Bundessozialgericht Urteil, 25. Mai 2018 - B 13 R 33/15 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:250518UB13R3315R0
bei uns veröffentlicht am25.05.2018

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit stehen die Rücknahme eines Verwaltungsakts über Zahlungsansprüche aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund einer später mit Wirkung für denselben Zeitraum bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung und eine daraus folgende Erstattungsforderung.

2

Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19.9.2011 eine (befristete) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.2.2011 bis 30.9.2013 iHv 394,29 Euro monatlich. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 23.1.2012 "anstelle" der bisherigen Rente für denselben Zeitraum eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv monatlich 788,58 Euro. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Nachzahlung iHv 10 212,79 Euro für die Zeit vom 1.2.2011 bis 29.2.2012 vorläufig nicht ausgezahlt, sondern erst bei Kenntnis der Höhe der Ansprüche anderer Stellen abgerechnet werde.

3

Nachdem sie der Krankenkasse der Klägerin und der Bundesanstalt für Arbeit das zeitgleich zur Rente gezahlte Kranken- bzw Arbeitslosengeld erstattet hatte, hob die Beklagte den Bescheid über die befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 19.9.2011 "hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.2.2011 bis 30.9.2013 nach § 48 SGB X" auf. Zugleich rechnete sie ihre Forderung aus der "Überzahlung" dieser Rente gegen den Anspruch auf Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf, soweit dieser nach Erfüllung der og Erstattungsansprüche verblieben war und forderte von der Klägerin eine Erstattung der überzahlten Leistung iHv noch 1305,56 Euro (Bescheid vom 21.5.2012). Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012).

4

Das SG Darmstadt hat den Bescheid der Beklagten vom 21.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2012 aufgehoben (Urteil vom 27.10.2014). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei durch Erteilung des Bescheids über die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht eingetreten, denn die Klägerin habe bereits von Anfang an - ab Februar 2011 - sowohl einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Eine Rücknahme des Zahlungsanspruchs komme nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X in Betracht; insoweit sei jedoch von einem schützenswerten Vertrauen der Klägerin in den Bestand des ursprünglichen Verwaltungsakts auszugehen (Urteil vom 14.7.2015).

5

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 45, 48 SGB X. Zwar habe die Klägerin ab 1.2.2011 Anspruch sowohl auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Jedoch werde nach § 89 SGB VI nur die höchste Rente "geleistet". Der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 über den Auszahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei somit für Zeiten ab Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtswidrig geworden. Diese Rechtswidrigkeit habe nicht von Anbeginn an bestanden; vielmehr sei erst durch die Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 23.1.2012 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Mit der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, auch wenn ihr das Mehr an Einkünften nur indirekt durch Befriedigung von Erstattungsansprüchen zugutegekommen sei.

6

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

10

Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das die angefochtenen Bescheide aufhebende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Beklagte war nicht berechtigt, den Bescheid vom 19.9.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1.2.2011 bis 29.2.2012 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs zurückzunehmen und Erstattung einer Überzahlung iHv 1305,56 Euro von der Klägerin zu verlangen. Sowohl der Aufhebungs-Verwaltungsakt im Bescheid vom 21.5.2012 (dazu unter 1.) als auch der Erstattungs-Verwaltungsakt sind rechtswidrig (dazu unter 2.).

11

1. Die Aufhebung des Rentenzahlungsanspruchs aus dem Bescheid vom 19.9.2011 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X, der von der Beklagten gewählten Rechtsgrundlage, nicht erfüllt sind(dazu unter a) und der Verwaltungsakt weder in eine Rücknahme nach § 45 Abs 1 SGB X(dazu unter b) noch in einen Widerruf (§§ 46, 47 SGB X) umgedeutet bzw durch Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw Nachschieben von (Rechts-)Gründen aufrechterhalten werden kann (dazu unter c). Allein auf § 89 SGB VI kann der Verwaltungsakt nicht gestützt werden(dazu unter d).

12

a) Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X(idF der Neubekanntmachung vom 18.1.2001, BGBl I 130), auf den die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung stützt, liegen nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (S 1); unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2).

13

Vorliegend fehlt es bereits an einer erst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 19.9.2011 eingetretenen wesentlichen Änderung. Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war, anders als die Beklagte annimmt, schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell rechtswidrig. Denn ein befristetes (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzel(zahlungs)ansprüche ab dem 1.2.2011 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 19.9.2011 erließ (zur Unterscheidung zwischen Renten-Stammrecht und -zahlungsanspruch vgl Senatsurteil vom 21.1.1993 - 13 RJ 19/91 - BSGE 72, 39 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 9; BSG Urteil vom 23.6.1994 - 4 RA 70/93 - SozR 3-2600 § 300 Nr 3; BSG Urteil vom 30.9.1997 - 4 RA 6/96 - SozR 3-2200 § 1304a Nr 3). Bereits damals stand "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass daneben keine durchsetzbaren Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehen konnten, sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (§ 89 Abs 1 S 1 SGB VI, damals idF durch Gesetz vom 21.7.2004, BGBl I 1791). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (zum Ganzen vgl BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 31 mwN). Eine Rücknahme anfänglich rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte - hier des Rentenbescheids vom 19.9.2011 - ist aber nicht auf Grundlage des § 48 SGB X möglich, sondern allein auf Grundlage des § 45 SGB X.

14

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des 5. Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2). Dieser lag eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) nach Erlass des später aufgehobenen Rentenverwaltungsakts zugrunde. Ihr ist kein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse(so bereits BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 32). Zu Unrecht nimmt die Beklagte an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 23.1.2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von den wirklichen Verhältnissen an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-1300 § 48 Nr 35 - Juris RdNr 15 mwN; BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 32).

15

Auch wenn darauf abgestellt würde, dass der Zahlungsanspruch mangels Selbstvollzug des Gesetzes einen den Rentenwert und den Beginn (der Rente wegen voller Erwerbsminderung) festsetzenden Verwaltungsakt erfordert, so ergibt sich daraus keine andere Bewertung. Denn auch insoweit kommt es nicht auf die Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts als den Zeitpunkt der äußeren Wirksamkeit an, sondern darauf, dass dessen inhaltliche Regelung - hier auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns am 1.2.2011 - zurückwirkt (innere Wirksamkeit).

16

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht im Wege der Umdeutung auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4). Die Befugnis zur Umdeutung steht auch den Gerichten zu; die Grundsätze des § 43 SGB X sind auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 14/14 R - BSGE 119, 57 = SozR 4-2500 § 34 Nr 17, RdNr 49 mwN; Leopold in jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 43 RdNr 63 mwN; aA Littmann in Hauck/Noftz, SGB, Oktober 2009, K § 43 SGB X RdNr 14 mwN).

17

Im konkreten Fall liegen die Voraussetzungen einer Umdeutung nach § 43 Abs 1 SGB X jedoch nicht vor. Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(dazu unter aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(dazu unter bb).

18

aa) Der streitige Verwaltungsakt kann nicht in eine Rücknahme für die Vergangenheit umgedeutet werden; die Voraussetzungen für den Erlass eines Ersatzverwaltungsakts nach § 45 SGB X liegen nicht vor. Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 19.9.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 21.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.2.2011 bis zum 30.9.2013 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO; vgl hierzu Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 SGB X RdNr 72 mwN) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 beruht auch nicht auf Angaben, welche die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

19

bb) Aber auch soweit der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X, wie sie die Beklagte ausweislich des Verfügungssatzes ihres (Gegen-)Verwaltungsakts vom 21.5.2012 getroffen hat, kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteil vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3; BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 37).

20

Eine Umdeutung ist hier auch nicht ausnahmsweise deshalb zulässig, weil auch eine Entscheidung gemäß § 45 Abs 1 SGB X "gebunden" wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Rücknahmeentscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 37; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Dies trifft hier nicht zu. Denn dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 19.9.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu Senatsurteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - UV-Recht Aktuell 2015, 725, 729 - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Lang/Waschull in Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl 2016, § 45 RdNr 61 mwN; Siewert/Lang in Fichte/Plagemann, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl 2016, § 4 RdNr 177 mwN), auszuschließen.

21

Die Möglichkeit zur Umdeutung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 21.5.2012 den Anforderungen des § 45 SGB X genügende Ermessenserwägungen angestellt hätte. Wenn die Beklagte darin ausführt, sie sehe sich nicht dazu in der Lage, "von der Aufhebung des bisherigen Bescheides für die Zukunft abzusehen, da in Fällen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen" sei, macht sie deutlich, dass sie (irrtümlich) davon ausging, eine gebundene Aufhebungsentscheidung treffen zu müssen und zu einer Ermessensausübung nicht befugt zu sein. Soweit sie weiter erklärt, die ihr "bekannten Umstände, die der Aufhebung des bisherigen Bescheides entgegenstehen könnten, … bei der Prüfung der genannten Voraussetzungen beachtet" zu haben, genügen diese pauschalen Ausführungen nicht den Anforderungen an eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I). Auch die Erklärung der Beklagten, sie sei davon ausgegangen, dass die Aufrechnung des Nachzahlungsanspruchs der Klägerin mit ihrem eigenen Rückzahlungsanspruch "in Ihrem Interesse" (dh dem der Klägerin) liege, stellt keine Ermessensausübung dar, sondern bezieht sich im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" und bewegt sich damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung (§ 76 Abs 2 SGB IV; vgl BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 38 mwN).

22

c) Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung in einen Widerruf des Bescheids vom 19.9.2011 (§§ 46, 47 SGB X) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen dafür sind nicht erfüllt.

23

Da die Voraussetzungen für den Erlass eines auf §§ 45, 46 oder 47 SGB X gestützten Ersatzverwaltungsakts - wie gezeigt - nicht vorliegen, lässt sich die Aufhebungsentscheidung auch nicht mittels Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw durch Nachschieben von (Rechts-)Gründen aufrechterhalten. Denn auch dies ist unter solchen Umständen ausgeschlossen (vgl hierzu allg BSG Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R - Juris RdNr 16 ff).

24

d) Entgegen der Auffassung der Beklagten war die sozialverwaltungsverfahrensrechtliche Aufhebung des Verwaltungsakts über die Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch nicht mit Rücksicht auf die Ruhensregelung des § 89 Abs 1 S 1 SGB VI entbehrlich. Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird gemäß § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies ist vorliegend die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Vorschrift lässt den Anspruch auf Rente dem Grunde nach unberührt (BSG Urteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 27; Jentsch in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7), sodass bei konkurrierenden Rentenansprüchen iS des § 89 Abs 1 S 1 SGB VI beide Rentenansprüche dem Grunde nach nebeneinander bestehen bleiben(BSG Urteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 27; Fichte in Hauck/Noftz, SGB, September 2011, K § 89 SGB VI RdNr 11). Damit trifft § 89 Abs 1 S 1 SGB VI aber ausschließlich eine materielle Regelung über den Zahlanspruch. Ist ein Rentenzahlanspruch - wie vorliegend - durch einen Bescheid festgestellt, so bedarf es zur Beseitigung dieses Zahlungsanspruchs, auch wenn er die niedrigere Rente betrifft, zwingend eines förmlichen Verwaltungsverfahrens. Eines solchen hat sich die Beklagte zwar bedient, es jedoch mit einem materiell rechtswidrigen Aufhebungsbescheid abgeschlossen.

25

2. Auch das Erstattungsverlangen der Beklagten im Bescheid vom 21.5.2012 ist materiell rechtswidrig. Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Jedoch ist der Verwaltungsakt im Bescheid vom 21.5.2012, mit dem die Beklagte den Bescheid vom 19.9.2011 hinsichtlich des Rentenzahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.2.2011 bis 30.9.2013 aufgehoben hat, rechtswidrig. Eine andere Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Erstattungsforderung kommt nicht in Betracht.

26

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.

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Bundessozialgericht Urteil, 25. Mai 2018 - B 13 R 33/15 R zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2016 - B 5 R 26/15 R

bei uns veröffentlicht am 07.04.2016

Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten

Bundessozialgericht Urteil, 13. Mai 2015 - B 6 KA 14/14 R

bei uns veröffentlicht am 13.05.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Januar 2014 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2010 in der

Bundessozialgericht Urteil, 20. Mai 2014 - B 10 EG 2/14 R

bei uns veröffentlicht am 20.05.2014

Tenor Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2013 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 07. Sept. 2010 - B 5 KN 4/08 R

bei uns veröffentlicht am 07.09.2010

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 2008 wird zurückgewiesen.
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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - L 19 R 626/16

bei uns veröffentlicht am 15.03.2017

Tenor I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.08.2015 wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. III. Die Revision wird zugelassen.

Referenzen

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit

1.
der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkennt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn

1.
die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
Der Verwaltungsakt darf mit Wirkung für die Vergangenheit nicht widerrufen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zum Widerruf des Verwaltungsaktes geführt haben. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Wird unmittelbar im Anschluss an eine auf Zeit geleistete Rente diese Rente unbefristet geleistet, verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(2a) Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, ohne dass zum Zeitpunkt der Bewilligung feststeht, wann die Leistung enden wird, kann bestimmt werden, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit mit Ablauf des Kalendermonats enden, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird.

(3) Große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Kindererziehung und Erziehungsrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(4) Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(5) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(6) Renten an Verschollene werden längstens bis zum Ende des Monats geleistet, in dem sie nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers als verstorben gelten; § 49 gilt entsprechend. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Rentenversicherungsträgers haben keine aufschiebende Wirkung. Kehren Verschollene zurück, lebt der Anspruch auf die Rente wieder auf; die für den Zeitraum des Wiederauflebens geleisteten Renten wegen Todes an Hinterbliebene sind auf die Nachzahlung anzurechnen.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

15

Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

17

A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

19

1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

20

2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

22

Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

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Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

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Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

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A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

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1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

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2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

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3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

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Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

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B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

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1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

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Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

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Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

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A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

19

1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

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2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

22

Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Januar 2014 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2011 wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Herstellerin des Medizinprodukts Jacutin® Pedicul Fluid, welches zur Behandlung des Kopflausbefalls eingesetzt wird und aus 100 Prozent reinem Dimeticon (Silikonöl) besteht. Sie wendet sich gegen dessen Herausnahme aus der "Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte" (Anlage V zum Abschnitt J <"Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten"> der Arzneimittel-Richtlinie ).

2

Auf Antrag der Klägerin beschloss der Beklagte - der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) - in seiner Sitzung vom 19.6.2008 (schriftlicher Bescheid vom selben Tag), das Medizinprodukt Jacutin® Pedicul Fluid als medizinisch notwendig im Sinne von § 31 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V in die (seinerzeitige) Anlage 12 der AM-RL aufzunehmen. Zusammen mit Jacutin® Pedicul Fluid nahm der Beklagte zwei weitere Medizinprodukte zur physikalischen Behandlung des Kopfhaares bei Kopflausbefall in die Anlage auf, nämlich EtoPril® sowie Nyda®.

3

Nach Anhörung der Klägerin nahm der Beklagte mit Beschluss und Bescheid vom 15.7.2010 den Bescheid vom 19.6.2008 zurück und verfügte, Jacutin® Pedicul Fluid sei aus der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte (nunmehr Anlage V der AM-RL) zu streichen. Der Bescheid vom 19.6.2008 sei rechtswidrig, weil bei seinem Erlass die Voraussetzungen für die Aufnahme von Jacutin® Pedicul Fluid in die Übersicht nicht vorgelegen hätten. Die Klägerin habe keine belastbaren, methodisch und statistisch einwandfreien und mit guter Berichtsqualität veröffentlichten Daten der Evidenzstufe I zum Nachweis eines therapeutischen Nutzens beim Einsatz von Jacutin® Pedicul Fluid bei der Behandlung des Kopflausbefalls vorgelegt.

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.9.2011 zurück. Er - der Beklagte - habe Jacutin® Pedicul Fluid zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung der Versicherten in den neuen Leistungskatalog aufgenommen und sei dabei auf Grundlage niedrigeren Evidenzniveaus zunächst vom Nachweis des therapeutischen Nutzens ausgegangen. Inzwischen sei eine wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten, da mit Beschlüssen vom 20.5.2010, 19.8.2010 und 21.7.2011 weitere Medizinprodukte zur physikalischen Behandlung des Kopfhaares bei Kopflausbefall in die Anlage V der AM-RL aufgenommen worden seien, nämlich Dimet®20, Paranix® ohne Nissenkamm und Mosquito® med LäuseShampoo. Im Vergleich zu dem Produkt der Klägerin sei der therapeutische Nutzen dieser weiteren Medizinprodukte weitaus besser belegt, nämlich auf der Basis jeweils mindestens einer methodisch adäquaten randomisierten und kontrollierten Studie. Dagegen liege für Jacutin® Pedicul Fluid keine Studie vergleichbar hohen Evidenzniveaus vor. Mit dem Beleg für den therapeutischen Nutzen der drei genannten Alternativpräparate sei eine wesentliche Voraussetzung für die Fortgeltung der Verordnungsfähigkeit von Jacutin® Pedicul Fluid nachträglich entfallen. Damit liege eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X vor.

5

Auf die Klage hat das nach § 29 Abs 4 Nr 3 SGG erstinstanzlich zuständige LSG den Bescheid des Beklagten vom 15.7.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.9.2011 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, denn bei der Entscheidung des Beklagten, Jacutin® Pedicul Fluid aus der Anlage V der AM-RL zu streichen, handele es sich trotz des Zusammenhangs mit der Normsetzung um einen Verwaltungsakt (VA) im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. In der Sache sei die Aufhebung des Bescheides vom 19.6.2008 rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Aufhebung der bestandskräftigen Entscheidung, Jacutin® Pedicul Fluid in die Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte aufzunehmen, nicht vorlägen. Die Aufhebung des begünstigenden Bescheides müsse sich an den Regelungen der §§ 45 ff SGB X messen lassen. § 31 Abs 1 Satz 2 letzter Halbsatz SGB V ordne die entsprechende Geltung von § 34 Abs 6 SGB V an. Danach habe der Beklagte in der Rechtsform des VAs zu handeln, obwohl es sich bei der Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL nach § 91 Abs 6 SGB V zugleich um (untergesetzliche) Normgebung handele. Stelle die Aufnahme in die Übersicht einen VA dar, habe deren Aufhebung als actus contrarius die Regelungen der §§ 45 ff SGB X zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen der allein in Frage kommenden §§ 45, 48 SGB X seien jedoch nicht erfüllt.

6

In den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 19.6.2008 vorgelegen haben, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Für eine "Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen" reiche es nicht aus, dass sich inzwischen die Anschauungen oder Erkenntnisse gewandelt hätten. Die bloße Neubewertung des im Jahre 2008 vorliegenden Erkenntnismaterials zum medizinischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid ohne Änderung der objektiv bei Bescheiderlass bestehenden Sachlage erlaube keine Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides. Eine Aufhebung der Listung von Jacutin® Pedicul Fluid komme nur in Betracht, wenn der Beklagte über neue Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin nachweisen könne, dass das Medizinprodukt der Klägerin nicht den Voraussetzungen von § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit § 29 der AM-RL entspreche. Solche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe es jedoch nicht, sondern im Gegenteil konkrete Anhaltspunkte für den medizinischen Nutzen. Allgemein würden dimeticonhaltige Medizinprodukte als Alternative zu insektizidhaltigen Arzneimitteln angeführt, wie etwa vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Eine unmittelbare Empfehlung für die Anwendung von Jacutin® Pedicul Fluid gebe auch das "arznei-telegramm" in seinem Heft 8/12 ab. Die Aufhebung des Bescheides vom 19.6.2008 basiere damit lediglich auf einer im Rahmen von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht relevanten anderen (und strengeren) Beurteilung der seit 2008 unverändert gegebenen Sachlage. Der Beklagte halte das im Jahre 2008 von der Klägerin vorgelegte Studienmaterial nun nicht mehr für ausreichend, um den medizinischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid zu belegen, weil eine bestimmte Evidenz nicht erreicht sei. Der Beklagte habe damit seine Anschauung gewandelt und wolle den medizinischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid nachträglich originär völlig neu bewerten.

7

Die 2010/2011 erfolgte Aufnahme der drei Medizinprodukte Dimet®20, Paranix® ohne Nissenkamm und Mosquito® med LäuseShampoo in die Anlage V der AM-RL führe nicht zu einer "Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen" im Sinne von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, da mit der Zulassung dieser drei Medizinprodukte nichts über den medizinischen Nutzen des Konkurrenzpräparats der Klägerin gesagt sei. Entscheidende therapeutische Vorteile dieser drei Produkte gegenüber Jacutin® Pedicul Fluid - bzw relevante therapeutische Nachteile bei Jacutin® Pedicul Fluid - seien nach dem Inhalt der Akten auch nicht erkennbar. Dass die Aufnahme der drei genannten Präparate in die Übersicht auf Grundlage höherwertiger Evidenz erfolgt sei, sei für den Verbleib von Jacutin® Pedicul Fluid in der Anlage V rechtlich unerheblich. Denn die Evidenzlage in Bezug auf Konkurrenzprodukte begründe so lange keine maßgebliche "Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen" im Sinne von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, wie damit nicht zugleich - zum Beispiel durch eine vergleichende Studie - der fehlende medizinische Nutzen des bereits gelisteten Produkts erwiesen sei. Insgesamt unterliege der Beklagte damit einer Fehlwertung, wenn er meine, ein später in die Anlage V der AM-RL aufgenommenes Medizinprodukt sei allein dadurch "zweckmäßiger" im Sinne von § 29 Nr 4 der AM-RL, dass es über eine Evidenz höheren Grades verfüge als ein schon länger in der Anlage V gelistetes Produkt. Sofern der Beklagte Medizinprodukte liste, die nicht über optimale Evidenz verfügten, weil er die Versorgung der Versicherten sicherstellen wolle, sei er ohne Weiteres nach § 32 Abs 2 Nr 1 SGB X berechtigt, die Aufnahme eines Produkts in die Anlage V der AM-RL nach pflichtgemäßem Ermessen mit einer zeitlichen Befristung zu versehen, um die Zweckmäßigkeit des Präparats später im Lichte neuer Forschungsergebnisse erneut beurteilen zu können.

8

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das LSG messe zu Unrecht dem Vertrauensschutz der Klägerin ein höheres Gewicht bei als dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung. Die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL sei der untergesetzlichen Normsetzung zuzuordnen. Die Entscheidung darüber, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Medizinprodukte in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden, nehme damit unmittelbar an der Gewährleistungsfunktion teil, wie sie den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V allgemein beigemessen werde. Dem GBA stehe bei der Zweckmäßigkeitsbeurteilung durch Bewertung der wissenschaftlichen Datenlage ein nur der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegender Gestaltungsspielraum als Normgeber zu. Die Überprüfung von Festlegungen in den Richtlinien sei den Maßstäben zur Beobachtungs- und Kontrollpflicht bei untergesetzlichen Rechtsnormen unterworfen. Der GBA sei verpflichtet, den sich stets weiterentwickelnden "allgemein anerkannten Stand der Medizin" zu beobachten und wesentliche Änderungen in den Richtlinien zu berücksichtigen. Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit beschließe der GBA über die Konkretisierung des Leistungskatalogs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Bei der Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Medizinprodukte bestehe ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum; die Entscheidung müsse damit (nur) fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein.

9

Demgegenüber gebe es grundsätzlich keinen Vertrauenstatbestand innerhalb des Systems der GKV, dass Leistungen dauerhaft als erstattungsfähige Leistungen im Markt positioniert werden könnten. Das Anbieten von Leistungen stehe insoweit unter dem Vorbehalt einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit der in Rede stehenden Behandlungsmaßnahme; ein fortdauernder Vergleich zu Qualität und Wirtschaftlichkeit der Therapiealternativen sei dieser Betrachtung immanent. Der GBA sei aufgrund der Fortentwicklung des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse berechtigt, Behandlungsmaßnahmen, die die Schwelle einer im Vergleich zu Therapiealternativen gleichermaßen wissenschaftlichen Untermauerung des therapeutischen Nutzens nicht (mehr) erreichten, aus der Erstattungsfähigkeit auszuschließen. Den Herstellern sei es zumutbar, den Anforderungen an die Fortentwicklung des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse Rechnung zu tragen und die wissenschaftliche Untermauerung des therapeutischen Nutzens auf dem gleichen Niveau wie Konkurrenzprodukte zu halten. Dem hätten die Hersteller von Nyda® sowie von EtoPril® durch die nachfolgende Vorlage von Studien ausreichender Evidenz Rechnung getragen.

