010 hatte keinen Erfolg. Der Beklagte hat ihn unter Hinweis auf § 86 SGG als unzulässig verworfen. Nach § 86 SGG wird der Verwaltungsakt, der während des Vorverfahrens den bereits angefochtenen Ausgangsbescheid abändert, Gegenstand des Vorverfahrens. So liegt der Fall hier.

13

Der Bescheid vom 9.9.2010 ist Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 23.7.2010 geworden. Im Vorverfahren war mithin vom Beklagten über den Bescheid vom 23.7.2010 in der Fassung des Bescheides vom 9.9.2010 zu entscheiden. Zwar ist ein Widerspruch gegen den ändernden Bescheid unschädlich (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 86 RdNr 4). Andererseits erfolgt grundsätzlich wegen der Einbeziehung des Änderungsbescheides in das Vorverfahren jedoch keine gesonderte Entscheidung über den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid. Es ist über diesen "überflüssigen" Widerspruch mit der Entscheidung über den Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid zu befinden (vgl Hintz in BeckOK SGG, Stand 1.3.2012, § 86 RdNr 4). Insoweit findet er auch Eingang in die Kostenentscheidung, unabhängig davon, ob die Verwaltung - wie hier - den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid als unzulässig verworfen hat oder nicht. In diesem Sinne kann der "Widerspruch" gegen den Änderungsbescheid zwar grundsätzlich auch erfolgreich sein. Umgekehrt kann er außerhalb des Vorverfahrens gegen den Ausgangsbescheid jedoch keinen Erfolg iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X haben.

14

4. Die Kläger können ihr Begehren auch nicht auf § 63 Abs 1 S 2 SGB X stützen. Nach dieser Regelung zieht auch ein Widerspruch, der nur deswegen nicht erfolgreich war, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift des § 41 SGB X unbeachtlich ist, die Kostenfolge des § 63 Abs 1 S 1 SGB X nach sich. Weder kann diese Regelung unmittelbar herangezogen werden, noch in analoger Anwendung iVm § 41 SGB X in dem Sinne, dass sie auch auf den Mangel einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung Anwendung findet. Ebenso wenig kommt ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht. Der Senat schließt sich hinsichtlich aller drei Anspruchsgrundlagen der Rechtsprechung des 13. Senats des BSG in der Entscheidung vom 20.10.2010 (B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6) an, von deren erneuter Darstellung abgesehen wird.

15

Auch die vom SG für die Zulassung der Sprungrevision genannten Gründe sowie die in der Revisionsbegründung der Kläger dargelegten, veranlassen den Senat nicht, von der benannten Rechtsprechung abzuweichen oder bei dem 13. Senat anzufragen, ob er an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte (§ 41 Abs 3 SGG).

16

Soweit die Kläger darauf abstellen, dass die verfahrensrechtlichen Unterschiede zwischen § 80 VwVfG und § 63 SGB X eine unterschiedliche Behandlung erforderten, vermag der Senat hieraus nicht zu schließen, dass auch der durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ausgelöste Widerspruch gegen einen Bescheid, der Gegenstand eines Vorverfahrens wird, zum Aufwendungsersatz für das Widerspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid führen muss. Eines Rückgriffs auf die Vergleichbarkeit zu § 80 VwVfG bedarf es insoweit nicht. Der Ausschluss der unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung als Grund für die Kostenfolge auch bei erfolglosem Widerspruch folgt bereits aus dem Wortlaut des § 63 Abs 1 S 2 SGB X. Der 13. Senat weist in der eingangs benannten Entscheidung zutreffend hierauf hin. Der erkennende Senat teilt auch die systematischen Bedenken des 13. Senats gegen eine erweiternde Anwendung des § 63 Abs 1 S 2 SGB X. Zudem stehen S 1 und 2 in einem Regel-Ausnahmeverhältnis zueinander. Die Ausnahmen müssen daher auf die im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Gründe beschränkt bleiben. Dies hat auch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden, wenn es dort heißt, dass um eine kasuistische Regelung zu vermeiden, besondere Bestimmungen über die Kostentragung bei falscher Rechtbehelfsbelehrung oder falscher Sachbehandlung der Behörde nicht aufgenommen worden seien (BT-Drucks 7/910, S 92, auf die in der Begründung zu § 63 SGB X - dort noch § 61 SGB X, BT-Drucks 8/2034, S 36 - Bezug genommen wird).

17

Auch die von den Klägern aufgezeigten Probleme bei einer Anfechtung eines von der Verwaltung als unzulässig verworfenen und eines weiteren als unbegründet zurückgewiesenen Verwaltungsakts sind kein Grund für die Annahme einer Planwidrigkeit des ausnahmsweisen Verzichts auf den Erfolg des Widerspruchs bei falscher Rechtsbehelfsbelehrung im Hinblick auf das Auslösen eines Kostenerstattungsanspruchs. Insoweit verkennen die Kläger, dass mit Erhebung des Widerspruchs ein dem Gerichtsverfahren vorgeschaltetes besonderes Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt wird mit der Folge, dass auch Änderungsbescheide nach § 86 Abs 1 SGG kraft Gesetzes zu dessen Gegenstand werden. Solange ein Verwaltungsakt Gegenstand eines Vorverfahrens ist, kann er nicht zugleich auch beim SG angefochten werden (BSG Urteil vom 7.10.1987 - 4a RJ 93/86). Die Klage ist vielmehr erst nach Abschluss des Vorverfahrens, etwa durch Zurückweisung des Widerspruchs, durch die Widerspruchsstelle zulässig. Im Klageverfahren ist dann jedoch über sämtliche Bescheide, die Gegenstand des Vorverfahrens geworden sind, zu befinden, sodass auf klägerischer Seite kein Rechtsverlust entstehen kann, auch nicht, wenn zB ein als unzulässig befundener Widerspruch nachträglich als zulässig bewertet werden sollte.

18

Die von den Klägern angeführte Häufigkeit der Erteilung einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung durch die Grundsicherungsträger ist kein überzeugendes Argument für eine von sonstigen Sozialleistungsbereichen abweichende Auslegung des § 63 Abs 1 S 2 SGB II. Dies gilt ebenso für die Erwägung des SG, im SGB II sei insbesondere wegen der großen "Änderungshäufigkeit" im Laufe eines Bewilligungsabschnitts eine höchstrichterliche Entscheidung im Sinne einer erweiternden Anwendung des § 63 Abs 1 S 2 SGB X erforderlich. Die Regelung des § 63 Abs 1 SGB X gilt nach § 1 SGB X auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Grundsicherungsträger, die ihnen durch das SGB II zugewiesen ist. Insoweit genügt, dass die Aufgabe der Behörde mittelbar durch das SGB übertragen ist (vgl Fichte in Kreikebohm/ Spellbrink/Waltermann, 2. Aufl 2011, § 1 SGB X RdNr 2; Mutschler in Kasseler Kommentar, § 1 RdNr 4, Stand 72. Ergänzungslieferung 2012). Abweichungen von den Regelungen des SGB X bedürfen jedoch der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im SGB X oder im SGB II, was im Hinblick auf die Kostenregelung für das Vorverfahren nicht der Fall ist. Rein quantitative Erwägungen sind nicht geeignet, Abweichungen von den gesetzlich vorgesehenen Regelungen zu rechtfertigen. Der Problematik der fehlenden Kenntnis von Änderungsbescheiden nach Anwaltswechsel lässt sich durch Akteneinsicht und Überprüfung der Rechtslage mittels anwaltlichen Sachverstandes einfach begegnen. Zumindest kann hieraus kein Argument für die Annahme einer planwidrig fehlenden Ausnahme der falschen Rechtsbehelfsbelehrung von der Regelung des § 63 Abs 1 S 1 SGB X gewonnen werden.

19

Ebenso wenig kann den Ausführungen der Kläger zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gefolgt werden. Sie gehen bereits von einem falschen Ausgangspunkt aus. § 63 SGB X ist nicht geprägt vom "Veranlassungsprinzip". Im Gegensatz zu § 193 SGG kommt es für den Eintritt der Kostenbelastung der Verwaltung für ein Widerspruchsverfahren ausschließlich auf den Erfolg des Widerspruchs an. Dieser in § 63 Abs 1 S 1 SGB X normierte Regelfall wird nur in der genau bezeichneten Situation des § 63 Abs 1 S 2 SGB X, also für den Fall der Erfolglosigkeit wegen der Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 41 SGB X durchbrochen. Hat die Verwaltung mithin den Widerspruch durch eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung "veranlasst", kann bereits von der gesetzlichen Grundkonstruktion kein Raum für einen Aufwendungsersatzanspruch sein. Dies kann auch nicht mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs umgangen werden. Insoweit gilt im Übrigen, wie der 13. Senat in der eingangs benannten Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, dass ein Schadensersatzanspruch in Geld keine Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist. Er ist vielmehr auf Naturalrestitution gerichtet, dh auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen Position im Sinne desjenigen Zustandes, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl SozR 3-2400 § 28h Nr 11, RdNr 16).