10

Das LSG beschränke seine Prüfung rechtsfehlerhaft auf die Frage des "medizinischen Nutzens" von Jacutin® Pedicul Fluid und verkenne damit die Bedeutung einer Zweckmäßigkeitsbeurteilung. Die Auswahl unter den - innerhalb des Korridors einer ausreichenden und notwendigen Versorgung liegenden - Leistungen nach feststehenden Kriterien sei letztlich Kern der Aufgabe des GBA und diene unmittelbar der Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V. Die verglichenen Medizinprodukte seien danach zu bewerten, welches den gesetzlichen Zielen näher komme. Die Tatsache einer nicht ausreichenden Datenlage rechtfertige die Annahme, dass das zu bewertende Medizinprodukt im Vergleich zu besser belegten Therapiealternativen therapierelevant unterlegen und damit unzweckmäßig sei. Eine schwächere Evidenz bedeute nämlich ein höheres Risiko, dass der erwartete Erfolg nicht eintrete und/oder Gefahren sich verwirklichten. Zu den Grundprinzipien der evidenzbasierten Medizin, an welche der GBA gemäß § 92 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V gebunden sei, gehöre die Maxime, auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz patientenrelevante Entscheidungen zu treffen.

11

Es liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor. Er - der GBA - habe eine Neubewertung nicht allein in Bezug auf den therapeutischen Nutzen, sondern entscheidungsleitend in Bezug auf die Zweckmäßigkeit von Jacutin® Pedicul Fluid im Vergleich zu weiteren, zwischenzeitlich auch erstattungsfähigen Kopflausmitteln vollzogen. Er habe, obwohl der Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid zweifelhaft gewesen sei, den seinerzeitigen Antrag auf Aufnahme dieses Produkts in Anbetracht der Tatsache positiv entschieden, dass keine anderen, zweckmäßigeren Therapieoptionen zur Behandlung des Kopflausbefalls zur Verfügung gestanden hätten. Die Versorgungssituation innerhalb der GKV habe sich durch die nachfolgende Aufnahme weiterer Medizinprodukte (Dimet®20, Paranix® ohne Nissenkamm, Mosquito® med Läuseshampoo) maßgeblich geändert. Diese weiteren Medizinprodukte seien - anders als Jacutin® Pedicul Fluid - durch belastbare, methodisch und statistisch einwandfreie und mit guter Berichtsqualität veröffentlichte Daten der Evidenzstufe I in ihrem therapeutischen Nutzen als besser belegt anzusehen.

12

Schließlich gehe das LSG fehlerhaft davon aus, dass zum medizinischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid konkrete Anhaltspunkte vorlägen. Die Gesundheitsinformationen des IQWiG würden nicht in Bewertungsverfahren wie nach § 139a Abs 5 SGB V entwickelt. Der Empfehlung des "arznei-telegramm(s)" sei keine wissenschaftliche Grundlage zu entnehmen. Die Entwesungsliste des Umweltbundesamtes (UBA) sei das Ergebnis von Laborexperimenten; diese Ergebnisse seien nicht mit denen randomisierter, kontrollierter klinischer Studien vergleichbar.

13

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.1.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

14

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

15

Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend. Der Beklagte wolle nicht mehr an seiner ursprünglichen Bewertung festhalten, obwohl sich nichts in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen geändert habe. Die zwischenzeitlich in die Übersicht aufgenommenen Konkurrenzprodukte seien lediglich auch positiv bewertet worden, wiesen hingegen keine Überlegenheit gegenüber Jacutin® Pedicul Fluid auf. Der Beklagte verkenne, dass ein Medizinprodukt immer dann in die Anlage V der AM-RL aufgenommen werde, wenn die Voraussetzungen des § 29 AM-RL bzw des Kapitel 4 § 39 VerfO des Beklagten erfüllt seien. Es gehe vorliegend nicht darum, "ob" ein Produkt aus der Übersicht gestrichen werden könne, sondern darum, dass ein Produkt nur dann gestrichen werden könne, wenn es nicht mehr medizinisch notwendig sei und damit die Voraussetzungen der §§ 45 ff SGB X erfüllt würden. Die Überlegenheit anderer Produkte sei vorliegend nicht belegt; der Umstand, dass lediglich die Art der Studien neueren Erfordernissen klinischer Evidenz entspreche, vermöge diesen Beleg nicht zu ersetzen. Es lägen keine Studien oder Erkenntnisse vor, nach denen der medizinische Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid heute anders zu bewerten wäre; insbesondere habe der Beklagte auch keine Erkenntnisse in Bezug auf andere Mittel vorweisen können, die einen besseren Nutzen belegten. Die Aufnahme anderer Produkte in die Übersicht bedeute nicht, dass nunmehr andere Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des § 29 Nr 4 AM-RL verfügbar seien. Nicht die Anlage V mache die Behandlungsmethoden verfügbar, sondern die Hersteller, indem sie ihre Produkte auf den Markt brächten.

16

Es treffe nicht zu, dass sich die "Zweckmäßigkeit" anderer Behandlungsmethoden daran orientiere, ob diese besser belegt seien. Belege in Form von Studien höherer Evidenzklassen könnten zwar einen Hinweis geben, doch sei die Studienlage nur einer von vielen Aspekten, die für die Zweckmäßigkeit einer Behandlung ausschlaggebend seien. Der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse, wie er durch die Behandlungsrealität definiert werde, sei das Hauptkriterium; er bestimme sich aber nicht anhand einer Studienlage, die in einem freiwilligen Antragsverfahren sichtbar werde. Der Beklagte verweise zu Unrecht darauf, dass Studien der Evidenzklasse I einen Rückschluss auf die Zweckmäßigkeit einer Behandlung mit Medizinprodukten zuließen. Der therapeutische Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid sei nach wie vor gegeben, und es sei aufgrund der besonders niedrigen Risiken auch zweckmäßiger als die verfügbaren Alternativen.

17

Der Beklagte verkenne, dass im Medizinproduktebereich die Leistungsfähigkeit und damit auch der Nutzen und die Zweckmäßigkeit eines Medizinprodukts auch auf dem Wege wissenschaftlich belegter Äquivalenz nachgewiesen werden könne. Die klinische Bewertung nach § 19 Medizinproduktegesetz (MPG) sei für jedes Medizinprodukt durchzuführen; diese bestehe in der kritischen Bewertung klinischer Daten im Sinne des § 3 Nr 25 MPG. Der Nachweis der medizinischen Leistungsfähigkeit im Sinne der klinischen Bewertung nach § 19 MPG belege, dass mit dem Produkt eine Krankheit behandelt oder geheilt werden könne; es könnten auch Erkenntnisse über äquivalente Produkte herangezogen werden, soweit sie mit wissenschaftlicher Begründung auf das jeweilige Produkt übertragbar seien. Hiermit sei zugleich die Zweckmäßigkeit des Produktes belegt: Wenn das Medizinprodukt seinen Zweck, Krankheiten zu heilen, erreichen könne, sei es auch zweckmäßig. Sie - die Klägerin - habe unter Zugrundelegung der klinischen Daten, die bei der Antragstellung für Jacutin® Pedicul Fluid eingereicht worden seien, das Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen. Der Nachweis der Leistungsfähigkeit und mithin des medizinischen Nutzens sei hiermit gegeben, ohne dass es Studien der Evidenzklasse I bedürfe. Derartige Studien erbrächten lediglich einen methodisch anderen Beleg der Zweckmäßigkeit. Ein höherer Evidenzgrad bedeute aber nicht, dass die geprüften Produkte auch zweckmäßiger seien. Dies könne allenfalls für Studien gelten, in denen konkrete Produktvergleiche mit dem in Frage stehenden Produkt angestellt würden (sog "Head-to-Head-Vergleich").

18

Die vom LSG gewürdigten Nachweise belegten den therapeutischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid. Das IQWiG äußere sich ohne Vorbehalt positiv zur Behandlung mit dimeticonhaltigen Medizinprodukten; die positiven Eigenschaften des Dimeticon kämen Jacutin® Pedicul Fluid "erst recht" zu, da es aus 100 % reinem Dimeticon bestehe. Das "arznei-telegramm" empfehle Jacutin® Pedicul Fluid explizit. Es beziehe sich dabei auf die Studie des UBA, dessen Untersuchungen mit Alltagsbedingungen vergleichbar gewesen seien. Jacutin® Pedicul Fluid basiere nicht auf einer pharmakologischen, sondern einer physikalischen Wirkung; dadurch sei der Effekt unabhängig von den individuellen Eigenschaften der Parasiten und der Pharmakokinetik zu bewerten. Die Forderung des Beklagten nach doppelblind-randomisierten Prüfungen unter den realistischen Bedingungen des Alltags sei nicht durchführbar. Im Übrigen erreichten solche Prüfungen auch keine höhere Aussagekraft. Schon die Durchführung von weiteren Besuchen der Eltern von Kindern mit Kopflausbefall bei dem Arzt allein mit dem Zweck, die Daten zur klinischen Prüfung zu vervollständigen, sei unrealistisch: Wenn die Läuse tot seien, seien die Eltern zufrieden und an weiterer Kooperation nicht mehr interessiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei, dass bei (anerkannten) Präparaten wie EtoPril® das Risiko der Entflammbarkeit bestehe. Jacutin® Pedicul Fluid habe im Vergleich zu allen anderen Läusemitteln mit Abstand die kürzeste Behandlungsdauer. Der Widerruf der Listung schaffe also für die Patienten keinen höheren Nutzen, aber ein deutlich erhöhtes Risiko.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das LSG hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten zu Unrecht aufgehoben.

20

A. Die Klägerin hat mit der (isolierten) Anfechtungsklage die richtige Klageart gewählt.

21

Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass in Verfahren, in denen es um die Aufnahme in die Übersicht der "Zugelassene(n) Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V (OTC-Liste)"(Anlage I zu den AM-RL) geht, der die Aufnahme in die Übersicht ablehnende Bescheid mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffen werden kann (BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 19 f - Buscopan; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 24 f - für SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und BSGE vorgesehen - Vertigoheel®): § 34 Abs 6 SGB V gibt dem pharmazeutischen Unternehmer das Recht auf eine Bescheidung seines Antrags(BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 19; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 24 für BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und BSGE vorgesehen - in Fällen ablehnender Entscheidungen). Dies gilt gemäß § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V entsprechend für Anträge auf Aufnahme eines Medizinprodukts in die Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte.

22

Während es allerdings in derartigen Verfahren eines - das Anfechtungsbegehren ergänzenden - Feststellungsantrags bedarf, weil das Begehren auf die Aufnahme eines Arzneimittels bzw Medizinprodukts in die jeweilige Übersicht und damit auf den Erlass einer untergesetzlichen Norm gerichtet ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 20; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 25 für BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), ist ein solcher weder erforderlich noch sonst geboten, wenn sich ein Unternehmer gegen die - in entsprechender Anwendung des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V ebenfalls zu verbescheidende(siehe hierzu noch unter B.2.a.) - Herausnahme des von ihm hergestellten oder vertriebenen Produkts aus der jeweiligen Übersicht wehrt. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats mit der Feststellungsklage nicht nur die Unwirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm, sondern auch deren fehlerhafte Auslegung oder Anwendung sowie ein Anspruch auf deren Änderung geltend gemacht werden; diese ist auch dann die richtige Klageart, wenn ein Kläger Änderungen von Richtlinien des GBA begehrt (BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 20; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 25 für BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und BSGE vorgesehen - jeweils unter Hinweis auf BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 24).

23

Vorliegend bedarf es jedoch keines (ergänzenden) Feststellungsantrags, weil Jacutin® Pedicul Fluid bereits in die Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte (Anlage V AM-RL) aufgenommen wurde und die Klägerin nur die Revision dieser Entscheidung verhindern will; damit geht es gerade nicht um die Durchsetzung einer Normänderung, sondern um deren Verhinderung: Denn obgleich die Herausnahme eines Medizinprodukts aus der Übersicht letztlich im Wege der Normänderung erfolgt und erst hierdurch Wirksamkeit erlangt, hat dieser Normänderung - in entsprechender Anwendung des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V - ein gegenüber dem betroffenen Unternehmer zu erlassender Bescheid voranzugehen, welcher die vorgesehene Normänderung "ankündigt"(siehe hierzu noch B.2.a.). Erst wenn dieser Bescheid Bestandskraft erlangt hat, liegen die Voraussetzungen für eine im Wege der Normänderung umzusetzende Streichung des Medizinprodukts aus der Übersicht vor (siehe hierzu B.2.b.bb.). Wird dieser Bescheid hingegen erfolgreich angegriffen, hat auch eine nachfolgende Normänderung zu unterbleiben, sodass das betreffende Arzneimittel bzw Medizinprodukt weiterhin in der Übersicht gelistet bleibt.

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B. Das LSG hat der Klage jedoch zu Unrecht stattgegeben, weil der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 15.7.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.9.2011, mit dem der Klägerin - im Ergebnis - mitgeteilt wurde, dass Jacutin® Pedicul Fluid aus der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte (Anlage V der AM-RL) zu streichen ist, rechtmäßig ist.

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1. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 31 Abs 1 Satz 2 iVm § 34 Abs 6 und § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V.

26

a. Nach § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV vom 15.12.2008, BGBl I 2426) hat der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V - also der AM-RL - festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr 1 oder Nr 2 MPG zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Bei Jacutin® Pedicul Fluid handelt es sich um ein Medizinprodukt in Sinne von § 3 MPG.

27

Die nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V gesetzlich nur eingeschränkte Öffnung des Leistungskatalogs der GKV für Medizinprodukte verstößt nach der Rechtsprechung des BSG nicht gegen Verfassungsrecht(BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21 RdNr 38-39 mwN; ebenso - zum gesetzlichen Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel - BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 22; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 30 für BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Sie beruht auf sachgerechten Gründen, ohne dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG zu widersprechen (BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21 RdNr 38-39 unter Hinweis auf BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 36 mwN). Die Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist; das SGB V hat vielmehr Medizinprodukte grundsätzlich aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen, sie also dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet (BSG aaO).

28

Die ihm durch § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V übertragene Aufgabe hat der Beklagte mit der Anlage V zum Abschnitt J der AM-RL ("Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte") umgesetzt. Die Befugnis des GBA, in seiner gesetzlich vorgegebenen Struktur (§ 91 SGB V) normsetzend tätig zu werden, ist in der Rechtsprechung des BSG hinreichend geklärt (vgl BSGE 105, 26 = SozR 4-2500 § 92 Nr 8, RdNr 33 unter Bezugnahme auf BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 58<6. Senat> und BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10<1. Senat>; zur Zulässigkeit der Regelung durch Richtlinien des GBA vgl auch BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 f mwN). Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den GBA beauftragt hat, in der Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden(siehe hierzu BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 26 - Medizinprodukte, Verfassungsbeschwerde anhängig unter 1 BvR 2056/12; BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 23 - OTC-Liste; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 31 für BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen - OTC-Liste). Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 115, 25, 46 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 28) ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der GKV auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Nichts anderes gilt für die Abgrenzung des Kreises der ausnahmsweise verordnungsfähigen Medizinprodukte durch die AM-RL.

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b. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ordnet § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V die entsprechende Geltung von § 34 Abs 6 SGB V an. Die Vorschrift sieht die Durchführung eines besonderen Verwaltungsverfahrens für die Aufnahme von Arzneimitteln in die "Zusammenstellung" nach § 34 Abs 1 Satz 2 und 4 SGB V vor. Dieses Verfahren wird durch einen entsprechenden Antrag des pharmazeutischen Unternehmers in Gang gesetzt (Satz 1 aaO) und endet mit der Bescheidung ausreichend begründeter Anträge (Satz 4 aaO); mit der Bescheidung ist der Antragsteller über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu belehren (aaO). Ergänzend bestimmt Satz 5 aaO, dass eine ablehnende Entscheidung eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten muss. Diese Vorgaben gelten mithin auch für die Aufnahme von Medizinprodukten in die gemäß § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V zu erstellende Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte.

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Die Einfügung des § 34 Abs 6 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) war Folge der Entscheidung des EuGH vom 26.10.2006 (C-317/05 = SozR 4-2500 § 34 Nr 5) zur Anwendbarkeit von Art 6 der "Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme" (Transparenz-RL). Nach dieser Entscheidung ist Art 6 Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-RL) 89/105, welcher Vorgaben für den Fall enthält, dass Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur "gedeckt" sind, wenn sie in eine Positivliste aufgenommen worden sind, auf das Verfahren zur Aufnahme von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in die AM-RL anwendbar (EuGH aaO RdNr 36 ff). § 34 Abs 6 SGB V setzt diese europarechtlichen Vorgaben um(vgl BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 24 = für SozR 4-2500 § 34 Nr 16 und BSGE - vorgesehen).

31

2. Entgegen der Auffassung des LSG ist es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Belang, ob dieser den Anforderungen der §§ 45, 48 SGB X genügt, denn die Herausnahme von Jacutin® Pedicul Fluid aus der Übersicht setzt nicht die Aufhebung des Bescheides vom 19.6.2008 voraus, mit dem der GBA dem Antrag der Klägerin, dieses Medizinprodukt in die Anlage V der AM-RL aufzunehmen, stattgegeben hatte. Zwar sind Entscheidungen über die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL - wie auch über deren Herausnahme aus der Übersicht - (auch) in der Form eines VAs zu treffen, sodass auf das Antragsverfahren die allgemeinen Vorschriften für Sozialverwaltungsverfahren Anwendung finden (a.). Jedoch erfordert die Herausnahme eines bereits gelisteten Medizinprodukts aus der Übersicht nicht die Aufhebung des Bescheides, mit dem seine Aufnahme in die Übersicht verfügt wurde (b.). Somit muss der GBA für die Streichung eines Medizinprodukts aus der Übersicht auch nicht belegen, dass sich die Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gegenüber dem Zeitpunkt der Aufnahme des Medizinprodukts in die Übersicht wesentlich geändert haben. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind entsprechend umzudeuten (c.).

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a. Wie bereits aus der Wendung "zu bescheiden" folgt, schreibt § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V eine Entscheidung durch VA vor(vgl schon BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 15 RdNr 26: "auf den Erlass eines VA gerichtet"; so auch Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl 2014, § 34 RdNr 20; Pflugmacher in Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2013, § 34 RdNr 16). Auch wenn § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V ausdrücklich nur die Bescheidung eines "Antrags" regelt(zu einer Entscheidung durch VA in dieser Konstellation siehe bereits BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 19 - Buscopan® sowie BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R - Vertigoheel®), gebieten Systematik und Zweck der Regelung die entsprechende Anwendung der Norm und damit eine Bescheidung auch in der Konstellation, dass der GBA ein bereits in die Übersicht aufgenommenes Medizinprodukt aus dieser entfernen will (vgl - zur Streichung eines Hilfsmittels aus dem Hilfsmittelverzeichnis durch VA - BSGE 113, 33 = SozR 4-2500 § 139 Nr 6, RdNr 9): Zum einen stellt sich die Streichung eines Medizinprodukts aus der Übersicht als actus contrarius zu dessen Aufnahme dar (vgl zB - zur Honorarrückforderung durch VA als Umkehrung der ursprünglichen Leistungsgewährung - BSGE 74, 44, 45/46 = SozR 3-1300 § 45 Nr 21 S 62). Zum anderen gelten die Vorgaben des Art 6 Transparenz-RL, die den deutschen Gesetzgeber zur Einfügung des § 34 Abs 6 SGB V bewogen haben(siehe BT-Drucks 16/4247 S 32 zu § 34 SGB V), nicht nur für solche Entscheidungen, die einen Antrag auf Aufnahme in die "Liste" ablehnen (Art 6 Nr 2 Transparenz-RL), sondern ausdrücklich auch für die Entscheidung, ein Erzeugnis aus der "Liste" zu streichen (Art 6 Nr 5 Transparenz-RL). Selbst wenn man also davon ausginge, dass sich aus § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V nur die Verpflichtung zum Abschluss des Antragsverfahrens durch VA ergäbe, wäre eine entsprechende - die Streichung aus der Übersicht betreffende - Verpflichtung jedenfalls unmittelbar aus Art 6 der Transparenz-RL herzuleiten(siehe hierzu BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 15 RdNr 24). Da der Gesetzgeber erkennbar den Vorgaben der Transparenz-RL umfassend Rechnung tragen wollte, ist jedoch davon auszugehen, dass § 34 Abs 6 SGB V auch auf die Herausnahme aus der Übersicht zumindest entsprechende Anwendung findet.

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Folge des durch § 34 Abs 6 SGB V vorgeschriebenen Verfahrens ist, dass grundsätzlich die Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrensrechts Geltung beanspruchen. Nicht nur der Begriff der "Bescheidung", sondern auch die ansonsten verwendeten Begriffe wie "Antrag" und "Antragsverfahren", "Rechtsmittelfristen-" und "-belehrung" sprechen dafür, dass es sich bei dem in § 34 Abs 6 SGB V geregelten Verfahren - jedenfalls im Grundsatz - um ein Verwaltungsverfahren im Sinne des SGB X handelt. Damit folgt das Verfahren nach § 34 Abs 6 SGB V, da es insofern nicht auf eine Normsetzung, sondern auf den Erlass eines VAs gerichtet ist, (grundsätzlich) den allgemeinen Regelungen des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensrechts(BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 15 RdNr 26; so auch Pflugmacher in Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2013, § 34 RdNr 16).

34

b. Ungeachtet dessen und entgegen der Auffassung des LSG ist die in dem streitgegenständlichen Bescheid nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V (entsprechend) getroffene Entscheidung des Beklagten, Jacutin® Pedicul Fluid aus der Übersicht zu streichen, nicht anhand der in den §§ 45, 48 SGB X normierten Maßstäbe zu überprüfen. Denn notwendiger, aber auch ausreichender Regelungsgegenstand des Bescheides vom 15.7.2010 (idF des Widerspruchsbescheides vom 15.9.2011) ist allein die (beabsichtigte) Herausnahme des Medizinprodukts aus der Übersicht, nicht aber (zugleich) die Aufhebung des Bescheides vom 19.6.2008, mit dem die Aufnahme von Jacutin® Pedicul Fluid in die Übersicht verfügt worden war. Einer Aufhebung dieses Bescheides bedarf es schon deswegen nicht, weil sich dieser erledigt hat und es damit keinen VA (mehr) gibt, der zurückgenommen bzw aufgehoben werden müsste.

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aa. Im Anwendungsbereich des § 34 Abs 6 SGB V besteht die Besonderheit, dass ein Normsetzungsverfahren durch den Antrag eines Normunterworfenen in Gang gesetzt wird und eine Bescheidungspflicht des Normgebers besteht(BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 15 RdNr 26): § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V bestimmt, dass der GBA die ausnahmsweise zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Medizinprodukte in der AM-RL festzulegen hat. Da die auf der Grundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien des GBA in der Rechtsprechung des BSG als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt sind(stRspr, vgl zB BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 28 mwN; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 32, 37; BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 9 RdNr 22), stellt die Aufnahme von Medizinprodukten in die Anlage V der AM-RL einen Akt der Normsetzung durch den GBA dar (siehe hierzu BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 25 f); nichts anderes gilt auch für den actus contrarius - die Streichung eines Medizinprodukts aus der Übersicht. Durch die Vorgabe des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V, den Antrag auf Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL (bzw dessen Herausnahme aus der Anlage) zu bescheiden, erfolgt eine Verzahnung von Normsetzung durch den GBA bei der Gestaltung der AM-RL mit dem Verwaltungsverfahren gegenüber dem Hersteller.

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Diese Verzahnung von Verwaltungsverfahren und Normsetzung erfordert es, die teils gegenläufigen Prinzipien beider Regelungsformen - insbesondere in Bezug auf den Rechtsschutz - zum Ausgleich zu bringen. Sicherzustellen ist dabei einerseits, dass der nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V zu erlassende Bescheid nicht dadurch zur "leeren Hülle" wird, dass der GBA unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit oder Bestandskraft zu Änderungen der AM-RL berechtigt wäre, andererseits, dass die Normsetzung nicht dadurch übermäßig beschränkt wird, dass eine Normänderung nur bei Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X möglich wäre. Dieses Spannungsverhältnis ist dahingehend aufzulösen, dass die Durchführung des Verwaltungsverfahrens gegenüber dem Unternehmer zwar - einerseits - für die Normsetzung vorgreiflich ist, sich aber - andererseits - auch in dieser Funktion erschöpft:

37

Ungeachtet des nach § 34 Abs 6 SGB V durchzuführenden Verwaltungsverfahrens ergibt sich die ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit eines Medizinprodukts zu Lasten der GKV nicht aus § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit einem entsprechenden positiven Bescheid des GBA, sondern erst durch einen Akt der Normsetzung, nämlich durch die Aufnahme des Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL(vgl auch Spiegel/Jäkel, GesR 2008, 627). Erst die Aufnahme in die Übersicht zeitigt die mit der Antragstellung angestrebten rechtlichen Wirkungen, nämlich die Berechtigung der Ärzte, dieses Medizinprodukt zu Lasten der GKV verordnen zu dürfen, und der Versicherten, dieses im Bedarfsfall beanspruchen zu können. Daher besteht der Regelungsgehalt des durch § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V vorgeschriebenen VAs allein in der Zusage des den Bescheid erlassenden Normgebers, dem Antrag des Unternehmers auf Aufnahme eines Medizinprodukts (bzw Arzneimittels) in die Übersicht in dem Sinne zu entsprechen, dass dieses Begehren durch eine entsprechende Änderung der AM-RL erfüllt wird. Für den Fall einer Streichung eines Medizinprodukts aus der Übersicht gilt im Grundsatz nichts anderes, nur dass hier der Bescheid die Selbstverpflichtung des Normgebers enthält, das Medizinprodukt aus der Übersicht herauszunehmen. In beiden Fällen ist die Bescheidung notwendige (rechtliche) Voraussetzung für die nachfolgende Normsetzung, erschöpft sich aber auch hierin. In dem Moment, in dem der Normgeber diese Zusage bzw Selbstverpflichtung durch entsprechende Normänderung erfüllt, ist der nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V zu erlassende VA umgesetzt und hat sich damit erledigt:

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Nach § 39 Abs 2 SGB X bleibt ein VA wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Von einer Erledigung "auf andere Weise" ist auszugehen, wenn der VA nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu entfalten oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BSG SozR 4-1200 § 51 Nr 1 RdNr 20 unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 25.9.2008 - 7 C 5/08 - Juris RdNr 13 = NVwZ 2009, 122; ebenso schon BVerwG Beschluss vom 17.11.1998 - 4 B 100/98 - Juris RdNr 9 mwN; Steinwedel in Kasseler Komm, 2015, § 39 SGB X, RdNr 24). VAe ohne Dauerwirkung erledigen sich bereits durch das Erschöpfen ihrer Rechtswirkungen (Steinwedel aaO).

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Um einen solchen VA ohne Dauerwirkung handelt es sich bei einem Bescheid nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V. VAe mit Dauerwirkung sind solche, deren Regelungswirkungen nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht über die punktuelle Gestaltung eines Rechtsverhältnisses hinausreichen (Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 64). Ein Bescheid, in dem einem Unternehmer zugesagt wird, das von ihm hergestellte Medizinprodukt in die Anlage V der AM-RL aufzunehmen, begründet jedoch selbst kein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis, wie dies bei einem VA mit Dauerwirkung der Fall wäre (zum VA mit Dauerwirkung vgl auch BSG SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 33 mwN - Sonographiegenehmigung). Vielmehr besteht der Regelungsgehalt des Bescheides allein darin, einen Anspruch auf Tätigwerden zu vermitteln, indem die einmalige Gestaltung der Rechtslage zugesagt wird. Wie bereits dargelegt, ergeben sich die vom Unternehmer mit der Antragstellung angestrebten Rechtswirkungen - die Verordnungsfähigkeit seines Medizinprodukts zu Lasten der GKV - allein aus dessen Aufnahme in die Anlage V der AM-RL, also aus einem Akt der Normsetzung. Mit der Normänderung hat der diese zusagende Bescheid seinen - dergestalt begrenzten - Regelungsgehalt erschöpft, somit seinen Zweck erfüllt und verliert damit seine Rechtswirkungen.

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Insofern ist der "Aufnahmebescheid" nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V in seinen rechtlichen Wirkungen anderen gestaltenden VAen im Recht des SGB V vergleichbar, insbesondere Bescheiden, mit denen die Errichtung einer Krankenkasse(vgl zB § 148 Abs 1 Satz 1 SGB V) oder ihre Fusion (vgl § 171a Abs 1 Satz 2 SGB V)genehmigt oder ihre Schließung verfügt wird (vgl § 153 Satz 1 SGB V). Die Entscheidung der Aufsichtsbehörde ergeht in Form eines gestaltenden VAs, welcher sich mit dem Eintritt seiner Wirkungen - dem als Körperschaft des öffentlichen Rechts ins-Leben-Treten der Krankenkasse bzw deren Schließung zu dem von der Aufsichtsbehörde bestimmten Zeitpunkt - erledigt hat (stRspr des BSG zu Errichtungsgenehmigungen: BSGE 59, 122, 127 = SozR 2200 § 253 Nr 2 S 6; BSGE 68, 54, 56 = SozR 3-2500 § 147 Nr 2 S 4; BSG SozR 3-2200 § 225a Nr 2 S 5; vgl auch BSGE 83, 118, 123 = SozR 3-2500 § 145 Nr 1 S 7; zu Schließungsverfügungen: BSGE 113, 107 = SozR 4-1500 § 54 Nr 32, RdNr 10; zu Fusionsgenehmigungen: BSG SozR 4-2500 § 171a Nr 1 RdNr 10). In diesen Fallgestaltungen gilt, dass dann, wenn der VA vollzogen ist, dieser nicht mehr durch eine die Genehmigung der Errichtung bzw Fusion oder die Schließungsverfügung aufhebende Entscheidung beseitigt werden kann; beseitigt werden können allein die Folgen (BSG aaO).

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Ähnlich stellt sich die Situation bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Übersicht dar. Die positive Bescheidung des Antrags gestaltet die Rechtslage zwar nicht unmittelbar, weil sich die begehrten rechtlichen Wirkungen erst aus der nachfolgenden Normänderung ergeben, doch hat sie jedenfalls mittelbar gestaltende Wirkung, denn sie verpflichtet den GBA, die Rechtslage der Verfügung im Bescheid entsprechend zu ändern. Tritt diese Gestaltungswirkung mit der Aufnahme des Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL ein, haben sich die Rechtswirkungen des Bescheides erschöpft; sein Zweck ist erreicht. Eine "Beseitigung der Folgen" kann nicht mehr durch Aufhebung des VAs, sondern nur über eine erneute Normänderung erreicht werden. Eines Aufrechterhaltens der Rechtswirkungen dieses VAs zum Schutze des Bescheidadressaten bedarf es - selbst wenn man davon ausginge, dass unter der Geltung des § 48 SGB X die "anderweitige Erledigung" als "absolute Ausnahme" zu verstehen ist(so Jährling-Rahnefeld, SGb 2006, 320, 325 f) - nicht, weil sich die vom Antragsteller begehrten (fortdauernden) Rechtswirkungen aus der Richtlinie selbst ergeben.

42

bb. Rechtliche Folge der Erledigung des die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Übersicht zusagenden VAs ist es, dass bei einer beabsichtigten Streichung des Medizinprodukts aus der Übersicht nicht zugleich auch der "Aufnahmebescheid" aufgehoben werden muss, sondern der nunmehr in entsprechender Anwendung des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V zu erlassende Bescheid lediglich die Verfügung zu enthalten hat, dass das Medizinprodukt aus der Übersicht herauszunehmen ist. Auf der Normebene hat der GBA dann die durch Bescheid vorgegebene Herausnahme des Medizinprodukts durch entsprechende Änderung der AM-RL umzusetzen.

43

Der gemäß § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V zu erlassende Bescheid über die Aufnahme eines von ihm hergestellten Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL verleiht dem Hersteller keinen anderen Status als ihn alle Hersteller oder Anbieter von Medizinprodukten, Arzneimitteln bzw Behandlungsmethoden haben, zu denen der GBA eine positive Empfehlung abgegeben oder Entscheidung getroffen hat und die deshalb in der vertragsärztlichen Versorgung zum Einsatz kommen dürfen. Derartige positive Feststellungen stehen unter dem - normativen - Vorbehalt, dass der GBA sie korrigieren muss, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben sind, sich also etwa durch nachfolgende Studien gezeigt hat, dass eine Methode im Sinne des § 135 Abs 1 SGB V unwirksam ist oder der Einsatz eines OTC-Präparates oder eines in die Übersicht aufgenommenen Medizinprodukts mehr Schaden als Nutzen stiftet bzw nicht mehr Therapiestandard im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V ist. Etwaiger Vertrauensschutz ergibt sich damit allein aus der Normsetzung.

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Damit läuft die Regelung, dass über die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Übersicht gemäß § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V durch Bescheid zu entscheiden ist, keineswegs leer. Insbesondere bleibt auch der Rechtsschutz des Unternehmers bei einer Herausnahme des von ihm hergestellten Medizinprodukts aus der Übersicht im Wege einer Änderung der AM-RL gewährleistet, weil der GBA auch hier die Vorgaben des § 34 Abs 6 SGB V sinngemäß beachten muss. Das Verwaltungsverfahren nach § 34 Abs 6 SGB V gegenüber dem Hersteller muss der Normänderung vorausgehen. Das bedeutet zum einen, dass der Unternehmer zunächst über die Absicht des GBA, das Medizinprodukt aus der Übersicht zu streichen, zu unterrichten ist, hierzu Stellung nehmen sowie ggf neue Studien vorlegen kann. Zum anderen wird die Wirksamkeit einer Richtlinienänderung durch vom Unternehmer gegen den Bescheid eingelegte Rechtsmittel hinausgeschoben und ggf verhindert.

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Das Inkrafttreten der Richtlinie (bzw ihrer Änderung) steht unter einem doppelten Vorbehalt: Zum einen sind die vom GBA beschlossenen Richtlinien gemäß § 94 Abs 1 Satz 1 SGB V dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorzulegen, welches sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden kann(Satz 2 aaO). Die Vorlagepflicht besteht für sämtliche Beschlüsse, mit denen Regelungen in Richtlinien einschließlich deren Anlagen getroffen oder geändert werden (Roters in Kasseler Komm, 2015, § 94 SGB V RdNr 2). Die Beanstandung ist als bindende Anordnung zu verstehen, die Richtlinie nicht in Kraft zu setzen (Roters aaO RdNr 3).

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Zum anderen ist der VA nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V der Normsetzung in dem Sinne vorgeschaltet, dass der GBA die AM-RL erst dann - rechtswirksam - ändern darf, wenn der gegenüber dem Unternehmer erlassene Bescheid über die Herausnahme bestandskräftig geworden ist. Mithin darf eine Veröffentlichung der Richtlinie im Bundesanzeiger (§ 94 Abs 2 Satz 1 SGB V), mit der sie ihre rechtliche Wirkung entfaltet (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70), erst nach Bestandkraft des VAs erfolgen. Nur so wird dem mit der Einfügung des § 34 Abs 6 SGB V letztlich verfolgten Ziel, den Rechtsschutz des betroffenen Unternehmers zu erhöhen, ausreichend Rechnung getragen.

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Deutlich wird dies - auch wenn die Anfechtungsmöglichkeit gleichermaßen bei Ablehnung eines Aufnahmeantrags besteht - gerade im Falle einer Herausnahme eines Medizinprodukts aus der Übersicht: Da das BSG in ständiger Rechtsprechung die Möglichkeit bejaht, im Wege der Feststellungsklage die Unwirksamkeit einer - bereits in Kraft getretenen - Richtlinie feststellen lassen zu können (vgl zB BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 24; BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 16 RdNr 25, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; zur Normenfeststellungsklage siehe auch BSG SozR 4-2500 § 135 Nr 2 RdNr 20 ff), besteht der Rechtsschutzgewinn durch § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V im Wesentlichen allein darin, das Wirksamwerden einer Richtlinienänderung hinauszuschieben bzw zu verhindern - mit der Folge, dass das Medizinprodukt jedenfalls bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens verordnungsfähig bleibt.

48

Da es für den Rechtsschutz des Unternehmers entscheidend darauf ankommt, das Inkrafttreten der Richtlinienänderung und damit deren Wirksamkeit zu verhindern, können der Erlass des Bescheides über die beabsichtigte Änderung der Übersicht und die entsprechende Beschlussfassung des GBA zeitgleich erfolgen; mit Zustellung des Bescheides läuft die Rechtsmittelfrist für den betroffenen Unternehmer, welcher den Bescheid anfechten kann, sowie - mit Vorlage des Beschlusses an das BMG - die Beanstandungsfrist nach § 94 Abs 1 Satz 2 SGB V. Die gegen einen nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V ergangenen Bescheid erhobene (Anfechtungs-)Klage hat nach § 86a Abs 1 SGG aufschiebende Wirkung, sofern nicht der GBA (oder das LSG) den Sofortvollzug anordnet. § 92 Abs 3 Satz 2 SGB V, der die aufschiebende Wirkung von Klagen "gegen die Zusammenstellung der Arzneimittel nach § 92 Abs 2 SGB V" ausschließt, findet keine Anwendung, weil die Übersicht nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V keine Preisvergleichsliste in diesem Sinne darstellt. Nach Bestandskraft dieses Bescheides - sowie vorbehaltlich einer Nichtbeanstandung durch das BMG - setzt der GBA die Änderung der AM-RL durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

49

c. Dass der angefochtene Bescheid der Beklagten hier nicht die dargestellte Selbstverpflichtung des Normgebers GBA zur Herausnahme von Jacutin® Pedicul Fluid aus der Übersicht zum Ausdruck bringt, sondern den Verfügungssatz enthält, dass der Bescheid vom 19.6.2008 nach § 45 SGB X zurückgenommen (so der Ausgangsbescheid) bzw nach § 48 SGB X aufgehoben wird (so der Widerspruchsbescheid), ist unschädlich, weil der Bescheid nach § 43 SGB X in einen auf der Grundlage des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V (analog) ergangenen umgedeutet werden kann. Die Grundsätze des § 43 SGB X sind auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar(vgl BSG SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 29 mwN). Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter VA in einen anderen VA umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies ist vorliegend der Fall: Sowohl die zunächst verfügte Rücknahme bzw Aufhebung des Bescheides über die Aufnahme von Jacutin® Pedicul Fluid in die Übersicht als auch ein in entsprechender Anwendung des § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V erlassener Bescheid über die (beabsichtigte) Herausnahme von Jacutin® Pedicul Fluid im Wege der Änderung der AM-RL sind auf das Ziel gerichtet, das Medizinprodukt aus der Übersicht der ausnahmsweise zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Medizinprodukte zu entfernen. Auch wäre der Beklagte nicht gehindert gewesen, seinen Bescheid von vornherein auf § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V zu stützen. Dessen Voraussetzungen liegen vor (siehe hierzu unter 3.).

50

3. Die Entscheidung des Beklagten, Jacutin® Pedicul Fluid aus der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte herauszunehmen, ist rechtmäßig.

51

a. Die dargestellten Wechselbeziehungen zwischen der Entscheidung durch VA und der Normsetzung sind auch bei den Maßstäben zu berücksichtigen, die an die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides anzulegen sind. Gefordert ist eine (inzidente) Überprüfung der Rechtmäßigkeit der mit dem Bescheiderlass intendierten, im Wege der Normänderung umzusetzenden Herausnahme von Jacutin® Pedicul Fluid aus der Anlage V der AM-RL, weil sich der GBA durch den Bescheid nach § 34 Abs 6 Satz 4 SGB V nur dann (und insoweit) selbst binden darf, wenn die Normänderung ihrerseits rechtmäßig ist. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen für eine Aufnahme des Medizinprodukts in die Übersicht nicht mehr erfüllt werden oder von vornherein nicht gegeben waren (vgl BSGE 113, 33 = SozR 4-2500 § 139 Nr 6, RdNr 16 - zur Streichung eines Hilfsmittels aus dem Hilfsmittelverzeichnis).

52

Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze für die Änderung von Normen, die sich belastend auf Leistungserbringer auswirken können; so müssen die gesetzlichen Vorgaben beachtet und das Gleichbehandlungsgebot berücksichtigt sein. Dass sich an der Bewertung des medizinischen Nutzens von Jacutin® Pedicul Fluid zwischen 2008 und 2010 nichts geändert hat, ist hingegen ohne Bedeutung. Die Auffassung der Klägerin, ein Medizinprodukt, das unter bestimmten Vorzeichen rechtmäßig in die Übersicht aufgenommen worden ist, müsse dort bleiben, solange nicht seine Wirkungslosigkeit belegt ist, ist mit dem auf eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Versorgung ausgerichteten System des SGB V nicht kompatibel.

53

Bei der Prüfung ist der für jeden Normgeber kennzeichnende Gestaltungsspielraum des GBA beim Erlass von Richtlinien zu respektieren (stRspr des BSG, vgl BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 68; BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 46). Daher beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle untergesetzlicher Normen regelmäßig darauf, ob die äußersten Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis durch den Normgeber eingehalten wurden (BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 46); dies ist der Fall, wenn sich die getroffene Regelung auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und die maßgeblichen Verfahrensvorschriften sowie die Grenzen des dem Normgeber ggf zukommenden Gestaltungsspielraums beachtet worden sind (BSG aaO unter Hinweis auf BSGE 100, 254 = SozR 4-2500 § 85 Nr 42, RdNr 17).

54

b. Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den Verbleib von Jacutin® Pedicul Fluid in der Übersicht, weil das Medizinprodukt nicht den Anforderungen entspricht, die für eine Aufnahme in die Übersicht zu erfüllen sind. Die hierfür aufgestellten und vom Beklagten beachteten Anforderungen unterliegen keinen rechtlichen Bedenken (aa.). Der Beklagte durfte auch die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Übersicht davon abhängig machen, dass keine andere, zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeit verfügbar ist (bb.). Schließlich durfte er bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit auch allein auf den Umstand abstellen, dass der medizinische Nutzen "konkurrierender" Medizinprodukte durch Studien höherer Evidenz belegt ist (cc.).

55

aa. Nach § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V hat der GBA (durch Aufnahme in die Übersicht) festzulegen, in welchen "medizinisch notwendigen Fällen" Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Der GBA hat den Begriff zum einen in § 29 AM-RL ("Medizinisch notwendige Fälle") und zum anderen in Kapitel 4 § 39 Abs 1 VerfO ("Bewertungskriterien") - gleichlautend - wie folgt konkretisiert: Danach ist ein Medizinprodukt medizinisch notwendig im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V, wenn

        

1.    

es entsprechend seiner Zweckbestimmung nach Art und Ausmaß der Zweckerzielung zur Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V und § 28 AM-RL geeignet ist,

        

2.    

eine diagnostische oder therapeutische Interventionsbedürftigkeit besteht,

        

3.    

der diagnostische oder therapeutische Nutzen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und

        

4.    

eine andere, zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeit nicht verfügbar ist.

56

Der GBA hat die genannten Kriterien für die Aufnahme in die Übersicht der ausnahmsweise verordnungsfähigen Medizinprodukte in der AM-RL unter Berücksichtigung des gesetzlich festgelegten Regel-Ausnahmeverhältnisses (§ 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V) formell und inhaltlich rechtmäßig festgelegt, wie der 1. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3.7.2012 (B 1 KR 23/11 R) bereits dem Grunde nach entschieden hat (BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 34). Die in Kapitel 4 Abschnitt 5 VerfO festgelegten Anforderungen an die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit des Medizinprodukts (Kapitel 4 § 38 VerfO), die Bewertungskriterien zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit (Kapitel 4 § 39 VerfO) sowie den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit (Kapitel 4 § 40 VerfO) harmonisierten durch die dort niedergelegten Erfordernisse der Verkehrsfähigkeit der Medizinprodukte, ihrer medizinischen Notwendigkeit nach Eignung, Interventionsbedürftigkeit, allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse des diagnostischen und therapeutischen Nutzens sowie fehlender Verfügbarkeit anderer, zweckmäßigerer Behandlungsmöglichkeiten sowie ferner deren Nachweis anhand von Studien höchstmöglicher Evidenz und ggf weiterer Literatur mit dem gesetzlichen Regelungskonzept (§§ 27, 31, 34 SGB V iVm § 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V). Gleiches gelte für die ergänzenden Konkretisierungen in §§ 27 ff AM-RL zum Umfang des Anspruchs unter näherer Berücksichtigung der Verordnungsausschlüsse nach §§ 31, 34 SGB V, zur zusätzlichen Bewertung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V im Falle der Anwendung einer ärztlichen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode sowie zur näheren Eingrenzung der arzneimittelähnlichen Medizinprodukte und der Notwendigkeit ihrer medizinischen Intervention unter Berücksichtigung von Spontanverläufen. Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat in Bezug auf § 29 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 VerfO nach eigener Prüfung an.

57

Es kann dahingestellt bleiben, ob die dort normierten Anforderungen unmittelbar aus dem Begriff der "medizinischen Notwendigkeit" im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V hergeleitet werden können, weil sich die Berechtigung des GBA, die Anforderungen an die "medizinisch notwendigen Fälle" zu konkretisieren, jedenfalls aus § 31 Abs 1 Satz 2 iVm § 92 Abs 1 SGB V ergibt. § 92 Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGB V bestimmt als allgemeinen Gegenstand dieser Richtlinien - und damit auch der AM-RL -, dass diese eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gewähren sollen; damit dienen sie insbesondere dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V. Ergänzend ermächtigt § 92 Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGB V den GBA, "dabei" die Erbringung oder Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einzuschränken oder auszuschließen, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind.

58

Zu berücksichtigen ist weiter, dass dem GBA auch bei der Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben ein Gestaltungsspielraum zusteht. Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom 14.5.2014 (BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14 RdNr 32, mwN)und 22.10.2014 (B 6 KA 34/13 R - Juris RdNr 39, mwN - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 34 Nr 16 vorgesehen)bezüglich der Aufnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels in die Anlage I der AM-RL (OTC-Liste) ausgeführt, dass zwar die Auslegung der gesetzlichen Vorgaben gerichtlich voll überprüfbar ist, ebenso die Entscheidung, ob der GBA die für seine Fragestellung maßgebliche Studienlage in der medizinischen und/oder pharmakologischen Wissenschaft vollständig berücksichtigt hat und wie sich der Stand dieser Wissenschaften insoweit zusammenfassen lässt. Bei der weitergehenden Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben, wie sie durch die Regelungen in § 29 AM-RL bzw in Kapitel 4 § 39 VerfO erfolgt ist, bzw der Bewertung des korrekt ermittelten Standes der medizinisch-pharmakologischen Wissenschaft besteht indes der für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsspielraum, den auch der GBA für sich in Anspruch nehmen kann(BSG aaO; siehe hierzu auch BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 9 RdNr 25; BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 33). Insoweit beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob die Bewertung nachvollziehbar ist und den gesetzlich vorgegebenen Maßstäben entspricht (BSG aaO, jeweils unter Hinweis auf BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr 9, RdNr 25 und BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 75). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ergeben sich keine rechtlichen Bedenken gegen die vom GBA aufgestellten Vorgaben.