20

5. Die Kostenentscheidung des Beklagten in dem Widerspruch vom 28.10.2010 ist nicht deswegen aufzuheben, weil sie im Hinblick auf die Einbeziehung des Bescheides vom 9.9.2010 in das Vorverfahren gegen den Bescheid vom 23.7.2010 erst mit einer Entscheidung über diesen Widerspruch hätte getroffen werden dürfen. Die Kostenfolge des unzulässigen und damit erfolglosen Widerspruchs iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X ist die Nichterstattung der Aufwendungen des Widerspruchsführers. Hieran ändert es nichts, dass der Verwaltungsträger im Widerspruchsbescheid gegen den Ausgangsbescheid auch über die Kosten eines zum Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG gewordenen Änderungsbescheids mitzuentscheiden hat. Dem ist der Beklagte hier im Übrigen auch nachgekommen.

21

6. Die Kostenentscheidung des erkennenden Senats beruht auf § 193 SGG. Obwohl im Rahmen des § 193 SGG auch die Veranlassung des Rechtsstreits einen Ermessensgesichtspunkt darstellen kann(vgl hierzu BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 168/10 R), führt die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung des Beklagten im Bescheid vom 9.9.2010 hier nicht zu einer Kostenentscheidung zugunsten der Kläger. Sie sind mit ihrem Begehren im Rechtsstreit erfolglos geblieben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Februar 2010 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. August 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die ihm anlässlich der Einlegung eines Widerspruchs entstanden sind.

2

Seit 1997 ist vor dem SG Heilbronn gegen einen Feststellungsbescheid nach § 149 Abs 5 SGB VI der damaligen LVA Württemberg vom 25.2.1997 und gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.9.1997 ein Rechtsstreit des Klägers anhängig; das Verfahren hat seit April 1999 geruht.

3

In der Folgezeit ergingen (zunächst noch durch die LVA Württemberg, sodann durch deren Rechtsnachfolgerin DRV Baden-Württemberg, danach durch die inzwischen zuständig gewordene DRV Unterfranken und schließlich durch deren Rechtsnachfolgerin DRV Nordbayern ) im Rentenverfahren des Klägers zahlreiche Bescheide, teils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung "Widerspruch", teils jedoch mit dem Hinweis, dass der jeweilige Bescheid gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des anhängigen (seit Oktober 2006 fortgeführten) Klageverfahrens sei.

4

Der Bescheid der Beklagten vom 22.8.2007 lehnte einen Antrag des Klägers, die mit Bescheid vom 28.4.2000 ab Juni 2000 bewilligte Altersrente neu festzustellen, mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen der Übergangsregelung, die durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (RVAltGrAnpG) vom 20.4.2007 (BGBl I 554) in Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 13.6.2006 (1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5) in Art 6 § 4c Abs 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) eingefügt worden war, nicht vorlägen.

5

Hiergegen legte der Kläger durch seinen Rentenberater der Rechtsbehelfsbelehrung folgend Widerspruch ein und trug ua vor, der Rentenbescheid vom 28.4.2000 sei Gegenstand des beim SG anhängigen Klageverfahrens geworden, weil er den Feststellungsbescheid vom 25.2.1997 ersetzt habe.

6

Mit Schriftsatz vom 12.11.2007 teilte die Beklagte dem SG mit, ihr Bescheid vom 22.8.2007 sei entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 20.12.2007 die Altersrente für den Monat Juni 2000 neu fest und bewilligte dem Kläger eine Nachzahlung von 16,69 Euro, weil sich gemäß Art 6 § 4c Abs 2 FANG idF des RVAltGrAnpG ein Zuschlag an Entgeltpunkten (EP) ergab. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass er nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens sei.

7

Zuvor hatte der Kläger mit Schreiben vom 10.12.2007 seinen Widerspruch in der Hauptsache für erledigt erklärt und um Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X gebeten. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Denn der Widerspruch sei nicht erfolgreich und trotz der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung weder erforderlich noch sinnvoll gewesen (Bescheid vom 23.1.2008 und Widerspruchsbescheid vom 17.3.2008).

8

Das SG hat mit Urteil vom 27.8.2008 der Klage stattgegeben. Die Voraussetzungen des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X lägen zwar nicht vor, weil der Widerspruch nicht erfolgreich gewesen sei. Auch komme eine erweiternde Auslegung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X nicht in Betracht. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren seien jedoch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erstatten (Hinweis auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 1.7.2003 - L 11 RJ 514/03 - Juris), denn die Beklagte habe gegen ihre in § 36 SGB X normierte Pflicht verstoßen, eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen.

9

Die vom LSG zugelassene Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat es in seinem Urteil vom 12.2.2010 (L 4 R 803/09 - Juris) im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe aufgrund einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs 1 Satz 2 iVm § 41 Abs 1 SGB X ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Durch die unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 22.8.2007 habe die Beklagte den unzulässigen Widerspruch des Klägers "provoziert". Die Beifügung einer falschen Rechtsbehelfsbelehrung sei ein Verfahrensfehler. Zwar werde dieser Mangel in § 41 Abs 1 SGB X nicht erwähnt. Er sei jedoch zumindest mit der in Nr 2 getroffenen Regelung - dem Fehlen einer notwendigen Begründung (§ 35 SGB X) - vergleichbar. Zudem müsse das bei einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG zu berücksichtigende Veranlassungsprinzip auch im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 63 Abs 1 SGB X beachtet werden. Es sei kein Grund ersichtlich, warum ein Gericht bei einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG, die auch die Kosten des Vorverfahrens umfasse, den Umstand der Veranlassung für ein Widerspruchs- oder Klageverfahren berücksichtigen dürfe, dies aber der Behörde selbst bei einer Kostenentscheidung nach § 63 SGB X verwehrt sein solle. Auch das BSG habe in seiner Entscheidung vom 18.12.2001 (B 12 KR 42/00 R - Juris) eine Kostenerstattungspflicht nach § 63 Abs 1 SGB X bei erfolglosem Widerspruch für gerechtfertigt gehalten, wenn die Einlegung des unzulässigen Widerspruchs "durch das Verhalten der Beklagten verursacht" worden sei.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X. Die Vorschrift könne nicht erweiternd ausgelegt werden. Mängel in der Rechtsbehelfsbelehrung führten nicht dazu, dass diese ebenso wie die in § 41 SGB X aufgeführten Form- oder Verfahrensfehler nachträglich geheilt werden könnten. Im vorliegenden Fall sei eine Heilung durch Nachholen einer Handlung schon deshalb nicht möglich, weil der Bescheid vom 22.8.2007 gemäß § 96 Abs 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden sei. Veranlassungsgesichtspunkte seien im Rahmen des § 63 SGB X im Gegensatz zu einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG nicht zu berücksichtigen. Wollte man dies anders sehen, hätte das LSG im Übrigen auch das Verhalten der Prozessbevollmächtigten des Klägers berücksichtigen müssen. Denn diese hätten gewusst, dass der Bescheid vom 28.4.2000 Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens gewesen sei und damit die Voraussetzungen für die Anwendung des Art 6 § 4c Abs 2 FANG idF des RVAltGrAnpG vorgelegen hätten. Eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.8.2007 hätte es nicht bedurft. Dem Urteil des BSG vom 18.12.2001 (aaO) lasse sich nichts für eine erweiternde Auslegung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X entnehmen.

11

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Februar 2010 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. August 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten.

13

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündlichen Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

15

A. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Berufung und Revision sind kraft Zulassung durch das LSG statthaft. Sie sind auch nicht gemäß § 144 Abs 4 iVm § 165 Satz 1 SGG ausgeschlossen. Denn Kosten des Verfahrens iS dieser Vorschriften, die zu einem Ausschluss der Rechtsmittel führen, sind nur die Kosten des laufenden Rechtsstreits, nicht aber die Kosten eines anderen Verfahrens (stRspr, zB BSG Urteil vom 29.1.1998 - SozR 3-1500 § 144 Nr 13 S 30 mwN). Der Ausschluss erfasst daher keine Rechtsstreitigkeiten, in denen in der Hauptsache über die Kosten "isolierter" Vorverfahren gestritten wird (BSG Urteil vom 25.2.2010 - SozR 4-1300 § 63 Nr 12 RdNr 11 mwN).

16

B. Die angefochtenen Entscheidungen der Vorinstanzen können keinen Bestand haben; die Klage ist abzuweisen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.8.2007 gemäß § 63 Abs 1 SGB X.

17

Denn die Beklagte war von vornherein nicht berechtigt, inhaltlich über die Kosten des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.8.2007 zu entscheiden (1.). Selbst wenn man eine Entscheidungsbefugnis der Beklagten über die Kosten des Widerspruchsverfahrens bejahen wollte, lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs weder nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X (2.) noch gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X (3.) vor. Eine erweiternde Auslegung des § 63 Abs 1 Satz 2 iVm § 41 SGB X in dem Sinne, dass die Regelung auch auf den Mangel einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung Anwendung finde, kommt ebenso wenig in Betracht (4.). Schließlich kann der Kläger sein Begehren nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen (5.).