59

bb. Insbesondere ist auch die Vorgabe nicht zu beanstanden, dass ein Medizinprodukt nur dann medizinisch notwendig im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V ist, wenn eine andere, zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeit nicht verfügbar ist(§ 29 Nr 4 AM-RL, Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 4 VerfO), also unter den - an sich als zweckmäßig beurteilten - Medizinprodukten eine verfeinerte Auswahl zu treffen ist.

60

(1) Die "Zweckmäßigkeit" ist ein Teilelement des in § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V normierten Wirtschaftlichkeitsgebots. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Eine nähere Konkretisierung des Begriffes enthalten weder Gesetz noch AM-RL oder VerfO. Nach der herrschenden Auffassung ist eine Leistung zweckmäßig, wenn diese auf eines der in den §§ 11 Abs 1, Abs 2 und 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele objektiv ausgerichtet ist und auch hinreichend wirksam ist, um diese Ziele zu erreichen(zB Wagner in Krauskopf, SGB V, 2015, § 12 RdNr 6; Engelhard in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 12 RdNr 52; Ulmer in Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2013, § 12 RdNr 12; Rixen, SGb 2013, 140, 142; siehe auch Greiner/Benedix, SGb 2013, 1, 3; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, 2000, § 12 RdNr 19; vgl schon BSGE 64, 255, 257 = SozR 2200 § 182 Nr 114 S 257). Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Leistung - als Teilelement des Begriffes der "Zweckmäßigkeit" - sind die allgemeinen Anforderungen des Leistungsrechts in die Betrachtung einzubeziehen (in diesem Sinne auch Noftz aaO RdNr 20; vgl auch Kruse in LPK-SGB V, 4. Aufl 2012, § 12 RdNr 7): § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V bestimmt, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben; nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die (ua) zur Behandlung von Krankheiten "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" ausreichend und zweckmäßig ist.

61

(2) Der GBA ist auch berechtigt, die Zweckmäßigkeit von Medizinprodukten einer vergleichenden Betrachtung zu unterwerfen und weniger zweckmäßige Medizinprodukte nicht in die Übersicht aufzunehmen bzw wieder aus dieser zu entfernen. Auch wenn § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V nicht zwingend verlangt, dass dann, wenn mehrere Methoden mit nachgewiesenem Wirkungszusammenhang zur Verfügung stehen, die anerkannteste bzw besterprobte zu erbringen ist, hat die Rechtsprechung des BSG ein solches Vorgehen des GBA namentlich in Bezug auf Medizinprodukte gebilligt(BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21 RdNr 36 f; zum Vergleich der Zweckmäßigkeit von Monopräparaten und Wirkstoffkombinationen vgl auch BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 40).

62

Zwar wird eine solche Vergleichsbetrachtung - anders als etwa in § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V für die Anerkennung neuer Behandlungsmethoden in Bezug auf die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - nicht ausdrücklich durch das Gesetz vorgegeben. Auch § 92 Abs 1 Satz 1 Teilsatz 4 SGB V, der den GBA dazu ermächtigt, die Verordnung von Arzneimitteln einzuschränken oder auszuschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist(siehe hierzu BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 40), ist jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar, da er sich auf Arzneimittel bezieht. Beide Regelungen lassen erkennen, dass eine Vergleichsbetrachtung dem Grunde nach bereits im Gesetz angelegt ist. In Bezug auf die Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten rechtfertigt sich eine vergleichende Betrachtung zudem bereits aus dem gesetzlich vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V hat der GBA festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Medizinprodukte "ausnahmsweise" in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis der Verordnungsfähigkeit rechtfertigt es, an die in Frage kommenden Medizinprodukte höhere Anforderungen zu stellen und für den Fall, dass mehrere "zweckmäßige" Produkte zur Verfügung stehen, unter diesen eine Auswahl zu treffen. Ein Medizinprodukt ist (in Anlehnung an die für Arzneimittel geltende Regelung in Kapitel 4 § 12 Abs 1 Satz 1 VerfO) dann als "zweckmäßiger" anzusehen, wenn die mit ihm vergleichbaren Medizinprodukte einen höheren therapierelevanten Nutzen haben.

63

cc. Der Beklagte durfte schließlich seine Entscheidung, dass zur Behandlung des Kopflausbefalls zweckmäßigere Medizinprodukte zur Verfügung stehen, auch darauf stützen, dass der medizinische Nutzen - und speziell die Zweckmäßigkeit - dieser "Konkurrenzprodukte" durch Studien höchstmöglicher Evidenz belegt ist, derjenige von Jacutin® Pedicul Fluid hingegen nicht. Die ausnahmsweise Zulassung der Verordnung von Medizinprodukten in der vertragsärztlichen Versorgung ist nur soweit geboten, wie für das jeweilige Medizinprodukt die höchste erreichbare Evidenz (vgl Kapitel 4 § 40 Abs 1 VerfO: "höchstmöglicher")in der jeweiligen Indikation belegt ist.

64

Das schließt allerdings nicht aus, dass ein Medizinprodukt, dessen medizinische Notwendigkeit nicht durch Studien der höchsten Evidenzstufe, sondern nur mit solchen niedriger Evidenz nachgewiesen ist, zunächst aufgenommen wird, wenn Behandlungsalternativen für die jeweilige Indikation (noch) nicht zur Verfügung stehen. Dass die VerfO diese Konstellation nicht ausdrücklich regelt, sondern in Kapitel 4 § 40 Abs 1 VerfO regelhaft die höchstmögliche Evidenz fordert, steht dem nicht entgegen. Insofern besteht eine unter Versorgungsgesichtspunkten ausfüllungsbedürftige Lücke, die dadurch zu schließen ist, dass in die VerfO eine entsprechende Ausnahmeregelung mit hineinzulesen ist. Ein unter diesen Bedingungen aufgenommenes Medizinprodukt kann genauso wieder aus der Übersicht herausgenommen werden, wenn therapeutisch gleichwertige besser evidenzgesicherte Medizinprodukte vorhanden sind oder für solche, die schon länger verfügbar sind, deren Wirksamkeit durch aktuelle Studien höherer Evidenz belegt wird.

65

(1) Gemäß Kapitel 4 § 40 VerfO ("Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit") ist die medizinische Notwendigkeit des Einsatzes eines Medizinprodukts nach den Kriterien des § 39 anhand von Studien höchstmöglicher Evidenz und ggf weiterer Literatur zu belegen(Abs 1 aaO). Auf der Basis systematischer Literaturrecherchen ist nachzuweisen, dass ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen des Medizinprodukts zur Behandlung der Erkrankung besteht (Abs 2 aaO). Diese Anforderungen gelten für sämtliche der in § 29 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 VerfO aufgeführten Kriterien, also auch für die (höhere) Zweckmäßigkeit eines Medizinprodukts. Bei der Klassifizierung der Evidenzstufen ist im Hinblick auf die "höchstmögliche Evidenz" auf Kapitel 4 § 7 Abs 4 VerfO zurückzugreifen(BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21 RdNr 37); dort sind die einzelnen Evidenzstufen näher erläutert. Danach bedarf es grundsätzlich eines Beleges durch Unterlagen der Evidenzstufe I (Ia: Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe Ib, Ib: Randomisierte klinische Studien).

66

(2) Diese vom GBA in Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben aufgestellten Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit sind auch als solche nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des BSG unterliegt die Verfahrensweise des GBA, generell den Beleg der medizinischen Notwendigkeit des Einsatzes eines Medizinprodukts anhand von Studien höchstmöglicher Evidenz und ggf weiterer Literatur zu fordern (Kapitel 4 § 40 Abs 1 VerfO) und die Aufnahme in die Anlage V AM-​RL abzulehnen, wenn die vorgelegten Belege niederer Evidenz im konkreten Bewertungsfall unter Beweisgesichtspunkten nicht als ausreichend erscheinen, keiner Beanstandung (so ausdrücklich BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21 RdNr 37 - Gepan instill; vgl auch BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 45 - Mindestmengen; BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 48 - Festbeträge; BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 45 - OTC-Liste). Die methodischen Anforderungen der evidenzbasierten Medizin im Leistungs- und Leistungserbringungsrecht sind ausgerichtet auf und gerechtfertigt durch die materiellen Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs 1 SGB V, das grundsätzlich eine Versorgung nur mit Leistungen zulässt, die - entsprechend dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V - nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten(BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 45); diese müssen sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben (BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 8 RdNr 23 mwN).

67

(3) Diese Evidenzanforderungen erfüllt Jacutin® Pedicul Fluid nicht, weil keine der hierzu vorliegenden Veröffentlichungen der Evidenzstufe I entspricht. Die verbleibenden Zweifel an einem durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerten Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen (vgl Kapitel 4 § 40 Abs 2 VerfO) von Jacutin® Pedicul Fluid lassen daher die Entscheidung des GBA nachvollziehbar erscheinen. Die Klägerin hat weder im Anhörungsverfahren gegenüber dem Beklagten noch nachfolgend geltend gemacht, dass es auch für Jacutin® Pedicul Fluid eine Studie mit höchster Evidenz gebe oder eine solche Studie kurz vor dem Abschluss stehe. Im Gegenteil hat sie vorgetragen, eine solche Studie sei nicht durchführbar. Das nach dem MPG durchzuführende Konformitätsbewertungsverfahren vermag den nach der AM-RL bzw der VerfO erforderlichen Nachweis des medizinischen Nutzens nicht zu ersetzen. Erst recht kann der Argumentation der Klägerin nicht gefolgt werden, dass das Behandlungsergebnis bzw der medizinische Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid so evident sei, dass ein Nachweis durch entsprechende Studien nicht erforderlich sei.

68

Es ist auch kein Ausnahmefall gegeben, in dem der Nutzennachweis auf der bestverfügbaren ("best available") Evidenz in der Klassifikation der evidenzbasierten Medizin, mithin auf niedrigeren Rangstufen geführt werden kann. Zwar trifft es nach der Rechtsprechung des BSG zu, dass bei Fehlen höherrangiger Studien auf andere aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden kann (BSGE 107, 287 = SozR 4-​2500 § 35 Nr 4, RdNr 62 mwN - Sortis; BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 37 - Gepan instill; vgl auch BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 48-49). Hierfür besteht vorliegend jedoch keine Veranlassung. Für andere, zur Behandlung des Kopflausbefalls in die Anlage V der AM-RL aufgenommene Medizinprodukte liegen Studien höchster Evidenz vor, sodass der Vortrag der Klägerin, derartige Studien seien nicht durchführbar, nicht überzeugt. Eine Verringerung der Evidenzanforderungen verbietet sich zumindest für den Bereich der Medizinprodukte schon allein deswegen, weil diese ohnehin nur "ausnahmsweise" in die Versorgung zu Lasten der GKV einbezogen werden; dies rechtfertigt strengere Anforderungen an den Nachweis des medizinischen Nutzens. Im Übrigen besteht jedenfalls im Rahmen der nach § 29 Nr 4 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 4 VerfO durchzuführenden Vergleichsbetrachtung keine Veranlassung, hinsichtlich des zur Überprüfung anstehenden Medizinprodukts auf Studien niedrigerer Evidenzstufe auszuweichen, wenn für andere Medizinprodukte, mit denen es verglichen wird und nach seiner Ausrichtung verglichen werden kann, Studien der höchsten Evidenzstufe vorliegen.

69

Der Senat verkennt nicht, dass es durchaus eine Reihe von Indizien gibt, die einen medizinischen Nutzen von Jacutin® Pedicul Fluid nahelegen. Hierzu gehört der Umstand, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in der "Bekanntmachung der geprüften und anerkannten Mittel und Verfahren zur Bekämpfung von tierischen Schädlingen nach § 18 Infektionsschutzgesetz" vom 20.6.2008 (Bundesgesundheitsbl 2008, 1220 ff) unter Teil A III. ("Mittel gegen Kopflausbefall") Jacutin® Pedicul Fluid (aaO S 1226) aufführt. Als Mittel der Wahl empfohlen wird Jacutin® Pedicul Fluid sowohl im "arznei-telegramm" als auch im - von den Herausgebern des "arznei-telegramm(s)" herausgegebenen "Arzneimittelkursbuch" (letztverfügbare Ausgabe 2010/11, S 2274 Stichwort Dimeticon, extern: "Mittel der Wahl. Dies gilt aber nur für das Präparat Jacutin® Pedicul Fluid."). Schließlich wird Jacutin® Pedicul Fluid in einer aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Ökotest" (Ausgabe Mai 2015 S 41 ff) als eines von zwei der 16 getesteten Mittel zur Behandlung des Kopflausbefalls mit "sehr gut" beurteilt.

70

Ungeachtet dessen hat es bei den vom GBA aufgestellten Anforderungen zu verbleiben, weil nur so eine einheitliche, identischen Maßstäben unterliegende Handhabung der Listung von Medizinprodukten in die Übersicht gewährleistet ist. Es ist daher Sache des Herstellers eines Medizinprodukts, die Studienlage im Blick zu behalten und den Beleg des medizinischen Nutzens des eigenen Medizinprodukts jeweils auf der höchsten verfügbaren Evidenzstufe zu halten. Dass dies umsetzbar und zumutbar ist, belegen die für Konkurrenzprodukte vorgelegten Studien.

71

dd. Ist der GBA somit nicht nur berechtigt, die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V der AM-RL abzulehnen, sofern andere - zweckmäßigere - Medizinprodukte verfügbar sind, sondern auch dazu, in Bezug auf die Zweckmäßigkeit nach dem Grad des Nachweises des medizinischen Nutzens der Medizinprodukte - speziell der Zweckmäßigkeit - zu differenzieren, besteht kein Anspruch darauf, dass Jacutin® Pedicul Fluid in dieser Übersicht gelistet ist, weil der GBA zeitgleich (Nyda® sowie EtoPril®) bzw nachfolgend (Dimet®20, Paranix® ohne Nissenkamm und Mosquito® med LäuseShampoo) andere Medizinprodukte zur Behandlung des Kopflausbefalls in die Übersicht aufgenommen hat, die der GBA als "zweckmäßiger" ansehen durfte, weil ihre Wirksamkeit durch Studien höchster Evidenz belegt ist. Eines direkten Vergleiches der Zweckmäßigkeit verschiedener Medizinprodukte im Sinne eines "head to head-Vergleiches" bedarf es nicht.

72

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass unter Zugrundelegung der für die Aufnahme und den Verbleib eines Medizinprodukts in die bzw in der Übersicht zu stellenden Evidenzanforderungen Jacutin® Pedicul Fluid nicht allein als "unzweckmäßigeres" Medizinprodukt im Sinne von § 29 Nr 4 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 4 VerfO anzusehen ist. Die Voraussetzung, dass keine "zweckmäßigeren" Medizinprodukte verfügbar sein dürfen, beinhaltet die Anforderung, dass das zu beurteilende Medizinprodukt seinerseits "zweckmäßig" sein muss, um überhaupt in den Vergleich einbezogen werden zu können. Da für Jacutin® Pedicul Fluid keinerlei Studien der höchsten Evidenzstufe vorliegen, ist auch dessen Zweckmäßigkeit nicht den Anforderungen entsprechend belegt. Nichts anderes gilt für seinen therapeutischen Nutzen (vgl § 29 Nr 3 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 3 VerfO), hinsichtlich dessen aufgrund der Studienlage nicht belegt ist, dass er dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dies folgt daraus, dass die Evidenzanforderungen für sämtliche in § 29 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 VerfO aufgeführte Kriterien gelten(siehe hierzu schon 3.b.cc <(1)>).

73

c. Schließlich ist der Beklagte nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, fortlaufend zu überprüfen, ob die in die Übersicht aufgenommenen Medizinprodukte weiterhin die in § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V iVm § 29 AM-RL sowie Kapitel 4 § 39 VerfO normierten Anforderungen an eine - ausnahmsweise - Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV erfüllen, und hierauf zu reagieren, sobald und soweit dies nicht mehr der Fall ist; einer "wesentlichen Änderung" im Sinne des § 48 Abs 1 SGB X bedarf es hierzu nicht.

74

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG obliegt dem GBA wie jedem Normgeber eine Beobachtungspflicht dahingehend, ob das von ihm verfolgte Ziel der Gewährleistung einer Krankenbehandlung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse weiterhin erreicht wird (BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 62 - Protonentherapie; siehe zB auch BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 74 - Festbeträge; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 71 - Festbeträge; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 8 RdNr 23, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen - Goldinlays). Eine solche Beobachtungspflicht ist auch in Kapitel 1 § 7 Abs 4 VerfO vorgegeben. Danach muss der GBA begründeten Hinweisen nachgehen, dass seine Entscheidungen nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen.

75

Auch unabhängig von derartigen Hinweisen ist der GBA nach dem Erlass einer Richtlinie zu der Prüfung verpflichtet, ob neuere wissenschaftliche Erkenntnisse diese Entscheidung noch rechtfertigen oder deren Änderung gebieten (BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 62; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 74; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 71; siehe auch BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 8 RdNr 23 mwN). Wird das Ziel der Gewährleistung einer Krankenbehandlung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse offenkundig nicht mehr erreicht, muss er nachbessern (BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 62 unter Hinweis ua auf BVerfGE 95, 267, 314 f und BVerfGE 111, 333, 360). Denn wesentlicher innerer Grund des gesetzlichen Regelungskonzepts, den GBA mit Normsetzungskompetenz auszustatten, ist es gerade, ihn die sich ständig ändernde Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der Medizin und der Pharmakologie beobachten zu lassen, damit er wesentliche Änderungen umgehend in den Richtlinien berücksichtigt (BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 74; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 71; siehe auch BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 26; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 14 RdNr 21). Klarzustellen ist, dass die Beobachtungspflicht des GBA nicht allein in Bezug auf solche Erkenntnisse Geltung beansprucht, die die Aufhebung einer negativen Entscheidung rechtfertigen könnten, sondern auch für solche Erkenntnisse gilt, die die Änderung einer positiven Entscheidung - wie etwa die Aufnahme in die Übersicht - erfordern oder zumindest rechtfertigen können.

76

Neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen gleichzustellen ist insbesondere die Konstellation, dass sich die tatsächlichen Grundlagen der vom GBA nach § 29 Nr 4 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 4 VerfO anzustellenden Vergleichsbetrachtung dadurch ändern, dass andere - zweckmäßigere - Medizinprodukte verfügbar werden. Mit dem Begriff "verfügbar" ist in diesem Zusammenhang nicht gemeint, dass zur Behandlung derselben Krankheit vorgesehene Medizinprodukte überhaupt am Markt erhältlich sind; vielmehr bezieht sich die "Verfügbarkeit" darauf, ob ein Medizinprodukt durch seine Aufnahme in die Übersicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig geworden ist. Dies ergibt sich zwingend daraus, dass nur solche Medizinprodukte in die Vergleichsbetrachtung einbezogen werden, die miteinander um die Anerkennung ihrer ausnahmsweisen Verordnungsfähigkeit konkurrieren; dies können nur solche sein, die entweder bereits gelistet sind oder deren Aufnahme zur Überprüfung ansteht. Im Übrigen folgt dies aus der Funktion der gemäß § 31 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V zu erstellenden Übersicht, die Medizinprodukte aufzuführen, die ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden.

77

Gerade die nach § 29 Nr 4 AM-RL bzw Kapitel 4 § 39 Abs 1 Nr 4 VerfO anzustellende Vergleichsbetrachtung erfordert einen - über die allgemeine Beobachtungspflicht des Normgebers hinausgehenden - Prozess permanenter Überprüfung. Eine vergleichende Betrachtung der Zweckmäßigkeit, die sich in einer einmaligen Gegenüberstellung verschiedener - zur Behandlung identischer Krankheitsbilder bestimmter und verfügbarer - Medizinprodukte erschöpfte, würde zum einen den erkennbaren Zweck des Vergleiches verfehlen, nur die Medizinprodukte zur ausnahmsweisen Verordnung zuzulassen, deren Zweckmäßigkeit höchsten Anforderungen entspricht, und zum anderen zu einer Ungleichbehandlung der Hersteller von Medizinprodukten führen, weil die Aussicht, die Aufnahme ihres Medizinprodukts in die Übersicht zu erreichen, wesentlich von der im Zeitpunkt der Entscheidung des GBA bestehenden Konkurrenzsituation mitbestimmt würde.

78

Angesichts der dargestellten Verpflichtung des GBA, die Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der Medizin und der Pharmakologie fortlaufend zu beobachten, kommt ein sich aus der Aufnahme in die Anlage V der AM-RL ergebender Vertrauensschutz nicht in Betracht. Die allgemeine Erwartung der Unveränderlichkeit der Rechtslage ist nicht Gegenstand des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes (vgl BVerfGE 105, 17, 40; 109, 133, 180 f; BVerfG Beschluss vom 15.5.2007 - 1 BvR 866/07 - Juris RdNr 20 = NZS 2008, 34; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 4 RdNr 23-24; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 10 RdNr 28).

79

d. Nach alledem ist die Entscheidung des GBA rechtlich nicht zu beanstanden, da die gesetzlichen Vorgaben für die Normänderung beachtet wurden, der Klägerin ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, zur beabsichtigten Normänderung Stellung zu nehmen und ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG nicht vorliegt, weil an alle Hersteller von Medizinprodukten zur Behandlung des Kopflausbefalls gleiche Anforderungen gestellt wurden.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 154 Abs 1 VwGO).

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

Die Restitutionsklage findet statt:

1.
wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2.
wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3.
wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4.
wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;
5.
wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6.
wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7.
wenn die Partei
a)
ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder
b)
eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
8.
wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 24 ist entsprechend anzuwenden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

15

Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

17

A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

19

1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

20

2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

22

Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des Elterngelds nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).

2

Die zuvor im deutschen Schuldienst als beamtete Lehrerin tätige Klägerin wurde vom August 2007 bis zum 31.7.2010 beurlaubt, um an der Deutschen Schule in Shanghai zu unterrichten. Dort bezog die Klägerin ein monatliches Gehalt in Höhe von 3637,46 Euro, das sie in China versteuerte. Das Beschäftigungsverhältnis an der deutschen Schule war zunächst unbefristet. Ab August 2010 lebte die Klägerin wieder in Deutschland und arbeitete auf einer Teilzeitstelle bei einem Monatsgehalt von ca 2320 Euro. Am 26.11.2010 kam ihre Tochter zur Welt.

3

Die Klägerin beantragte Elterngeld, worauf der beklagte Landkreis zwei unterschiedliche Bescheide erteilte, die er der Klägerin mit gleicher Post übersandte (Bescheide vom 5.1.2011). Der erste Bescheid setzte ihr Elterngeld - unter Anrechnung fortgezahlter Dienstbezüge - auf 232,26 Euro für den zweiten Lebensmonat und auf den Höchstbetrag von 1800 Euro für den dritten bis zwölften Lebensmonat fest, weil er das von der Klägerin in China bezogene und versteuerte Gehalt zugrunde legte. Der Bescheid wies allerdings darauf hin, wegen der zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Änderung des § 2 BEEG erhalte die Klägerin zeitgleich mit diesem ursprünglichen Bewilligungsbescheid einen Änderungsbescheid mit Wirkung ab dem dritten Lebensmonat des Kindes, der ihre ausländischen Einkünfte nicht mehr berücksichtige. Dieser der Ankündigung gemäß beigefügte weitere Bescheid hob den ursprünglichen Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB X sofort wieder auf. Er senkte das Elterngeld der Klägerin auf der Grundlage der Neufassung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 für den dritten bis zwölften Lebensmonat auf 499,78 Euro ab, weil er der Elterngeldbemessung nur noch die in Deutschland erzielten Einkünfte der Klägerin zugrunde legte.