18

1. Die Beklagte war nicht befugt, eine inhaltliche Entscheidung über die Erstattung der vom Kläger geltend gemachten Kosten des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.8.2007 zu treffen, denn dieser wurde bereits mit seinem Erlass Gegenstand der gegen den (Feststellungs-)Bescheid vom 25.2.1997 gerichteten Klage. Auch über die Kosten eines - an sich überflüssigen - Widerspruchsverfahrens entscheidet gemäß § 193 Abs 1 SGG nach Prozessbeendigung ausschließlich das Gericht; ein Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs 1 SGB X kommt dann nicht mehr in Betracht.

19

Verfahrensrechtlich bedeutet dies, dass die Beklagte zwar verpflichtet war, den Antrag des Klägers auf Erlass einer Kostengrundentscheidung zu bescheiden; sie durfte jedoch keine inhaltliche Entscheidung über die geltend gemachten Kosten treffen. Denn diese (hoheitliche) Kostenentscheidung steht gemäß § 193 Abs 1 SGG nur dem Gericht zu. Bereits deshalb hätte die Beklagte den Kostenantrag ablehnen müssen. Insoweit war die im Bescheid vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.3.2008 (vgl § 95 SGG) getroffene ablehnende Entscheidung in ihrer Begründung ebenso falsch wie irreführend.

20

a) Die in § 63 Abs 1 SGB X geregelte Kostenerstattungspflicht gilt nur für ein isoliertes Vorverfahren(§ 62 SGB X), also für ein solches, dem - jedenfalls in der Hauptsache - kein gerichtliches Verfahren folgt (BSG Urteil vom 20.4.1983 - BSGE 55, 92, 93 = SozR 1300 § 63 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 12.12.1990 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1 S 5; BSG Urteil vom 30.6.2004 - BSGE 93, 69 = SozR 4-2500 § 85 Nr 11, RdNr 27; BSG Urteil vom 31.5.2006 - SozR 4-1300 § 63 Nr 4 RdNr 11; BSG Urteil vom 25.2.2010 - SozR 4-1300 § 63 Nr 12 RdNr 15; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 193 RdNr 5a; Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 4). Denn war ein Beteiligter im Vorverfahren schon mit seinem Widerspruch erfolgreich, erübrigt sich eine Anrufung des Gerichts. Deshalb besteht dann die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X(BSG Urteil vom 20.4.1983 aaO; BSG Urteil vom 25.2.2010 aaO).

21

Schließt sich hingegen eine Klage an, kommt § 63 SGB X nicht mehr zur Anwendung. Denn dann hat (nur noch) das Gericht gemäß § 193 Abs 1 SGG von Amts wegen im Urteil(Satz 1 aaO) oder bei anderweitiger Verfahrensbeendigung auf Antrag durch Beschluss (Satz 3 aaO) darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Zu den Kosten, über deren Erstattung das Gericht zu befinden hat, gehören die gesamten (außergerichtlichen) Kosten des Rechtsstreits und daher nach § 193 Abs 2 SGG auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen für ein Vorverfahren(BSG Beschluss vom 24.8.1976 - SozR 1500 § 193 Nr 3 S 1 ff; BSG Urteil vom 20.4.1983 - BSGE 55, 92, 93 = SozR 1300 § 63 Nr 1 S 2). Nichts anderes gilt, wenn es trotz der Einbeziehung des Bescheids in ein bereits anhängiges Gerichtsverfahren nach § 96 Abs 1 SGG noch - wie hier - zu einem (unnötigen) Widerspruchsverfahren kommt.

22

b) Der Kläger hatte gegen den Bescheid vom 22.8.2007 Widerspruch erhoben. Damit begann nach § 83 SGG ein Vorverfahren; der Widerspruch war jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses wegen des bereits (auch) gegen diesen Bescheid anhängigen Klageverfahrens unzulässig (vgl BSG Urteil vom 29.1.1998 - SozR 3-1500 § 144 Nr 13 S 30).

23

In dieser Verfahrenssituation kommt eine gesonderte Erstattung der Kosten nach § 63 SGB X nicht (mehr) in Betracht, auch soweit der Kläger durch die (fehlerhafte) Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung des (unzulässigen) Widerspruchs veranlasst worden sein sollte. Über die Kosten des Widerspruchs gegen einen solchen Bescheid ist (ausschließlich) in der Kostenentscheidung des Gerichtsverfahrens mitzuentscheiden, in das er einbezogen worden ist (so bereits BSG Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R - Juris RdNr 12; ebenso LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19.10.2000 - L 16 KR 35/98 - Juris RdNr 70; Thüringer LSG Urteil vom 13.1.2010 - L 7 AS 1042/07 - Juris RdNr 12).

24

Denn nach dem Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung hat das Gericht bei Verfahrensbeendigung über die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (vgl BSG Beschluss vom 7.9.1998 - SozR 3-1500 § 193 Nr 10 S 26; Bayerisches LSG Beschluss vom 10.10.1996 - L 5 B 198/95 - Breith 1998, 454, 458; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 193 RdNr 2). Hierzu gehören - wie oben bereits ausgeführt - auch die Kosten eines Vorverfahrens.

25

Dem steht nicht entgegen, dass nach § 193 Abs 2 SGG Kosten nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung "notwendigen" Aufwendungen der Beteiligten sind und die Kosten für einen Widerspruch gegen einen nach § 96 Abs 1 SGG in den Rechtsstreit einbezogenen Verwaltungsakt ein objektiv unnötiges ("überflüssiges") Vorverfahren betreffen. Denn die "Notwendigkeit" einer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung getätigten Aufwendung beurteilt sich allein aus der Sicht eines verständigen Beteiligten, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, in dem die mit Aufwendungen verbundene Handlung vorgenommen worden ist (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 193 RdNr 7; Groß in Lüdtke, Handkomm SGG, 3. Aufl 2009, § 193 RdNr 11); ohne Belang ist, ob sich die Handlung hinterher als unnötig herausstellt (vgl BVerwG Beschluss vom 3.7.2000 - 11 A 1/99 - NJW 2000, 2832 f; Niedersächsisches OVG Beschluss vom 20.5.2005 - 8 OB 57/05 - NVwZ-RR 2005, 660 § 162 abs 1 vwgo>, jeweils mwN).

26

Ein verständiger Beteiligter wird gegen einen ihn belastenden, für rechtswidrig erachteten Verwaltungsakt Widerspruch einlegen, wenn dies der beigefügten, nicht erkennbar falschen Rechtsbehelfsbelehrung entspricht (vgl BGH Beschluss vom 11.6.1996 - VI ZB 10/96 - VersR 1996, 1522 f zum Anwaltsverschulden bei offenkundig falscher Rechtsmittelbelehrung; vgl auch SG Freiburg Urteil vom 17.12.2002 - S 9 RJ 1875/02 - ASR 2003, 123, 124; s zum sog Grundsatz des "sichersten Weges" BGH Urteil vom 16.11.1989 - IX ZR 190/88 - NJW-RR 1990, 204, 205; BGH Urteil vom 11.2.1999 - IX ZR 14/98 - NJW 1999, 1391 f; Saarländisches OLG Urteil vom 22.12.2009 - 4 U 107/09 ua - MDR 2010, 534, 535). Hieran gemessen müssen die durch die Einlegung eines unzulässigen Widerspruchs entstandenen Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren zu den erstattungsfähigen Kosten iS des § 193 Abs 2 SGG gehören, wenn gegen den angefochtenen Verwaltungsakt nach der ihm beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch zu erheben und diese Rechtsbehelfsbelehrung für den Betroffenen bzw seinen Bevollmächtigten nicht erkennbar unzutreffend war. Bei der Kostenentscheidung hat das Gericht darüber zu befinden, ob es der Billigkeit entspricht, dass eine Behörde, die dadurch Anlass zur Einlegung eines Widerspruchs gegeben hat, dass sie zu Unrecht über dessen Notwendigkeit belehrt hat, im sozialgerichtlichen Verfahren (zusätzlich) die Kosten dieses objektiv unnötigen Widerspruchsverfahrens tragen muss.

27

Mit der hier vertretenen Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des 12. Senats des BSG in seinem Beschluss vom 24.8.1976 (SozR 1500 § 193 Nr 3), soweit dort ausgeführt ist, dass die Kosten iS des § 193 Abs 2 SGG auch die notwendigen Aufwendungen eines für das Klageverfahren gemäß § 78 SGG zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens umfassen. Denn der 12. Senat hat damit die Erstattung von Kosten in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht ausgeschlossen.

28

2. Aber selbst wenn man - mit der generellen Rechtsansicht des LSG - davon ausginge, dass die Beklagte berechtigt gewesen wäre, inhaltlich über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu entscheiden, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X.

29

Nach dieser Bestimmung hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist vorliegend nicht erfüllt, weil der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22.8.2007 nicht "erfolgreich" war.

30

Ein Widerspruch hat dann "Erfolg" iS des Gesetzes, wenn die Behörde ihm stattgibt (BSG Urteil vom 21.7.1992 - SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 13; BSG Urteil vom 17.10.2006 - SozR 4-1300 § 63 Nr 5 RdNr 14; BVerwG Urteil vom 14.1.1983 - 8 C 80/80 - NVwZ 1983, 544, 545). Dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.8.2007 hat die Beklagte jedoch nicht stattgegeben; der Bescheid ist vielmehr Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden. Der Widerspruch war damit unzulässig und wurde nach entsprechendem Hinweis der Beklagten vom Kläger für erledigt erklärt.

31

Eine "Stattgabe" bzw ein "Erfolg" des Widerspruchs kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte mit Bescheid vom 20.12.2007 die Altersrente - wie vom Kläger mit dem Widerspruch in der Sache begehrt - in Anwendung des Art 6 § 4c Abs 2 FANG idF des RVAltGrAnpG vom 20.4.2007 (BGBl I 554) neu berechnet und einen Zuschlag an EP für den Monat Juni 2000 bewilligt hat. Denn es fehlt an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.8.2007 und der Neufeststellung mit Bescheid vom 20.12.2007. Ein Widerspruch ist nur dann erfolgreich iS des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X, wenn zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht(stRspr, zB BSG Urteil vom 21.7.1992 - SozR 3-1300 § 63 Nr 3 S 13; BSG Urteil vom 29.1.1998 - SozR 3-1500 § 144 Nr 13 S 34; BSG Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R - Juris RdNr 13; BSG Urteil vom 25.3.2004 - SozR 4-1300 § 63 Nr 1 RdNr 9; BSG Urteil vom 31.5.2006 - SozR 4-1300 § 63 Nr 4 RdNr 11; BSG Urteil vom 17.10.2006 - SozR 4-1300 § 63 Nr 5 RdNr 15). Dies war hier nicht der Fall. Denn der Bescheid vom 22.8.2007 war gemäß § 96 Abs 1 SGG automatisch Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens geworden. Des Widerspruchs bedurfte es nicht; ihm ist daher der "Erfolg" der Rentenneufeststellung rechtlich nicht zuzurechnen.

32

3. Ebenso wenig liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X vor. Danach gilt die Rechtsfolge des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X (Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren) auch, wenn der Widerspruch "nur" deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Einer der Anwendungsfälle des § 41 SGB X ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Mangel einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB X) wird von § 41 SGB X nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht erfasst.

33

4. Die Ansicht des LSG, § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X sei in erweiternder Auslegung bei einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung mit der Folge anzuwenden, dass ein Kostenerstattungsanspruch auch bei einem wegen der Rechtsfolge des § 96 Abs 1 SGG unzulässigen Widerspruch gegen einen bereits in einem Gerichtsverfahren einbezogenen Verwaltungsakt zu bejahen sei(ebenso Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 22 - ohne nähere Begründung), teilt der Senat nicht. Vielmehr kommt eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Regelung auf den Fall einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Betracht (vgl ebenso LSG Baden-Württemberg Urteil vom 1.7.2003 - L 11 RJ 514/03 - RV 2004 56, 58; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 3.8.2009 - L 10 AS 391/09 NZB - Juris RdNr 6; SG Freiburg Urteil vom 17.12.2002 - S 9 RJ 1875/02 - ASR 2003, 123, 124; Rieker in JurisPR-SozR 7/2010 Anm 6; VG München Urteil vom 13.6.2001 - M 17 K 98.5674 - Juris RdNr 19 zum wortgleichen Art 80 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 Bayerisches VwVfG; Schneider-Danwitz, SGB X, § 63 Anm 37, Stand März 1989; Othmer, SGb 1998, 513, 515; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 80 RdNr 41 zur Parallelvorschrift des § 80 Abs 1 Satz 2 VwVfG).

34

a) Eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung ist schon aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm abzulehnen. Nach den Materialien zu § 63 SGB X(Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren -, BT-Drucks 8/2034 S 36 )entspricht diese Vorschrift (bis auf hier nicht einschlägige Abweichungen) § 80 VwVfG. Dort aber ist bewusst von der Aufnahme einer gesonderten Bestimmung über die Kostentragung bei einer unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung abgesehen worden, und zwar in der Überzeugung, dass derartige Fälle nach staatshaftungsrechtlichen Grundsätzen abgewickelt werden sollten. In der Begründung zum Gesetzentwurf des (späteren) § 80 VwVfG heißt es(BT-Drucks 7/910 S 92 ): "Um eine zu kasuistische Regelung zu vermeiden, sind auch besondere Bestimmungen über die Kostentragung bei falscher Rechtsmittelbelehrung oder falscher Sachbehandlung durch die Behörde nicht aufgenommen. Fälle dieser Art können weitgehend nach § 839 BGB abgewickelt werden."

35

Der in diesen Materialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers steht einer analogen Anwendung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X entgegen, da hiernach keine dem gesetzgeberischen Konzept widersprechende (planwidrige) Gesetzeslücke(vgl dazu BVerfG Beschluss vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11 ff; BSG Urteil vom 31.5.2006 - SozR 4-1300 § 63 Nr 3 RdNr 14, jeweils mwN) besteht.

36

b) Überdies begegnet eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 SGB X und damit auch des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X auf Mängel in der Rechtsbehelfsbelehrung systematischen Bedenken. Im Gegensatz zu den in § 41 SGB X genannten Verfahrens- und Formfehlern sind die Folgen bei einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung nicht im SGB X, sondern in § 66 Abs 2 SGG ausdrücklich und abschließend geregelt. Zwar kann eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG noch richtig erteilt werden mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt die übliche Frist von einem Monat(§ 84 Abs 1 Satz 1 SGG) zu laufen beginnt (vgl Senatsurteil vom 28.5.1991 - BSGE 69, 9, 14 = SozR 3-1500 § 66 Nr 1 S 6). Dieser Fehler kann aber nur ex nunc und nicht, wie bei den Verfahrens- und Formfehlern nach § 41 SGB X, ex tunc "geheilt" werden(zu § 41 SGB X s BSG Großer Senat Beschluss vom 6.10.1994 - BSGE 75, 159, 163 = SozR 3-1300 § 41 Nr 7 S 12). Zudem macht eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung den Verwaltungsakt - im Gegensatz zu den in § 41 SGB X genannten Verfahrens- und Formfehlern(Waschull in Lehr- und PraxisKomm SGB X, 2. Aufl 2007, § 41 RdNr 1) -nicht rechtswidrig, sondern führt zu den erweiterten Rechtsbehelfsfristen nach § 66 Abs 2 SGG(Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 36 RdNr 15; Waschull aaO, § 36 RdNr 9).

37

c) Dass Veranlassungsgesichtspunkte aus Billigkeitsgründen im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden gerichtlichen Kostenentscheidung nach § 193 SGG Berücksichtigung finden können(BSG Urteil vom 29.5.1996 - BSGE 78, 233, 243 = SozR 3-2500 § 109 Nr 1 S 11; BSG Urteil vom 16.6.1999 - SozR 3-3100 § 5 Nr 7 S 26; BSG Urteil vom 30.8.2001 - SozR 3-5050 § 22b Nr 1 S 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 193 RdNr 12b), kann allein eine Ausdehnung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X auf den Mangel einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung nicht begründen(vgl LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 3.8.2009 - L 10 AS 391/09 NZB - Juris RdNr 6). Wie bereits oben aufgezeigt, hatte schon der Regierungsentwurf zur Parallelvorschrift des § 80 Abs 1 VwVfG eine Berücksichtigung fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrungen abgelehnt, weil er eine zu kasuistische Regelung vermeiden wollte(BT-Drucks 7/910 S 92 ). Dass beide - im Wesentlichen übereinstimmenden - Vorschriften die Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten ausschließen, wird auch dadurch deutlich, dass einige VwVfG der Länder im Gegensatz zum VwVfG des Bundes und des SGB X ausdrückliche Bestimmungen über eine Kostenerstattung nach "billigem Ermessen" enthalten (vgl § 80 Abs 1 Satz 5 Saarländisches VwVfG, § 80 Abs 1 Satz 5 VwVfG für Baden-Württemberg, Art 80 Abs 1 Satz 5 Bayerisches VwVfG, § 80 Abs 1 Satz 5 Thüringer VwVfG, wonach bei einer Erledigung des Widerspruchs "auf andere Weise" eine Entscheidung über die Kostenerstattung nach "billigem Ermessen" unter Berücksichtigung des bisherigen Sachstandes zu erfolgen hat).

38

5. Schließlich kann der Kläger sein Begehren nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieses Rechtsinstitut gibt die begehrte Rechtsfolge nicht her.

39

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung (§ 14 SGB I) und Auskunft (§ 15 SGB I), verletzt hat. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (stRspr, Senatsurteile vom 11.3.2004 - BSGE 92, 241 RdNr 13 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 RdNr 19 mwN; vom 19.11.2009 - SozR 4-2600 § 236 Nr 1 RdNr 25 ). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist somit nicht auf die Gewährung von Schadensersatz im Sinne einer Kompensation in Geld, sondern auf Naturalrestitution gerichtet, dh auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen Position im Sinne desjenigen Zustands, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (stRspr, zB BSG Urteil vom 27.1.2000 - SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 44 mwN).