4

Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011) erhob die Klägerin Klage zum SG Lüneburg. Während des Klageverfahrens hob der Beklagte die Elterngeldbewilligung vom 5.1.2011 mit Wirkung vom 26.7.2011 teilweise auf und senkte das Elterngeld für den neunten bis zwölften Monat auf den Mindestbetrag von 300 Euro ab, weil die Klägerin während dieser Zeit Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezogen habe. Der überzahlte Betrag von 199,78 Euro sei nach § 50 SGB X zu erstatten(Bescheid vom 12.8.2011).

5

Klage (Urteil des SG Lüneburg vom 12.1.2012) und Berufung (Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2013) der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, nach der eindeutigen, ab dem 1.1.2011 geltenden Gesetzeslage seien bei der Bemessung des Elterngelds lediglich im Inland versteuerte Einkünfte zugrunde zu legen. Die gesetzliche Neuregelung verstoße weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch sei sie - trotz einiger Ungereimtheiten - gleichheitswidrig.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter, Elterngeld auf der Grundlage ihres in China erzielten Einkommens zu erhalten. Nur wegen einer Vorschrift des deutschen Einkommensteuergesetzes steuerfreie Einkünfte seien beim Elterngeld nicht zu berücksichtigen. Die zum 1.1.2011 erfolgte Änderung durch das Haushaltsbegleitgesetz habe zudem echte Rückwirkung, die verfassungswidrig sei. Schließlich verstoße die Nichtberücksichtigung ihrer in China erzielten Einkünfte gegen den Gleichheitsgrundsatz.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2013 und des SG Lüneburg vom 12.1.2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 5.1.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und des Änderungsbescheids vom 12.8.2011 zu ändern und den Beklagten zur Neuberechnung des Elterngeldanspruchs für den Bezugszeitraum vom 26.1. bis 25.7.2011 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu verpflichten.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils, das er für zutreffend hält.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat für den streitbefangenen Zeitraum vom dritten bis zum achten Lebensmonat des Kindes keinen Anspruch auf höheres Elterngeld; die angefochtenen Bescheide verletzen sie auch nicht aus anderen Gründen in ihren Rechten.

11

Streitgegenstand ist der Änderungsbescheid des Beklagten vom 5.1.2011 (idF des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und des Änderungsbescheids vom 12.8.2011), mit dem der Beklagte seinen Bemessungsbescheid abgeändert hat, der ebenfalls vom 5.1.2011 datierte (1.). Zwar hat der Beklagte dabei den Änderungsbescheid vom 5.1.2011 zu Unrecht auf § 48 SGB X gestützt, weil der Ausgangsbescheid vom selben Datum von Anfang an rechtswidrig war. Denn der Beklagte hat in diesem Bescheid das Elterngeld der Klägerin zu Unrecht unter Berücksichtigung ihres in China erzielten und versteuerten Einkommens berechnet (2.). Der angefochtene Änderungsbescheid hat aber im Wege der Umdeutung als Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand und setzt das Elterngeld für den streitbefangenen Zeitraum in der zutreffenden Höhe fest(3.).

12

1. Anders als vom LSG angenommen hat der Beklagte unter dem 5.1.2011 aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers nicht nur eine, sondern zwei separate Regelungen getroffen, einen Bemessungs- und einen Änderungsbescheid. Dies ergibt sich schon aus der äußeren Form der beiden Bescheide vom 5.1.2011, die beide jeweils in einen längeren Verfügungsteil, eine Begründung und die anschließende Rechtsbehelfsbelehrung gegliedert sind. Zudem bezeichnet sich der ursprüngliche Bescheid ausdrücklich als "Bewilligungsbescheid" und kündigt den Erlass des nachfolgenden "Änderungsbescheids" an. Letzterer wiederum nimmt unmissverständlich Bezug auf die vorangegangene Bewilligung des Elterngelds, die er seinerseits aufhebt.

13

Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid ist der Klägerin auch nach § 37 SGB X wirksam bekannt gegeben worden. Der Beklagte hat ihn nach den Feststellungen des LSG mit derselben Post wie den darauf aufbauenden Änderungsbescheid übersandt, § 37 Abs 2 S 1 SGB X. § 130 Abs 1 S 2 BGB steht einer wirksamen Bekanntgabe nicht entgegen. Zwar kann nach dieser - auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten analog anwendbaren - Vorschrift (vgl Pattar in: jurisPK-SGB X, Stand 12/2012, § 37 SGB X RdNr 21 mwN) der gleichzeitige Zugang eines Widerrufs die wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts verhindern. Einen solchen Widerruf des Bewilligungsbescheids enthält der Änderungsbescheid des Beklagten indes nicht. Der Änderungsbescheid zielt nicht darauf ab, das Wirksamwerden des Bewilligungsbescheids von vornherein zu verhindern, wie es ein Widerruf im Sinne des § 130 Abs 1 S 2 BGB bezwecken würde. Vielmehr setzt er nach seinem beschriebenen Inhalt die Wirksamkeit des Bewilligungsbescheids umgekehrt gerade voraus, um diesem - wenn auch nur für eine logische Sekunde - wirksam gewordenen Bewilligungsbescheid anschließend mit einem weiteren, separaten Verwaltungsakt wieder die Rechtswirksamkeit zu nehmen. Der Beklagte konnte demnach den wirksam bekannt gegebenen Bewilligungsbescheid, wie er auch selber zutreffend angenommen hat, nur nach den Voraussetzungen der §§ 45 ff SGB X wieder beseitigen.

14

2. Bei dieser Aufhebung des Bewilligungsbescheids hat sich der Beklagte aber zu Unrecht auf die Vorschrift des § 48 SGB X gestützt, deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Danach hat sich der Beklagte zu Unrecht auf § 48 SGB X gestützt. Sein Ausgangsbescheid vom 5.1.2011 ist nicht erst rechtswidrig geworden, sondern war von Anfang an wegen der Wahl einer falschen Bemessungsgrundlage rechtswidrig. Der Beklagte hat darin zu Unrecht das in China erzielte und versteuerte Einkommen der Klägerin in die Bemessungsgrundlage des Elterngelds einbezogen.

15

a) Zwar hatte die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Elterngeld. Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllte sie im Anspruchszeitraum die Grundvoraussetzungen des § 1 Abs 1 BEEG, weil sie ihren Wohnsitz wieder in Deutschland hatte, mit ihrer Tochter in einem Haushalt lebte, diese selbst betreute und erzog und keine Erwerbstätigkeit ausübte.

16

b) Der Bemessungszeitraum für das Elterngeld umfasste nach § 2 Abs 1 S 1 BEEG die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt der Tochter der Klägerin im November 2010; der Bemessungszeitraum reichte danach von November 2009 bis Oktober 2010. Gesetzliche Verschiebungstatbestände für den Bemessungszeitraum nach § 2 Abs 7 S 5 bis 7 BEEG erfüllte die Klägerin nicht.

17

c) Bemessungsgrundlage für das Elterngeld bildeten nach § 2 Abs 1 S 2 BEEG in der für den streitbefangenen Zeitraum einschlägigen Fassung vom 1.1.2011 (Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom 9.12.2010, BGBl I 1885) nur im Inland versteuerte Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Deshalb durfte der Beklagte das von der Klägerin in China erzielte Entgelt, welches sie nach den Feststellungen des LSG auch nur dort versteuert hat, der Elterngeldberechnung nicht zugrunde legen.

18

aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Regelung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG nicht gegen die rechtsstaatlichen Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes(Art 20 Abs 3 GG iVm Art 2 Abs 1 GG). In Bezug auf die Klägerin fehlt es schon deshalb an jeder Rückwirkung, selbst in Form der tatbestandlichen Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), weil bereits nach der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG nur nach dem EStG in Deutschland zu versteuerndes Einkommen in die Elterngeldberechnung einzubeziehen war, obwohl diese Fassung noch nicht den klarstellenden Zusatz "im Inland zu versteuernden" enthielt. Nach § 2 Abs 1 S 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich gezahlt. Nach Satz 2 der Vorschrift in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger und nicht selbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG nach Maßgabe von § 2 Abs 7 bis 9 BEEG zu berücksichtigen. Wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tag (20.5.2014) in der Sache B 10 EG 9/13 R (RdNr 15) ausgeführt hat, auf das er im einzelnen Bezug nimmt, verweist die von § 2 Abs 1 S 2 BEEG verwendete Formulierung "Einkünfte … im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 Einkommensteuergesetz" seit jeher nicht ausschließlich auf die dort genannten Einkunftsarten, sondern umfassend auf die nach steuerrechtlichen Bestimmungen ermittelten Einkünfte(vgl BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 16 RdNr 15 mwN; vgl BT-Drucks 16/2785, S 37). Von einem fremden Hoheitsträger besteuerte, nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einnahmen hatten daher für die Elterngeldbemessung nach Wortlaut, Systematik und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift immer schon außer Betracht zu bleiben. Dies gilt auch für die von der Klägerin in China erzielten und versteuerten Einkünfte, die nach den Feststellungen des LSG gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Volksrepublik China (DBA China, vom 10.6.1985, BGBl II 1986, 447) nicht der deutschen Einkommensteuer unterlagen. Nach Art 15 Abs 1 iVm Abs 2 a des DBA China können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbstständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. In einem Vertragsstaat ansässig ist nach Art 4 Abs 1 DBA China eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort unter anderem aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihres ständigen Aufenthalts steuerpflichtig ist. Ist nach diesen Vorgaben eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie in dem Staat als ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen, Art 4 Abs 2 a DBA China). Nach den Feststellungen des LSG ist die Klägerin während ihrer Tätigkeit in China mit ihrem Ehemann und ihrer älteren Tochter nach China gezogen, wo sie daher im Sinne des DBA China über einen Wohnsitz verfügte und ständig gewohnt hat bzw wo zumindest der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen lag.

19

bb) Der dadurch bewirkte Ausschluss steuerfreier Einkünfte aus der Bemessungsgrundlage des Elterngelds aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens verstößt jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, sondern ist unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich des Sozialrechts (vgl im Einzelnen Urteil des Senats vom heutigen Tag - 20.5.2014 - in der Sache B 10 EG 9/13 R, RdNr 29) durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Die Umstände, die die Steuerfreiheit der Klägerin in Deutschland begründeten, rechtfertigen es gleichzeitig, ihre nicht in Deutschland versteuerten Einkünfte nicht beim Elterngeld zu berücksichtigen. Aufgrund der Umstände, die eine Besteuerung durch einen fremden Hoheitsträger auslösten, lebte die Klägerin mit ihrer Familie zugleich dauerhaft in einer Wirtschafts- und Sozialordnung, die wesentlich anders als diejenige in Deutschland ausgestaltet ist. Da die Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes zum Bezug von Elterngeld nach Deutschland zurückgekehrt ist, erscheint es jedenfalls nicht willkürlich, wenn das BEEG nicht ihren grundsätzlich anders gearteten und geprägten Lebensstandard im Ausland unter den Rahmenbedingungen des deutschen Sozialrechts im Inland ausgleicht.

20

Das BEEG unterscheidet beim Ausfall von Erwerbseinkommen auch in anderen Zusammenhängen in wertender Betrachtung danach, ob gerade dieses spezifische Ausfallrisiko nach Sinn und Zweck des Elterngelds durch eine Elterngeldzahlung ausgeglichen werden soll. Mit dem Elterngeld stellt der Staat eine einkommensorientierte Zuwendung in Aussicht, mit der diejenigen individuellen Einbußen an Erwerbseinkommen ganz oder teilweise kompensiert werden sollen, die einem sachlichen Zusammenhang mit dem zum Ausgleich berechtigenden Ereignis - der Geburt des Kindes - stehen. Realisiert sich in der Zeit vor der Geburt des Kindes bereits ein anderes Erwerbsrisiko, wie etwa Krankheit, Streik oder Insolvenz, so sind die damit einhergehenden Einkommensausfälle grundsätzlich nicht vom Sinn und Zweck der Zuwendung umfasst (BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 8 RdNr 64 mwN). Der Wechsel von einer außereuropäischen Wirtschaft- und Sozialordnung zurück nach Deutschland und die damit verbundenen wesentlichen Veränderungen der familiären Lebenssituation (vgl BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 18 RdNr 71), in der das Einkommen vor der Geburt erzielt wurde, liegen außerhalb des Schutzbereichs und des Förderungszwecks des Elterngelds. Das Elterngeld dient nicht dazu, eine unter den ganz anders gearteten Bedingungen im außereuropäischen Ausland erarbeitete familiäre Lebenssituation nach der Rückkehr nach Deutschland aufrechtzuerhalten. Insoweit trägt der Elterngeldbezieher grundsätzlich selber das Risiko, seinen durch den dauerhaften beruflichen Aufenthalt im Ausland begründeten, in der Regel höheren und durch seinen Arbeitgeber besser abgesicherten Lebensstandard in Deutschland eventuell auch durch rechtzeitige finanzielle Vorsorge aufrechtzuerhalten, wenn er seine Erwerbstätigkeit außerhalb von Deutschland zugunsten der Kindererziehung unterbricht oder beendet und nach Deutschland zurückkehrt.

21

Wie sich zudem bereits aus der Kollisionsregel des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG ergibt, hat nur Anspruch auf Elterngeld, wer seinen Wohnsitz oder jedenfalls einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Gewährung von Elterngeld zielt also darauf ab, die Änderung der Lebenssituation infolge der Elternschaft unter den spezifischen wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland auszugleichen. Das Elterngeldrecht enthält dagegen keine Äquivalenzregel, die während des Bemessungszeitraums im Ausland erzielte und versteuerte mit inländischen Einkünften gleichsetzt.

22

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es das BVerfG als legitimes Ziel anerkannt hat, Erziehungs- und Elterngeld nur solchen ausländischen Eltern zu gewähren, die voraussichtlich dauerhaft in Deutschland bleiben, soweit der Gesetzgeber mit diesen Leistungen eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland fördern will, weil dieses Ziel bei Gewährung an Personen, die das Bundesgebiet bald wieder verlassen, verfehlt würde (BVerfGE 132, 72, RdNr 26). Auch bei deutschen Staatsbürgern kann aber zweifelhaft sein, ob sie mit ihren Kindern auf Dauer in Deutschland bleiben, wenn sie länger im Ausland beschäftigt sind und sich mit der Zeit immer weiter in die dortige Sozial- und Wirtschaftsordnung integrieren, während sie im selben Maße ihre Bindung zum deutschen System lockern oder ganz aufgeben. Dies vermag ebenfalls dazu beizutragen, den Ausschluss steuerfreier, im Ausland erzielter Einkünfte von der Bemessungsgrundlage des Elterngelds zu rechtfertigen. Die Klägerin war nach den Feststellungen des LSG aus dem deutschen Schuldienst für zunächst drei Jahre beurlaubt; ihre Beschäftigung und damit ihr Aufenthalt in China waren anfangs nicht befristet. Eine Rückkehr und ein dauerhafter Verbleib der Klägerin nach Deutschland waren daher zunächst nicht absehbar.

23

Insgesamt war daher eine vollständige Gleichstellung mit Eltern, die Deutschland im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes nicht verlassen haben, vor dem Hintergrund des geschilderten Gesetzeszwecks von Verfassungs wegen insgesamt nicht zwingend geboten.

24

Erweist sich somit der Ausschluss aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfreier Einnahmen von der Bemessungsgrundlage des Elterngelds durch § 2 Abs 1 S 2 BEEG als rechtmäßig und insbesondere verfassungsrechtlich unbedenklich, so war der ursprüngliche Elterngeldbescheid des Beklagten vom 5.1.2011 wegen der unzutreffenden Berücksichtigung steuerfreier Einkünfte bereits bei seinem Erlass rechtswidrig; der Beklagte konnte die Aufhebung deshalb nicht auf § 48 SGB X stützen.

25

3. Der angefochtene Bescheid vom 5.1.2011 hat aber im Wege der Umdeutung gemäß § 43 SGB X als Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand, da das Rücknahmeermessen des Beklagten insoweit ausnahmsweise auf null reduziert war. Aus diesem Grund steht auch § 43 Abs 3 SGB X einer Umdeutung nicht entgegen.

26

Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Unabhängig davon, ob § 43 SGB X auch im Gerichtsverfahren unmittelbar Anwendung finden kann(vgl dazu BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1; BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 und § 48 Nr 25; BVerwGE 48, 81 ff; 82, 235, 242; offengelassen in BSG Urteil vom 19.3.1998 - B 7 AL 86/96 R - SozR 3-4100 § 112 Nr 29), ist das Gericht jedenfalls gehalten, entsprechend § 43 SGB X zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt unter Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage gehalten werden kann.

27

Vorliegend hat der Änderungsbescheid des Beklagten nach diesen Vorgaben als Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand, weil der angefochtene Änderungsbescheid nach dieser Rechtsgrundlage gehalten werden kann. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Der die Klägerin begünstigende ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 5.1.2011 war, wie ausgeführt, bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig, wie es § 45 Abs 1 SGB X voraussetzt. Die Rücknahmefrist des § 45 Abs 3 S 1 SGB X hat der Beklagte eingehalten, als er den Ausgangsbescheid sofort wieder zurückgenommen hat. Die Rücknahme war auch nicht nach § 45 Abs 2 S 1 SGB X wegen überwiegenden schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin ausgeschlossen. Vielmehr kannte die Klägerin von Anfang an die Rechtswidrigkeit des Bescheids und kann sich deshalb nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X auf schutzwürdiges Vertrauen von vornherein nicht berufen. Denn bereits der Ausgangsbescheid hatte in seinen Gründen auf seine unmittelbar bevorstehende Aufhebung sowie die (zumindest) seit dem 1.1.2011 bestehende Rechtslage hingewiesen, die eine Berücksichtigung der von der Klägerin in China erzielten Einkünfte bei der Elterngeldbemessung ausschloss.

28

Die erforderliche Anhörung hat der Beklagte der Sache nach im Widerspruchsverfahren nachgeholt, § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X.

29

Zwar hat der Beklagte sein von § 45 Abs 1 SGB X eröffnetes Rücknahmeermessen nicht ausgeübt, weil er von einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 SGB X ausgegangen ist. Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung in § 45 Abs 1 SGB X setzt demgegenüber eine umfassende Abwägung zwischen dem Individualinteresse des Begünstigten und dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände voraus, in die sämtlich relevanten Verhältnisse des Einzelfalls einfließen müssen(BSG vom 14.11.1985 - 7 RAr 123/84 = BSGE 59, 157 = SozR 1300 § 45 Nr 19; BSG vom 17.10.1990 - 11 RAr 3/88 = SozR 3-1300 § 45 Nr 5). Gleichwohl führt ein Ermessensausfall, wie er hier vorliegt, ausnahmsweise dann nicht zur Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsakts, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (vgl BVerwG Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr 54). Eine solche Ermessensreduzierung auf null kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ermessensrelevante Gesichtspunkte weder vom Kläger geltend gemacht noch sonst wie ersichtlich sind (vgl BSG Urteil vom 9.9.1998 - B 13 RJ 41/97 R - Juris sowie BSG Urteil vom 30.10.1997 - 4 RA 71/96).

30

So liegt es hier. Es sind keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht oder denkbar, die dafür sprechen könnten, die überhöhte anfänglich rechtswidrige Elterngeldbewilligung ganz oder teilweise bestehen zu lassen. Sie ist lediglich für eine logische Sekunde aus - zumal nicht nachzuvollziehenden - verwaltungsinternen Gründen für einen in der Zukunft liegenden Zahlungszeitraum erteilt und danach sogleich wieder aufgehoben worden, ohne je durch Auszahlungen ins Werk gesetzt worden zu sein. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, warum die Aufhebung für die Klägerin eine besondere Härte begründen könnte, weil sie auf der Grundlage des aufgehobenen Verwaltungsakts nie Elterngeld bezogen hat und auf seinen Bestand nie für eine relevante Zeitspanne vertrauen konnte (vgl BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16 und Meyer, Festschrift für Krasney, 1997, S 330 ff). Der rechtswidrige Bescheid ist für sie insgesamt folgenlos geblieben. Der Senat kann offenlassen, ob der Beklagte seinen eigenen, durch die angreifbare Bescheidpraxis verursachten Verwaltungsfehler bei der Betätigung des Rücknahmeermessen überhaupt als relevanten Belang in die Interessenabwägung hätte einstellen müssen (vgl BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 2). Jedenfalls kann es allein dieser Fehler nach keiner Betrachtungsweise rechtfertigen, die offensichtlich und auch nach eigener Einschätzung der Verwaltung von Anfang an rechtswidrige, nur für eine logische Sekunde erlassene Regelung dauerhaft bestehen zu lassen.

31

Da somit das Rücknahmeermessen des Beklagten ausnahmsweise auf null reduziert war, steht § 43 Abs 3 SBG X einer Umdeutung ebenfalls nicht entgegen.

32

Im Übrigen, soweit der Bescheid vom 5.1.2011 das Elterngeld der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum auf der richtigen Bemessungsgrundlage ihres nach ihrer Rückkehr in Deutschland erzielten und versteuerten Einkommens in der im Einzelnen tenorierten Höhe festgesetzt hat, sind Bedenken gegen den vom Beklagten zugrunde gelegten Bemessungssatz und die danach errechneten Beträge der monatlichen Zahlungsansprüche nicht vorgebracht oder ersichtlich, wie das LSG im Einzelnen zutreffend dargelegt hat.

33

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Sie trägt dem Unterliegen der Klägerin und gleichzeitig dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte durch seine sehenden Auges rechtswidrige Verwaltungspraxis in normativer Betrachtung jedenfalls zu einem erheblichen Teil Anlass für das vorliegende Verfahren gegeben hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

15

Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

17

A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

19

1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

20

2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

22

Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Der Bescheid oder der Teilbescheid kann in vollem Umfang oder hinsichtlich bestimmter Teile unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Änderung oder der Rücknahme erlassen werden, wenn der Antragsteller an der alsbaldigen Erteilung eines solchen Bescheids ein berechtigtes Interesse hat. Voraussetzung ist, daß der Bescheid über die Schadensfeststellung nach dem Feststellungsgesetz ebenfalls unter Vorbehalt ergangen ist oder eine Berechnung der genauen Höhe des Anspruchs, insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften des § 245 Nr. 3, des § 249 oder des § 266 noch nicht möglich ist und daher der Bescheid ohne Vorbehalt noch nicht erlassen werden kann. Aus dem Bescheid müssen sich Inhalt und Ausmaß des Vorbehalts ergeben. Ist die Ungewißheit beseitigt, ist dem Antragsteller insoweit ein abschließender Bescheid zu erteilen.

(2) Unberührt bleiben die Vorschriften dieses Gesetzes und die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts, nach denen Bescheide ohne ausdrücklichen Vorbehalt geändert, zurückgenommen oder sonst aufgehoben werden können.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Einnahmen sind rechtzeitig und vollständig zu erheben.

(2) Der Versicherungsträger darf Ansprüche nur

1.
stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird,
2.
niederschlagen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen,
3.
erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beiträge erstattet oder angerechnet werden.
Die Stundung soll gegen angemessene Verzinsung und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Im Falle des Satzes 1 Nummer 2 dürfen Beitragsansprüche auch niedergeschlagen werden, wenn der Arbeitgeber mehr als sechs Monate meldepflichtige Beschäftigte nicht mehr gemeldet hat und die Ansprüche die von den Spitzenverbänden der Sozialversicherung und der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam und einheitlich festgelegten Beträge nicht überschreiten; die Grenzbeträge sollen auch an eine vorherige Vollstreckungsmaßnahme gebunden werden, wenn die Kosten der Maßnahme in einem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zur Höhe der Forderung stehen. Die Vereinbarung nach Satz 3 bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 3 nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales festgesetzten Frist zustande, bestimmt dieses nach Anhörung der Beteiligten die Beträge durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates.