40

Der Sache nach macht der Kläger den Ersatz eines Schadens wegen eines Fehlverhaltens der Beklagten geltend, denn die "unnötige" Widerspruchseinlegung aufgrund der von der Beklagten im Bescheid vom 22.8.2007 erteilten unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung soll zu zusätzlichen Kosten geführt haben. Ein solcher Schadensersatzanspruch in Geld ist aber keine Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl ebenso LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 4.11.2008 - L 10 R 4433/08 - Juris RdNr 17; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 3.8.2009 - L 10 AS 391/09 NZB - Juris RdNr 7; aA ohne Diskussion dieses Gesichtspunkts LSG Baden-Württemberg Urteil vom 1.7.2003 - L 11 RJ 514/03 - RV 2004, 56, 57; SG Freiburg Urteil vom 17.12.2002 - S 9 RJ 1875/02 - ASR 2003, 123).

41

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Obwohl der Kläger im vorliegenden Verfahren mit seinem Begehren auf Kostenerstattung für seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.8.2007 nicht durchdringen konnte, rechtfertigt sich die Auferlegung von einem Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers auf die Beklagte daraus, dass sie durch ihre ebenso falsche wie irreführende Begründung in den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheiden Anlass zur Durchführung des Verfahrens gegeben hat.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Tenor

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

2. Der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Januar 2010 - L 10 B 1479/08 AS PKH - und der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Juni 2008 - S 27 AS 3484/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

3. Die Sache wird zur Entscheidung an das Sozialgericht Potsdam zurückverwiesen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren, wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Begründung versagt wurde, die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit liege im Bagatellbereich.

I.

2

1. Der alleinstehende, unter Betreuung stehende Beschwerdeführer bewohnt eine 28,94 qm große Wohnung zur Miete. Im fachgerichtlich streitgegenständlichen Zeitraum von November 2006 bis April 2007 hatte er für die Heizkosten eine monatliche Vorauszahlung in Höhe von 57 € an den Vermieter zu leisten. Der Grundsicherungsträger berücksichtigte hingegen lediglich monatliche Heizkosten in Höhe von 50 € (Bescheid vom 7. November 2006; Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2007). Aus den Faktoren "Jahresbedarf des jeweiligen Energieträgers (161,8 kWH)", "Brennstoffpreis (0,064 Euro)" und "tatsächliche Wohnungsgröße (28,94 qm)" errechne sich an sich insoweit sogar nur ein angemessener monatlicher Bedarf von 24,97 €. Aus Bestandsschutzgesichtspunkten sei für die Heizkosten allerdings ein monatlicher Betrag in Höhe von 50 € angesetzt worden.

3

2. Mit der beim Sozialgericht erhobenen Klage, über die noch nicht entschieden ist, begehrt der Beschwerdeführer unter Abänderung des Verwaltungsaktes vom 7. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 die Bewilligung von weiteren Leistungen für Unterkunft und Heizung für November 2006 bis April 2007 in Höhe von monatlich jeweils 7 €, mithin insgesamt 42 €.

4

a) Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 3. Juni 2008 ab. Dem Beschwerdeführer stehe keine Prozesskostenhilfe zu, da jemand, der aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Kosten für einen Prozess tragen müsste, angesichts des geringen Wertes der durchzusetzenden Ansprüche und bei offenem Ausgang dieses Verfahrens diesen gerichtskostenfreien Prozess mit anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht führen würde. Damit sei es nicht erforderlich, den unbemittelten Beschwerdeführer in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt ohne Beachtung des Verhältnisses des Wertes der durchzusetzenden Position zum Kostenrisiko beauftragen zu können.

5

b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2010, der am Folgetag zugestellt wurde, zurück. Ein Rechtsanwalt könne nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO nur beigeordnet werden, wenn und soweit Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts solle durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein Unbemittelter hinsichtlich der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend einem Bemittelten gleichgestellt werden. Die Gewährung der staatlichen Hilfe solle indessen nicht dazu führen, dass ein Unbemittelter Rechtsschutz in einer Form oder einem Umfang in Anspruch nehme, die der Bemittelte sich bei Abwägung von Kosten und Nutzen versagen müsste oder würde. Zu berücksichtigen sei daher auch, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. In Anlegung dieses Maßstabes sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt. Denn die wirtschaftliche Bedeutung des beim Sozialgericht anhängigen Rechtsstreits liege mit 42 € im Bagatellbereich. Ein Bemittelter würde bei Abwägung dieses Betrages mit dem Kostenrisiko - allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) betrage zwischen 40 und 460 € - von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen.

6

3. Der Beschwerdeführer stellte am 3. Februar 2010 beim Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Hierüber wurde mit Beschluss vom 24. August 2010 antragsgemäß entschieden. Diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 20. September 2010 zugestellt.

7

4. Mit seiner am 28. September 2010 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

8

Die angefochtenen Entscheidungen verletzten ihn in seinem Recht auf Rechtsschutzgleichheit. Das Landessozialgericht zitiere zwar eine in diesem Zusammenhang ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, verkenne jedoch deren wesentlichen Inhalt. Entgegen der Ansicht von Sozialgericht und Landessozialgericht sei das Gebot der "Waffengleichheit" im Sozialgerichtsverfahren nicht an einen vom erkennenden Gericht festzulegenden Mindestwert oder an eine vom objektivierten Kläger anzustellende Kosten-/Nutzenanalyse geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht habe hinsichtlich der Rechtsschutzgleichheit vielmehr darauf abgestellt, ob die Sach- und Rechtslage von solchem Schwierigkeitsgrad sei, dass ein bemittelter Rechtsuchender sich anwaltlicher Hilfe bediene. Vorliegend weise das Klageverfahren im Einzelnen einen solchen Grad der Schwierigkeit auf, dass auch ein Bemittelter einen Rechtsanwalt eingeschaltet hätte. Das Landessozialgericht habe sich ferner nicht mit den einfachgesetzlichen Regelungen von § 73a Abs. 1 SGG und § 114 ZPO auseinandergesetzt. Eine Anwendung oder Auslegung der Regelung des § 73a SGG, der die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei geringen Streitwerten nicht vorsehen würde, sei nicht erfolgt. Des Weiteren berücksichtige das Landessozialgericht nicht, dass er um existenzsichernde Leistungen streite. Auch habe das Landessozialgericht verkannt, dass es sich bei der Prozesskostenhilfe um Hilfe in besonderen Lebenslagen handele.

9

5. Die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

II.

10

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.

11

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die hierfür maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris).

12

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Wegen der erst nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG eingelegten Verfassungsbeschwerde wird dem Beschwerdeführer antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zur Vermeidung der Benachteiligung von Mittellosen ist einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entsprechen, wenn der mittellose Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes stellt und alle für die hierüber zu ergehende Entscheidung wesentlichen Angaben macht und die erforderlichen Unterlagen vorlegt. Wird dann über seinen Antrag erst nach Ablauf der Monatsfrist entschieden, hat der Beschwerdeführer die Fristüberschreitung wegen seiner finanziellen Bedürftigkeit nicht im Sinne von § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verschuldet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Februar 2000 - 2 BvR 106/00 -, NJW 2000, S. 3344; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2010 - 1 BvR 290/10, 1 BvR 291/10 -, juris). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Beschwerdeführer hat schließlich nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes binnen zwei Wochen die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und eine hinreichend begründete Verfassungsbeschwerde erhoben. Soweit er dieser nicht nochmals die bereits mit dem Prozesskostenhilfegesuch eingereichten Anlagen zum Verfahren beigefügt hat, ist dies unerheblich. Wurden diese, wie hier geschehen, zusammen mit jenem Antrag binnen der Monatsfrist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG vorgelegt, liegt schon keine Fristversäumung vor. Eine Rechtshandlung muss insoweit nicht nachgeholt werden.

13

3. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

14

a) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 -, NJW 2009, S. 209 <210>). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten.

15

b) Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts und dessen Befriedigung durch die Staatskasse von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

16

c) Den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit, dessen Auslegung und Anwendung in erster Linie den Fachgerichten obliegt, haben Sozialgericht und Landessozialgericht in einer Weise ausgelegt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht (vgl. BVerfGE 81, 347 <358> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.).

17

aa) Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfGE 63, 380 <394>). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 17).

18

bb) Diese Maßstäbe stellt das Landessozialgericht der Prüfung der Erforderlichkeit zwar voran, trägt ihnen jedoch nachfolgend nicht hinreichend Rechnung. Das Landessozialgericht wie auch das Sozialgericht reduzieren die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko. Beide lassen dabei außer Betracht, dass Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts vornehmlich ist, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>). Im Übrigen erscheint es keinesfalls fernliegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.

19

Die Ausführungen des Landessozialgerichts rechtfertigen auch nicht den Schluss, dass hinsichtlich Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien kein Ungleichgewicht besteht. Zwar ist nichts dafür ersichtlich, dass der unter Betreuung stehende Beschwerdeführer unter solchen Beeinträchtigungen leidet, die ihm eine Prozessführung zusätzlich erschweren. Zu berücksichtigen ist aber, dass dem Beschwerdeführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Relevanz haben.

20

d) Die angegriffenen Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts beruhen auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Sache zu einer anderen Entscheidung gelangt wären.