(3) Für Ansprüche auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag trifft die Entscheidung nach Absatz 2 die zuständige Einzugsstelle. Hat die Einzugsstelle einem Schuldner für länger als zwei Monate Beitragsansprüche gestundet, deren Höhe die Bezugsgröße übersteigt, ist sie verpflichtet, bei der nächsten Monatsabrechnung die zuständigen Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit über die Höhe der auf sie entfallenden Beitragsansprüche und über den Zeitraum, für den die Beitragsansprüche gestundet sind, zu unterrichten. Die Einzugsstelle darf

1.
eine weitere Stundung der Beitragsansprüche sowie
2.
die Niederschlagung von Beitragsansprüchen, deren Höhe insgesamt die Bezugsgröße übersteigt, und
3.
den Erlass von Beitragsansprüchen, deren Höhe insgesamt den Betrag von einem Sechstel der Bezugsgröße übersteigt,
nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit vornehmen.

(4) Die Einzugsstelle kann einen Vergleich über rückständige Beitragsansprüche schließen, wenn dies für die Einzugsstelle, die beteiligten Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Die Einzugsstelle darf den Vergleich über rückständige Beitragsansprüche, deren Höhe die Bezugsgröße insgesamt übersteigt, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit schließen. Der Träger der Unfallversicherung kann einen Vergleich über rückständige Beitragsansprüche schließen, wenn dies wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Für die Träger der Rentenversicherung gilt Satz 3, soweit es sich nicht um Ansprüche aus dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag handelt.

(5) Die Bundesagentur für Arbeit kann einen Vergleich abschließen, wenn dies wirtschaftlich und zweckmäßig ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

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Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

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A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

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Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

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1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

20

2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

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Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

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B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

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b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

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Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

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2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit

1.
der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkennt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn

1.
die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
Der Verwaltungsakt darf mit Wirkung für die Vergangenheit nicht widerrufen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zum Widerruf des Verwaltungsaktes geführt haben. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit

1.
der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkennt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn

1.
die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird,
2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
Der Verwaltungsakt darf mit Wirkung für die Vergangenheit nicht widerrufen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zum Widerruf des Verwaltungsaktes geführt haben. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1 689,09 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Erstattungsanspruchs.

2

Der Beigeladene bezog von der Beklagten ab 1.1.1992 eine (umgewertete und angepasste) Rente für Bergleute (Bescheid vom 19.11.1992). Auf Grund eines vor dem SG Altenburg - S 14 KN 2002/00 - erklärten Anerkenntnisses bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 ab 27.1.2000 "anstelle" der Rente für Bergleute eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In dem Bewilligungsbescheid teilte die Beklagte mit, dass die laufende Rente ab 1.2.2002 beginne und sich für die Zeit vom 27.1.2000 bis 31.1.2002 eine Nachzahlung von 19 133,96 Euro ergebe. Diese werde einbehalten, weil zunächst die bekannt gewordenen Ansprüche anderer Stellen, die im Nachzahlungszeitraum ebenfalls Zahlungen geleistet hätten, abschließend zu klären seien.

3

Die Barmer Ersatzkasse (BEK) meldete mit Schreiben vom 5.11.2000 unter Hinweis auf gezahltes Krankengeld einen Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X an. Die Klägerin meldete mit Schreiben vom 2.2.2001 ebenfalls einen Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X an und teilte hierzu mit, dass dem Beigeladenen ab 26.12.2000 Anspruch auf Arbeitslosengeld für eine Anspruchsdauer von 960 Tagen zustehe. Der wöchentliche Leistungssatz betrage ab 26.12.2000 402,08 DM und ab 1.1.2001 415,31 DM.

4

Mit Schreiben vom 4.1.2002 informierte die Beklagte beide Leistungsträger über die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 27.1.2000, den Beginn der laufenden Rente ab 1.2.2002, den Gesamtbetrag der nachzuzahlenden EU-Rente für die Zeit vom 27.1.2000 bis 31.1.2002 in Höhe von 24 166,85 Euro und den nach Abzug der Rente für Bergleute verbleibenden Nachzahlungsbetrag von 19 133,96 Euro.

5

Die BEK machte mit Schreiben vom 15.1.2002 für die Zeit vom 27.1. bis 25.12.2000 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 8 619,75 Euro geltend. Die Klägerin teilte der Beklagten mit mehreren Schreiben vom 15.1.2002 mit, sie beanspruche die Erstattung des für die Zeit vom 26.12.2000 bis 31.1.2002 geleisteten Arbeitslosengeldes in Höhe von 12 203,31 Euro sowie die hierauf geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 2 521,32 Euro. Die Beklagte erstattete der Klägerin die geltend gemachten Beiträge und zahlte aus der einbehaltenen Rentennachzahlung 8 619,75 Euro an die BEK sowie 10 514,21 Euro an die Klägerin aus, wobei sie dieser mitteilte, dass der Erstattungsanspruch auf die monatlich zur Verfügung stehenden Beträge begrenzt worden sei.

6

Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Befriedigung des angemeldeten Erstattungsanspruchs in voller Höhe aufgefordert hatte, hat sie am 7.11.2003 Klage beim SG München erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu einer weiteren Erstattung von 1 689,09 Euro zu verurteilen. Mit Urteil vom 17.1.2006 hat das SG München der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Bayerische LSG mit Urteil vom 23.4.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Erstattungsanspruch der Klägerin richte sich nach der Höhe des Zahlbetrags der den Erstattungsanspruch begründenden Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Ansicht der Beklagten, der Erstattungsanspruch der Klägerin könne nur in Höhe der Differenz zwischen dem monatlichen Zahlbetrag der rückwirkend bewilligten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und dem monatlichen Zahlbetrag der hierdurch ersetzten Rente für Bergleute bestehen, stehe im Widerspruch zur Regelung des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift werde, wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, nur die höchste Rente geleistet. Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte vom Rentenversicherungsträger erstmals monatliche Zahlungen aus dem Stammrecht der im Zahlbetrag höheren Rente verlangen könne, könne er einen zeitgleichen Zahlungsanspruch aus dem fortbestehenden Stammrecht der im Zahlbetrag niedrigeren Rente nicht mehr geltend machen. Auf den Zeitpunkt der Bewilligung der höheren Rente komme es dabei nicht an, sodass bei einer rückwirkenden Bewilligung der monatliche Zahlungsanspruch auf die niedrigere Rente rückwirkend entfalle. Die bis dahin auf die niedrigere Rente geleisteten Zahlungen gälten als zu Unrecht erfolgt. Dementsprechend habe die Beklagte im Bescheid vom 14.12.2001 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit ab 27.1.2000 ausdrücklich anstelle der bis dahin geleisteten Rente für Bergleute bewilligt und damit für den Beigeladenen erkennbar und hinreichend bestimmt die Bewilligung monatlicher Zahlungen aus dem Stammrecht dieser Rente rückwirkend zum 27.1.2000 aufgehoben. Die im streitigen Zeitraum zur Erfüllung der Zahlungsansprüche des Beigeladenen aus dem Stammrecht auf Rente für Bergleute geleisteten Zahlungen gälten nicht kraft Gesetzes als Leistungen aus dem Stammrecht auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Erfülle der Versicherte die Anspruchsvoraussetzungen mehrerer in § 89 Abs 1 SGB VI genannter Renten, so entstünden jeweils eigenständige, nebeneinander bestehende Ansprüche (Stammrechte). Das daraus resultierende Konkurrenzverhältnis der aus den Stammrechten abzuleitenden Zahlungsansprüche regle § 89 Abs 1 SGB VI im Sinne eines ausschließlichen Vorrangs des jeweils höchsten monatlichen Zahlungsanspruchs. Eine Erfüllungswirkung der auf niedrigere Renten geleisteten Zahlungen für zeitgleich geleistete höhere Renten sehe das Gesetz nicht vor. Eine der Erfüllungswirkung des § 107 SGB X vergleichbare Regelung enthalte das SGB VI ebenfalls nicht. Eine Regelungslücke liege insoweit nicht vor. Der Rentenversicherungsträger könne in diesen Fällen die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche auf die niedrigere Rente gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X rückwirkend aufheben und mit dem daraus nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X entstehenden Rückforderungsanspruch gegen den Zahlungsanspruch des Versicherten auf höhere Rente aufrechnen(§ 51 Abs 1 SGB I), um eine Doppelleistung und im Regelfall auch eine Überzahlung zu vermeiden. Die Beklagte sei daher auf Grund der im Bescheid vom 14.12.2001 erfolgten Bewilligung verpflichtet gewesen, dem Beigeladenen ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in voller monatlicher Höhe zu zahlen. Der Zahlungsanspruch des Beigeladenen und die Zahlungsverpflichtung der Beklagten hätten sich nicht auf monatliche Teilleistungen in Höhe der Differenz zu den monatlichen Zahlbeträgen der bisher geleisteten Rente für Bergleute beschränkt. Allerdings sei die Beklagte dem Grunde nach berechtigt gewesen, den ihr nach Aufhebung der Bewilligung monatlicher Zahlungsansprüche aus dem Stammrecht auf Rente für Bergleute zukommenden Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen geltend zu machen und diesen Erstattungsanspruch gegen den Anspruch des Beigeladenen auf monatliche Zahlungen aus dem Stammrecht auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufzurechnen. Ob die Beklagte im Bescheid vom 14.12.2001 eine Aufrechnung erklären wollte, irrtümlich eine Erfüllungswirkung der bereits auf den Anspruch auf Bergmannsrente geleisteten Zahlungen angenommen habe oder eine gesetzlich nicht zulässige Umwidmung dieser Zahlungen vornehmen wollte, sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Dies könne aber letztlich dahinstehen. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, dass der Bescheid vom 14.12.2001 eine wirksame Aufrechnungserklärung enthalte, könne sich die Beklagte im Erstattungsverhältnis zur Klägerin auf die Wirksamkeit der Aufrechnung nicht berufen. Denn ihr sei vor Bekanntgabe dieses Bescheides positiv bekannt gewesen, dass und in welcher Höhe der Beigeladene von der Klägerin seit Dezember 2000 Arbeitslosengeld bezogen habe. Da bei monatsweiser Gegenüberstellung der Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach den zutreffenden Berechnungen der Beklagten im streitigen Zeitraum stets höher als der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes gewesen sei, sei mit Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vom 14.12.2001 ein Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe des vollen monatlichen Zahlbetrages des Arbeitslosengeldes entstanden mit der Folge, dass der Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte in Höhe des ihm bereits von der Klägerin geleisteten Arbeitslosengeldes als erfüllt gelte (§ 107 Abs 1 SGB X).

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte insbesondere eine Verletzung des § 89 SGB VI, § 51 SGB I, § 125 Abs 3 SGB III, § 142 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 2 SGB III und § 103 SGB X. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts habe sie weder in Widerspruch zum § 89 SGB VI gehandelt, noch habe sie die Rente für Bergleute mit der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit iS des § 51 SGB I aufgerechnet. § 89 SGB VI lege fest, dass bei einem Zusammentreffen von mehreren Leistungen allein die höhere Leistung zu zahlen sei. Die Vorschrift enthalte keine Aussage darüber, wie ein Zusammentreffen von Renten in der Vergangenheit geregelt sei. § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI bewirke, dass das Stammrecht beider konkurrierenden Renten nebeneinander bestehen bleibe. Nur die Auszahlung des monatlich fällig werdenden Einzelanspruchs der niedrigeren Rente werde "gesperrt". Dies führe jedoch nicht dazu, dass der Bescheid über die Rente für Bergleute aufzuheben gewesen sei. Die Rente für Bergleute sei in der Vergangenheit zu Recht gezahlt worden. § 89 SGB VI solle allein verhindern, dass der Berechtigte, der mehrere Ansprüche inne habe, über diese Ansprüche kumulativ verfügen könne. Da zwei Rentenansprüche für die Vergangenheit nebeneinander bestünden, wovon der eine rückschauend betrachtet nach § 89 SGB VI nicht zu zahlen gewesen sei, müsse sich der Betrag der höheren Rente um den Betrag der niedrigeren bereits gezahlten Rente mindern. Andernfalls würden für den Beigeladenen im Ergebnis tatsächlich zwei parallele Zahlungsansprüche realisiert. § 107 SGB X sei entsprechend anwendbar. Damit stehe für eine Erstattung nur der Betrag aus der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zur Verfügung, der sich nach der Minderung der zu Recht gezahlten Rente für Bergleute ergebe. Einer Bescheidaufhebung bedürfe es gerade nicht, da durch die Anwendung des § 89 SGB VI ein interner Ausgleichsanspruch entstanden sei. Im Übrigen sei ein Ausgleich der Forderung nach § 103 SGB X iVm § 125 Abs 3 SGB III nur in der Höhe vorzunehmen, in der auch tatsächlich Beträge zur Erfüllung der Forderung zur Verfügung stünden. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich gemäß § 103 Abs 2 SGB X nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Somit könne die Klägerin ihre Forderung nicht in unbegrenzter Höhe geltend machen, sondern sei an die Höhe der Nachzahlung gebunden. Mit der Geltendmachung eines über diesen Betrag hinausgehenden Erstattungsanspruchs handele die Klägerin zudem entgegen ihrer eigenen Dienstanweisung.

8

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 2008 und des Sozialgerichts München vom 17. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet.

13

LSG und SG haben zu Recht einen Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von weiteren 1 689,09 Euro bejaht.

14

Der Erstattungsanspruch der Klägerin richtet sich nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift steht der Bundesagentur ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt wird. Gemäß § 103 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB X entsteht die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers nur, soweit dieser nicht bereits geleistet hat, bevor er von der Leistung der Bundesagentur Kenntnis erlangt hat.

15

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind erfüllt.

16

Die Beklagte hat dem Beigeladenen, der im hier maßgeblichen Zeitraum vom 26.12.2000 bis 31.1.2002 arbeitslos gemeldet war und Arbeitslosengeld bezogen hat, mit Bescheid vom 14.12.2001 rückwirkend ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt. Hierbei handelt es sich um eine Rente iS von § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III.

17

Zwar könnte der Wortlaut "Rente wegen Erwerbsminderung" dafür sprechen, dass das Gesetz hierunter nur eine Rente wegen Erwerbsminderung iS des § 43 SGB VI in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung versteht. Denn dieser Terminus ist in § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung ab 1.1.2001 durch Art 3 Nr 3b des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) eingefügt worden, um die Begriffe der Vorschrift an die im SGB VI geänderten Begriffe "redaktionell" anzupassen (BT-Drucks 14/4230 zu Art 3 Nr 3 S 31).

18

Eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Anwendung des Gesetzes kann jedoch durch Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt sein (BGH NJW 2003, 290, 291 mwN). Diese ist hier auch zulässig und geboten, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit das Regelungsziel verfolgte, den nach bisherigem Recht bestehenden Erstattungsanspruch der Bundesagentur gegen den Rentenversicherungsträger bei zeitgleicher Gewährung von Arbeitslosengeld und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu beseitigen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch in den Fällen, in denen nach Inkrafttreten des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III nF vom Rentenversicherungsträger noch rückwirkend Renten wegen Erwerbsunfähigkeit zu bewilligen waren(vgl § 300 Abs 2 SGB VI), der Erstattungsanspruch der Bundesagentur trotz des geänderten Wortlauts weiterhin besteht, soweit zeitgleich Arbeitslosengeld an den Versicherten gezahlt worden ist, und die dem entgegenstehende Begrifflichkeit auf einer Unachtsamkeit bei der Formulierung des Gesetzes beruht (vgl noch einmal BGH NJW 2003, 290, 291).

19

Eine auf sachliche Änderung der bisherigen Rechtslage gerichtete Regelungsintention lässt sich auch nicht aus § 435 SGB III ableiten, der bestimmt, dass bei Anwendung verschiedener Normen des SGB III "die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, deren Beginn vor dem 1. Januar 2001 liegt, als Rente wegen voller Erwerbsminderung" gilt bzw bei deren Anwendung "an die Stelle der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit … die Feststellung der Erwerbsminderung" tritt. Es ist nicht erkennbar, dass diese Regelungen abschließend sein sollten und daher bei Anwendung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III, für den § 435 SGB III keine entsprechende Übergangsregelung enthält, eine Gleichstellung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Rente wegen Erwerbsminderung nicht gewollt ist.

20

Sinn und Zweck des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III ist mithin nach wie vor, die Bundesagentur durch Gewährung eines Erstattungsanspruchs gegen den Rentenversicherungsträger vor einem finanziellen Nachteil auch dann zu bewahren, wenn dem Arbeitslosen für einen Zeitraum Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt wird, für den er bereits Arbeitslosengeld bezogen hat. Eine Rückforderung des Arbeitslosengeldes vom Arbeitslosen kommt nicht in Betracht, da dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung ruht (§ 142 Abs 1 Nr 3, Abs 2 Nr 2 iVm § 435 Abs 4 SGB III), was bedeutet, dass das zuvor gezahlte Arbeitslosengeld rechtmäßig gezahlt worden ist und damit grundsätzlich nicht zurückverlangt werden kann (vgl Winkler in Gagel, Kommentar zum SGB III, § 125 RdNr 54, Stand: Juni 2006). Ohne den Erstattungsanspruch nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III stünde der Bundesagentur kein Erstattungsanspruch zu, denn die Voraussetzungen der allgemeinen Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X liegen nicht vor.

21

Die Anwendung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III auch in Fällen der vorliegenden Art vermeidet gleichzeitig Ergebnisse, die im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz(Art 3 Abs 1 GG) problematisch sein könnten.

22

Würde die Norm keine Anwendung finden, wenn eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem 31.12.2000 mit Wirkung ab einem Zeitpunkt vor dem 1.1.2001 gewährt wird, könnte ein Versicherter, der bereits Arbeitslosengeld bezogen hat, zusätzlich für denselben Zeitraum vom Rentenversicherungsträger die Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente verlangen. Ein Erstattungsanspruch der Bundesagentur nach den §§ 102 ff SGB X und damit ein Eingreifen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X kämen nicht in Betracht. Ist einem Versicherten dagegen vor dem 31.12.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für einen Zeitraum gewährt worden, in dem er schon Arbeitslosengeld erhalten hat, steht der Bundesagentur ein Erstattungsanspruch gemäß § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III aF zu, mit der Folge, dass der Anspruch des Versicherten gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 107 Abs 1 SGB X insoweit als erfüllt gilt. Dieselben Rechtsfolgen treten nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III nF iVm § 107 Abs 1 SGB X ein, wenn der Rentenversicherungsträger einem Arbeitslosen nach dem 31.12.2000 Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt hat. Versicherte, denen eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor dem 31.12.2000 oder Rente wegen Erwerbsminderung nach diesem Zeitpunkt zuerkannt worden ist, können daher neben Arbeitslosengeld keine Rente erhalten, während Versicherte, denen eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem 31.12.2000 mit Wirkung ab einem Zeitpunkt vor dem 1.1.2001 gewährt worden ist, Arbeitslosengeld und Rente beziehen könnten. Für eine derart unterschiedliche Behandlung der beiden zuerst genannten Versichertengruppen im Verhältnis zur letzten Versichertengruppe sind sachlich gerechtfertigte Gründe nicht zu erkennen. Sie wäre vielmehr willkürlich.

23

Die weitere Voraussetzung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB X ist ebenfalls erfüllt. Eine Leistung der Beklagten an den Beigeladenen mit befreiender Wirkung iS dieser Norm ist schon deshalb nicht erfolgt, weil die Beklagte keine Zahlungen aus der EU-Rente an den Beigeladenen erbracht hat.

24

Der Höhe nach steht der Klägerin ein Erstattungsanspruch auf das gesamte gezahlte Arbeitslosengeld im streitigen Zeitraum bis zur Höhe des Zahlbetrags der EU-Rente zu (vgl zu diesen zwei Obergrenzen: BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 § 103 Nr 4 S 20 mwN; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 45).

25

Gemäß § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 Abs 2 SGB X entsprechend richtet sich der Umfang der Erstattungsansprüche nach den für die Beklagte geltenden Rechtsvorschriften und damit den Bestimmungen des SGB VI.

26

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI eine Begrenzung des Erstattungsanspruchs der Klägerin auf den Differenzbetrag zwischen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Rente für Bergleute nicht herleiten.

27

Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird gemäß § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Da die Vorschrift lediglich hinsichtlich der Rentenleistung eine Regelung trifft, bezieht sie sich nur auf den Rentenzahlanspruch und lässt damit den Anspruch auf Rente dem Grunde nach unberührt. Dies bedeutet, dass bei konkurrierenden Rentenansprüchen iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI beide Rentenansprüche dem Grunde nach bestehen bleiben, der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente während der Dauer des Bezugs der höheren Rente aber nicht entsteht(BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5 f) bzw bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente nachträglich entfällt.

28

Die Beklagte hat dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 rückwirkend ab dem 27.1.2000 anstelle der bisherigen Rente für Bergleute Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt mit der Folge, dass der ursprünglich in dieser Zeit bestehende niedrigere monatliche Zahlungsanspruch aus der Rente für Bergleute nachträglich entfallen ist.

29

Wie zur Vermeidung einer Doppelzahlung in einer solchen Situation zu verfahren ist, ist in § 89 SGB VI nicht geregelt. Insbesondere enthält die Norm keine Bestimmung, nach der der Anspruch auf Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente als erfüllt gilt. Die Annahme einer solchen Erfüllungsfiktion rechtfertigt sich auch nicht unter Berücksichtigung allgemeiner Erwägungen.

30

Bei dem Anspruch auf Rente für Bergleute und dem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um verschiedene selbstständige Ansprüche (ua mit unterschiedlichen Versicherungsfällen und Versicherungszielen) und nicht etwa um ein einziges Recht auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; ein solches gibt es nicht. Beide Rechte dienen vor allem der Sicherung verschiedener Schutzgüter gegen das Risiko gesundheitsbedingter Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Während Schutzgut der Rente für Bergleute das spezielle berufliche Leistungsvermögen des Versicherten im Bergbau ist, ist Schutzgut der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit das allgemeine Leistungsvermögen, also die Fähigkeit des Versicherten, sich durch Erwerbstätigkeit überhaupt unterhalten zu können. Entsprechend dieser unterschiedlichen Schutzfunktionen entfalten beide Renten auch unterschiedliche Sicherungsfunktionen. So soll die Rente für Bergleute den durch Krankheit oder Behinderung bedingten Lohnabfall ausgleichen, den der Versicherte dadurch erleidet, dass er die von ihm bisher ausgeübte knappschaftliche, dh bergmännische Beschäftigung nicht mehr ausüben kann (vgl Gürtner in Kasseler Kommentar, § 45 SGB VI RdNr 2, Stand: Juli 2010). Erwerbsunfähigkeitsrente ist demgegenüber zu gewähren, wenn das Leistungsvermögen derart gemindert ist, dass es nur noch eine geringfügige Erwerbstätigkeit erlaubt, die zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht. Im Hinblick auf ihre unterschiedliche Schutz- und Sicherungsfunktionen entstehen beide Ansprüche jeweils unabhängig voneinander bei Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles und Vorliegens der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (vgl BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5).

31

Als selbstständige, unabhängig voneinander bestehende Ansprüche begründen sie selbstständige Leistungsverhältnisse. Tritt eine Leistungsstörung - zB auf Grund des späteren Wegfalls des Rechtsgrundes der Leistung - ein, ist das Leistungsverhältnis rückabzuwickeln, in dem die Störung entstanden ist. Das andere Leistungsverhältnis bleibt Kraft seiner Selbstständigkeit von dieser Störung unberührt.

32

Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 18.12.1963 (3 RK 40/63 - BSGE 20, 140 = SozR Nr 9 zu § 183 RVO)und vom 17.4.1970 (3 RK 75/69 - SozR Nr 50 zu § 183 RVO). Diese Entscheidungen, die bei gleichzeitigem Bezug von Krankengeld und Berufsunfähigkeitsrente sowie der rückwirkenden Bewilligung von höherem Altersruhegeld bzw höherer Erwerbsunfähigkeitsrente nur den Differenzbetrag zwischen Berufsunfähigkeitsrente und nachfolgend zuerkannter Rente als erstattungsfähig beurteilt haben, weil die Zahlungen auf die Berufsunfähigkeitsrente als Teilzahlungen der später anerkannten Rente anzusehen seien, sind zu den Vorschriften der RVO und vor allem vor Erlass des SGB X ergangen und schon deshalb für die heutige Rechtslage nicht maßgeblich. Abgesehen davon war in dem der Entscheidung vom 18.12.1963 (aaO) zu Grunde liegenden Sachverhalt die Rente wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend in ein Altersruhegeld umgewandelt worden. Im maßgeblichen Zeitraum existierten damit - anders als im vorliegenden Fall - nicht zwei konkurrierende selbstständige Rentenansprüche, sondern bestand Kraft Umwandlung nur ein einziger Rentenanspruch, dem Rentenzahlungen zugeordnet werden konnten bzw mussten. Soweit der 3. Senat des BSG in der Entscheidung vom 17.4.1970 (aaO) ausgeführt hat, dass bei späterer rückwirkender Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente die bereits gezahlte Berufsunfähigkeitsrente dem Versicherten verbleibe, weil mit der Zahlung "die Rentenschuld" erloschen sei, geht er davon aus, dass nur ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht. Dem ist aus den oben dargelegten Gründen indes nicht zu folgen (s auch BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2).

33

Entsprechend der heutigen materiellen Rechtslage hat die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 "anstelle" der "bisherigen Rente" rückwirkend ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt und damit sinngemäß den Bescheid vom 19.11.1992 über die (umgewertete und angepasste) Rente für Bergleute aufgehoben, soweit der Bescheid einen Zahlungsanspruch begründet. Rechtsgrundlage der Aufhebung ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht § 45 Abs 1 SGB X, sondern § 48 Abs 1 SGB X(vgl auch BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5). Denn in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 19.11.1992 vorgelegen haben, ist durch den Hinzutritt einer weiteren Rente mit Wirkung zum 27.1.2000 eine wesentliche Änderung eingetreten. Die Beklagte war auch gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X berechtigt, den Bescheid vom 19.11.1992 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (vgl Niesel aaO § 89 SGB VI RdNr 11, Stand: Dezember 2007), da der Beigeladene ab 27.1.2000 Einkommen erzielt hat, das zum Wegfall seines Anspruchs auf Zahlung der Rente für Bergleute geführt hat.

34

Da die Beklagte für die Zeit ab 27.1.2000 Rente für Bergleute gezahlt hat, sind die erbrachten Leistungen vom Beigeladenen gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X zu erstatten(vgl auch Niesel aaO). Hiervon unabhängig ist die Erwerbsunfähigkeitsrente auf Grund des Bewilligungsbescheides vom 14.12.2001 ab 27.1.2000 an den Beigeladenen bzw soweit ein Erstattungsanspruch der Klägerin besteht an diese zu zahlen, wodurch der Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte als erfüllt gilt (§ 107 Abs 1 SGB X; vgl zur Anwendbarkeit der Norm hinsichtlich aller im Sozialgesetzbuch geregelten Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander auch BT-Drucks 9/95 S 24 re Spalte).

35

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus § 107 Abs 1 SGB X eine Minderung des für die Klägerin zur Verfügung stehenden Betrags nicht herleiten.

36

§ 107 Abs 1 SGB X begründet keinen Anspruch der Beklagten gegen sich selbst auf Erstattung der dem Beigeladenen geleisteten Rente für Bergleute mit der Folge, dass in Höhe dieser Rentenzahlung sein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als erfüllt gilt. § 107 Abs 1 SGB X gehört ausweislich der Überschrift des Zweiten Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB X, die Teil des Gesetzestextes ist, zu den Normen, die die "Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander" betreffen. Da diese schon nach dem Wortlaut der genannten Überschrift eine Mehrheit von Leistungsträgern (§ 12 Satz 1 SGB I) voraussetzen (vgl auch BT-Drucks 9/95 S 24 li Spalte: "… ein anderer Leistungsträger …"), die sich jeweils als Anspruchsteller und Anspruchsgegner gegenüberstehen, kommt eine unmittelbare Anwendung auf das Innenverhältnis der Beklagten als Adressatin mehrerer parallel bestehender Rentenansprüche dem Grunde nach von vornherein nicht in Betracht (so bereits BSG, Urteil vom 21.6.1983 - 4 RJ 29/82 - Juris; offen gelassen von BVerwG DVBl 1994, 426 ff = Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 22).

37

Ebenso wenig ist § 107 Abs 1 SGB X im vorliegenden Fall analog anwendbar.

38

Eine analoge Anwendung im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten, wonach der Anspruch des Beigeladenen auf Erwerbsunfähigkeitsrente ohne weiteres als erfüllt gelten soll, soweit er bereits Zahlungen aus der Rente für Bergleute erhalten hat, scheidet aus. Denn bei diesem Verständnis wird nur die Rechtsfolge des § 107 Abs 1 SGB X übernommen; der Tatbestand der Norm, das Bestehen eines Erstattungsanspruchs, der Voraussetzung für die angeordnete Rechtsfolge ist, bleibt dagegen völlig unberücksichtigt.

39

Eine analoge Anwendung des § 107 Abs 1 SGB X auf einen Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers gegen sich selbst(bejahend BVerwG aaO im Fall der Zuständigkeit desselben Leistungsträgers für das Erbringen von Sozialhilfeleistungen einerseits und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz andererseits) kommt jedenfalls bei dem hier vorliegenden Sachverhalt mangels Bestehens einer gesetzlichen Regelungslücke (vgl zu dieser Voraussetzung einer Analogie exemplarisch BFH NJW 2006, 1837) nicht in Betracht. Mit § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 SGB X, § 107 Abs 1 SGB X und § 142 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 Nr 2 SGB III liegt ein vollständiges Normprogramm zur Belastung des nach der gesetzlichen Wertung letztlich verpflichteten Leistungsträgers vor.

40

Nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III hat die Arbeitsverwaltung einen Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X, wenn ein Träger der gesetzlichen Rentenversicherung dem Arbeitslosen eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt hat. Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch des Arbeitslosen gegen die Rentenversicherung auf Zahlung der Erwerbsminderungsrente als erfüllt, soweit der Erstattungsanspruch besteht. Gilt aber der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bereits wegen des Erstattungsanspruchs der Arbeitsverwaltung als erfüllt, kann er in Anbetracht des vom Gesetzgeber gewählten Normprogramms nicht zusätzlich wegen Zahlung einer niedrigeren Rente durch die Rentenversicherung als (teilweise) erfüllt angesehen werden. Die Rechtsauffassung der Beklagten würde überdies bei Fallkonstellationen der vorliegenden Art zu einer Verschiebung der gesetzlichen Risikoverteilung führen. Ist dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 142 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 Nr 2 SGB III erst von Beginn der laufenden Zahlung der Rente an. Dies bedeutet - wie bereits oben dargelegt -, dass das vorher gezahlte Arbeitslosengeld rechtmäßig gezahlt worden ist und damit von der Arbeitsverwaltung grundsätzlich nicht zurückverlangt werden kann (vgl Winkler aaO). Stünde nur der Differenzbetrag zwischen Erwerbsminderungsrente und der gezahlten niedrigeren Rente für den Erstattungsanspruch zur Verfügung und übersteigt das gewährte Arbeitslosengeld diesen, fiele die Arbeitsverwaltung mit einem Teil ihrer Erstattungsforderung aus, ohne den Fehlbetrag vom Arbeitslosen zurückfordern zu können. Gerade diesem Umstand trägt der ungeminderte gesetzliche Erstattungsanspruch Rechnung und berücksichtigt damit, dass die rückwirkende Bewilligung der Erwerbsminderungsrente allein darauf beruht, dass der Rentenversicherungsträger den später als rechtens anerkannten Rentenanspruch ursprünglich verneint hat.

41

Die Beklagte kann dem streitigen Erstattungsanspruch auch keine Gegenrechte aus dem Sozialleistungsverhältnis zwischen ihr und dem Beigeladenen entgegenhalten.

42

Zwar kann wegen der inhaltlichen Abhängigkeit und untrennbaren Verknüpfung der Erstattungsansprüche mit dem Sozialleistungsanspruch des Leistungsberechtigten der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger diejenigen Einwendungen gegenüber dem Erstattungsanspruch erheben, die ihm gegenüber dem Leistungsberechtigten zustehen (ua BSGE 70, 99 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 mwN). Grundlagen derartiger Einwendungen sind hier indessen nicht feststellbar.

43

Insbesondere hat die Beklagte auch nach ihrem eigenen Vortrag ihre Erstattungsansprüche iS von § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht gemäß § 51 SGB I gegen den Anspruch des Beigeladenen auf rückwirkende Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente aufgerechnet. Die Erklärung einer derartigen Aufrechnung ist dem Bescheid vom 14.12.2001 nicht zu entnehmen. Dem Bescheid fehlen nach den Feststellungen des LSG schon jedwede Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen überhaupt eines Erstattungsanspruchs wegen zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen berühmt. Die Beklagte hat nach dem Berufungsurteil im Bescheid vom 14.12.2001 monatsweise für verschiedene Zeiträume eine "Nachzahlung" in Höhe der jeweiligen Erwerbsunfähigkeitsrentenzahlbeträge aufgeführt, diesen die in denselben Zeiträumen auf die Rente für Bergleute gezahlten Beträge gegenübergestellt und den Saldo als verbleibende "Nachzahlung" bezeichnet. Dass die Beklagte Erstattungsansprüche in Höhe der gezahlten Rente für Bergleute geltend machen will, ergibt sich aus diesem Rechenvorgang nicht. Vielmehr behandelt dieser die geleisteten Zahlungen auf die Rente für Bergleute als Zahlungen auf die Erwerbsunfähigkeitsrente, die den Nachzahlungsbetrag entsprechend mindern und geht insoweit von einer teilweisen Erfüllung des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente durch die auf die Rente für Bergleute entrichteten Zahlungen aus. Eine solche Erfüllungswirkung entfalten diese aber aus den oben genannten Gründen nicht.

44

Ebenso wenig ergibt sich eine Beschränkung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs auf den Differenzbetrag zwischen Erwerbsunfähigkeitsrente und Rente für Bergleute dadurch, dass die Beklagte diesen im Bescheid vom 14.12.2001 als (zur Verfügung stehenden) Nachzahlungsbetrag aufgeführt hat. Die Bindungswirkung des Rentenbescheids nach § 77 SGG, die auch dem Erstattungsanspruch entgegengehalten werden kann(vgl BSGE 58, 119, 126 = SozR 1300 § 104 Nr 7), erstreckt sich nicht auf die darin enthaltene Mitteilung über eine Rentennachzahlung, wenn der Nachzahlungsbetrag wegen bislang nicht geklärter Erstattungsansprüche noch nicht endgültig festgesetzt ist (BSG, Urteil vom 21.6.1983 - 4 RJ 29/82 - Juris mwN). Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat im Bescheid vom 14.12.2001 darauf hingewiesen, dass der Nachzahlungsbetrag in Höhe von 19 133,96 Euro einbehalten werde, weil zunächst die bekannt gewordenen Ansprüche anderer Stellen (zB Krankenkasse, Arbeitsamt), die im Nachzahlungszeitraum bereits Zahlungen geleistet hätten, abschließend zu klären seien.

45

Die Beklagte kann schließlich auch nichts zu Gunsten ihres Rechtsstandpunkts aus der Dienstanweisung der Klägerin herleiten. Zum einen äußert sich diese lediglich zur Geltendmachung des Unterschiedsbetrages zwischen Voll- und Teilrente, wenn bereits Teilrente bezogen worden ist, und trifft damit keine Aussage zur Höhe des Erstattungsanspruchs, wenn dem Versicherten zunächst eine Rente mit niedrigeren Zahlbeträgen geleistet und ihm später rückwirkend eine Rente anderer Art mit höheren Zahlbeträgen zuerkannt worden ist. Zum anderen kann die Dienstanweisung der Klägerin mangels Gleichrangigkeit der Rechtsquellen nicht einen sich aus formellem Gesetz ergebenden Anspruch reduzieren.

46

Da nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum bei monatsweiser Gegenüberstellung der Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit stets höher als der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes gewesen ist (vgl zur Ermittlung des Erstattungsbetrages auf diesem Weg BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 § 103 Nr 4), ist der Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe der vollen monatlichen Zahlbeträge des Arbeitslosengeldes entstanden. Bei insgesamt geleistetem Arbeitslosengeld in Höhe von 12 203,31 Euro abzüglich bereits erstatteter 10 514,21 Euro steht der Klägerin der geltend gemachte weitere Erstattungsbetrag von 1 689,09 Euro zu.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

48

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 47 Abs 1, § 52 Abs 1 und 3 GKG.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1 689,09 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Erstattungsanspruchs.

2

Der Beigeladene bezog von der Beklagten ab 1.1.1992 eine (umgewertete und angepasste) Rente für Bergleute (Bescheid vom 19.11.1992). Auf Grund eines vor dem SG Altenburg - S 14 KN 2002/00 - erklärten Anerkenntnisses bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 ab 27.1.2000 "anstelle" der Rente für Bergleute eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In dem Bewilligungsbescheid teilte die Beklagte mit, dass die laufende Rente ab 1.2.2002 beginne und sich für die Zeit vom 27.1.2000 bis 31.1.2002 eine Nachzahlung von 19 133,96 Euro ergebe. Diese werde einbehalten, weil zunächst die bekannt gewordenen Ansprüche anderer Stellen, die im Nachzahlungszeitraum ebenfalls Zahlungen geleistet hätten, abschließend zu klären seien.

3

Die Barmer Ersatzkasse (BEK) meldete mit Schreiben vom 5.11.2000 unter Hinweis auf gezahltes Krankengeld einen Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X an. Die Klägerin meldete mit Schreiben vom 2.2.2001 ebenfalls einen Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X an und teilte hierzu mit, dass dem Beigeladenen ab 26.12.2000 Anspruch auf Arbeitslosengeld für eine Anspruchsdauer von 960 Tagen zustehe. Der wöchentliche Leistungssatz betrage ab 26.12.2000 402,08 DM und ab 1.1.2001 415,31 DM.

4

Mit Schreiben vom 4.1.2002 informierte die Beklagte beide Leistungsträger über die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 27.1.2000, den Beginn der laufenden Rente ab 1.2.2002, den Gesamtbetrag der nachzuzahlenden EU-Rente für die Zeit vom 27.1.2000 bis 31.1.2002 in Höhe von 24 166,85 Euro und den nach Abzug der Rente für Bergleute verbleibenden Nachzahlungsbetrag von 19 133,96 Euro.

5

Die BEK machte mit Schreiben vom 15.1.2002 für die Zeit vom 27.1. bis 25.12.2000 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 8 619,75 Euro geltend. Die Klägerin teilte der Beklagten mit mehreren Schreiben vom 15.1.2002 mit, sie beanspruche die Erstattung des für die Zeit vom 26.12.2000 bis 31.1.2002 geleisteten Arbeitslosengeldes in Höhe von 12 203,31 Euro sowie die hierauf geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 2 521,32 Euro. Die Beklagte erstattete der Klägerin die geltend gemachten Beiträge und zahlte aus der einbehaltenen Rentennachzahlung 8 619,75 Euro an die BEK sowie 10 514,21 Euro an die Klägerin aus, wobei sie dieser mitteilte, dass der Erstattungsanspruch auf die monatlich zur Verfügung stehenden Beträge begrenzt worden sei.

6

Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Befriedigung des angemeldeten Erstattungsanspruchs in voller Höhe aufgefordert hatte, hat sie am 7.11.2003 Klage beim SG München erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu einer weiteren Erstattung von 1 689,09 Euro zu verurteilen. Mit Urteil vom 17.1.2006 hat das SG München der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Bayerische LSG mit Urteil vom 23.4.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Erstattungsanspruch der Klägerin richte sich nach der Höhe des Zahlbetrags der den Erstattungsanspruch begründenden Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Ansicht der Beklagten, der Erstattungsanspruch der Klägerin könne nur in Höhe der Differenz zwischen dem monatlichen Zahlbetrag der rückwirkend bewilligten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und dem monatlichen Zahlbetrag der hierdurch ersetzten Rente für Bergleute bestehen, stehe im Widerspruch zur Regelung des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift werde, wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, nur die höchste Rente geleistet. Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte vom Rentenversicherungsträger erstmals monatliche Zahlungen aus dem Stammrecht der im Zahlbetrag höheren Rente verlangen könne, könne er einen zeitgleichen Zahlungsanspruch aus dem fortbestehenden Stammrecht der im Zahlbetrag niedrigeren Rente nicht mehr geltend machen. Auf den Zeitpunkt der Bewilligung der höheren Rente komme es dabei nicht an, sodass bei einer rückwirkenden Bewilligung der monatliche Zahlungsanspruch auf die niedrigere Rente rückwirkend entfalle. Die bis dahin auf die niedrigere Rente geleisteten Zahlungen gälten als zu Unrecht erfolgt. Dementsprechend habe die Beklagte im Bescheid vom 14.12.2001 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit ab 27.1.2000 ausdrücklich anstelle der bis dahin geleisteten Rente für Bergleute bewilligt und damit für den Beigeladenen erkennbar und hinreichend bestimmt die Bewilligung monatlicher Zahlungen aus dem Stammrecht dieser Rente rückwirkend zum 27.1.2000 aufgehoben. Die im streitigen Zeitraum zur Erfüllung der Zahlungsansprüche des Beigeladenen aus dem Stammrecht auf Rente für Bergleute geleisteten Zahlungen gälten nicht kraft Gesetzes als Leistungen aus dem Stammrecht auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Erfülle der Versicherte die Anspruchsvoraussetzungen mehrerer in § 89 Abs 1 SGB VI genannter Renten, so entstünden jeweils eigenständige, nebeneinander bestehende Ansprüche (Stammrechte). Das daraus resultierende Konkurrenzverhältnis der aus den Stammrechten abzuleitenden Zahlungsansprüche regle § 89 Abs 1 SGB VI im Sinne eines ausschließlichen Vorrangs des jeweils höchsten monatlichen Zahlungsanspruchs. Eine Erfüllungswirkung der auf niedrigere Renten geleisteten Zahlungen für zeitgleich geleistete höhere Renten sehe das Gesetz nicht vor. Eine der Erfüllungswirkung des § 107 SGB X vergleichbare Regelung enthalte das SGB VI ebenfalls nicht. Eine Regelungslücke liege insoweit nicht vor. Der Rentenversicherungsträger könne in diesen Fällen die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche auf die niedrigere Rente gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X rückwirkend aufheben und mit dem daraus nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X entstehenden Rückforderungsanspruch gegen den Zahlungsanspruch des Versicherten auf höhere Rente aufrechnen(§ 51 Abs 1 SGB I), um eine Doppelleistung und im Regelfall auch eine Überzahlung zu vermeiden. Die Beklagte sei daher auf Grund der im Bescheid vom 14.12.2001 erfolgten Bewilligung verpflichtet gewesen, dem Beigeladenen ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in voller monatlicher Höhe zu zahlen. Der Zahlungsanspruch des Beigeladenen und die Zahlungsverpflichtung der Beklagten hätten sich nicht auf monatliche Teilleistungen in Höhe der Differenz zu den monatlichen Zahlbeträgen der bisher geleisteten Rente für Bergleute beschränkt. Allerdings sei die Beklagte dem Grunde nach berechtigt gewesen, den ihr nach Aufhebung der Bewilligung monatlicher Zahlungsansprüche aus dem Stammrecht auf Rente für Bergleute zukommenden Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen geltend zu machen und diesen Erstattungsanspruch gegen den Anspruch des Beigeladenen auf monatliche Zahlungen aus dem Stammrecht auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufzurechnen. Ob die Beklagte im Bescheid vom 14.12.2001 eine Aufrechnung erklären wollte, irrtümlich eine Erfüllungswirkung der bereits auf den Anspruch auf Bergmannsrente geleisteten Zahlungen angenommen habe oder eine gesetzlich nicht zulässige Umwidmung dieser Zahlungen vornehmen wollte, sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Dies könne aber letztlich dahinstehen. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, dass der Bescheid vom 14.12.2001 eine wirksame Aufrechnungserklärung enthalte, könne sich die Beklagte im Erstattungsverhältnis zur Klägerin auf die Wirksamkeit der Aufrechnung nicht berufen. Denn ihr sei vor Bekanntgabe dieses Bescheides positiv bekannt gewesen, dass und in welcher Höhe der Beigeladene von der Klägerin seit Dezember 2000 Arbeitslosengeld bezogen habe. Da bei monatsweiser Gegenüberstellung der Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach den zutreffenden Berechnungen der Beklagten im streitigen Zeitraum stets höher als der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes gewesen sei, sei mit Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vom 14.12.2001 ein Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe des vollen monatlichen Zahlbetrages des Arbeitslosengeldes entstanden mit der Folge, dass der Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte in Höhe des ihm bereits von der Klägerin geleisteten Arbeitslosengeldes als erfüllt gelte (§ 107 Abs 1 SGB X).

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte insbesondere eine Verletzung des § 89 SGB VI, § 51 SGB I, § 125 Abs 3 SGB III, § 142 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 2 SGB III und § 103 SGB X. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts habe sie weder in Widerspruch zum § 89 SGB VI gehandelt, noch habe sie die Rente für Bergleute mit der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit iS des § 51 SGB I aufgerechnet. § 89 SGB VI lege fest, dass bei einem Zusammentreffen von mehreren Leistungen allein die höhere Leistung zu zahlen sei. Die Vorschrift enthalte keine Aussage darüber, wie ein Zusammentreffen von Renten in der Vergangenheit geregelt sei. § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI bewirke, dass das Stammrecht beider konkurrierenden Renten nebeneinander bestehen bleibe. Nur die Auszahlung des monatlich fällig werdenden Einzelanspruchs der niedrigeren Rente werde "gesperrt". Dies führe jedoch nicht dazu, dass der Bescheid über die Rente für Bergleute aufzuheben gewesen sei. Die Rente für Bergleute sei in der Vergangenheit zu Recht gezahlt worden. § 89 SGB VI solle allein verhindern, dass der Berechtigte, der mehrere Ansprüche inne habe, über diese Ansprüche kumulativ verfügen könne. Da zwei Rentenansprüche für die Vergangenheit nebeneinander bestünden, wovon der eine rückschauend betrachtet nach § 89 SGB VI nicht zu zahlen gewesen sei, müsse sich der Betrag der höheren Rente um den Betrag der niedrigeren bereits gezahlten Rente mindern. Andernfalls würden für den Beigeladenen im Ergebnis tatsächlich zwei parallele Zahlungsansprüche realisiert. § 107 SGB X sei entsprechend anwendbar. Damit stehe für eine Erstattung nur der Betrag aus der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zur Verfügung, der sich nach der Minderung der zu Recht gezahlten Rente für Bergleute ergebe. Einer Bescheidaufhebung bedürfe es gerade nicht, da durch die Anwendung des § 89 SGB VI ein interner Ausgleichsanspruch entstanden sei. Im Übrigen sei ein Ausgleich der Forderung nach § 103 SGB X iVm § 125 Abs 3 SGB III nur in der Höhe vorzunehmen, in der auch tatsächlich Beträge zur Erfüllung der Forderung zur Verfügung stünden. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich gemäß § 103 Abs 2 SGB X nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Somit könne die Klägerin ihre Forderung nicht in unbegrenzter Höhe geltend machen, sondern sei an die Höhe der Nachzahlung gebunden. Mit der Geltendmachung eines über diesen Betrag hinausgehenden Erstattungsanspruchs handele die Klägerin zudem entgegen ihrer eigenen Dienstanweisung.