21

4. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar dargetan, dass der Wert des fachgerichtlichen Streitgegenstandes für ihn von existentieller Bedeutung ist.

22

5. Weiterhin steht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer auch im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

23

Zwar haben die beiden für das Grundsicherungsrecht zuständigen Senate des Bundessozialgerichts mittlerweile Grundsätze zur Angemessenheit der Höhe der Heizkosten herausgebildet (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R -, BSGE 104, 41 <43 ff.>; BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 70/08 R -, juris Rn. 18 f.). Danach sind jedoch Leistungen für Kosten, die im Zusammenhang mit der Heizung entstehen, grundsätzlich in Höhe der tatsächlich angefallenen Aufwendungen zu erbringen, so dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung selbst unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung weiterhin Aussicht auf Erfolg bietet.

24

6. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.


25

7. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

Tenor

1. Der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juni 2010 - L 5 AS 610/10 B PKH - und der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 - S 39 AS 21029/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren, wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Begründung versagt wurde, die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit liege im Bagatellbereich.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer, der seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II bezieht, wurde vom Grundsicherungsträger zwischen Januar 2006 und November 2008 zu insgesamt zehn Beratungsgesprächen eingeladen. Der Beschwerdeführer nahm diese Termine wahr und beantragte am 5. November 2008 die Erstattung der ihm deswegen durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 42 €. Der Grundsicherungsträger lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe die behaupteten Kosten nicht durch entsprechende Belege nachgewiesen (Bescheid vom 17. Dezember 2008; Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009).

3

2. Mit der beim Sozialgericht erhobenen Klage, über die noch nicht entschieden ist, begehrt der Beschwerdeführer sinngemäß unter Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 17. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2009 die Verurteilung des Grundsicherungsträgers, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über seinen Antrag vom 5. November 2008 zu entscheiden. Zur Begründung trägt er vor, die Busfahrkarten habe er nicht mehr. Ohnehin bestünden diese aus Thermopapier, auf dem Gedrucktes mit der Zeit unleserlich werde. Im Übrigen sei er auch nicht darauf hingewiesen worden, dass er diese aufbewahren müsse.

4

a) Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 4. März 2010 ab. In Anbetracht der Höhe der Klageforderung sei das Prozesskostenhilfegesuch auch unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers abzulehnen. Das Gericht habe im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten und der Mutwilligkeit bei einer Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch darauf abzustellen, ob ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation des Wertes der durchzusetzenden Klageforderung zum Kostenrisiko anwaltlichen Beistand in Anspruch genommen hätte (u.a. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2008 - L 10 B 184/08 AS PKH -, juris). Es sei nicht Sinn der Prozesskostenhilfebewilligung, den Unbemittelten in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt ohne Beachtung des Verhältnisses des Wertes der durchzusetzenden Klageforderung zum Kostenrisiko zu beauftragen. Der Unbemittelte müsse vielmehr nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwäge und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtige. Eine vernünftige wirtschaftliche Risikoabwägung sei vorliegend auch unter Berücksichtigung der eingeschränkten finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht mehr zu erkennen, da der Wert des Streitgegenstandes von 42 € lediglich einen Bruchteil der zu erwartenden Rechtsanwaltsgebühren für eine Instanz ausmache. Letztere könnten im konkreten Falle leicht das Zehnfache des Streitwertes betragen. Angesichts der vorliegend geltenden Gerichtskostenfreiheit (§ 183 Satz 1 SGG) und der Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) sei es auch verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der mittellose Beschwerdeführer den Rechtsstreit ohne wirtschaftliches Risiko anwaltlich vertreten führen dürfe, während ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation zwischen Streitwert und Kostenrisiko bei Beauftragung eines Rechtsanwalts vermutlich auf anwaltlichen Beistand verzichtet hätte. Die eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigten keine andere Betrachtung. Die Klageforderung entspreche für den geltend gemachten Zeitraum weniger als 0,5 % der dem Beschwerdeführer für diesen Zeitraum zustehenden Regelleistung nach § 20 SGB II.

5

b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2010 zurück. In Anlegung des Maßstabes, der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f., aufgestellt worden sei, sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Im Übrigen bedürfe es dieser Hilfe nicht. Denn das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei kostenfrei. Soweit der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden könne, habe der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung im Bagatellbereich. Zur Überzeugung des Gerichts würde ein Bemittelter bei vernunftgeleiteter Abwägung des Streitwertes der durchzusetzenden Rechtsposition von 42 € mit dem Kostenrisiko - allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) betrage zwischen 40 und 460 € - von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen. Keineswegs sei es Absicht der Regelungen zur Prozesskostenhilfe, einen Unbemittelten in den Stand zu versetzen, einen Rechtsanwalt unter Außerachtlassung naheliegender wirtschaftlicher Erwägungen zu beauftragen und damit gegenüber einem Bemittelten deutlich zu bevorzugen. Selbst angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei vorliegend eine angemessene Relation zwischen Streitwert und Kostenrisiko nicht erkennbar.

6

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 6. Juli 2010 rügt der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

7

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, entscheidend dafür, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, sei nicht das Verhältnis zwischen Aufwand und wirtschaftlichem Nutzen, sondern es komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf an, ob im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht bestehe. Dies sei vorliegend der Fall. Die Gerichte hätten nicht berücksichtigt, dass ihm rechtskundige und prozesserfahrene Behördenvertreter gegenüberstünden und ein vernünftiger Rechtsuchender daher regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten würde. Nicht beachtet worden sei zudem, dass eine große Zahl der das SGB II betreffenden Streitigkeiten einen Streitwert von weniger als 100 € betreffen würden. Gerade im Bereich der Absicherung des Existenzminimums werde damit die Garantie effektiven Rechtsschutzes unterlaufen und im Ergebnis Prozesskostenhilfe in Bagatellsachen grundsätzlich versagt. Der Betrag von 42 € stelle für ihn keinen Bagatellwert dar, sondern mache etwa 12 % der ihm monatlich zustehenden Regelleistung von derzeit 359 € aus. Auch ein Bemittelter würde bei einem Streitwert von 12 % seines monatlichen Nettoeinkommens anwaltlichen Beistand suchen. Neben dieser wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits sei ein Prozesserfolg für künftige Leistungsansprüche maßgeblich. Ob das Verhältnis von Aufwand und Prozessrisiko angemessen sei oder der Prozesserfolg so gering, dass er jedenfalls nicht mit anwaltlicher Hilfe erstritten würde, könne nicht allein anhand eines Bagatellgrenzwertes beurteilt werden. Zu dessen Festlegung würde es bereits keine aussagekräftigen Wertgrößen geben.

8

4. Die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.

10

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die hierfür maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris).

11

2. Soweit der Beschwerdeführer durch die angefochtenen Beschlüsse eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

12

3. Sie ist auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

13

a) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 -, NJW 2009, S. 209 <210>). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten.

14

b) Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts und dessen Befriedigung durch die Staatskasse von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

15

c) Den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit, dessen Auslegung und Anwendung in erster Linie den Fachgerichten obliegt, haben Sozialgericht und Landessozialgericht in einer Weise ausgelegt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht (vgl. BVerfGE 81, 347 <358> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.).

16

aa) Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfGE 63, 380 <394>). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1440/96 -, NJW 1997, S. 2103 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 f.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 17).

17

bb) Diese Maßstäbe stellen das Sozialgericht und das Landessozialgericht durch mittelbare und unmittelbare Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Themenkomplex ihren Beschlüssen zwar voran. Sie tragen ihnen jedoch nachfolgend nicht hinreichend Rechnung. Beide Gerichte reduzieren die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko. Beide lassen dabei außer Betracht, dass Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts vornehmlich ist, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>). Im Übrigen erscheint es keinesfalls fernliegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.

18

Die Ausführungen der Gerichte rechtfertigen auch nicht den Schluss, dass hinsichtlich Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien kein Ungleichgewicht besteht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem Beschwerdeführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Relevanz haben.

19

Der Hinweis des Sozialgerichts auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Rechtsanwalts geht über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus. Insbesondere kann der Anwalt verpflichtet sein, auch solche tatsächlichen Ermittlungen anzuregen und zu fördern, die für den Richter aufgrund des Beteiligtenvorbringens nicht veranlasst sind. Allein durch den Amtsermittlungsgrundsatz wird daher die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes nicht angeglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01 -, NZS 2002, S. 420; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2007 - 1 BvR 681/07 -, NJW-RR 2007, S. 1713 <1714>).

20

d) Die angegriffenen Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts beruhen auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Sache zu einer anderen Entscheidung gelangt wären.

21

4. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar dargetan, dass der Wert des fachgerichtlichen Streitgegenstandes für ihn von existentieller Bedeutung ist.

22

5. Weiterhin steht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer auch im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

23

Ob die angegriffenen Entscheidungen darüber hinaus den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, kann dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen führt.

24

6. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.


25

7. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufgehoben. Die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für September 2007 in Höhe von 20 Cent, die sich nach ihrem Vorbringen allein aus Rundungsdifferenzen ergeben.