8

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 2008 und des Sozialgerichts München vom 17. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

LSG und SG haben zu Recht einen Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von weiteren 1 689,09 Euro bejaht.

14

Der Erstattungsanspruch der Klägerin richtet sich nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift steht der Bundesagentur ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt wird. Gemäß § 103 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB X entsteht die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers nur, soweit dieser nicht bereits geleistet hat, bevor er von der Leistung der Bundesagentur Kenntnis erlangt hat.

15

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind erfüllt.

16

Die Beklagte hat dem Beigeladenen, der im hier maßgeblichen Zeitraum vom 26.12.2000 bis 31.1.2002 arbeitslos gemeldet war und Arbeitslosengeld bezogen hat, mit Bescheid vom 14.12.2001 rückwirkend ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt. Hierbei handelt es sich um eine Rente iS von § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III.

17

Zwar könnte der Wortlaut "Rente wegen Erwerbsminderung" dafür sprechen, dass das Gesetz hierunter nur eine Rente wegen Erwerbsminderung iS des § 43 SGB VI in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung versteht. Denn dieser Terminus ist in § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung ab 1.1.2001 durch Art 3 Nr 3b des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) eingefügt worden, um die Begriffe der Vorschrift an die im SGB VI geänderten Begriffe "redaktionell" anzupassen (BT-Drucks 14/4230 zu Art 3 Nr 3 S 31).

18

Eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Anwendung des Gesetzes kann jedoch durch Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt sein (BGH NJW 2003, 290, 291 mwN). Diese ist hier auch zulässig und geboten, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit das Regelungsziel verfolgte, den nach bisherigem Recht bestehenden Erstattungsanspruch der Bundesagentur gegen den Rentenversicherungsträger bei zeitgleicher Gewährung von Arbeitslosengeld und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu beseitigen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch in den Fällen, in denen nach Inkrafttreten des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III nF vom Rentenversicherungsträger noch rückwirkend Renten wegen Erwerbsunfähigkeit zu bewilligen waren(vgl § 300 Abs 2 SGB VI), der Erstattungsanspruch der Bundesagentur trotz des geänderten Wortlauts weiterhin besteht, soweit zeitgleich Arbeitslosengeld an den Versicherten gezahlt worden ist, und die dem entgegenstehende Begrifflichkeit auf einer Unachtsamkeit bei der Formulierung des Gesetzes beruht (vgl noch einmal BGH NJW 2003, 290, 291).

19

Eine auf sachliche Änderung der bisherigen Rechtslage gerichtete Regelungsintention lässt sich auch nicht aus § 435 SGB III ableiten, der bestimmt, dass bei Anwendung verschiedener Normen des SGB III "die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, deren Beginn vor dem 1. Januar 2001 liegt, als Rente wegen voller Erwerbsminderung" gilt bzw bei deren Anwendung "an die Stelle der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit … die Feststellung der Erwerbsminderung" tritt. Es ist nicht erkennbar, dass diese Regelungen abschließend sein sollten und daher bei Anwendung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III, für den § 435 SGB III keine entsprechende Übergangsregelung enthält, eine Gleichstellung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Rente wegen Erwerbsminderung nicht gewollt ist.

20

Sinn und Zweck des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III ist mithin nach wie vor, die Bundesagentur durch Gewährung eines Erstattungsanspruchs gegen den Rentenversicherungsträger vor einem finanziellen Nachteil auch dann zu bewahren, wenn dem Arbeitslosen für einen Zeitraum Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt wird, für den er bereits Arbeitslosengeld bezogen hat. Eine Rückforderung des Arbeitslosengeldes vom Arbeitslosen kommt nicht in Betracht, da dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung ruht (§ 142 Abs 1 Nr 3, Abs 2 Nr 2 iVm § 435 Abs 4 SGB III), was bedeutet, dass das zuvor gezahlte Arbeitslosengeld rechtmäßig gezahlt worden ist und damit grundsätzlich nicht zurückverlangt werden kann (vgl Winkler in Gagel, Kommentar zum SGB III, § 125 RdNr 54, Stand: Juni 2006). Ohne den Erstattungsanspruch nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III stünde der Bundesagentur kein Erstattungsanspruch zu, denn die Voraussetzungen der allgemeinen Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X liegen nicht vor.

21

Die Anwendung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III auch in Fällen der vorliegenden Art vermeidet gleichzeitig Ergebnisse, die im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz(Art 3 Abs 1 GG) problematisch sein könnten.

22

Würde die Norm keine Anwendung finden, wenn eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem 31.12.2000 mit Wirkung ab einem Zeitpunkt vor dem 1.1.2001 gewährt wird, könnte ein Versicherter, der bereits Arbeitslosengeld bezogen hat, zusätzlich für denselben Zeitraum vom Rentenversicherungsträger die Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente verlangen. Ein Erstattungsanspruch der Bundesagentur nach den §§ 102 ff SGB X und damit ein Eingreifen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X kämen nicht in Betracht. Ist einem Versicherten dagegen vor dem 31.12.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für einen Zeitraum gewährt worden, in dem er schon Arbeitslosengeld erhalten hat, steht der Bundesagentur ein Erstattungsanspruch gemäß § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III aF zu, mit der Folge, dass der Anspruch des Versicherten gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 107 Abs 1 SGB X insoweit als erfüllt gilt. Dieselben Rechtsfolgen treten nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III nF iVm § 107 Abs 1 SGB X ein, wenn der Rentenversicherungsträger einem Arbeitslosen nach dem 31.12.2000 Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt hat. Versicherte, denen eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor dem 31.12.2000 oder Rente wegen Erwerbsminderung nach diesem Zeitpunkt zuerkannt worden ist, können daher neben Arbeitslosengeld keine Rente erhalten, während Versicherte, denen eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem 31.12.2000 mit Wirkung ab einem Zeitpunkt vor dem 1.1.2001 gewährt worden ist, Arbeitslosengeld und Rente beziehen könnten. Für eine derart unterschiedliche Behandlung der beiden zuerst genannten Versichertengruppen im Verhältnis zur letzten Versichertengruppe sind sachlich gerechtfertigte Gründe nicht zu erkennen. Sie wäre vielmehr willkürlich.

23

Die weitere Voraussetzung des § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB X ist ebenfalls erfüllt. Eine Leistung der Beklagten an den Beigeladenen mit befreiender Wirkung iS dieser Norm ist schon deshalb nicht erfolgt, weil die Beklagte keine Zahlungen aus der EU-Rente an den Beigeladenen erbracht hat.

24

Der Höhe nach steht der Klägerin ein Erstattungsanspruch auf das gesamte gezahlte Arbeitslosengeld im streitigen Zeitraum bis zur Höhe des Zahlbetrags der EU-Rente zu (vgl zu diesen zwei Obergrenzen: BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 § 103 Nr 4 S 20 mwN; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 45).

25

Gemäß § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 Abs 2 SGB X entsprechend richtet sich der Umfang der Erstattungsansprüche nach den für die Beklagte geltenden Rechtsvorschriften und damit den Bestimmungen des SGB VI.

26

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI eine Begrenzung des Erstattungsanspruchs der Klägerin auf den Differenzbetrag zwischen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Rente für Bergleute nicht herleiten.

27

Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird gemäß § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Da die Vorschrift lediglich hinsichtlich der Rentenleistung eine Regelung trifft, bezieht sie sich nur auf den Rentenzahlanspruch und lässt damit den Anspruch auf Rente dem Grunde nach unberührt. Dies bedeutet, dass bei konkurrierenden Rentenansprüchen iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI beide Rentenansprüche dem Grunde nach bestehen bleiben, der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente während der Dauer des Bezugs der höheren Rente aber nicht entsteht(BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5 f) bzw bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente nachträglich entfällt.

28

Die Beklagte hat dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 rückwirkend ab dem 27.1.2000 anstelle der bisherigen Rente für Bergleute Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt mit der Folge, dass der ursprünglich in dieser Zeit bestehende niedrigere monatliche Zahlungsanspruch aus der Rente für Bergleute nachträglich entfallen ist.

29

Wie zur Vermeidung einer Doppelzahlung in einer solchen Situation zu verfahren ist, ist in § 89 SGB VI nicht geregelt. Insbesondere enthält die Norm keine Bestimmung, nach der der Anspruch auf Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente als erfüllt gilt. Die Annahme einer solchen Erfüllungsfiktion rechtfertigt sich auch nicht unter Berücksichtigung allgemeiner Erwägungen.

30

Bei dem Anspruch auf Rente für Bergleute und dem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um verschiedene selbstständige Ansprüche (ua mit unterschiedlichen Versicherungsfällen und Versicherungszielen) und nicht etwa um ein einziges Recht auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; ein solches gibt es nicht. Beide Rechte dienen vor allem der Sicherung verschiedener Schutzgüter gegen das Risiko gesundheitsbedingter Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Während Schutzgut der Rente für Bergleute das spezielle berufliche Leistungsvermögen des Versicherten im Bergbau ist, ist Schutzgut der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit das allgemeine Leistungsvermögen, also die Fähigkeit des Versicherten, sich durch Erwerbstätigkeit überhaupt unterhalten zu können. Entsprechend dieser unterschiedlichen Schutzfunktionen entfalten beide Renten auch unterschiedliche Sicherungsfunktionen. So soll die Rente für Bergleute den durch Krankheit oder Behinderung bedingten Lohnabfall ausgleichen, den der Versicherte dadurch erleidet, dass er die von ihm bisher ausgeübte knappschaftliche, dh bergmännische Beschäftigung nicht mehr ausüben kann (vgl Gürtner in Kasseler Kommentar, § 45 SGB VI RdNr 2, Stand: Juli 2010). Erwerbsunfähigkeitsrente ist demgegenüber zu gewähren, wenn das Leistungsvermögen derart gemindert ist, dass es nur noch eine geringfügige Erwerbstätigkeit erlaubt, die zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht. Im Hinblick auf ihre unterschiedliche Schutz- und Sicherungsfunktionen entstehen beide Ansprüche jeweils unabhängig voneinander bei Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles und Vorliegens der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (vgl BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5).

31

Als selbstständige, unabhängig voneinander bestehende Ansprüche begründen sie selbstständige Leistungsverhältnisse. Tritt eine Leistungsstörung - zB auf Grund des späteren Wegfalls des Rechtsgrundes der Leistung - ein, ist das Leistungsverhältnis rückabzuwickeln, in dem die Störung entstanden ist. Das andere Leistungsverhältnis bleibt Kraft seiner Selbstständigkeit von dieser Störung unberührt.

32

Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 18.12.1963 (3 RK 40/63 - BSGE 20, 140 = SozR Nr 9 zu § 183 RVO)und vom 17.4.1970 (3 RK 75/69 - SozR Nr 50 zu § 183 RVO). Diese Entscheidungen, die bei gleichzeitigem Bezug von Krankengeld und Berufsunfähigkeitsrente sowie der rückwirkenden Bewilligung von höherem Altersruhegeld bzw höherer Erwerbsunfähigkeitsrente nur den Differenzbetrag zwischen Berufsunfähigkeitsrente und nachfolgend zuerkannter Rente als erstattungsfähig beurteilt haben, weil die Zahlungen auf die Berufsunfähigkeitsrente als Teilzahlungen der später anerkannten Rente anzusehen seien, sind zu den Vorschriften der RVO und vor allem vor Erlass des SGB X ergangen und schon deshalb für die heutige Rechtslage nicht maßgeblich. Abgesehen davon war in dem der Entscheidung vom 18.12.1963 (aaO) zu Grunde liegenden Sachverhalt die Rente wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend in ein Altersruhegeld umgewandelt worden. Im maßgeblichen Zeitraum existierten damit - anders als im vorliegenden Fall - nicht zwei konkurrierende selbstständige Rentenansprüche, sondern bestand Kraft Umwandlung nur ein einziger Rentenanspruch, dem Rentenzahlungen zugeordnet werden konnten bzw mussten. Soweit der 3. Senat des BSG in der Entscheidung vom 17.4.1970 (aaO) ausgeführt hat, dass bei späterer rückwirkender Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente die bereits gezahlte Berufsunfähigkeitsrente dem Versicherten verbleibe, weil mit der Zahlung "die Rentenschuld" erloschen sei, geht er davon aus, dass nur ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht. Dem ist aus den oben dargelegten Gründen indes nicht zu folgen (s auch BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2).

33

Entsprechend der heutigen materiellen Rechtslage hat die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14.12.2001 "anstelle" der "bisherigen Rente" rückwirkend ab 27.1.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt und damit sinngemäß den Bescheid vom 19.11.1992 über die (umgewertete und angepasste) Rente für Bergleute aufgehoben, soweit der Bescheid einen Zahlungsanspruch begründet. Rechtsgrundlage der Aufhebung ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht § 45 Abs 1 SGB X, sondern § 48 Abs 1 SGB X(vgl auch BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2 S 5). Denn in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 19.11.1992 vorgelegen haben, ist durch den Hinzutritt einer weiteren Rente mit Wirkung zum 27.1.2000 eine wesentliche Änderung eingetreten. Die Beklagte war auch gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X berechtigt, den Bescheid vom 19.11.1992 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (vgl Niesel aaO § 89 SGB VI RdNr 11, Stand: Dezember 2007), da der Beigeladene ab 27.1.2000 Einkommen erzielt hat, das zum Wegfall seines Anspruchs auf Zahlung der Rente für Bergleute geführt hat.

34

Da die Beklagte für die Zeit ab 27.1.2000 Rente für Bergleute gezahlt hat, sind die erbrachten Leistungen vom Beigeladenen gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X zu erstatten(vgl auch Niesel aaO). Hiervon unabhängig ist die Erwerbsunfähigkeitsrente auf Grund des Bewilligungsbescheides vom 14.12.2001 ab 27.1.2000 an den Beigeladenen bzw soweit ein Erstattungsanspruch der Klägerin besteht an diese zu zahlen, wodurch der Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte als erfüllt gilt (§ 107 Abs 1 SGB X; vgl zur Anwendbarkeit der Norm hinsichtlich aller im Sozialgesetzbuch geregelten Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander auch BT-Drucks 9/95 S 24 re Spalte).

35

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus § 107 Abs 1 SGB X eine Minderung des für die Klägerin zur Verfügung stehenden Betrags nicht herleiten.

36

§ 107 Abs 1 SGB X begründet keinen Anspruch der Beklagten gegen sich selbst auf Erstattung der dem Beigeladenen geleisteten Rente für Bergleute mit der Folge, dass in Höhe dieser Rentenzahlung sein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als erfüllt gilt. § 107 Abs 1 SGB X gehört ausweislich der Überschrift des Zweiten Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB X, die Teil des Gesetzestextes ist, zu den Normen, die die "Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander" betreffen. Da diese schon nach dem Wortlaut der genannten Überschrift eine Mehrheit von Leistungsträgern (§ 12 Satz 1 SGB I) voraussetzen (vgl auch BT-Drucks 9/95 S 24 li Spalte: "… ein anderer Leistungsträger …"), die sich jeweils als Anspruchsteller und Anspruchsgegner gegenüberstehen, kommt eine unmittelbare Anwendung auf das Innenverhältnis der Beklagten als Adressatin mehrerer parallel bestehender Rentenansprüche dem Grunde nach von vornherein nicht in Betracht (so bereits BSG, Urteil vom 21.6.1983 - 4 RJ 29/82 - Juris; offen gelassen von BVerwG DVBl 1994, 426 ff = Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 22).

37

Ebenso wenig ist § 107 Abs 1 SGB X im vorliegenden Fall analog anwendbar.

38

Eine analoge Anwendung im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten, wonach der Anspruch des Beigeladenen auf Erwerbsunfähigkeitsrente ohne weiteres als erfüllt gelten soll, soweit er bereits Zahlungen aus der Rente für Bergleute erhalten hat, scheidet aus. Denn bei diesem Verständnis wird nur die Rechtsfolge des § 107 Abs 1 SGB X übernommen; der Tatbestand der Norm, das Bestehen eines Erstattungsanspruchs, der Voraussetzung für die angeordnete Rechtsfolge ist, bleibt dagegen völlig unberücksichtigt.

39

Eine analoge Anwendung des § 107 Abs 1 SGB X auf einen Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers gegen sich selbst(bejahend BVerwG aaO im Fall der Zuständigkeit desselben Leistungsträgers für das Erbringen von Sozialhilfeleistungen einerseits und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz andererseits) kommt jedenfalls bei dem hier vorliegenden Sachverhalt mangels Bestehens einer gesetzlichen Regelungslücke (vgl zu dieser Voraussetzung einer Analogie exemplarisch BFH NJW 2006, 1837) nicht in Betracht. Mit § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 103 SGB X, § 107 Abs 1 SGB X und § 142 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 Nr 2 SGB III liegt ein vollständiges Normprogramm zur Belastung des nach der gesetzlichen Wertung letztlich verpflichteten Leistungsträgers vor.

40

Nach § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III hat die Arbeitsverwaltung einen Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X, wenn ein Träger der gesetzlichen Rentenversicherung dem Arbeitslosen eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt hat. Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch des Arbeitslosen gegen die Rentenversicherung auf Zahlung der Erwerbsminderungsrente als erfüllt, soweit der Erstattungsanspruch besteht. Gilt aber der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bereits wegen des Erstattungsanspruchs der Arbeitsverwaltung als erfüllt, kann er in Anbetracht des vom Gesetzgeber gewählten Normprogramms nicht zusätzlich wegen Zahlung einer niedrigeren Rente durch die Rentenversicherung als (teilweise) erfüllt angesehen werden. Die Rechtsauffassung der Beklagten würde überdies bei Fallkonstellationen der vorliegenden Art zu einer Verschiebung der gesetzlichen Risikoverteilung führen. Ist dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 142 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 Nr 2 SGB III erst von Beginn der laufenden Zahlung der Rente an. Dies bedeutet - wie bereits oben dargelegt -, dass das vorher gezahlte Arbeitslosengeld rechtmäßig gezahlt worden ist und damit von der Arbeitsverwaltung grundsätzlich nicht zurückverlangt werden kann (vgl Winkler aaO). Stünde nur der Differenzbetrag zwischen Erwerbsminderungsrente und der gezahlten niedrigeren Rente für den Erstattungsanspruch zur Verfügung und übersteigt das gewährte Arbeitslosengeld diesen, fiele die Arbeitsverwaltung mit einem Teil ihrer Erstattungsforderung aus, ohne den Fehlbetrag vom Arbeitslosen zurückfordern zu können. Gerade diesem Umstand trägt der ungeminderte gesetzliche Erstattungsanspruch Rechnung und berücksichtigt damit, dass die rückwirkende Bewilligung der Erwerbsminderungsrente allein darauf beruht, dass der Rentenversicherungsträger den später als rechtens anerkannten Rentenanspruch ursprünglich verneint hat.

41

Die Beklagte kann dem streitigen Erstattungsanspruch auch keine Gegenrechte aus dem Sozialleistungsverhältnis zwischen ihr und dem Beigeladenen entgegenhalten.

42

Zwar kann wegen der inhaltlichen Abhängigkeit und untrennbaren Verknüpfung der Erstattungsansprüche mit dem Sozialleistungsanspruch des Leistungsberechtigten der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger diejenigen Einwendungen gegenüber dem Erstattungsanspruch erheben, die ihm gegenüber dem Leistungsberechtigten zustehen (ua BSGE 70, 99 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 mwN). Grundlagen derartiger Einwendungen sind hier indessen nicht feststellbar.

43

Insbesondere hat die Beklagte auch nach ihrem eigenen Vortrag ihre Erstattungsansprüche iS von § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht gemäß § 51 SGB I gegen den Anspruch des Beigeladenen auf rückwirkende Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente aufgerechnet. Die Erklärung einer derartigen Aufrechnung ist dem Bescheid vom 14.12.2001 nicht zu entnehmen. Dem Bescheid fehlen nach den Feststellungen des LSG schon jedwede Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen überhaupt eines Erstattungsanspruchs wegen zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen berühmt. Die Beklagte hat nach dem Berufungsurteil im Bescheid vom 14.12.2001 monatsweise für verschiedene Zeiträume eine "Nachzahlung" in Höhe der jeweiligen Erwerbsunfähigkeitsrentenzahlbeträge aufgeführt, diesen die in denselben Zeiträumen auf die Rente für Bergleute gezahlten Beträge gegenübergestellt und den Saldo als verbleibende "Nachzahlung" bezeichnet. Dass die Beklagte Erstattungsansprüche in Höhe der gezahlten Rente für Bergleute geltend machen will, ergibt sich aus diesem Rechenvorgang nicht. Vielmehr behandelt dieser die geleisteten Zahlungen auf die Rente für Bergleute als Zahlungen auf die Erwerbsunfähigkeitsrente, die den Nachzahlungsbetrag entsprechend mindern und geht insoweit von einer teilweisen Erfüllung des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente durch die auf die Rente für Bergleute entrichteten Zahlungen aus. Eine solche Erfüllungswirkung entfalten diese aber aus den oben genannten Gründen nicht.

44

Ebenso wenig ergibt sich eine Beschränkung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs auf den Differenzbetrag zwischen Erwerbsunfähigkeitsrente und Rente für Bergleute dadurch, dass die Beklagte diesen im Bescheid vom 14.12.2001 als (zur Verfügung stehenden) Nachzahlungsbetrag aufgeführt hat. Die Bindungswirkung des Rentenbescheids nach § 77 SGG, die auch dem Erstattungsanspruch entgegengehalten werden kann(vgl BSGE 58, 119, 126 = SozR 1300 § 104 Nr 7), erstreckt sich nicht auf die darin enthaltene Mitteilung über eine Rentennachzahlung, wenn der Nachzahlungsbetrag wegen bislang nicht geklärter Erstattungsansprüche noch nicht endgültig festgesetzt ist (BSG, Urteil vom 21.6.1983 - 4 RJ 29/82 - Juris mwN). Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat im Bescheid vom 14.12.2001 darauf hingewiesen, dass der Nachzahlungsbetrag in Höhe von 19 133,96 Euro einbehalten werde, weil zunächst die bekannt gewordenen Ansprüche anderer Stellen (zB Krankenkasse, Arbeitsamt), die im Nachzahlungszeitraum bereits Zahlungen geleistet hätten, abschließend zu klären seien.

45

Die Beklagte kann schließlich auch nichts zu Gunsten ihres Rechtsstandpunkts aus der Dienstanweisung der Klägerin herleiten. Zum einen äußert sich diese lediglich zur Geltendmachung des Unterschiedsbetrages zwischen Voll- und Teilrente, wenn bereits Teilrente bezogen worden ist, und trifft damit keine Aussage zur Höhe des Erstattungsanspruchs, wenn dem Versicherten zunächst eine Rente mit niedrigeren Zahlbeträgen geleistet und ihm später rückwirkend eine Rente anderer Art mit höheren Zahlbeträgen zuerkannt worden ist. Zum anderen kann die Dienstanweisung der Klägerin mangels Gleichrangigkeit der Rechtsquellen nicht einen sich aus formellem Gesetz ergebenden Anspruch reduzieren.

46

Da nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum bei monatsweiser Gegenüberstellung der Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit stets höher als der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes gewesen ist (vgl zur Ermittlung des Erstattungsbetrages auf diesem Weg BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 § 103 Nr 4), ist der Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe der vollen monatlichen Zahlbeträge des Arbeitslosengeldes entstanden. Bei insgesamt geleistetem Arbeitslosengeld in Höhe von 12 203,31 Euro abzüglich bereits erstatteter 10 514,21 Euro steht der Klägerin der geltend gemachte weitere Erstattungsbetrag von 1 689,09 Euro zu.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

48

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 47 Abs 1, § 52 Abs 1 und 3 GKG.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.