2

Der Beklagte bewilligte der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 9.1.2008 ua für September 2007 Leistungen in Höhe von 624,80 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf für werdende Mütter in Höhe von 376,50 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 248,30 Euro). Mit ihrem Widerspruch machte sie (anwaltlich vertreten) die mangelnde Begründung des Bescheides und die unzutreffende Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (im Folgenden: alte Fassung) geltend. Im Hinblick auf die zuvor der Höhe nach unzutreffend abgesetzte Warmwasserpauschale bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2008 für September 2007 insgesamt 625,74 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf wie bisher, daneben Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 249,24 Euro). Die Nachzahlung von 94 Cent werde auf das Konto der Klägerin überwiesen. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.9.2008 zurück. Eine Auf- und Abrundung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung finde nicht statt. Insoweit seien gemäß § 22 Abs 1 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit sie angemessen seien.

3

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Nordhausen erhoben und dabei beantragt, ihr unter Änderung der genannten Bescheide "höhere Leistungen (Rundungsregelung)" zu bewilligen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 9.3.2009). Aus der Anwendung der Rundungsregelung ergebe sich ein weiterer Leistungsanspruch in Höhe von 20 Cent. Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten die Berufung zugelassen und diese sodann mit Urteil vom 23.6.2011 zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig. Allein ein geringer Streitwert lasse das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Im Übrigen habe der Beklagte keine derartigen Bedenken hinsichtlich des Berufungsverfahrens, ohne dass ein Differenzierungsgrund ersichtlich sei. Die Klage sei auch begründet, denn der Klägerin stünden für den Monat September 2007 nach § 41 Abs 2 SGB II aF um 26 Cent höhere Leistungen zu. Ihr Gesamtanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 625,74 Euro sei nach § 41 Abs 2 SGB II aF auf einen vollen Euro Betrag um 0,26 Euro auf 626 Euro aufzurunden. § 41 Abs 2 SGB II aF enthalte ein subjektiv-öffentliches Recht des Betroffenen auf Aufrundung und stelle keine Vorschrift dar, deren Beachtung im Belieben der Verwaltung stehe, was das LSG im Einzelnen ausgeführt hat. Der Beklagte habe auch die außergerichtlichen Kosten zu tragen. Eine abweichende Entscheidung aus Billigkeitsgesichtspunkten zu seinen Gunsten sei nicht geboten, da bereits seit mehreren Jahren in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (, Hinweis auf BSG Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R - juris RdNr 52; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 15) ausdrücklich auf die Vornahme der Rundung hingewiesen worden sei.

4

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, für die Klage auf einen Bagatellbetrag bestehe kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Der möglicherweise bestehende Anspruch stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Bereithaltung der Justiz. Zudem würde ein vernünftig und rational handelnder Beteiligter keinen Rechtsanwalt beauftragen und so zusätzlich ein Kostenrisiko eingehen. Die Urteile der Vorinstanzen verletzten zudem materielles Recht. § 41 Abs 2 SGB II aF vermittele kein subjektives öffentliches Recht, denn er diene nicht dem Schutz der Individualinteressen.

5

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Die Verurteilung zur Zahlung weiterer 20 Cent durch die Vorinstanzen verletzt den Beklagten in seinen Rechten, denn die Klage ist schon nicht zulässig.

9

1. Streitgegenstand der Revision ist - wie im Berufungsverfahren - lediglich noch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20 Cent für September 2007, die der Beklagte zuvor mit Bescheiden vom 9.1.2008 und vom 17.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.2008 abgelehnt hat. Die Klägerin hat sich nicht gegen das Urteil des SG gewandt, wonach sich lediglich ein Anspruch in dieser Höhe ergab. Der Beklagte ist nicht allein dadurch beschwert, dass das LSG in den Gründen davon ausgeht, es hätte sich bei zutreffender Berechnung über die Verurteilung durch das SG hinaus ein Anspruch von (weiteren) 6 Cent ergeben. Das LSG hat die Berufung des Beklagten (lediglich) zurückgewiesen und unter dem Gesichtspunkt der reformatio in peius nicht zur Zahlung von weiteren Leistungen verurteilt.

10

2. Die Revision des Beklagten ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Es fehlt - wie bereits bei Führung der Berufung - nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis für die Revision unabhängig davon, ob für die Klageerhebung durch die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis bestand. Das Rechtsschutzbedürfnis ist keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels, sondern ergibt sich im Allgemeinen ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht (vgl Bundesgerichtshof BGHZ 57, 224, 225 = NJW 1972, 112; im Ausgangspunkt ebenso BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein sachliches Bedürfnis in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die eigentliche Beschwer vorwiegend von der den Rechtsmittelkläger belastenden Kostenentscheidung ausgeht (vgl BGH aaO; ähnlich BVerfG 17.11.2009 - 1 BvR 1964/09 - NJW 2010, 1349 RdNr 9), selbst wenn das Rechtsmittel seinerseits nicht ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt sein darf (vgl § 144 Abs 4, § 165 SGG).

11

Zwar gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (hierzu etwa BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht erkennbar. Der Beklagte hat trotz der geänderten Rechtslage in § 41 Abs 2 SGB II ein Interesse an der abschließenden Klärung, ob die Inanspruchnahme der Gerichte allein wegen Beträgen, die sich aus der Anwendung der Rundungsregelungen ergeben, zulässig ist. Hierzu hat er bereits im Verfahren wegen der Zulassung der Revision vorgetragen, dass noch eine erhebliche Anzahl von Klagen anhängig sei, die nur wegen der Anwendbarkeit der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF geführt würden. Zum anderen ist auch im Hinblick auf § 41 Abs 2 SGB II in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; neue Fassung ) in der Literatur nicht unumstritten, ob die Dezimalstellenberechnung nach § 41 Abs 2 SGB II nF auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich Anwendung findet(bejahend Burkiczak in jurisPK-SGB II, § 41 RdNr 33; ablehnend Kapp in BeckOK-Sozialrecht, § 41 SGB II RdNr 9, Stand 1.9.2012) und wie insbesondere bei der Aufteilung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen der Bedarfsgemeinschaft zu verfahren ist (dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 41 RdNr 105). Der Wortlaut stellt schließlich nach in der Literatur vertretenen Auffassungen nicht abschließend klar, ob eine Berechnung iS des § 41 Abs 2 SGB II nF jeden Berechnungsschritt erfasst(vgl Hengelhaupt aaO, RdNr 106; Burkiczak aaO). Von daher kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass sich künftig Rechtsstreitigkeiten allein gestützt auf die Anwendung der Berechnungsregelungen nicht mehr ergeben werden.

12

3. Die allein unter Hinweis auf die (behauptete fehlerhafte) Anwendung der Rundungsregelungen erhobene Klage ist unzulässig. Der Klägerin steht zwar eine Klagebefugnis zu, denn sie behauptet, durch die teilweise Ablehnung einer höheren Leistung in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 SGG; dazu unter a). Es besteht gleichwohl kein (allgemeines) Rechtsschutzbedürfnis für einen Leistungsberechtigten, der mit seiner Klage ausschließlich die Verletzung der Rundungsregelung nach § 41 Abs 2 SGB II aF geltend macht(dazu unter b).

13

a) Weder die Klagebefugnis als Sachurteilsvoraussetzung, die die Prozessordnung an die schlüssige Behauptung der Klägerin knüpft, in eigenen Rechten verletzt zu sein, noch die Verletzung der Klägerin in ihren Rechten als Voraussetzung für den (möglichen) Erfolg der Klage in der Sache, lassen sich im Hinblick auf die nach § 41 Abs 2 SGB II aF zur Anwendung kommenden Rundungsregelungen von vornherein verneinen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich auch bei dem Teil des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II, der auf der Anwendung von Rundungsregelungen beruht, um ein subjektives Recht der Klägerin.

14

Eine Rechtsvorschrift verlautbart dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn sie nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater zu dienen bestimmt ist, und wenn sie diesen Begünstigten die Rechtsmacht verleiht, die Befolgung der öffentlich-rechtlichen Pflicht von dem Hoheitsträger rechtlich verlangen zu können. Begünstigungen, die diesen Kriterien nicht genügen, sind dagegen bloße Rechtsreflexe (vgl etwa BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 32 mwN).

15

Die sich aus der Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF ergebenden Vor- bzw Nachteile seitens des Leistungsberechtigten betreffen unmittelbar dessen durch das SGB II begründete Rechtsposition. Die Folgen der Rundung für den Einzelnen sind nicht bloßer (wirtschaftlicher) Reflex der Regelung. Der Fall der Abrundung macht deutlich, dass es sich um einen (wenn auch wirtschaftlich kaum fassbaren) Eingriff in eine Rechtsposition handelt. Mit seinem Vorbringen verkennt der Beklagte, dass die Frage, ob für eine Eingriffsnorm (hier die Abrundung) ein rechtfertigender Grund denkbar ist, nicht damit beantwortet werden kann, dieser Norm (wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs) einen subjektiven Charakter abzusprechen und allein auf das gesetzgeberische Ziel der Verwaltungsvereinfachung abzustellen. Zu prüfen ist gerade, ob der geringfügige Eingriff auch in existenzsichernde Leistungen sich durch das ihm gegenüberstehende gesetzgeberische Ziel rechtfertigen lässt, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dies hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits bejaht, worauf das LSG zutreffend hinweist (vgl etwa BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35).

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b) Die Klage ist aber unzulässig, weil es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein Klagebegehren, das aus Sicht der Klägerin denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF gestützt werden kann und mit dem folglich nur die in dieser Rundungsregelung zum Ausdruck kommende Beschwer (allenfalls 50 Cent pro Monat der Bewilligung von Leistungen) geltend gemacht wird, rechtfertigt für sich genommen die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes nicht.

17

Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl BVerfG vom 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 <58>). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl nur BVerfG vom 5.12.2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220, 232 mwN). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 16a, 19; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. Aufl 2011, Vorb § 40, RdNr 74 ff; dazu auch Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199, 212; Kapsa, Die Regel "Minima non curat praetor" im Lichte des Verfassungsrechts, in: Der verfaßte Rechtsstaat, Festgabe für Karin Großhof/Heidelberg 1998).

18

Die Höhe der geltend gemachten Forderung führt allerdings nicht schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses. Über die Frage, ob eine Forderung rechtlich anerkannt wird, hat grundsätzlich das materielle Recht, nicht das Prozessrecht zu entscheiden. Dessen Aufgabe ist es, die Verwirklichung aller materiellen Ansprüche in einem staatlichen Verfahren sicherzustellen, auch wenn sie geringfügig sind. Daraus, dass der Kläger auf Leistung an sich klagt und somit jedenfalls niemand anderes als der - vermeintliche - Inhaber des eingeklagten materiellen Anspruchs um Rechtsschutz nachsucht, ergibt sich auch das "objektive" Interesse der Rechtsordnung an der Inanspruchnahme des Gerichts. Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (vgl etwa Bundesverwaltungsgericht BVerwGE 81, 164, 165 f).

19

Dem entspricht auch die prozessuale Behandlung von Ansprüchen nach dem SGB II. Insbesondere die differenzierten Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (§§ 9, 11, 12 SGB II) gerade in Bedarfsgemeinschaften (vgl § 7 Abs 3, § 9 Abs 2 SGB II) machen es für den Leistungsberechtigten schwierig, schon bei Klageerhebung zu erkennen, welche Auswirkungen sich im Falle seines Obsiegens im Einzelnen auf seinen Leistungsanspruch ergeben. Von daher haben die für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate das Begehren gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach als zulässig angesehen (vgl allgemein zur Zulässigkeit eines Grundurteils BSG SozR 3-1500 § 141 Nr 8 S 11; zum Grundurteil im Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II nur Urteil des 7b. Senats vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 16). Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist allein, dass sich aus dem vom Kläger formulierten Klagebegehren, ein höherer (wenngleich nicht bezifferter) Anspruch auf Leistungen ergibt, ohne dass ein bestimmter Wert im Sinne einer allgemeinen "Erheblichkeitsschwelle" zu fordern wäre.

20

Die Funktionsfähigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf allerdings nicht durch Verfahren in Frage gestellt werden, in denen es bei Erhebung einer Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach dem Leistungsberechtigten nach dem SGB II isoliert um die Anwendung der Rundungsregelungen geht. Wie bereits dargelegt wird zwar (auch) insoweit die individuelle Rechtsposition des Leistungsberechtigten unmittelbar geregelt. Es verbleibt aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung entsprechende Regelungen erlässt. Das mit Klageerhebung hierauf beschränkte Begehren auf Leistungen im Centbereich lässt die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen, denn es geht der Klägerin erkennbar nicht um einen eigenen wirtschaftlich sinnvollen Vorteil. Dass der Gesetzgeber insoweit seinen Spielraum überschritten hätte, indem er mit 49 Cent (für den Fall der Abrundung) einen zu hohen Betrag als der Rundung zugänglich ansieht, ist nicht im Ansatz ersichtlich und ist auch von der Klägerin (die sich nicht gegen eine Abrundung wehrt) nicht behauptet worden. Das Gericht braucht auf eine solche, von vornherein unzulässige Klage hin nicht zu überprüfen, ob sich andere Sachverhalte und Regelungen finden lassen, die einen höheren Anspruch des Leistungsberechtigten stützen.

21

Demgegenüber tritt der Gedanke zurück, der Beklagte könne sich systematisch zur Kostenersparnis auf eine rechtswidrige Rundungspraxis zurückziehen. Der Beklagte unterliegt als Träger der Grundsicherung dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG). Im Privatrechtsverhältnis ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fehlende Durchsetzbarkeit von Kleinstbeträgen vor Gericht den Schuldner veranlassen könnte, bewusst kleine Abzüge zu machen und damit einen "Rabatt von Amts wegen" zu erhalten. Dieser Gesichtspunkt prägt die Diskussion um die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Erheblichkeit als Zulässigkeitsschranke aus dem Rechtsgedanken "de minimis non curat praetor" im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (befürwortend zuletzt Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199; dagegen die ganz herrschende Meinung, vgl etwa Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, Vor § 253 RdNr 18d mwN). Demgegenüber macht die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsstreit einen entscheidenden Unterschied aus. Es ist von Verfassungs wegen auszuschließen, dass der Beklagte sich um der daraus folgenden Einsparung willen bewusst gesetzeswidrig verhält. Andernfalls wäre - auch insoweit zur Aufrechterhaltung der Effizienz der Gerichtsbarkeit - ein Eingreifen der zuständigen Rechts- und Fachaufsicht geboten.

22

Es mag zweifelhaft sein, ob in der Zeit von Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 bis zur Änderung der Berechnungsvorschriften zum 1.4.2011 die bei Anwendung der Rundungsregelung offenkundig gewordenen Umsetzungsprobleme von Gesetzgebung und Verwaltung ausreichend berücksichtigt worden sind (zur Notwendigkeit der Änderung des § 41 Abs 2 aus Sicht des Gesetzgebers vgl BT-Drucks 17/3404 S 115). Zutreffend weist das LSG darauf hin, dass offenbar in erster Linie die softwarebedingten Vorgaben zu einer Vielzahl von fehlerhaften Rundungen - auch zu Lasten der Träger - geführt haben (dazu auch Schnitzler ZFSH/SGB 2011, 335; zur Problematik solcher softwarebedingten Vorgaben, die zur Begrenzung von sachlichen Entscheidungsspielräumen führen, bereits BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 180). Vor diesem Hintergrund ist § 41 Abs 2 SGB II in seiner neuen Fassung mit übergangsweise geltenden, abweichenden Maßgaben in Kraft getreten, die ausreichend Zeit für die technische Anpassung gewährleisten sollen(vgl § 77 Abs 14 SGB II und dazu BT-Drucks 17/3404 S 119). Dem Gesetzgeber war also offenbar nicht nur die unklare Gesetzeslage, sondern auch die Problematik der technischen Umsetzung entsprechender Berechnungsregelungen bekannt.

23

Dem einzelnen Leistungsberechtigten kommt aber nicht allein deshalb ein Rechtsschutzinteresse zu, weil strukturelle Fehler im Vollzug des Gesetzes erkennbar werden. Das macht der Ausschluss der Popularklage im SGG ebenso wie den anderen Verfahrensordnungen deutlich. Ein Einzelner kann eine Klage nicht nur führen, um sich zum Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen. Im Einzelfall muss ein darüber hinausgehendes allgemeines Rechtschutzinteresse hinzukommen um zu verhindern, dass gerade im hoch belasteten Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur aus Rechthaberei Prozesse geführt werden.

24

Schließlich bedeutet das vorliegende Ergebnis nicht, dass die entsprechenden Rechtsfragen durch Gerichte schlechterdings nicht geklärt werden könnten. In Rechtsstreitigkeiten, die zulässigerweise auf eine höhere Leistung gerichtet sind, ist auch der Anspruch auf Rundung zu beachten und hierüber zu entscheiden. Dementsprechend sind im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits eine Reihe von Entscheidungen des BSG ua auch zur Anwendung der Rundungsregelung ergangen (etwa BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 37; BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 23/06 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25; im Einzelnen zur Rechtsprechung Padé, SozSich 2009, 111).

25

Mit diesem Ergebnis sieht sich der Senat nicht in Widerspruch zu der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BVerfG zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ( zur Bewilligung von PKH in Angelegenheiten des SGB II insbesondere Beschlüsse vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039 und - 1 BvR 2493/10 - ZFSH/SGB 2011, 475 = NZS 2011, 775). Die dortigen Beschwerdeverfahren sind zur Klärung des Umfangs der in Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit ergangen und lassen keine Aussage dazu erkennen, ob und in welchen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis wegen eines Bagatellstreitwertes entfallen könnte. Im Übrigen liegt der mögliche Streitwert wegen der Anwendung von Rundungsregelungen erheblich unter den Werten, die in den dortigen Verfahren von den Landessozialgerichten als Bagatellwert angesehen worden sind (42 Euro). Dies gilt erst recht für denkbare Klagen gestützt auf die fehlerhafte Anwendung von § 41 Abs 2 SGB II nF.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.